Industriearbeit
SOFI-Mitteilungen Nr. 28/2000
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Industriearbeit zwischen Entfremdung und Entfaltung
Michael Schumann
I.
Gestatten Sie mir eine kleine Abschweifung. Einige von Ihnen waren wie ich in der faszinierenden Ringvorle-
Industriearbeit wurde lange Zeit gleichgestellt mit ent-
sung des Wintersemesters über “Das Gehirn und sein
fremdeter Arbeit. Mit Arbeit also, die keine Entfal-
Geist”. Mich hat besonders die Hingabe, die Identifika-
tungschancen bietet, keinen Lebenssinn stiftet, keine
tion der vortragenden Naturwis senschaftler mit ihrem
Würde vermittelt und keine gesellschaftliche Anerken-
Forschungsgegenstand beeindruckt. Ohne Empathie ist
nung findet. Auch das hat die Arbeiter in eine ausge-
Forschung kaum vorstellbar. Selbst die kleine Dro-
grenzte gesellschaftliche Stellung gebracht. Die Bürger-
sophila, die Paradefliege für die Laborversuche, wird
rolle wollte ihnen nicht zuletzt wegen ihrer prekären
für ihre Erforscher fast zum Liebesobjekt. Jetzt meine
Arbeitsrolle nicht passen. So ab Anfang 1980 zeigen
Frage: Konnte Martin Baethge so lange Jahre über
sich dann, jedenfalls in Deutschland, Zeichen für einen
Probleme der Angestellten und ihren Dienstleistungs-
grundlegenden Wandel der Arbeitsgestaltung. Es eröff-
sektor forschen ohne dabei eine wie immer distanzierte
nen sich auch in der Industriearbeit Entfaltungschancen.
Liebe zu entwickeln? Gilt ähnliches nicht auch für mich
Die Verkopplung von fremdbestimmter Lohnarbeit und
mit meinen Industriearbeitern? Gehen solche Ge fühls -
selbstbestimmtem Arbeitsverhalten scheint zu gelingen.
bindungen nicht auch ein in scheinbar nur sachliche,
Doch in den letzten Jahren schlägt das Pendel zurück.
kompetentest begründete inhaltliche Positionen und er-
Zumindest gilt nun auch für die Industriearbeit die viel
klären auch wissenschaftliche Kontroversen? Ich will
zitierte Formel von Habermas von der neuen Unüber-
diese Überlegung keineswegs überreizen. Und schon
sichtlichkeit. Das ist die Ge schichte der Industriearbeit,
gar nicht will ich Legendenbildungen über die Objekti-
die ich Ihnen heute in meiner Vorlesung ein wenig de-
vität unserer Forschung Vorschub leisten. Aber sollte
taillierter erzählen möchte.
man solche Zusammenhänge gänzlich leugnen?
Zuvor aber noch einen Rückbezug auf die letzte Vorle-
Jedenfalls setze ich in der Sache, mit wie ich denke
sung von Martin Baethge. Es stellt sich ja die Frage:
natürlich guten Gründen, die Akzente etwas anders als
Müssen wir uns überhaupt noch mit der Vergangenheit
mein Freund Martin Baethge. Mit dieser Meinungsver-
und Zukunft von Industriearbeit beschäftigen? Hat uns
schiedenheit repräsentieren wir übrigens durchaus un-
nicht Baethge gerade davon überzeugt, dass die Indust-
sere Zunft: Die Frage, welches Gewicht und vor allem
riegesellschaft nur noch ein Auslaufmodell des 20.
welche Zukunft die Industriegesellschaft in und für
Jahrhunderts ist und bestenfalls als lästige Barriere für
Deutschland hat, wird kontrovers diskutiert. Einige, wie
die Transformation in die moderne Dienstleistungsge-
Baethge, konzentrieren sich vor allem auf die Über-
sellschaft interessiert?
gangsprobleme und betonen die wachsende Dominanz des sich ohne Zweifel ausbreitenden Sektors Dienst-
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Industriearbeit
II.
leistung. Andere, zu denen ich mich zähle, übersehen zwar nicht die Ve ränderungen durch das Neue, halten aber auch die bleibende Industrieprägung unserer Ge -
Lassen Sie mich, bevor ich Ihnen die Etappen der In-
sellschaft für durchaus zukunftsträchtig.
dustriearbeit vorstelle, nun kurz den theoretischen Rahmen meiner verwendeten Begriffe erläutern.
Kein Zweifel: Wir leben in Deutschland in keiner Arbeiter-Gesellschaft mehr; Industriearbeit hat in ihrer
Die Kategorie der Entfremdung führt die aktuelle
Trendsetter-Rolle bei Prognosen über die Zukunft von
Debatte über Industriearbeit zurück auf den historischen
Arbeit, Beschäftigung und Gesellschaft Konkurrenz be-
Ausgangspunkt: Die Marx’sche Analyse des Industrie-
kommen; schließlich: ein Blick auf die 1. Mai-Ver-
kapitalis mus. Im 17. und 18. Jahrhundert hatte sich
sammlungen dieser Tage macht wohl jedem deutlich:
bereits, wie Jürgen Kocka aufzeigte, ein emphatischer
Die Industriearbeiter stellen keine politischen Akteure
Begriff von selbständiger Arbeit als Lebenssinn und
mehr dar, die als Hoffnungsträger oder als Angstgegner
Daseinsverwirklichung herausgebildet. Die Entfrem-
für Systemwandel gelten könnten. Utopien einer ande-
dungskategorie, die Marx in Anlehnung an Hegel auf-
ren Gesellschaft spielen kaum mehr eine Rolle.
greift, orientiert sich am bürgerlichen Begriff von Arbeit. Sie betont die Zwiespältigkeit dieses Begriffes, der
Dennoch gibt es gute Gründe, Industriearbeit als Thema
Medium der Selbstbefreiung und Daseinsverwirkli-
gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung und sozial-
chung bezeichnet, aber für Marx eben gleichzeitig auch
wissenschaftlicher Beobachtung auf der Tagesordnung
Ausbeutung, Unterdrückung, Entwürdigung einschließt.
zu behalten. Industrie als Projekt der erweiterten Be-
Hatte Hegel in seiner “Phänomenologie des Geistes”
herrschung von Natur steht nicht zur Disposition. In ihm
Marx zufolge Arbeit als Movens für die menschliche
bleibt der Industriearbeiter in einer prominenten Rolle.
Entwicklung, für die Ausbildung von Selbstbewusst-
Die Gesellschaft der Zukunft wird entsprechend des
sein, Entfaltung seiner Wesenskräfte und persönlicher
Standes und der Weiterentwicklung ihrer Produktiv-
Identität postuliert, so umreißt Marx in seiner Kritik der
kräfte immer auch eine Industriegesellschaft sein. Hier
politischen Ökonomie das Bild einer Klassengesell-
in Deutschland sind ca. ein Drittel der Erwerbstätigen,
schaft, die den vom Kapital Ausgebeuteten eben diese
d.h. zwischen 11 und 12 Millionen, ja auch rein zahlen-
Menschwerdung versagt. Lohnarbeit stellt das Ge genteil
mäßig nicht wenig. Aber mir geht es nicht um Quanti-
von schöpferischer, Entfaltung ermöglichender Arbeit
täten. Gerade für Deutschland gilt: Industrie behält für
dar. In der Sprache von Marx führt sie zu “körperlicher
lange Zeit noch als wichtige Ressource für die ökonomi-
Verkrüppelung”, “intellektueller Verödung” und “mo -
schen Chancen und für die gesellschaftlichen Perspekti-
ralischer Verkümmerung”.
ven zentrale Bedeutung und bildet einen entsprechenden Machtfaktor. In den Kernbereichen der deutschen Indu-
Die Entfremdungskategorie bei Marx ist durchaus viel-
strie, d.h. im Automobilbau, der Chemie, dem Maschi-
dimensional. Mir soll hier folgende Differenzierung
nenbau und der Elektro- und neuerdings der Informa-
reichen: Die Kategorie zielt einmal, fundamental, auf
tionsindustrie fallen zukunftsbestimmende Entscheidun-
die kapitalistische Produktionsweise insgesamt ab, und
gen – die Auseinandersetzungen um die Tarifabschlüsse
betont die Unvereinbarkeit von einer auf Privateigentum
demonstrieren dies eindrucksvoll. Industriearbeiter wer-
und Warenproduktion aufbauenden Ge sellschaft mit der
den sich entsprechend ihrem Anspruch auf soziale Teil-
Selbstverwirklichung des Menschen. In dieser Bedeu-
habe und Gerechtigkeit weiter bei Fragen der Ge sell-
tung von Entfremdung ist die Frage nach Entfaltung so
schaftsverfassung, der ökonomischen Verteilung, der
lange falsch gestellt, wie es sich um eine kapitalistische
Beschäftigungschancen und der Betriebs- und Arbeits-
Gesellschaft handelt. Entfremdete Arbeit gehört zum
bedingungen aktiv einbringen.
Wesen des Kapitalismus.
Industriearbeit
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Aber es gibt bei Marx auch eine Bedeutung von Ent-
Mit dieser Fragestellung bewege ich mich ganz in der
fremdung in den konkreten Arbeitsbedingungen, die
Tradition der Göttinger Industriesoziologie, wie sie
eine komparatistische Betrachtung zulässt. Diese Per-
Hans Paul Bahrdt zusammen mit Heinrich Popitz u.a.
spektive auf ein Mehr oder Weniger an Entfremdung in
mit seiner bahnbrechenden Untersuchung über “Technik
der Arbeit ist bei Marx deswegen so spannend, weil er
und Industriearbeit” einleitete. Wenn ich Ihnen im fol-
mit der Zuspitzung der Unmenschlichkeit gerade in den
genden also Befunde auch unserer eigenen Forschung
Arbeitsbedingungen eine kumulative Klassendynamik
vorstelle, so ist für Sie unser Forschungsselbstverständ-
begründet. Das Leben an der Grenze des Existenzmi-
nis wichtig: Kritische Arbeits- und Industriesoziologie,
nimums, Ausweitung der Arbeitszeiten, verweigerte
wie wir sie in Göttingen vertreten, will gesell-
Rechte und vorenthaltene gesellschaftliche Anerken-
schaftsrelevante Entwicklungsprozesse transparent ma-
nung, vor allem aber Zerstörung in der Arbeit: Diese
chen und Bewegungsgesetze erkennen. Dabei leugnen
sich verschärfende inferiore Lage dränge die Arbeiter-
wir die Empathie für das Schicksal der Beherrschten
klasse dazu, so die Erwartung von Marx, die Überwin-
nicht. Göttinger Industriesoziologie sah immer ihre Auf-
dung der kapitalistischen Gesellschaftsform zu betrei-
gabe darin, auch Ideologiekritik zu leisten: Eine einseiti-
ben und eine neue Gesellschaft aufzubauen.
ge, d.h. auch verschleiernde gesellschaftliche Wahrnehmung von Arbeit aufzudecken; aufzuklären über fortbe-
Die soziologische Debatte hat sich von Anbeginn ganz
stehendes Arbeitsleid; Gestaltungsmöglichkeiten in der
wesentlich auch an der Frage festgemacht, die Ange-
Perspektive von Humanisierung anzudenken.
messenheit der Entfremdungskategorie zu klären und entsprechend das politische Verhaltenspotential der Arbeiter einzuschätzen: Welche Impulse gehen von der
III.
Verfassung der Industriearbeit und deren Verarbeitung durch die Industriearbeiter auf die gesellschaftliche
Ich starte mit meiner Geschichte der Industriearbeit bei
Entwicklung aus? Wandelt sich der Industriekapitalis-
jener Phase der Industrialisierung, in der Entfremdung
mus in der Sphäre der Arbeit in jener von Marx prog-
mit Industriearbeit weitgehend synonym gesetzt werden
nostizierten Eindeutigkeit oder wo liegen die Modifi-
konnte. Zu den Entwicklungen im 18. und 19. Jahr-
kationen?
hundert, die in vielen Bereichen durch ein Nebeneinander von handwerklicher, manufaktureller und
Jürgen Habermas fragte nach der Lernfähigkeit des Ka-
industrieller Fertigung gekennzeichnet sind, beschränke
pitalismus: “Die Marx’sche Krisentheorie muss berück-
ich mich auf eine Bemerkung. Denn ob Karl Marx mit
sichtigen, dass ihre Prognosen nicht nur die Proletarier
seinen pointierten, oft Zustandskritik und Erwartung
in ihrer Entschlossenheit zur Revolution, sondern auch
kombinierenden Formulierungen über den Beginn der
die Kapitalisten in ihrer Entschlossenheit zur Verhütung
Industrialisierung ein realistisches Bild der damaligen
der Revolution bestimmen könnten, nämlich den ökono-
Industriearbeit entwarf, ist kaum mehr genau rekonstru-
mischen Prozess immer mehr mit Willen und Bewusst-
ierbar. Aber was wir von den großen bürgerlichen Polit-
sein zu lenken und damit in den Kapitalismus selbst, zu
ökonomen dieser Epoche, also von John Locke, David
Zwecken seiner Erhaltung, Elemente einer Rationalisie-
Ricardo und Adam Smith über die industrielle Fabrik-
rung einzuführen, die Marx der sozialistischen Verfas-
arbeit dieser Phase erfahren, klingt kaum weniger be-
sung der Gesellschaft vorbehalten glaubte.” Gibt es
drückend als bei Marx. Das Arbeitselend war groß.
diese Rationalisierung auch in der Arbeit? Bringt Ar-
Menschliche Entfaltung durch und in Industriearbeit –
beitsgestaltung im Kapitalismus auch Elemente einer
man musste kein Anhänger der Marx’schen Lehre sein,
Humanisierung der Arbeit ein?
um dies für einen unauflösbaren Widerspruch zu halten.
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Industriearbeit
Ein Widerspruch, der sich nach dem ersten Weltkrieg,
Der Kernpunkt der taylorschen Produktionsphilosophie
als sich die Industrialisierung unter den Vorzeichen von
lautet: Mit der “wissenschaftlichen Betriebsführung"
Massenproduktion und Großbetrieben entfaltete, sogar
müsse eine totale Herrschaft über die Arbeit gewonnen
noch in bestimmter Weise zuspitzte. Eine in den USA
werden, um dadurch Drückebergerei, Faulheit, man-
entwickelte Produktionsgestaltung setzte sich als das
gelnde Dis ziplin und Tendenzen der Aufmüpfigkeit zu
Konzept kapitalistischer Rationalisierung in den folgen-
bekämpfen. Es geht darum, die vom Arbeiter bewusst
den Jahrzehnten weltweit durch: der Taylorismus
verborgen gehaltenen produktiven Potenzen ans Licht
(Stichwort: wissenschaftliche Betriebsführung) und der
zu bringen und ihm sein Produzentenwissen zu entzie-
Fordismus (Stichworte: Produktstandardisierung, Fließ-
hen. Für die Arbeiter heißt “wissenschaftliche Be-
band und Einzweckmaschine). In vielen Fertigungen
triebsführung” Wissensenteig nung, Dequalifizierung,
transformierten diese Konzepte handwerkliche Fachar-
Degradierung und Entmachtung.
beit in repetitive Teilarbeit auf niedrigem Qualifikationslevel.
Bis in die 70er Jahre stand die Konzeptionierung der Industriearbeit konkurrenzlos unter tayloristisch-for-
Das tayloristische Konzept trat mit dem Anspruch auf,
distischen Vorzeichen. Wen wundert es, dass ihre Um-
die Organisationsrationalität der Betriebe zu optimieren.
setzung in den Betrieben begleitet ist vom passiven und
Inszeniert wird eine systematische Untersuchung der
zum Teil aktiven Widerstand der Arbeiter. Standardi-
Arbeit mit dem Ziel, komplexe Planungs- von simplen
sierung, Bürokratisierung und Uniformität schaffen ge-
Ausführungsfunktionen zu trennen und auf diesem Weg
meinsame Betroffenheiten. Der destruktive Systemzu-
die Zerlegung der Arbeit in ihre einfachsten Bestand-
griff auf die Arbeitskraft begründet kollektive Solidari-
teile zu ermöglichen. Durch strikte Arbeitsgestaltung
tät und Ge genwehr und die Einforderung von Kompen-
soll die Kontrolle über die Arbeiter gesichert, deren
sation für Arbeitsleid. Diese durch den Tayloris mus/
Spielräume
reduziert
Fordismus selbst geschaffenen Bedingungen stützen
und eine Zentralisierung des Produktionswissens jen-
eine Verallgemeinerung und partielle Politisierung des
seits der Werkstatt herbeigeführt werden.
Lohnarbeiterverhältnisses mit starken Massengewerk-
eingeschränkt,
Qualifikationen
schaften. Produktionssystem des Taylorismus – Fordismus Managementprinzipien -
Mechanisierung/Technisierung soweit wie möglich
-
Radikale Arbeitsteilung nach dem Prinzip: reine Ausführungsarbeit (Arbeiter) versus Planungsarbeiten
-
Produktstandardisierung
-
Massenproduktion
Organisation -
Ausbau der indirekten Bereiche (Planung, Instandhaltung, Qualitätssicherung)
-
Zentralisierung und Hierarchisierung der Entscheidungen
Industriearbeit -
Austauschbare Massenarbeit, gering qualifiziert, repetitiv
-
Ausbildungsvoraussetzungen und Lernchancen minimieren
-
Hierarchische Kontrolle
Dominanz von Entfremdung
Industriearbeit
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Die Lernfähigkeit des Kapitals oder auch seine Kom-
net hatten. Aber sie blieben in der Debatte um Industrie-
promissbereitschaft war, wie wir wis sen, nicht nur “Ein-
arbeit, ein wenig auch wegen unserer eigenen wis sen-
sichten” geschuldet, sondern auch Ergebnis heftiger
schaftlichen Bornierungen, immer auf einem Neben-
politischer Kämpfe. Wodurch immer erreicht: die Ver-
gleis.
änderungen sind beachtlich: Wahlrecht, soziale Sicherungen, Koalitionsfreiheit, Streikrecht, Arbeitszeitre-
Zurück zum Taylorismus/Fordismus. Für die gesell-
duktion, ergonomische Verbesserungen, höhere Löhne,
schaftliche Rolle der Industriearbeiter war auch be-
betriebliche Sonderabsicherungen und Gratifikationen,
deutungsvoll, dass der Zugriff auf das Know-how und
begrenzte innerbetriebliche Aufstiegschancen. Also:
die Fachkompetenz der Arbeiter durch den Tayloris -
Teilhabe am gesellschaftlichen Fortschritt und am
mus/Fordismus an Grenzen stieß.
materiellen Wohlstand. Dieser Wandel spiegelt übrigens auch die wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnis wie-
-
Einerseits durchdrang er nie die gesamte deutsche Industrielandschaft; besonders bei Kleinserien und Einzelfertigung in Klein- und Mittelbetrieben konnte der Facharbeiter nicht verdrängt werden.
-
Andererseits schob die fortschreitende Technisierung den Arbeiter nicht nur in die marginale Lückenbüßerposition noch-nicht-technisierter Fertigung. Umgekehrt entstanden mit der fortschreitenden Mechanisierung und ersten Automatisierung auch neue, anspruchsvolle Arbeitstypen - in der Qualifikationsnachfrage freilich immer unterhalb des Facharbeiterniveaus. Und es wurden zunehmend stärkere Instandhaltungskader aus Schlossern und Elektrikern, also Facharbeitern aufgebaut zur Wartung der Anlagen.
-
Schließlich zeigte sich auch im durchgeplantesten Industriebetrieb: Mit Dienst nach Vorschrift konnte keine Produktion zustande kommen. Die “produktive Konspiration” der Arbeiter, wie es Friedrich Weltz formulierte, war immer gefordert. Ohne das gezielte Abweichen von Plänen und Vorschriften waren die betrieblichen Vorgaben nicht einzulösen. Das heißt, von den Arbeitern war in einer zweiten informellen Ebene von Betriebswirklichkeit stets auch faktische Selbstorganisation, informelle Wis sensorganisation, eigene Gestaltungsphantasie und Improvisationskunst gefordert. Nur so war der formelle betriebliche Produktionserfolg überhaupt möglich. In dem von den Betrieben eingeräumten Spielraum für diese Anpassung lagen für die Arbeiter dann manche Möglichkeiten, sich die Arbeit auch im eigenen Interesse anzueignen und eine entsprechende Arbeitskraft- und Zeitökonomie zu entwickeln.
der, dass der Fordismus auf die Nachfrage nach seinen Massenprodukten angewiesen ist. Die Arbeiter hatten längst auch als Konsumenten eine systemstabilisierende Aufgabe. Dies stützte ihre durchaus ambivalente gesellschaftliche Stellung. Die Arbeiter wussten, dass sie als Klasse “Unten” standen, aber der Einzelne sah sich deswegen keineswegs als underdog. Er pochte auf seine Bedeutung für die gesellschaftliche Reproduktion und auf seine Arbeitsleistung beim Aufbau des allgemeinen Wohlstandes. Mit seinem Schweiß und Können, so das Leistungsbewusstsein, erschafft der Arbeiter die Werte in der Gesellschaft. Er ist der eigentliche Produzent und das machte ihn auch stolz auf seine Arbeit. Die Arbeiter haben sich also nie nur instrumentell auf ihre Arbeit bezogen, also Arbeit nur als Mittel zum Geld verdienen verstanden, sondern suchten auch im inhaltlichen Arbeitsbezug Selbstbestätigung, ohne sich freilich den individualistischen bürgerlichen Arbeitsbegriff zu eigen zu machen. Das besondere Leistungsverständnis begründete das Selbstbewusstsein der Arbeiter, Forderungen einzubringen und gegebenenfalls mit kollektiven, arbeitertypischen Mitteln kraftvoll durchzusetzen. An dieser Stelle eine Nebenbemerkung: Wenn ich hier stets nur männlich von den Arbeitern und nicht auch von den Arbeiterinnen spreche, so gibt das Sinn: Industriearbeit war stets als Männerarbeit definiert - obwohl gerade durch den Taylorismus/Fordismus sich einige Branchen mit repetitiver Arbeit auch den Frauen geöff-
Mein Resümee zu dieser Phase der Industriearbeit: Entfremdung in der Arbeit bleibt dominant, freilich nicht so widerspruchsfrei
in
Szene
gesetzt,
wie
es
den
Marx’schen Überlegungen entsprochen hätte. Die Lern-
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Industriearbeit
fähigkeit des Kapitalismus war beachtlich, auch in
genden Wandel befand. Der Titel des 1984 veröffent-
Punkto Arbeitsbedingungen, vor allem aber im gesell-
lichten Buchs über diese Forschung fragt denn auch:
schaftlichen Bereich. Rechtliche Regelungen, gewerk-
“Das Ende der Arbeitsteilung?” Ich füge hier hinzu: Das
schaftliche Vereinbarungen und betriebliche Abspra-
Ende der Entfremdung, neue Entfaltungschancen? Un-
chen und Konsensfindungen institutionalisierten den
ser zentrales Ergebnis lautete: In der deutschen Industrie
Klassenwiderspruch. Revolutionären Impulsen wurde
sind neue Produktionskonzepte zu beobachten.
damit der Atem genommen. Als Credo gilt nun: Doch die gesellschaftliche Eingliederung der Arbeiter in dieser Phase bleibt begrenzt. Helmut Schelsky lag mit
-
Die bisher betriebene Durchtechnisierung schafft oft mehr Probleme als sie löst.
-
Der unter den Vorzeichen der tayloristisch-fordistischen Konzepte praktizierte Zugriff auf Arbeitskraft verschenkt wichtige Produktivitätspotentiale.
-
Im ganzheitlichen Aufgabenzuschnitt liegen keine Gefahren, sondern Chancen.
-
Durch die stärkere Nutzung des fachlichen Knowhows der Arbeiter lässt sich zusätzliche Effizienz gewinnen.
-
Rücknahme von Arbeitsteilung ist nicht Notlösung, sondern neue Rationalisierungsstrategie.
seiner, Anfang der 60er Jahre formulierten These von der “nivellierten Mittelstandsgesellschaft”, die die Arbeiterschaft in die bürgerliche Gesellschaft integriert sah, falsch. Die materialen und rechtlichen Angleichungen hatten der Arbeiterklasse zwar soziale Anpassung ermöglicht. Aber eine Schicht von Arbeiterbürgern in mittelständischer Prägung war nicht entstanden. Der Hauptgrund dafür war, dass sich ein Arbeitsverständnis, das sich am bürgerlichen Arbeitsbegriff orientiert und Identifikation und Selbstverwirklichung versprach, unter den realen Bedingungen in den Betrieben nicht ausbilden konnte.
Als Begründung für diesen Wandel konnten wir insbe-
IV.
sondere zwei Veränderungen ausmachen:
Ich komme zur zweiten, postfordistischen Phase der
1.
Der tayloristisch-fordistische Rationalisierungstyp
Entwicklung der Industriearbeit. Ich muss bei dieser
hatte sich als leistungsfähig erwiesen bei standardi-
Darstellung auf eine eigene Forschung von Horst Kern
sierter Massenproduktion. Mitte der 70er Jahre haben
und mir zurückgreifen. Wir hatten in den 60er Jahren
sich aber die Anforderungen und Voraussetzungen der
den Zusammenhang von technisch-organisatorischem
Fertigung verändert, die weltweite Produzentenkonkur-
Wandel und Industriearbeit in einer breiten Studie un-
renz wuchs an und das Käuferverhalten war anspruchs-
tersucht und planten 1981 ein Nachfolgeprojekt. In ihm
voller geworden. Genauer: Die Macht der Hersteller-
sollte es uns um historische Verlaufsformen industrieller
märkte schwindet, der Verbrauchermarkt gewinnt Do-
Rationalisierung gehen. Wir erwarteten in unseren Aus-
minanz: Der Kunde ist König. Er will technisch vielfäl-
gangshypothesen, ganz entsprechend des damaligen
tige, qualitativ hochwertige und individualisierte Pro-
Standes der industriesoziologischen Diskussion, Weiter-
dukte; dabei immer exklusivere Neuigkeiten in be-
entwicklungen in den bekannten Linien. Tayloris mus/
schleunigter Abfolge. Mit standardisierten Massenpro-
Fordismus stand schließlich gleichsam zeitlos für die
dukten waren keine Verkaufserfolge mehr zu erzielen.
kapitalistische Rationalisierung. 2.
Die mittlerweile weiter entwickelte Mikroelektro-
Wie erstaunt waren wir, als wir feststellen mussten, dass
nik machte nun eine automatisierte Fertigung möglich,
sich die Welt der Industriearbeit in einem sehr grundle-
die für solche Ansprüche eine entsprechende Flexibilität
Industriearbeit
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mitbrachte. Allerdings, auch das war eine neue Erfah-
Debatten interessieren hier nicht mehr. Nach heute 15
rung, die menschenleere Fabrik bringt diese Automation
Jahren ist der Schlachtenlärm längst abgeklungen.
nicht. Die neue Prozess- und Informationstechnik ersetzt zwar massenhaft menschliche Arbeit, doch typi-
Kaum jemand bestreitet noch, dass mit der “Krise der
scherweise vor allem einfache Routinearbeit. Notwen-
Massenproduktion” auch eine “Krise des Tayloris mus/
dig bleibt korrigierendes, intelligentes Regulieren und
Fordismus” einherging. Längst geht es nicht mehr nur
bei Programmabweichungen und Störungen kompeten-
um neue Arbeits-, sondern auch um neue Unterneh-
tes Intervenieren. Die Industrie musste lernen: Die qua-
mensorganisation. Die in den 90er Jahren aufgekomme-
litative Bedeutung der menschlichen Arbeit nimmt para-
nen und mittlerweile weltweit diskutierten Konzepte des
doxerweise in dem Maße zu, wie ihr quantitativer Ein-
lean production und des reengineering stellen alle Weis -
satz reduziert wird.
heiten der traditionellen Managementlehren auf den Kopf und proklamieren Dezentralisierung, Abbau von
Mit diesen Befunden wiesen wir auf eine Veränderung
Hierarchie und Bürokratie, Aufbau von Netzwerken,
der betrieblichen Rationalisierung hin, die für die Zu-
Teamarbeit und Selbstverantwortung als neue Bausteine
kunft der Industriearbeit gravierenden Wandel zur Folge
effizienter Organisation. Zur Mobilisierung der Produk-
haben musste. Statt Trennung von Kopf- und Handar-
tionsintelligenz wurde, jedenfalls in Deutschland, ein
beit nun Wiederzusammenführung der Funktionen; statt
neuer Produktionsfacharbeiter kreiert - wir tauften ihn
Dequalifizierung jetzt Reprofessionalisierung. Das war
den “Systemregulierer” - der nun in den Betrieben den
eine starke These - gerade für die Debatte um Entfrem-
Gesamtprozess gewährleistet, dabei wichtige Regulie-
dung versus Entfaltung. Sie können sich vorstellen, wie
rungs-, Instandhaltungs-, Programmierungs-, Qualitäts-
viel Irritation, Zweifel und lautstarke Widerrede die
sicherungs- und Planungsaufgaben übernimmt und als
Verkündigung eines solchen Paradigmenwechsels des
Problemlöser der Praxis fungiert. Nicht mehr der an-
betrieblichen Handelns in unserer Zunft und darüber
gepasste, sondern der flexible, zur Selbstorganisation
hinaus hervorgerufen hat. Doch die damals geführten
fähige Facharbeiter wird als Leitbild propagiert.
Postfordistisches Produktionssystem
Organisation
Managementprinzipien -
Optimierung der Gesamtproduktivität
-
Prozessorientierte Integration der Planung und Produktion
-
Produktion von qualitativ hochwertigen, individualisierten Gütern
-
Dezentralisierung
-
Dehierarchisierung
-
Integration von direkten und indirekten Funktionen
Industriearbeit -
Neue Produktionskonzepte/Reprofessionalisierung
-
Ausbau der Aus- und Weiterbildung mit dem Ziel, maximaler Kompetenzen
Entfremdung wird zurückgenommen Entfaltungschancen in Industriearbeit entstehen
110
SOFI-Mitteilungen Nr. 28/2000
Industriearbeit
Also Aufhebung der Entfremdung der Industriearbeit?
Unsere Ergebnisse zeigen allerdings auch: Mit dem
Endlich auch für die Industriearbeiter Entfaltungschan-
neuen
cen in der Arbeit?
keine Interessenharmonie, die nun verallgemeinernd den
Rationalisierungsverständnis
korrespondiert
Gleichklang von Kapital und Arbeit annimmt. Sich akDas war zunächst jedenfalls unsere Vorstellung. Wir
tiv an der Rationalisierung zu beteiligen und den Be-
setzten darauf, dass die neuen Produktionskonzepte sich
triebserfolg auch zum eigenen zu machen heißt nicht,
mehr oder weniger schnell verallgemeinern und letztlich
weiter bestehende zu intensive Arbeitskraftvernutzung,
die Gestaltung aller Formen der Industriearbeit durch-
Statusbenachteiligung, Entlohnungsungerechtigkeit und
dringen würden. Unsere Erwartung war, dass der “auf-
Beschäftigungsunsicherheit zu übersehen. Die neue Ar-
geklärtere Umgang mit Arbeitskraft”, wie wir damals
beitspolitik setzt diese Bestimmungsmomente des Ar-
formulierten, sich als Fortschritt, als erhöhte gesell-
beiterbewusstseins nicht außer Kraft. Die Notwendig-
schaftliche Vernunft schon den Weg bahnen würde. Die
keit kollektiver Interessenvertretung steht für die Arbei-
Lernfähigkeit des Kapitalismus schien mit der neuen,
ter deswegen auch nicht zur Disposition.
innovativen Arbeitspolitik nun auch in der Gestaltung der Industriearbeit erkennbar.
Wir finden in unseren Befunden übrigens auch Anhaltspunkte, wie die neue Arbeitspolitik die Arbeiter über
Aus Folgestudien des SOFIs Anfang bis Mitte der 90er
das Betriebs- und Rationalisierungsverständnis hinaus
Jahre über die Verbreitung der neuen Produktionskon-
mit zu bestimmen beginnt. Der durch die neuen arbeits-
zepte und den Umgang der Arbeiter mit der veränderten
politischen Konzepte geprägte Typus von Industriear-
Arbeitspolitik wissen wir, dass die Arbeiter tatsächlich
beiter ist gekennzeichnet durch ein gewachsenes Selbst-
bereit sind, sich auf die erweiterte Aufgabenstellung und
bewusstsein als Experte und ein abwägendes Interes-
die veränderte Betriebsrolle einzulassen. Das war kei-
senbewusstsein, was eigene, berechtigt erscheinende
neswegs selbstverständlich. Im Tayloris mus/Fordis mus
Anliegen angeht. Einhalten verabredeter Spielregeln
galt schließlich für die Industriearbeiter eine strikte Rol-
und gegenseitige Anerkennung werden dabei wichtige
lentrennung: die Produktionsrationalisierung und das
Maßstäbe. Wir konnten feststellten, dass in den Teams
möglichst effektive Wirtschaften verstand man aus-
ein selbst entwickelter, aktiv ausgehandelter, an sozialer
schließlich als das Geschäft des “Unternehmers”. Um-
Vernunft orientierter Interessenausgleich möglich wird
gekehrt: Der traditionelle Lohnarbeiter setzte allen be-
und in demo kratisch gefundenen Problemlösungen
trieblichen Veränderungen seinen arbeitspolitischen
seinen Niederschlag findet. Insofern wächst bei diesen
Konservativismus entgegen. Er verteidigte dabei seine
Arbeitern ihre betriebliche und gesellschaftliche Hand-
informellen Abwehrstrategien und kleinen Überlebens-
lungs- und Reflexionsfähigkeit. Das sind gute Ansätze,
praktiken, die durch Rationalisierung bedroht wurden.
dass die Arbeiter sich auch im Projekt einer Zivil-Gesellschaft
wiederfinden
könnten.
Gesellschaftliche
Dieses Rationalisierungsverständniss verändert sich mit
Selbstverantwortung und Selbstaktivierung sind kompa-
der neuen Arbeitspolitik. Die Arbeiter sind bereit, sich
tibel mit der neuen Arbeitspolitik und werden durch sie
als Mitspieler in den Rationalisierungsprozess einzu-
stimuliert.
bringen und sich mit eigenen Ideen und Vorschlägen an der Optimierung der Produktion und der Verbesserung
Diese Veränderungen klingen nach Ansätzen zu einem
der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu beteiligen,
“epochalen” Umbruch der Arbeit: Industriearbeit bleibt
wenn sie qualifiziert herausgefordert werden und ihnen
Lohnarbeit, aber mit weniger destruktiven Zügen und
Eigenständigkeit so weit zugestanden wird, dass sie
erweiterten Chancen, sich auch als Subjekt in ihr wie-
auch im Eigeninteresse ihre Arbeitsbedingungen er-
derzufinden und sich damit auch neu auf Gesellschaft
leichtern können.
beziehen zu können. Vollzieht der Kapitalismus erneut
Industriearbeit
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einen wichtigen Lernschritt? Eröffnet er dem Arbeiter
über hinaus Zugeständnisse. Außerdem steigt der Druck
eine zivilgesellschaftliche Bürgerrolle?
der Weltwirtschaft auf die deutschen Unternehmen, ihre Strategien insbesondere der Leitwirtschaft USA anzupassen. Unter dem Vorzeichen des Shareholder-Value-
V.
Kalküls, d.h. also der Aktionärs-Interessen, ändern sich dramatisch die Ansprüche, schnelle Erfolge vorzubrin-
Damit komme ich zu meinem letzten Teil, der neuen
gen, die die Kauflust anreizen. Dabei geht es um beides:
Unübersichtlichkeit. Deutlich sind in den letzten Jahren
Phantasien über das Potential möglichen explosiven
rückläufige Entwicklungen zu beobachten. Es treten in
Wachstums anzuregen und erfolgreiche kurzfristige
den deutschen Unternehmen merkbare Gegentendenzen
Profitmaximierung. Jede Investition wird an diesen Prä-
zu der beschriebenen neuen Arbeitspolitik auf. Ver-
missen gemessen. Innovative Arbeitsgestaltung, die
suche einer Reetablierung konventioneller Technik und
höherwertige Arbeit schafft, den Aufwand für Aus- und
Organisationsgestaltung häufen sich:
Weiterbildung steigert und sich erst mittelfristig auszahlt, ist besonders begründungspflichtig. In automati-
-
-
Rücknahme ergonomischer Verbesserung, etwa zur Verminderung von Überkopfarbeit;
sierten Fertigungen, in denen unter Ge sichtspunkten
Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, etwa Ausbau der Schicht und Nachtschicht sowie Abbau von Erholzeiten;
neuen Facharbeit keine Alternative gesehen wird, müs-
einer optimalen Prozess- und Technikbeherrschung zur sen die Unternehmen an der Arbeitsaufwertung festhalten, in den Handarbeitsbereichen, insbesondere den Montagen nicht.
-
erneute Trennung zwischen Planungsexperten und Nur-Ausführenden; Unter dem extremen Markt- und Leistungsdruck zeigen
-
Reduktion von Aus- und Weiterbildungsaktivitäten;
sich aber auch für die aufgewerteten Arbeiten neue Ge fahren. Sie werden immer rigoroser auf flexible, innovative Aufgaben konzentriert, die Kreativitäts- und Lern-
-
Standardisierung der Vorgaben der Arbeitsausführung;
kapazitäten überfordern könnten. Zudem wird eine Leistungsbereitschaft vorausgesetzt, die vor Selbstausbeu-
-
Wiederausbau von Arbeitskontrollen;
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zunehmende Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse im Sinne der verstärkten Nutzung von Befristungen, Zeitarbeiten und Leiharbeit.
tung nicht halt macht bzw. sie als selbstverständlich unterstellt. Die Überlegungen von Richard Sennet über den “Flexiblen Menschen” gehören hier her als Kehrseite der erhöhten Freiheiten und Kompetenzen. Neue Risiken und Unsicherheiten sowie Versagensängste
Wir können bisher nicht schlüssig erklären, was diese Rücknahme der neuen Produktionskonzepte begründet. Eine überzeugende Theorie, die uns den Zusammenhang von sozio-ökonomischer Entwicklung und den gewählten Produktionskonzepten systematisch zu vermitteln vermag, fehlt uns. So muss ich mich in den schillernden, vieldeutigen Begriff der Globalisierung retten. Durch die Entgrenzungen der Globalisierung auch beim Arbeitsmarkt hat die Arbeits-Angebotsseite viel Marktkraft verloren. Die Massenarbeitslosigkeit erzwingt dar-
werden erkennbar. Neue Formen der Entfremdung?
Neue Unübersichtlichkeiten Veränderte Rahmenbedingungen Globalisierung Verschobene Kräfteverhältnisse auf den Arbeitsmärkten Shareholder Value Ansprüche
Auswirkungen auf Industriearbeit - Pluralität von Gestaltungskonzepten
Rekonventionalisierung
Neue Produktionskonzepte
Prekarisierung Hohe Kompetenznachfrage in privilegierten Arbeitsfeldern Unsicherheiten steigen bei Beschäftigung und Arbeit Radikalisierte Flexibilitäts- und Anpassungsanforderungen
alte Formen der Entfremdung gewinnen
Entfaltungschancen in Industriearbeit
neues Gewicht neue Entfremdungsfaktoren? (Überforderung/Selbstausbeutung)
Ich komme zum Schluss. Ich habe versucht, die Ent-
die Entwicklung der Dienstleistungsökonomie stellen.
wicklung der Industriearbeit in der Spannung zwischen
Selbst in unsere Reorganisation der Hochschulen schlei-
Entfremdung und Entfaltung auch in der Perspektive
chen sich die neuen Handlungsanforderungen ein. Für
vorzustellen, dass darin ein Indikator für die Lernfä-
die zu erwartenden Antworten wird es allemal auch
higkeit des Kapitalismus gesehen werden kann. Zwi-
wichtig sein, wie sich der Industriesektor in die gesamt -
schenzeitlich schien es so, als seien berechtigte Hoff-
gesellschaftliche Entwicklung einbringt.
nungen gegeben, dass die In dustriearbeiter ihre betriebliche Objektstellung ein Stück weit hinter sich lassen
Ich selbst bin davon überzeugt: Deutschland hat gute
könnten. Haben wir uns getäuscht? Erweist sich der An-
Gründe, alles daran zu setzen, sich ein deutsches Pro-
satz einer innovativen Arbeitspolitik, die gerade in
duktionsmodell, einen eigenständigen Pfad auch seiner
Deutschland unter den Bedingungen einer ausgebauten
Arbeits-, Sozial- und Wirtschafts- und Bildungspolitik
Berufsausbildung, einer funktionierenden Interessen-
zu bewahren und international - zunächst in Europa –
aushandlung durch die Tarifparteien und eines zwar all-
dafür zu werben. Für das Thema meiner Vorlesung
seits als reformbedürftig, aber auch erhaltungsbedürfti-
heißt das besonders, weiter auf den Ausbau der Produk-
gen Wohlfahrtstaates erfolgreich entwickelt werden
tionsintelligenz und den aufgeklärten Umgang mit ihr
konnte, als nicht mehr überlebensfähig in der globali-
zu setzen, d.h. auf Entfaltungschancen auch für die In-
sierten Wirtschaft? Erschöpft sich die Lernbereitschaft
dustriearbeiter. Die dauerhafte Konkurrenzfähigkeit des
des Kapitalismus in der Perspektive gesellschaftlicher
deutschen Industriesektors ist schwer vorstellbar ohne
Stabilität und Weiterentwicklung, weil der Druck der
zusätzliche Investition in das Human-Kapital auch der
früheren Ost-West Systemkonkurrenz weggefallen ist?
Industriearbeiter. Das dürfte zugleich wichtige Voraus-
Stößt die nationale Variante von kapitalis tischer Lern-
setzung sein für den Erhalt der sozialen Konsensfähig-
fähigkeit an ihre Grenzen? Führt die grenzenlose Inter-
keit. Wir bewahrten uns damit die Chance für eine glei-
nationalisierung und die expandierende Weltmarktkon-
chermaßen wirtschaftliche wie gesellschaftliche Fort-
kurrenz zur Verallgemeinerung auf heruntergestuftem
schrittsperspektive.
Gesellschaftsniveau? Dies sind Fragen, die sich auch an