Januar 2016

IdeenBotschafter - Aktuelle Stunde 001/ 01- 2016 Lageentwicklung und Debattenkultur im Wochenrückblick Aktuelle Stunde „Flüchtlingsfragen“ – I/ 21.-...
Author: Adrian Ritter
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IdeenBotschafter - Aktuelle Stunde 001/ 01- 2016

Lageentwicklung und Debattenkultur im Wochenrückblick

Aktuelle Stunde „Flüchtlingsfragen“ – I/ 21.-28. Januar 2016 Teilnehmer dieser Sitzung: Matthias Naumann, A. Alzubeidi, Andreas Wagner, … Profit, Jörg Probst

Ikon der Woche: Irrtümliche Todesanzeige für einen angeblich wegen Unterversorgung gestorbenen syrischen Asylbewerber aufgrund der bewussten Falschmeldung eines freiwilligen Flüchtlingshelfers, LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) Berlin Moabit, 27. Januar 2016. – Webeintrag 2016.

Zusammenfassung Moldawien, Brasilien, Irak und die Bundesrepublik waren die Blickrichtungen, aus denen heraus die Aktuelle Stunde am 28. Januar Beobachtungen zur Flüchtlingsproblematik in Europa sammelte. Die herausragenden Ereignisse der zurückliegenden Woche – der Brief Horst Seehofers an die Bundeskanzlerin, der beginnende Landtagswahlkampf der AfD und die gefälschte Meldung eines Todesfalls am Berli1

ner LaGeSo – führten zum Problem der Symbolpolitik und der medialen Vermittlung von Migration als globalpolitischer Aufgabe als Schwerpunkten der Diskussion. Moldawische/ rumänischen Medien (… Profit) -

Bewerten Anrainerstaat der „Balkanroute“ wie Rumänien und Moldawien die Flüchtlingsbewegung ähnlich emotional und schwankend wie Medien und politische Vertreter in den Zuwanderungs- und Durchgangsstaaten?

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Sind deutsche Debatten über Zuwanderung von Sinti und Roma Hintergrund der Berichte in dieser Region zur Flüchtlingsproblematik?

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Erinnert man sich in dem Zusammenhang an die Kontroverse in der Bundesrepublik um die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürger der EU-Staaten Bulgarien und Rumänien Anfang 2014 in diesen aktuellen Berichten?

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Das Verhalten vor allem der CSU in der Diskussion von 2014 um die Arbeitnehmerfreizügigkeit zeigt, dass die Flüchtlingspolitik konservativer Partien in der Bundesrepublik von grenzen- und gruppenbezogenen Denk- und Wahrnehmungs-mustern geprägt wird, anstatt auch oder gerade in Ausnahmesituationen wie dem besonders starken Andrang von Flüchtlingen nach Möglichkeiten zu suchen, die humanitäre Einzelfallprüfung aufrecht zu erhalten.

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Zusammenhänge zwischen Migration und Globalisierung bzw. die Flüchtlingsproblematik als globalpolitische Aufgabe diskutieren moldawisch/ rumänische Medien offenbar nicht.

Südamerikanische bzw. spanische Medien (Alena Profit Pachioni) -

26.01.2016 – Agencia O Globo (Brasilien) Titel: Dinamarca ignora críticas e vota proposta para confiscar bens de imigrantes/ Dänemark ignoriert Kritik und stimmt über Vorschlag zur GüterBeschlagnahmung der Flüchtlinge ab Auszug: „Trotz der Proteste internationaler Menschenrechtsorganisationen wird das dänische Parlament am Dienstag über eine polemische Reform zur Einschränkung der Einwanderung abstimmen. Zu den am stärksten kritisierten Reformen zählen die Güter-Beschlagnahmung der Flüchtlinge, die Beschränkung der sozialen Rechte der Reisenden und die Verlängerung der Aussetzung von Familienzusammen-führungen bis zu drei Jahre...“ 2

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26.01.2016 –Estado de São Paulo (Brasilien) – Kommentar der Berlinkorrespondentin Titel: Refugiados passando fome mostra o fracasso do Senado de Berlin/ Das Hungern der Fluechtlinge verdeutlicht die Schwaeche des Berliner Senats Auszug: „Twitter und die nationalen Medien sind voller Beiträge über das renitente Scheitern des Berliner Senats. Die Streitigkeiten zwischen CDU und SPD ... scheinen ein Kollisionskurs zu sein ... Hungern zu müssen, ist an und für sich schon grausam. Wenn dies aber in dem reichsten Land Europas passiert, ist dies infam ... Das Land, welches alle Kraft besaß, Griechenland zu retten, oder besser: die Banken der Eurozone, liefert die Flüchtlinge in der Hauptstadt der groben Verteilungspolitik eines offensichtlich obsoleten Systems aus, welches nach mehr als sechs Monaten seit Beginn der Flüchtlingskrise keine Taskforce einrichten kann, um dieses Problem menschenwürdig zu lösen. In diesen Tagen ist die wichtigste Frage in Berlin nicht die, ob der Geflüchtete eine 'Bleibeperspektive' hat oder nicht ... die Priorität ist jetzt, eine warme Mahlzeit pro Tag zu gewahrleisten.“ –

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27.01.2016 – El Clarin (Argentinien) Titel: Europa presiona a Grecia para que frene el paso de refugiados/ Europa setzt Griechenland unter Druck, Fluechtlinge zu bremsen Auszug: „...Die Warnung Brüssels ist sehr einfach. Griechenland muss den Zugang der Flüchtlinge zum Rest des Kontinents blockieren. Dies ist die Art der Hauptstadt des Nordens (Europas) – unfähig, die Flüchtlingskrise und die Angst der Regierenden vor dem Wachstum der ultrarechten Parteien zu managen - Griechenland in der Krise allein zu lassen, als wäre es ein nationales und kein europäisches Problem. Falls Griechenland weiterhin tausend Personen pro Tag empfängt und nichts tun kann, damit diese Richtung Norden weiterreisen können, würde dies ... zu einem großen Konzentrationslager führen ... in einem 11 Millionen Einwohnerland, ohne Geld und abhängig vom Geld seiner Gläubiger, in seinem siebten Rezessionsjahr, einer 25% Arbeitslosenquote und einer wachsenden Neonazipartei. Europa tut alles, um Griechenland weiterhin auch physisch zu isolieren. Der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker schickte einen Brief an den slowenischen Premierminister Miro Cerar, um für Unterstützung der Idee zu werben, dass 3

Mazedonien, welches kein EU Mitgliedsstaat ist, mit europäischer Hilfe seine Südgrenze zu Griechenland schließt – mit einer Mauer wenn nötig.“ -

27.01.2016 - El Pais (Spanien) – Kommentar Titel: Europa contra Merkel/ Europa gegen Merkel Auszug: „Merkel nähert sich dem Abgrund. Sie wird dazu gedrängt, von einigen aus Überzeugung, weil sie nicht die humanistische und großzügige Vision Europas teilen, welche in der Flüchtlingskrise gezeigt wurde, und andere aus Ambition, weil nichts die … Instinkte der Politiker stärker weckt als der Blutgeruch eines taumelnden, seine Macht verlierenden Führers … Die europäische Politik zerbricht in Scherben ....Wo sind wir, wenn Verteilungsquoten ... vereinbart werden und es europäische Grenzwachen gibt? Von diesem Ungleichgewicht profitiert der Populismus. Es sind weniger als drei Monate vergangen, seitdem wir wissen, dass die Terroristen von Paris sich unter die Flüchtlingsströme gemischt haben; Silvester wurde zu einer Orgie der sexuellen Gewalt gegen Frauen und es häufen sich die wahrhaftigen oder vielleicht auch erfundenen Berichte der sensationalistischen Medien über Flüchtlinge, die Strafakte begehen.“

Deutsche Medien (alle Teilnehmer) -

Symbolpolitik im Streit um die Flüchtlingsfrage problematisieren Medien durch bemerkenswert intensive kritische Diskussionen über Sinn und Zweck des am 26. Januar 2016 von Horst Seehofer an Angela Merkel verschickten Briefes als schriftliche Zusammenfassung eigener Positionen in der Flüchtlingsfrage.

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Die Entscheidung der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer vom 22. Januar 2016, an der so genannten „Elefantenrunde“ des SWR mit allen chancenreichen Parteien zum Wahlkampfauftakt in dem Bundesland bei Einladung an die AfD nicht teilzunehmen, ist eher ein Eigento; dadurch werden populistische Ressentiments über die „Abgehobenheit“ der „politischen Klasse“ unfreiwillig gestärkt.

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Die globalpolitischen Zusammenhänge von Migration werden in der aktuellen Flüchtlingsdebatte zu wenig thematisiert; auch das spielt nationalkonservativen oder national-völkischen Parteien und Bewegungen, die sich als Alternativen zu globalpolitischem Denken begreifen und daher auf NUR glo4

balpolitisch zu bewältigende Herausforderungen (Migration, Ressourcenverteilung, Klimaschutz) Antworten und Lösungen schuldig bleiben, in die Hände. -

Sind medienkritische Debatten über symbolische Kommunikation für die so genannte „breite Masse“ zu intellektuell, stellen kritische Betrachtungen darüber, WIE kommuniziert wird, überhaupt ein Korrektiv zu populistischen Strömungen dar?

Irakische Medien (A. Alzubeidi) -

Kampagnen in iranischen Zeitschriften und im Fernsehen sollen Iraker vom Verlassen des Landes abhalten (Berichte über Bedingungen in den Flüchtlingslagern, keine Geschlechtertrennung in den Heimen).

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Der zu geringe Anteil der arabischen Länder bei der Aufnahme von Flüchtlingen wird debattiert.

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Die massenhafte Begegnung von Migranten mit der westlichen Kultur löst in den Heimatländern keine verstärkte politische Debatte über Demokratie und Pluralität aus.

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Der hauptsächliche Fluchtgrund für Iraker ist der IS, daher ist auch die innenpolitischen Debatte vom Kampf gegen den IS bestimmt.

Fragen und Perspektiven (alle Teilnehmer) -

Haben Flüchtlinge eine hinreichend große Lobby in der Flüchtlingsdebatte? Nicht nur ÜBER, sondern vor allem MIT Flüchtlingen zu sprechen, würde eine repräsentative Vertretung der Flüchtlinge erfordern, die wegen der Disparatheit der Herkunft und der damit zusammenhängenden wechselseitigen Differenzen durch Herkunft und Religion nur schwer möglich ist. Als Vertreter von Flüchtlingsinteressen stehen NGOs mitunter in Rivalität zueinander.

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Lohnt die vergleichende politologische und medienkritische Untersuchung der Strategien und Taktiken, mit denen Menschen zur Flucht ermuntert (etwa durch Schlepper) oder abgehalten (z.B. durch staatliche Medien in den Herkunftsstaaten bzw. in den nicht aufnahmewilligen Zielländern wie Ungarn), um die Flüchtlingsproblematik besser einschätzen zu können?

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Aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit der politischen Kommunikation in der Flüchtlingskrise wäre die Funktion bzw. Funktionsfähigkeit von Symbolpolitik und des so genannten „Zeichen-Setzens“ in Ausnahmesituationen zu überprüfen.

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