„Man darf nicht vergessen, dass im [Dritten] Reich 40 Millionen Katholiken leben.“ (Papst PIUS XII.)

Klausurersatzleistung im Fach HPB 08. Oktober 2012

PIUS XII.

Der Vatikan und der Heilige Stuhl im Zweiten Weltkrieg – Ein Passifist oder doch ein Pazifist*?

Autor: Martin Müller Klasse 4e (Gb)

VORSTELLUNG meiner ARBEIT Meine Arbeit befasst sich mit dem Kleinstaat Vatikan, Sitz des Heiligen Stuhls in Rom, schwerpunktmäßig mit der Zeit während des Zweiten Weltkriegs. Diese Zeit wird umrahmt von der 5

Entstehung und Gründung des Vatikans zwischen 1922 und 1939 sowie der Zeit nach 1945. Weiterhin erstreckt sich meine Arbeit auf die Folgen und Konsequenzen für den Vatikan sowohl aus dessen Handlungen als auch Unterlassungen gegenüber dem NS-Regime zur Rettung der Juden. Aus meinen Recherchen hat sich ergeben, wie sehr der Heilige Stuhl bzw. Papst PIUS XII. während dieser Zeit als moralische Instanz hätte wirken und Widerstände hätte bewirken können

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oder wie er selbst aktiv ins politische Geschehen hätte eingreifen können, hätte er nicht vorwiegend die Rolle eines passiven Neutralen oder die eines Vermittlers oder Schlichters eingenommen. Zumindest erscheint dies von außen so und wird entsprechend dargestellt. So habe ich jedoch auch festgestellt, dass der Heilige Stuhl Juden tatsächlich im Vatikan sowie in zahlreichen Klöstern und kirchlichen Einrichtungen Verstecke anbot, beispielsweise während der Besetzung

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Roms durch die Nazis im September 1943. Da das Verhalten des Vatikans während der NS-Diktatur hinreichend weltweit kritisiert worden ist, hat es nicht an Recherchemöglichkeiten gemangelt. Die Quellen haben sich als sehr aufschlussreich und vertrauenswürdig erwiesen, und die Recherchen haben gezeigt, dass die Natur der vatikanischen Staatsform bestimmte Infrastrukturen, Dienstleistungen oder eine militärisch-

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strategische oder wirtschaftlichen Bedeutung von vorneherein ausschloss. So stellte der Vatikan weder Militär noch Rüstungsindustrie noch Waffenlieferungen noch ein eigenes Heer bereit – das er ohnehin nicht besaß – und ging mit keiner Seite Bündnisse ein. Eine Besonderheit besteht auch in den sozialen Verhältnissen seiner Staatsbürger; da das vatikanische Staatswesen voraussetzt, dass die dort lebenden Bürger fast ausnahmslos der Kirche angehören oder zumindest in unmittel-

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barer Funktion dazu stehen, gibt es dort nicht die „klassische“ Gesellschaft aus Armen, Reichen oder mittelständischen Bürgern. Deshalb habe ich die soziale Situation zumeist unberücksichtigt und unerwähnt gelassen.

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35 * Persönliche Anmerkung zu meiner Wortschöpfung: Als Pazifisten begreife ich jemanden, der zwar Widerstand gegen den Krieg leistet und eine innere Einstellung bzw. Abneigung gegen Krieg hat. Jedoch würde diese Einstellung ihn nicht davon abhalten, Widerstand mit allen Mitteln gegen eine Diktatur zu erheben. Logischerweise begreife ich den „Passifisten“ vor diesem Hintergrund als das Gegenteil dessen; dieser leistet gegen nichts Widerstand und interagiert und kollaboriert mit jedem politischen System, bloß um selbst möglichst

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schadensfrei weiter zu existieren.

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ZWISCHEN den WELTKRIEGEN Der StaatsBANKROTT - die prekäre Finanzlage Erstmals in der Geschichte des Vatikans wurde 1928 der Staatsbankrott festgestellt. Dies 5

hatte sich bereits seit 1922 abgezeichnet. Aber wie war es dazu gekommen? Ahnungslos und unbekümmert in finanziellen Belangen hatte BENEDIKT, noch unbekümmerter sein Nachfolger PIUS XI., großzügig hohe Summen für wohltätige Zwecke gespendet. So wurden zur Staatsrettung 1928 die dringend benötigten Reformen des Finanzhaushalts eingeführt, die schließlich die hohen täglichen Ausgaben des Heiligen Stuhls sowie verloren gegangene Gelder freilegten.

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Der STAAT wird GERETTET - Offizielle STAATSGRÜNDUNG - SOUVERÄNITÄT durch STAATSVERTRAG - MUSSOLINI wird zum Symbol des italienischen Katholizismus und zum RETTER des maroden VATIKANSTAATS Schließlich gelangen 1929 mit – innerhalb des Vatikans nicht unumstrittener – Hilfe des Ungläubigen Benito MUSSOLINI zum einen die finanzielle Rettung und Sanierung des Vatikans und

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zum andern die offizielle Staatsgründung und Souveränität von Vatikanstadt mit gegenseitigen Anerkenntnissen, Entschädigungszahlungen und Verpflichtungen. Wohl keineswegs aus reiner Wohltätigkeit, sondern zur Imagepflege MUSSOLINIs und für dessen politische Pläne, für die er vatikanisch Unterstützung benötigte. So wurde mittels eines Finanzabkommens ein Finanzausgleich geschaffen und der im „Risorgimento“ begründete Konflikt zwischen dem römischen Staat und dem

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Vatikan endgültig beigelegt. MUSSOLINI wurde zum Symbol des italienischen Katholizismus. Die SONDERVERWALTUNG des HEILIGEN STUHLS – Und wie das FINANZGENIE Bernardino NOGARA das WIRTSCHAFTSIMPERIUM VATIKAN schuf Um den neu gegründeten Staat ordentlich zu verwalten, richtete Papst PIUS XI. die Sonderverwaltung des Heiligen Stuhls ein. Diese handelte völlig autonom und ohne jegliche päpstliche Einmi-

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schung. Dazu setze PIUS das Finanzgenie Bernardino NOGARA ein, dem es durch geschicktes Handeln in Kürze gelang, den eben noch bankrotten Staat in ein mächtiges Finanzimperium zu verwandeln. In kürzester Zeit vervielfachte NOGARA die vom italienischen Staat bereitgestellten US$ 90.000.000,00 auf US$ 550.000.000,00; er kaufte von dem Geld Wirtschaftsgesellschaften auf und wurde Großaktionär bei Italgas, er stieg ein in die Textilindustrie, kaufte kleine Firmen auf,

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beteiligte sich an italienischen Unternehmen und etablierte sich als Goldspezialist. Außerdem gelang es ihm, päpstliche Gelder am italienischen Staat vorbei außerhalb Italiens sicher und geheim anzulegen. Und es ist sein Verdienst, dass er MUSSOLINI davon überzeugen konnte, jede katholische Organisation von Steuern zu befreien oder deren Steuern zu mindern, und ihn zudem davon zu überzeugen, dass eine Bank im Besitz des Vatikans ein Tempel sein würde, der Gottes Werk

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tun würde, und dass das, was für Gott gut wäre, folglich für den Vatikan und das wiederum für Italien und MUSSOLINI gut sein würde. NOGARA war so erfolgreich im Verwalten des vatikanischen Staatshaushalts, dass, um es hier vorwegzunehmen, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges dessen Bruttosozialprodukt zwischen 1953 und 1963 um 158 % auf US$ 48.500.000.000,00 wuchs. 2

Der VATIKAN im ZWEITEN WELTKRIEG Der VATIKAN als STAAT - hier eine sehr knappe VORSTELLUNG Als absolute Wahlmonarchie mit dem aktuell gewählten Papst als Bischof von Rom (ex offi5

cio) nimmt der Vatikan eine Sonderstellung unter den am Krieg beteiligten Nationen ein. Der Papst ist zudem Staatsoberhaupt mit einer Regierung mit einem eigenen Regierungschef. Die Bevölkerung, die in erster Linie der Geistlichkeit angehört, von knapp 1.000 Menschen besteht aus ausgewählten, für nur eine bestimmte Dauer und an ihr jeweiliges Amt gebundenen Staatsbürgern. POLITISCHE KOALITIONEN, BÜNDNISSE und AKTIONEN

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Zur politischen Neutralität verpflichtet, ging der Vatikan mit keiner Kriegspartei eine Koalition ein. Begreift man jedoch „Koalition“ als politische Einflussnahmemöglichkeit, so hätte hier der Vatikan bzw. der Heilige Stuhl gewisse, wenn auch eingeschränkte Möglichkeiten für „Koalitionen“ gehabt. Um sich selbst zu schützen, verhielt er sich jedoch äußerst zurückhaltend und vorsichtig. Der HEILIGE STUHL - als MORALISCHE INSTANZ VERSAGT ... ... sich AUS der VERANTWORTUNG GESTOHLEN ...

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Man könnte meinen, als religiöse und damit moralische Instanz hätte es oberstes Gebot des Gottesstaates Vatikan sein sollen, öffentlich in aller Deutlichkeit die Nazidiktatur und -ideologie anzuprangern, sich ihr entgegenzustellen und zum aktiven Widerstand gegen diese aufzurufen. Dazu hatten Juden, Katholiken und deren geistliche Vertreter sowie Staatsoberhäupter aufgerufen. 20

Stattdessen sah die päpstliche Politik jedoch andere Wege vor: Beschwichtigung statt Widerstand. PIUS XII. lehnte es sogar ab, HITLER und dessen Politik öffentlich zu kritisieren. Mehr noch: PIUS versicherte dem deutschen Botschafter in einer Privataudienz am 03. März 1939 seinen „heißen Wunsch für Frieden zwischen Kirche und Staat“, er wolle die Regierungsform der Diktatur nicht beeinflussen, denn es sei nicht Aufgabe der Kirche, zwischen politischen Systemen zu wählen.

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Das REICHSKONKORDAT und die POLITISCHE NEUTRALITÄT So kam es am 20. Juli 1933 zum Reichskonkordat des Heiligen Stuhls mit HITLER, welches – im Gegenzug zur Freiheit zur Ausübung der katholischen Religion – die Kirche zur politischen Neutralität verpflichtete. HITLER wollte damit im Vorhinein katholische Widerständler und Gegenstimmen unterbinden, was belegt, dass HITLER und die Nationalsozialisten sehr wohl er-

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kannt hatten und es ihnen nicht gleichgültig war, welche Meinung der Papst in der Öffentlichkeit über sie äußerte. VORSICHT, HITLER, über die ÖFFENTLICHE MEINUNG des PAPSTES … Folglich hätte die Meinung des Papstes in jedem Fall gravierende Auswirkungen gehabt und ein Vorgehen gegen Katholiken durch die Nazis hätte in aller Welt Aufschreie, Empörung und

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Widerstände provoziert. So hätte genau hier der Heilige Stuhl bzw. Papst ansetzen müssen. Hierin lag eine gewisse strategische Bedeutung des Vatikans, die er hätte erkennen und wahrnehmen müssen, hieraus resultieren seine moralische Verantwortung sowie schließlich sein moralisches Scheitern. Dies verdeutlicht, dass auf dem diplomatischen Weg und mittels beschwichtigender Äu-

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ßerungen allein keine Verbesserungen gelingen konnten bzw. zum Scheitern verurteilt waren. Die PÄPSTLICHE ZURÜCKHALTSAMKEIT und VERDECKTER PROTEST Als Beispiel soll hier PIUS’ Rundfunkrede vom 24. August 1939 dienen. Darin brachte er zum Ausdruck, mit dem Frieden sei nichts verloren, jedoch könne alles mit dem Krieg verloren ge5

hen. In diesem Sinne drängte er auf MUSSOLINI ein, beschwichtigend auf HITLER einzuwirken. Um einen Krieg doch noch zu verhindern, appellierte PIUS am 31. August 1939 an die Reichsregierung und an die Polens, keine Zwischenfälle zu provozieren und die Spannungen zwischen beiden Ländern nicht noch zu erhöhen – jedoch zu spät. In der Folge verfasste PIUS im Verlauf des Krieges immer wieder vereinzelte Friedensappelle, die jedoch ohne Wirkung blieben.

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So richtete der Heilige Stuhl im Juli 1936 als Antwort auf die gehäuften Übergriffe von SA und Gestapo auf katholische Gruppen päpstliche Protestnoten an die Reichsregierung, in denen er – jedoch nicht namentlich – die nationalsozialistische Lehre eines „nationalen Gottes“ und einer „Nationalreligion“ als „Irrlehre“ und als „mit Götzenkult vergöttert“ bezeichnete (ein Vorläufer von PIUS‘ erster Enzyklika Summi pontificatus vom 20. Oktober 1939). Am 14. März 1937 verfasste

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PIUS die Enzyklika Mit brennender Sorge, die sich gegen den Nationalsozialismus und Kommunismus richtete. Weiterhin brachte PIUS in seiner Weihnachtsbotschaft 1942 – ohne die Juden namentlich darin zu nennen – seine Besorgnis zum Ausdruck über „die Hunderttausende, die ohne eigenes Verschulden, bisweilen nur wegen ihrer Nationalität oder Rasse, dem Tode oder fortschreitender Vernichtung preisgegeben sind“. Weiterhin belegt eine geheime Stellungnahme (Allo-

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cutio) des Papstes vor seinen Kardinälen vom 02. Juni 1943 die enorme Zurückhaltung der Katholischen Kirche und des Papstes; lediglich im Geheimen und verdeckt wurde das nationalsozialistische Unrecht, die Verfolgung und Vernichtung der Juden, angeprangert und betont, sein, PIUS‘, öffentlicher Protest dürfte keineswegs deutlicher sein, da die Kirche Vorsicht walten lassen müsste, um denjenigen [den Juden] nicht zu schaden, die sie retten wollten.

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ROM im SEPTEMBER 1943 - NAZI-BESATZUNG und HEIMLICHE JUDEN-VERSTECKE Wenn es aber tatsächlich ein positives und belegbares Beispiel für echte vatikanische Bemühungen, Juden und andere zu retten, gibt, dann sei auf die Besetzung Roms im September 1943 durch die Nazis verwiesen. PIUS bot politischen Flüchtlingen seine Klöster und katholischen Einrichtungen als Verstecke an, so dass nachweislich etwa 4.000 Juden gerettet werden konnten,

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mehr als Oskar SCHINDLER, der mit seiner Liste etwa 700 Juden vor dem sicheren Tod rettete. Weiterhin bot PIUS seine etwa 25 km außerhalb von Vatikanstadt gelegene Sommerresidenz in der Gegend von Lago di Albano Castel Gandolfo als Zufluchtsort an. Besonders tragisch ist, dass eben an diesem Ort 500 Menschen in den Bombardements durch die Alliierten ihren Tod fanden. ABER: DEPORTATIONEN römischer JUDEN in Italien

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Dieses, wenn auch verdeckte Engagement des Heiligen Stuhls für die Juden hätte sicher ein nachhaltig positives Beispiel überliefert. Wäre nicht Folgendes eingetreten: PIUS sah tatenlos zu, als im Herbst 1943 Juden aus Rom deportiert wurden. Nicht einmal einen öffentlichen Protest hatte er, wohl seiner diplomatischen Linie treu bleibend, organisiert. 4

GESELLLSCHAFTLICHE FOLGEN - während des Krieges und nach dem Krieg MATERIELLE SCHÄDEN Ohne aktive militärische Beteiligung am Kriegsgeschehen erlitt das Hoheitsgebiet des Vati5

kans in Rom selbst keine Kriegsschäden, zumal HITLER Rom zwar im September 1943 besetzt, die Stadt aber nicht bombardiert hatte. Seinem Terror war Rom dennoch ausgesetzt. Nichtsdestotrotz blieben nicht alle Orte des zum Vatikan gehörenden Gebietes unversehrt von Kriegsschäden. Da Italien mit dem Dritten Reich ein Bündnis eingegangen war, wurden auch dortige Gebiete, unter anderem Rom, Ziele alliierter Bombenangriffe. Wie berichtet, kamen als Folge davon bei einem alli-

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ierten Angriff auf die päpstliche Sommerresidenz Castel Gandolfo 500 Menschen ums Leben. SOZIALE, POLITISCHE, KULTURELLE FOLGEN und VERÄNDERUNGEN Bezeichnenderweise ist gerade diese Tragödie gleichzeitig Beweis für das menschliche Engagement des Heiligen Stuhls trotz seiner politischen Fesseln, das NS-Regime zu umgehen und verfolgten Menschen zu helfen, sowie für dessen Wegsehen und Passivität. So tat sich der nur sehr

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zurückhaltend agierende PIUS XII. nach dem Krieg äußerst schwer damit, diesen Teil der Geschichte, den er zweifelsohne mit zu verantworten hatte, aufzuarbeiten. AUSSÖHNUNG des HEILIGEN STUHLS mit den JUDEN und SCHULDBEKENNTNISSE Erst PIUS’ Nachfolger Papst JOHANNES XIII. unternahm einen Versuch der Versöhnung mit den Juden, die er als „Brüder“ bezeichnete. So sprach dieser in seiner Erklärung Nostra Aetate

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(In unserer Zeit) des Zweiten Vatikanischen Konzils vom 28. Oktober 1965 die Juden von der vermeintlichen Schuld am Tode Jesu Christi frei. Die Verantwortung, gegenüber den Verbrechen des NS-Regimes weggesehen zu haben, und die Kollaboration des Heiligen Stuhls mit diesem hat bis heute auf der sozialen, politischen und kulturellen Ebene zu einem Bewusstsein geführt, sich ständig erneut mit dieser Thematik der Kirchenstaatsgeschichte auseinanderzusetzen – ob in der Fulda-

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erklärung von 1945 oder in der Nostra Aetate, beides Schuldeingeständnisse, in der Synode von Würzburg vom 22. November 1975, in der die Kirche ihr Schweigen gegenüber der Judenvernichtung während der NS-Zeit eingesteht, oder in der Botschaft vom 15. Januar 2005 von Papst JOHANNES PAUL II. anlässlich der Befreiung der KZ-Häftlinge von Auschwitz und Birkenau vor 60 Jahren, in der dieser dazu mahnte, die Tragödie der Shoa niemals zu vergessen.

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YAD VASHEM So bekennt der Heilige Stuhl beispielsweise öffentlich auf einer Gedenktafel in der Holocaust-Gedenkstädte Yad Vashem in Jerusalem PIUS’ moralisches Versagen und zeigt sich reuig. Dem Selbstverständnis des Heiligen Stuhls nach ist aber offensichtlich seit einiger Zeit dessen Mitverantwortung für die Verbrechen während dieser Zeit bereits so weit aufgearbeitet, dass das

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Seligsprechungsverfahren für ihn eröffnet wurde, welches immer noch andauert und öffentlich in heftiger Kritik steht. Wie an diesem Beispiel zu sehen ist, sind die Folgen des damaligen politischen Verhaltens des Heiligen Stuhls bis in die Gegenwart spürbar, vor allem dann, wenn es um Rechtfertigungsgründe dafür oder um PIUS‘ Seligsprechung geht.

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PERSÖNLICHE AUSEINANDERSETZUNG – zum ALLIIERTEN BOMBENANGRIFF „Das erste, was ich sehe, ist der Leichnam einer Ordensfrau, furchtbar zugerichtet. Dann zwei tote Kinder unter einem Marmortisch .... Mir zeigt sich ein furchtbares Bild von apokalyptischem Aus5

maß. Ein Bombenkrater neben dem anderen, Trümmer auf Trümmer, und Opfer, viele Opfer, überall. Beim Atmen spüre ich den Tod in meinen Lungen.“ So die Schilderung des Augenzeugens Giovanni ANTONAZZI über das Bombardement des Lago di Albano Castel Gandolfo, der päpstlichen Sommerresidenz und vorübergehenden Zu-

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fluchtsorts politischer Flüchtlinge, durch die Alliierten vom 10. Februar 1944 um etwa neun Uhr morgens. Der Heilige Stuhl war trotz aller Bemühungen und Verhandlungen daran gescheitert, dies zu verhindern. ANTONAZZI macht in seiner Schilderung deutlich, welche Endzeitstimmung von den dortigen Menschen empfunden wurde. Ich verwende seine Aussage hier beispielhaft, da sie symbo-

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lisch sein kann für das von allen Menschen während des Krieges empfundenen Leid. Er schildert: Eine Ordensfrau liegt „furchtbar zugerichtet“ am Boden, die Ordensfrau – auch im symbolischen Sinne – als beschützende Retterin ist selbst umgekommen. Mit ihr verliert sich jede Hoffnung der dortigen Menschen auf Rettung, wenn selbst Gottes Helfer und Vertreter auf Erden umkommen und der sprichwörtliche Tod die Szene betritt. Verstärkt wird dies dadurch, dass

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dabei außerdem Schutzbefohlene, nämlich Kinder, zu Tode gekommen sind. Zudem sind diese unter einem Marmortisch begraben worden; der (schwere) Marmortisch kann außer als Objekt auch symbolisch als die Schwere und die Last des Krieges betrachtet werden, die denjenigen erdrückt, der unter ihr begraben wird. ANTONAZZI steigert diesen Eindruck: Er spricht nicht von einem Kind, sondern von zwei Kindern, er spricht nicht von einem Bombenkrater, sondern von wel-

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chen nebeneinander, er verwendet den Begriff „furchtbar“ zwei Mal in Folge und das Wort „Trümmer“ anaphorisch (ebenfalls zwei Mal in Folge), und er steigert den Begriff „Opfer“ zu „viele Opfer“ (erneut zwei Mal genannt), die „überall“ verstreut herumliegen. Einem Klimax ähnlich steigert er hier seine Eindrücke. Seine Schilderung endet darin, dass er den Tod schließlich in seinen eigenen Lungen spürt. Damit untermauert er sein apokalyptisches Bild (wenn auch davon auszugehen

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ist, dass er nicht bewusst sprachliche Mittel verwendet hat), das sich während des Bombardements vor ihm – und sinnbildlich vor allen während des Bombardements Anwesenden – aufgetan hat, so dass er fühlt, der personifizierten Tod habe schon Besitz von einem Teil von ihm ergriffen. Eine GEDENKVERANSTALTUNG - 65 Jahre danach 65 Jahre danach wurde den Opfern des Bombardements am Ort des Geschehens mit einer

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Gedenkveranstaltung gedacht und Papst PIUS XII. Dankbarkeit ausgesprochen, dass er während dieser Zeit seine Tore für alle politischen Flüchtlinge geöffnet hat, um sie vor dem Terror und der Verfolgung durch die Nazis und italienische Faschisten zu schützen und zu retten. Wie ein Denkmal steht hierfür die „Associazione Vittime Bombardamenti ‚Propaganda Fide‘“ (Vereinigung der Opfer des Bombardements der Propaganda Fide) zur ewigen Erinnerung und Mahnung. 6

ZUSAMMENFASSUNG Meine Recherche hat ein sehr interessantes Bild vom Zwergstaat Vatikan ergeben: Zum einen von dessen Staatsbankrott 1928, über dessen Rettung und Gründung ein Jahr darauf ausge5

rechnet mit Hilfe des Atheisten und Faschisten Benito MUSSOLINI, zum andern vom beinahe tatenlose und hilflosen Zusehen, man könnte sagen, moralischen Verfall, des Heiligen Stuhls bzw. Papst PIUS XII. während der NS-Zeit bis zur späteren Aufarbeitung und zu Reuebekenntnissen. Das dadurch geprägte sehr negative Bild vom Vatikan, vor allem von Papst PIUS XII., hat sich nachhaltig und hartnäckig bis in die heutige Zeit gehalten. Berechtigterweise. Immer wieder

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tritt dieses in der Öffentlichkeit in Erscheinung, vor allem wenn es um PIUS’ Seligsprechung geht, die in krassem Gegensatz zu dessen überwiegend passivem Verhalten während der NS-Zeit steht, als dieser die Judendeportationen in Rom hinnahm und keine geeigneten Schritte zu deren Rettung und gegen die Nazi-Diktatur im Allgemeinen unternahm. Dennoch hat die Recherche gezeigt, dass PIUS durchaus ernsthafte Bemühungen, wenn auch lediglich sehr verhalten und verdeckt,

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nicht gänzlich unterlassen hat, er Rettungen sogar bewusst ermöglicht hat, indem er seine Einrichtungen und Klöster politischen Flüchtlingen als Zufluchtsort anbot, was etwa 4.000 Juden das Leben rettete. Die Vorwürfe gegen PIUS begründen sich aber dennoch darin, als moralische Instanz im Wesentlichen versagt zu haben; PIUS hat nicht seine vollen Möglichkeiten ausgeschöpft, Juden und andere politisch Verfolgte vor deren sicherer Vernichtung zu bewahren.

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Was bleibt, ist daher ein weiterhin sehr zwiespältiges Bild vom Heiligen Stuhl, von Papst PIUS XII. und vom zur Neutralität verpflichteten Vatikan, sowie vom Heiligen Stuhl als moralische Instanz und dessen nur verhaltenen Bemühungen, politisch Verfolgte vor der sicheren Vernichtung durch die Nazis zu retten. Noch heute versucht der Vatikan bzw. der Heilige Stuhl daher, sich für seine Vergangenheit während der NS-Zeit zu rechtfertigen und bekennt sich öffentlich zu seiner

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damaligen Verantwortung – er zeigt sich reuig.

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Ich versichere, dass ich die Arbeit selbstständig und lediglich unter Zuhilfenahme der im Folgen35

den aufgeführten Quellen angefertigt habe.

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Frankfurt am Main, den 08. Oktober 2012

Martin Müller

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Quellenangaben

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http://www.schulstiftung-freiburg.de/de/forum/pdf/pdf_199.pdf http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46265208.html http://de.wikipedia.org/wiki/Vatikanstadt http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45152309.html http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44906300.html

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http://de.wikipedia.org/wiki/Italienisch-%C3%84thiopischer_Krieg_(1935%E2%80%931936) http://www.dradio.de/dlf/sendungen/andruck/1393988/ http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_P%C3%A4pste http://de.wikipedia.org/wiki/Benito_Mussolini http://de.wikipedia.org/wiki/Risorgimento

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BMzLsgaFiIDABg&zoom=1&iact=hc&vpx=1202&vpy=162&dur=15&hovh=264&hovw=191&tx=70&ty=1 87&sig=113789700347652147445&page=1&tbnh=161&tbnw=123&start=0&ndsp=39&ved=1t:429,r:7,s: 0,i:147 http://www.zenit.org/article-17063?l=german http://de.wikipedia.org/wiki/Holocaust

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