Landschaften. Himmelsfrau. Untersuchungen zur Horizont-Astronomie der Venus. Manfred Backes

Untersuchungen zur Horizont-Astronomie der Venus Manfred Backes L o k a l e S a g e n , z e i t l o s e S y m b o l e u n d r a d i ä s t h e t i s c ...
Author: Inken Egger
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Untersuchungen zur Horizont-Astronomie der Venus Manfred Backes L o k a l e S a g e n , z e i t l o s e S y m b o l e u n d r a d i ä s t h e t i s c h e U n t e r s u c h u n g e n f ü h r t e n d e n Ve r m e s s u n g stechniker Manfred Backes bei seinen archäoastronomischen Untersuchungen auf die Spur einer v o m Ta n z d e r Ve n u s i n s p i r i e r t e n K u l t u r l a n d s c h a f t .

I

n meiner archäoastronomischen For­ schung habe ich mich insbesondere mit mutmaßlichen Kultstätten im Um­ kreis der Kreisgrabenanlage von Goseck beschäftigt. Ich wollte herausfinden, ob bestimmte prägnante Visuren, die auf den ersten Blick keine Bezüge zu Sonnen- und Mondaufgangspunkten aufweisen, den­ noch astronomische Bedeutung besitzen. Lange habe ich nach einem Schlüssel ge­ sucht, der Licht in diese Zusammenhänge bringen könnte, und habe ihn schließlich gefunden: Es waren die Auf- und Un­ tergangsazimute der Venus – der „strah­ lenden Himmelsfrau“. Als meine wichtigsten Arbeitsinstru­ mente standen mir ein GPS-Empfänger, digitales Kartenmaterial, geodätische Aus­ wertungsprogramme und Software für as­ tronomische Berechnungen zur Verfügung. Auf diese Weise habe ich beispielsweise die Azimute von Sonnen- und Mondextremen der Anlage von Goseck vermessen. Mes­ 54  

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sungen solcher Art wurden selbstverständ­ lich auch von den in Goseck tätigen Ar­ chäologen ausgeführt und von namhaften Astronomen wie Wolfhard Schlosser, Pro­ fessor an der Ruhruniversität Bochum, in der einschlägigen Literatur beschrieben. Doch dieses Datenmaterial ist nicht allge­ mein zugänglich, und so habe ich mir eine eigene Datenbasis geschaffen. Warum es von Bedeutung ist, die ex­ tremen Auf- und Untergangspunkte der wichtigsten Himmelskörper am Horizont kultischer Anlagen wie derjenigen von Goseck zu finden, geht aus dem Konzept der „heiligen Landschaft“ hervor. Es be­ ruht auf der vor-monotheistischen Natur­ auffassung, dass jedes Objekt, ob belebt oder unbelebt, eine eigene Seele, eine ei­ gene Lebenskraft und ein eigenes Schick­ sal hat. Schicksal heißt Geburt, Dasein und Tod. Davon sind nicht einmal die Götter ausgenommen, die auch ihren Untergang und ihre Neugeburt erleben. Der frühge­

schichtliche Zeitbegriff war ein zyklischer, und alle Dinge und Erscheinungen hat­ ten ihre Zyklen, die sie immer und immer wieder durchlebten. So war z. B. die Mor­ gendämmerung von heute die gleiche wie die von morgen, wie die jedes neuen Tags, da sie ja immer dieselbe Göttin (bei den Griechen Aurora) bewirkte. Die Zeitauf­ fassung wurde erst durch die monotheis­ tische Weltanschauung linear, da die An­ kunft des Propheten oder des Erlösers die Zeit in ein Davor und ein Danach spalte­ te. Seitdem hat die Zeit nur eine Richtung hin zum Ende der Welt. Es ist daher sinn­ los, eine vorgeschichtliche Kultstätte ohne Beziehung zu der umgebenden Landschaft zu betrachten, in der die Elemente des Ri­ tus ihren Ausdruck fanden. An den Hori­ zontpunkten z. B. des Sonnenauf- oder -untergangs zum Zeitpunkt der Sonnen­ wenden fanden Kulthandlungen statt, und damit wurde auch diesen Orten durch den Zentralort eine hohe Bedeutung zuteil.

manfred backes

Landschaften der Himmelsfrau

r a d i ä s t h e s i e

Bei den Gosecker Untersuchungen war für mich ein Schlüsselerlebnis die Identifi­ zierung des kleinen Julmondextrems mit dem Freya-Brunnen in der ehemaligen Jagdschlossanlage Klein Friedenthal. Zum einen war dieser Brunnen über Sagen mit einer Zeit verbunden, die bis ins alte Thü­ ringer Königreich führte. Zum anderen war er eine greifbare Realisierung der Ver­ bindung zwischen der Natur des Mondes und des Wassers, wie sie in der Mythologie dargestellt wird.

Sagen als Informationsquellen Die exakte Beobachtung der himmlischen Vorgänge musste immer am selben Ort er­ folgen, der damit eine besondere Bedeu­ tung erhielt. Wie sehr solches Beobachten in der Natur des Menschen liegt, zeigt die wörtliche Übersetzung des griechischen Worts anthropos, was nicht allgemein „Mensch“ bedeutet, sondern „der Aufbli­ ckende“. Die Wahrnehmung einer Außen­ welt über unseren Gesichtskreis hinaus war für die Alten vermutlich das Unter­ scheidungsmerkmal des Menschen gegen­ über allen anderen Wesen. Die Einrichtung von Observatorien war eine intellektuelle Leistung ersten Rangs. Einen Zugang zu den Denkstrukturen un­ serer Ahnen können wir über unsere Sa­ gen, Märchen und Mythen finden. An manchen Stätten sind auch noch Volks­ bräuche lebendig oder noch in Erzäh­ lungen überliefert, die uns einen Blick in vergangene Zeiten erlauben. Mein Bemü­ hen ist es, daraus Hinweise auf astrono­ misches Wissen der Vorzeit zu gewinnen. Verschiedene Autoren gehen davon aus, dass Märchen und Mythen auch astrono­ mische Vorgänge beschreiben, so auch der Schriftsteller Ralf Koneckis, der in seinem Buch „Mythen und Märchen“ (1994) an­ hand des Märchens „Die sieben Geißlein“ ein Beispiel dafür gibt: Als Wolf wird der zunehmende Mond mit seinem aufgerissenen Rachen identi­ fiziert, als Geißlein die sieben Sterne der Plejaden und als Geißenmutter die Ve­ nus. Die dreimaligen Besuche des Wolfs am Geißenhaus sind Mondpassagen, und das Auffressen von sechs der sieben Geiß­ lein ist ein Ausdruck der Tatsache, dass die Mondbahn eine maximale Bedeckung nur eines Teils der Plejaden erlaubt. Der Uhr­ kasten, in dem sich das letzte Geißlein ver­ steckt, ist ein neuzeitliches Sprach­element. So wird mit mythologischen Sprach­ elementen eine komplexe Beschreibung

manfred backes

Links: Grabhügel auf dem Quetzer Berg. Rechts: Freya-Brunnen in der ehemaligen Jagdschlossanlage Klein Friedenthal.

von Venustransit und Mondbedeckung der Plejaden erreicht. Das Ziel meiner archäoastronomischen Untersuchungen ist, herauszufinden, ob sich bis heute noch Reste dieser „heiligen Landschaften“, d. h. ein Beziehungsge­ flecht zwischen „heiligen Orten“, erhalten hat, und welche Elemente man mit hoher Wahrscheinlichkeit identifizieren kann. Eine zeitliche Einordnung der aktiven Pe­ riode dieser heiligen Orte ist freilich nur in einem groben Raster möglich.

Radiästhetische Ringstrukturen In meinem Untersuchungsgebiet zwischen Helme, Unstrut, Saale und Mulde fand ich, wie eingangs gesagt, einige Landschafts­ formationen, die sich einer nur auf Son­ ne und Mond bezogenen archäoastro­ nomischen Interpretation entzogen. Es waren weder lunisolare Observatorien wie Goseck oder Rohrbach (keine Tallage mit Visuren zu markanten Sonnenauf- und -untergangspunkten) noch symbolische „Weltmittelpunkte“ wie Einzingen oder der Wendelstein bei Memleben (Höhenla­ ge, aber keine sinnvollen Visurpunkte am Horizontbogen), aber dennoch prägnante Landmarken mit mythologischen Bezü­ gen: Berge, die am Horizont gut sichtbar waren. Nach dem Frauenberg bei Sonders­ hausen gab ich ihnen als Überbegriff den Namen „Frauenberge“. Erst als ich meine bisherigen Untersu­ chungsmethoden mit der Radiästhesie er­ gänzte, war es mir möglich, ihre wahre Natur zu enträtseln. Zum ersten Mal kam ich mit dieser al­ ternativen Untersuchungsmethode durch Wolfram Voigt aus Schkölen/Willschütz in Berührung. Am Igelsberg-Hügel bei Goseck stellte er durch seine Arbeit mit der Rute fest, dass dieser Punkt von einer Ringstruktur umgeben war, die an zwei Stellen eine Unterbrechung aufwies, und zwar genau in der Nord- und der Ostrich­ tung. Die Ringstruktur bestand aus meh­ reren konzentrischen „Kraftlinien“, die an den bezeichneten Richtungen etwa zwei

Meter breit unterbrochen waren und da­ mit „Tore“ bildeten. Diese Untersuchungs­ methode habe ich anschließend auch auf die Observatorien von Rohrbach und Ein­ zingen angewandt und wieder Kreisstruk­ turen festgestellt. Damit wurde endgültig mein Interesse für die Radiästhesie geweckt. Eines mei­ ner ersten Untersuchungsobjekte war der Gipfel des Petersbergs bei Halle an der Saale. Rund um die Alte Kapelle nördlich der Stiftskirche fand ich eine Ringstruktur. Der Zentralpunkt war genau die Mitte der Rotunde der Alten Kapelle, und ein Tor im Ring öffnete sich nach Westen. Erfreut über meine Erfolge untersuchte ich auch meinen Kleingarten und stellte zu meiner Überraschung fest, dass sich auch dort eine Ringstruktur feststellen ließ mit einer Toröffnung nach Süden. Der Zen­ tralpunkt befand sich aber nicht auf einem Kultplatz, sondern genau über dem ge­ mauerten Schacht, in dem die Wasseruhr untergebracht ist. Der gleiche Effekt stellte sich auch bei der Untersuchung von Was­ ser- und Abwasserschächten auf Straßen und öffentlichen Plätzen ein. Meine Hypothese für dieses Phäno­ men: Bei ungestörtem geologischem Un­ tergrund existiert ein Feld, dessen Natur der Wissenschaft unbekannt ist und das die Radiästhesie als „Gitternetz“ (Hart­ mann-Netz, Curry-Netz) beschreibt. Eine schachtähnliche Störung des Untergrunds erzeugt in diesem Feld eine radiästhetische Ringstruktur mit unterschiedlich ausge­ richteten Toren. Geologen der Martin-Luther-Univer­ sität Halle haben nun festgestellt, dass die Kreisgrabenanlage von Goseck auf einer wasserdurchlässigen Schotter­ schicht steht. Dort befindet sich also eine schachtähnliche Störung des Untergrunds. Müsste sich dort auch eine radiästhetische Ringstruktur ausbilden? Im September 2006 hatte ich die Gele­ genheit zur Überprüfung meiner Vorher­ sage für Goseck. Ich stellte tatsächlich eine starke Ringstruktur mit drei Toren fest. Die nördliche Toröffnung weist mit einem Azimut von 8,1° genau zum Nordtor der Ringwallanlage. Wurde das Nordtor nach radiästhetischen Vorgaben gebaut, da­ mit man sich, ohne die Ringstruktur zu schneiden, in das Innere der Anlage bege­ ben konnte? Die beiden anderen Tore der radiästhetischen Ringstruktur stimmen in ihrer Richtung mit dem Südost- und dem Südwesttor der Ringwallanlage überein. Meines Erachtens ist das ein Hinweis auf die Beachtung von radiästhetischen Ge­ gebenheiten, vorgefunden oder erzeugt durch unsere Vorfahren. Hagia Chora  29 | 2008 

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Höhe bei Wolfen

Sommer

27°

08.06.2004 06.06.2012

18.08.2007

315°

27.03.2009 Frühjahr

Herbst

Hügel Spören



29.10.2010

99°

Winter 315°

27°

243° Quetzer Berg

243° 171°

Unsere Vorfahren unterteilten die Welt in Midgard, die Wohnstätte der Menschen, in Asgard, den astralen Bereich der Götter und in Utgard, den Herrschaftsbereich von Jöten, Schwarzalben und Reifriesen, der hinter dem Horizont begann und sich bis unter die Füße der Menschen fortsetzte. Die möglichen Einbruchstellen der unheil­ vollen Mächte durch verborgene Schächte wurden womöglich durch radiästhetische Ringstrukturen erkennbar. Wahrschein­ lich wurden solche Orte gemieden oder als Kultplätze und Observatorien genutzt. Das Betreten erfolgte entlang der Torwege, und die Verbindung von Unterwelt, Menschen­ welt und Götterwelt konnte man am Zen­ tralpunkt der Ringstruktur erleben.

Frauenberge als Horizontmarken Bedingt durch die Nähe zu meinem Wohn­ ort begann ich mit meinen Untersuchungen am Quetzer Berg. Auf einer Porphyrkuppe südlich von Zörbig befindet sich hier ein vorgeschichtlicher Grabhügel, der auch als Gerichtsplatz genutzt wurde. Urkundlich ist festgehalten, dass hier Eike von Repgow, der Verfasser des Sachsenspiegels, ei­ nen Vertrag bezeugt hat. Bei meiner radiästhetischen Untersu­ chung erlebte ich eine Überraschung: Ich stellte eine Ringstruktur fest, die fünf Tore aufwies. Diese waren äquiangular über den Horizontbogen verteilt, wiesen also jeweils einen Winkelabstand von 72° auf. Mit Stangen und Absperrband machte ich meine Funde sichtbar. Ein Tor war genau auf Nordwest ausgerichtet, das entspricht einem Azimut von 315°. Genau in dieser Richtung befindet sich der vorgeschicht­ liche Hügel in Spören. Auch die anderen Tore sind auf markante Punkte der Umge­ bung ausgerichtet, wobei hier der Lands­ berger Kapellenberg heraussticht. Diese Zielpunkte weisen selbst radi­ ästhetische Ringstrukturen auf. Interes­ sant ist die Nordost-Ausrichtung des Tors auf dem Landsberger Kapellenberg. Diese Richtung zeigt genau über die Kirche von Brehna (alter Kultplatz) auf die Wüstung Radekin. Die Visurlinie aus dem Nordtor 56  

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Wüstung Radekin

99° 171°

Mühlberg Brachstedt

13.01.2006

45° Kirchhügel Brehna Kapellenberg Brehna

der Ringstruktur von Radekin kreuzt sich mit der 27°-Visurlinie des Quetzer Bergs in der Wolfener Flur, die schon lange im Fokus meiner Recherchen liegt, die aber noch nicht zu Ergebnissen geführt haben. Damit will ich wieder auf die Zusammen­ hänge in einer „heiligen Landschaft“ hin­ weisen, in der kein Kultplatz als solitär betrachtet werden kann, sondern die Be­ ziehungen zwischen den „heiligen Orten“ wie ein Netz über das Land gelegt sind.

Horizontastronomie der Venus Die wichtigste Frage, die sich bei der Suche nach einer sinnvollen Interpretation der Quetzer Kultanlage stellt, ist der Sinn der auffälligen Nordwest-Ausrichtung (Azi­ mut 315° = Nordwest) eines der Tore, die noch durch den vorgeschichtlichen Hügel neben der Spörener Kirche als markante Visur dieser Ausrichtung betont wird. Im Untersuchungsgebiet zwischen 51° und 52° nördlicher Breite beträgt der ma­ ximale Sonnenuntergangsazimut zur Sommersonnenwende etwa 310° und der maximale Monduntergangsazimut zum Jul-Vollmond etwa 320°. Sonne und Mond können hier also nicht die entscheidende Rolle gespielt haben. Die nächstliegende Erklärung könnte die Venus liefern. Als innerer Planet (wie der Merkur) hat sie in ihrer Beobachtbarkeit Besonderheiten auf­ zuweisen. Ich zitiere im Folgenden aus der Internet-Enzyklopädie Wikipedia: „Steht die Venus östlich der Sonne, kann sie als Abendstern am Westhim­ mel beobachtet werden, steht sie westlich, kann sie als Morgenstern am Osthimmel gesehen werden. Hierbei sind Sichtbarkeitszeiten von bis zu 4,5 Stunden mög­ lich, wenn die Venus in der Ekliptik eine höhere Position als die Sonne einnimmt. Bei günstigem Wetter kann sie zur Zeit der größten Elongation von 48 Grad am Tag mit bloßem Auge gesehen werden. Un­

Links: Radiästhetische Ringstruktur auf dem Quetzer Berg. Mitte: Visurlinien in den Toren der Ringstruktur. Oben: Pentagramm der Venus von 2004 bis 2012. Anfang und Ende des offenen Pentagramms markieren jeweils Venus-Transite.

terschreitet die Elongation der Venus bei Sonnenannäherung den Wert von 11°, tritt eine Phase der Nichtsichtbarkeit ein.“ Das Symbol der Venus ist das Penta­ gramm, sowohl des Planeten als auch der Göttin. Aufgrund des Verhältnisses der si­ derischen Umlaufzeiten von Erde (365,256 Tage) und Venus (224,7 Tage) von fast ge­ nau 13 : 8 (genau 13,004 : 8), umläuft der Planet Venus in acht (Erd-)Jahren nahe­ zu exakt dreizehnmal die Sonne. Wäh­ rend dieser Zeitspanne begegnen sich Ve­ nus und Erde (untere Konjunktion) genau fünfmal. Die Positionen der Konjunktio­ nen liegen, eingetragen in ein Polarkoor­ dinatensystem und beginnend bei 0°, nacheinander bei 144°, 288°, 72°, 216° und wieder 0°. So bilden die himmlischen Be­ gegnungspunkte von Erde und Venus im Zeitraum von acht Jahren ein nahezu per­ fektes Fünfeck. Jetzt können wir wieder auf das Pro­ blem der Teilung des Horizontbogens in fünf gleich große Winkelabschnitte zu­ rückkommen, wie sie die radiästhetische Ringstruktur am Quetzer Berg aufweist. Sie lässt sich womöglich auf die Teilung des Achtjahres (Griechisch: Oktaetris) in Konjunktionsperioden von 583,9 Tagen zurückführen. Zu beachten ist, dass acht Jahre auch mit 99 Lunationen zusam­ menfallen. Lunation bezeichnet die Zeit von einem Neumond, wenn Sonne und Mond in Konjunktion stehen, zum näch­ sten Neumond, die Periode der Mondpha­ sen. Da diese stark schwankt, bezeichnet man die mittlere Lunationsdauer als syno­ dischen Monat. Dieses Zusammenfallen von drei wich­ tigen Perioden mit einer Abweichung von 2 Tagen von der Tageszahl der acht Erden­ jahre (das entspricht einer Abweichung von 0,07 %) blieb den Menschen der Vor­ geschichte natürlich nicht verborgen. Die Verwendung dieser Achtjahresperiode un­ tersuchte u. a. Otto Siegfrid Reuter in sei­ nem Werk „Germanische Himmelskunde“ (Reuters Beiträge sind sachlich interessant, jedoch wie praktisch alle deutschen Ar­

manfred backes

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Oben: Der Seegelsberg, von dem aus die astronomischen Vorgänge der Mutzenbrunnen-Sage am Hainleite-Kamm beobachtbar sind. Rechts: Landsberger Kapellenberg, ein Visurpunkt vom Quetzer Berg für die Venus.

beiten aus jener Zeit rassistisch gefärbt.) Er führte beispielsweise das dänische Acht­ jahresopfer von Lethra an (um 934 von König Heinrich I. aufgehoben), das gesetz­ liche Achtjahr der altschwedischen „Land­ schuld“, das noch um 1300 existierte, aus dem Sagenschatz z. B. die achtjährige frei­ willige Dienstbarkeit Siegfrieds bei König Gibich, dem Vater von Kriemhild, die acht Winter, die das Schwanenmädchen bei Wieland und seinen Brüdern aushielt, oder Odins Zauberring Draupnir, von dem in je­ der neunten Nacht (nach acht Tagen) acht ebenbürtige Ringe tropfen. Hinweise auf dieses Motiv fand ich auch in der Sage vom Frauenberg bei Son­ dershausen. Hier begegnet uns der Schwan als Mondsymbol und ein goldener Ring als Sonnensymbol: „Das Innere des Frauenberges ist hohl. In dieser gewaltigen Höhle erstreckt sich ein großer See. In der Mitte des Sees schwimmt ein blütenweißer Schwan, der einen goldenen Ring in seinem Schnabel hält. Von diesem Ring hängt das Gleichge­ wicht der Welt ab. Wenn der Schwan den Schnabel öffnet und den Ring fallen lässt, so endet das Schicksal unserer Welt.“ Interpretiert man den Ring als Draup­ nir, den Ring Odins, wird auf einen engen Zusammenhang zwischen Mond und Ve­ nus hingewiesen, der auf diesem Frauen­ berg sorgsam beachtet werden sollte. Bei der zweiten Sage steht der Mutzen­ brunnen bei Seehausen/Hainleite im Mit­ telpunkt. Es geht um einen weißen Hirsch als Himmelsaspekt und das schöne Wald­ fräulein als erdgebundenen Aspekt der Ve­ nus: Ein Jäger (Symbol des Kulturheros), wird von einem rätselhaften Waldfräulein davon abgehalten, den weißen Hirschen zu schießen. Stattdessen gibt sie ihm aus einem Becher Wasser aus dem Mutzen­ brunnen zu trinken, und er nimmt sie zur Frau. In sieben Jahren bringt die Waldfrau

sieben Kinder zur Welt. Doch dann kann sich der Jäger eines Tages nicht mehr be­ herrschen und schießt am Brunnen den weißen Hirschen. Das Feuer richtet sich auf ihn selbst. Die Waldfrau begräbt ihn voll Trauer, geht mit ihren Kindern zum Brunnen, gibt ihnen Wasser zu trinken und verschwindet für immer.

Analyse der Venusazimute Meine Analyse der Azimute von Venusaufund -untergang gibt Hinweise zur Deu­ tung dieser Sage. Es würde zu weit führen, diese Berechnungen im Rahmen dieses Ar­ tikels detailliert vorzustellen. Hier sei kurz mein Ergebnis zusammengefasst: Innerhalb eines Venusjahrs, das annä­ hernd 8 Jahre, genauer gesagt, 2921 Tage umfasst (mit einer entsprechenden Soft­ ware kann man dies für die Jahre 2004 bis 2012, in denen jeweils Auf- und Unter­ gangsmaxima liegen, nachvollziehen), er­ geben sich eine bestimmte Anzahl Zeiten, in denen die Venus als Morgen- oder als Abendstern zu sehen ist. Wenn wir die Zahl der Morgenstern- und Abendstern­ perioden bestimmen, die zwischen zwei Maxima liegen, sollten wir für die Suche in vorgeschichtlichen Sagen und Mythen die Perioden der beiden Maxima mitzäh­ len. Damit erhalten wir eine Abfolge von elf Morgenstern- und Abendsternperioden von Maximum zu Maximum. Zwischen zwei Maxima erreicht die Venus niemals den größtmöglichen Azimutwert, sondern sieben Nebenmaxima, in denen sie jeweils als Morgen- oder Abendstern sichtbar ist. Drei Nebenmaxima fallen in die Abend­ sternperiode, drei Nebenmaxima fallen in die Morgensternperiode und ein Neben­ maximum in die Periode der Nicht-Sicht­ barkeit. Soll man diesen Sachverhalt in der mythologischen Sprache ausdrücken, drängt sich ein Bild geradezu auf: Frau Venus hat in acht Jahren sieben Kinder, drei Mädchen, drei Jungen und ein Kind mit einem schweren Schicksal, da es un­ sichtbar bleibt. Die Grundaussage dieses Bildes ist in der Sage vom Mutzenbrunnen enthalten.

Die Nebenmaxima haben keinen ein­ heitlichen Wert, pendeln aber alle zum jet­ zigen Zeitpunkt um die 315°. Das Maxi­ mum des Azimuts des Venusuntergangs beträgt heute etwa 320°. Der Archäoastro­ nom Holger Filling kommt in seinem un­ veröffentlichten Manuskript „Die extre­ men Deklinationen der Venus im Wandel der Zeit“ zu dem Ergebnis, dass im Jahr 4709 v. Chr. dieses Maximum einen Wert von 314,7° betrug. Der Richtungsvektor vom Quetzer Berg zum Spörener Hügel beträgt genau 314,5°. Unter Berücksichti­ gung der astronomischen Refraktion von etwa 0,2° kommt man zu einer erstaunlich genauen Übereinstimmung von Hügel­ richtung und maximalem Venus­azimut. Aus diesem Grund stelle ich die Hypo­ these auf, dass der Spörener Hügel vom Beob­achtungsort Quetzer Berg aus um 5000 v. Chr. den nördlichsten Untergangs­ ort der Venus am Horizontbogen markiert. Daher könnte sie als Grundrichtung der Fünfteilung des Horizontbogens auf den Frauenbergen eingeführt worden sein. Wenn die Venus an diesem Horizont­ ort unterging, war der Zeitraum der Ok­ taetris beendet, das heißt, dass ein heiliger Zyklus sich vollendet hatte und ein neuer begann. Zu diesem Zeitpunkt konnte der zeitliche innere Zusammenhang von Ve­ nus-, Mond- und Sonnenzyklus überprüft werden. Und wie wichtig dieser Zusam­ menhang für unsere Vorfahren war, wurde schon in der Frauenbergsage von Sonders­ hausen betont. Die Mutzenbrunnen-Sage deute ich so, dass sie Bewegungen von Venus und Mond auf dem Hainleite-Kamm, beobach­ tet vom Seegelsberg aus, ­illustriert. Man kann der Sage entnehmen, dass alle acht Jahre die Venus lebensgefährlich bedroht wurde. Der Grund ist, dass die Venus dem Untergangsort des Mondes zu diesem Zeit­ punkt gefährlich nahe kommt. Damit die Venus nicht in den dort befindlichen und nur dem Mond vorbehaltenen Brunnen fällt, muss sie durch Kulturheroen gerettet werden, die durch ihre Tat ein Weiterbeste­ hen der himmlischen Ordnung bewirken. Hagia Chora  29 | 2008 

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erwin reissmann

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Oben: Labyrinth mit sieben Umläufen. Links und Mitte: Beim Ritualspiel im Rasenlabyrinth von Steigra wird die Himmelsfrau befreit.

Labyrinthe Für die Verfolgung der Venus auf ihrem Himmelsweg reicht es nicht aus, nur die Aufgangsazimute oder nur die Unter­ gangsazimute zu beobachten, da sie immer wieder von Perioden der Nicht-Sichtbarkeit betroffen werden. Einem Aufgangs­azimut entspricht genau ein Untergangsazimut, dessen Entstehung durch Spiegelung am Meridian gedacht werden kann. Personi­ fiziert man diese Vorgänge, wie es in der mythologischen Sprache geschieht, so er­ hält man zwei Kulturheroen mit Zwillings­ natur, die abwechselnd der Venus folgen und sie nur gemeinsam am Ende ihrer Rei­ se vor dem Absturz in den Mondbrunnen bewahren können. Man kann davon aus­ gehen, dass die Menschen der Vorzeit für diesen Sachverhalt auch eine symbolische Darstellung gefunden haben. Und welches Symbol könnte das sein? Es müsste Bögen als Sinnbild der Venus­ bahn enthalten, einen mehrfachen Wech­ sel des Drehsinns aufweisen (Wechsel vom Abendstern am Westhimmel zum Morgen­ stern am Osthimmel), und die Höhen der einzelnen Bögen sollten wechseln, da die Werte der Nebenmaxima ebenfalls in un­ terschiedlicher Reihenfolge auftreten. Das Symbol der Venus ist das über das ganze prähistorische Europa verbreitete Labyrinth. Als Zahl der darzustellenden Venusbögen in der Oktaetris ist zum einen die Sieben möglich (Anzahl der Nebenma­ xima zwischen den beiden Hauptmaxima) und zum anderen die Elf (elf Wechsel von Morgenstern zu Abendstern zwischen den Hauptmaxima). In der Landschaft finden sich Labyrin­ the in Skandinavien als „Trojaburgen“. In meiner Gegend gibt es die Rasenlabyrin­ the von Graitschen bei Schkö­len und von Steigra, beide mit elf Umläufen. In Steig­ ra wird nach wie vor ein Ritualspiel auf­ geführt, das meiner Interpretation zufolge Vorgänge am Himmel nachvollzieht. Die Namen der im Spiel auftretenden Helden wurden christianisiert, aber das Ritual hat sicherlich heidnischen Ursprung, denn es spielt die Befreiung der Himmelsjungfrau. 58  

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John Kraft hat in seinem Buch „Die Göttin im Labyrinth“ (1997) die mit den Labyrinthen verbundenen mythologischen Erzählungen und Ritualspiele weltweit un­ tersucht. Dabei stellte er erstaunt fest, dass der Kulturheros, der die Himmelsfrau be­ freit, eigentlich ein Zwilling ist: !  In der nordischen Mythologie schickt der Gott Frey seinen Diener Skirne auf eine Fahrt, um die Göttin Gerd zu befreien. Skirne, dessen Name „der Strahlende“ be­ deutet, ist Doppelgänger Freys. !  In der griechischen Mythologie entführt Theseus zusammen mit seinem Gefährten Peirithous die junge Helena. !  Im Epos Ramayana erobert Rama mit Hilfe seines Bruders Lakhsmana die ma­ gische Festung Lanka und befreit dort sei­ ne Gattin Sita. Im Buch von Alberuni über Indien von 1045 wird die Festung Lanka als Labyrinth dargestellt. Und es gibt viele weitere Beispiele. John Kraft spricht von einem weltweit verbrei­ teten mythologischen Motiv von „zwei Brüdern und einer Braut“. Eine Dekodie­ rung dieses mythologischen Elements bie­ tet er nicht an. Aus der Analyse des Azi­ mutverhaltens der Venus geht aber genau die Bedeutung dieses Motivs hervor.

Labyrinth und Frauenberge Existiert nun ein Zusammenhang zwischen Labyrinthen und Frauenbergen? Neben dem Rasenlabyrinth von Steigra liegt ein kleiner Hügel. Auf ihm fand ich eine fünf­ torige radiästhetische Ringstruktur, wie ich sie auf dem Quetzer Berg und inzwischen auf allen Frauenbergen gefunden habe. In der Folge untersuchte ich auch das La­ byrinth von Graitschen und seine Umge­ bung. Inmitten eines Kreises aus alten Ka­ stanien südlich des Labyrinths konnte ich die charakteristische Ringstruktur mit fünf Toren ermitteln. Wie erwartet zeigt eine Toröffnung genau nach Nordwest. Aus der Broschüre zur Ortsgeschichte geht her­ vor, dass dieser Platz früher der Tanzplatz der Dorfbewohner war, also auf eine lan­ ge Tradition zurückgeht, vielleicht sogar bis auf einen vorgeschichtlichen Kultplatz.

Dort stand bis 1911 die „Schwedenkiefer“, die einen Drehwuchs aufwies. Auch wur­ de sie mehrmals durch Blitzeinschläge ge­ schädigt. Das aber sind die Charakteri­ stika von Bäumen, die auf radiästhetisch aktiven Punkten wachsen. Eine Kultstätte muss eine Verbindung zwischen Unterwelt, Menschenwelt und Götterwelt verwirkli­ chen, um ihrer Funktion gerecht zu wer­ den, und dazu gehört eine radiästhetische Aufladung. Diese Ansicht bekräftigte mei­ ne Untersuchung des Drehbergs bei Wör­ litz. Das ist ein künstlich angelegter Hügel, der als Zentrum der Aufklärung in die Ge­ schichte eingegangen ist. Zwischen 1777 und 1799 trafen zur „Lust am Drehberge“ der Fürst Franz und die Stände des Volks zusammen. Einmal im Jahr, am Geburts­ tag der Fürstin Luise, lud Fürst Franz zu einem festlichen Wettkampf ein, der dem Vorbild der antiken olympischen Spiele folgte. Wie ein Gesellschaftsspiel sollte der Tag ein Stück zukünftigen Lebens in voll­ endeter Harmonie – unter Aufhebung der Rolle des Fürsten – darstellen. Diese Intentionen kommen den Vorstel­ lungen eines Kultplatzes sehr nahe. Aus meiner Sicht fehlen aber zwei wesentliche Dinge: zum einen der astronomische Be­ zug und zum anderen die radiästhetische Aufladung des Orts. Im gesamten Bereich der Anlage sind keine radiästhetischen Ringstrukturen nachweisbar. Das Wissen um die Schaffung solcher Strukturen war verlorengegangen. Der Drehberg bleibt so­ mit vergängliches Menschenwerk. + Literatur: Kurt Hübner, „Die Wahrheit des Mythos“, Verlag C. H. Beck, München 1985 • Ralf Koneckis: „Mythen und Märchen“, Frankh-Kosmos-Verlag Stuttgart 1994 • John Kraft: Die Göttin Im Laby­ rinth, edition amalia, 1997 • Giorgio de Santilla­ na, Hertha von Dechend: „Die Mühle des Hamlet“, Springer-Verlag, Wien 1994.

Manfred Backes studierte Mathematik in Jena und war bis 1991 als Softwareentwickler tätig. Derzeit arbeitet er als Projektbearbeiter in einem Vermessungsbüro.

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