Katja Herzke und Friedemann Schmoll. Warum feiern wir Geburtstag?

Katja Herzke und Friedemann Schmoll Warum feiern wir Geburtstag? Katja Herzke und Friedemann Schmoll Warum feiern wir Geburtstag? Mit Illustration...
Author: Insa Sternberg
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Katja Herzke und Friedemann Schmoll

Warum feiern wir Geburtstag?

Katja Herzke und Friedemann Schmoll

Warum feiern wir Geburtstag? Mit Illustrationen von Bernd Wiedemann

Deutsche Verlags-Anstalt

An diesem Tag ist alles anders

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eute ist ein besonderer Tag! Heute gehen Wünsche in Erfüllung. Auf den Tisch kommt nichts, was es alle Tage gibt, sondern das Lieblingsessen. Und nachmittags natürlich leckerer Kuchen. Freundinnen und Freunde kommen zu Besuch und bringen Geschenke mit. Heute ist alles anders – ausgelassener, fröhlicher, festlicher. Für vierundzwanzig Stunden sind fast alle Regeln außer Kraft gesetzt, vieles, was sonst verboten ist, ist heute erlaubt. Rund um die Uhr stehe ICH im Mittelpunkt: Ich feiere Geburtstag! Aber wieso eigentlich? Welchen Sinn hat es, dass ich, du, dass wir Geburtstag feiern? Mal abgesehen davon, dass es grundsätzlich schön ist, ein Fest zu feiern. Ganz einfach – wir feiern, dass wir leben! Und außerdem geht es darum, dass jeder von uns – du, deine Freunde, Nachbarn, jeder Mensch – einzigartig und unverwechselbar ist. Also feiern alle knapp sieben Milliarden Menschen auf der Erde den Tag, an dem sie geboren wurden? Irrtum – und sogar ein doppelter. Erstens kennen gar nicht alle Menschen auf der Erde das Geburtstagsfest. Und zweitens handelt es sich um einen ziemlich neuen Brauch. Zwar gab es vor über zweitausend Jahren in Griechenland und in Rom auch schon eine ähnliche Feier, aber der Sinn war doch ein anderer: Die Griechen und Römer haben dabei nicht sich selbst, die Tatsache, dass sie leben, gefeiert, sondern ihre Schutzgeister. Dass wirklich fast alle Menschen den Tag ihrer Geburt festlich begehen (Geburtstagsmuffel natürlich ausge-

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nommen ...), diese Tradition hat sich in Europa erst vor einigen hundert Jahren, um 1500, nach dem Ende des sogenannten Mittelalters, allmählich ausgebreitet. Was wir für »uralt« halten, ist in Wirklichkeit oft ziemlich jung, das gilt auch für das Geburtstagsfest. Zuerst waren es nur wenige, die es sich überhaupt leisten konnten, an ihrem Geburtstag nicht zu arbeiten, sondern ein Fest zu veranstalten. Reiche Adelige, die erstens Zeit und zweitens Geld besaßen, liebten großzügige Festlichkeiten, zu denen sie sich vom einfachen Volk feiern ließen. Im 18. Jahrhundert wurde dann ein privates Familienfest daraus, das aber immer noch nicht viele Menschen feierten. Erst im 19. Jahrhundert breitete sich der Brauch besonders in den Städten aus, während die Bauern auf dem Lande damit oft wenig anzufangen wussten. Sie übernahmen ihn so richtig erst im 20. Jahrhundert. Genau genommen ist es also noch nicht einmal hundert Jahre her, dass der Geburtstag wirklich ein Fest für alle wurde. Was uns heute selbstverständlich erscheint, ist es also gar nicht. Die Lust auf Geburtstagsfeiern liegt uns weder im Blut noch in den Genen. Dieser Brauch gehört zu den Festen und Ritualen, die sich jeder Mensch angewöhnt durch die Kultur, in der er lebt. Davon abgesehen braucht es auch noch ein paar Grundvoraussetzungen, damit der Geburtstag überhaupt zu einem Festtag werden kann. Vor allem muss das Leben eines jeden Menschen als wertvoll erachtet werden. Nur so wird der Beginn seiner Existenz, der Tag seiner Geburt, zum festlichen Anlass. Und dann gibt es noch eine ganz praktische Bedingung: Der Tag der Geburt

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muss als Datum bekannt sein! Das hört sich jetzt vielleicht merkwürdig an, aber obwohl die Menschen seit vielen, vielen Jahrtausenden auf der Erde leben, hat man erst in den letzten Jahrhunderten angefangen, die Geburts- und Lebensdaten jedes einzelnen Menschen zu erfassen und niederzuschreiben. Erst mit der Entstehung moderner Staaten entwickelte sich auch eine Verwaltung, die festhielt, wann ein Mensch geboren wurde, wie er hieß und wann er starb. Jetzt erst wurde die Unverwechselbarkeit jedes Einzelnen in einer Urkunde dokumentiert. Das Geburtsdatum und der Name machen jeden Menschen zu einer unverwechselbaren Person. In jeder Geburtsurkunde, in Zeugnissen und Verträgen garantiert die Kombination aus Name und Geburtsdatum: Verwechslung ausgeschlossen! Zu wissen, wann genau man geboren wurde, hilft also nicht nur, wenn man seinen Geburtstag feiern will.

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Warum nicht alles normal ist, was normal erscheint

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er türkische Schriftsteller Sinasi ¸ Dikmen erzählt in seiner lustigen Geschichte »Kein Geburtstag, keine Integration«, dass das, was viele vielleicht für »normal« halten, gar nicht so normal ist. Wer aus einem fremden Land stammt, in dem andere Gewohnheiten herrschen, hat es manchmal schwer – selbst mit dem Geburtstag. Sinasi ¸ Dikmen war vor vielen Jahren als junger Mann nach Deutschland gekommen und wunderte sich damals, dass hier der Tag der Geburt so eine ungeheure Wichtigkeit besaß. Offenbar war das ein typisch deutscher Tick: Überall musste er dieses komische Datum angeben – auf dem Einwohnermeldeamt, bei seinem Arbeitgeber oder wenn er einen Führerschein haben wollte. In jeder Behörde wurde sein Geburtstag in die Dokumente eingetragen. In seiner türkischen Heimat hingegen hatte man die paar Zahlen nicht so wichtig genommen. Was ihn nicht nur irritierte, sondern ärgerte – ständig bekam er von Freunden Einladungen zu Geburtstagspartys. Das war zwar schön, aber bald wurde es ihm peinlich, dass er selbst nie seinen Geburtstag feierte und Freunde dazu einlud. Schließlich hatte er sonst gern Gäste im Haus. Was sollten seine Freunde von ihm denken? Dass er ein Geizkragen war? Er konnte nur beim besten Willen niemanden zum Geburtstag einladen, da er den genauen Tag gar nicht wusste! »In meinem Reisepass steht zwar ein Datum, aber das wurde nur eingetragen, damit die Deutschen nicht meinen, dass ich noch nicht geboren bin.« In sei-

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ner Heimat war es damals üblich, in den Pass ganz einfach den ersten Tag des Monats einzutragen, in dem jemand geboren wurde. Weil auch dies nicht so genau genommen wurde und viele weder den Tag noch das Jahr ihrer Geburt genau kannten, haben sie einfach irgendeinen beliebigen Tag in den Pass eintragen lassen. Das waren schöne Zeiten, als die Beamten noch nicht alles haarklein und ganz genau wissen wollten! Traurig jedoch für Sinasi ¸ Dikmen. Denn dass er nicht wie seine Freunde in Deutschland Geburtstag feiern konnte, machte ihn irgendwie anders … Also begab er sich auf die Suche nach seinem Geburtstag. Bei einem Besuch in seinem türkischen Heimatdorf versuchte S¸ inasi herauszufinden, an welchem Tag genau er denn nun auf die Welt gekommen war. Er fragte fast alle seine Verwandten, Mutter, Onkel, Tanten – die mussten es doch schließlich wissen! Und tatsächlich: Jeder, den er fragte, besaß ganz lebendige Erinnerungen an diesen Tag, denn alle hatten sich damals sehr über seine Geburt gefreut. Seine Mutter erzählte ihm, dass an diesem Tag ein Bulle ausgebrochen war. Seine ältere Schwester erinnerte sich, dass sie sich mit ihrem jetzigen Ehemann verlobt hatte, und der Dorfälteste wusste noch ganz genau, dass an diesem Tag der Gouverneur zu Besuch gekommen war. Außerdem herrschte eine Riesenhitze, die beinahe nicht auszuhalten war. Jeder wusste eine schöne Geschichte zu dem Tag zu erzählen, an dem Sinasi ¸ geboren wurde. Aber niemand konnte das genaue Datum nennen – das waren schließlich nur ein paar Zahlen, ohne Bedeutung für das Leben im Dorf.

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S¸ inasi Dikmens Geschichte ist schon ein bisschen älter, er hat sie vor über dreißig Jahren aufgeschrieben. Er wollte mit der Erzählung über die vergebliche Suche nach seinem Geburtstag zeigen, wie unterschiedliche kulturelle Gewohnheiten Menschen einander fremd machen können. Mittlerweile nimmt man auch in der Türkei nicht nur in den Städten, die bei Neuerungen fast immer die Nase vorn haben, sondern auch in den meisten Dörfern den Geburtstag als Anlass für eine freudige Feier.

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Warum sind Feste wichtig?

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und um den Globus und in allen Kulturen gibt es Feste und Rituale, mit denen besondere Ereignisse im Leben auch besonders begangen werden: die Geburt von Menschen, ihre Taufe oder die Beschneidung, die Einschulung, die Volljährigkeit oder die Hochzeit. Sogar wenn jemand gestorben ist, verabschieden sich die Lebenden mit feierlichen Ritualen von den Toten. Es kann ja auch nicht alle Tage Alltag sein. Sonst wäre das Leben langweilig: eine ständige Wiederkehr des immer Gleichen. Allen Menschen auf der Erde ist gemeinsam, dass sie Feste und Rituale besitzen, mit denen sie die besonders wichtigen Ereignisse in ihrem Leben, schöne wie traurige, begehen. Aber in den Festen und Ritualen, die sie pflegen, unterscheiden sie sich auch voneinander. Der Brauch, den Geburtstag zu feiern, hat seinen Anfang in Europa genommen. Mit der Globalisierung jedoch hat er sich, wie so viele andere Dinge, die vorher

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nur in einer Gegend bekannt waren, rasant auf der ganzen Erde ausgebreitet. Es ist eben auch etwas Schönes, das Leben jedes einzelnen Menschen zu feiern.

Was bedeutet Globalisierung? Wer vor zweihundert Jahren mit der Kutsche von Berlin nach Potsdam gefahren ist, hat dafür einen Tag gebraucht. Dieselbe Zeit reicht heute locker, um mit dem Flugzeug von Frankfurt nach Tokio oder New York oder Kapstadt zu fliegen. Wenn vor hundert Jahren in Stuttgart ein Brief nach Indien abgeschickt wurde, dann hat es ein paar Wochen, vielleicht auch Monate gedauert, bis er dort angekommen ist. Heute braucht eine E-Mail nicht einmal ein paar Sekunden. Die zahlreichen technischen Erfindungen und die moderne Verkehrstechnik haben die Welt kleiner gemacht und die Menschen einander näher gebracht. Sie tauschen sich mehr aus, lernen dabei die anderen

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Kulturen kennen und übernehmen Gewohnheiten voneinander: Vorlieben beim Essen, der Kleidung oder der Musik – oder eben Feste. Globalisierung, das heißt die immer schnellere und weitläufigere Verbreitung von Waren und Ideen, bedeutet aber nicht immer nur eine Bereicherung. Mit der Angleichung der Lebensgewohnheiten droht auch Einfalt statt Vielfalt. Wenn sich die Menschen immer ähnlicher werden, weil alle dieselben Mahlzeiten essen, dieselbe Musik hören und dieselben Klamotten tragen, ist Langeweile garantiert.

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Warum haben Geburtstag und Namenstag nur auf den ersten Blick etwas gemeinsam?

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n vielen Gegenden wird nicht nur der Geburtstag, sondern auch der Namenstag gefeiert. Auch am Namenstag gibt es Geschenke, gutes Essen, Glückwünsche, und Wünsche gehen in Erfüllung. Aber bei allen Ähnlichkeiten gibt es doch auch einen gewichtigen Unterschied: Am Geburtstag wird an die jährliche Wiederkehr des Tages erinnert, an dem ein Mensch geboren wurde. Der Namenstag hingegen hat nur indirekt mit einem selbst zu tun. Nicht die eigene Person wird gefeiert, sondern der Namenspatron, nach dem man benannt wurde. Das mag die heilige Johanna sein, die heilige Katharina oder der heilige Nikolaus. Der Namenstag ist der Tag des Heiligen und die Feier des Namenstages daher auch ein religiöses Fest: Gefeiert

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wird die Aufnahme des Getauften in die Gemeinschaft der Gläubigen. Die katholische Kirche hat allerdings – und dies verwechseln viele – nicht den Tag der Geburt des Heiligen im Kalender eingetragen, sondern seinen Todestag. Nach der Vorstellung der katholischen Kirche bedeutet nämlich erst der irdische Tod den Eintritt in das ewige Leben und damit Erlösung. Und es gibt noch einen kleinen, aber wichtigen Unterschied: Namenstage werden nicht gezählt. Durch sie wird immer wieder neu und völlig unabhängig vom Alter dasselbe in Erinnerung gerufen: die Zugehörigkeit zur Kirche. Beim Geburtstag feiern wir den Eintritt in ein neues Lebensjahr und machen uns damit auch das Fortschreiten des Lebens, unser Heranwachsen und

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Altern bewusst. Hinter den beiden Festen verbergen sich also auch unterschiedliche Auffassungen von Zeit. Der Geburtstag folgt einer »linearen« Zeitrechnung, wie Wissenschaftler das nennen. Das heißt, wir stellen uns die Zeit wie eine fortschreitende Linie vor, auf der die aufeinanderfolgenden Geburtstage das Älterwerden wie Kerben anzeigen. Der Namenstag folgt einer »zyklischen« Zeitvorstellung. »Zyklus« bedeutet Kreislauf. Das heißt: Was am Namenstag gefeiert wird, bleibt immer gleich und kehrt immer wieder – so wie der Winter oder die Sommerferien.

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Wer feiert Geburtstag und wer Namenstag?

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nders als der Namenstag, den die Katholiken feiern, ist der Geburtstag nicht an eine bestimmte Religion gebunden. Jeder kann ihn feiern, katholische Christen, evangelische Christen, Muslime, Juden, Hindus und all die Menschen, die keiner Religion angehören. Das ist sicher auch ein Grund, warum sich das Fest über den ganzen Erdball verbreitet hat. Um zu verstehen, wieso manche Namenstag und andere Geburtstag feiern, müssen wir kurz weit in die Geschichte zurückschauen. Im 16. Jahrhundert waren viele Christen unzufrieden mit der katholischen Kirche, und sie gründeten wie der Mönch Martin Luther eigene Kirchen. Sie fanden, dass sich die Kirche als Ver-

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mittler zwischen Gott und den einzelnen Menschen nicht so wichtig nehmen sollte. Zwischen ihnen und Gott brauchte es keinen mächtigen Papst und keine Bischöfe. Und sie wollten auch keine Heiligen als Vorbilder, die Heiligenverehrung mit all den Fest- und Feiertagen behagte ihnen nicht. Deshalb war den Pro-

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testanten, wie sie genannt wurden, auch der Namenstag nicht mehr so wichtig. Stattdessen fingen sie damit an, lieber den Geburtstag zu feiern. Die katholische Kirche empfand es als »sündhaft«, sich selbst wichtiger zu nehmen als die Heiligen, deren Leben man nacheifern sollte. Für Katholiken war der Geburtstag daher lange Zeit zweitrangig, und viele feierten überhaupt nur den Namenstag. Weil die Protestanten auch nach außen hin deutlich machen wollten, dass sie sich von den Katholiken unterschieden und »anders« waren, suchten sie sich andere Feste und Rituale, und dazu gehörte der Geburtstag. Heute hat sich der Geburtstag unabhängig von der Religion allgemein durchgesetzt. Aber bis er tatsächlich zu einem Festtag für alle wurde, sollte viel Zeit vergehen. Wie unterschiedlich Geburts- und Namenstag noch vor gar nicht so langer Zeit von Katholiken und Protestanten gefeiert wurde, zeigte sich übrigens beim 80. Geburtstag von Papst Benedikt am 16. April 2007. Aus diesem Anlass erinnerte die »Katholische Nachrichtenagentur« an die Kindheit Benedikts in Bayern und berichtete, dass die Mutter des Papstes nie zum Geburtstag, aber immer am Namenstag für Benedikt einen Kuchen backte. Aber seinen 80. Geburtstag hat er in Rom ganz groß mit Tausenden von Gästen und vielen Gottesdiensten begangen. Sogar eine eigene Messe hatte man für ihn komponiert!

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Wie kommen Menschen überhaupt zu ihren Namen?

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etzt haben wir so viel über den Namenstag geredet, dass sich da natürlich noch eine andere Frage aufdrängt: Wie sucht man eigentlich die Namen für seine Kinder aus? Heute gibt es dafür nicht mehr so viele Regeln wie früher, als man sich stark an religiösen Traditionen orientierte. Die Freiheiten und Wahlmöglichkeiten sind enorm gewachsen. Die meisten Vornamen sind viel älter als die Nachnamen und stammen aus germanischer, griechischer oder römischer Zeit. Viele Namen aus dem Germanischen wie Siegfried, Brünhilde, Kunigunde oder Eberhard haben etwas mit Stärke, Mut, Kraft, Tapferkeit oder Krieg zu tun. Oft aber erhielten Kinder die Namen von wichtigen Personen aus dem Alten oder Neuen Testament oder von den Heiligen des Kirchenkalenders – Martin, Andreas oder Johannes zum Beispiel und die Mädchen entsprechend Martina, Andrea oder Johanna. Das hat sich schon lange geändert. Kinder werden nach den Großeltern benannt oder nach anderen Verwandten und lieben Freunden, an die erinnert werden soll. Und natürlich ist die Namensgebung auch von Moden abhängig. Als in Deutschland um 1900 noch Kaiser und Könige regierten und diese Wilhelm oder Friedrich hießen und ihre Frauen Charlotte oder Pauline, da gab es auch im Volk sehr viele Wilhelms und Charlottes. Mal war es Mode, Kinder nach Helden aus der Geschichte, mal nach berühmten Frauen und Männern der Gegenwart zu benennen. Heute ist das nicht

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anders. Da häufen sich die Namen von Stars aus Film, Musik oder Sport. An die Namen, die Eltern ihren Kindern geben, knüpfen sich dabei oft bestimmte Vorstellungen. Der Name soll Glück bringen oder Ansporn sein, dem Vorbild nachzueifern. Oder das Kind soll einmal so werden, wie es die Bedeutung des Namens vorgibt. Ein Name kann deshalb allerdings auch zur Bürde werden. Stell dir vor, du würdest »Friedemann« heißen, dann erwar-

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ten doch alle, dass du besonders friedlich bist und deinem Namen immerzu alle Ehre machst – nämlich Frieden zu stiften. Ein »Friedemann«, der ausflippt und vor Wut schreien und um sich hauen möchte, das passt schlecht zusammen. Im Prinzip besitzen die Eltern die Freiheit, ihre Kinder so zu nennen, wie sie wollen. Die Namensgebung ist schließlich Privatsache, da soll der Staat nicht reinreden. Auf der anderen Seite muss der Staat dafür Sorge tragen, dass mit der Namensgebung kein Unfug getrieben wird, unter dem die Kinder ihr Leben lang leiden. Schließlich wäre es ja schon mehr als komisch, wenn jemand sein Kind »Kleindoofi«, »Nimmersatt«, »Tokio Hotel« oder »Pumuckl« nennen würde. Um das zu verhindern, müssen Standesbeamte darauf achten, dass nur solche Namen verwendet werden, die auch üblich und gebräuchlich sind. Aber was »üblich und gebräuchlich« ist, das kann sich von Land zu Land durchaus unterscheiden. In Deutschland ist es zum Beispiel verboten, ein Kind »Jesus« oder »Christus« zu nennen. In Spanien und Griechenland sind das dagegen sehr gebräuchliche Vornamen. Nicht selten wollen sich Leute nicht damit abfinden, dass sie nicht den Namen tragen dürfen, den sie sich wünschen. Im Jahr 2007 hat ein bulgarischer Fan des englischen Fußballclubs Manchester United vor den Gerichten seines Landes gefordert, dass er mit Vornamen »Manchester« und mit Nachnamen »United« heißen darf. Immerhin hat er einen Teilerfolg erzielt. In seinem Pass steht jetzt wirklich als Vorname »Manchester«. Er hat aber noch nicht aufgegeben und will auch seinen Nachnamen ändern

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lassen, damit er endlich wie sein Lieblingsverein »Manchester United« heißt.

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Wie entstand die Landkarte für Geburtstage?

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m Jahre 1930 hatten »Volkskundler« eine Idee. »Volkskunde« ist übrigens ein altmodischer Name für die Wissenschaft, die sich mit dem eigenen Volk beschäftigt und alles Wissenswerte über dessen Geschichte, Kultur und Alltag sammelt und analysiert. Also, diese Volkskundler wollten vor fast achtzig Jahren herausfinden, wie die Leute in Deutschland eigentlich »ticken« – wie sie leben, arbeiten, was sie essen, wie sie ihre Häuser bauen, was sie glauben, fühlen und denken, welche Feste sie feiern und was sonst eben so zu ihrem Leben gehört. Sie interessierten sich für ziemlich alles – Wichtiges und scheinbar Unwichtiges. Um an die Informationen zu kommen, tüftelten sie Fragebögen aus und schickten diese an Leute in über zwanzigtausend Orten in Deutschland. Die Ergebnisse ihrer Befragungen haben sie dann in so etwas wie Landkarten verzeichnet, woraus schließlich der »Atlas der deutschen Volkskunde« entstand. Und siehe da: Die Volkskundler haben sich auch brennend für Geburts- und Namenstage interessiert! Frage Nummer 11 in ihrem endlosen Fragenkatalog sollte ermitteln, wo üblicherweise Geburtstag und wo

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Namenstag gefeiert wurde. Daraus wurde eine sogenannte Verbreitungskarte angefertigt, die zeigt, wie sich die Antworten über Deutschland verteilten. Die Ergebnisse waren ganz aufschlussreich. Die Volkskundler haben nämlich herausgefunden, dass fast überall eine strikte Entweder-oder-Regel wirksam war – entweder war es üblich, aus dem Geburtstag ein Fest zu machen oder aber aus dem Namenstag. Nur in den Großstädten und großen Industrieregionen wie dem Ruhrgebiet hatte diese Faustregel ihre Gültigkeit verloren. Hier waren die Leute schon moderner und feierten zuweilen sogar beides. Außerdem gab es auf dieser Karte untrügliche Anzeichen dafür, dass sich langsam der Geburtstag durchsetzte und den Namenstag verdrängte. Sonst aber galt fast uneingeschränkt: Dort, wo in der Mehrheit Katholiken wohnten (also zum Beispiel in Bayern oder im Rheinland), wurde fast nur der Namenstag gefeiert. Und wo es mehr Protestanten gab (in Norddeutschland, Thüringen oder Sachsen), war ausschließlich der Geburtstag als Ehrentag üblich. Wenn man bedenkt, dass das gerade einmal achtzig Jahre her ist, hat sich in der Zwischenzeit wirklich ganz schön viel verändert. So ähnlich war das übrigens auch in anderen Ländern. Ein skandinavischer Wissenschaftler namens Ilmar Talve hat vor fünfzig Jahren die Verbreitung des Geburtstages in Finnland erforscht. Dabei machte auch er die Beobachtung, »dass das Feiern des Geburtstages früher allgemein selten war, während dann eine entscheidende Änderung eintrat, die auch in Finnland die Geburtstagsfeier neben, stellenweise sogar vor die Namenstagsfeier treten ließ«.