II. Gegenstand der Kirchengeschichte

22 II. Gegenstand der Kirchengeschichte Erste Hlfte des 20. Jahrhunderts Nach dem Zweiten Weltkrieg kumenische Kirchengeschichte Zeitschriften...
Author: Elisabeth Bader
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II. Gegenstand der Kirchengeschichte

Erste Hlfte des 20. Jahrhunderts

Nach dem Zweiten Weltkrieg

kumenische Kirchengeschichte

Zeitschriften

(5 Bde. Tbingen 1853–1863), Albert Haucks „Kirchengeschichte Deutschlands im Mittelalter“ (5 Bde. Berlin – Leipzig 1887–1920) sowie das unvollendete „Lehrbuch der Kirchengeschichte“ von Ernst Wilhelm Mller (2 von 3 Bdn. 1889–1891). Im 20. Jahrhundert konzentrierte sich das evangelische kirchengeschichtliche Interesse noch mehr auf die Reformation, dazu wurden von Hans Lietzmann mit der „Geschichte der alten Kirche“ (4 Bde. Berlin – Leipzig 1932–1944) auch die Anfnge in den Blick genommen, die auf katholischer Seite Louis Marie Oliver Duchesne mit der „Histoire ancienne de l’Eglise“ (3 Bde. Paris 1906–1910) beleuchtete. Wie auf katholischer Seite das weiterbearbeitete Werk von Funk wurde fr evangelische Theologen Karl Heussis „Kompendium der Kirchengeschichte“ (Tbingen 1908) zum Standardwerk des kirchengeschichtlichen Studiums. Die aufkommende Dialektische Theologie Karl Barths sah in der Kirchengeschichte allerdings nur eine Hilfswissenschaft, was sich in der Theologie jedoch nicht durchsetzte. Whrend und nach dem Zweiten Weltkrieg boten noch Albert Joseph Maria Ehrhard und Wilhelm Neuß mit „Die katholische Kirche im Wandel der Zeiten und Vlker“ (4 Bde. Bonn 1959) eine Gesamtdarstellung. Auch der katholische Theologe Franz Xaver Seppelt (Geschichte des Papsttums, 6 Bde., Leipzig – Mnchen 1931–1956) und der evangelische Pfarrersohn und Profanhistoriker Johannes Haller (Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit, 3 in 5 Bdn., Stuttgart 1934–1945, unvollendet) griffen klassische Themen auf. Umfassende Gesamtdarstellungen wie Hubert Jedins „Handbuch der Kirchengeschichte“ (7 Bde. Freiburg 1962–1979) und zuletzt die mehrsprachige, von Frankreich ausgehende und in internationaler Zusammenarbeit entstandene „Geschichte des Christentums“ (14 Bde., deutsch Freiburg 1992– 2004) wurden jedoch seltener. Von einer Hand scheinen Gesamtdarstellungen nicht mehr mglich, erst recht, wenn sie den Blick ber Europa hinaus wenden. Die Kirchengeschichte wurde einerseits mehr durch internationalen und interkonfessionellen Austausch geprgt, andererseits wandte sie sich noch mehr als frher speziellen und regionalen Themen zu. Die Flle der seit dem 20. Jahrhundert bercksichtigten Aspekte spiegelt sich z.B. in der primr thematisch statt chronologisch angelegten „Einfhrung in die Geschichte des Christentums“, hrsg. von den katholischen Theologen Franz Xaver Bischof, Thomas Bremer, Giancarlo Collet und Alfons Frst (Darmstadt 2012). Profanhistorische Fragestellungen wirkten auch in der Kirchengeschichte, in die etwa Sozial- und Kulturgeschichte Einzug hielten. Eine Besonderheit in der Reihe der Teil- und Gesamtdarstellungen dieser Art stellt die „kumenische Kirchengeschichte“ dar. Dieses Werk betrachtet Ereignisse und Strukturen wie die klassischen Darstellungen. Neu ist aber, dass Streitfragen aus der Sichtweise beider Konfessionen in einem Werk dargestellt und nicht geglttet oder ausgeklammert werden. Die „kumenische Kirchengeschichte“ wurde erstmals 1970 bis 1974 von Bernd Moeller und Raymund Kottje in Mainz, eine berarbeitete Neuauflage in Darmstadt 2006 bis 2008 von Bernd Moeller/Raymund Kottje/Thomas Kaufmann/Hubert Wolf in drei Bnden herausgegeben. Neben mehrbndigen Werken und Monographien etablierten sich kirchengeschichtliche Fachzeitschriften, in denen kleinere Untersuchungen auch zu speziellen Themen erscheinen. Die bedeutendsten noch existieren-

3. Geschichte der Kirchengeschichtsschreibung

den sind auf evangelischer Seite die 1876 gegrndete „Zeitschrift fr Kirchengeschichte“ (Stuttgart), auf katholischer Seite das „Historische Jahrbuch“ (der Grres-Gesellschaft, seit 1880), die „Rmische Quartalsschrift fr christliche Archologie und Kirchengeschichte“ (seit 1887), die „Revue d’histoire ecclsiastique“ in Lwen (seit 1900, bedeutend vor allem wegen ihrer Bibliographie). Bald nach diesen Periodika entstanden die „Zeitschrift fr Schweizerische Kirchengeschichte“ (Fribourg, seit 1907, seit 2004 „Schweizerische Zeitschrift fr Religions- und Kulturgeschichte“) und die „Revue d’histoire de l’Eglise de France“ (Paris, seit 1910). Wie die genannten Zeitschriften bieten auch die folgenden Periodika zur regionalen Kirchengeschichte nur eine kleine Auswahl: „Freiburger Dizesanarchiv“ (seit 1865), „Beitrge zur altbayerischen Kirchengeschichte“ (seit 1850), „Zeitschrift fr Bayerische Kirchengeschichte“ (seit 1926), „Zeitschrift der Gesellschaft fr niederschsische Kirchengeschichte“ (seit 1896). 1949 wurde das „Archiv fr Mittelrheinische Kirchengeschichte“ gegrndet, das sich mit der Geschichte der Bistmer Fulda, Limburg, Trier, Mainz und Speyer befasst. Die gleichnamige Gesellschaft gibt in der Reihe „Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte“ auch Einzeluntersuchungen heraus. Die Spannung, der die Kirchengeschichte als theologische Disziplin und als historisch-kritische Wissenschaft ausgesetzt ist, ist bis heute nicht gelst.

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III. Periodisierung 1. Prinzipien der Gliederung

Periode und Epoche

Das Fach Kirchengeschichte gliedert sich chronologisch in vier Bereiche, die gewhnlich nach den großen historischen Epochen oder Perioden bezeichnet werden: (1) Kirchengeschichte der christlichen Antike oder der Alten Kirche; (2) Kirchengeschichte des europischen Mittelalters; (3) Kirchengeschichte der Reformation und der frhen Neuzeit; (4) Kirchengeschichte der Neuesten Zeit und kirchliche Zeitgeschichte. Die Teilbereiche des Fachs umfassen unterschiedlich lange Zeitrume. Jene haben in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche Forschungsschwerpunkte hervorgebracht. Zwischen Periode und Epoche wird unterschieden: Unter Periode versteht man den Verlauf einer Zeitspanne, die einen Anfang und ein Ende besitzt; unter Epoche ist ein „Haltepunkt in der Zeit“ zu verstehen, beispielsweise ein Zeitabschnitt innerhalb eines Jahres. „Periode verhlt sich also zu Epoche wie Zeitraum zu Zeitpunkt, bestenfalls Zeitabschnitt. Epochen erffnen, strukturieren und beenden in der Regel eine Periode“ (20, 77). Periodisierungen der Geschichte sind mglichst allgemein gehalten. Die chronologische Einteilung der Geschichte in die großen Zeitrume Altertum, Mittelalter und Neuzeit geht auf die Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts zurck. Im spten 17. Jahrhundert wurde diese chronologische Unterteilung von den Lehrbchern der Weltgeschichte bernommen; in der Kirchengeschichte wurde sie erst seit dem frhen 19. Jahrhundert blich. Doch wurden seitens der kirchengeschichtlichen Forschung verschiedene Periodisierungsvorschlge unter problemorientierten Gesichtspunkten gemacht. Bei jedem Versuch der Periodisierung ergibt sich allerdings das Problem der exakten Abgrenzung der jeweiligen Perioden. Dabei ist bei diesem Schema zu fragen: Wann beginnt das Mittelalter, wann die Neuzeit? Auch bei Unterscheidungen in mehrteiligen Konzepten ergeben sich hnliche Fragen: Wann hrt die Sptantike auf, und wann beginnt das Frhmittelalter? Heute bestehen kaum mehr Unterschiede zwischen der allgemeinen Geschichtswissenschaft und der Kirchengeschichte bei Antworten auf diese schwierigen Fragen. In ihrem Buch „bersichten zur Kirchengeschichte“ schlagen die evangelischen Kirchenhistoriker Manfred Sitzmann und Christian Weber die folgende Periodisierung vor (250, [9]):

2. Vorschlge zur Grenzziehung

Anfangsjahr (etwa)

Abschnitt

Großabschnitt

50

Alte Kirche vor Konstantin

300

Alte Kirche seit Konstantin

450

Frhmittelalter

900

Hochmittelalter

1300

Sptmittelalter

1500

Reformation

1550

Konfessionelles Zeitalter

1650

Pietismus und Aufklrung

1800

19. Jahrhundert

1900

20. Jahrhundert

Alte Kirche

Mittelalter

Reformationszeit

Neuzeit Neueste Zeit

2. Vorschlge zur Grenzziehung Die Grenzen der drei Zeitrume sind fließend. So stellt sich die Frage, wie der Zeitraum von 1500 bis 2013, den wir heute als „Frhe Neuzeit“, „Neuzeit“, „Neueste Zeit“ bzw. „Zeitgeschichte“ beschreiben, in spterer Zeit bezeichnet wird. Obgleich vielfach diskutiert, wird die Gliederung in „Altertum“, „Mittelalter“, „Neuzeit“ und „Neueste Zeit“ bzw. „Zeitgeschichte“ auch in der Kirchengeschichtsschreibung zugrunde gelegt. Periodisierungen der Geschichte sollten mglichst allgemein gehalten sein. Grenze zwischen Antike und Mittelalter Zeit, Ereignis

Begrndung der Wahl

313 Toleranzedikt zu Mailand

Ende der Christenverfolgungen im Rmischen Reich; Wandel der Gemeinde

380 Christentum Staatsreligion

Grundlegend neue Rolle des Christentums im grßten Reich der Antike

476 Abdankung des Romulus Augustulus

Ende der westrmischen Reichshlfte, Kirche unter dem Einfluss germanischer Frsten

496 Taufe Chlodwigs durch Remigius

Beginn der Durchsetzung des Katholizismus bei den germanischen „Vlkern“

529 Grndung des Klosters Monte Cassino und Schließung der Akademie in Athen (die von Platon, d.h. in vorchristlicher Zeit, gegrndet worden war)

Ursprung des Kloster- und Ordenswesens in mittelalterlicher Ausprgung und symbolische Beendigung der heidnischen antiken Schultradition

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III. Periodisierung

Grenze zwischen Antike und Mittelalter Zeit, Ereignis

Begrndung der Wahl

590 Gregor d. Gr. wird Bischof von Rom

Entscheidende Schritte zur Vormachtstellung des Papsttums in der westlichen Kirche

622 Hedschra Mohammeds; Beginn der islamischen Zeitrechnung

Entstehung des Islam als bedeutendste konkurrierende Missionsreligion zum Christentum

641 Eroberung gyptens durch islamische Truppen

Ende der christlichen Einheit des Mittelmeerraums

800 Erneuerung der westrmischen Kaiserwrde durch Karl d. Gr.

Manifestation des frnkischen Knigtums als Schutzmacht der Ppste

Grenze zwischen Mittelalter und Neuzeit Zeit, Ereignis

Begrndung der Wahl

1453 Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen

Verlust des Zentrums der Ostkirche, Auswanderung griechischer Gelehrter nach Westen, Horizonterweiterung der westlichen Theologie

1492 Entdeckung Amerikas

Beginn einer weltweiten Missionsoffensive der christlichen Kirchen

1517 Verffentlichung der Thesen Luthers

Ende der Einheit der westlichen Kirche