Ist- Vergleich von Konstruktionsdaten

Probandenversuche zum Augmented Reality basierten Soll/IstVergleich von Konstruktionsdaten Dipl.-Ing.-Inf. Christian Bade1),2) Zhixin Zhang1),3) Dipl....
Author: Helene Wolf
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Probandenversuche zum Augmented Reality basierten Soll/IstVergleich von Konstruktionsdaten Dipl.-Ing.-Inf. Christian Bade1),2) Zhixin Zhang1),3) Dipl.-Ing. (FH) Fabian Doil1) Dipl.-Wirtsch.-Ing. Andreas Hoffmeyer1),2) Priv.-Doz. Dr. med. habil. Irina Böckelmann2) Prof. Dr.-Ing. habil. Georg Paul2) 1) Volkswagen AG Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg 2) Otto-von-Guericke Universität Magdeburg Universitätsplatz 2, 39106 Magdeburg 3) Technische Universität Clausthal Adolph-Roemer-Straße 2A, 38678 Clausthal-Zellerfeld Tel: +49 5361-9-72243 | 17016 | 49089 | 24697 +49391-67-11392 | 15059 Fax: +49 5361-957-72243 Email: [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected]

Zusammenfassung Der Beitrag präsentiert die Ergebnisse eines Forschungsvorhabens, durch welches anwendungsbezogene Fragestellungen zum Einsatz eines fotobasierten Augmented Reality (AR) Systems für den Soll/Ist-Vergleich von Konstruktionsdaten untersucht wurden. Hauptziele waren die Potentialanalyse der AR-Technologie sowie die Untersuchung von Abhängigkeiten der Datenaufnahme, dem Erfahrungswissen der Anwender und der Qualität der Vergleichsergebnisse. Darüber hinaus sollte die subjektive Beanspruchung der Nutzer beim Einsatz des AR-Systems analysiert werden. Um diese Ziele zu erreichen wurde eine Studie durchgeführt, bei der 15 Probanden freiwillig in einer hierfür konzipierten Versuchsumgebung einen fotobasierten ARSoll/Ist-Vergleich absolvierten. Vergleichs- und Beobachtungsprotokolle dienten zur Dokumentation von Prozessparametern, während durch die Eigenzustandsskala das Befinden der Probanden vor und nach dem Versuch eruiert wurde.

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Im Ergebnis stellte sich heraus, dass sich die Technologie grundsätzlich zur Erkennung aller Arten der untersuchten geometrischen Abweichungen eignet, jedoch erhebliche Unterschiede bei deren Erkennungsgrad bestehen. Schlüsselwörter Augmented Reality, Soll/Ist-Vergleich, Probandenversuch, Industrielle Anwendung, Digitale Fabrik

1

Augmented Reality und die Digitale Fabrik

Mit Hilfe der Digitalen Fabrik werden Gebäude, Anlagen, Werkzeuge, Produkte und Prozesse virtuell abgebildet und verändert. Da diese virtuellen Daten die Grundlage für die jeweils folgenden Aktivitäten oder Arbeiten in der realen Fabrik sind, muss sichergestellt sein, dass sie diese stets korrekt abbilden. Geben die Daten der Digitalen Fabrik die Realität nicht korrekt wieder, dann basieren alle folgenden Planungsaktivitäten auf fehlerhaften Daten, was zu Planungsfehlern führen kann. Hieraus leitet sich die Forderung nach einem Werkzeug für den einfachen Abgleich zwischen Realität und virtuellen Daten ab [Sch08]. In zahlreichen Arbeiten wurde Augmented Reality (AR) als probates Werkzeug zur Durchführung von Soll/Ist-Vergleichen identifiziert ([PBDM07], [GSB+07], [BH08]). Durch AR lassen sich virtuelle dreidimensionale Daten in Fotografien und Videos der realen Umgebung positionsgenau einblenden. Die Realität wird mit dem virtuellen Modell des Gebäudes, der Anlage oder des Produkts überlagert. Stimmen die Positionen und Geometrien der virtuellen und realen Komponenten überein, gibt das Modell die Realität exakt wieder. Werden Abweichungen (vgl. Kap. 3.1.3) erkannt, so können diese in der Planungsphase berücksichtigt werden. Das steigert die Planungssicherheit, wodurch weniger Änderungen und Optimierungen während der Aufbausphase einer Anlage notwendig sind. Bild 1 stellt diesen Zusammenhang grafisch dar. Fabrikplanung ohne Soll/ Ist Vergleich

Fabrikplanung mit Soll/ Ist-Vergleich

Planung

Maßnahme

Optimierung durch Umbau- und Änderungsarbeiten

Soll/ Ist-Vergleich Planung

Maßnahme

Zeit / Kosten

Bild 1:

Potential von Soll/Ist-Vergleichen in der Fabrikplanung

Probandenversuche zum AR basierten Soll/Ist-Vergleich von Konstruktionsdaten

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Eine Vielzahl von Pilotprojekten, die mit der AR-Technologie durchgeführt wurden, lassen das Potenzial der Technologie für diesen Anwendungsfall deutlich erkennen. Bisher existiert jedoch noch kein konkretes Wissen darüber, welche Soll/IstAbweichungen sich durch den AR-Einsatz wie gut erkennen lassen. Fotobasiertes Augmented Reality System für die Fabrikplanung Die Volkswagen AG arbeitet seit 2003 an der Entwicklung eins AR-Planungssystems, welches sich für industriellen Einsatz eignet. Ausgangsbasis war eine mobile, videobasierte Lösung, die sukzessive an die industriellen Anforderungen angepasst wurde. Daraus ging ein stationäres, fotobasiertes AR- System hervor, welches heute prototypisch eingesetzt wird [PBDM07]. Das gegenwärtige Setup nutzt optisches Markertracking [MLGN00]. Spezielle Markeradapter für den industriellen Einsatz ermöglichen eine schnelle Registrierung zwischen Realität und virtuellen Objekten [PBR+08]. Als Erfassungssystem dient die digitale Spiegelreflexkamera D200 von Nikon mit einer optischen Auflösung von 12 Megapixeln. Als Mischsystem zur Generierung der AR-Inhalte kommt die Software Roivis der Firma metaio zum Einsatz. Die Ausgabe der augmentierten Szene erfolgt monitorbasiert wahlweise auf einem Laptop oder auf einem Desktop PC. Bild 2 stellt schematisch das Funktionsprinzip dieses AR-Setups dar.

Bild 2:

2

Funktionsprinzip - fotobasiertes AR-System

Handlungsbedarf - Ziele der Studie

In einer Probandenstudie zum Anwendungsfall "Soll/Ist-Vergleich von Konstruktionsdaten" sollten das Potential der AR-Technologie ([PBDM07]) nachgewiesen und wenn möglich quantitativ bestimmt werden. Aufgabe der Probanden war es, einen ARbasierten Soll/Ist-Vergleich durchzuführen, um Abweichungen zwischen einem realen

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Objekt und den zugehörigen Konstruktionsdaten zu erkennen. Im Rahmen dieser Probandenstudie sollten folgende Fragestellungen untersucht werden: 1.

Welche Arten von Abweichungen lassen sich mit der Augmented Reality Technologie identifizieren?

2.

Gibt es bestimmte Arten von Abweichungen, die sich mit der Technologie besonders gut bzw. schlecht erkennen lassen?

3.

Wie groß ist das durchschnittliche Datenvolumen (die Anzahl von Fotos), das bei einem Soll-/Ist-Vergleich aufgezeichnet wird? Existieren dabei Unterschiede zwischen erfahrenen und unerfahrenen Anwendern?

4.

Gibt es Abhängigkeiten zwischen der Anzahl der Aufnahmen vom Untersuchungsobjekt und der Anzahl der erkannten Abweichungen?

5.

Welche der zur Verfügung stehenden Analysefunktionen des AR-Systems werden für die Identifikation von Abweichungen tatsächlich eingesetzt?

6.

Wie wirkt sich die Erfahrung im Umgang mit dem AR-System auf das Ergebnis des Soll/Ist-Vergleichs aus? In diesem Zusammenhang sollte analysiert werden, ob bei unerfahrenen Anwendern Lerneffekte während der Untersuchung auftreten.

Weiterhin sollten im Rahmen der Probandenstudie die motivationale Auswirkung des AR- gestützten Vergleichsprozesses auf die Anwender untersucht werden, um Aussagen zur Mehrbelastung bzw. zur Akzeptanz der Technologie abzuleiten.

3

Probanden und Methodik

Insgesamt nahmen 12 männliche und 3 weibliche Personen (Durchschnittsalter 29,07 ± 2,05 Jahre) freiwillig an der Untersuchung teil. Es wurde zwischen zwei Gruppen unterschieden. Sieben Probanden gehörten der Gruppe der erfahrenen Anwender an, welche im Umgang mit dem zur Verfügung gestellten AR-System vertraut waren. Acht Probanden hatten keine Erfahrungen mit dem AR-System. 3.1

Versuchsaufbau

Für die Versuche wurde eine Versuchsumgebung aufgebaut, welche einem industriellen Einsatzszenario der Anlagenumplanung einer Karosseriebauvorrichtung in der Automobilindustrie ähnelt. Um die Ergebnisse vergleichbar zu machen, war das Szenario für alle Probanden identisch. Bild 3 zeigt das Versuchsszenario, das in einer Werkhalle aufgebaut wurde, um den Einsatz im Produktionsumfeld zu simulieren. Es umfasste eine Fläche von 7,5m * 5m und beinhaltete eine Karosseriebauvorrichtung, einen Schreibtischarbeitsplatz für die

Probandenversuche zum AR basierten Soll/Ist-Vergleich von Konstruktionsdaten

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Versuchsbetreuung und einen Schreibtischarbeitsplatz für die Probanden, an dem das AR-System inkl. Kamera und Konstruktionsdaten zur Verfügung gestellt wurden.

AR-PC Protokoll Kamera

Vorrichtung

Arbeitsplatz Proband

BeobachtungsProtokoll

Arbeitsplatz Betreuer

Bild 3:

3.1.1

Versuchsaufbau schematisch (links) und real, aus Perspektive eines Probanden (rechts) Die Referenzvorrichtung

Bei der zu untersuchenden Vorrichtung (vgl. Bild 4) handelte es sich um eine Spannvorrichtung aus dem Karosseriebau. Die Abmessungen (B/L/H) betrugen 1,5m x 2,2m x 1,1m. Die Vorrichtung bestand im Wesentlichen aus einer Grundplatte auf Rädern, 20 Aufbauelementen (Zentriervorrichtungen und Spanner) sowie Elementen zur Medienversorgung (Pneumatikschläuche, Anschlüsse und Kabelkanal).

Bild 4:

Referenzvorrichtung, Spannvorrichtung aus dem Karosseriebau

An der Vorrichtung und in unmittelbarer Umgebung wurden vor der Untersuchung insgesamt zwölf optische Marker befestigt. Die Positionen wurden so gewählt, dass es für die Probanden möglich war, für jede beliebige Perspektive beim Fotografieren mindestens einen Marker abzubilden.

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Um für alle Probanden gleiche Versuchsbedingungen zu schaffen, wurden die Markerpositionen während der gesamten Studie nicht mehr verändert. Die für den Soll/IstVergleich notwendige Registrierung zwischen Realität (Markerkoordinatensystemen) und dem virtuellen Konstruktionskoordinatensystem der Referenzvorrichung sowie die Kalibrierung der Versuchskamera waren nicht Bestandteil des Probandenversuches. Diese Schritte wurden im Vorfeld eines Versuchs durch die Versuchsbetreuung durchgeführt. 3.1.2

Analysefunktionen des AR-Systems

Das AR-System stellte den Probanden diverse Softwarewerkzeuge zur Verfügung, mit denen die AR-Szene analysiert werden konnten. Tabelle 1 listet diese Analysewerkzeuge auf und liefert jeweils eine kurze Beschreibung. Tabelle 1:

Analysefunktionen des AR-Systems

Funktion

Beschreibung

1. Geometrien ein- und ausblenden

Einzelne virtuelle Objekte können in der AR-Szene sichtbar oder unsichtbar gesetzt werden.

2. Schnittebenen

Schnittebenen können im Szenario frei erzeugt und positionierte werden. Sie trimmen virtuelle Geometrien.

3. Verschiebung (Translation/Rotation)

Virtuelle Objekte können in der AR-Szene beliebig positioniert werden.

4. VR-Modus

Freie Navigation im VR-Szenario ohne Bildbezug

5. Ansicht in verschiedenen Fotos

Ermöglicht es die AR-Szene in verschiedenen Fotos und somit aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.

6. Zoom

In Abhängigkeit von der Auflösung des Fotos kann der Nutzer die Darstellung der AR-Szene vergrößern.

7. Verdeckungsgeometrie

Virtuelle Objekte verdecken räumlich weiter hinten befindliche Objekte und bleiben dabei selbst ausgeblendet.

8. Kantendarstellung

Darstellung virtueller Objekte als Kantenmodell

9. Transparenz

Virtuelle Objekte lassen sich stufenlos transparent schalten, so dass dahinter liegende Bildelemente sichtbar sind.

10. Objektvermessung

Ermöglicht die Vermessung des Abstandes zweier beliebiger Punkten von virtuellen Objekten.

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3.1.3

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Konstruktionsabweichungen

Zwischen der realen Vorrichtung und den Konstruktionsdaten wurden bewusst 39 Abweichungen erzeugt, die vier unterschiedlichen Kategorien zugeordnet wurden. Tabelle 2 gibt eine Übersicht über Art und Anzahl der Abweichungen zwischen der Referenzvorrichtung und den Konstruktionsdaten. Tabelle 2:

Abweichungen zwischen der Referenzvorrichtung und den Konstruktionsdaten

Kategorie

Beschreibung

1. Fehl-IST

Ein Teil, das in den Konstruktionsdaten (SOLL) vorhanden ist, fehlt auf der realen Referenzvorrichtung (IST).

12

2. Fehl-SOLL

Ein Teil, das auf der realen Referenzvorrichtung (IST) vorhanden ist, fehlt in den Konstruktionsdaten (SOLL).

6

3. Geometrieabweichung

Ein Teil ist sowohl in den Konstruktionsdaten als auch auf der realen Vorrichtung vorhanden, jedoch anders ausgeführt (z.B. rund statt eckig).

16

4. Positionsabweichung

Ein Teil befindet sich auf der realen Vorrichtung an einer anderen Position als in der Konstruktion vorgesehen.

5

3.2

Anzahl

Versuchsablauf

Vor Beginn der Versuche wurden die Probanden über den Zweck der Studie informiert und erhielten in einer gemeinsamen Veranstaltung (Dauer ca. 1,5h) eine Einführung in das AR-System Roivis. Zwei Fragebögen vollständig ausfüllen (je eine DINA4-Seite)

Referenzvorrichtung fotografieren (Anzahl und Perspektiven der Bilder frei wählbar) Fotos auf Rechner übertragen (Bilderordner liegt auf dem Desktop)

Zwei Fragebögen vollständig ausfüllen (je eine DINA4-Seite)

Bild 5:

Bilder mit Augmented Reality Software (Roivis) analysieren und erkannte Abweichungen dokumentieren

Schema Versuchsablauf

Ein Probandenversuch dauerte zwei Stunden und beinhaltete die im Bild 5 dargestellten Versuchsschritte. Die Probanden füllten zunächst zwei Fragebögen aus, die Informatio-

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nen zu technischen Vorerfahrungen und zum momentanen Eigenzustand (vgl. Abschnitt 3.3) dokumentierten. Im Anschluss begann der Versuch mit dem Fotografieren der Referenzvorrichtung. Die Anzahl der Bilder sowie die gewünschten Perspektiven konnten vom Probanden frei gewählt werden. Danach wurden die Bilder per USB-Verbindung auf den AR-PC übertragen und der Proband begann mit Hilfe der in Abschnitt 3.1.2 beschriebenen Analysefunktionen nach Abweichungen der Konstruktionsdaten zu suchen. Für jede erkannte Abweichung dokumentierte der Proband die Abweichungskategorie und eine kurze Beschreibung in einem vorbereiteten Protokoll. Parallel dazu notierte die Versuchsbetreuung die aktuelle Uhrzeit sowie die Analysefunktionen, die zum Erkennen der Abweichung genutzt wurden, in einem Beobachtungsprotokoll. Es stand den Probanden frei, einen oder mehrere Fotografierdurchgänge vorzunehmen, um gegebenenfalls zusätzliche Aufnahmen von der Referenzvorrichtung zu erstellen. Weitere Fotografierdurchgänge wurden von der Versuchsbetreuung ebenfalls dokumentiert. Die Probanden konnten den Versuch vorzeitig beenden, sofern sie davon überzeugt waren, alle erkennbaren Abweichungen identifiziert zu haben. Andernfalls beendete die Versuchsbetreuung die Untersuchung 10 Minuten vor Ablauf der angesetzten Dauer von zwei Stunden. In der letzten Phase des Versuches füllten die Probanden zwei abschließende Fragebögen aus. Im ersten wurde der aktuelle Eigenzustand abgefragt. Der zweite Fragebogen ermöglichte es den Probanden ein Feedback zum Versuch und zum Augmented Reality basierten Soll/Ist-Vergleich zu geben (vgl. 4.6). 3.3

Eigenzustandsskala EZ-Skala nach Nitsch

Die Eigenzustandsskala (EZ) nach [Nit76] ist ein Verfahren zur hierarchischmehrdimensionalen Skalierung des aktuellen Befindens einer Person. Die EZ-Skala ermöglicht die Bewertung der situationsgebundenen Beanspruchungs-, Motivations- und Stimmungslage einer Person als Ausdruck ihres augenblicklichen Gesamtbefindens – von Nitsch als „Eigenzustand“ bezeichnet. Diese wird als bedeutsam für die Handlungsregulation aufgefasst. Situationsbedingte Befindlichkeitsänderungen signalisieren jeweils Änderungen der Anforderungsstruktur in Abhängigkeit von personspezifischen Verarbeitungsprozessen [TRM+08]. Die Eigenzustandsskala enthält 40 Adjektive, die bezüglich ihres Zutreffens auf den momentanen Zustand des Probanden auf einer Ordinalskala von 1 („trifft kaum zu“) bis 6 („trifft völlig zu“) zu bewerten sind. Es handelt sich um eine hierarchische Faktorenanalyse (eine Hierarchie von insgesamt 14 Binärfaktoren), die den Eigenzustand analysiert, verstanden als erlebnismäßig repräsentierte aktuelle Handlungslage einer Person. Man unterscheidet die beiden Faktorengruppen Motivation und Beanspruchung. Bei der Auswertung werden die Ränge der Adjektive zunächst durch flächentransformierte z’Werte ersetzt, die zu einem Binärfaktor gehörenden z’-Werte dann aufsummiert und diese Summenwerte anschließend nach der Stanine-Transformation in die Werte 1 bis 9

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überführt. Die Interpretation der erhaltenen Stanine-Werte erfolgt auf der Grundlage einer dreistufigen Faktorenhierarchie, die im Bild 6 schematisch dargestellt ist. Eigenzustand (Handlungslage)

100 Motivation (Handlungsbereitschaft)

110 Aktivation (Initiative)

111 Anstrengungs -bereitschaft

Bild 6:

112 Kontaktbereitschaft

200 Beanspruchung (Handlungsfähigkeit)

120 Effizienz (Selbstgefühl)

121 soziale Anerkennung

122 Selbstsicherheit

210 Tension (emotionale Spannung)

211 Stimmungslage

212 Spannungslage

220 Defizienz (Ermüdung)

221 Erholtheit

222 Schläfrigkeit

Faktorenhierarchie der EZ-Skala (nach Nitsch)

Dabei werden die Aussagen von der ersten, allgemeinen zur dritten, speziellen Ebene immer detaillierter. Hohe Stanine-Werte für die einzelnen Faktoren bedeuten, dass die Probanden ihr gegenwärtiges Gesamtbefinden – und damit ihre Handlungslage – positiv einschätzen. Es muss allerdings beachtet werden, dass es sich bei den Faktoren 200 (Handlungsfähigkeit), 220 (Ermüdung), 221 (Erholtheit), 222 (Schläfrigkeit) und 212 (Spannungslage) um so genannte „umgepolte“ Faktoren handelt. Für die Interpretation bedeutet dieser Sachverhalt, dass durch hohe Werte das genaue Gegenteil beschrieben wird; so signalisiert beispielsweise ein Stanine-Wert von 8 beim Binärfaktor 212 ein hohes Maß an Entspannung. Dieses standardisierte Testverfahren benötigt eine Bearbeitungszeit von ca. 10 Minuten. 3.4

Statistik

Der Datenumfang erforderte eine detaillierte Aufarbeitung. Die statistische Auswertung erfolgte explorativ; die Testentscheidungen basierten auf einem Signifikanzniveau von 5%. Zur Darstellung der Ergebnisse wurden Mittelwert und Standardabweichung (MW ± SD) verwendet. Die statistischen Berechnungen der erfassten Daten wurden mittels SPSS 15.0 für Windows durchgeführt. Es wurden nichtparametrische Tests (2verbundene Stichproben: Wilcoxon; k-unabhängige Stichproben: Kruskal-Wallis-Test) angewandt. Die statistischen Unterschiede werden mit t (p < 0,1) oder * (p < 0,05) bezeichnet. Für nicht signifikante Ergebnisse wird kein Zeichen verwendet. 3.5

Arbeitshypothesen

Die hier beschriebene Untersuchung hatte zum Ziel, das in der Literatur oft propagierte Potential der Augmented Reality Technologie für Soll/Ist-Vergleich zu analysieren.

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Dies beinhaltet die Fragestellung, wie viele der vorhandenen Abweichungen sich mit der Technologie tatsächlich identifizieren lassen und welche Arten von Abweichungen besonders gut oder schlecht zu erkennen sind. Weiterhin sollte analysiert werden, wie viele Aufnahmen währen eines Soll/Ist-Vergleichs durchschnittlich erzeugt werden und ob Abhängigkeiten zwischen der Anzahl der erstellten Aufnahmen und dem Qualität des Vergleichsergebnisses existieren. Auf Basis von Erfahrungswissen aus Pilotprojekten wurden die beiden folgenden Arbeitshypothesen aufgestellt. H1: Es existieren signifikante Unterschiede bei der Erkennung verschiedener Kategorien von Abweichungen. H2: Probanden, die relativ wenige Aufnahmen erstellen, werden eine geringere Anzahl von Abweichungen erkennen als andere. Das verwendete AR-System bietet eine Vielzahl von Analysewerkzeugen (vgl. Tab. 2). Es ist anzunehmen, dass sich einige Werkzeuge bei der Erkennung von Abweichungen als effektiver erweisen als andere. Darüber hinaus werden Probanden, die bisher nur wenig mit der Software vertraut sind, eine gewisse Einarbeitungszeit in das System benötigen. Aus diesen Aussagen leiten sich die beiden folgenden Hypothesen ab. H3: Beim Soll/Ist-Vergleich werden nicht alle der angebotenen Analysewerkzeuge im gleichen Umfang genutzt. H4: Der Umgang mit der AR-Technologie ist intuitiv möglich, sodass unerfahrene Probanden während des Versuchs lernen, die Funktionen des Systems effizient zu nutzen. Die Tätigkeit des Soll/Ist-Vergleichs stellt kognitive Anforderungen an die Probanden. H5: Sowohl Motivations- als auch Beanspruchungslage der Probanden verändern sich während des Versuchs negativ, so dass sich die Handlungslage verschlechtert.

4

Ergebnisse

4.1

Erkannte Soll/Ist-Abweichungen

Von insgesamt 39 Abweichungen wurden minimal 14 (35,9%) und maximal 35 (89,75%) erkannt. Im Durchschnitt erkannten die Probanden 60,7% (23,67 ± 6,55) aller Abweichungen (Bild 7). Insgesamt blieb keine Abweichung unentdeckt.

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Erkannte Abweichungen (MW ± SD)

erkannte Abweichungen

100,00% 80,00% 60,00% 40,00% 20,00% 0,00% K1

K2

K3

K4

Gesamt

Abweichungskategorien

Bild 7:

Anteile der erkannten Soll/Ist-Abweichungen nach Kategorie

Bei Abweichungen der Kategorie 4 (Positionsabweichungen) ist die Erkennungsrate signifikant höher als bei den übrigen Kategorien (4,53 ± 0,83 von 5; 90,7%). Die relative Standardabweichung von erkannten Abweichungen der Kategorie 4 beträgt ± 16,7%. Die Probanden bestimmten den Betrag von Positionsabweichungen auf 0,7 ± 7,1 mm genau. Am schlechtesten wurden Abweichungen der Kategorie 2 (Fehl-SOLL) erkannt (3,27 ± 1,71 von 6; 54,4%). Die relative Standardabweichung ist mit ± 28,5% größer als bei den verbleibenden Kategorien. Dies lässt vermuten, dass diese Art von Abweichungen am schwierigsten zu identifizieren ist. 4.2

Erstellte Aufnahmen

Die maximale Fotoanzahl eines Probanden war 52, die minimale 13. Im Durchschnitt wurden 24 ± 10,5 Fotos erstellt. Bild 8 stellt die durchschnittliche Anzahl der Aufnahmen je Durchgang dar. Beim Ersten Durchgang entstanden dabei die meisten Aufnahmen 19 ± 11,6. Beim zweiten (5 ± 2,45), dritten (7 ± 4,43) und vierten (3 ± 0) Durchgang wurden deutlich weniger Fotos erzeugt. Anzahl der Aufnahm en 40 35

Anzahl

30 25 20 15 10 5 0 1. mal

2. mal

3. mal

4.mal

Gesamt

Fotografierdurchgang

Bild 8:

Anzahl der erstellten Fotos während der Untersuchung

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Fotografierdurchgänge Vergleich zwischen Ar-Experten und Unerfahrenen 9 8

Probandenanzahl

7 6

4.mal

5

3.mal

4

2.mal 1.mal

3 2 1 0 AR-Experten

Bild 9:

AR-Unerfahrene

Anzahl der Fotografierdurchgänge bei erfahren und unerfahrenen Anwendern

Fünf Probanden gingen nur einmal zur Vorrichtung, um sie zu fotografierten. Sechs Probanden führten insgesamt zwei, drei Probanden drei und ein Proband vier Fotografierdurchgänge durch (Bild 9). Es fiel auf, dass erfahrene Anwender deutlich weniger Fotografierdurchgänge absolvierten. Nur 3 von 7 Probanden erstellten zusätzliche Aufnahmen. Hingegen wiederholten 7 von 8 unerfahrenen Probanden den Fotografiervorgang mindestens ein Mal. ARExperten gingen beim Fotografieren offensichtlich strategischer vor und führten den Soll/Ist-Vergleich mit den im ersten Durchgang erstellten Aufnahmen durch. Bei unerfahrenen Probanden bestand öfter Bedarf an bisher fehlenden Bilddetails/-perspektiven.

45

16

40 35

14

30 25 20 15 10 5

12 10 8 6 4 2 0

0 AR-Experten

Bild 10:

Fotografierzeit Vergleich zw ischen AR-Experten und Unerfahrenen

Fotografierzeit in min

Fotoanzahl

Fotoanzahl Vergleich zw ischen AR-Experten und Unerfahrenen

AR-Unerfahrene

AR-Experten

AR-Unerfahrene

Vergleich Fotoanzahl und Fotografierzeit zwischen AR-Experten und Unerfahrenen

Obgleich AR-Experten weniger Fotografierdurchgänge absolvierten, erstellten Sie mehr Aufnahmen (29,14 ± 11,95) als Unerfahrene (19,63 ± 7,07) (Bild 10, links). Sie verbrachten entsprechend mehr Zeit mit dem Fotografiervorgang (8,43 ± 5,06 min) als unerfahrene Probanden (7,13 ± 1,64 min) (Bild 10, rechts), konnten mit der Strategie weniger Fotografierdurchgänge jedoch wesentlich schneller die gewünschte Anzahl an Aufnahmen erstellen (ca. 17,35 s je Foto) als Unerfahrene (ca. 21,78 s je Foto). Für jeden Probandenversuch wurden Anzahl der Fotos und die Zahl der identifizierten Abweichungen erfasst. Es war eine breite Streuung von Anzahl erkannter Abweichun-

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gen über die Anzahl der Fotos zu erkennen. Bemerkenswert war die Tatsache, dass der „beste“ (35 erkannte Abweichungen) und auch der „schlechteste“ (14 erkannte Abweichungen) Kandidat mit der gleichen Fotoanzahl (20) gearbeitet haben. Insgesamt ließ sich kein Zusammenhang von Aufnahmenanzahl und Erkennungsanzahl feststellen. 4.3

Analysefunktionen der AR-Software

Die Versuchsbetreuung protokollierte für jede erkannte Abweichung die vom Probanden genutzten Softwarewerkzeuge des AR-Systems. Bild 11 stellt die Häufigkeit des Einsatzes der einzelnen Funktionen sowohl gesamtheitlich also auch für jede Abweichungskategorie separat dar. Das Ein-/Ausblenden von virtuellen Objekten (65,92%) und das Hereinzoomen in die AR-Ansichten (55,49%) waren die am häufigsten verwendeten Funktionen. Viel Verwendung fanden auch Schnittebenen (41,13%) und das Betrachten der AR-Szene in verschiedenen Perspektiven/Fotos (31,55%). Die Verschiebung virtueller Objekte kam bei 16,34% aller Abweichungserkennungen zum Einsatz. Die virtuelle Ansicht des Szenarios (2,54%), die Drahtgitterdarstellung einzelner Modelle (1,41%) sowie die verdeckende Darstellung von Objekten fanden während der Auswertung kaum Anwendung. Die Funktionen Transparenz und Objektvermessung wurden von keinem Probanden direkt zur Identifikation von Abweichungen eingesetzt.

100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

Gesamt K1 K2 K3

Bild 11:

Ve rm es su ng

Tr an sp ar en z

itt er an si ch t G

Ve rd en ke nd

Zo om

Ph ot os

m eh re re

An si ch t ue ll e

Vi rt

ch ie be n Ve rs

Ei n/A us bl en d

en

K4 Sc hn i tt eb en e

erkannte Abweichungen

Genutzte Funktionalitäten

Einsatz der Analysefunktionen des AR-Systems

Bei der Verwendung von Funktionen zur Identifikation von Positionsabweichungen (K4) zeigte sich eine besondere Auffälligkeit. Das Verschieben von Objekten kam hier sehr oft zur Anwendung (69,12%), wohingegen diese Funktion bei den anderen Kategorien relativ wenig eingesetzt wurde (K1 = 2,97%, K2 = 0%, K3 = 5,84%). Der hohe Erkennungsgrad von Positionsabweichungen (vgl. Kap. 4.1) und der verstärkte Einsatz dieser Funktion zeigten, dass für verschieden Arten von Soll/Ist-Abweichungen individuell angepasste Analysefunktionen notwendig sind, um ein best mögliches Vergleichs-

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ergebnis zu erreichen. Insgesamt zeigte sich, dass die zur Verfügung gestellten Analysewerkzeuge in unterschiedlich starker Ausprägung eingesetzt wurden. 4.4

Erfahrene vs. Unerfahrene Probanden, Lerneffekte

Bild 12 vergleicht den Erkennungsgrad von Abweichungen bei AR-erfahrenen und unerfahrenen Probanden. Unerfahrene Probanden erkannten 19,63 ± 5,04 und erfahrene 28,29 ± 4,89 Abweichungen. Erfahrene Probanden erzielten in fast allen Kategorien eine deutlich höhere Erkennungsrate. Lediglich Positionsabweichungen (K4) wurden von beiden Gruppen in gleicher Weise gut erkannt (erfahrene: 4,57 ± 0,53, unerfahrene: 4,5 ± 1,07). Gefundene Abweichungen Vergleich zwischen AR- Experten u.AR-Unerfahrene 35

Fehler Stk. (MW ± SD)

30 25 AR-Experten

20

AR-Unerfahrene

15

AR Gesamt

10 5 0 K1

K2

K3

K4

Gesamt

Abw eichungskategorie

Bild 12:

Erkannte Abweichungen, Vergleich von AR-erprobten und unerfahrenen Probanden

Um festzustellen, ob sich bei den Probanden - insbesondere bei den unerfahrenen Lerneffekte im Umgang mit den Analysewerkzeugen der AR-Software einstellen, wurde die Versuchsdauer in 10-Minuten-Abschnitte unterteilt und für jeden Abschnitt die Zahl von erkannten Abweichungen erfasst (Bild 13). Erkannte Abweichungen in 10-Minuten-Abschnitten 3,5

3

Erkannte Abweichungen

2,5

2

AR-Experten AR-Unerfahrene Gesamt

1,5

1

0,5

0 10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110

Zeit in Minuten

Bild 13:

Zahl erkannter Abweichungen in 10-Minuten-Abschnitten

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Innerhalb der ersten 30 Minuten zeigte sich sowohl bei erfahrenen als auch bei unerfahrenen Probanden ein Anstieg der erkannten Abweichungen (bis auf durchschnittlich 3,13) für jeden Zeitabschnitt, so dass sich eine Einarbeitungszeit und somit ein Lerneffekt erahnen ließ. Nachfolgend war jedoch ein Nachlassen der Erkennungsrate zu beobachten, gefolgt von einem weiteren Anstieg und erneutem Nachlassen. Durch diese unstete Verteilung von Erkennungen je Zeitabschnitt ließ insgesamt keine konstante Erkennungsrate ableiten. Lerneffekte (H4) konnten dadurch weder nachgewiesen noch widerlegt werden. 4.5

EZ-Skala

Die Eigenzustandsskala beschreibt die subjektive Handlungslage einer Person durch Angabe von Stanine-Werten. Hohe Stanine-Werte für die einzelnen Faktoren bedeuten, dass die Probanden ihre gegenwärtige Handlungslage positiv einschätzen. Hierbei werden die beiden Zweige Motivation (EZ100) und Beanspruchung (EZ200) unterschieden (vgl. Bild 6). EZ-Skala: Vergleich vor-nach 9

t

8

*

*

7

Stanine

6

vor

5

nach

4 3 2 1 EZ100

Bild 14:

EZ200

EZ110

EZ120

EZ210

EZ220

EZ111

EZ112

EZ121

EZ122

EZ211

EZ212

EZ221

EZ222

Vergleich der Stanine-Werte aus der EZ-Skala vor und nach dem Soll/Ist-Vergleich

Es ließ sich keine statistisch signifikante Veränderung der Motivations- (EZ100) oder Beanspruchungslage (EZ200) beim Vergleich von vorher zu nachher feststellen (vgl. Bild 14). Bei dem motivationalen Binärfaktor Anstrengungsbereitschaft (EZ111) wurde eine signifikante Verschlechterung (p = 0,018, Wilcoxon-Test) festzustellen, was zu einer tendenziellen Verschlechterung (p = 0,096) des übergeordneten Faktors Initiative (EZ110) beitrug. Im Gegensatz dazu verbesserte sich der beanspruchungsbeschreibende Faktor Spannungslage (EZ212) nach dem Versuch statistisch signifikant (p = 0,042). Im Bild 7 ist zu erkennen, dass sich der Stanine-Wert entsprechend erhöhte. Da es sich bei EZ212 jedoch um einen umgepolten Faktor handelt (vgl. Kap. 3.3), bedeut dies ein höheres Maß an Entspannung der Probanden nach dem Versuch.

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Insgesamt konnte keine subjektiv verschlechterte Handlungslage nach dem Versuch nachgewiesen werden. 4.6

Probandenfeedback

Nach dem Versuch füllten die Probanden ein Feedbackformular aus, in dem sie zu fünf Aussagen zur Einschätzung der persönlichen Arbeitsleistung Stellung nahmen. Der Zustimmungsgrad des Probanden zur jeweiligen Aussage konnte auf einer Ordinalskala von 1 („nicht zutreffen“) bis 5 („völlig zutreffend“) bewertet werden. Bild 16 zeigt die Ergebnisse dieser Befragung. Feedback zur Beurteilung der Hilfsm ittel

5

Wert

4 3 2 1 Ich habe das Gefühl alle Die zur Verfügung stehende Abw eichungen gefunden zu Zeit w ar ausreichend haben

Bild 15:

Das Hilfsmittel hat mich gut bei meiner Aufgabe unterstützt

Die Benutzung des Hilfsmittels ist intuitiv

Ich hätte gerne andere hilfsmittel benutzt um die Aufgabe zu lösen

Probandenfeedback (1=nicht zutreffend, 2=trifft eher nicht zu, 3=eingeschränkt zutreffend, 4=trifft eher zu, 5=völlig zutreffend)

Das durchschnittlich „eingeschränkte Zutreffen“ des Gefühls alle Abweichungen gefunden zu haben verdeutlicht, dass sich die Probanden bezüglich ihrer Arbeitsleistung eher unsicher sind. Die zur Verfügung stehende Zeit wurde weitestgehend als ausreichen eingeschätzt, wobei die Aussagen hier stark divergierten. Drei Probanden stimmten der Aussage völlig und sechs Probanden eher zu. Einer fand sie völlig unzutreffend, drei stimmten ihr eher nicht zu. Ohne Einschränkung gaben alle Probanden an, bei der Durchführung des Soll/Ist-Vergleichs gut vom AR-System unterstützt worden zu sein. Die Handhabung des Systems wurde als intuitiv empfunden; kein Proband widersprach dieser Aussage. Drei Probanden hätten gerne andere Hilfsmittel benutzt, um den Soll/Ist-Vergleich durchzuführen. Die restlichen hielten das AR-System für ausreichend. Das am häufigsten gewünschte Hilfsmittel war eine videobasierte Realisierung des verwendeten AR-Systems (6 mal) und die Visualisierung auf einem HMD 2 mal). Daneben hätten drei Probanden gerne die Möglichkeit gehabt, eine 3D-Rekonstruktion der realen Vorrichtung erzeugen zu können, um diese mit den Konstruktionsdaten abzugleichen. Als klare Vorteile des beim Versuch genutzten AR-Setups wurden die intuitive Bedienbarkeit / einfache Handhabung und die von der Vorrichtung räumlich getrennt mögliche Auswertung erkannt. Nachteile sahen die Probanden der perspektivischen Einschränkung durch die Fotografien und fehlendes Feedback zur erreichten Überlagerungsunge-

Probandenversuche zum AR basierten Soll/Ist-Vergleich von Konstruktionsdaten

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nauigkeit. Weiterhin wurde angemerkt, dass Abweichungen der Kategorie zwei (FehlSOLL) schwierig zu identifizieren waren, da bei Überlagerung kein virtuelles Modell in die Szene eingeblendet wurde (Veränderung im Bild fehlt).

5

Diskussion und Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse der Untersuchung stützen die Hypothese H1, da signifikante Unterschiede bei der Erkennung von Abweichungen verschiedener Kategorien auftraten. So ließen sich Positionsabweichungen besonders gut identifizieren, wohingegen fehlende Konstruktionsdaten relativ schlecht erkannt wurden. Entgegen Hypothese 2 konnte kein direkter Zusammenhang zwischen der Fotoanzahl und der Anzahl der erkannten Abweichungen festgestellt werden. Hypothese H3 ließ sich bestätigen. Es gab sowohl Analysewerkzeuge, die fast immer zum Einsatz kamen und andere, die überhaut nicht benutzt wurden. Die Ergebnisse der Studie konnten die Hypothese H4 weder stützen noch widerlegen. Die Annahme, dass mit dem AR-System vertraute Probanden einen Vorteil beim Vergleich haben, wurde bestätigt. Jedoch ließen sich keine kurzfristigen Lerneffekten bei unerfahrenen Anwendern erkennen. Bezüglich der Handlungslage der Probanden stellten sich während des zweistündigen Versuchs weder negative noch positive Veränderungen ein. Diese Daten weisen darauf hin, dass die Technologie in diesem Einsatzumfang keine signifikante Mehrbeanspruchung des Anwenders bedeutet. Insgesamt ließ sich somit keine subjektiv verschlechterte Handlungslage nach dem Versuch nachweisen, was die Hypothese H5 widerlegt. Das Feedback der Probanden zum Einsatz der AR-Technologie war sehr positiv. Die Probanden erkannten das Potential der AR in diesem Anwendungsfall, äußerten jedoch auch Verbesserungsvorschläge zur Optimierung von System und Prozess. So besteht starker Handlungsbedarf bei der Erkennung von Soll/Ist-Abweichungen der Kategorie 2, bei denen Teile des virtuellen Modells komplett fehlen. Insgesamt konnte nachgewiesen werden, dass sich die AR-Technologie grundsätzlich zur Erkennung aller Arten der untersuchten geometrischen Abweichungen eignet. Um eine Aussage zum konkreten Vorteil der AR gegenüber anderen Technologien treffen zu können ist es notwendig, weitere Versuchsreihen durchzuführen. Probanden sollten dabei alternative Technologien oder AR-Systeme mit einer anderen Konfiguration (z.B. videobasiert oder mit HMD) benutzen, um einen Soll/Ist-Vergleich durchführen. Der im Rahmen dieser Studie entwickelte Versuchsaufbau kann als Referenzszenario für folgende Untersuchungen dienen. Einerseits ließen sich dadurch die Arbeitsergebnisse der AR-Technologie direkt mit den Ergebnissen der Folgeversuche vergleichen. Andererseits ist durch die hier beschriebene Methode der Vergleich der Beanspruchungslage von alternativen Vorgehensweisen mit der AR-Technologie möglich. Es wurde deutlich, dass das vorhandene AR-System intuitiv bedienbar war, da es auch von unerfahrenen Anwendern erfolgreich eingesetzt werden konnte. Dennoch zeigte

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sich, dass die Erfahrung der Anwender das Vergleichsergebnis wesentlich beeinflusste. Die Daten ermöglichten keine konkrete Aussage darüber, ob und wie schnell sich Lerneffekte bei unerfahrenen Anwendern einstellten. Für den Transfer der Technologie in den produktiven Einsatz - insbesondere im Hinblick auf eine Strategie zur Einführung ist diese Fragestellung von besonderer Bedeutung. Daher ist es notwendig weiterführende Untersuchungen auf diesem Gebiet durchzuführen, die Aufschluss darüber geben über wie viel Expertise zukünftige Anwender für einen erfolgreichen Einsatz der ARTechnologie für konstruktive Soll/Ist-Vergleiche verfügen müssen.

Danksagung Das Autorenkollektiv bedankt sich bei dem BMBF für die Förderung dieses AVILUSProjektes (Förderkennzeichen 01 IM 08 001 A).

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Autoren Dipl.-Ing.-Inf. Christian Bade ist seit 2007 im Bereich der Produktionsplanung bei der Volkswagen AG in Wolfsburg tätig. Zurzeit promoviert er im Bereich der anwendungsorientierten Augmented Reality am Institut für technische Informationssysteme der Fakultät für Informatik an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg bei Prof. Dr.Ing. habil. Paul. Zhixin Zhang studiert seit 2002 Informationstechnik an der technischen Universität Clausthal. Seit 2008 ist sie im Bereich der Produktionsplanung bei der Volkswagen AG im Werk Wolfsburg tätig. Dipl.-Ing. (FH) Fabian Doil studierte Maschinenbau an der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel. Seit 2003 arbeitet er in der Abteilung Virtuelle Techniken in der Konzernforschung der Volkswagen AG am Standort Wolfsburg. Herr Doil ist Projektleiter für die Themen Augmented Reality für Planung, Produktion und Service. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Andreas Hoffmeyer ist seit 2007 im Bereich der Montageplanung bei der Volkswagen AG in Wolfsburg tätig. Zurzeit promoviert er am Institut für Logistik und Materialflusstechnik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Prof. Dr.Ing. habil. Dr.-Ing. E.h. Michael Schenk. Priv.-Doz. Dr. med. habil. Irina Böckelmann ist Leiterin des Bereichs Arbeitsmedizin an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Sie promovierte und habilitierte im Bereich der Arbeitsmedizin mit den Schwerpunkten Sinnesphysiologie, Psychophysiologie, Arbeitsphysiologie. Seit 2005 ist sie Mitglied des Leitungsgremiums des Forums Arbeitsphysiologie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. Prof. Dr.-Ing. habil. Georg Paul ist Leiter der Arbeitsgruppe Rechnerunterstützte Ingenieursysteme an der Fakultät für Informatik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Er promovierte und habilitierte im Bereich der Ingenieurwissenschaften. Seit 1998 vertritt er am Institut für Technische und Betriebliche Informationssysteme das Fachgebiet der Ingenieurinformatik in Lehre und Forschung.

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