Liebe Gemeinde, Ich zeige einen Blick in die Ausstellung

!1 Liebe Gemeinde, ich zeige Ihnen heute ein Schmetterlingsbild, einen Becher, ein Abendmahlsgeschirr. Ein Motiv der bildenden Kunst und zwei Beispiel...
Author: Gerburg Böhm
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!1 Liebe Gemeinde, ich zeige Ihnen heute ein Schmetterlingsbild, einen Becher, ein Abendmahlsgeschirr. Ein Motiv der bildenden Kunst und zwei Beispiele der angewandten Kunst aus Ausstellungen, die die Akademie 2013 und 2014 durchgeführt hat. In allen drei Fällen haben die Dinge, die ich Ihnen zeige, etwas mit Exil zu tun. Und in allen Fällen geht es um einen Blick hinter das Sichtbare, um einen Speicher aus Geschichten und Ideen, die die Motive in sich tragen.

Beginnen möchte ich mit der Ausstellung von Parastou Forouhar, einer iranischstämmigen Künstlerin, die wir 2013 in unserem Ausstellungsraum Römer9 gezeigt haben. Ihre Ausstellung trug den Titel „Der Schmerz hat ein feineres Zeitmaß“. Ein Zitat von Georg Büchner aus Dantons Tod. Bei unseren Ausstellungsprojekten interessieren uns im Wesentlichen Kunstpositionen, die an der Schnittstelle von gesellschaftlich/ethischen und künstlerischen Fragestellungen arbeiten, in jedem Fall aber in einem säkularen Kontext beheimatet sind. Uns reizt die sich daraus sich ergebende Reibung mit dem religiösen Kontext der Akademie. Ich zeige einen Blick in die Ausstellung Unsere mobilen Ausstellungswände standen in der Mitte des Raumes und wirkten wie eine Raumplastik. An der Vorderseite waren die Wände vollständig mit einer Tapete versehen, die wiederum über und über mit Schmetterlingsmotiven bedeckt war. Im ersten Zugehen blieb man an der buntfarbigen Oberfläche der Darstellung und der Leichtigkeit des Motivs hängen. Auf den zweiten Blick dann hat man die Figuren wahrgenommen, die sich innerhalb der Farbflächen der Schmetterlingsflügel befanden. Gefolterte, Gequälte Leiber waren dort zu sehen, Menschen im Fadenkreuz oder hinter Gittern. Leidende, aus Wunden blutende Körper oder Personen, die auf dem Boden kauern und sich zu schützen suchen und sogar Getötete. Eine Arbeit also, die im wahrsten Sinne des Wortes Nahsicht einforderte.

!2 Das Doppelbödige, das Spielerische, das Leichte wie das Ironische sind typische Merkmale der Kunst von Parastou Forouhar. Die Künstlerin liebt die Verkleidung oder die Camouflage. Häufig bindet sie Dinge in ihre Arbeit mit ein, die wir mit Freizeit und Vergnügungen verbinden und mit positiven Erinnerungen besetzen. Ebenso spielerisch wischt die Künstlerin dann aber die angenehmen Gefühle beiseite, indem sie uns mit Darstellungen von Gewaltexzessen konfrontiert. Selten zeigte sich das Brutale in so schöner Gestalt, erschreckend ästhetischer Gestalt, wie hier. Eine westlich orientierte Kunstgeschichte wird an dieser Stelle den apokalyptischen Charakter der Darstellungen hervorheben. Die Apokalypse, ein Motiv, das Künstler seit dem Mittelalter in den Bann zieht und bis in die Gegenwartskunst hinein fesselt. Parastou Forouhar, Sie sehen es, kann ihre persischen Wurzeln nicht verbergen. Das Ornament spielt bei ihr eine große Rolle, sie arbeitet sich gewissermaßen daran ab. Ein prägnantes Statement zum persischen Ornament kommt von der Künstlerin selbst, wenn sie sagt: „In den altpersischen Miniaturen ist die Präsenz des Menschen als Teil einer ornamentalen Ordnung zu begreifen. Eine individuelle Auffassung existiert nicht. Es wird der Versuch unternommen, eine trügerische Oberfläche aus wiederholten, miteinander harmonisierenden Mustern zu schaffen. Alle Flächen sind mit den Schwingungen dieser Muster gefüllt: Eine harmonische Weltdarstellung, Zeichen der göttlichen Allmacht und ihrer Schönheit. Diese unantastbare Harmonie verbirgt jedoch ein großes Potential an Brutalität in sich. Was sich dieser ornamentalen Ordnung nicht unterwirft, ist nicht darstellbar und damit nicht existent.“ Die Arbeit der Künstlerin Parastou Forouhar ist zutiefst politisch und sie ist autobiografisch geprägt. Ihr Werk spielt mit kulturellen Zuschreibungen, Mustern und Stereotypen. Die Computerzeichnung und das Tapetendesign übertragen dann aber die Aussage in einen globalen Kontext. Jeder einzelne dieser Schmetterlinge ist von Parastou Foruhar mit einem gewalttätigen Ort im Iran verbunden worden, beispielsweise einem Gefängnis - oder einem für sie wichtigen Datum einer Gewalttat, etwa dem der Ermordung ihrer Eltern, oppositionelle Politiker in Teheran, im November 1998.

!3 So abwegig die Vorstellung zunächst sein mag, sich die Tapete von Parastou Forouhar in die eigenen vier Wände zu holen, so treffsicher ist die Aussage, die Gewaltdarstellungen auf ihnen hätten auch etwas mit unserem Leben zu tun. Sie thematisiert die globale Dimension von Gewalt. Die Schmetterlinge tragen die Gequälten mit sich fort. Der Schmetterling, so hat die Künstlerin mir verraten, ist in der persischen Kultur ein Symbol für Flüchtigkeit und Vergänglichkeit, ja für die Selbstaufgabe aus Liebe. Der Falter, der dem Licht entgegenfliegt, wird darin umkommen. In den Räumen einer evangelischen Einrichtung wurde diese Konnotierung konfrontiert mit einer christlich geprägten Metaphorik. In der christlichen Religion steht der Schmetterling als Zeichen für Auferstehung. Vielleicht war auf der Tapete also ein Hoffnungszeichen zu sehen, das andeuten will, dass für die namenlosen Opfer ein anderes, ein besseres Leben folgt. Die Ausstellung trug den Titel „Der Schmerz hat ein feineres Zeitmaß“ . Entnommen war der Titel einem Zitat aus dem Stück „Dantons Tod“ von Georg Büchner. Ein Stück über die Folgen der Französischen Revolution, die ihre Kinder fraß. Und tatsächlich passt der Titel frappierend zu dem, was in der Ausstellung zu sehen war. Obwohl sie aus zwei unterschiedlichen Epochen und unterschiedlichen Kulturen stammen, sind die Parallelen zwischen Georg Büchner und Parastou Forouhar übrigens erstaunlich: Mit Büchner teilt die Künstlerin den Kampf gegen ein autoritäres Regime, gegen Unterdrückung und für Freiheit, die Erfahrung von Verfolgung und Exil, aber auch den Glauben an die Kraft der Kunst. Und nicht zuletzt gibt es auch über das Medium des Textes zahlreiche Parallelen zwischen beiden. Bei beiden geht es überdies sehr stark um das Körperliche, auch bei Büchner leiden die Protagonisten körperlich, es ist der getriebene, geschundene Mensch, der in seinen Werken auftaucht, der an der Gesellschaft und sich selbst zerbricht.

Wir machen einen Schlenker und wenden uns der eigenen protestantischen Kultur zu. Unter dem Titel „Für Wasser Wein Brot“, haben wir im vergangenen Sommer eine Ausstellung mit evangelischem Altargerät aus 5 Jahrhunderten in Frankfurter Besitz

!4 durchgeführt. Die Ausstellung habe ich in Zusammenarbeit mit der Frankfurter Kunsthistorikerin Ulrike Schubert konzipiert und stattgefunden hat sie im Dommuseum. Also in einem katholischen Umfeld. hatte zunächst eine kunsthistorische Ausrichtung und wollte einen Gang durch die unterschiedlichen Stilepochen präsentieren. Zum anderen aber war es uns wichtig, die Besonderheiten dieses Sakralgeschirrs herauszuarbeiten, sprich nach dezidiert protestantischen Ausprägungen und Formen zu fragen. Als dezidiert protestantisch erwies sich dabei zum Beispiel die Abendmahlskanne, die es so im katholischen Bereich nicht gibt. Wenn viele Menschen am Abendmahl teilnehmen, braucht es eben auch große Gefäße für den Wein. – Wo gibt es noch Unterschiede? Wir sehen im protestantischen Sakralgeschirr gegenüber der katholischen Tradition eine größere Zurückhaltung im Dekor oder auch ganz neue Formen wie den Einzelbecher. Schnell war aber auch klar, dass es nicht nur formale Unterschiede sind, die evangelisches Sakralgeschirr von katholischem unterscheiden. Viele evangelische Abendmahlskannen, Kelche, Hostiendosen oder Taufschalen sind Stiftungen – und das ist der große Unterschied – gestiftet für die Gemeinschaft und aus einem Zugehörigkeitsgefühl für eine evangelische Gemeinschaft heraus. Bürgerinnen und Bürger stiften: für ihre Gemeinde oder auch für Wohlfahrtseinrichtungen: Waisenhäuser oder Armenhäuser und sie setzen sehr oft und selbstbewusst ihren Namen auf die Stiftung. Bild Prinzessinnenbecher Auch das eine Stiftung, ein Abendmahlsbecher, der heute in der Gemeinde Bockenheim aufbewahrt und genutzt wird. Wir sehen hier eine reformierte Ausprägung eines Abendmahlsgeschirrs, eben einen Becher und keinen Kelch. Angefertigt wurde er nach einem älteren in der Gemeinde befindlichen Stück 1790 für Prinzessin Henriette Amalie von Anhalt-Dessau, die ihn der Bockenheimer Gemeinde stiftete. Der Name der Stifterin ist dann auch auf der Außenseite des Bechers eingraviert.

!5 Aus heutiger Sicht muss man die Prinzessin als hochmoderne Frau bezeichnen, sie bekam in den 1750er Jahren einen unehelichen Sohn und weigerte sich den Vater des Kindes zu heiraten, was zur Verbannung führte und sie schließlich nach einigen anderen Stationen nach Bockenheim, wohin ihr Sohn zur Pflege gegeben worden war. Sie kaufte hier ein gut, das sie selbst bewirtschaftete und ließ ein Schloss errichten. Also eine sehr selbstbewusste und zupackende Frau. „Sie war begeisterte Landwirtin, offen für Reformen und penibel in der Buchhaltung. Durch sparsames Wirtschaften und finanziellen Weitblick schuf sie sich die Basis für ein unabhängiges und standesgemäßes Leben. Man sagte von ihr, sie sei fünfmal so reich wie der reichste Bauer am Ort. Mit ihrem Vermögen unterstützte sie zahlreiche Künstler, indem sie deren Werke erwarb.“ (Wikipedia) 1792 floh sie dann vor den heranrückenden französischen Truppen in ihre Heimatstadt Dessau, wo sie 1793 starb. Bild Abendmahlsgerät Klinikseelsorge Ein Abendmahlsgeschirr aus der Uniklinik, heute im Besitz der Evangelischen Klinikseelsorge. Wir sehen eine Kanne, einen Kelch und – etwas ungewöhnlich – ein Tablett. Die Geräte weisen die typische Formensprache des frühen 20. Jahrhunderts auf – eine Mischung aus Jugendstil und Mittelalter. Das Geschirr ist aus massivem Silber und weist Reste einer einstigen Vergoldung auf. Hergestellt wurde es von der Firma Hessenberg, die bis vor kurzem noch am Goetheplatz anzutreffen war. Damals eine der ersten Adressen, die viele europäische Fürstenhäuser mit Silbergeschirr belieferte und Hoflieferant der Hohenzollern war. Auf der Unterseite des Tabletts befindet sich eine Gravur, die den Namen der Stifterin vermerkt. Wörtlich steht da: „Dem Städtischen Siechen und Armenhaus Sandhof, gestiftet von Frau Arthur von Weinberg, Frankfurt am Main Ostern 1911“ Arthur von Weinberg, der Ehemann der Stifterin Willemine von Weinberg gehört zu den großen Mäzenen Frankfurts. Er war Mitbesitzer der Cassella Werke und stiftete große Geldsummen beispielsweise für das Senckenbergmuseum oder den Frankfurter Zoo.1909 gründete er die mit 300.000 Goldmark (heute etwa 4 Millionen

!6 Euro) ausgestattete Arthur-von-Weinberg-Stiftung zur Förderung der naturwissenschaftlichen Forschung und Lehre. Mit der gleichen Summe beteiligte er sich an der Gründung der Frankfurter Universität, deren Ehrenbürger er wurde. Er engagierte sich für das Städel oder das Historische Museum. 1908 wurde er von Kaiser Wilhelm II. in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben. 1913 bekam er den Titel eines preußischen Geheimen Regierungsrats verliehen. Und zu seinem 70. Geburtstag wurde er 1933 der zehnte Ehrenbürger der Stadt Frankfurt. Liebe Gemeinde, wir begehen heute den Jahrestag der Pogrome gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie jüdische Einrichtungen am 9. November 1938. Willemine von Weinberg hat diesen ersten Höhepunkt der Gewalt gegen jüdische Deutsche nicht mehr erlebt, da sie bereits1935 gestorben ist, wohl aber ihr Mann Arthur von Weinberg. Der musste 1935 den Aufsichtsrat der I.G. Farben verlassen und nach und nach auch seine anderen Ämter aufgeben. 1938 wurde er dann gezwungen, (u.a. vom damaligen Oberbürgermeister, seine in Niederrad gelegene Villa Buchenrode zwangszuverkaufen. 1939 richtete die Stadt in dem Gebäude das Musische Gymnasium ein. Arthur von Weinberg zog zu seinen Adoptivtöchtern nach Bayern. Dort wurde er im Juni 1942 von der Gestapo verhaftet und nach Theresienstadt gebracht. Im Lager Theresienstadt starb er nach offiziellen Angaben an den Folgen einer Gallenblasenoperation im März 1943.

Liebe Gemeinde: Ein Schmetterlingsbild, ein Becher, ein Abendmahlsgeschirr. Drei Objekte der bildenden und der angewandten Kunst, die hinter ihrer sichtbaren Oberfläche Geschichten erzählen, von Gewalt und Vertreibung, vom Exil. Sie erzählen aber auch von Engagement und Hingabe, von Gemeinschaft und der Vision von einem besseren Leben, einer anderen Gesellschaft. Das macht sie wertvoll. Für uns heute wie für die Nachfolgenden.

!7 Christian Kaufmann, Evangelische Akademie Frankfurt