Integration durch Bildung

13 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Abt. Bildung / Berufliche Bildung im Haus der Deutschen Wirtschaft Breite Straße 29 10178 Berl...
Author: Theresa Weber
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Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Abt. Bildung / Berufliche Bildung im Haus der Deutschen Wirtschaft Breite Straße 29 10178 Berlin Telefon: 030 / 20 33 -15 00 Telefax: 030 / 20 33 -15 05 E-Mail: [email protected] www.bda-online.de

ISBN 3-938349-22-0

BILDUNG schafft ZUKUNFT

Integration durch Bildung Potenzial von Migrantenkindern entfalten

Integration durch Bildung Potenzial von Migrantenkindern entfalten

Inhaltsverzeichnis

Chancen von Migrantenkindern verbessern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Im Kindergarten: Vorschulprogramm als erste Stufe des Bildungssystems ausbauen. . . . 8 > Obligatorisches Vorschulcurriculum entwickeln,

Sprache systematisch fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 > Eltern und Familien einbeziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 > Qualität der pädagogischen Arbeit sichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

In der Schule: Kompetenzen fördern, Begabungen entfalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 > Sprache als Schlüssel fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 > Lernen differenzieren, individuell fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 > Persönliche und soziale Kompetenzen stärken . . . . . . . . . . . . . . . . 30 > Diagnostik systematisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

In der Beruflichen Bildung: Mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund motivieren und integrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 > Berufsorientierung und Berufsvorbereitung verbessern. . . . . . . . . . 37 > Flankierende Unterstützung in der Ausbildung

intensivieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 > Interkulturelles Potenzial nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Stand: August 2006

> Lernen in der Berufsschule differenzieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Gestaltung: Jürgens. Design + Kommunikation, Berlin ISBN 3-938349-22-0

Kurzfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Chancen von Migrantenkindern verbessern Deutschland und die europäischen Staaten sind keine geschlossenen Nationalstaaten traditioneller Prägung mehr, sondern weltoffene Gesellschaften mit einer Vielzahl von Minderheiten. Migranten sind ein Bestandteil unserer Gesellschaft und Migrantenkinder ein wachsender Teil der Schülerschaft. Im Jahr 2004 lebten in Deutschland 7,3 Millionen ausländische Staatsbürger und rund 7 Millionen deutsche Staatsbürger, die im Ausland geboren sind und nach Zuwanderung die Staatsangehörigkeit erhalten haben. Jeder fünfte Einwohner in Deutschland und jeder fünfte Schüler hat heute einen Migrationshintergrund. Der Begriff „Migrationshintergrund“ ist durch die PISA-Studien gängig geworden: Maßgeblich ist dabei nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der Geburtsort der Eltern. „Migrantenkinder“ sind daher keineswegs nur die Jugendlichen ausländischer Staatsangehörigkeit, sondern darüber hinaus alle, bei denen mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde (z.B. Kinder aus ehemaligen Gastarbeiter-, Aussiedler- oder Flüchtlingsfamilien). Die PISA-Studie 2003 hat bei den Schülern in Deutschland einen Migrationshintergrund von insgesamt 22 % erhoben. Dabei sind 9,2 % der Schüler und ihre Eltern im Ausland geboren und nach Deutschland zugewandert; 6,1 % der Jugendlichen sind als „erste Generation“ in Deutschland und beide Elternteile im Ausland geboren; bei 6,9 % ist ein Elternteil in Deutschland geboren. Der Anteil der Migrantenkinder an der Schülerschaft ist regional höchst unterschiedlich: Während sie in den neuen Bundesländern nicht ins Gewicht fallen, machen sie in westdeutschen Großstädten mehr als ein Drittel der Schüler aus. So haben in Bremen 36 %, in Hamburg 35 %, in Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen rund ein Drittel, in Berlin, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen rund ein Viertel sowie in Bayern und im Saarland rund ein Fünftel der Schüler bei PISA 2003 einen Migrationshintergrund.

Chancen von Migrantenkindern verbessern

5

Diese Anteile werden in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit eher

in Deutschland gelten. Das Thema Migrantenkinder steht daher inzwi-

steigen als sinken. Prognosen sprechen für das Jahr 2020 von mindestens

schen weit oben auf der politischen Tagesordnung.

30 % Migrantenkindern bundesweit und von 50 % in den Großstädten; dabei haben einige Gemeinden heute schon einen solchen Anteil.

Wir müssen in einer Zeit des globalen Wettbewerbs alles daran setzen,

Migrantenkinder können daher nicht länger als „Ausnahmephänomen“

Talente und Potenziale zur Entfaltung zu bringen – auch und erst recht

betrachtet werden, sondern sind eine gewichtige Gruppe mit wachsen-

das Potenzial der Migrantenkinder. Wirtschaft und Gesellschaft sind auf

der Bedeutung. Die beiden größten Gruppen innerhalb der Migranten-

Know-how, Kreativität und Innovation angewiesen, während der demo-

kinder sind Schüler türkischer Herkunft und Schüler aus Ländern der

grafische Wandel zugleich dazu führt, dass die Basis dafür immer schmaler

ehemaligen Sowjetunion.

wird. Die Bedeutung der beachtlichen Gruppe von Migrantenkindern wird daher umso stärker wachsen, nicht nur, aber auch unter wirtschaft-

Das Bildungssystem hat eine entscheidende Bedeutung für die ge-

lichen Gesichtspunkten.

lingende Integration. In Kindergarten und Schule wird die deutsche Sprache vermittelt; sie ist der Schlüssel, ohne den unsere Gesellschaft

Die vorhandene Vielfalt der Kulturen in unserer weltoffenen Gesellschaft

und ihre verschiedenen Arbeits- und Lebensbereiche verschlossen

kann zu einem produktiven Wettbewerbsfaktor in der globalisierten

bleiben. Auch das Kennen- und Verstehenlernen der Landeskultur fin-

Wirtschaft werden. Mitarbeiter mit interkulturellen Kompetenzen wer-

det im Bildungswesen statt: Historisches Wissen, maßgebliche Literatur,

den wichtiger, wenn auch das wirtschaftliche Umfeld, die Kunden und

gängige Lieder lernen die Kinder – mit oder ohne Migrationshintergrund

Zulieferer kulturell immer mehr diversifizieren. Das gilt national wie in-

– ebenso in Kindergarten und Schule kennen wie die Rationalität der

ternational; nicht nur die großen Unternehmen, auch kleine Betriebe

wissenschaftlich-technischen Welt und die demokratische Ordnung in

agieren längst in globalen Märkten und sind international aufgestellt.

Europa.

Mehrsprachigkeit und Interkulturalität werden somit zu Schlüsselkompetenzen. Deutschland kann dabei von seinen Migranten lernen.

In der beruflichen Bildung wird praktisches und theoretisches Wissen über Arbeitswelt und Beruf vermittelt; die Ausbildung ist der entschei-

Der Bildungspolitik kommt für diese Entwicklung zentrale Bedeutung zu.

dende Zugang zum Arbeitsmarkt. Wer auf dieser Basis eine qualifizierte

Migrantenkinder werden zum einen von einer allgemeinen Qualitäts-

Tätigkeit ausübt, findet seinen Platz in der Gesellschaft und nimmt an

verbesserung der Schule profitieren. Darüber hinaus brauchen sie be-

ihrer Entwicklung teil. Allgemeine Bildung und Berufsbildung sind daher

sondere Fördermaßnahmen für ihre Sprachkompetenzen im Deutschen.

maßgeblich für die Integration und die Teilhabechancen der Zuwanderer-

Diese müssen möglichst früh im Kindergarten beginnen und kontinuier-

kinder an Gesellschaft und Wirtschaft.

lich über die Schullaufbahn fortgesetzt werden. Die Unterstützung durch die Eltern und ihre Einbeziehung in Kindergarten und Schule wie beim

Umso gravierender ist es, dass diese Integration bislang nicht als gelun-

Übergang in die berufliche Bildung sind für den Erfolg der Kinder unver-

gen gelten kann. Auch wenn es Beispiele hervorragender Integration Ein-

zichtbar. Auf der Basis einer deutlich besseren Schulbildung wird auch

zelner gibt, weisen die Daten in Schule und Ausbildung auf gravierende

der Weg in die berufliche Bildung besser gelingen. Informationen über

Mängel und bedenkliche Fehlentwicklungen hin. Vor allem die PISA-

das berufliche Bildungssystem und frühzeitige Berufsvorbereitung müssen

Studie hat dies in einer bis dahin nicht wahrgenommenen Deutlichkeit

hinzukommen.

festgestellt und kann als letzter Auslöser für einen Bewusstseinswandel

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Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

Chancen von Migrantenkindern verbessern

7

Die Politik hat bereits Maßnahmen beschlossen: Die Sprachförderung

klässler aus bildungsfernen Schichten deutlich bessere Lernkompetenzen

von Zuwandererkindern wird zurzeit massiv ausgebaut. Dies findet die

aufweisen, wenn sie zuvor mehr als ein Jahr den Kindergarten besucht

volle Unterstützung der Arbeitgeber. Unter der Decke mangelnder

haben. Dies gilt in besonderem Maß auch für Migrantenkinder und ihre

Deutschkenntnisse verbergen sich viele Begabungen und Talente, die es

Sprachkompetenzen.

sichtbar zu machen und weiter zu entfalten gilt. Die Förderung von Zuwandererkindern ist daher eine große Herausforderung für unsere

Tatsächlich aber besuchen sie seltener den Kindergarten als ihre Alters-

Zukunft. Der Wirtschaft – wie der Gesellschaft – dürfen die vielfältigen

genossen: 16 % der ausländischen Kinder besuchen im Vorschuljahr

Begabungen und die besonderen Kompetenzen der jungen Migranten

keinen Kindergarten, während es bei den Kindern ohne Migrations-

nicht verloren gehen.

hintergrund nur 8 % sind. Dabei fällt die Beteiligung regional sehr unterschiedlich aus: Während in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg 85 % der dreijährigen Migrantenkinder 2004 den Kindergarten besuchten, waren dies in Niedersachsen mit 63 % und Hamburg mit

Im Kindergarten: Vorschulprogramm als erste Stufe des Bildungssystems ausbauen

50 % nur wenig mehr als die Hälfte. Ursache sind meistens mangelnde

Der schulische und spätere berufliche Erfolg von Migrantenkindern hängt

Beteiligungsquote von Kindern in Kinderkrippen und -gärten in Prozent

Informationen, ein knappes Angebot oder die Kindergartengebühren.

ganz entscheidend von guten Deutschkenntnissen ab. Deshalb müssen ungleiche Startbedingungen in der Sprachentwicklung von Kindern noch vor Schulbeginn so weit wie möglich ausgeglichen werden. Migrantenkinder brauchen eine frühestmögliche und intensive sprachliche Förderung, die das Elternhaus oft nicht leisten kann. Die Sprachförderung ist in Kindergarten und Grundschule eine zentrale und prioritäre Aufgabe,

Unter 3

3-4 Jahre

4-5 Jahre

5-6 Jahre

6-8 Jahre

Alle Kinder

5,9

54, 7

83,2

89, 6

89, 2

Ausländische Kinder

5,6

50, 7

77,3

84, 3

83, 8

Quelle: Statistisches Bundesamt Mikrozensus 2003; in: Sechster Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, Juni 2005 (früheres Bundesgebiet)

um allen Kindern die Chance auf einen erfolgreichen Bildungsweg zu eröffnen. Die Berliner Sprachstandserhebungen „Deutsch Plus“ der Jahre 2004 und 2005 ergaben, dass Fünfjährige mit Kindergartenbesuch beim Schulein-

Obligatorisches Vorschulcurriculum entwickeln, Sprache systematisch fördern

tritt deutlich besser deutsch sprachen als diejenigen, die keinen Kinder-

8

garten besucht hatten. Je länger die Kinder im Kindergarten gefördert

Deshalb halten wir Arbeitgeber es für richtig, mindestens das letzte Kinder-

wurden, umso geringer waren die Sprachlücken bei der Einschulung. Die

gartenjahr für alle Kinder obligatorisch zu machen und mit einem

PISA-Studie der OECD hat gezeigt, dass Jugendliche, die mindestens ein

systematischen Vorschulcurriculum zu verbinden. Ein verpflichtendes

Jahr den Kindergarten besucht haben, deutlich bessere Leistungen in der

Vorschuljahr muss als Teil des öffentlichen Bildungssystems konsequenter-

Schule erreichen, als diejenigen, die keinen Kindergarten besucht haben.

weise beitragsfrei sein. So ist beispielsweise im Saarland der Anteil der

Zudem hat die IGLU-Studie für die Grundschule bestätigt, dass Viert-

Zuwandererkinder in den Kindergärten gestiegen, seit das letzte Kinder-

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

Im Kindergarten

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gartenjahr kostenfrei angeboten und zudem mit einer speziellen Sprach-

Integration ist wichtig und lange vernachlässigt worden; aber interkultu-

förderung verbunden wird.

relle Kompetenzen sind ebenso wichtig und werden in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen. Ein weiterer Schritt ist es daher, die

Das Vorschulprogramm muss für alle Kinder spätestens im Alter von fünf

Muttersprache von Migrantenkindern mit in den Kindergartenalltag ein-

Jahren beginnen. Sie durchlaufen eine ausführliche Kinder-Untersuchung.

zubeziehen. Es ist empfehlenswert, in Kindergärten mit hohem Migran-

Dabei müssen die Kinder ganzheitlich betrachtet werden: Es kann nicht

tenanteil zweisprachige Frühpädagoginnen mit Migrationshintergrund zu

nur um medizinische und psychologische, sondern muss mehr noch um

beschäftigen mit dem Ziel, dass Migrantenkinder die deutsche Sprache

kognitive und sprachliche Aspekte gehen. Die Untersuchungsergebnisse

erlernen und zugleich ihre Herkunftssprache pflegen; außerdem werden

müssen dem Kindergarten Anhaltspunkte für besondere Stärken und

so die interkulturellen Kompetenzen aller Kinder gestärkt. Erfahrungen

auch Bedürfnisse des Kindes geben und ein individuelles Förderprofil für

anderer Länder zeigen, dass die Präsenz von Pädagoginnen mit Migrations-

die weitere pädagogische Arbeit der Frühpädagoginnen* wie auch für die

hintergrund von den Migranteneltern als ein Zeichen für die Offenheit

Eltern ermöglichen.

und Vielfalt und auch für die Relevanz von Kinderbetreuungseinrichtungen gewertet wird und die Bereitschaft zum konsequenten Kindergarten-

Das obligatorische Vorschuljahr ist ein wichtiger Schritt und kurzfristig

besuch fördert.

umzusetzen. Mittelfristig ist ein noch früherer obligatorischer Kindergartenbesuch ab 3 Jahren anzustreben. Die ausführliche Kinder-Untersuchung wird dann ebenfalls bereits mit 3 Jahren stattfinden. Der Kindergarten kann es dann in ganz anderem Maße als heute leisten, die Kinder

Obligatorisches Vorschulprogramm entwickeln,

in den folgenden Jahren bis zum Übergang in die Schule in der nötigen

Sprache systematisch fördern:

Breite und mit einem systematischen Stufenprogramm zu fördern, Kom-

> Obligatorisches beitragsfreies Vorschuljahr mit intensiver

petenzen aufzubauen und so die optimale Basis für ihre weitere Bildungsbiografie zu schaffen. Im Kindergarten profitieren die Kinder von systematischen und gezielten Hilfestellungen und Fördermaßnahmen beim Erlernen der deutschen

Sprachförderung im Kindergarten > Sprachstandsfeststellung und ausführliche Kinder-Untersuchung > Mittelfristig verbindlicher beitragsfreier Kindergartenbesuch ab

3 Jahren

Sprache. Spracherwerb und -entwicklung sind durch konsequente

> Gezielte Unterstützung der sprachlichen Entwicklung

sprachliche Begleitung, durch qualifizierte Unterstützung und pädago-

> Interkulturelle Kompetenzen entwickeln

gisch-therapeutische Förderangebote sowie mit einem inhaltlich-thema-

> Beschäftigung von zweisprachigen Frühpädagoginnen mit Mi-

tisch und methodisch-didaktisch veränderten Spiel- und Lernangebot zu

grationshintergrund in Kindergärten mit hohem Migrantenanteil

fördern. Kinder werden zudem am besten von anderen Kindern motiviert, spielerisch die Sprache zu erlernen. Nicht zuletzt fördert der Kindergartenbesuch die soziale Integration der Zuwandererkinder und das tolerante und verständnisvolle Miteinander der nächsten Generationen. * Wegen des hohen Frauenanteils ist hier der weibliche Oberbegriff gewählt.

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Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

Im Kindergarten

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Eltern und Familien einbeziehen

Qualität der pädagogischen Arbeit sichern

Für einen erfolgreichen und dauerhaften Spracherwerb ist die intensive

Der Kindergarten insgesamt wird zur Basis des Bildungssystems. Schon

Einbindung der Eltern in die pädagogische Arbeit unerlässlich. Dazu

im Kindergarten muss auch zielorientiert und systematisch gelernt

gehört auch, Eltern mit geringen Deutschkenntnissen in die Sprach-

werden. Der Kindergarten soll wie bisher betreuen und erziehen, aber

förderung zu integrieren. Eine große Chance besteht darin, durch gene-

stärker als bisher bilden und lernen lassen. Das Lernen gelingt dabei nicht

rationsübergreifende Programme in Kindergärten und Grundschulen die

von selbst und ohne Zutun, sondern braucht eine systematische Förde-

Sprach-, Lese- und Schreibfähigkeiten von Migrantenkindern und ihren

rung durch gezielte Angebote.

Eltern gemeinsam zu entwickeln. Durch gemeinsame Aktivitäten von Eltern und Kindern werden Interesse an Lesen und Schreiben geweckt,

Die Sprachförderung ist dabei zentraler Bestandteil eines umfassenden

der praktische Umgang mit Lernmaterialien geübt und die Unterstüt-

Bildungs- und Erziehungsplans „Frühkindliche Bildung“, der Lernziele

zungssysteme zum Erlernen der Sprache bekannt gemacht.

und Lernwege für die Jüngsten definiert und dabei einen Schwerpunkt in der Sprachförderung setzt. Der Bildungs- und Erziehungsplan macht den

Die Frühpädagoginnen verstehen sich als erste Anlaufstelle für die Eltern

Bildungsauftrag des Kindergartens verbindlich und gibt der pädagogischen

in Erziehungsfragen. Sie binden die Eltern in die Bildungs- und Erzie-

Arbeit eine klare Orientierung. Die Kultusminister sind gefordert, Bil-

hungsarbeit des Kindergartens ein. Gerade Eltern mit nicht-europäischem

dungspläne „Frühkindliche Bildung“ zu entwickeln und in der Kultusmini-

kulturellem Hintergrund müssen die leitenden Werte der Bildung und

sterkonferenz gemeinsam bundesweite Standards zu vereinbaren.

Erziehung in Deutschland oft erst kennen und verstehen lernen. Der Kindergarten ist für sie dabei der nächste Ansprechpartner, den sie bereits

Zur Qualitätssicherung der pädagogischen Arbeit im Kindergarten ist

gut kennen und dem sie vertrauen können. Kindergärten können zu die-

die regelmäßige Evaluation notwendig. Der Erfolg früher Förderung wird

sem Zweck mit Elternvereinen, Elternakademien und Familienbildungs-

sich zum großen Teil erst in der Grundschule zeigen; Kindergarten und

stätten etc. zusammen arbeiten oder sogar selbst zu einem Eltern-Kind-

Grundschule brauchen daher gemeinsame Evaluierungsinstrumente und

oder Familienzentrum ausgebaut werden. Bei weitergehendem Hilfe-

-verfahren, damit die Richtigkeit von Fördermaßnahmen und -programmen

bedarf kann der Kindergarten Eltern weitervermitteln an Erziehungs- und

festgestellt und bei Bedarf die Fördersystematik verbessert oder umge-

Familienberatungsstellen, Jugendämter und psychosoziale Dienste.

stellt werden kann. Um der neuen Aufgabe des Kindergartens als Ort systematischen und zielorientierten Lernens gerecht zu werden, brauchen mindestens die

Eltern und Familien einbeziehen:

Einrichtungs- und Gruppenleiterinnen eine pädagogisch-psychologische

> Gemeinsame Programme zur Sprachentwicklung für Kinder und

Hochschulausbildung auf dem Stand der Lehr-Lernforschung, die ihnen diagnostische und methodisch-didaktische Kompetenzen vermittelt. Der

Eltern > Einbeziehen der Eltern in die pädagogische Arbeit des Kinder-

gartens > Beraten und ggf. Weitervermitteln der Eltern in Erziehungsfragen

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Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

Umgang mit Heterogenität, mit sprachlicher und kultureller Vielfalt muss dabei eine zentrale Rolle spielen. Auch die Fachschul-Ausbildung der weiteren Mitarbeiterinnen im Kindergarten muss qualitativ verbessert und um diese wichtiger werdenden Kompetenzen ergänzt werden.

Im Kindergarten

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Qualität der pädagogischen Arbeit sichern: > Qualitätssicherung der Kindergartenarbeit durch Bildungs- und

Erziehungsplan

sätzlich zeigte PISA 2000, „dass 15-Jährige, die aus Familien stammen, in denen serbisch, kroatisch oder bosnisch bzw. türkisch oder kurdisch gesprochen wird…, über geringere Lesekompetenz verfügen als die Vergleichsgruppen in Norwegen, Schweden, Österreich und der Schweiz“.

> Standards „Frühkindliche Bildung“

Allgemein bildende Schulen,

> Gemeinsame Evaluierungsverfahren für Kindergarten und

Absolventen/ Abgänger und Absolventinnen/ Abgängerinnen

Grundschule > Pädagogisch-psychologische Hochschulausbildung der Kinder-

gartenleiterinnen mit diagnostischen und interkulturellen Kompetenzen > Verbesserung der Ausbildung der Kindergarten-Mitarbeiterinnen

des Schuljahr 2003/04 nach Abschlussarten Abschlussart

Einheit

Ohne Hauptschulabschluss Mit Hauptschulabschluss Mit Realschulabschluss Mit Fachhochschulreife Mit allgemeiner Hochschulreife Insgesamt 1

In der Schule: Kompetenzen fördern, Begabungen entfalten Die internationalen Vergleichsstudien IGLU und PISA haben vor allem einen dringenden Handlungsbedarf für die Förderung von Zuwanderer-

1 000

Deutsche

Ausländer

82,2 246,2 419,8 11,7 226,4

66,9 211,6 393,7 10,6 218,9

15,3 34,6 26,1 1,1 7,5

986,3

901,7

84,6

7,4 23,5 43,7 1,2 24,3

18,1 40,9 30,8 1,3 8,9

Abschlussstruktur - insgesamt Ohne Hauptschulabschluss Mit Hauptschulabschluss Mit Realschulabschluss Mit Fachhochschulreife Mit allgemeiner Hochschulreife

(insgesamt = 100) % 8,3 % 25,0 % 42,6 % 1,2 % 23,0

kindern in der Schule aufgezeigt. In der Grundschulstudie IGLU erwiesen

Insgesamt 1

100

100

100

sich 25 % der Migrantenkinder in Deutschland als schwache Leser und

darunter: weiblich Ohne Hauptschulabschluss 1 000 29,6 Mit Hauptschulabschluss 1 000 104,5 Mit Realschulabschluss 1 000 216,6 Mit Fachhochschulreife 1 000 6,2 Mit allgemeiner Hochschulreife 1 000 128,4

23,9 88,4 202,7 5,6 124,2

5,8 16,1 13,9 0,6 4,2

Zusammen 1

444,8

40,6

5,4 19,9 45,6 1,3 27,9

14,2 39,6 34,3 1,5 10,5

100

100

Rechner; der Leistungsabstand zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund lag bei rund einem Schuljahr. Bei den 15-Jährigen, die für die PISA-Studie getestet wurden, ist der Abstand noch größer und beträgt bis zu zwei Schuljahre.

Zahlen, sondern die Tatsache, dass rund 70 % – in PISA 2003 sogar fast 80 % – der Migrantenkinder, die die Lernziele nicht erreichen, bereits in Deutschland geboren sind und das deutsche Bildungssystem von Anfang an durchlaufen haben. Erst in späterem Lebensalter aus dem Ausland zugewanderte Jugendliche hatten zum Teil sogar deutlich besser bei den Leistungstests abgeschnitten als schon hier geborene Jugendliche ausländischer Eltern. Das ist im internationalen Vergleich einmalig. Zu-

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

%

1 000

484,4

Abschlussstruktur - weiblich

Besonders erschreckend an den Ergebnissen waren nicht alleine die

14

Insgesamt 1 000 1 000 1 000 1 000 1 000

Absolventen/ Abgänger Insgesamt

Ohne Hauptschulabschluss Mit Hauptschulabschluss Mit Realschulabschluss Mit Fachhochschulreife Mit allgemeiner Hochschulreife Zusammen 1

(zusammen = 100) % 6,1 % 21,5 % 44,6 % 1,3 % 26,5 %

100

1

Abweichungen durch Rundungen möglich. Aktualisiert am 26. Oktober 2005. Statistisches Bundesamt 2005

In der Schule

15

Ebenfalls sehr unbefriedigend ist die bisherige Bilanz der Bildungsbeteili-

Problematisch ist insbesondere auch die in Deutschland außerordentlich

gung von Zuwandererkindern: Zuwandererkinder sind an der Hauptschule

starke Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozio-ökonomischen

mit 50 % über- und am Gymnasium mit 9 % unterrepräsentiert. Dabei

Herkunft. Diese enge Koppelung schlägt sich bei Migrantenkindern be-

schaffen es Mädchen – ähnlich wie deutsche Mädchen – eher auf weiter-

sonders nieder, die oft aus einfachen Verhältnissen kommen: Sie besu-

führende Schulformen als Jungen. Unter den Migranten haben die Her-

chen zu 50 % eine Hauptschule. Allerdings erreichen in Österreich und

kunftsgruppen sehr unterschiedliche Bildungserfolge; so sind die zuge-

der Schweiz Migrantenkinder aus der Türkei und der Sowjetunion bes-

wanderten Jugendlichen aus der ehemaligen Sowjetunion weit stärker an

sere Kompetenzwerte als in Deutschland, und dies obwohl der sozio-

der Realschule vertreten als Kinder türkischer Herkunft. In den 1970er Jah-

ökonomische Status der Familien jeweils gleich ist. Das Potenzial der Ju-

ren verließen noch rund 50 % der ausländischen Jugendlichen die Schule

gendlichen wird also in Deutschland besonders unzureichend in Kom-

ohne Abschluss. 2002 waren es noch 20 % und 2004 18,1 % – aber bei

petenzen umgesetzt.

den deutschen Schülern lediglich 7,4 %. Nur spanische Schüler erreichen eine annähernde Bildungsbeteiligung wie ihre deutschen Altersgenossen. Ursache des großen Leistungsabstands ist vor allem die mangelnde

Sprache als Schlüssel fördern

deutsche Sprachkompetenz. „Schülerinnen und Schüler, die zu Hause nicht die Sprache sprechen, in der der Unterricht gehalten wird, … ent-

Die Förderung der sprachlichen und dabei insbesondere auch der Lese-

wickeln deutlich geringere Kompetenzen“. Aber nur die Hälfte der Ju-

kompetenz im Deutschen erweist sich daher als der entscheidende

gendlichen mit Migrationshintergrund spricht im Alltag vorwiegend

Schlüssel für den Schul- und Bildungserfolg der Migrantenkinder: Sprach-

deutsch. Die Befunde belegen, dass sogar „die Unterschiede in den

förderung geschieht nicht von alleine, sondern braucht gezielte Beglei-

mathematischen Kompetenzen zwischen Jugendlichen mit und ohne

tung und Unterstützung.

Migrationshintergrund stärker auf den Sprachgebrauch als auf den Migrationsstatus zurückzuführen“ sind (PISA 2003).

Sprachfördermaßnahmen müssen so früh wie möglich einsetzen; sie dürfen aber nach dem Kindergarten bzw. der Vorschule oder Vorberei-

Schüler, die vorwiegend deutsch sprechen, erreichten unter den Mi-

tungsklasse nicht aufhören, sondern müssen weiter angeboten und

granten die höchsten Durchschnittswerte im Schülerleistungsvergleich

durchgeführt werden: Die bisherige eher punktuelle Förderung muss zu

PISA; sie lagen in den meisten Bundesländern etwa im Landesdurch-

einer kontinuierlichen Förderung ausgebaut werden. Der derzeitige

schnitt. Diese Gruppe erreicht auch deutlich höhere Lesekompetenzen,

starke Ausbau der Sprachförderung im Kindergarten in vielen Ländern

die nahe an den Landesdurchschnitten liegen. Dagegen schneiden Ju-

und Kommunen darf nicht dazu führen, die Sprachförderung in der Schu-

gendliche, die primär ihre Herkunftssprache verwenden, deutlich unter

le zu reduzieren. Sie muss im Gegenteil über die gesamte Pflichtschul-

dem Durchschnitt ab. Von Schülern polnischer und italienischer Ab-

zeit hinweg – mit unterrichtlichen wie außerunterrichtlichen Maßnahmen

stammung sprechen zuhause 60 % primär deutsch, aus Ländern der ehe-

– ausgebaut werden. Sie kann auch nicht allein dem Deutschunterricht

maligen Sowjetunion 46 %. Die meisten Jugendlichen aus dem ehema-

überantwortet werden, sondern braucht ein zielgruppenorientiertes

ligen Jugoslawien und der Türkei sprechen dagegen deutsch nur neben

Konzept für „Deutsch als Zweitsprache“ (DAZ).

ihrer Herkunftssprache. Kinder türkischer Eltern bilden mit 20 % den größten Teil der Schüler, die vor allem ihre Herkunftssprache sprechen.

16

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Schule

17

Jacobs Sommercamp

lichen Leistungen verbessert werden, die die Chancen auf einen qualifizierten Schulabschluss und damit auf einen Ausbildungsplatz

150 Kinder mit Migrationshintergrund aus 23 Bremer Grundschulen

erhöhen. Dass das Projekt erfolgreich ist, wird nicht nur aufgrund der

wurden im Sommer 2004 auf eine Reise in das Land der Sprache

großen Nachfrage bei den Schülern deutlich, sondern auch dadurch,

und des Theaters eingeladen. In Schullandheimen nahmen die Dritt-

dass ihre Leistungen sich deutlich verbessern. Die Schüler werden

klässler an verschiedenen Maßnahmen der Sprachförderung und an

zudem in ihrem Selbstbewusstsein und in ihrer Persönlichkeit ge-

vielfältigen Freizeitaktivitäten teil.

stärkt. So kann auch Edvin, Schüler der Willi-Brandt-Gesamtschule in Bottrop, diesmal ohne Sorge sein Halbjahreszeugnis entgegen-

Im Theaterprogramm erarbeiteten sie gemeinsam mit professionel-

nehmen: „Ich bin seit einem halben Jahr beim Förderunterricht und

len Theaterpädagoginnen Material für eine Aufführung, die sie zum

merke erste Fortschritte. Meine Noten haben sich verbessert, in Ma-

Abschluss des Projekts im Bremer Waldau-Theater zeigten. Im Deutsch-

the von 3 auf 2 und in Deutsch von 4 auf 3. Seit dem Förderunter-

unterricht lernten sie, dass der „Chef“ im Satz das Verb ist und wie

richt habe ich mehr Lust im Unterricht mitzumachen. Das macht

sich Verben und andere Wörter im Satz ändern. In der Freizeit wur-

mich glücklich und ich komme gern zum Förderunterricht."

de gemalt, gebastelt, Sport getrieben und vieles mehr. Das JacobsSommercamp war für die Kinder ein außergewöhnliches Erlebnis. Es

In Kleingruppen von drei bis sieben Kindern werden die Schüler

wurde vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin be-

mehrmals in der Woche sprachlich und fachlich gefördert, aber auch

gleitet. Dabei zeigte sich, dass sich auch im relativ kurzen Zeitraum

in ihrer persönlichen und familiären Situation unterstützt. Das Be-

eines Sommercamps die sprachlichen Kompetenzen der Migran-

sondere an dem Konzept der Stiftung Mercator ist, dass auch die För-

tenkinder – sogar deutlicher als erwartet – wirksam steigern ließen.

derlehrer vom Unterricht profitieren. Für ihre Tätigkeit werden die Studierenden, überwiegend Lehramtsstudierende, durch die betei-

www.mpib-berlin.mpg.de/forschung/eub/projekte/jacobs-sommercamp.htm

ligten Hochschulen pädagogisch geschult und begleitet. Die zukünftigen Lehrer können so wichtige Praxiserfahrungen sammeln und werden optimal auf ihren Berufsalltag vorbereitet.

Stiftung Mercator: Förderunterricht durch Studierende

www.stiftung-mercator.de

Wenn die Zeugnisse vergeben werden, muss sich der 14-jährige Edvin aus Bosnien keine Sorgen machen. Denn er ist einer von 1.300

Insbesondere müssen fremd- und mehrsprachig aufgewachsene Kinder

Schülern aus dem Ruhrgebiet, die am Projekt „Förderunterricht für

an die spezifische Fachsprache der Schule herangeführt werden, die sich

Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund" der Stiftung Mer-

vom gesprochenen Deutsch des Alltags – auch der deutsch sprechenden

cator teilnehmen.

Migranten – deutlich unterscheidet und eher der Schriftsprache entspricht. Die DESI-Studie 2006 hat gezeigt, dass die sprachliche Förderung

18

Mit dem Projekt „Förderunterricht" bietet die Essener Stiftung Mer-

von Schülern besser gelingt, wenn das Lehrerteam einer Schule sich über

cator ein konkretes Modell an 35 Standorten: Bereits in der Schule

die zentrale Bedeutung der Sprache einig ist und der Sprachkompetenz

können mit gezieltem Förderunterricht die sprachlichen und fach-

einen hohen Stellenwert im Unterricht zuweist.

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Schule

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Besonders wichtig ist die Förderung der Lesekompetenz. Kinder aus sozial benachteiligten Schichten können ihre Startnachteile am besten aus-

Kernanliegen ist der kumulative Aufbau von schul- und bildungs-

gleichen, wenn sie lesen: „15-Jährige, die viel lesen, aber sozio-ökono-

sprachlichen Fähigkeiten als wesentliche Voraussetzung für schulischen

misch benachteiligt sind, erreichen bessere Leistungen als Jugendliche

Erfolg. Denn ein kompetenter Umgang mit den Themen und Inhalten,

aus besser situierten und sozial intakteren Elternhäusern, die wenig le-

die in einem Bildungsgang angeeignet werden sollen, ist nur möglich,

sen“ (OECD Bildung auf einen Blick 2002). Besondere Projekte innerhalb

wenn dafür die fachspezifischen schul- und bildungssprachlichen Kom-

der Schule oder mit externen Partnern wie Erzählwerkstatt, Geschich-

petenzen vorhanden sind. Voraussetzung ist eine systematische, über

tensammlungen und Theaterspielen können die Sprachentwicklung der

längere Dauer kontinuierliche, die vorhandenen sprachlichen Fähig-

Kinder unterstützen und zur Leselust motivieren.

keiten und Ressourcen möglichst umfassend berücksichtigende Förderung. Sprachliche Förderung kann nicht nur vorbereitend erfolgen,

Sprachunterricht betrifft alle Fächer: Auch in Mathematik und den

sondern muss zumindest über solche Phasen der Bildungsbiographie

Naturwissenschaften stellen sich mit Textaufgaben, Beschreibungen von

hinweg begleiten, in denen die domänen- bzw. fachspezifischen

Experimenten und Naturphänomenen oder Referaten und Präsentatio-

sprachlichen Anforderungen sich ausdifferenzieren.

nen Aufgaben, die Sprachkompetenz benötigen – allgemeine und fachbezogene – und mit denen diese wiederum gefördert werden kann.

Kooperative Sprachförderung

Lehrkräfte aller Fächer müssen daher in ihrer Aus- und Fortbildung auch

Der kumulative Aufbau schul- und bildungsrelevanter sprachlicher

auf die Vermittlung von Sprachkompetenz vorbereitet werden. Sie müssen

Fähigkeiten erfordert es, dass möglichst alle an der Sprachförderung

zudem berücksichtigen, dass andere Kulturen auch andere Konzepte von

Beteiligten zusammenwirken. Die Zusammenarbeit von Schule, El-

Zeit und Raum oder Zählweisen haben, von denen die Kinder geprägt

ternhaus und außerschulischen Einrichtungen ist daher ebenso wich-

sind. Die außerunterrichtlichen Sprachfördermaßnahmen für Migranten-

tig wie die Mitwirkung von Lehrkräften verschiedener Lernbereiche

kinder haben auch auf die jeweiligen Fächer Bezug zu nehmen.

bzw. Fächer. Sprachförderung an bildungsbiographischen Schnittstellen

FörMig: Programm der Bund-Länder-Kommission zur Förderung

Zur Kumulation von sprachlichen Fähigkeiten im Sinne der Weiter-

von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund

entwicklung des bereits Erreichten ist eine enge Kooperation an den Übergängen im Bildungssystem erforderlich; die Zusammenarbeit

Das Programm FörMig konzentriert sich auf die sprachliche Förde-

der Institutionen ist bislang nicht selbstverständlich. Im Programm

rung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Es

FörMig sollen daher Innovationsideen entwickelt werden, die helfen,

werden innovative Ansätze entwickelt, erprobt und überprüft, die

die an den Schwellen der individuellen Bildungsbiographie beste-

sich für die Förderung der sprachlichen Fähigkeiten von Kindern und

henden strukturellen Grenzen zu überwinden.

Jugendlichen mit zwei oder mehr Sprachen möglichst optimal eig-

20

nen. Anregungen für diese Entwicklungen werden aus Ländern ge-

Auf Diagnoseergebnisse aufbauende Förderung

wonnen, die heute schon bessere Erfolge bei der Förderung von

Die Förderung von Fähigkeiten setzt den Einsatz von adäquaten

Zuwandererkindern erzielen als Deutschland.

förderdiagnostischen Verfahren voraus. Daher werden Verfahren

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Schule

21

(weiter-)entwickelt oder erprobt und Konzepte der Förderung erar-

same Lernen hilft zudem, Vorurteile zu überwinden. Die Schule ko-

beitet, die an die Diagnoseergebnisse so gut wie möglich anschließen.

operiert mit vielen Partnern.

An FörMig beteiligen sich 10 Bundesländer und das Institut für International und

In der Sprachwerkstatt können sich Schüler von Klasse 2 bis 9 mit

Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg.

modernen Sprachen beschäftigen z.B. Englisch, Türkisch, Dänisch,

www.blk-foermig.uni-hamburg.de

2003 besuchten 120 Schüler in 18 Gruppen mehrere Sprachkurse,

Griechisch etc. Die Wünsche werden durch Fragebögen ermittelt. die von 13 Erwachsenen (Lehrern, Lehrbeauftragten, Eltern) geleitet wurden. In Kooperation mit der Stadt werden Deutschkurse für

Die Herkunft der Kinder und ihrer Familie mit ihrer Sprache und Kultur soll keineswegs verleugnet oder vernachlässigt, sondern im Gegenteil weiter gepflegt und auch Kindern ohne Migrationsgeschichte nahe gebracht werden. Mehrsprachigkeit und Interkulturalität sind in einer weltoffenen Gesellschaft und international verflochtenen Wirtschaft neue und zentrale Schlüsselqualifikationen. Schulen müssen die vorhandenen unterschiedlichen kulturellen Hintergründe ihrer Schüler stärker als Chance begreifen und für die Kompetenzvermittlung nutzen. Die Akzeptanz

Migranten angeboten. In der Elternschule können türkischsprachige Frauen Deutsch lernen und Vorträge auf Türkisch hören; eine Kinderbetreuung steht zur Verfügung. Im Projekt „Wegweiser“ wird die Sprachförderung mit der Persönlichkeitsbildung und Berufsorientierung kombiniert. Es wird von Studierenden der Hochschule für Sozialwesen entwickelt und durchgeführt. www.schillerghs.es.schule-bw.de

ihrer Kultur wird für Migrantenkinder und ihre Familien die Akzeptanz der Schule erleichtern und ihre Leistungs- und Integrationsbereitschaft fördern.

Nicht selten herrscht anstatt interkultureller Kompetenz ein doppelter Analphabetismus vor. In der Grundschule ist daher die Alphabetisierung

Sprachzentrum der Schillerschule Esslingen Erster Preisträger Hauptschulpreis 2003 Das Sprachzentrum ist eine eigenständige Einrichtung der Schillerschule. Es hat die Aufgabe, durch vielseitige inner- und außerschulische Angebote sowohl das Erlernen der deutschen Sprache zu erleichtern als auch die mannigfaltigen Muttersprachen der Schüler –

der Migrantenkinder in ihrer Herkunftssprache zu prüfen und zu ermöglichen. Schulen müssen über die entsprechenden Möglichkeiten verfügen können, um eine solche Alphabetisierung – je nach sprachlicher Zusammensetzung ihrer Schülerschaft – anbieten und zum Teil ihres Schulprofils machen zu können. Auch bilinguale Grundschulen sind ein sinnvolles Modell. Sprachen großer Gruppen wie z.B. Türkisch sind – nach englisch – als

65 % sind Migranten – zu pflegen. Mehrsprachigkeit ist das

zweite oder dritte Fremdsprache an den weiterführenden Schulen an-

Grundthema des Sprachzentrums: Neugier auf Sprache, Interesse an

zubieten. An jeder Schule ist eine Zertifizierung der Beherrschung der

der Verschiedenartigkeit von Sprache, Kennenlernen anderer Spra-

Herkunftssprache für die Schüler – als Teil ihres Portfolios – möglich zu

chen – Sprachenlernen wird nicht nur als Erfordernis an Zuwanderer,

machen. Die Ergebnisse der DESI-Studie belegen, dass mehrsprachig auf-

sondern als Reichtum und Bildung für alle verstanden. Das gemein-

gewachsene Kinder sogar über ein insgesamt verbessertes Sprachvermögen verfügen.

22

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Schule

23

Interkulturelle Kompetenzen für alle Schüler können durch Fächer über-

Lernen differenzieren, individuell fördern

greifendes Lernen wie durch eine internationale Ausrichtung innerhalb der Fächer gestärkt werden. Bezüge auf die verschiedenen Herkunfts-

Migrantenkinder profitieren von einer allgemeinen Qualitätsverbesse-

kulturen im Schulleben, bei Festen und Ereignissen kommen hinzu. In-

rung des Schulwesens besonders. Die PISA-Studie hat gezeigt, dass sie

ternationaler Schüleraustausch und Schulpartnerschaften bereichern die

in denjenigen Ländern bessere Kompetenzen erzielen, in denen auch

Erfahrungswelt und das Weltbild der Jugendlichen.

das Leistungsniveau insgesamt höher liegt. In Bayern, das in PISA 2000 wie 2003 mit seinen Schülerleistungen in Deutschland weit an der Spit-

Die Verwendung des Deutschen als vorwiegende Umgangssprache im

ze lag, erreichten die Migrantenkinder beim Lesen den allgemeinen

Alltag und auch in der Familie ist für den Lern- und Bildungserfolg der

Durchschnittswert der gesamten Testgruppe 15-jähriger Schüler in ganz

Kinder entscheidend. Eltern und Familien von Migrantenkindern müssen

Deutschland. Gehören bei den schulischen Spitzenreitern Bayern 20 %

daher in die Sprachförderung der Schule einbezogen werden. Mit ziel-

und Baden-Württemberg 25 % der Migrantenkinder zu den „schwachen

genauen Programmen kann die Sprach-, Lese- und Schreibfähigkeit von

Lesern“, sind es in Bremen, Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-

Migranteneltern weiter entwickelt werden. Durch gemeinsame Aktivitä-

Westfalen mehr als 35 %. Ihr Anteil an der höchsten Leistungsgruppe be-

ten von Eltern und ihren Kindern werden Interesse an Lesen und Schrei-

trägt 6 % in Bayern und 2 % in Bremen und Niedersachsen.

ben geweckt und der praktische Umgang mit Lernmaterialien geübt. Auch bei der Förderung des Lesens ist das Engagement der Eltern unersetzbar: Lesefreude und -häufigkeit steigern die Sprachkompetenz der

„Die Länder mit hervorragenden Leistungen in der Gruppe der

Kinder und Jugendlichen am effektivsten.

Schüler mit in Deutschland geborenen Eltern weisen in der Regel auch überdurchschnittliche Leistungen bei Schülern mit Migrationsgeschichte auf. Dies gilt umgekehrt auch für Länder mit schlechten

Sprache als Schlüssel fördern:

Leistungen von Schülern mit in Deutschland geborenen Eltern, wo

> Sprach- und Lesekompetenz im Deutschen nachhaltig fördern

auch die Schüler aus Migrationsfamilien schlecht abschneiden. Der

> Kontinuierliche Förderung durch die gesamte Pflichtschulzeit

schaffen > Fach- und Bildungssprache der Schule vermitteln > Sprachkompetenz in allen Fächern schulen

Zusammenhang zwischen den Ländermittelwerten für die Schülergruppe mit und ohne Migrationshintergrund ist ... sehr eng.“ PISA 2000 – Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Opladen: Leske + Budrich, 2002, S. 84

> Zusätzliche Projekte zur Sprachförderung durchführen > Interkulturelle Kompetenzen stärken > Alphabetisierung in der Herkunftssprache ermöglichen > Mehrsprachigkeit unterstützen > Herkunftssprache zertifizieren, als 2./3. Fremdsprache anbieten > Migrantenfamilien in Sprach- und Leseförderung einbeziehen

Die Lehrerausbildung muss hochwertig und praxisnah sein: Lehrkräfte brauchen nicht nur Fachwissen, sondern auch psychologische und pädagogische, diagnostische und methodische Kompetenzen. Vor allem der Umgang mit den höchst unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schülerschaft muss in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte aller Schulformen im Mittelpunkt stehen. Schon in den Praxisphasen während des

24

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Schule

25

Studiums müssen sie die Heterogenität und Mehrsprachigkeit der Schüler

austauschen und über das weitere Vorgehen beraten. Bei Bedarf wird als

kennenlernen. Interkulturelle Pädagogik muss selbstverständlicher Teil

Resultat ein gemeinsamer Förderplan aufgestellt, umgesetzt und in der

der Lehrerausbildung sein.

Folge auf seine Wirkung hin überprüft. Migranteneltern brauchen Informationsmaterial in ihrer Herkunftssprache, um sich über das deutsche

Für das Unterrichten, Begleiten und Fördern von Migrantenkindern ist zu-

Bildungssystem und seine Möglichkeiten für ihr Kind selbst informieren

dem kulturelles Hintergrundwissen notwendig, um andere Vorgehens-

zu können. Die Chancen von Bildung und Ausbildung für ihr Kind in einer

und Verhaltensweisen von Kindern unterschiedlicher kultureller Prägung

technologiebasierten Wirtschaft und Informationsgesellschaft müssen

zu verstehen und bewerten zu können. Auch die Lehrerfortbildung wird

ihnen deutlich werden.

hierbei verstärkt einen Schwerpunkt setzen müssen. Ein besserer Umgang mit der Heterogenität der Jugendlichen muss dabei auch die unterschiedlichen Bedürfnisse der Jungen und der Mädchen einschließen.

Interkulturelle Elternarbeit Köln

Individuelle Förderung und differenziertes Lernen müssen zum Gene-

Die Koordinierungsstelle „Interkulturelle Elternarbeit“ in Köln setzt

ralprogramm der Schulen werden. Sie sind für eine Verbesserung der

darauf, Migranteneltern „in gleicher Augenhöhe“ zu begegnen und

Schülerleistungen unabdingbar und zugleich das größte Defizit in allen

ihre Erwartungen und Nöte ernst zu nehmen.

Schulformen. Methodisch-didaktische Elemente wie Lernpläne, Lesetagebücher, Wochenplan-, Frei- und Projektarbeit sorgen nicht nur für ein

Elternsemimare in der Schule oder in lokalen interkulturellen Zen-

aktives, sondern auch für ein individualisiertes Lernen. Insbesondere

tren informieren die Eltern darüber, wie sie den Schulerfolg ihrer Kin-

Migrantenkinder brauchen ein methodisches und selbst verantwortetes

der unterstützen können. Individuelle Beratungen für Jugendliche

Lernen, um ihre Lernweisen und -erfolge selbst weiter verbessern zu

und ihre Eltern, auch mit Hausbesuchen, kommen hinzu. Für drin-

können. Erst eine Individualisierung des Lernens kann alle Talente und Be-

gende Sofort-Fragen steht eine Eltern-Hotline zur Verfügung. Be-

gabungen zur Entfaltung bringen.

triebserkundungen zeigen den Eltern die Vielfalt der Berufsausbildungen; dabei sind erfolgreiche Mitarbeiter mit Migrationshinter-

Die persönliche Beratung und Begleitung jedes einzelnen Schülers

grund die Gesprächspartner. Beteiligt sind der Arbeitgeberverband

durch die Schule kommt hinzu. Es reicht nicht aus, dass die Schule nur

der Metall- und Elektroindustrie Köln, das Schulamt für die Stadt

Angebote macht oder der Lehrer unterrichtet und auf der anderen Seite

Köln, das Interkulturelle Referat der Stadt Köln, der Deutsch-Türki-

die Schüler zusehen, was sie mitmachen und mitnehmen. Jeder einzel-

sche Verein und weitere lokale Partner.

ne bedarf der Zuwendung, Förderung und aktiven Unterstützung: Kein Kind darf zurückbleiben – auch kein Migrantenkind. Regelmäßige Stärken-

www.bildung.koeln.de/regionale-projekte/equal

Schwächen-Analysen, verbindliche Beratungsgespräche – auch gemeinsam mit den Eltern – und ggf. individuelle Lern- und Förderpläne sind notwendig; die Ergebnisse werden im Portfolio des Schülers dokumentiert.

Außerschulische Mentoren können sich darüber hinaus Kindern und Jugendlichen mit besonderem Bedarf an persönlicher Begleitung zu-

26

Die Schule führt halbjährliche verbindliche Elterngespräche durch, in

wenden und sie unterstützen. Solche lebens- und berufserfahrenen Be-

denen Lehrer und Eltern sich über den Entwicklungsstand des Kindes

gleiter können – ohne die Zwänge schulischer Leistungsanforderungen –

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Schule

27

die sprachliche Praxis ihrer Schützlinge verbessern, Verhaltensweisen korrigieren, sie beraten und informieren.

In Workshops hat man seinerzeit die Probleme analysiert, eine Hierarchie der Bedürfnisse erarbeitet und Fortbildungsschwerpunkte

Für Kinder aus Migrationsfamilien sind Lehrkräfte mit Migrationshinter-

identifiziert. Seitdem finden jährlich Fortbildungen aus den beiden

grund eine Hilfe und Lernmotivation und ein großes Vorbild. Abiturien-

Bereichen „Erwerben interkultureller und sozialer Kompetenz“ und

ten aus Migrantenfamilien sind verstärkt auf den Lehrerberuf aufmerk-

„Effektivierung der Methodik“ statt. Einblick in andere Kulturkreise,

sam zu machen und gezielt dafür zu werben. Lehrer mit einem anderen

deren Erziehungsweise und Umgangsformen wie in Erwartungs-

kulturellen Hintergrund sind auch für Kinder deutscher Herkunft und

haltung und Bildungsstand der Migranteneltern gehören ebenso da-

für das Lehrerkollegium insgesamt eine Bereicherung.

zu wie „Lernen lernen“, offener Unterricht, Projektarbeit oder Spracherwerb von Kindern.

Deutscher Arbeitgeberpreis für Bildung 2005

Die Kinder bringen ihre unterschiedlichen Herkunftshintergründe in

Schule entwickelt eigenes Fortbildungskonzept

die Schule mit ein und wachsen dort zu einer Schulgemeinschaft zusammen. Gegenseitige Besuche von Moschee und Kirche ergänzen

Die Grundschule am Theodor-Heuss-Platz liegt in einem sozial pro-

das interkulturelle Schulfest. Die Werteerziehung steht jeden Monat

blematischen Umfeld in München-Neuperlach. Knapp 80 % der

unter einem bestimmten Motto. Theatervorführungen und Lesezel-

Schüler sind Migantenkinder aus 30 verschiedenen Ländern. Vor 5

te stärken das Miteinander wie die sprachliche Kompetenz. Auch ex-

Jahren haben Lehrkräfte und Schulleitung auf die immer schwieriger

terne Institutionen, z.B. Siemens, sind beteiligt.

werdende Situation an ihrer Schule mit einem Neustart reagiert – trotz allem Wohlwollen der Lehrer gegenüber den Migrantenkindern schlugen sich die absolvierten Fortbildungen nicht in schulischem Erfolg nieder.

Lernen differenzieren, individuell fördern: > Qualitätsverbesserung der Schule hebt Leistungsniveau der

Das Schul-Team hat sich daher zusammengesetzt, ein Konzept für das Profil der Schule erarbeitet und daraus ein eigenes Programm für die weitere Qualifizierung der Lehrkräfte erarbeitet. Die Frage „Was brauchen wir an unserer Schule und für unsere Schüler?“ wurde zum Dreh- und Angelpunkt aller weiteren Maßnahmen. Das Lehrer-Kollegium ist seitdem zu einem Team zusammengewachsen, das an einem Strang zieht.

Migrantenkinder > Lehrerausbildung muss auf kulturelle Heterogenität der Schüler

vorbereiten > Selbstständiges methodisches Lernen stärkt Selbstkompetenz > Kontinuierliche Beratung und Begleitung sind notwendig > Elterngespräche finden halbjährlich verbindlich statt > Außerschulische Mentoren helfen

Durch die regelmäßigen Anpassungen des Schulprofils an die aktu-

> Lehrer mit Migrationshintergrund werden geworben

ellen Erfordernisse und die selbstverständliche, tägliche Zusammenarbeit der Lehrkräfte kommen große Probleme gar nicht mehr auf.

28

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Schule

29

Persönliche und soziale Kompetenzen stärken und von externen Partnern – bis hin zur örtlichen Moschee – unterWerteerziehung ist eine Aufgabe, die die Schule wahrnehmen muss und

stützt wird. Die Verschiedenheit der Schüler wird als ihre Gemein-

die bei Migrantenkindern besondere Bedeutung hat. Die allgemein bil-

samkeit begriffen. Regelmäßige Absolventen- und weitere gezielte

dende Schule vermittelt die kulturellen Kernbestände unseres Landes

Befragungen sorgen für die Evaluation und Qualitätssicherung der

und die tragenden Werte Europas. Die in der Schule geltenden Normen

schulischen Arbeit.

und Regeln müssen von der Schulgemeinschaft klar definiert und ihre Achtung muss eingefordert werden. Respekt vor den Menschen, die in-

Schüler erkunden ihre Herkunftsländer, stellen Kleidung, Küche und

nerhalb und außerhalb der Schule begegnen, hat dabei oberste Priorität.

Kultur den Mitschülern vor. Gastauftritte von Musikern und Dichtern

Gewalt kann ebenso wenig toleriert werden wie Diskriminierung wegen

anderer Herkunft ergänzen die international ausgerichteten Schul-

des Geschlechts oder der Herkunft. Kommunikations- und Teamfähigkeit,

feste. Diese Anerkennung stärkt das Selbstbewusstsein der Migran-

Verantwortung und Selbstständigkeit, Selbstvertrauen und Vertrauen in

tenkinder entscheidend. Mit einem „Sozialpreis“ ehrt die Frieden-

andere, Selbstbewusstsein und Toleranz sind zentrale persönliche und

schule besonderes soziales Engagement von Schülern. Persönliche

soziale Kompetenzen, die junge Menschen lernen und erfahren müssen.

Kompetenzen wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Höflichkeit werden im Schulalltag groß geschrieben. Schüler und Lehrer haben

Die Kooperation mit den Eltern und Familien betrifft auch die sozialen

in der Schulvereinbarung einen Verhaltenskodex akzeptiert. Am

und persönlichen Kompetenzen der Kinder. Ziel ist eine Erziehungspart-

„Dress Day“ kommen alle gut angezogen in die Schule.

nerschaft von Schule und Eltern. Schulen können die Eltern in Erziehungsfragen beraten und thematische Elternabende zu konkreten

Der Kontakt zu den Eltern wird durch Dolmetscherinnen bei den Ein-

pädagogischen Fragen anbieten. Dabei müssen ihnen Dolmetscher zur

zelgesprächen und der „Elternakademie“ der Schule unterstützt, in

Verfügung stehen. Elternvereine müssen von sich aus auf Migranteneltern

der Deutsch-Kurse und Erziehungsberatung durch einen türkischen

zugehen und sie in ihre Aktivitäten einbeziehen, Schulen die Kooperati-

Psychologen angeboten werden. Lehrer mit russischem, albanischem

on mit den Migrantenorganisationen und anderen institutionellen An-

und italienischem Migrationshintergrund unterrichten an der Frieden-

sprechpartnern und Multiplikatoren vor Ort suchen.

schule. Wert gelegt wird aber auch auf Englisch als internationale Kommunikationssprache; Englisch-Lehrer der Friedenschule nehmen jährlich an – selbst finanzierten – Fortbildungen in England teil.

Frieden-Volksschule in Schweinfurt Die berufsvorbereitenden Praktika werden vor allem in AusbilIn der Hauptschule im fränkischen Schweinfurt haben 70 % der Schüler

dungsbetrieben abgeleistet, die von Meistern mit Migrationshinter-

einen Migrationshintergrund mit 26 verschiedenen Sprachen. Aus die-

grund geführt werden. Durch die Kooperation mit einer Reihe von

ser Vielfalt hat die Friedensschule ihr Schulprogramm als „interkul-

Innungen und Betrieben ist die Berufsvorbereitung praxisnah. Alle

turelle Begegnungsstätte“ entwickelt. Aus dem Leitsatz „Gemeinsam

Bemühungen werden im Berufswahlpass und in einem zeugnis-

gut sein – interkulturell stark in der Schule und im Leben“ wurde ein

ergänzenden Zertifikat dokumentiert.

Gesamtkonzept entwickelt, das von allen Beteiligten mitgetragen

30

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

www.friedenschule-sw.de

In der Schule

31

Erziehung zur Demokratie und zur bürgerschaftlichen Mitverantwortung

Diagnostik systematisieren

beginnt in der Schule. Schüler brauchen dabei Möglichkeiten, selbst Verantwortung wahrzunehmen oder demokratische Verfahrensweisen ein-

Die Übergänge zwischen den verschiedenen Stationen der Bildungs-

zuüben. Ehrenamtliche Aktivitäten oder besonderes schulisches Enga-

laufbahn sind vor allem für Migrantenkinder überaus kritische Schwellen

gement von Schülern werden ebenfalls in ihrem Portfolio dokumentiert.

und müssen weitaus besser geebnet werden als bisher. Der Weg in die Gesellschaft darf nicht durch eine Aneinanderreihung von Misserfolgser-

Ein Unterricht in der jeweiligen Religion – allen voran ein islamischer Re-

lebnissen geprägt sein. Vor der Grundschule werden sie häufiger als

ligionsunterricht – in deutscher Sprache und durch in Deutschland aus-

deutschsprachige Kinder zurückgestellt; dabei hat die PISA-Studie ge-

gebildete Lehrer ist notwendig; er wird das ethische Urteils- und Reflexions-

zeigt, dass Rückstellungen – ebenso wie Klassenwiederholungen – keine

vermögen schärfen und die Werte der Religion mit den Werten des

Verbesserung der Schulleistung bedeuten, sondern die schlechteren

Grundgesetzes und der europäischen Demokratien verbinden können.

Leistungen sich fortsetzen. Kritisch ist zudem der Übergang von der Grundschule in die weiter-

„Wechselseitige Wahrnehmung und Achtung sind unabdingbare

führende Schule bzw. die Wahl der Schulform. Die sprachlichen Beein-

Voraussetzungen für ein friedliches Miteinander. Die Mehrheits-

trächtigungen führen zu einer Bildungsbeteiligung ausländischer Kinder,

gesellschaft muss die mitgebrachten Werte und Prägungen der Zu-

die nicht der Beteiligung deutscher Kinder entspricht. Eine neu aufge-

wanderer – soweit diese mit den Grundwerten unserer Verfassung

stellte und effektive Sprachförderung in Kindergarten und Grundschule

vereinbar sind – respektieren. Die Zuwanderer ihrerseits sind gehal-

wird daher entscheidend dazu beitragen, diese Übergänge so zu gestal-

ten, den Traditionen der Mehrheitsgesellschaft mit Verständnis und

ten, dass sie der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Kindes ge-

Wertschätzung zu begegnen.“

recht werden. Die Wahl der weiterführenden Schule darf zudem keine

Wort der Deutschen Bischöfe zur Integration von Zuwanderern 2003

definitive Festlegung des Schulabschlusses sein, sondern muss für weitere Wege offen bleiben – Abschlüsse müssen Anschlüsse bieten. Das ist zwar in der Theorie bereits der Fall, aber noch nicht in der Alltagspraxis

Persönliche und soziale Kompetenzen stärken:

die Realität. Wenn alle Talente gewonnen werden sollen, muss Durch-

> Werteerziehung als Aufgabe der Schule stärken

lässigkeit ein Anliegen mit neuer Prioritätensetzung sein.

> Schulregeln akzeptieren und umsetzen > Kommunikations- und Teamfähigkeit, Verantwortung und

Selbstständigkeit etc. lernen und erfahren > Selbstbewusstsein und Toleranz entwickeln > Eltern in Erziehungsfragen beraten, Erziehungspartnerschaft auf-

bauen

32

Die Beobachtung und Diagnostik einerseits, die individuelle Förderung und Unterstützung andererseits müssen daher kontinuierlich gepflegt werden und in den verschiedenen Bildungsphasen aufeinander aufbauen. Die Fortführung des Portfolios vom ersten Kindergartentag über Grundschule und weiterführende Schule bis zum Abschluss kann dabei wirksam helfen. Nur durch Kontinuität kann eine nachhaltige Förderung

> Kooperation mit weiteren Ansprechpartnern vor Ort suchen

und ein kumulativer Entwicklungsprozess mit klaren Lern- und Leis-

> Islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache anbieten

tungszuwächsen erreicht werden.

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Schule

33

Pädagogen in Kindergarten und Schulen brauchen dringend diagnostische Kompetenzen und geeignete diagnostische Instrumente. Intuitive

Talent im Land:

Einschätzungen des Kindes reichen nicht aus, wenn kein gemeinsamer

Schülerstipendien für begabte Zuwanderer der Robert Bosch Stiftung

kultureller Hintergrund Schüler und Pädagogen verbindet; standardisierte und wissenschaftlich evaluierte Verfahren sind stattdessen notwendig.

Talent im Land beschränkt sich nicht auf die finanzielle Unterstützung

Die Expertise von Schulpsychologen muss zur Verfügung stehen und

der Stipendiaten, sondern verfolgt ein umfassendes Förderkonzept,

auch genutzt werden.

das das schulische, familiäre und gesellschaftliche Umfeld berücksichtigt.

START:

Zur Förderung gehören ein monatliches Stipendium von durch-

Schülerstipendien für begabte Zuwanderer der Gemeinnützigen

schnittlich 200 € (insbesondere für Lern- und Arbeitsmittel, Kultur-

Hertie-Stiftung

ausgaben, Prüfungsvorbereitungen und Fortbildungskurse), Zusatzunterricht in Deutsch oder in Fremdsprachen, Klassenfahrten und die

Mit START fördert die Hertie-Stiftung begabte und engagierte Zu-

Anschaffung eines Computers, je nach Bedarf persönliche Beratung,

wandererkinder, um sie auf dem Weg zum Abitur zu unterstützen.

ein Bildungsprogramm mit Studientagen, Seminaren und Sommerakademien.

Die materielle Förderung der 14- bis 18-jährigen Jugendlichen umfasst monatlich 100 Euro Bildungsgeld. Damit sollen die Stipendia-

www.robert-bosch-stiftung/talent_im_land.de/

ten die Kosten für bildungsrelevante Erfordernisse wie gezielten Förderunterricht, Computerkurse, Deutsch- oder Fremdsprachenkurse, Praktika, Studienfahrten oder sonstige Fortbildungen bestreiten. Für eine internetfähige PC-Grundausstattung können einmalig und zweckgebunden bis zu 1.800 Euro beantragt werden. Weitere För-

Diagnostik systematisieren:

dermittel bis zu einer Höhe von 500 Euro pro Jahr können bewilligt

> individuelle Förderung kontinuierlich pflegen, Portfolios fort-

werden.

führen

Noch wichtiger als die materielle Unterstützung ist die ideelle Förderung, die von der Hertie-Stiftung angeboten wird: Sie umfasst jährlich zwei Bildungsseminare, Exkursionen, das Jahrestreffen aller Stipendiaten, Sommerakademien, Beratungsangebote, Netzwerke der

> diagnostische Kompetenzen der Pädagogen schulen > diagnostische Instrumente verbessern und zur Verfügung stellen > standardisierte wissenschaftlich evaluierte Verfahren entwickeln > schulpsychologische Dienste nutzen

Stipendiaten und Alumni sowie Kontakte zu Hochschulen und Studienförderwerken. www.start.ghst.de

34

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Schule

35

In der Beruflichen Bildung: Mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund motivieren und integrieren

23 %, Elektroinstallateure 26 %). 37 % der jungen Erwachsenen mit

Auch in der beruflichen Bildung bleiben die Potenziale von Jugendlichen

Das Spektrum der Ausbildungsberufe, in die ausländische Jugendliche

mit Migrationshintergrund bisher noch ungenutzt. Wie bedeutend diese

einmünden, ist schmaler als bei ihren deutschen Altersgenossen. 43 %

Gruppe dabei ist, machen folgende Zahlen deutlich: Während die amt-

aller ausländischen Auszubildenden lernen in den 10 Berufen, in die sie

liche Berufsbildungsstatistik, die nur Jugendliche mit ausländischer Staats-

am häufigsten einmünden (u. a. Friseurin, Verkäuferin, Pharmazeutisch-

bürgerschaft erfasst, von ca. 12 % der Jugendlichen ausgeht, haben

kaufmännische(r) Angestellte(r), Arzthelferin, Maler/ Lackierer, Elektro-

tatsächlich rund 30 % der Jugendlichen einen Migrationshintergrund.

installateur). Besonders unterrepräsentiert sind ausländische Jugendliche

Migrationshintergrund ohne Berufsabschluss haben eine Ausbildung ganz abgebrochen.

in den neuen IT- und Medienberufen mit nur 3 % und im öffentlichen Die Ausbildungsbeteiligungsquote bei ausländischen Jugendlichen liegt

Dienst mit lediglich 2,2 %.

deutlich niedriger als bei deutschen Jugendlichen: 27 % der ausländischen Jugendlichen befanden sich 2003/04 in einer dualen Ausbildung

Bemerkbar macht sich auch, dass Migranten vielfach informelle Netz-

gegenüber 60 % der deutschen Jugendlichen. Betrug die Quote noch

werke fehlen: 25 % der deutschen Auszubildenden verdanken ihren

1994 34 %, waren es zehn Jahre später nur noch 27 %. Von den aus-

Ausbildungsplatz der Vermittlung durch die Eltern gegenüber 13 % bei

ländischen Jugendlichen sind 38,7 % daher ungelernt im Vergleich zu

den ausländischen Jugendlichen.

8,7 % deutschen Jugendlichen. Auch in der Bewerber-Statistik der Bundesagentur für Arbeit sind ausländische Jugendliche unter den gemeldeten Bewerbern für Berufs-

Berufsorientierung und Berufsvorbereitung verbessern

ausbildungsstellen mit 8,3 % unterrepräsentiert. Ihre Realisierungschancen sind schlechter als bei deutschen Jugendlichen, in der Grup-

Die Berufsorientierung der Migrantenkinder muss an den Schulen ein

pe der unvermittelten Bewerber sind sie mit 10,3 % überrepräsentiert

größeres Gewicht erhalten. Zum Schulprogramm gehört heute auch ei-

(2004/05). Bei Ausbildungsgängen, die eine berufliche Grundausbil-

ne Berufswegeplanung mit systematisch aufeinander aufbauenden

dung vermitteln, sind ausländische Jugendliche überrepräsentiert: 15 %

Schritten schon ab Klasse 5, die auch dokumentiert werden. Lehrkräfte

aller jugendlichen Teilnehmer im BVJ und BGJ haben eine ausländische

kennen die Stärken und Schwächen ihrer Schüler gut, beraten sie bei der

Staatsbürgerschaft.

Vorbereitung der Berufswahl und helfen bei der Suche nach Praktika. Auch bei den Elterngesprächen muss die Berufsorientierung der Jugend-

Im Durchschnitt werden 21,9 % aller Ausbildungsverträge wieder gelöst,

lichen ein regelmäßiges Thema sein. Die Lehrkräfte müssen daher über

die Quote der Vertragsabbrüche liegt dabei in den Wirtschaftsbereichen

die möglichen Berufswege, Ausbildungsberufe und Chancen des Ar-

und Betrieben, in denen ausländische Jugendliche am häufigsten vertre-

beitsmarktes gut informiert und auf dem aktuellen Stand sein.

ten sind, besonders hoch (Handwerk 26,8 %, Freie Berufe 24,5 %) eben-

36

so wie die Prüfungsmisserfolge (durchschnittliche Durchfallquote im er-

Schulen und Betriebe arbeiten für eine bessere Berufsorientierung ver-

sten Anlauf 12 %, im Handwerk 18 %, bei Berufen Maler/Lackierer sogar

stärkt zusammen: Einblicke in die berufliche Praxis, regelmäßige Schüler-

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Beruflichen Bildung

37

und Lehrerpraktika, Erkundungen und Tage der offenen Tür – oder für die

Insgesamt ist die Kooperation der verschiedenen Akteure notwendig.

Mädchen der Girls’ Day – helfen Lehrern und Schülern, sich ein fundier-

Dazu gehört vor allem auch das soziale Umfeld der Migranten, insbe-

tes Bild von der Berufswelt, ihren Anforderungen und Möglichkeiten zu

sondere Migrantenorganisationen und -vereine. Öffentlichkeitsarbeit

machen. Dieses Engagement wird in den regionalen Arbeitskreisen

über zielgruppenspezifische Multiplikatoren – wie etwa religiöse Auto-

SCHULEWIRTSCHAFT gebündelt und gefördert.

ritäten – kommt hinzu.

Praxisklassen und ähnliche Konzepte mit einer festen Kooperation zwischen Schulen und Betrieben, bei denen Jugendliche Tagespraktika in

„Moscheen aktiv für Berufsbildung“

Betrieben absolvieren, helfen insbesondere Schülern, die in Gefahr eines Schulabbruchs stehen und ohne dieses Angebot keinen Schulabschluss

Rund 2.500 Imame und Vorsitzende von Moscheevereinen nahmen

geschweige denn einen Ausbildungsplatz erhalten. Sie sind auszuweiten

2005 an der bundesweiten Veranstaltungsreihe „Moscheen aktiv für

und für Jugendliche mit entsprechenden Problemlagen verstärkt anzu-

Berufsbildung“ teil und informierten sich über das duale Ausbil-

bieten.

dungssystem. Ziel der Reihe war, Imame und Vereinsvorsitzende für das Thema „Berufliche Ausbildung“ zu sensibilisieren, damit sie bei

Der Übergang von der Schule in die Ausbildung kann nicht alleine durch

Jugendlichen, Eltern und Unternehmern für die betriebliche Aus-

die Schule geleistet werden. Auch die Arbeitsagenturen müssen die Be-

bildung werben. Sie bilden wichtige Multiplikatoren mit Brücken-

ratung durch eine genaue Diagnose der Fähigkeiten der Bewerber mit

funktion. Auf den Veranstaltungen erhielten die Teilnehmer Basis-

Profilings und Kompetenzchecks verbessern. Berufsinformationen der Ar-

informationen zur dualen Ausbildung und lernten Ansprechpartner

beitsagentur – auch für weniger bekannte und gefragte Berufe – müssen

in Fragen der Berufsausbildung kennen.

in die dominierenden Herkunftssprachen übersetzt werden, interkulturell geschulte Berater für die Beratung und Begleitung zur Verfügung ste-

Initiiert wurde die Kampagne von der Koordinierungsstelle KAUSA,

hen und verstärkt Migranten selbst als Berater und Vermittler beschäftigt

der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), dem

werden.

Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Das deutsche System der dualen Ausbildung ist den meisten Eltern und Familien aus ihrer Heimat nicht bekannt; sie können daher die Bedeu-

www.kausa.de

tung nicht immer richtig einschätzen. Schüler und ihre Eltern sind daher für den Wert einer Berufsausbildung weiter zu sensibilisieren. Sie brauchen Informationen über die ganze Breite des Berufswahlspektrums wie

38

über Berufe und Regionen mit Bewerbermangel, ggf. durch zielgruppen-

Um transparent zu machen, welche Anforderungen für einen erfolg-

orientierte Veranstaltungen. Erfolgreiche Vorbilder von Migranten bewir-

reichen Übergang von der Schule in Ausbildung gestellt werden, haben

ken auch dabei mehr als mancher abstrakte Vortrag. Betriebe können

die Spitzenverbände der Wirtschaft und die Bundesregierung unter Feder-

gezielt Migranteneltern zu Betriebserkundungen einladen, damit diese

führung der Bundesagentur für Arbeit im „Nationalen Pakt für Ausbildung

sich selbst einen Eindruck von den Anforderungen, aber auch von den

und Fachkräftenachwuchs in Deutschland“ gemeinsam definiert, was

Chancen für ihre Kinder machen.

unter Ausbildungsreife zu verstehen ist. Die allgemeine Ausbildungsreife

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Beruflichen Bildung

39

ist dabei von der spezifischen Berufseignung und der konkreten Vermittelbarkeit auf dem Ausbildungsmarkt zu unterscheiden. Sie beinhaltet

Bildungswerk der Thüringer Wirtschaft:

grundlegende kognitive, persönliche und soziale Dispositionen, psychi-

Beratungsstelle für jugendliche Migranten zur Berufsorientierung

sche und physische Belastbarkeit, Merkmale allgemeiner Bildungs- und Arbeitsfähigkeit und schulische Basiskenntnisse. Die Pakt-Partner haben

Pädagogische Fachkräfte begleiten im Rahmen des EQUAL-Projek-

einen Kriterienkatalog als Orientierungsrahmen zur Beurteilung der

tes Integra.net Jugendliche mit Migrationshintergrund in Ostthürin-

Ausbildungsreife entwickelt; er fließt in die Neukonzeption der Berufs-

gen. Inhaltlich stehen berufsorientierende Angebote und die per-

beratung der Bundesagentur für Arbeit ein und soll insbesondere auch

sönliche Biographieplanung im Mittelpunkt. Durch Betriebserkun-

Schulen Hinweise für ihre konkrete Bildungsarbeit geben, Betrieben

dungen und Praktikumsphasen sollen die jungen Frauen und Männer

Transparenz über die Mindestanforderungen an Auszubildende geben

ihren Berufswunsch konkretisieren und einen Einstieg in einen Aus-

und auch Jugendliche und ihre Eltern über die allgemeinen Vorausset-

bildungsberuf oder ein Studium schaffen.

zungen für eine Ausbildung informieren. In Zusammenarbeit mit den Betrieben werden die Praxisphasen genutzt, um auf die Chancen der kulturellen Vielfalt hinzuweisen und Der Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife und weitere Informationen

eine gleichberechtigte und partnerschaftliche Zusammenarbeit an-

zum Ausbildungspakt finden sich unter www.pakt-fuer-ausbildung.de

zustreben. Grundwerte wie Offenheit, Toleranz, Zivilcourage sowie die Übernahme von Verantwortung sollen helfen, mögliche Vorurteile im sozialen Umfeld abzubauen bzw. gar nicht aufkommen zu

Für Jugendliche, die nicht direkt von der Schule in Ausbildung übergehen

lassen. Methodisch wird auf kulturelle und sportliche Initiativen

können und gezielt gefördert werden müssen, sind praxisnahe und be-

zurückgegriffen, wie z.B. Kunstausstellungen, Lesungen, Fotoarbeiten,

darfsgerechte Berufsvorbereitungsmaßnahmen einzusetzen. Bewährt

Musik, Tanz, Filme und Sportaktivitäten. Für das Teilprojekt ist das

haben sich modulare bzw. Teilqualifizierungskonzepte, die Praxisphasen

Bildungswerk der Thüringer Wirtschaft verantwortlich.

in Betrieben umfassen. Diese sind zu diesem Zweck weiterzuentwickeln und breiter umzusetzen. Für mehr Transparenz sind die vermittelten

www.bwtw.de

Qualifikationen durch Träger oder Unternehmen zu dokumentieren und zu zertifizieren. Insbesondere die neuen Einstiegsqualifizierungen (EQJ) sind ein effizientes Instrument der Hinführung von Jugendlichen zur Ausbildung und Beschäftigung. Die EQJ-Begleitforschung hat gezeigt, dass

Berufsorientierung und Berufsvorbereitung verbessern:

sich EQJ als Brücke in Ausbildung mit einem Übergang von gut 60 Pro-

Schulen:

zent der Teilnehmer bewährt hat, wobei jugendliche Migranten ebenso häufig in Ausbildung einmünden wie Teilnehmer ohne Migrationshintergrund.

> verankern Berufswegeplanung im Schulprogramm > begleiten Berufsorientierung durch Lehrer, beziehen Eltern ein > kooperieren mit Betrieben > richten Praxisklassen für Schülergruppen ein

40

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Beruflichen Bildung

41

Arbeitsagenturen: > führen Profilings und Kompetenzchecks durch

der Fachpraxis und Fachtheorie oder zur sozialpädagogischen Begleitung umfassen. Bei Jugendlichen ohne Schulabschluss muss in der Regel fachtheoretische Unterstützung geleistet werden.

> haben Migranten und interkulturell geschulte Mitarbeiter als Be-

Flankierende Maßnahmen können auch dazu beitragen, mehr ausländi-

rater > bieten zielgruppenorientierte Informationen und Veranstaltungen

sche Betriebe für die Ausbildung junger Menschen – gerade auch mit

an

Migrationshintergrund – zu gewinnen. Damit können mehr Ausbil-

Betriebe:

schen Wirtschaft Köln fühlen sich von den ausländischen und ausbil-

> kooperieren mit Schulen

dungsfähigen, aber nicht ausbildenden Betrieben nur 29 % ausreichend

dungsplätze geschaffen werden. Nach einer Studie des Instituts der deut-

> bieten Praktika an > laden Migrantenfamilien zu Betriebserkundungen ein

Berufsvobereitung: > wird verstärkt bedarfsgerecht und praxisnah ausgerichtet > wird verstärkt als Einstiegsqualifizierung angeboten

über die Kernbereiche der betrieblichen Ausbildung informiert. Sie müssen verstärkt angesprochen, über das deutsche Ausbildungssystem informiert und in der Folge auch weiter begleitet werden. Externes Ausbildungsmanagement, das Betrieben die organisatorischen Fragen der Ausbildung abnimmt, kann hier sinnvoll sein. Zudem ist Verbundausbildung sinnvoll, in deren Rahmen deutsche und ausländische Betriebe bei der Ausbildung kooperieren und mit der ausbildungsunerfahrene Betriebe an Ausbildung herangeführt werden.

Flankierende Unterstützung in der Ausbildung intensivieren Die Integration in Ausbildung und ihre erfolgreiche Absolvierung kann insbesondere dadurch verbessert werden, dass flankierende Unterstützungsangebote auch während der Ausbildung bereit stehen, um noch bestehende Defizite gezielt auszugleichen und Betriebe wie Auszubildende nicht allein zu lassen. Insbesondere Mentoring und Coaching durch ältere oder ehemalige Mitarbeiter, durch die Nutzung der Vorbildfunktion von erfolgreichen Migranten im Betrieb, durch den Erfahrungsaustausch mit älteren Auszubildenden (z.B. Azubi-Stammtisch) oder auch durch Ausbilder mit Migrationshintergrund sind dabei eine wichtige Unterstützung. Möglich sind zudem die ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH), die von den Arbeitsagenturen finanziert werden und Maßnahmen zum Abbau von Sprach- und Bildungsdefiziten, zur Förderung

42

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

Projekt MOVA der Stadt München Durch gezielte Akquisition in 83 Betrieben mit Inhabern ausländischer Herkunft sorgte das Projekt „Mobilisierung von Ausbildungsstellen bei Arbeitgebern ausländischer Herkunft“ (MOVA) für 200 neue Ausbildungsplätze. Dabei fanden viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, die auf dem Lehrstellenmarkt als benachteiligt galten, einen Ausbildungsplatz. Die Ausbildungsberaterin spürte die Unternehmen mit Inhabern ausländischer Herkunft auf und kontaktierte 1.300 Betriebe. Der persönliche Besuch in den Betrieben ist oft die Initialzündung: Die Projektleiterin informiert die Inhaber über das duale Ausbildungssystem, vermittelt Kontakt zur Industrie- und Handelskammer und zu Berufsschulen und betreut, berät und unterstützt die zukünftigen Ausbildungsbetriebe.

In der Beruflichen Bildung

43

So können bei betrieblichen Auswahlverfahren Fähigkeiten von Migran64 % der Jugendlichen waren ausländischer Herkunft. Viele der Be-

ten wie ihre interkulturellen Kompetenzen und die oft vorhandene

triebe legen Wert auf das zweisprachige Potenzial der Jugendlichen,

Mehrsprachigkeit als Stärke berücksichtigt werden. Während der Ausbil-

weil auch der Kundenkreis zum großen Teil nicht-deutscher Herkunft

dung können diese Kompetenzen vertieft und erweitert werden durch

ist. Die Ausbildungsplätze sind überwiegend in kleineren Betrieben

gezielte Praktika im Ausland, Projekte mit ausländischen Unternehmens-

entstanden, deren Personal aus fünf bis zehn Mitarbeitern besteht.

teilen und die Vermittlung internationaler Zusatzqualifikationen, insbe-

Träger des Projekts ist das Referat für Arbeit und Wirtschaft der Stadt

sondere durch berufsbezogenen Sprachenunterricht. Zu prüfen ist dabei,

München.

ob auch ausländische Abschlüsse und Zertifikate erworben werden können. Dies steigert die Chancen auf einem zunehmend internationalen

www.kausa.de

Arbeitsmarkt. Zudem können die interkulturellen Kompetenzen der Auszubildenden (auch Ausbilder) mit Migrationshintergrund verstärkt auch für die internationale Kompetenzentwicklung aller Auszubildenden im Betrieb ge-

Flankierende Unterstützung intensivieren:

nutzt werden. Dies kann beispielsweise durch die Ausbildung in inter-

> Mit Mentoring und Coaching sowie ausbildungsbegleitenden

kulturellen Teams, Tandembildung oder durch interkulturell orientierte

Hilfen (abH) den Ausbildungsverlauf unterstützen

Projekte erfolgen.

> Unternehmer mit Migrationshintergrund für die Ausbildung ge-

winnen Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft: Entwicklungspartnerschaft zip – Zukunftsorientierte Interkulturelle Personalentwicklungsstrategien

Interkulturelles Potenzial nutzen Unter Federführung der BBQ Berufliche Bildung gGmbH des BilIn einer zunehmend international agierenden Wirtschaft mit Geschäfts-

dungswerks der Baden-Württembergischen Wirtschaft e.V. haben

kontakten oder Unternehmensteilen im Ausland werden internationale

sich im Großraum Stuttgart sieben Bildungsträger und die öffentliche

Kompetenzen immer wichtiger – nicht nur bei Führungs-, sondern auch

Verwaltung im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative EQUAL zum

bei Fachkräften. Die Vermittlung dieser Kompetenzen gewinnt damit

Projekt zip zusammengeschlossen. Die zentralen Ziele des Projek-

auch in der beruflichen Bildung immer mehr an Bedeutung. Eine inter-

tes sind das systematische Erschließen interkultureller Ressourcen in

kulturelle Öffnung der beruflichen Bildung, die gerade auch die Poten-

Unternehmen und die Stärkung der Arbeitsmarktfähigkeit von Be-

ziale der jugendlichen Migranten in den Blick nimmt, ist vor diesem Hin-

nachteiligten. Dabei geht das Projekt davon aus, dass „Diversity“ un-

tergrund sinnvoll. Es kommt hierbei darauf an, schon bei der Auswahl der

ter Mitarbeitern eines Unternehmens als produktiver Faktor genutzt

künftigen Auszubildenden die Potenziale dieser Zielgruppe zu erkennen

werden kann, sofern sie erschlossen und nutzbar gemacht wird.

und sie während der Ausbildung gezielt zu fördern und zu nutzen.

44

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Beruflichen Bildung

45

Neben der Durchführung von Schulungen und Beratungen entwickeln

Interesse und die Vorkenntnisse der Auszubildenden einzugehen

und erproben die Projektpartner ein Cultural Audit Verfahren.

sowie den Aufbau interkultureller Kompetenz passgenau in die betrieblichen Prozesse zu integrieren.

Das Projekt hat folgende Zielgruppen: (1) Beschäftigte in Unternehmen - insbesondere KMU - und in der

www.sick.de

öffentlichen Verwaltung, insbesondere auch mit Migrationshintergrund (2) Entscheidungsträger und Personalverantwortliche in Unterneh-

Werteorientierung in der Berufsausbildung bei der Deutschen Telekom

men (3) Benachteiligte Jugendliche und Erwachsene, die ihre Arbeitsmarkfähigkeit verbessern möchten. www.zip-equal.eu

Das so genannte „Dortmunder Modell“ steht für eine ganzheitliche Betrachtung des Themas Werteorientierung, indem die Themen Gewalt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der beruflichen Erstausbildung intensiv behandelt werden. Das Modell beinhaltet fünf Säulen (Studienfahrten, Foren, Lernaufträge, Abwechslung im Alltag

SICK AG, Waldkirch: Modulares Konzept

und Regionales) mit jeweils unterschiedlichen Möglichkeiten, die Auszubildenden und allen an der Ausbildung Beteiligten für die

Die SICK AG, ein mittelständisches, international operierendes Un-

Werteorientierung im Unternehmen zu sensibilisieren, Vorurteile

ternehmen in der Fabrik- und Prozessautomation mit 4.000 Mit-

abzubauen und zu einer differenzierten Meinungsbildung anzure-

arbeitern, hat ein umfassendes, modular aufgebautes Konzept zum

gen. Im Rahmen des Abschlusses eines Manteltarifvertrags für Aus-

Aufbau und zur Förderung interkultureller Kompetenz entwickelt.

zubildende wurde das Thema Werteorientierung im August 2000

Es setzt bereits bei den Mitarbeiterkindern an und erstreckt sich bis in

erstmals und im August 2005 erneut tarifvertraglich verankert.

die betriebliche Weiterbildung. Die Mitarbeiterkinder können an einem internationalen Austauschprogramm mit Kindern von Mitarbeitern aus anderen Ländern teilnehmen, wodurch sich auf privater Basis

Auch die Anerkennung von im Ausland erworbenen (Teil-) Qualifikatio-

ein internationales Netzwerk unter Sick -Mitarbeitern aufbauen soll.

nen ist wichtig, um Doppelqualifikationen zu vermeiden und Potenziale richtig zu nutzen, und entspricht besser den Bildungsbiographien von Mi-

In der Ausbildung wird zunächst gezielt die Fremdsprachenkompe-

grantenkindern. Die Schaffung eines europäischen Raums der Berufs-

tenz der Auszubildenden durch Sprachreisen gefördert. In der zwei-

bildung im Rahmen des Brügge-Kopenhagen-Prozesses mit einem „Euro-

ten Hälfte der Ausbildung wird über ein Einführungsseminar in in-

pean Qualifications Framework“ ist insbesondere für spät zugewanderte

terkulturelle Kompetenz der Auslandseinsatz in einer ausländischen

Jugendliche von erheblicher Bedeutung, die bereits eine Ausbildung an-

Tochterfirma vorbereitet. Die 8-12 wöchige Tätigkeit im Ausland

gefangen oder sogar abgeschlossen haben. Der Euro-Pass als umfassen-

wird umfassend evaluiert und dokumentiert. Das modular aufge-

des Bewerberportfolio hilft Unternehmen, die Stärken der Ausbildungs-

baute Qualifizierungskonzept bietet dabei die Möglichkeit, auf das

bewerber – unabhängig davon, wo sie erworben wurden – besser einzuschätzen.

46

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Beruflichen Bildung

47

Lernen in der Berufsschule differenzieren Kooperationskonzept der Staatlichen Berufsschule Altötting: In der Berufsschule steht die weitere Förderung der Sprachkompetenz im Deutsch-Unterricht an. Für Jugendliche mit Migrationshintergrund ist

Die staatliche Berufsschule Altötting hat zur Förderung von interkul-

vor allem die Vermittlung der berufstypischen Sprache wichtig.

tureller Kompetenz ihrer Auszubildenden ein umfassendes Kooperationskonzept aufgebaut. Seit 1980 werden verschiedene, langfri-

Bei den allgemein bildenden Fächern wie Deutsch – auf die immerhin

stig angelegte Praxisprojekte mit Einrichtungen u. a. in Afrika und den

ein Drittel der Unterrichtszeit an der Berufsschule entfällt – fehlt den Be-

USA durchgeführt, in denen die Auszubildenden erste Arbeitserfah-

rufsschulen vor allem eine differenzierte Lernorganisation, die dem un-

rungen im Ausland sammeln und sich dabei gezielt mit ausländi-

terschiedlichen Qualifikationsstand der Auszubildenden – vom Haupt-

schen Arbeits- und Lebensweisen auseinander setzen. Die unter-

schüler ohne Abschluss bis zum Abiturienten – sowie dem spezifischen

schiedlichen Kooperationsaktivitäten verfolgen somit alle ein duales

Bedarf der einzelnen Berufe Rechnung trägt. Berufsschulen brauchen da-

Prinzip zum Aufbau interkultureller Kompetenz: die Förderung von

her eine Differenzierung ihrer Lernangebote, um Schüler ihren unter-

Fach- und Humankompetenzen.

schiedlichen Eingangsvoraussetzungen entsprechend individuell fördern und unterrichten zu können.

Besonders hervorzuheben ist eine mehr als zehnjährige Partner-

Neben dem gezielten, differenzierten Defizitausgleich ist zudem in der

Rahmen dieser Partnerschaft wird u. a. für angehende Mechatroni-

Berufsschule die Weiterentwicklung der Herkunftssprache und die Zweisprachigkeit der Migranten als besondere Qualifikation zu fördern. Um Mehrsprachigkeit und auch interkulturelle Kompetenz weiter zu fördern, können Berufsschulen gezielte Angebote entwickeln. So können Spezialkurse angeboten (z.B. Landeskunde), Auslandsaufenthalte/-praktika organisiert, interkulturelle Projekte durchgeführt oder Muttersprachler im Unterricht eingesetzt werden. Zu prüfen ist durch die Berufsschulen, inwieweit ausländische Abschlüsse und Zertifikate dabei erworben werden können.

schaft mit dem North Central Technical College Wisconsin (USA). Im ker aus Deutschland ein betrieblicher Auftrag einer deutschen Firma für die USA simuliert. Die Planungsphase erfolgt mittels einer virtuellen Kommunikationsplattform im Internet. Die Umsetzung wird vor Ort durch binationale Kleingruppen von Auszubildenden in einem US-amerikanischen Partnerunternehmen gesteuert. Der Aufbau von interkultureller Kompetenz erfolgt somit unmittelbar in betrieblichen Prozessen. Daneben lernen die Auszubildenden den amerikanischen Alltag u. a. durch das Leben in ihrer Gastfamilie kennen. www.bsaoe.de

Dabei sollten nicht nur die internationale Potenziale der Schüler mit Migrationshintergrund gefördert, sondern ihre Potenziale für eine Kom-

Zur Qualitätsverbesserung des Berufsschulunterrichts sind die Ausstattung

petenzentwicklung aller Berufsschüler – und Berufsschullehrer – genutzt

der Schulen mit modernen Unterrichtsmitteln und die fachliche, aber auch

werden. Hierfür kommen beispielsweise gemeinsame, gezielt auf den in-

methodisch-didaktische Qualifikation der Berufsschullehrer, insbesondere

terkulturellen Kompetenzerwerb ausgerichtete Projekte oder Tandem-

auch in Fremdsprachen, ausschlaggebend. Darüber hinaus brauchen Be-

bildungen in Frage.

rufsschulen – wie allgemein bildende Schulen – mehr Selbstständigkeit, um größere inhaltliche, finanzielle und personelle Freiräume zu erhalten und auf den Bedarf ihrer Schüler flexibler und besser eingehen zu können.

48

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

In der Beruflichen Bildung

49

unterrichtlichen Fördermaßnahmen. Lehrkräfte werden in ihrer AusLernen in der Berufsschule differenzieren:

und Fortbildung auf eine mehrsprachige heterogene Schülerschaft

> Deutschförderung fortsetzen

und auf die Vermittlung von Sprachkompetenz vorbereitet. Je nach

> berufstypische Sprache vermitteln

Schulprofil werden Migrantenkinder zudem in ihrer Herkunftssprache alphabetisiert, wird diese zertifiziert oder als weitere Fremd-

> Lernangebote für Kompetenzniveaus der Berufsschüler differen-

sprache angeboten.

zieren > Internationale Kompetenzen der Berufsschüler mit Migrations-

hintergrund gezielt weiterentwickeln

3.

Interkulturelle Kompetenzen sind in einer weltoffenen Gesellschaft und globalen Wirtschaft Schlüsselkompetenzen. Sie werden durch

> Interkulturelle Potenziale für alle Schüler nutzen

das Anknüpfen an die unterschiedlichen Herkunftswelten der Mi-

> Qualität des Unterrichts und der Lehreraus- und -fortbildung

grantenkinder und eine internationale Ausrichtung der Schulfächer

verbessern

sowie durch interkulturelle Bezüge im Schulleben, bei Festen und Ereignissen gestärkt. Internationaler Schüleraustausch und Schulpartnerschaften bereichern die Erfahrungswelt der Jugendlichen.

Kurzfassung

4.

Gute Sprach- und Lesekompetenzen im Deutschen können – wie PISA zeigt – die Nachteile der oft ungünstigen sozio-ökonomischen

Migrantenkinder sind kein „Ausnahmephänomen“, sondern eine ge-

Herkunft der Migrantenkinder vollständig ausgleichen: Eine umfas-

wichtige Gruppe mit wachsender Bedeutung. Ziel muss es sein, ihre

sende und intensive Sprachförderung wird daher auch ihre bislang

Teilhabechancen an unserer Gesellschaft zu verbessern, ihr Potenzial zu

unbefriedigende Bildungsbeteiligung deutlich verbessern. Lehr-

entfalten und ihre Integration zu fördern. Dabei ist das Beherrschen der

kräfte müssen zudem treffsichere diagnostische Instrumente nutzen

deutschen Sprache von entscheidender Bedeutung.

können. Lernfortschritte und Leistungen werden – ebenso wie ehrenamtliche Aktivitäten und berufsvorbereitende Maßnahmen –

1.

im Portfolio des Schülers dokumentiert.

Sprachförderung muss so früh wie möglich beginnen. Für den Kindergarten wird daher ein Vorschulprogramm entwickelt, das vor allem die systematische Sprachentwicklung fördert. Verbindliche

5.

Die Werteerziehung und die Stärkung der sozialen Kompetenzen

Standards für dieses Vorschulprogramm, die Evaluation der erreich-

der Schüler gehören zum Bildungsauftrag der Schule und werden

ten Ergebnisse und die pädagogisch-psychologische Hochschulaus-

von der Gesellschaft unterstützt. Kommunikations- und Teamfähig-

bildung der Kindergartenleitung werden die Qualität und Zielgenau-

keit, Verantwortung und Selbstständigkeit, Selbstvertrauen und

igkeit der Fördermaßnahmen sichern. Als erste Stufe des Bildungs-

Vertrauen in andere, Selbstbewusstsein und Toleranz sind zentrale

systems wird der Kindergarten obligatorisch und beitragsfrei.

persönliche und soziale Kompetenzen, die junge Menschen lernen und erfahren müssen.

2.

In der Schule muss die Sprachförderung kontinuierlich fortgesetzt und vertieft werden. Das Alltagsdeutsch wird zum Schriftdeutsch weiterentwickelt, und dies in allen Fächern ebenso wie in außer-

50

Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

6.

In der beruflichen Bildung eröffnen bessere Sprachkompetenzen Jugendlichen mit Migrationshintergrund neue Chancen auf eine

Kurzfassung

51

Ausbildung. Sie werden über die Bedeutung der dualen Ausbildung und das Berufswahlspektrum informiert und auf die Berufswelt durch Schule, Arbeitsagentur und Betriebe vorbereitet. Die interkulturellen Kompetenzen und die oft vorhandene Mehrsprachigkeit der Migranten werden als Stärke gesehen, in der Ausbildung vertieft und erweitert und für alle Auszubildenden nutzbar gemacht. Die

Weitere Publikationen 1. Positionspapiere der BDA zur Bildungspolitik BILDUNG schafft ZUKUNFT Das Bildungsprogramm der Arbeitgeber (2005) ISBN 3-938349-04-2

Integration in Ausbildung und ihr erfolgreiches Absolvieren wird insbesondere durch flankierende Unterstützungsangebote während der Ausbildung erleichtert. Unternehmer mit Migrationsintergrund werden zunehmend für die Ausbildung gewonnen. Die Berufs-

Band 1: Führungskraft Lehrer Empfehlungen der Wirtschaft für ein Lehrerleitbild (2001) ISBN 3-938349-03-4

schule differenziert ihr Angebot für die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen ihrer Schülerschaft. 7.

Bei allen Bildungsstationen – vom Kindergarten über die Schule bis

Band 2: Bildungsauftrag Werteerziehung Selbstständig denken, verantwortlich handeln (2002) ISBN 3-938349-02-6

hin zum Übergang in die berufliche Bildung – ist das Einbeziehen der Eltern und Familien unverzichtbar und ein entscheidender Faktor für den Bildungserfolg der Kinder. Die Pflege des Deutschsprechen und -lesen auch zuhause ist für die Sprachkompetenz der Kinder von herausragender Bedeutung. Eltern werden dabei von Kindergärten, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen unterstützt. Sie werden in Erziehungsfragen beraten und über die Chancen der Schul- und Berufsbildung in Deutschland informiert.

Band 3: Weiterbildung durch Hochschulen Gemeinsame Empfehlungen (2003) ISBN 3-936074-28-3 Band 4: Option für die Jugend Schulbildung verbessern, Ausbildungsfähigkeit fördern, Berufsorientierung intensivieren (2003) ISBN 3-9808995-1-9 Band 5: Wegweiser der Wissensgesellschaft Zur Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Hochschulen (2003) ISBN 3-936074-27-5 Band 6: Master of Education Für eine neue Lehrerbildung (2003) ISBN 3-9808995-3-5 Band 7: Memorandum zur gestuften Studienstruktur Bachelor und Master (2003), ISBN 3-938349-06-9

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Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

Weitere Publikationen

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Band 8: Studienbeiträge und die Reform der Studienfinanzierung Ein Modellvorschlag (2004) ISBN 3-9808995-5-1

3. Positionspapiere europäischer Arbeitgeberverbände zur Bildungspolitik

Band 9: Selbstständige Schule Freiräume schaffen, Verantwortung übernehmen, Qualität entwickeln (2004) ISBN 3-938349-00-X

The employers’ perspective (2000)

Band 10: Bildungsbiografien und Berufskarrieren neu entwickeln Für ein durchlässiges Bildungssystem (2005) ISBN 3-938349-07-7 Band 11: Schule 2015 Ein Besuch in der Schule der Zukunft. (2006) ISBN 3-938349-16-6 Band 12: Bessere Bildungschancen durch frühe Förderung Positionspapier zur Frühkindlichen Bildung (2006) ISBN 3-938349-23-9

In search of quality in schools

Empowering the teaching profession and modernizing school management The employers’ perspective (2003) ISBN 3-9808995-0-0

4. Handreichungen zur Bildungsarbeit Auswahlgespräche mit Studienbewerbern Handreichung für Hochschulen (2001) Der Ausbildungspakt beginnt in der Schule Handreichung für Schulen, Unternehmen und Verbände (2005) Innovation durch Nachwuchsförderung –

2. Sozialpartner-Erklärungen zur Bildungspolitik Wirtschaft – notwendig für die schulische Allgemeinbildung Gemeinsame Initiative von Eltern, Lehrern, Wissenschaft, Arbeitgebern und Gewerkschaften (2000) Gemeinsame Erklärung von BDA und DGB zu Ganztagsangeboten (2003) Eckpunkte – Empfehlungen für ein Kerncurriculum Wirtschaft einschließlich Qualitätskriterien für die Lehreraus- und Fortbildung sowie Betriebspraktika von Lehrern und Schülern Gemeinsame Arbeitsgruppe von WMK, KMK, BDA, BDI, DIHK, ZDH und DGB (2003)

MINT-Initiativen der Arbeitgeber Handreichung für Schulen, Unternehmen und Verbände, 2. erweiterte Auflage (2005) ISBN 3-938349-01-8 Auf Erfolgskurs mit Bachelor- und Masterabsolventen in Ihrem Unternehmen Handreichung für Unternehmen (2005) ISBN 3-938349-08-5 PROFILehrer Handreichung für Lehrer, Schulleiter und Studierende zur Personalentwicklung von Lehrkräften (2005) ISBN 3-938349-09-3

Gemeinsame Erklärung von BDA und DGB zu den Konsequenzen aus den Ergebnissen von „PISA 2“ (2005)

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Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

Weitere Publikationen

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Q-Prozess Online-Evaluationsinstrument zur internen Qualitätsentwicklung von Schulen (2005)

5. Chroniken/Dokumentationen der BDA-Bildungsarbeit 50 Jahre SCHULEWIRTSCHAFT – Traditon, Innovation, Vision Chronik eines Erfolges (2003) Mit der Abschlussprüfung die Hauptschule stärken Dokumentation der gemeinsamen Tagung von Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und Initiative Hauptschule e. V. 16. Dezember 2002 & Ergebnisse einer Umfrage der BDA zu den Anforderungen der Betriebe an einen Hauptschulabschluss (2004) 5 Jahre Deutscher Arbeitgeberpreis für Bildung Dokumentation (2004)

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Integration durch Bildung – Potenzial von Migrantenkindern entfalten

Notizen