Kraftwerksberufe in Deutschland und in der Schweiz

Kraftwerksberufe C.H. Sunier 2016 V01 Kraftwerksberufe in Deutschland und in der Schweiz Kernkraftwerk Gösgen (Schweiz)1 Selbst nach erfolgter ode...
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Kraftwerksberufe

C.H. Sunier 2016 V01

Kraftwerksberufe in Deutschland und in der Schweiz

Kernkraftwerk Gösgen (Schweiz)1

Selbst nach erfolgter oder noch bevorstehender Energiewende bieten sich für qualifizierte Fachleute viele Möglichkeiten, um in konventionellen Kraftwerken zu arbeiten. Ebenso werden für den Rückbau der Kernkraftwerke gut ausgebildete Spezialisten benötigt. Im Vergleich mit dem österreichischen wie auch dem deutschen System schneidet das schweizerische Ausbildungskonzept insbesondere in der Kernkraftwerkstechnik sehr gut ab. Hingegen ist das Ausbildungsangebot im Bereich der fossil befeuerten Kraftwerke in Deutschland aus nachvollziehbaren Gründen besonders reichhaltig.

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https://www.kernenergie.ch/

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Ausbildungswege in Deutschland

1.1 Berufsbildung für technische Fachleute in fossilen und GuDKraftwerken In Deutschland mit seinen fossil befeuerten sowie GuD-Kraftwerken besteht ein erhöhter Bedarf an geeigneten Fachleuten. Die diesbezügliche Fortbildung erfolgt an der Kraftwerksschule e.V. in Essen.2 a) Für Energielektroniker oder Industriemechaniker aus dem Instandhaltungsbereich bietet sich die Fortbildung zum Mechatroniker in der Kraftwerkstechnik (Dauer 18 Monate) an. Die theoretischen Grundlagen werden in vier Schulungsmodulen (total 12 Wochen) vermittelt. Der betriebliche Teil findet im Kraftwerk statt. Die Prüfung wird von der IHK in Essen abgenommen. b) Für das Schichtpersonal gibt es zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten, um sich in Elektround Leittechnik, Gas-, Dampf- und Hydrauliktechnik, Kraftwerkschemie, Arbeitssicherheit, Instandhaltung und Brand-, Umwelt- und Strahlenschutz fortzubilden. Für Ingenieure, Führungskräfte und Schichtpersonal werden zudem Ausbildungen am Simulator angeboten.

1.1.1 Erste Ausbildungsstufe Betriebswärter Voraussetzung für diesen Lehrgang ist eine mindestens einjährige kraftwerksspezifische Berufserfahrung. Der Interessierte absolviert drei Module. Zunächst erfolgt eine einwöchige Grundausbildung. Danach verzweigt sich die Ausbildung in a) Dampferzeugungstechnik oder b) Turbinentechnik von je 2 Wochen Dauer. Der Lehrgang wird mit einer Prüfung abgeschlossen.

1.1.2 Zweite Ausbildungsstufe Kraftwerker Der Lehrgang vermittelt dem Teilnehmer den Kenntnisstand für die IHK-Fortbildungsprüfung Geprüfter Kraftwerker. Die Ausbildung erfolgt modular oder in Blockform (Dauer 15 Wochen). Im Nachbarland Oesterreich findet die Kraftwerkerausbildung im Ausbildungszentrum Steyrermühl statt, wo auch die Papiermacher zur Schule gehen.3 Dazu sollte man wissen, dass die Papierindustrie oft eigene (Klein)-Kraftwerke betreibt, die natürlicherweise von erfahrenem Berufspersonal betrieben und instandgehalten werden. Der Weiterbildung in (konventioneller) Kraftwerkstechnik dienen diverse Seminare.

1.1.3 Höhere Ausbildungsstufe Kraftwerksmeister Es gibt zwei Ausbildungszweige, a) Maschinentechnik bzw. Produktion und b) Elektrotechnik/Leittechnik. Nach einem vierwöchigen Vorbereitungskurs erfolgt der eigentliche Lehrgang (Dauer 9 Monate). Die Meisterprüfung wird von der IHK in Essen abgenommen. 2 3

http://www.kraftwerksschule.de http://schulen.eduhi.at/papiermacherschule/

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1.1.4 Akademiker Für angehende Fach- und Betriebsingenieure gibt es diverse Grund- und Aufbaukurse. In Kooperation mit der Fachhochschule Aachen bietet die KWS den Studiengang Bachelor of Mechanical Engineering – Kraftwerkstechnik an. Es handelt sich um ein vollwertiges Maschinenbaustudium, welches im fünften Semester spezifisch die Kraftwerkstechnik zum Inhalt hat.

1.2 Berufsbildung für technische Fachleute in Kernkraftwerken Nebst Strahlenschutz und Strahlenmesstechnik werden im KKW-Sektor zwei qualifizierte Lehrgänge angeboten.

1.2.1 Ausbildungsstufe Kernkraftwerker Zielgruppe sind Fachhandwerker aus dem Betriebs- und Produktionsbereich eines Kernkraftwerkes und Instandhaltungsfachleute. Der Lehrgang an der KWS setzt sich aus Grundstufe (7 Wochen) und Fachstufe (11 Wochen) zusammen. Die Fortbildungsprüfung wird an der IHK in Essen abgelegt.

1.2.2 Ausbildungsstufe Kraftwerksmeister Kerntechnik Kraftwerker und Reaktorfahrer bilden sich in einem 52 Wochen dauernden Lehrgang an der KWS für die bevorstehende Meisterprüfung aus, welche an der IHK in Essen abgelegt wird. Damit qualifizieren sich die Absolventen zum stellvertretenden Schichtleiter.

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Ausbildungswege in der Schweiz

2.1 Berufsbildung für Fachspezialisten in konventionellen Kraftwerken In der Schweiz gibt es keinen charakteristischen Basisberuf, um später in einem (Wasser)-

Kraftwerk arbeiten zu können. Das Betriebspersonal rekrutiert sich aus Mechanikern und Elektromonteuren und damit verwandten Berufen. Einige Anwärter haben bereits eine Berufsprüfung als Instandhaltungsfachmann abgelegt, um mit dieser Qualifizierung als Gruppenleiter eingesetzt zu werden. Für den Netzbau werden Netzelektriker ausgebildet, die sich nach der Lehre und einschlägiger Praxis bis zum Netzelektrikermeister fortbilden können. Solche Kaderleute eignen sich auch als Betriebsleiter eines energieverteilenden Unternehmens.

2.2 Berufsbildung für Fachspezialisten in Kernkraftwerken An der Schule für Reaktortechnik am Paul Scherrer Institut (PSI) erfolgt die theoretische Ausbildung von Betriebspersonal von Kernkraftwerken als auch von Fach- und Reaktor-

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ingenieuren.4 Ein Novum ist der von der ETHZH (Zürich) und EPFL (Lausanne) gemeinsam angebotene Masterstudiengang Master of Science in Nuclear Engineering. Lizenziertes Betriebspersonal absolviert Wiederholungskurse in Reaktorphysik, Thermodynamik, Elektrotechnik und Kernkraftwerkschemie. Der Lehrgang für Kernkraftwerkstechniker (HF) umfasst zwei Semster und ein Betriebspraktikum von 13 Wochen. Wer ein Diplom einer Fachhochschule (technisch-wissenschaftlicher Richtung) und zudem die Lizenzen für Reaktoroperateure und als Schichtleiter vorweisen kann, lässt sich am PSI zum Reaktoringenieur ausbilden. Um sich zum Pikettingenieur zu qualifizieren, wird zudem eine mehrjährige Tätigkeit als Schichtleiter eines KKW vorausgesetzt. An der Lizenzprüfung werden nebst dem obligaten technischen Knowhow auch Führungseigenschaften sowie die Bewältigung von Streßsituationen getestet. Damit wird sichergestellt, dass Pikettingenieure die erforderlichen Kompetenzen besitzen. Ein typischer Werdegang eines "Kraftwerkers" sieht bspw. so aus: Berufslehre als Elektromechaniker und anschliessende Weiterbildung zum Ing. FH (Maschinenbau oder Elektrotechnik); Anstellung in einem KKW (z.B. Leibstadt) als Fachingenieur; diverse Ausbildungsmodule, Prüfungen und eine einschlägige Berufspraxis als Reaktoroperateur und als Schichtleiter. Fortbildung zum Reaktoringenieur und anschliessende Lizenzprüfung (Pikettingenieur).

2.2.1 Ausbildungsstufe Anlagenoperateur Für Nichtakademiker mit einer technischen Grundausbildung sieht der Ausbildungsweg im schweizerischen KKW wie folgt aus: Angehende Anlagenoperateure haben bereits eine technische Grundausbildung in der Elektro- oder Maschinenindustrie (oder verwandten Berufen) hinter sich. Die Fortbildung verläuft werkspezifisch und dauert ein Jahr. Praxis und Theorie ergänzen sich dabei in abwechselnder Folge. In betriebsinternen Kursen erarbeiten sich die Anwärter das nötige Basiswissen, um die Berufsprüfung als KKW-Anlagenoperateur (mit eidg. Fachausweis) zu absolvieren. Der Prüfungsablauf wird vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) überwacht. Der Anlagenoperatuer betreut Aussenanlagen, Wasseraufbereitungsanlagen, Lüftungsanlagen und Anlageteile, die nur vor Ort bedienbar sind. Auf Rundgängen kontrolliert er im Turbinengebäude und in den primären Nebenanlagen das einwandfreie Funktionieren der Apparaturen, meldet Prozesswerte an den Kommandoraum und nimmt die notwendigen Schalthandlungen vor.

2.2.2 Ausbildungsstufe Reaktoroperateur Der Reaktoroperateur arbeitet vorwiegend im Kommandoraum des Kernkraftwerkes. Er bedient die Gesamtanlage, überwacht die betrieblichen Vorgänge und Abläufe und nimmt vom Kommandoraum her Einfluss auf den Betrieb. Für seine anspruchsvolle Aufgabe beötigt er

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http://rs.web.psi.ch/

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fundierte Kenntnisse in Kernphysik, Reaktorphysik, Thermohydraulik, Elektrotechnik und Automation, Kraftwerkstechnik und Prozessleittechnik. Voraussetzung ist eine mindestens zweijährige Berufspraxis als Anlagenoperateur. Das erforderliche Grundwissen wird an der Reaktorschule (PSI) vermittelt, wo sich der Bewerber zum Kernkraftwerkstechniker (HF) weiterbildet. In betriebsinternen, mehrwöchigen Kursen wird zudem die kraftswerkspezifische Praxis vertieft und am Simulator geübt. Anschliessend muss der Kandidat sein Wissen an einer mündlichen Prüfung unter Anwesenheit von Vertretern der Kraftwerksleitung und Experten der Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen unter Beweis stellen. Nach bestandener Prüfung wird ihm von der zuständigen Bundesbehörde (HSK) die Lizenz zur Ausübung seines Berufes erteilt.5

2.2.3 Ausbildungsstufe Schichtleiter Der Schichtleiter führt autonom die Schichtgruppe. Er ist verantwortlich für den gesamten Betrieb der Anlage (unter Beachtung der Betriebsvorschriften und unter Einhaltung der Betriebslimiten). Er hat die Kompetenz, um die Anlage jederzeit herunterzufahren und abzuschalten, wenn es die Sicherheit erfordert. In kritischen Situationen konsultiert er den Pikettingenieur. Bei ernsthaften Störfällen übernimmt der Pikettingenieur die Leitung, bis er sie wieder an den Schichtleiter abgeben kann. Anwärter für diese verantwortungsvolle Tätigkeit werden aus dem Kreis der lizenzierten Reaktoroperateure ausgewählt. Das erforderliche Grundwissen wird an der Reaktorschule (PSI) vermittelt. Wie bereits der Reaktoroperateur muss sich auch der angehende Schichtleiter einer strengen mündlichen Prüfung unterziehen. Der Kandidat muss sich dabei nicht nur über seine technischen Kenntnisse, sondern auch bezüglich seiner psychischen Stabilität als geeignet erweisen. Nach erfolgreicher Prüfung erhält er von der zuständigen Bundesbehörde (HSK) die zur Berufsausübung benötigte Lizenz.

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Ausbildung und Einsatz des KKW-Personals werden durch das Bundesamt für Energie (BFE), Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK), beaufsichtigt. Das BFE ist dem eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) unterstellt.

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