Kurzgutachten Rechtsstellung Pflegeeltern

Prof. (FH) Peter Mösch Payot Mlaw, LL.M. Dozent/Projektleiter Hochschule Luzern Jägerweg 3 3014 Bern [email protected] Kurzgutachten Rechtsstellun...
Author: Otto Langenberg
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Prof. (FH) Peter Mösch Payot Mlaw, LL.M. Dozent/Projektleiter Hochschule Luzern Jägerweg 3 3014 Bern [email protected]

Kurzgutachten Rechtsstellung Pflegeeltern Inhaltsverzeichnis Fragestellung und Übersicht

1

1

Rechtsstellung der Pflegeeltern und ihrer Tätigkeit im Schweizerischen Recht 2

1.1

Faktizität und rechtliche Bezüge zum Pflegeverhältnis ............................................................2

1.2

Zivilrechtliche Rahmenbedingungen des Inhalts des Pflegeverhältnisses ...............................3

1.3

Die Begründung des Pflegeverhältnisses .................................................................................4

2

Die sozialversicherungsrechtliche Rechtsstellung des Pflegekinderverhältnisses

4

2.1

Sozialversicherungsrechtliche Ansprüche aus dem Pflegeverhältnis ......................................5

2.2

Die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht für die Tätigkeit der Pflegeeltern ................5

3

Die vertragsrechtliche Qualifikation der Tätigkeit der Pflegeeltern

3.1

Allgemeines: der Pflegevertrag als Dienstvertrag.....................................................................9

3.2

Der Pflegevertrag als Arbeitsvertrag oder als Auftrag? ..........................................................10

4

Anstatt eines Fazits: Rahmenbedingungen für die Gestaltung eines Pflegevertrages unter Berücksichtigung des Vorschlages des VAAV. 12

9

Fragestellung und Übersicht Im Auftrag der Vereinigung Aargauischer Amtsvormunde (VAAV) ist im Rahmen eines Kurzgutachtens abzuklären, wie die arbeitsrechtliche Stellung von Pflegeeltern rechtlich zu beurteilen ist. Dabei sind insbesondere auch sozialversicherungsrechtliche Aspekte und die die Vorgaben im Kanton Aargau, unter anderem hinsichtlich der Bemessung der Pflegekosten für Pflegekinder, zu berücksichtigen. Zudem sollen Rahmenbedingungen für einen Musterpflegevertrag Darstellung finden. Im Folgenden soll zunächst die Rechtsstellung der Pflegeeltern im Schweizerischen Recht und insbesondere die Einbettung im Schweizerischen ZGB kurz skizziert werden (Kapitel 1). Darauf aufbauend wird die sozialversicherungsrechtliche Stellung, die durch zwei neuere Urteile eine gewisse Klärung erfuhr, dargestellt (Kapitel 2). Im dritten Teil wird dann die vertragsrechtliche Qualifikation der Arbeitstätigkeit der Pflegeeltern dargestellt (Kapitel 3), um schliesslich insoweit konkrete Vorschläge für die

Gestaltung der Pflegeverträge zu formulieren (Kapitel 4). Für die Praxis der Gemeinden und Vormundschaftsbehörden wesentliche Merksätze und Folgerungen werden jeweils eingerückt und hervorgehoben dargestellt.

1

Rechtsstellung der Pflegeeltern und ihrer Tätigkeit im Schweizerischen Recht

1.1

Faktizität und rechtliche Bezüge zum Pflegeverhältnis

Das Pflegeelternverhältnis bedeutet, dass die faktische Obhut und die damit verbundene Pflege und Erziehung über ein Kind ausgeübt wird von Personen, die nicht als Eltern im Rechtssinne fungieren. Als Pflegeeltern in diesem Sinne kommen Verwandte, Tageseltern, Heimleitende oder zukünftige Adoptiveltern in Frage. Die causa für die Pflegeelternschaft kann unterschiedlich sein: • Das Pflegekind kann durch die Kindesschutzbehörde zur Pflege platziert sein, weil den Eltern die elterliche Sorge gemäss Art. 310 Abs. 1 und Abs. 2 ZGB als Kindesschutzmassnahme entzogen wurde. Dabei kommt den Pflegeeltern die faktische Obhut, nicht aber das Obhutsrecht als Aufenthaltsbestimmungsrecht im Rechtssinne zu. Letztere verbleibt immer bei der Kindesschutzbehörde1. • Die faktische Obhut über das Pflegekind kann durch die Eltern zur Tagesbetreuung an Pflegeeltern delegiert sein, zum Beispiel um berufstätige Eltern zu unterstützen. • Das Pflegekindverhältnis kann auch begründet sein als Voraussetzung für eine beabsichtigte Adoption2. Das Pflegekindverhältnis kennt also verschiedene Zwecksetzungen, und es unterscheiden sich eine Vielzahl von Modalitäten hinsichtlich Dauer, Art, Ort und Umfang des Pflegeinhalts3. Die Rechtsordnung nimmt in unterschiedlicher Weise auf das Pflegeverhältnis Bezug. Im Zentrum steht dabei sicherlich die zivilrechtliche, auf das Wohl des Kindes als verfassungsmässig verankerten Zweck gerichtete Betrachtungsweise. Im Besonderen interessieren hier auch die obligationenrechtliche die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit der Pflegeeltern (nachfolgend Ziff. 2) und die vertragsrechtliche Qualifikation des dem Pflegeverhältnis zu Grund liegenden Pflegevertrages (nachfolgend Ziff. 3). Es ist zu beachten, dass diese beiden Fragen unabhängig voneinander, nach jeweils unterschiedlichen Kriterien, zu beurteilen sind. Keine nähere Erläuterung erfährt in diesem Kurzgutachten die steuerrechtliche Beurteilung der Einkünfte aus Pflegeverhältnissen4.

1 2

Vgl. BGE 128 III 9, kommentiert durch STETTLER in ZVW 2002 S. 236 ff.; siehe auch BGE 120 Ia 260. Vgl. Art. 264 ZGB.

3

Siehe auch BÜCHLER/VETTERLI (2007), S. 241. Siehe insoweit Merkblatt Erwerbseinkünfte aus Kinderbetreuung unter http://www.ag.ch/steueramt/de/pub/angebote/dokumente.php (eingesehen am 21.02.2010). 4

2/13

1.2

Zivilrechtliche Rahmenbedingungen des Inhalts des Pflegeverhältnisses

Auf die zivilrechtlichen Regeln soll hier einleitend kurz eingegangen werden, um daraus allenfalls Ableitungen für die für dieses Gutachten zentralen Fragen der vertragsund sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung des Pflegeverhältnisses abzuleiten. Die Regeln beschlagen das Rechtsverhältnis der Pflegeeltern zu den Inhabern der elterlichen Sorge, bzw. dem platzierenden Gemeinwesen und umschreiben inhaltlich mit Blick auf das Kindeswohl Rahmenbedingungen für die Aufgabe der Pflegeeltern. Art. 300 ZGB gewährt den Pflegeeltern, unabhängig davon, ob sich die Kinder auf private, behördliche oder gerichtliche Veranlassung bei ihnen befinden, ein Vertretungsrecht in der Ausübung der elterlichen Sorge. Damit wird im Rahmen des Pflegeverhältnisses Pflege und Erziehung als reale Aufgaben an die Pflegeeltern übertragen, das gilt insbesondere bei Dauerpflegeverhältnissen, bei denen unter Umständen die Beziehung zu den Eltern auf ein Minimum reduziert sein kann. Das Pflegeverhältnis entfaltet also familienrechtliche Wirkungen, ohne dass den Pflegeeltern die elterliche Sorge zusteht5. Die Pflegeeltern vertreten aber kraft gesetzlicher Ermächtigung die Eltern, soweit es zur gehörigen Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig ist. Die Vertretung im Rahmen der faktischen Pflege und Erziehung unter dem Vorbehalt abweichender Vorgaben der Inhaber der elterlichen Sorge, was in der Praxis zu erheblichen Spannungen führen kann6. Bei wichtigen Entscheidungen, die den Inhabern der elterlichen Sorge zustehen, wie hinsichtlich Ausbildung, Gesundheit oder Beruf, sind die Pflegeeltern anzuhören. Dieses Anhörungsrecht steht den Pflegeeltern auch gegenüber Behörden und Gerichten zu (Art. 300 Abs. 2 ZGB). Der genaue Inhalt und Umfang der Pflegeaufgabe kann und muss auf dieser Grundlage einzelfallbezogen und aus den konkreten Umständen bestimmt werden. Je nachdem, ob das Pflegeverhältnis kurzfristig ist oder ein Dauerverhältnis darstellt, je nach Zweck der Pflegeplatzierung und je nach den realen Möglichkeiten der Eltern zur Ausübung der elterlichen Sorge differiert der Inhalt des Pflegeverhältnisses und des Vertretungsrechts der Pflegeeltern. Mit der offenen Formulierung von Art. 300 ZGB wird zwar der Vielfalt der Pflegeverhältnisse Rechnung getragen, allerdings verbleiben Unklarheiten und eine gewisse Unbestimmtheit des Inhaltes der gehörigen Erfüllung durch die Pflegeeltern7. Die gesetzlich vorgesehene, aus der elterlichen Sorge abgeleitete Aufgabe beinhaltet die Förderung der möglichst optimale Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes, hinsichtlich affektiver, intellektueller, körperlicher, gesundheitlicher, sozialer und rechtlicher Aspekte8. Im Rahmen der gesetzlichen Delegation haben die Pflegeeltern den Aufenthaltsort zu bestimmen, den Kontakt zu Dritten zu überwachen und überdies eine angemessene Ausbildung zu verschaffen, es also durch Erziehung auf die staatlichen Bildungsangebote vorzubereiten und während der Ausbildungszeit zu begleiten. Dem entsprechend sind auch Pflegeeltern als Adressaten der Kindesschutzmassnahmen explizit benannt (Art. 307 Abs. 3 ZGB) 5 6

BGE 128 III 9. Vgl. dazu DETTENBORN/WALTER, S. 244 ff. Dieser Situation können Kindesschutzmassnahmen bis hin zum Entzug der elterli-

chen Sorge entgegengesetzt werden.

7 8

Basler Kommentar ZGB I- SCHWENZER Art. 300 N 4 ff. mit weiteren Hinweisen. Kritisch STETTLER SPR III/2, S. 534. Basler Kommentar ZGB I- AFFOLTER N 14 zu Art. 405 ZGB. 3/13

Von der Unterhaltspflicht gemäss Art. 276 ZGB werden die Eltern nicht befreit, die Unterhaltspflicht geht also nicht auf die Pflegeeltern über9. Eine Ausnahme besteht insoweit bei aus dem Ausland aufgenommenen Pflegekindern, für deren Unterhalt die Pflegeeltern gemäss Art. 6 Abs. 3 PAVO aufkommen müssen. Pflegeeltern haben grundsätzlich einen zivilrechtlich bestimmten Anspruch auf ein angemessenes Pflegegeld (Art. 294 Abs. 1 ZGB). Dieses ist von den Sorgeberechtigten oder vom Gemeinwesen zu entrichten. Die genauere Bestimmung der „Angemessenheit“ obliegt dem kantonalen Recht10. Allerdings kann auch Unentgeltlichkeit vereinbart werden, und wird gesetzlich vermutet, wenn Kinder von nahen Verwandten oder zum Zweck der späteren Adoption aufgenommen werden (Art. 294 Abs. 2 ZGB). Das Pflegeverhältnis besteht grundsätzlich auf Zusehen hin. Nur wenn das Kind längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt hat und eine Rückkehr zu den Eltern die Entwicklung des Kindes ernstlich gefährden könnte, kann die Kindesschutzbehörde den Eltern die Rücknahme untersagen (Art. 310 Abs. 3 ZGB).

1.3

Die Begründung des Pflegeverhältnisses

Ein Pflegeverhältnis entsteht durch Vertrag zwischen den gesetzlichen Vertretern des Kindes oder der Kindesschutzbehörde einerseits und den Pflegeeltern andererseits. Der Pflegevertrag mit der Kindesschutzbehöde richtet sich primär nach kantonalem Recht und kann schriftlich, mündlich oder auch stillschweigend geschlossen werden. Die Pflegeeltern benötigen eine Pflegekinderbewilligung (Art. 316 ZGB), wobei die Verordnung über die Aufnahme von Kindern zur Pflege und zur Adoption (PAVO) im Einzelnen die Anforderungen, die Bewilligungsvoraussetzungen und die Aufsicht über die Familienpflege, die Tagespflege sowie die Heimpflege regelt.

2

Die sozialversicherungsrechtliche Rechtsstellung des Pflegekinderverhältnisses

Das Schweizerische Sozialversicherungsrecht befasst sich in zweierlei Hinsicht mit der rechtlichen Bewertung der Stellung und Tätigkeit der Pflegeeltern. Einerseits hinsichtlich der Ansprüche der Pflegeeltern bzw. der Pflegeeltern auf sozialversicherungsrechtliche Leistungen, andererseits bezüglich der Beitragspflicht für die Tätigkeit der Pflegeeltern. Während die erste Frage hier nur kurz dargestellt werden soll, nicht zuletzt um allgemeine Erkenntnisse über die rechtliche Stellung des Pflegekin9

TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, § 40, S. 410.

10

Vgl. für den Kanton Aargau die Richtlinien des Obergerichts, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vor-

mundschaftliche Aufsichtsbehörde, zur Bemessung der Pflegekosten für Pflegekinder vom ersten bis zum 15. Altersjahr vom 16. September 2009. Siehe unter http://www.ag.ch/obergericht/shared/dokumente/pdf/richtlinien_zur_bemessung_der_pflegekosten.pdf (eingesehen am 16. 1. 2010). 4/13

derverhältnisses zu generieren, wird die zweite Frage der Fragestellung dieses Kurzgutachtens entsprechend etwas genauer beleuchtet. 2.1

Sozialversicherungsrechtliche Ansprüche aus dem Pflegeverhältnis

Eine Reihe von Leistungsansprüchen des Sozialversicherungssystems knüpfen primär an die familienrechtliche Beziehung von Eltern und ihren Kindern an. Die Leistungen gegenüber den Sozialversicherungen können originär dem Kind zustehen11 oder akzessorisch zur Entlastung der Unterhaltspflicht den Pflegeeltern zukommen12. Die Sozialversicherungsgesetzgebung stellt unter bestimmten Voraussetzungen das Pflegekinderverhältnis hinsichtlich der Leistungsansprüche dem familienrechtlichen Eltern-Kindverhältnis gleich. Dabei spielt Art. 25 AHVG und Art. 49 AHVV eine zentrale Rolle, auf welchen in einer Vielzahl anderer Anspruchsnormen verwiesen wird. Art. 25 Abs. 3 AHVG stellt dabei eine Verweisungsnorm hinsichtlich des Anspruchs auf eine Kinder- und Waisenrente für Pflegekinder dar. Art. 49 AHVV definiert, unter welchen Voraussetzungen Pflegekindern ein entsprechender Anspruch zukommt. Gemäss Art. 49 AHVV besteht dieser Anspruch, wenn die Kinder unentgeltlich und zu dauernder Pflege und Erziehung aufgenommen wurden. Neben weiteren Einzelfragen ist vor allem auszulegen, unter welchen Voraussetzungen gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung von „Unentgeltlichkeit“ gesprochen werden kann. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist dies der Fall, wenn höchstens ein Viertel der gesamten Unterhaltskosten durch Beiträge und Zuwendungen Dritter gedeckt werden13. Für die Bestimmung der Unterhaltskosten wird dabei auf die vom Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich verfassten Ansätze abgestellt14. Nach den aktuellen Ansätzen der Zürcher Bemessungstabellen liegt ein unentgeltliches Pflegeverhältnis im Sinne von Art. 49 AHVV vor, soweit die Drittleistungen für den Unterhalt, je nach Kategorie weniger als zwischen CHF 52915 und CHF 376 pro Monat beträgt16. Unter den Voraussetzungen von Art. 49 AHVV besteht gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. c FamZG und Art. 5 FamZV auch ein Anspruch auf Familienzulagen für unentgeltlich aufgenommene Pflegekinder. 2.2

Die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht für die Tätigkeit der Pflegeeltern

a) Pflegevergütung als unselbständiges oder selbständiges Erwerbseinkommen im Sinne des AHVG

11 12 13 14

Z.B. die Waisenrente der AHV. Namentlich die Kinderrenten zur IV oder AHV. BGE 122 V 182. Vgl. BGE 122 V 182; BGE 122 V 125; BGE 103 V 55. Die aktuellen Empfehlungen sind verfügbar unter

http://www.lotse.zh.ch/documents/ajb/fj/allg/09_Tabelle.pdf (eingesehen am 21. 01. 2010). 15

Bei 13-18jährigen Einzelkindern, der unterhaltsintensivsten Gruppe. Siehe unter

http://www.lotse.zh.ch/documents/ajb/fj/allg/09_Tabelle.pdf (eingesehen am 21. 01. 2010). 16

Bein einem eins bis sechsjährigen Kind von drei oder mehr Kindern. Siehe unter

http://www.lotse.zh.ch/documents/ajb/fj/allg/09_Tabelle.pdf (eingesehen am 21. 01. 2010). 5/13

Die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht für die Tätigkeit der Pflegeeltern war lange Zeit unklar und die Praxis der Ausgleichskassen uneinheitlich17. Es war umstritten, ob und inwieweit die Entgeltung der Tätigkeit vom Pflegeeltern als unselbständiges Lohneinkommen gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG oder als selbständiges Erwerbseinkommen gemäss Art. 9 AHVG zu qualifizieren ist. Die Unterscheidung ist beitragsrechtlich von erheblicher Bedeutung, weil je nach dem das Beitragsbezugsverfahren und die anzuwendenden Beitragssätze verschieden sind. Während der Beitragsbezug bei unselbständigem Einkommen beim Arbeitgeber erfolgt und zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag differenziert wird, schulden Selbständigerwerbende persönlich den ganzen Betrag18. Es bleibt zu beachten, dass die steuerrechtliche Beurteilung eigenständig nach dem kantonalen Steuerrecht und grundsätzlich ebenfalls unabhängig von der arbeitsvertragsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung erfolgt. Mit zwei bundesgerichtlichen Urteilen hat das EVG die Grundregeln für die sozialversicherungsrechtliche Qualifizierung geklärt19: Im Regelfall wird die Tätigkeit als unselbständig qualifiziert, weil und insoweit die Pflegeeltern kein Unternehmerrisiko tragen und weisungsgebunden sind hinsichtlich der Vorgaben der Kindesschutzbehörde und gegebenenfalls der Familienplatzierungsorganisation. Damit wurde der zuvor rechtspolitischen Forderung, das Pflegegeld von der AHVPflicht zu befreien20, durch das Eidgenössische Versicherungsgericht21 auf den Grundlagen des AHVG nicht entsprochen. Dafür müsste das entsprechende Einkommen als nicht zum Erwerbseinkommen gehörend definiert werden, wozu der Bundesrat eine Änderung von Art. 6 der Verordnung zur AHV (AHVV, SR 831.101) vornehmen müsste. Rechtspolitisch wäre dies nach wie vor zu begrüssen, zumal die geltende Regelung nicht nur administrativ schwer umzusetzen ist (insbesondere ist die Abgrenzung der Pflegevergütung zur Aufwandentschädigung schwer zu bestimmen), und zudem eine nicht gewollte zusätzliche Hürde gegenüber Pflegefamilien darstellt. Die der Rechtsprechung folgenden Grundsätze wurden in die für die Ausgleichskassen massgebenden Richtlinien des Bundesamtes für Sozialversicherungen aufgenommen22. Dem gemäss liegt beim Entgelt für die Pflege unselbständige Erwerbstätigkeit und massgebender Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG vor • wenn die Betreuung durch die Pflegeeltern im Rahmen eines Vertrages mit der Vormundschaftsbehörde stattfindet oder • wenn die Betreuung durch die Pflegeeltern durch die Vormundschaftsbehörde in einer Weise begleitet wird, die über die gesetzliche Aufsichtspflicht hinausgeht oder • wenn die Behörde den Pflegeltern die Pflegekosten direkt vergütet oder

17 18 19 20 21 22

PLANZER/NUSSBAUM, S. 14 ff. MAURER/SCARTAZZINI/HÜRZELER, S. 131 ff. Urteil EVG vom 8. Oktober 2004 (H 74/04) und Urteil EVG vom 4. April 2006 (H 134/05). PLANZER/NUSSBAUM, Ziff. 7 und 8. Heutiger Name: Sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts. Siehe Wegleitung über den massgebenden Lohn (WML) in der AHV, IV und EO, gültig ab 1. Januar 2010. Rz. 4147 bis 4149.

Siehe unter http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/view/361/lang:deu/category:22 (eingesehen am 26. 02. 2010). 6/13

• •

wenn die Tages- oder Pflegeeltern einer Institution angeschlossen sind, welche sie entlöhnt oder wenn die Tages- oder Pflegeeltern mit der Institution einen entsprechenden Betreuungsvertrag abgeschlossen haben.23

In all diesen Fällen gilt die Pflegevergütung als unselbständiges Erwerbseinkommen. Damit ist von der Vormundschaftsbehörde bzw. der Gemeinde oder von der Familienplatzierungsorganisation mit den Ausgleichskassen abzurechnen und sind auf dem Pflegegeld Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge für AHV, IV und ALV zu entrichten. Damit verbunden ist auch die Pflicht, die Pflegeeltern der Unfall- und bei einer Pflegetätigkeit von mehr als acht Stunden pro Woche- und der Nichtbetriebsunfallversicherung zu unterstellen24, beim Erreichen der entsprechenden Eintrittsschwelle25 besteht auch die Anschlusspflicht an die Vorsorgeeinrichtung der zweiten Säule. Von selbständigem Erwerbseinkommen nach Art. 9 AHVG ist bei Pflegekinderverhältnissen nur auszugehen, wenn keiner der vorgenannten Fälle vorliegt und wenn der Pflegevertrag zwischen den Pflegeeltern und den leiblichen Eltern des Kindes abgeschlossen wurde26. In diesem Fall haben die Eltern die Einkünfte als selbständig Erwerbende mit der Ausgleichskasse abzurechnen. Im Rahmen dieses Kurzgutachtens kann die genaue Bestimmung des Erwerbseinkommens für diese Fallgruppe nicht mehr weiter vertieft werden27. Entscheidend ist dabei, dass die Pflegeeltern ein eigenes wirtschaftliches Risiko tragen, wie es für Selbständigerwebende typisch ist. Dies ist im Fall eines (zum Beispiel von der Gemeinde vermittelten) Pflegevertrages zwischen Eltern und Pflegeeltern, wo aber die Gemeinde real die gesamten Kosten deckt oder über die Gemeinde die Entgeltung der Pflegeeltern abgewickelt wird, nicht der Fall, Darum liegt in einem solchen Fall massgeblicher Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 4 AHVG und somit eine Abrechnungspflicht vor28. Merke: Für die Gemeinden gilt zusammenfassend, dass sie immer dann abrechnungspflichtig sind, • wenn sie ein Kind mittels Vertrag bei Pflegeeltern platzieren und finanzieren. • wenn die Ausrichtung der Entschädigung an die Pflegeeltern durch die Gemeinde erfolgt, auch im Rahmen der Platzierung einer Drittstelle (Pflegeaktion etc.) oder eines Pflegevertrages zwischen Eltern und Pflegeeltern. 23 24

Vgl. WML (Fn. 22), Rz. 4147 und 4148. Art. 1 der Unfallversicherungsverordnung (UVV, SR 832.202) i.V.m. Art. 1a und Art. 2 UVG verweist explizit auf die Klassifi-

zierung von Art. 5 AHVG. Die Ausnahmebestimmung von Art. 2 Abs. 1 lit. h UVV für Personen, die Tätigkeiten im öffentlichen Interesse ohne Dienstvertrag ausüben, kommt hier meines Erachtens nicht zum Tragen, da die Tätigkeit der Pflegeeltern vom Typus her deutlich verschieden ist von der Bekleidung öffentlicher Ämter oder Kommissionsaufgaben, für welche diese Ausnahmebestimmung nach Sinn und Zweck gedacht ist. 25

Vgl. Art. 2, 5 und 7 BVG: Unterstellung unter die zweite Säule gemäss Reglement der jeweiligen Vorsorgeinrichtung oder

mindestens bei einem Jahreslohn von 6/8 der einfachen maximalen AHV-Altersrente (derzeit: CHF 20520). 26 27 28

Vgl. WML (Fn. 22), Rz. 4149. Vgl. dazu Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht Band XIV-Kieser, S. 1240 ff. So auch sva Aargau. Merkblatt Beitragspflicht auf Entschädigung für Pflegeeltern. Stand 02.02.2010, Ziff. 5. 7/13



Wenn die Gemeinde sämtliche Kosten einer Platzierung übernimmt und die Kosten vollständig an die leiblichen Eltern überweist.

Die sozialversicherungsrechtliche Beitragpflicht beschlägt entsprechend dem Individualitätsprinzip immer Entschädigungen für individuelle Personen und generiert auch entsprechende individuelle Leistungsansprüche.

b) Die beitragspflichtigen Teile der unselbständigen Pflegevergütung Als massgebender Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG, auf dem dann Beiträge erhoben werden, gehören sämtliche Bezüge des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen. Dazu gehören explizit auch Teuerungsund Lohnzulagen, Provisionen, Gratifikationen, Naturalleistungen, Ferienentschädigungen und ähnliche Bezüge. Art. 7 bis 15 AHVV nennt dazu die Einzelheiten29. Geringfügige Entgelte unter CHF 2200 sind nur auf Antrag der Pflegeeltern als Arbeitnehmer Beiträge mit der Ausgleichskasse abzurechnen (Art. 8bis AHVV). Zu den für die Pflegevergütung wesentlichen Ausnahmen von der Beitragspflicht gehören die sog. Unkostenvergütungen gemäss Art. 9 AHVV. Demgemäss unterstehen Auslagen, die dem Arbeitnehmer bei der Ausführung seiner Arbeiten entstehen, nicht der Beitragspflicht. Getrennt vom Lohn ausgewiesene Unkosten können somit in jedem Fall abgezogen werden (Art. 9 Abs. 3 AHVV). Unkosten müssen nachgewiesen oder mindestens glaubhaft gemacht werden, wobei das Kriterium der objektiven Notwendigkeit Anwendung findet30. Berücksichtigung findet für die Beurteilung auch, wie die Deklaration gegenüber den Steuerbehörden erfolgt ist31. Es unterliegt also derjenige Teil des Pflegeentgeltes der Abrechnungspflicht, mit dem die Erwerbsarbeit der Pflegeeltern abgegolten wird. Dagegen ist der Kostenersatz für den Unterhalt des Pflegekindes (Ernährung, Gesundheitskosten, Unterkunft etc.) nicht der Beitragspflicht unterstellt. Die Bemessung der abrechnungspflichtigen Pflegeentschädigung erfolgt nach den jeweiligen anerkannten Richtlinien. Im Kanton Aargau werden von der Sozialversicherungsanstalt32 auf die Richtlinien des Obergerichts zur Bemessung der Pflegeentschädigung für Pflegekinder vom ersten bis zum 15. Altersjahr vom 16. September 2009 verwiesen, welche nun die Entschädigung für den Arbeitsaufwand als „Betreuung“ klar von den kostenbezogenen Ansätzen für Ernährung, Unterkunft, Bekleidung und Nebenkosten abgrenzen33. Insoweit ist zu beachten, dass, entsprechend dem Charakter der Richtlinie, im Einzelfall begründete Abweichungen, sowohl des Kosten, als auch des Entschädi29 30 31 32 33

Siehe zum Ganzen eingehend Schweizerisches Bundsverwaltungsrecht Band XIV-KIESER, S. 1249 ff. Vgl. AHI-Praxis 2001, S. 223. Vgl. AHI-Praxis 1996, S. 250. Vgl. Merkblatt Beitragspflicht auf Entschädigung für Pflegeeltern der sva Aargau, Stand 2. Februar 2010, Ziff. 5. Richtlinien des Obergerichts, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde,

zur Bemessung der Pflegekosten für Pflegekinder vom ersten bis zum 15. Altersjahr vom 16. September 2009; siehe http://www.ag.ch/obergericht/shared/dokumente/pdf/richtlinien_zur_bemessung_der_pflegekosten.pdf (eingesehen am 16. 1. 2010). 8/13

gungsanteils, möglich sind. Sozialversicherungsrechtlich sind möglichst im Voraus bei tieferen Betreuungs- oder höheren Kostenanteilen klare Begründungen schriftlich, am besten direkt im Vertrag, festzuhalten. Weiter ist insbesondere bei höheren Kostenanteilen soweit als möglich die Belegbarkeit der Kosten zu sichern, um sie zumindest glaubhaft machen zu können. MERKE: • Im Pflegevertrag sind die Kostenentschädigung und die Betreuungsvergütung eindeutig voneinander zu trennen. • Bei Pflegeverhältnissen, wo die Kostenentschädigung oder/und die Betreuungsvergütung von den anerkannten Richtlinien abweichen, ist auf gute Begründung und (hinsichtlich der Kosten) auf Belegbarkeit zu achten, um eine Anerkennung durch die Ausgleichskassen nicht zu gefährden. • Geringfügige Betreuungsvergütungen unter CHF 2200 sind nur auf Antrag der Pflegeeltern beitragspflichtig. Die Pflegeeltern sind auf diese Möglichkeit hinzuweisen.

3

Die vertragsrechtliche Qualifikation der Tätigkeit der Pflegeeltern

3.1

Allgemeines: der Pflegevertrag als Dienstvertrag

Es ist zunächst zu betonen, dass die sozialversicherungsrechtliche Qualifizierung von Entgelt als Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG noch keine Präjudizieren hinsichtlich der vertragsrechtlichen Qualifizierung des Pflegevertrages zulässt: Im Sozialversicherungsrecht geht es um die Frage des Unternehmerrisikos, während für die vertragrechtliche Qualifikation andere Kriterien ausschlaggebend sind. Es steht ausser Zweifel, dass es sich um einen besonderen familienrechtlich zum Teil inhaltlich mitbestimmten34 Dienstvertrag handelt. Für den Vertrag gelten die allgemeinen vertragsrechtlichen Regeln, so kann er ausdrücklich oder konkludent abgeschlossen werden (Art. 1 OR). Spezifische Formvorschriften bestehen nicht (Art. 11 OR), wobei eine schriftliche Vereinbarung mit Blick auf die weitgehenden Pflichten und Rechte und das auf dem Spiel stehende öffentliche Interesse des Kindeswohls angezeigt ist. Der Pflegevertrag zeichnet sich dadurch aus, dass er persönliche Beziehungen und Betreuung zum Inhalt hat. Damit hat der Vertrag eine höchstpersönliche Komponente. Insoweit sind insbesondere auch urteilsfähige Jugendliche soweit tunlich in den Vertragsprozess und die Konsensfindung einzubeziehen (Art. 301 Abs. 2 ZGB, Art. 19 Abs. 2 ZGB). Fraglich ist aber, welcher Typus des Dienstvertrages hier vorliegt. In Frage kommen grundsätzlich insbesondere der Arbeitsvertrag nach Art. 319 ff. OR, der Auftrag nach

34

Vgl. vorne Ziff. 1. 9/13

Art. 394 ff. OR oder ein gemischter Vertrag bzw. ein Dienstvertrag eigener Art (sui generis). Diese Zuordnung ist insbesondere von Bedeutung für die Frage der anwendbaren Normen. Dabei hätte insbesondere die Qualifizierung als Arbeitsvertrag erhebliche Konsequenzen, wobei die privat- und die öffentlichrechtlichen Pflegeverträge insoweit zu unterscheiden sind. Privatrechtliche Pflegeverträge liegen vor, wenn sie von den Pflegeeltern mit einer Platzierungsorganisation oder den leiblichen Eltern abgeschlossen werden. Hier würden die arbeitsvertraglichen Sozialschutzbestimmungen wie die Pflicht zur Lohnfortzahlung bei Krankheit (Art. 324a OR), der Ferienanspruch (Art. 329a OR) und der spezifische Kündigungsschutz gemäss Art. 336 bis Art. 337d OR zwingender Bestandteil des Pflegevertrages sein. Zudem würde sich die Frage der Anwendung des Arbeitsgesetzes (ArG, SR 822.11), mit seinen gesundheitspolizeilich motivierten Normen der Höchstarbeitszeit, der Beschränkung der Wochenendarbeit und der Nachtarbeit etc., stellen. Der von der Gemeinde mit den Pflegeeltern abgeschlossene Pflegevertrag hat kantonalen und subsidiär kommunalen öffentlichrechtlichen Charakter. Würde der entsprechende Pflegevertrag als Arbeitsvertragstypus behandelt, so würden die entsprechenden Vertragsbestimmungen nach dem kantonalen und ergänzend dem kommunalen Dienstrecht gelten. Indirekt würden wiederum die Regeln des Arbeitsvertragsrechts des OR Anwendung finden35.

3.2

Der Pflegevertrag als Arbeitsvertrag oder als Auftrag?

Die Qualifizierung muss nach dem Inhalt und den wesentlichen Aspekten des Rechtsverhältnisses erfolgen. Beim Pflegeverhältnis geht wie dargestellt die faktische Obhut an die Pflegeeltern über, welche die Eltern in der Ausübung der elterlichen Sorge vertreten, soweit dies zur gehörigen Aufgabenerfüllung notwendig erscheint (Art. 300 ZGB)36. Der Vertrag beinhaltet als Kern Betreuungsaufgaben wie faktische Obhut, Erziehung und Pflege. Dazu kommen untergeordnete Aspekte weiterer Verträge wie der Miete (Art. 253 ff. OR), insoweit dem Pflegekind Räume zur Benützung bzw. Mitbenützung überlassen werden. Arbeitnehmer und Auftragnehmer nehmen die Interessen eines Dritten wahr. Während aber der Auftragnehmer dabei fremdnützig ist, ist der Arbeitnehmer zusätzlich fremdbestimmt37. Zentrales Element für die Annahme eines Arbeitsvertrages in Abgrenzung zum Auftrag ist also, dass die Arbeitnehmenden ihre Dienstleistung im Rahmen einer Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation im Sinne eines Subordinationsverhältnisses verrichten. Typisch für den Arbeitsvertrag ist ein Abhängigkeitsverhältnis des Arbeitnehmenden. Er steht persönlich, wirtschaftlich, organisatorisch und zeitlich unter der Direktionsgewalt des Arbeitgebers38. Ob ein solches Abhängigkeitverhältnis vorliegt, ist nach dem Gesamtbild zu beurteilen. Insbesondere spielen dabei der Grad der Weisungsgebundenheit, die Verpflich35 36 37 38

§ 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Grundzüge des Personalrechts des Kantons Aargau (Personalgesetz, SAR 165.100). Siehe vorne Ziff. 1. STREIFF/VON KAENEL, Art. 319 OR N 6 mit vielen weiteren Hinweisen und Beispielen. BGE 4C.220/2003 vom 28.10.2003; BGE 125 III 78; siehe auch Berner Kommentar-REHBINDER, Art. 319 OR, N 42 ff.; GEI-

SER/MÜLLER,

S. 39 f. 10/13

tung bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten, die Beschäftigungsdauer und die Verpflichtung zur Tätigkeit an einem bestimmten Arbeitsplatz eine besondere Rolle39. Hinsichtlich des Pflegeverhältnisses bestehen zwar wie oben dargestellt Aufsichtspflichten der Behörde und Bewilligungsvorbehalt (Art. 316 ZGB, PAVO). Dies hat aber nicht den Grad und Charakter der Subordination eines Arbeitsvertrages. Die Verpflichtung der Pflegeeltern auf Betreuung und Erziehung ist allgemein gehalten. Klare Weisungen bzgl. Ort, Organisation, Gestaltung der Pflegetätigkeit sind ebenso wenig vertragstypisch wie eine umfassende Kontrolle oder Überwachung. Sowohl in ihrer zeitlichen, örtlichen als auch in ihrer inhaltlichen Vorstellungen von der Durchführung der Pflege bleiben die Eltern autonom. Aus diesen Gründen stellt im Regelfall der Pflegevertrag kein Arbeitsvertrag dar und ist Arbeitsvertragsrecht privat- oder öffentlichrechtlicher Natur auch nicht analog auf die Pflegeverträge anwendbar. Anders könnte im konkreten Einzelfall entschieden werden, wenn die Pflegeeltern von der Art der Aufsicht, Überwachung und Fremdbestimmung her faktisch in einer arbeitnehmerähnlichen Position wären und somit ein analoges Sozialschutzbedürfnis bestehen würde. Der Auftrag fungiert gemäss Art. 394 Abs. 2 OR als subsidiäre Vertragform der Verträge auf Arbeitsleistung und kann insoweit als „Auffangtatbestand“ für Dienstverträge gelten, die keinem besonderen Typus zugeordnet werden können. Der Pflegevertrag ist im Regelfall in diesem Sinne als Auftrag zu qualifizieren. Der Auftrag ist nicht im selben Masse wie der Arbeitsvertrag durchnormiert. Immerhin ist ihm ein spezifisches Vertrauensverhältnis inhärent, welches auch für den Pflegevertrag typisch ist. Die genannten gesetzlichen Sozialschutzansprüche des Arbeitnehmers gelten aber nicht für den Auftragnehmer. Von besonderer Bedeutung ist Art. 404 OR, der gemäss Bundesgericht zwingend die jederzeitige Auflösbarkeit des Auftrages vorsieht40. Dies korrespondiert beim Pflegekindervertrag mit dem höchstpersönlichen Charakter des Vertragsinhalts. Damit dürften vertragliche Kündigungsfristen etc. ungültig sein. Sie können aber als Konkretisierung „der Kündigung zur Unzeit“ verstanden werden, die zu einer Schadenersatzpflicht führt (Art. 404 Abs. 2 OR) Hinsichtlich einzelner Pflichten aus dem Pflegevertrag können zur Beurteilung auch andere Vertragstypen relevant sein, so hat namentlich das Gewähren der Unterkunft mietähnlichen Charakter. Da aber insoweit die auftragsrechtlich gefassten Betreuungs- und Pflegeaufgaben klar im Vordergrund stehen, sind auch insoweit aus meiner Sicht primär die auftragsrechtlichen Regelungen anzuwenden (und nicht etwa mietrechtliche Form- oder Kündigungsvorschriften)41. Bei öffentlichrechtlichen Verträgen von Gemeinden sind überdies allfällige Vorgaben für Aufträge aus dem kommunalen Recht zu beachten42. Insoweit besteht für den 39 40

Berner Kommentar-REHBINDER, Art. 319 OR N 42 ff.; STREIFF/VON KAENEL, Art. 319 OR N 6. Vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 31. 2. 2005, 4C.447/2004. Siehe zum Ganzen Basler Kommentar OR I-WEBER Art. 404 N

9 ff. 41 42

Entsprechend der bundesgerichtlichen Schwerpunkttheorie für gemischte Verträge, vgl. BGE 118 II 157. Insbesondere Regeln der Submission/Ausschreibung und eine allfällige Anwendbarkeit von öffentlichem Dienstrecht auf die

entsprechenden Aufträge. 11/13

kommunalen Gesetzgeber die Möglichkeit, bestehende und aufkommende Unklarheiten gesetzlich zu normieren.

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Anstatt eines Fazits: Rahmenbedingungen für die Gestaltung eines Pflegevertrages unter Berücksichtigung des Vorschlages des VAAV. •



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Eine Gemeinde ist bei Entgelt für Pflegeverhältnisse immer sozialversicherungsabgabepflichtig o wenn sie ein Kind mittels Vertrag bei Pflegeeltern platzieren und finanzieren oder o wenn die Ausrichtung der Entschädigung an die Pflegeeltern durch die Gemeinde erfolgt, auch im Rahmen der Platzierung einer Drittstelle (Pflegeaktion etc.) oder eines Pflegevertrages zwischen Eltern und Pflegeeltern oder o Wenn die Gemeinde sämtliche Kosten einer Platzierung übernimmt und die Kosten vollständig an die leiblichen Eltern überweist. Der Pflegevertrag ist vertragsrechtlich im Regelfall am ehesten als gemischter Vertrag mit schwerpunktmässig auftragsrechtlichen Elementen zu qualifizieren. Die Vertragsparteien sind individuell zu nennen, also auch die beiden Pflegeelternteile. Urteilsfähige Jugendliche sind in die Vertragsgestaltung einzubinden. Die jeweiligen Pflichten und Ansprüche sollten, wenn auch allgemein, umschrieben werden. Die Entschädigung für die Erziehungs- und Betreuungsarbeit sollte nicht als Lohn bezeichnet werden, sondern als „Betreuungsvergütung“. Die konkrete Vertragsgestaltung ist besonders relevant, da von Gesetzes wegen keine Sozialschutzbestimmungen (Ferien, Lohnfortzahlung bei Krankheit etc.), noch die Gesundheitsschutznormen des Arbeitsgesetzes (Begrenzung Nacht- und Wochenendarbeit etc.) anwendbar sind. Solche Schutznormen sind bei Bedarf spezifisch vertragsrechtlich zu regeln. Gemäss dem Auftragsrecht ist der Pflegekindervertrag jederzeit kündbar. Eine kurze Kündigungsfrist im Vertrag kann aber verdeutlichen, waw Für die Ausgestaltung öffentlichrechtlicher Pflegekindverträge sind die Grundsätze des Verwaltungshandelns wie Willkürverbot, Rechtsgleichheit und Grundrechtsgebundenheit zu beachten. Ebenso sind die kommunal- und kantonalrechtlichen Vorgaben für die Vergabe von Aufträgen zu beachten. Es ist schriftlich und eindeutig festzuhalten, wem von den Pflegeeltern die abrechnungspflichtige Entschädigung zukommt. Dies ist unter Umständen mit einer schriftlichen Vereinbarung unter den beiden Pflegeelternteilen zu ergänzen. Soll die Kostenentschädigung oder/und die Betreuungsvergütung von den anerkannten Richtlinien abweichen, ist auf gute Begründung und 12/13



(hinsichtlich der Kosten) auf Belegbarkeit zu achten, um eine Anerkennung durch die Ausgleichskassen nicht zu gefährden. Geringfügige Betreuungsvergütungen unter CHF 2200 pro Jahr sind nur auf Antrag der Pflegeeltern beitragspflichtig. Die Pflegeeltern sind auf diese Möglichkeit, am besten direkt im Vertrag, hinzuweisen.

Literatur BÜCHLER/VETTERLI. Ehe Partnerschaft Kinder. Eine Einführung in das Familienrecht der Schweiz. Basel 2007. DETTENBORN/W ALTER. Familienrechtspsychologie. Stuttgart 2002. GEISER/MÜLLER. Arbeitsrecht in der Schweiz. Bern 2009. HONSELL/VOGT/GEISER (Hrsg.). Basler Kommentar Zivilgesetzbuch I: Art. 1-456 ZGB. 3. Auflage. Basel 2006. HONSELL/VOGT/W IEGAND (Hrsg.). Basler Kommentar Obligationenrecht I: Art. 1-529 OR. 4. Auflage. Basel 2007. MAURER/SCARTAZZINI/HÜRZELER. Bundessozialversicherungsrecht. 3. Auflage. Basel 2009. MEYER (Hrsg.). Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht Band XIV Soziale Sicherheit. 2. Auflage. Basel/Genf/München 2007. MEYER-HAYOZ (Hrsg.). Berner Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht. Bd. VI. Bern 1985. PLANZER/NUSSBAUM. Pflegefamilien und ihre beitragsrechtliche Stellung bei der AHV. Diplomarbeit, Lehrgang Verwaltungsmanagement am Institut für Betriebs und Regionalökonomie der Hochschule Luzern. Luzern 2002. STETTLER. SCHWEIZERISCHES PRIVATRECHT III/2: Das Kindesrecht. Basel/Frankfurt a.M. 1992. STREIFF/VON KAENEL. Arbeitsvertrag. Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR. 6. Auflage. Zürich 2006. TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO. Das Schweizerische Zivilgesetzbuch. 12. Auflage. Zürich 2006.

Bern; März 2010; Peter Mösch Payot, Mlaw, LL.M.

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