Kraftfelder Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland (1) von Norbert Struck

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PERSPEKTIVEN DER JUGENDARBEIT

Insbesondere eine drohende Befristung von Aufgaben (die beispielsweise in der Jugendberufshilfe seit Jahren Realität ist und die die Träger zwingt, zu immer ruinöseren Konditionen ihre Angebote auszugestalten) stellt zentrale fachliche Standards der Jugendarbeit, wie beispielsweise die notwendige Kontinuität zum langfristigen Aufbau von Vertrauensverhältnissen, nachhaltig zur Disposition. Mittlerweile hat sich eine überbezirkliche Arbeitsgruppe gebildet, in der MitarbeiterInnen der Administration aus jedem Hamburger Bezirk sowie der BSG vertreten sind und die sich mit der praktischen Umsetzung der vom Landesrechnungshof geforderten Veränderungen befasst. Zu erwarten ist, dass die Ergebnisse in eine neue Globalrichtlinie einfließen. Angesichts der denkbaren Tragweite von hier getroffenen Entscheidungen darf ein solcher Prozess nur unter größtmöglicher Transparenz und auf keinen Fall ohne die Einbeziehung von VertreterInnen der freien Träger von statten gehen.

3) Gerbing, Joachim: „Wird die Offene Kinder- und Jugendarbeit eingeschult?“, in: FORUM 1/2005 4) Auszüge aus einem Diskussionspapier, das im Rahmen der Kampagne Entschlossen Offen entstanden ist. 5) Lindner, Werner: „Prävention“ in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Ein Nachruf zu Lebzeiten“, in: Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit, S.254f., 6) Kappeler, Manfred, „Die Verkehrung ins Gegenteil – Erinnerungen an die jugendpolitischen Empfehlungen einer Enquete-Kommission“, in: FORUM 2/2007 7) Lindner, Werner, a.a.o 8) Jahresberichte des Hamburgischen Landesrechnungshofes 2007 und 2008

Joachim Gerbing ist Diplom-Sozialarbeiter und Geschäftsführer des VKJH e.V.

Anmerkungen: 1) Resolution „Jugendarbeit erhalten und verbessern“ WissenschaftlerInnen kritisieren die Kürzungen in der Jugendarbeit (2004) 2) „Widersprüche“, Nr. 110, S. 5, Kleine Verlag 12/2008, zitiert aus dem Editorial

Kraftfelder – Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland (1) von Norbert Struck Die Anfrage zu diesem Artikel lautete, ob ich „einen kurzen und pointierten Beitrag über Paradigmenwechsel in der Jugendhilfe“ schreiben kann. Antwort: nein! Denn ich will keinen Paradigmenwechsel und ich finde den Begriff auch meist überstrapaziert. Ich kann allenfalls eine Skizze malen von Kraftfeldern, innerhalb derer sich die Kinder- und Jugendhilfe in den letzten 20 Jahren entwickelt hat und weiterhin entwickelt. Diese Entwicklungen lassen sich nur teilweise an Zäsuren bestimmen. Sie vollziehen sich in gesellschaftlichen Kräfte- und Spannungsverhältnissen, die in verschiedene Richtungen wirken und sich wechselseitig überlagern. Dabei werden Programmformeln teils abgelehnt und bekämpft, teils mit eigenen Deutungen versehen, teils umgedeutet, teils auf bisher nicht erfasste Gegenstände hin ausgedehnt … Es können kleine Risse entstehen, die plötzlich zu gravierenden Verände-

Der Sozialstaat steuert, beeinflusst, fördert oder behindert individuelle Lebensläufe und kollektive Schicksale.

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rungen führen, während in anderen Feldern zwar die Wirkkräfte sehr viel stärker werden, aber gegeneinander wirken und einen spannungsreichen Gleichstand bewirken.

„Einheit der Jugendhilfe“ „Die Kinder- und Jugendhilfe“ ist ein Aggregat sehr unterschiedlicher Handlungsfelder, methodischer Ansätze, Institutionen und Personen – nur mit Mühe verschafft sie sich „Einheit“ in Institutionen wie z.B. Jugendhilfeausschüssen aber auch z.B. der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ). Aber diese Einheit hat ihren Preis in den Abstrichen, die viele von ihrem imaginierten Subjekt Kinder- und Jugendhilfe und seinem mächtigen Einmischungsauftrag machen müssen – angesichts der Vielzahl von Imaginationen. Fachlich gesehen kann man ein Konzept einer „Einheit der Kinder- und Jugendhilfe“ darstellen, wenn man sich in die Jahre 1989 bis 1991 begibt. Hier liegt die Geburtszeit des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, das damals dann fast zeit-

Kraftfelder – Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland

gleich für Ost und West einen neuen jugendhilferechtlichen Bezugspunkt formulierte. Die fachliche Basis für dieses neue Konzept der Einheit der Kinder- und Jugendhilfe war der Achte Jugendbericht (2), der 1990 veröffentlicht wurde.

Dabei ist er ein außerordentlich komplexes Gebilde mit vielfältigen und keineswegs immer eindeutigen Formen, Funktionen und Folgen.

Stephan Lessenich hat mit seinem Buch „Die Neuerfindung des Sozialen – Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus“ (3) einen Versuch einer Orientierung unternommen. In den Kraftfelder 1970er Jahren wurde begonnen, den Sozialstaat der Nachkriegszeit umzugestalten. Die „Ölkrise“, die „neokonservatiAuf die so konzipierte Kinder- und Jugendhilfe wirken seitve Revolution“, das „Ende des Fordismus“ sind nur einige her mächtige Kräfte in unterschiedliche Richtungen. Sie moStichworte, die auf die damit verbunden Einschnitte und Kondifizieren ihr Erscheinungsbild und Selbstverständnis. zepte verweisen, die in Deutschland dann unter dem Titel „Agenda 2010“ eine spezifische Zusammenfassung und Wirkungsmacht entfalteten. Diesen Prozess bringt Lessenich auf 1. Der neosoziale Umbau des Sozialstaats den Begriff des „neosozialen Umbaus des Sozialstaats“. (4) Er benutzt diesen Begriff in Abgrenzung zum Begriff „neoliAktuell sind all diese Kräfte überformt von einer globalen beral“ denn: „Weder hat sich der staatliche Eingriff in das SoWirtschaftskrise. Sie wurde ausgelöst durch Bankenzusamziale nach 2003 verringert, noch hat es seither einen Zuwachs menbrüche aufgrund von schwindelerregenden Wetteinsätan Freiheit individueller Lebensführung ergeben. Der Sozialzen bei gezinkten Milliardenprojekten und ihr soll begegnet staat „nach Schröder und Hartz“ ist so präsent, lebenwerden mit staatlichen Konjunkturprogrammen dig und interventionistisch wie eh und je – in Milliardenbereichen, deren Fluchtpunkte aber er hat seine Gestalt und die Formen noch in keiner Weise absehbar sind. seines Eingriffs verändert, und dies Noch ist unklar, welche Übergänge durchaus auf Kosten und zulasten durch diese Krise erzwungen der Selbstbestimmungsfähigkeit werden. Es zeichnet sich nur seiner Bürgerinnen und Bürab, dass die kurzen Irritatioger.“ (5) Legt man aber Lesnen über die ruinösen Seiten senichs Analyse zugrunde, von Deregulierung und so zeigen sich die Folgen Ökonomisierung und das des von ihm analysierten Erschrecken über die ungeProzesses für die Kinderzügelten Marktkräfte von und Jugendhilfe besonders den zentralen Ideologieprodeutlich in der zunehmenduzenten schnell wieder einden Dominanz der ökonomigeholt wurden und dass mittschen Semantiken über die polerweile fast alle Lobbyisten litischen: „Der Sozialstaat ist unverzagt fordern, dass ihre MeTeil dieses politisch-ökonomidizin doch immer schon die beste schen Gezeitenwechsels, Teil einer gewesen sei – und heute nahezu die gesellschaftlichen Bewegung der ökoFoto: Bodenlos in Hamburg e.V. einzig wirksame. Ihr starrer Blick nach nomischen Mobilisierung der Subjekte, der vorne verbietet geradezu die Rückbesinnung programmatischen Bezugnahme auf ökonomische auf die Auslöser und Ursachen, deren Risiken und NebenSemantiken des Wettbewerbs und der Mobilität, der Innovatwirkungen der Crash für kurze Zeit so überdeutlich freilegte. ion und Beschleunigung, der Anpassungsfähigkeit und Alternativlosigkeit - zulasten politischer Semantiken der LangsamUnabhängig von diesen aktuellen Dynamiken gibt es aber eikeit und der Dauer, der Sicherheit und der Stetigkeit, des Mitnen langfristigen Umbau sozialstaatlicher Regulierungen, spracherechts und der Zustimmungsbedürftigkeit.“ (6) Übergänge in den Formen und Funktionen des Sozialstaats, von denen die Kinder- und Jugendhilfe in vielfacher Weise betroffen ist. Wie aber lassen sich diese Übergänge des Sozialstaats beschreiben? Kaum eine gesellschaftliche Institution hat so an Selbstverständlichkeit verloren und wird so intensiv und kontrovers diskutiert, kaum eine Institution durchdringt aber auch die Gesellschaft in einem vergleichbaren Ausmaß. Der Sozialstaat begleitet uns buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre, und noch mehr: Er steuert, beeinflusst, fördert oder behindert individuelle Lebensläufe und kollektive Schicksale.

Fachlichkeit der Kinder- und Jugendhilfe ist nun aber in vielerlei Hinsicht auch von Sicherheit geben, Zeit haben, stetig sein, Mitsprache und Beteiligung herstellen, von Koproduktionen mithin bestimmt. Hier bauen sich seit Jahren immense Spannungen auf

Mit wachsender Armut und Benachteiligung sind bedrohliche Rahmungen für die Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe entstanden.

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2. Armut von Kindern, Jugendlichen und Familien und Ausgrenzungsprozesse Die Armut in Deutschland hat in den letzten Jahren beträchtlich zugenommen. Und wie auch immer man über einzelne Indikatoren und Prozentzahlen streiten mag: es ist evident, dass Armut für viele und immer mehr Familien eine Alltagserfahrung (7) geworden ist. Die untenstehende Tabelle zeigt dies deutlich. Wenn wir dann noch wissen, dass junge Migrantinnen und Migranten in der Regel doppelt so stark betroffen sind wie ihre deutschen AltersgenossInnen, und dass sich die Problemlagen ja auch sozialräumlich verdichten und zuspitzen, dann kann man sagen, dass hier Rahmungen für die Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe entstanden sind, deren Bedrohlichkeit und Überforderungspotenzial gar nicht überschätzt werden kann. (8)

3. Kinderschutzdiskurse Mit dem Regierungsentwurf zum Kinderschutzgesetz wurde eine Chance vertan. Statt sich den Anforderungen zu stellen, die da heißen, erstens einen konsequenten Ausbau von Hilfeeinrichtungen mit fachkundigem und qualifiziertem Personal zu gewährleisten, zweitens den qualitativen Ausbau und die Stärkung der Infrastruktur der Jugendhilfe voranzutreiben und drittens die notwendige Ausstattung des öffentlichen Gesundheitssystems zu finanzieren, wird mit alten Reflexen der

Mit dem Regierungsentwurf zum Kinderschutzgesetz wird mit alten Reflexen der Ausweitung von Kontrolle und der Einschränkung von Datenschutzrechten reagiert. Ausweitung von Kontrolle und der Einschränkung von Datenschutzrechten reagiert. Das Konzept des ministeriums- und regierungsseitig eingeschlagenen Weges sieht so aus: 1. Den öffentlichen Haushalten entstehen keine Kosten. 2. Die ärztliche Schweigepflicht weicht einer weiten Befugnisnorm zur Meldung. 3. Hausbesuche sollen als Regelelement gesetzlich festgeschrieben werden. 4. Keine der Schnittstellen zwischen SGB V und SGB VIII bei den Hilfen für kleine Kinder soll eine Bearbeitung erfahren. 5. Die gesetzlichen Regelungen beziehen sich durchweg auch auf Jugendliche, obgleich die Begründungen sich durchweg auf den Schutz kleiner Kinder beziehen. 6. Alle mit Kindern und Jugendlichen beruflich Befassten werden zu Meldungen ihrer Wahrnehmungen von Kindeswohlgefährdungen aufgefordert. 7. Ressourcenfragen der Jugendämter, bei denen die Meldungen eingehen sollen, werden nicht thematisiert, denn: sieht Punkt 1.

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Alle

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- weiblich

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- männlich

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West

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Ost

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dauerhaft

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Alleinerziehend

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Paarhaushalte mit Kindern

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Alter bis 15 Jahre

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16 bis 24 Jahre

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25 bis 49 Jahre

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65 Jahre und älter

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Erwerbstätige

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Arbeitslose

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Rentner

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Tabelle: Relative Einkommensarmut 1998 bis 2005, Schwelle 60% des mittleren Einkommens (Medianeinkommen), Einkommensberechnungen auf Jahresbasis mit Sonderzahlungen und Steuerrückzahlungen einschließlich der Einkommensvorteile selbst genutzten Wohneigentums; Datenquelle: Sozio-ökonomisches Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung/Berlin gemäß Armuts- und Reichtumsbericht 2008, Seite 294.

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Kraftfelder – Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland

Es hat den Anschein, als würden nicht die Probleme des Kinderschutzes mit dem Kinderschutzgesetz bearbeitet, sondern das Problem der gesellschaftlichen Ohnmacht, wenn ein Kind durch elterliche Gewalt zu Tode kommt. Wenn das schon nicht in jedem Einzelfall verhindert werden kann, so sollen doch ex post wenigstens über Meldewesen und Dokumentationspflichten einzelne haftbar gemacht werden können – nur bezogen auf dieses Problem der Haftbarmachung reagieren diese Entwürfe eines Kinderschutzgesetzes. Die komplizierten Ressourcenfragen bei der Implementation von Hilfen, die tatsächlich einer gemeinsamen Strategie von Kanzlerin und Ministerpräsidenten in Zeiten der Föderalismusreform bedurft hätten, bleiben außen vor. Ich bin mir im Moment noch nicht sicher, ob dieses Gesetz verabschiedet werden wird und wenn es verabschiedet wird, in welchem Ausmaß es die Praxis der Kinder – und Jugendhilfe umprägen wird. Aber auf jeden Fall hat sich das gesellschaftliche Klima, in dem Fragen des Kinderschutzes verhandelt werden, in den letzten Jahren deutlich verändert und der politische Diskurs akzentuiert viel stärker wieder Kontrolle und Sanktionen als Hilfe und Unterstützung.

4. Die neue Lust am Strafen (9)

Es ist erschreckend, wenn plötzlich von politischer Seite „Erziehungslager“ gefordert, wenn Disziplinierung und Drill wieder als Methoden der Erziehung hoffähig gemacht werden. wirken, so dass Konzepte der Disziplinierung allenfalls aus der Perspektive eines „Mehr“ und „Weniger“ einer Kritik unterzogen werden, aber oft nicht mehr grundlegend in Frage gestellt werden. Generell ist zu beobachten, dass eine individuumzentrierte Sicht auf Fragen abweichenden Verhaltens und Kriminalität noch immer tief im gesellschaftlichen Alltagsbewusstsein verankert ist und dass die Perspektive, „Kriminalität notwendig als ein soziales Produkt, als Resultat von in gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnissen eingebetteten Interaktions-, Zuschreibungs- und Verfestigungsprozessen zu verstehen“ (12), wie sie die Kritische Kriminologie begründet hatte, guter Argumente zum Trotz im Verblassen begriffen ist. Diese Schwäche trifft dann auf die ganz anders verorteten Diskurse über „Wirkungsmessung“, „Ergebnisqualität“ usw., die in ihrer impliziten Behauptung, dass nur real sei, was messbar ist, den Boden für den Behaviorismus als „Theorie“ und Praxis formen. Denn nur, wenn man von allen Reflexionen Kritischer Theorie absieht und die erkenntnistheoretischen Prämissen des Behaviorismus zum Dogma wissenschaftlicher Zugänge zur gesellschaftlichen Realität erklärt, kann diese Prämisse unproblematisch erfüllt werden.

Analog dazu erweitern sich in den letzten Jahren auch wieder Stellungnahmen, die, entgegen aller empirischen Evidenz, dem früheren, härteren und offensiveren Strafen das Wort reden – im Umgang mit Straftätern einerseits – aber auch jenseits von Straftaten im Umgang mit Kindern und mittlerweile auch wieder generell als Kern von „Erziehung“. Es hat Foto: in Deutschland lange gebraucht, bis Bodenlos in Hamburg e.V. Einer solchen machtvoll politisch gebrauchbare Unterscheidungen zwischen setzten, diskursiv aber nicht begründbaren, Dressur und Erziehung (10) herausgearbeitet Vorannahme korrespondieren dann leider Praktiwaren, bis die Argumentationsfiguren Schwarzer Pädken, denen die entscheidenden Unterscheidungsmerkmale agogiken (11) kenntlich gemacht und angeklagt waren. Da ist zwischen Dressur und Erziehung wieder abhanden gees schon erschreckend, wenn plötzlich von politischer Seite kommen sind. In ihnen ist Humanität nicht mehr konstitutiv, „Erziehungslager“ gefordert werden, wenn Disziplinierung sondern akzidentiell – eine moralische Zutat zufälliger und Drill wieder als Methoden der Erziehung hoffähig geSubjekte. macht werden sollen. Schwierig ist dabei aber auch, dass im Alltag der Pädagogik nach wie vor viele Konzepte des Strafens und Belohnens naiv

Es hat den Anschein, als würden nicht die Probleme des Kinderschutzes bearbeitet, sondern das Problem der gesellschaftlichen Ohnmacht.

„Achten statt Ächten“ – lautet das Motto des Caritasverbandes. Es enthält ein wichtiges Potential für einen erzieherischen Umgang mit jungen Menschen, das im Hinblick auf die pädagogischen Praktiken und die institutionellen Formgebungen immer wieder konkretisiert werden muss, als ein notwendiges Gegenkonzept zu Denkfiguren von Buße, Strafe und Gehorsam. Ich wünsche ihm Realisierungsmacht.

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Ausblick

Kinder- und Jugendhilfe innerhalb kurzer Zeit mit Übergangsthemen von erheblichem Ausmaß konfrontiert sieht, wenn sich die Frage stellt, wie Einrichtungen, Konzepte und Fachkräfte der Behindertenhilfe in ein jugendhilfespezifisches Leistungsangebot der Eingliederungshilfen transformiert werden können – ein weites Feld, das sich hier auftäte.

Es wären auch viele andere Kraftfelder beschreibbar gewesen, innerhalb derer die Kinder- und Jugendhilfe sich entwickelt und verändert. Die kurzzeitig politisch belebte Genderfrage z.B., die zu Unrecht weitgehend in eine leicht abzuarbeitende Verwaltungsvorschrift transformiert wurde. Aber auch Kinder- und Jugendhilfe steht die demographischen Entwickinmitten all dieser Prozesse und lungen in der EinwanderungsgeKraftfelder, in denen widersellschaft wirken auf die Kindersprüchliche Interessen zum Traund Jugendhilfe ebenso wie die gen kommen. Innerhalb dieser Veränderungen im Schulwesen, Prozesse verändert sie sich notwendie keineswegs linear verlaufen, diger Weise. Sie sollte dies aber so aber doch gravierend sind. Der neolitun, dass sie die Strukturmaximen ihrer berale Druck, die GemeinnützigkeitsIdentität immer wieder reformuliert und orientierung des Grundkonzepts der KinFoto: Bodenlos in Hamburg e.V. neu behauptet. Das Grundkonzept der Leder- und Jugendhilfe aufzubrechen und endbensweltorientierung, das Grundkonzept von Erlich mögliche profitable Anlagesphären in den Leiziehung als einem verstehensbasierten und verständigungsstungsbereichen der Kinder- und Jugendhilfe dem Shareholorientierten Handeln, der kritische Blick auf Institutionen und der-Value zu öffnen, ist ein weiteres Kraftfeld das sich in den ihre möglichen Ausblendungsund AusgrenzungsfunktioDiskussionen um eine Änderung des § 74 SGB VIII deutlich nen, der Blick auf Bewältigungsressourcen statt Defizite, die artikuliert hatte. Orientierung an Kinderrechten und deren Recht auf Bildung und den Kern ihres humanen Anliegens muss die Kinder- und Die Diskussion um eine „große Lösung“ im Hinblick auf die Jugendhilfe in all diesen Herausforderungen neu behaupten Eingliederungsleistungen für Kinder und Jugendliche mit Beund ausformulieren. Sie ist unter Druck – aber es täte gut, sie hinderungen scheint derzeit wieder ernsthafter denn je zu eiließe sich in ihrer zu behauptenden Substanz nicht deformienem Thema zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Behinderren! tenhilfe zu werden. Auch hier kann es passieren, dass sich die

Anmerkungen: 1) Gekürzte Fassung eines Beitrags zum Buch: Übergänge – 60 Jahre AGJ, Berlin 2009 (erscheint 2009) 2) BT-Drs. 11/6576 vom 6.3.1990 3) Lessenich, Stephan; Die Neuerfindung des Sozialen – Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus, Bielefeld, 2008

10) Vgl. Horn, Klaus; Dressur oder Erziehung – Schlagrituale und ihre gesellschaftliche Funktion, Frankfurt/M., 1970 11) Vgl. Katharina Rutschky (Hrsg.): Schwarze Pädagogik. Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung, Berlin/Frankfurt/Wien 1977 und Alice Miller: Am Anfang war Erziehung; Frankfurt am Main 1983

4) Lessenich, Stephan; Der neosoziale Umbau des Sozialstaats; Die Zeit, 14.08.2008 Nr. 34 5) Ebd. 6) Lessenich, Stephan; Die Neuerfindung des Sozialen – Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus, Bielefeld, 2008, S: 136 7) Vgl. Zeitschrift für Pädagogik 2/2005: Aufwachsen in Armut – Belastungen und Belastungsbewältigung 8) In der Soziologie wird derzeit eine – nicht unproblematische – Debatte über die Kategorie der „Überflüssigen“ geführt. Vgl. Bude, Heinz; Willisch, Andreas: Exklusion, Frankfurt, 2008. An ihr überzeugen m.E. eher die Phänomenologien der Ausgrenzung als das analytische Konzept. Vgl. ebd. Die Beiträge von Heinz Steinert und 9) Vgl. Liedtke, Ulf/Robert, Günther (Hrsg.): Die neue Lust am Strafen?, Aachen, 2004

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Norbert Struck, Dipl. Pädagoge, hat in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen gearbeitet. Seit 1991 ist er Jugendhilfereferent beim Paritätischen Gesamtverband und seit 2007 ehrenamtlicher Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ.