Innen- und Aussenpolitik von Unternehmen

Innen- und Aussenpolitik von Unternehmen Eine Einbettung des gleichnamigen Buches von Andreas Hugi und Ronny Kaufmann in die umbrechenden Verbandsland...
Author: Nadja Kraus
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Innen- und Aussenpolitik von Unternehmen Eine Einbettung des gleichnamigen Buches von Andreas Hugi und Ronny Kaufmann in die umbrechenden Verbandslandschaft

Rede an der Buchvernissage im Clé de Berne vom 4. März 2014 Claude Longchamp Politikwissenschafter/Historiker, Verwaltungsratspräsident gfs.bern und Lehrbeauftragter der Universitäten Bern, Zürich und St. Gallen

1. Ein paar Beobachtungen aus aktuellem Anlass Wenn die Politikwissenschaft Interessenvertretung gegenüber der Politik behandelt, geht es zunächst und den institutionellen Rahmen: Kollegialregierungen, Föderalismus und Direktdemokratie gehören zum unverzichtbaren Bestandteil einer entsprechendem Analysen, wie sie beispielsweise Adrian Vatter jüngst vorgelegt hat. Solche Einbettungen verweisen auf den Ursprung in der Staatsbildung während des 19. Jahrhunderts. Sozialpartnerschaft und Konkordanzsystem sind im 20. Jahrhundert hinzugekommen – und der Korporatismus. Gemeint ist damit die Beteiligung bestimmter Gruppen an politischen Entscheidungsprozessen auch ausserhalb von Volksabstimmungen, Parlament und Regierung. Präziser noch ist vom liberalen Korporatismus die Rede, denn der traditionelle Korporatismus, wie wir ihn vor der Französischen Revolution typischerweise in den Zunftregimenten hatten, setzte auf Zwang in der Mitgliedschaft und Beteiligung, derweil der liberale auf Freiwilligkeit basiert. Seit knapp 20 Jahren beschäftige ich mich mit Fragen der Interessenvertretung gegenüber dem Staat. Angehalten wurde ich dazu von Betriebswirten wie Robert Purtschert, dem langjährigen Leiter des Verbandsmanagement-Instituts an der Universität Freiburg. Im Rahmen ihrer Ausbildungen für Berufsleute, die ein Studium nach dem Studium absolvieren, unterrichte ich seit 1995 das Fach „Lobbying“. Analoge Kurse an der Weiterbildungsstufe der Schweizer Journalistenschule MAZ und an der Universität St. Gallen sind in den letzten 15 Jahren hinzugekommen. Sie belegen, dass das Interesse der Wissenschaft, der Öffentlichkeit und der Berufswelt hierfür klar zugenommen haben. Auslöser waren Unternehmen, die politische Regulierung direkt mitbestimmen wollten, internationale Akteure, die Einfluss auf die Schweizer Politik nahmen oder die Aufrüstung von Verbänden, aber auch des Staates mit Kommunikationsfachleuten, die gezielt Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Das Ganze geht einher mit zwei grossen Trends: 

Einerseits verändert die Globalisierung von Wirtschaft und Kommunikation die Politikformulierung in der Schweiz,



anderseits ist das Milizsysystem, die traditionelle Verbindung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der Schweiz in die Krise geraten.

Statt den Leo Schürmanns und den Ulrich Bremis, die noch alles in einem vereinten, entwickeln heute SpezialistInnen für Unternehmensführung Konzepte der guten Leitung von Firmen, Verbänden und staatlichen Ämtern; beraten ausgewiesene Könner der Kommunikation eben diese in ihren Beziehungen zur Öffent3

lichkeit, und nehmen ehemalige Regierungs- und BundesrätInnen sowie Top-BundesbeamtInnen in Verwaltungsräte von Unternehmen, Stiftungen und Verbände Einsitz, um diese mit den neuen Gesetzmässigkeiten der helvetischen Politik vertraut zu machen. Das alles geht mit einer grundlegenden Veränderung des Verbandssystems einher: Wichtigen Dachverbänden der Wirtschaft geht das Geld aus, denn ihre Mitglieder werden mancherorts seltener, gleichzeitig wächst die Zahl der ausdifferenzierten Verbände. Namentlich Firmen, die sich in umstrittenen Märkten bewährt haben, stehen dem Verbandswesen an sich kritisch gegenüber, denn sie ziehen es vor, unvermittelt gegenüber der Politik Einfluss zu nehmen. Schliesslich hat auch die Privatisierung des Staats und des Parastaates Folgen: Kommunikatoren, die ihr Wissen über die Politmechanik als Fürsprecher von Partikularinteressen auf den Markt tragen, sind zahlreicher geworden. In grosser Zahl spriessen PR-Agenturen auf dem politisch fruchtbaren Boden rund um das Bundeshaus; einige von ihnen waren Sternschnuppen und sind wieder verschwunden, andere feiern ihre Sternstunden und verkaufen sich mit Erfolg gleich als Schlüssel zu Bern.

2. Empirische Befunde zu Interessenvermittlung und Lobbying heute und gestern Die erste systematische Analyse der Interessenvermittlung in der Schweiz publizierte der damals junge Soziologe Hanspeter Kriesi. Popularisiert wurde die umfangreiche Habilitationsschrift aus dem Jahre 1980 durch den Publizisten Hans Tschäni unter dem Titel „Wer regiert die Schweiz?“. Mit diesen Büchern begannen sich Wissenschafter und Journalisten nebst der formellen Systemstruktur mit informellen Prozessen zu beschäftigen. Am Bundeshaus entdeckte man, dass es nicht nur Sitz des Parlamentes war, sondern auch die Form eines Theaters hatte. Und so änderte sich auch die Rolle der Politik: Von der Autorität, die Gesetze erlässt, zur Bühne, die ihre Einflüsterer kennt. Mit diesem Perspektivenwandel kam auch das Schlagwort vom "Filz" auf. Gemeint war etwa das Gleiche wie das, was die Politologen den liberalen Korporatismus nennen; kommuniziert wurde aber, dass dieser nebst Vor- auch Nachteile habe. Die kurzen Wege in die Politik seien nicht für alle gleich kurz, denn privilegierte Organisationen hätten kürzere, ausgeschlossene viel längere, lautete die verbreitete These Nebst der schnellen und unkomplizierten Entscheidung entdeckte man auch die Abhängigkeit des liberalen Staates vom halbstaatlich gewordenen Verbandswesen. Entscheide gegen dieses seien so nur schwer zu haben, war die Kritik. Eine Hierarchie der damals Einflussreichen sah die Verbände an der Spitze: den Gewerkschaftsbund, die damalige Wirtschaftsför4

derung, den Gewerbeverband und den Bauernverband. Sie alle lagen mindestens auf der Höhe des Bundesrats oder davor. Danach folgten Parteien wie die SP; die FDP.Die Liberalen und die CVP, die vor der Nationalbank und den einflussreichsten Departementen lagen. In diesem Jahr wird vom Kriesi-Schüler Pascal Sciarini die Folgestudie erwartet – mit einer Bestandsaufnahme der Interessenvertretung zu Beginn des 21. Jahrhunderts. 300 ExpertInnen der Politikgestaltung in der Schweiz haben 2006 eine neue Liste erstellt: Top-gesetzt ist nun die SVP. Bundesrat und economiesuisse liegen gleichauf dahinter, vor der SP, der FDP.Die Liberalen und der CVP. Zurückgestutzt wurden der Gewerkschaftsbund und der Gewerbeverband; der Bauernverband verschwand ganz aus den Spitzenpositionen. Dafür hat sich das Finanzdepartement vorgearbeitet, samt der Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren. Wenn Kriesi den Höhepunkt des liberalen Korporatismus beschrieb, analysiert Sciarini seinen Niedergang. Anders als manche Interpreten sieht er jedoch kein Macht-Vakuum entstehen, vielmehr etablierten sich zwei neue Stile der Politiksteuerung: 

der technokratische der Verwaltungen und



der populistische der Massenmedien.

Denn in verschiedenen Bereichen, in denen heute das Fachwissen die Politik steuert, erscheinen National- und Ständerat, ja selbst der Bundesrat, überfordert. Technokraten übernehmen in der Gesundheitspolitik, aber auch im Verkehrs- und Energiewesen die Politikformulierung und Ausübung in Form einer Post-Politik auf Sachlichkeit aus, demokratisch aber schwach legitimiert. Angetrieben wird das Ganze noch durch das Regime der EU, wenig demokratisch fundiert, gefangen in der Technik, die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents zu stabilisieren. Ganz anders sei der Diskurs in der mediatisierten Politik. Dem fehlt es nicht an Rückkoppelungen, dafür aber an Tiefgang. Mit der Boulevardisierung der Massenmedien etabliert sich ein Politikbild der Helden und Versager, konzentriert auf wenige Themen wie Asylsuchende, Kriminelle und Raser. Schlagworte sind JugoJungs, Rentenklau und Öko-Terror, täglich alimentiert von einem neuen PolitikerInnen-Typ, der symbolische Politikkommunikation beherrscht. Spektakuläre Entscheidungen der Behörden, aber auch des Stimmvolkes geniessen viel Aufmerksamkeit, aber auch Kritik, wenn sie nicht der Medienlogik folgen. Vor dem Hintergrund solcher Veränderungen habe ich 2011 im Rahmen einer europäischen Studie über Lobbying versucht, eine eigene Bestandsaufnahme des Lobbyings in der Schweiz zu machen. Mit einem international bewährten Kriterienkatalog vor Augen, hat unser Institut gut 600 Stellen identifiziert, die Lobbying betreiben. Rund 150 davon haben mitgemacht und über das Lobbying in der Schweiz in Interviewform berichtet. Aus all diesen 5

Gesprächen ist eine Übersicht entstanden, die heute schon in Lehrbücher figuriert. Sie legt nahe, dass mit der Multiplizierung von Aktivitäten der Interessenvermittlung der Erfolg bei der Einflussnahme durch das Lobbying gestiegen ist. Spitzenreiter beim guten, sprich einflussreichen Lobbying sind die Wirtschaftsverbände, die Umweltrespektive die KonsumentInnenOrganisationen. Am anderen Ende figurieren die Kirchen. Ihr Draht in den Himmel funktioniert klar besser als jener nach Bern. Dazwischen etablieren sich tatsächlich Verwaltung und Medien, aber auch die Kantone als aktive und einflussreiche Lobbyisten. Im Gefolge dieser Analyse habe ich sechs Trends des Lobbyings in der Schweiz identifiziert: erstens, die Differenzierung neuer Politikrollen ausserhalb des Milizsystems, zweitens, Ansätze der Standardisierung und Regulierung von Lobbytätigkeiten, drittens, die Professionalisierung der Interessenvertretung, viertens, die Prozessbegleitung von Entscheidungen statt punktueller Interventionen, fünftens Initiierung von Politiken global und lokal sowie sechstens, der Staat als Lobbyist, sei es im Ausland, aber auch gegenüber der Schweizer Öffentlichkeit.

3. Das neue Buch über die Innen- und Aussenpolitik von Unternehmen im staatlichen Umfeld An genau dieser Nahtstelle setzt das heute erscheinende Buch an. Die beiden Herausgeber, Andreas Hugi und Ronny Kaufmann, nennen es "Innen- und Aussenpolitik von Unternehmen". Das ist schön formuliert, aber etwas allgemein ausgedrückt. Der Untertitel ist da schon etwas konkreter: Corporate Governance und Public Affairs in der Praxis heisst das Werk, und es empfiehlt sich als Managementbuch. Erkenntnisleitend ist die These, dass Innen- und Aussenpolitik von Unternehmen eng verzahnt sein müssten oder anders gesagt, Corporate Governance als Innenpolitik und Public Affairs gut aufeinander abzustimmen seien. Ein Lehrbuch ist das Werk nicht. Ein Handbuch mit Checklisten, Beispielen und Hintergrundinformationen schon. Sein Wert: Es ist aus der Praxis für die Praxis geschrieben. Kein Reader mit veralteten Beiträge, sondern ein aktuelles Buch mit lauter Originalbeiträgen.

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Auf die knappe Einleitung der Herausgeber folgen vier Buchteile: 

die Analyse des Themas,



Fallbeispiele zum Thema,



Interviews Unternehmenspersönlichkeiten zur Thematik,



und ein Teil mit Tools zum Thema, zur Nachahmung empfohlen.

Im ersten Teil eröffnen sieben Analysebeiträge von WissenschafterInnen und PraktikerInnen ein vertieftes Verständnis der allgemeinen These. Konkret wird gefordert: 

Unternehmen sollen nebst Zielen, die unmittelbar mit ihren Geschäftstätigkeit zusammenhängen, auch solche verfolgen, um sich als good corporate citizens zu profilieren.



Wie in der Politik des Staates, sollen auch Unternehmen nebst der harten Machtpolitik weiche Formen der Einflussnahme entwickeln, die sich in der Übernahme von Verantwortung im Staat äussere.



Strategische Unternehmenskommunikation solle kollektive Kontroversen nutzen, um sich selber als erfolgversprechender Akteur positionieren zu können.



Management von Regulierungen bedeute heute, zum Erhalt vorteilhafter Rahmenbedingungen für Produktion und Dienstleitungen der Wirtschaft beizutragen, deren Umsetzung diskursiv zu fördern und im wohl verstandenen Eigeninteresse zu beeinflussen.



Markenführung dürfe sich nicht im Logo-Auftritt erschöpfen, sei sie vielmehr eine übergeordnete Aufgabe von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung auch im politischen Umfeld.



Externe Berater, die sich in der Ausübung der Innen- und Aussenpolitik von Unternehmen etablieren wollen, müssen mindestens 10 verschiedene Rollen beherrschen.



Verwaltungen sollen Einfluss auf parlamentarische Entscheidungen nehmen, ausser diese tangierten die Oberaufsicht auf den Vollzug von Entscheidungen.

Im zweiten Teil des neuen Buches wird in Form von successtories aus Industriezweigen und Dienstleistungssektoren die Wirkung guter Public Affairs und eingespielter Corporate Governance dargestellt. Hier sprechen der Leiter Public Affairs von IBM Schweiz, der Swisscom und der Interpharma, der Leiter der Unternehmenskommunikation des ewz, der Geschaftsführer des Informationsdienstes für den öffentlichen Verkehr, die Verantwortliche für Kommunikation eines Dachverbandes der Wirtschaft und der Kommunikationsberater einer Regionalkonferenz Klartext. Im dritten Teil von Innen- und Aussenpolitik von Unternehmen wird die Optik von Präsidenten eines Verbandes oder einer Firma 7

sowie von CEOs vorgestellt. Führungspersönlichkeiten vermitteln in Interviewform ihren persönlichen Umgang mit Corporate Governance und Public Affairs, der Innen und Aussenpolitik ihres Unternehmens. Auskünfte erteilen Schwergewichte wie Patrick Aebischer, Ulrich Gygi, Susanne Ruoff, Nicole Loeb, Christian Keller und Suzanne Thoma. Der vierte und letzte Teil versteht sich als Toolbox für Public Affairs-ExpertInnen und KommunikationsspezialistInnen. Er liefert konkrete Vorschläge für die methodengeleitete Bearbeitung des PA-Managements, hat die Form eines Werkzeugkastens und ist für die unmittelbare Anwendung in der eigenenPraxis gedacht. Kaufen, besser noch Lesen sollten das Buch OrganisationkommunikatorInnen, Geschäftsleitungsmitglieder in den Bereichen Marketing und Kommunikation, aber auch Verwaltungsräte, die verantwortungsbewusst im politischen Umfeld handeln wollen. Es richtet sich aber auch an KollegInnen und KonkurrentInnen in der Praxis, neugierige JournalistInnen und WissenschafterInnen, die wissen wollen, wie sich der dynamische Tätigkeitsbereich entwickelt. Über ihr eigenes Buch schreiben die Herausgeber: "Mit dieser Publikation wollen wir das Public-Affairs-Management vom Klischee des plumpen Lobbyings befreien und dank unterschiedlicher Perspektiven von Fachleuten, Praktikern und Führungskräften mit einem modernen Corporate Governance-Verständnis stimmig zusammenführen. Public Affairs wird als Instrument der Unternehmensführung und als Teil der Aussenpolitik einer Organisation beschrieben, die im Sinne der Sorgfaltspflicht von Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen innenpolitisch unverzichtbar ist". Damit positionieren sie sich eindeutig: Sie sehen sich selber als Teil der professionalisierten Einflussnahme auf die Politik. Sie betreiben Interessenvermittlung als Beruf, basierend auf Standards der Selbstregulierung. Sie sind nicht mehr Parteifunktionäre oder Wissenschaftler wie im früheren Leben, sondern Vertreter der heutigen Public-Affairs. Ich vermute, dass sie nicht mit dem Zweihänder fechten wollen und eher den Kampf mit dem Degen bevorzugen. Entsprechend spürt man im ganzen Buch die Empfehlung, zielorientiert zu handeln, das aber politisch beharrlich und mit effizienten Methoden zu machen. Handlungsleitend ist in diesem Selbstverständnis nicht mehr die Praxis des distributiven Marketings, wie es noch vor 20 Jahren im Sinne der Einwegkommunikation üblich war, sondern das des transparenten Dialog, den die Herausgeber zwischen Staat und Unternehmen führen wollen.

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Wenn meine Trendanalyse stimmt, dann machen sie das allerdings nicht nur als Manager, sondern auch als Initiatoren von Politiken, die aus ihrem Weltbild zum Guten von Unternehmen und Staat beitragen sollen. Symptomatisch dafür ist, dass sich je ein Vertreter von privaten Unternehmungen und eines öffentlichen Betriebes für das Buchprojekt zusammengefunden haben. Jetzt kann ich Ihnen, meine Damen und Herren, eine anregende Lektüre des Werkes empfehlen, das uns heute vereint hat.

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