Herausforderung Klimawandel

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Author: Leander Weber
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Energiekosten

Verkehr der Zukunft

Dezember 2016

Bezahlbares Wohnen

Foto: maho - fotolia

Foto: Grzegorz Polak - fotolia

Mobilität

Foto: Rainer Sturm - pixelio

Schwerpunktthema

Der Gebäudesektor im Spannungsfeld von Klima- und Sozialpolitik

Wohnraumförderung und energetische Sanierung

Foto: Eduard Warkentin - fotolia

Herausforderung „Klimawandel“

Das Berliner Anpassungskonzept an die Folgen des Klimawandels (AFOK) – Eckpunkte und Herausforderungen für die deutsche Hauptstadt Von Dr. Fritz Reusswig und Wiebke Lass

Der Kontext Das Land Berlin beschäftigt sich schon länger mit den Folgen des Klimawandels. 2011 etwa wurde der sektoral ausgerichtete Stadtentwicklungsplan (StEP) Klima vorgelegt, der 2015/16 als StEP Klima KONKRET aktualisiert wurde. Im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hat ein vom Potsdam-Institut für Kli-

mafolgenforschung (PIK) geleitetes Konsortium (bgmr Landschaftsarchitekten GmbH, Berlin; Luftbild Umwelt Planung GmbH (LUP), Potsdam; Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), Berlin und L.I.S.T. Stadtentwicklungsgesellschaft mbH, Berlin) ein Konzept zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels (AFOK) vorgelegt, das auf dem neuesten Stand der Klimafolgenforschung beruht und alle Sektoren der Stadt berücksichtigt. AFOK bildet den Rahmen für eine Gesamtstrategie zur Anpassung Berlins und greift da-

mit die Zielstellung des Berliner Energiewendegesetzes (EWG Bln) vom April 2016 auf, das die Verbesserung der Anpassungsfähigkeit natürlicher, gesellschaftlicher und ökonomischer Systeme und den Erhalt der Funktionsfähigkeit städtischer Infrastrukturen sowie den Erhalt der urbanen Lebensqualität als Verpflichtung des Berliner Senats formuliert. Mit dem AFOK und dem kurz zuvor unter Beteiligung des PIK erstellten Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK) verfügt Berlin damit

über eine umfassende Strategie zu Klimaschutz und Klimaanpassung.

Die globale Herausforderung... Alle Beobachtungen zeigen: Unser Klima wandelt sich bereits. Und: Dieser Wandel wird sich noch verstärken. Während die globale Mitteltemperatur in den letzten 100 Jahren um 0,8°C anstieg, erwärmte sich Europa im gleichen Zeitraum um rund 1,3°C. Das mag wenig klingen, aber damit gehen die Veränderung von Niederschlagsmustern, das Abschmelzen » Fortsetzung auf Seite 2

www.dsk-big-gruppe.de

Dezember 2016 | Seite 2 » Fortsetzung von Seite 1

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser, im Mai dieses Jahres haben wir uns entschieden, mit Blick auf die UN-Klimakonferenz in Marrakesch das Thema „Klimaschutz und CO2-Vermeidung“ zum Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe der Depescheaktuell zu machen. Schon damals glaubten wir, ein aktuelles Thema gewählt zu haben – wie aktuell es dann aber wirklich wurde, konnten wir nicht ahnen. Mehrfach scheiterten die Verhandlungen zu dem vom Bundesbau- und Umweltministerium vorgelegten nationalen „Klimaschutzplan 2050“, und erst in buchstäblich allerletzter Sekunde einigte sich die Koalition auf einen nicht mehr für möglich gehaltenen Kompromiss (der mich zu einer Überarbeitung dieses bereits fertig gestellten Editorials veranlasste). Es ist unstrittig, dass die Immobilienwirtschaft bereits einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele beigetragen hat. So wurde im Entwurf des Klimaschutzplans zutreffend festgestellt, dass die CO2-Emissionen im Gebäudesektor seit 1990 bereits um 43 Prozent zurückgegangen sind. Angesichts der langen Nutzungsdauer des Wirtschaftsgutes „Immobilie“ halte ich persönlich das für ein gutes Ergebnis. Heute haben wir im weltweiten Vergleich beim Neubau von Immobilien mit die höchsten Standards, und viele technische Neuerungen und Weiterentwicklungen sind in Deutschland entstanden. Für ganz wesentlich halte ich jedoch das zwischenzeitig erfolgte Umdenken: Nicht mehr die einzelne Immobilie steht ausschließlich im Fokus, sondern auch das Quartier. Seit mehr als fünf Jahren bieten wir unter dem Markennamen „KlimaQuartier“ Energetische Stadtsanierung in Quartieren an, und vor allem mein Kollege Eckhard Horwedel, seit Anfang des Jahres „nebenberuflich“ Präsident der einflussreichen BVLEG, wirbt in Politik und Verbänden für das „KlimaQuartier“, wie das bei uns heißt. Offensichtlich erfolgreich, denn sowohl das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit als auch der wichtigste Branchenverband, der Zentrale Immobilienausschuss, stellen in ihren Papieren die Bedeutung der KlimaQuartiere immer stärker heraus. Anlass für uns, einmal Bilanz zu ziehen: Unser Kollege Klaus von Ohlen weist in seinem Beitrag auf Seite 4 nach, dass in den von der DSK | BIG Gruppe betreuten KlimaQuartieren nach konservativer Prognose eine jährliche CO2-Reduzierung von bis zu drei Prozent – und zwar nachhaltig jedes Jahr – erreicht wird. An drei konkreten Beispielen beschreibt die renommierte Immobilienjournalistin Miriam Beul-Ramacher auf Seite 6, wie KlimaQuartiere in der Praxis funktionieren, und unser Kollege Ralf Manke zeigt auf Seite 8 die Einbindung der Bürger in die energetische Stadtsanierung. Und wie eng inzwischen Stadtentwicklung und Energiewirtschaft kooperieren wird in dem Beitrag von Torsten Amelung deutlich (Seite 9), Geschäftsführer der deutschen Tochter des norwegischen Statkraft-Konzerns. Ganz entscheidend für den Erfolg der energetischen Quartierssanierung – und das möchte ich an dieser Stelle einmal ausdrücklich betonen und mich dafür bedanken – ist vor allem aber der enge Austausch und die konstruktive Kooperation mit der KfW, mit der wir seit Jahren (nicht nur) in dem Programm 432 Energetische Stadtsanierung vertrauensvoll und erfolgreich zusammenarbeiten. Deshalb freue ich mich besonders über den Beitrag von Dr. Kay Pöhler und Michael Näher auf Seite 5. Gleichwohl bietet der Klimaschutzplan 2050 auch Anlass zur Sorge: Die immer höheren Energiestandards verteuern die Baukosten beim Neubau von Wohnungen dramatisch, und das in einer Zeit, in der überall bezahlbare Wohnungen gefordert werden. Bereits die Umsetzung der letzten Stufe der EnEV 2014 hat die Baukosten um rd. 8 Prozent verteuert; dabei führen die neuen Standards aber nur zu einer Ersparnis von 0,02 Prozent. Hier würde ich mir mehr Augenmaß wünschen. Deshalb haben wir – quasi als zweiten inhaltlichen Schwerpunkt – mehrere Beiträge, die sich mit der Schaffung von Wohnraum unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Gegebenheiten auseinander setzen: So nimmt Dr. Joachim Lang, Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in Berlin, u. a. Stellung zu der Frage, wie in der Bundeshauptstadt das Ziel verfolgt wird, klimaneutrale Stadt zu werden und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen (Seite 21). Unser Kollege Heiko Böttcher hat einen Ansatz entwickelt, wie große Wohnungsbestände energetisch und wirtschaftlich saniert werden können und stellt den auf Seite 22 vor. Und – last but not least – beschreibt einer der dienstältesten Oberbürgermeister Deutschlands, Bernd Saxe, wie in der von ihm seit 16 Jahren geführten Hansestadt Lübeck Bauland ermäßigt wird (Seite 20). Ein Beispiel, das meines Erachtens in vielen anderen deutschen Kommunen Schule machen könnte. Wie immer wünsche ich Ihnen viel Spaß und Erkenntnis bei der Lektüre und freue mich auf die immer zahlreicheren Rückmeldungen und Anregungen von Ihnen. Herzliche Grüße, Ihr Dr. Marc Weinstock

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von Gletschern und des Polareises, der Anstieg des Meeresspiegels und die Zunahme von Wetterextremen einher. Die ersten zehn Jahre des 21. Jahrhunderts gehören weltweit zu den wärmsten Jahren seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Jahre 2014 und 2015 belegen in Deutschland Platz 1 und 2 aller seit 1881 gemessenen Jahre. Auch in Berlin ist diese Klimaänderung nachweisbar. Neben dem Temperaturanstieg machen der Hauptstadt auch Starkregenereignisse und nachfolgende Überschwemmungen zu schaffen. Sie gefährden die städtischen Infrastrukturen und behindern den Verkehr. Aber wie wird sich das Berliner Klima in Zukunft noch entwickeln?

... und das Berliner Klima der Zukunft Das PIK hat für das AFOK einen Ansatz gewählt, der mittlerweile zum Stand der Klimafolgenforschung gehört: Da es weltweit mehrere (gleich) gute Klimamodelle gibt, ist es die klügste Strategie, sich nicht für eines zu entscheiden, sondern auf Modell-Ensembles zu setzen. Außerdem wurden die globalen Modelle mit regionalen Klimamodellen kombiniert, um aussagekräftige Prognosen speziell für den Raum Berlin zu erhalten. Schon in der jüngeren Vergangenheit kann man in Berlin einen Anstieg der Temperaturen beobachten. Für die nahe Zukunft (2050) ist mit einem weiteren Anstieg der durchschnittlichen Tageshöchsttemperaturen um ca. 1,2º C, für die ferne Zukunft (2100) mit ca. 3,2º C zu rechnen. Besonders markant fällt der Anstieg im Herbst und im Winter aus. Auch die Sommer in Berlin werden heißer. Gegen Mitte des Jahrhunderts werden die Sommer im Schnitt etwa 1º C wärmer als heute, gegen Ende um etwa 3º C. Es gehört zu den „Markenzeichen“ des Klimawandels, dass die Extremwerte dabei deutlicher zunehmen als die Mittelwerte. Im Zeichen des Klimawandels wird es in Berlin zu einem Anstieg des mittleren Jahresniederschlags von ca. drei bis zehn Prozent (nahe Zukunft) bzw. 7,5 bis 18 Prozent (ferne Zukunft) kommen. Der stärkste Anstieg ist dabei für den Frühling und den Winter zu erwarten. Im Herbst, vor allem

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aber im Sommer fällt er schwächer aus. Besonders wichtig ist ein Trend aus dem Bereich der Extremwerte: Die Zunahme der Starkregentage (mehr als zehn mm Niederschlag). Gegenwärtig gibt es davon rund elf im ganzen Jahr. Der Klimawandel führt dazu, dass wir zukünftig ungefähr 15 (nahe Zukunft) bzw. 17 (ferne Zukunft) solcher Tage bekommen werden. Da die Temperaturen besonders im Winter ansteigen werden, ist mit deutlich weniger Schnee zu rechnen. Es wird aber vermehrt – trotz des Anstiegs der Niederschläge im Jahresdurchschnitt – auch zu Perioden kommen, in denen es länger überhaupt nicht regnet (bis hin zu Trockenstress) – dafür an anderen Tagen in großer Heftigkeit („Starkregen“). Was bedeuten diese Zahlen für das Funktionieren der Hauptstadt in der Zukunft und für den Alltag der Menschen, die darin leben?

Wo ist Berlin verwundbar, was muss getan werden? Aufgrund des geringeren Luftaustausches und der Wärmespeicherung durch Gebäude und Verkehrsflächen ist die Temperatur in Berlin im Schnitt 5°C höher als im Umland – in warmen Sommernächten sind es sogar 10° C mehr. Jeder Anstieg der Temperaturen belastet Berlin daher besonders. Gefährdet sind insbesondere ältere Menschen, Kleinkinder und chronisch Kranke. Aber auch Menschen, die im Freien beschäftigt sind sowie Touristen gehören zu den Risikogruppen. Etwa 55 Prozent der Berliner Krankenhäuser und 65 Prozent der Pflegeheime liegen bereits heute in Gebieten mit erhöhter thermischer Belastung. Zwischen 2001 und 2010 sind jährlich im Schnitt etwa 1.400 BerlinerInnen durch Hitzeereignisse gestorben – im gleichen Zeitraum starben etwa 64 Menschen pro Jahr an Verkehrsunfällen. Die bis 2050 rasch wachsende Zahl an alten Menschen (insbesondere auch Hochbetagte) wird zu einem zusätzlichen Anstieg der Verwundbarkeit für den Klimawandel führen, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Neben der Zunahme an Krankenhauseinweisungen (Morbidität) und Todesfällen (Mortalität) ist der Verlust an Arbeitsproduktivität eine weitere wichtige Folge der klimawandelbe-

dingten Zunahme an Hitzeereignissen. Studien haben ergeben, dass die Arbeitsproduktivität um drei bis 12 Prozent abnimmt, wenn der für Beschäftigte mit sitzender und leichten Tätigkeiten behagliche Temperaturbereich von 23° C bis 26° C verlassen wird. Noch gefährdeter sind Beschäftigte im Außenbereich (Baustellen, Gastgewerbe, Fahrradkuriere etc.). Der Klimawandel ist also auch ein (negativer) Wirtschaftsfaktor, dem sich unsere Städte als ökonomische „Wachstumsmaschinen“ stellen müssen. Hier braucht es ein Hitzefrühwarnsystem und verschiedene Präventionsmaßnahmen. Der rasche Ausbau des Berliner Trinkbrunnennetzes ist erforderlich. Die Berliner Wirtschaft muss bauliche und organisatorische Vorkehrungen treffen, damit die Arbeitsproduktivität auch in Zukunft auf ihrem aktuellen Niveau bleiben kann. Um die Klimaschutzziele nicht zu gefährden, darf die zu erwartende Zunahme von Gebäudekühlung nicht durch konventionelle, fossil betriebene Klimaanlagen bereitgestellt werden. Im Rahmen von AFOK werden deshalb alternative bauliche Maßnahmen (wie Verschattung, Wassernutzung) und klimafreundliche Kühltechniken vorgeschlagen. Auch die städtischen Infrastrukturen sind gefährdet und müssen geschützt werden. Seit einigen Jahren schon wird die Berliner Mischwasserkanalisation durch millionenschwere technische Maßnahmen so ertüchtigt, dass die periodisch wiederkehrenden Überläufe die Gewässer weniger stark belasten. Der Klimawandel hat das Potenzial, diese Investitionen durch mehr Starkregenereignisse zu konterkarieren. Neben unterirdischen müssen daher – nicht zuletzt aus Kostengründen – auch deutlich mehr überirdische Speichermöglichkeiten geschaffen werden. Durch Entsiegelung und Begrünung muss Berlins Stadtoberfläche „durchlässiger“ werden und gleichzeitig mehr Wasser zwischenspeichern, das für die Abkühlung der Stadt in sommerlichen Hitzephasen gebraucht wird (Prinzip „Schwammstadt“). Die in unserer Stadt weitgehend unterirdisch verlaufenden Stromkabel brauchen genauso einen kontinuierlichen Klimawandel-Check wie die

Verkehrsinfrastruktur. Schienen- und straßengebundener Verkehr werden durch Hitze, Kälte und Starkregenereignisse beeinträchtigt. Die Verkehrslenkung ist so anzupassen, dass der auch aus Klimaschutzgründen wichtige Umweltverbund (Fuß, Rad, ÖPNV) weiterhin gut funktionieren kann. Hier ziehen Klimaschutz und Klimaanpassung übrigens an einem Strang: Da der Klimawandel mehr Sonneneinstrahlung und damit auch mehr bodennahes Ozon bringt, müssen Verbrennungsmotoren zukünftig allein schon deshalb aus dem Stadtgebiet zurückgedrängt werden, um die bestehenden Ozongrenzwerte einzuhalten. Schließlich muss das Berliner Grün – Wälder, Parks, öffentliches Grün, Kleingärten – besser vor Hitze, Trockenstress und Schädlingsbefall geschützt werden. Denn nicht zuletzt ist es die Stadtnatur, die gerade auch mit Blick auf die Folgen des Klimawandels, oft „kostenlos“ essenzielle „Ökosystem-Dienstleistungen“ liefert, ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Bekämpfung der Klimafolgen. Auch mit Blick auf das Steuersäckel gilt es daher zukünftig verstärkt, z. B. ein kluges Flächenmanagement zu betreiben (einschl. von Maßnahmen der Entsiegelung), bestehendes Naturkapital klimatisch zu qualifizieren, eine systematische Strategie der Dach-, Fassaden- und Hofbegrünung einzuschlagen und so die naturbasierten Potenziale (z. B. „grüne“ statt „graue Infrastruktur“) weitestmöglich zu heben. Neben der Aufstockung der Mittel für die Grünflächenämter können Senat und Bezirke bei diesem von der EU stark propagierten Ansatz auch auf Kooperationen mit öffentlichen Unternehmen oder auf verstärktes bürgerschaftliches Engagement zurückgreifen.

Eine wichtige Folge der klimawandelbedingten Zunahme an Hitzeereignissen ist der Verlust an Arbeitsproduktivität. Besonders gefährdet sind Beschäftigte im Außenbereich.

Stadt bis 2050 klimaneutral gemacht werden soll, sind wirtschaftlich von Vorteil und tragen zum Erhalt bzw. der Steigerung der Lebensqualität in der Stadt bei. Das 2016 neu gewählte Berliner Abgeordnetenhaus und der neue Senat werden sich mit den AFOK-Vorschlägen nun auseinandersetzen müssen. Sie werden dies, wie in der vorherigen Legislaturperiode, sicher auch unter dem Vorzeichen einer wachsenden Stadt tun. Massives Stadtwachstum birgt gegenwärtig die Gefahr, dass Umweltbelange geopfert werden, um mehr Wohnungen und mehr Infrastruktur zu schaffen. Aber das wäre nicht nur kurzsichtig, es würde auch dem Geist des 2016 in Kraft getretenen Berliner Energiewendegesetzes widersprechen. Die Frage muss immer lauten: Was soll denn da eigentlich wachsen? Berlin als Ansammlung möglichst vieler Gebäude und Menschen, oder Berlin als lebenswerte, gesunde und nachhaltige Metropole? Nur letzteres wird dauerhaft auch bei den Menschen erfolgreich sein. Und dafür braucht es eine Klimaanpassungsstrategie.

Anpassungskonzept umsetzen und Synergien ausschöpfen Im Rahmen des AFOK wurden über 80 Maßnahmenvorschläge für alle neun betrachteten Sektoren entwickelt. Werden sie umgesetzt, ist Berlin für die Herausforderung „Klimawandel“ gut vorbereitet. Viele von ihnen weisen zudem Synergien zum Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK) auf, mit dem die

Weitere Informationen Dr. Fritz Reusswig Dipl.-Volksw. Wiebke Lass Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), www.pik-potsdam.de

Dezember 2016 | Seite 4

Energetische Stadtsanierung – eine Bilanz aus der Praxis Im Herbst 2011 startete das KfW-Programm 432 zur energetischen Stadtsanierung, welches die bewährten Förderprogramme der Stadtsanierung auf den Sektor der energetischen Sanierung ausdehnte. Schon Jahre vor dem Start des KfW-Programms war die Notwendigkeit zur Erweiterung der Programmkomponenten der Städtebauförderung im Sinne eines KlimaQuartiers erkennbar geworden. Nun konnten im Rahmen des KfW-Förderprogramms zumindest die konzeptionellen Grundlagen für eine energetische Sanierung geschaffen werden. Deshalb war es wenig überraschend, dass bereits im Programmanlauf eine Reihe von Kommunen für die Aufstellung eines Konzeptes begeistert werden konnten. In ersten Pilotprojekten wie z. B. in den Städten Langenhagen und Emden wurden gemeinsam mit Planungspartnern erste inhaltliche Entwicklungen der Konzeptstruktur erarbeitet. Die Erfahrungen aus fünf Jahren energetischer Stadtsanierung haben gezeigt, dass der Ansatz der KfW, ein „lernendes Programm“ zu konzipieren, richtig war. Schon bei der Aufstellung der Konzepte für die Pilotprojekte ist deutlich geworden, dass insbesondere der geforderte integrierte Konzeptansatz – anfänglich als singuläre Anforderung ohne weitere Diversifizierungen benannt – zu erweitern und mit Leben zu füllen war. So wurden die ersten Konzepte meist sehr stringent auf die technischen Parameter der energetischen Sanierung hin konzipiert. Schon während der Bearbeitung ist deutlich geworden, dass ohne eine Verzahnung mit der jeweiligen gesamtstädtischen Entwicklungsstrategie und vor allem ohne eine umfassende Einbindung der Quartiersbewohner und der lokalen Akteure die Konzepte nicht die gewünschten Effekte aufwiesen. Darüber hinaus sorgten in den zurückliegenden Jahren stetig sinkende Energiepreise für eine nur verhaltene Akzeptanz der energetischen Stadtsanierung, sowohl bei den Kommunen, als auch bei den Bewohnern. Darauf ist mit Planungspartnern reagiert und folgende integrierte Struktur für die Aufstellung von KlimaQuartieren entwickelt worden:

Struktur von KlimaQuartieren  Identifizierung von Quartieren, deren energetische Sanierung hohe Einsparquoten versprechen und damit von einer besonderen Akzeptanz auszugehen ist.  Umfassendere Bestandsuntersuchungen in den Quartieren, insbesondere ergänzt durch vertiefende soziale, wohnungswirtschaftliche und städtebauliche Analysen.  Einbindung der Bewohner und aller Akteure durch eine aktive Beteiligungspolitik; mit Hilfe webbasierter Portale kann in vielen KlimaQuartieren interaktiv mit allen kommuniziert, unmittelbar auf Fragen reagiert und beraten werden.  Unmittelbare Verzahnung der KlimaQuartiere mit dem Instrumentarium der Städtebauförderung: Die Ausweisung von förmlich festgelegten Sanierungsgebieten innerhalb von KlimaQuartieren erhöht die Sanierungsakzeptanz des Einzelnen durch mögliche steuerliche Abschreibungen; die Festlegung von KlimaQuartieren innerhalb bestehender Sanierungsgebiete führt zu einer erheblichen Aufwertung der klassischen Sanierung. Auf der Basis dieser an den Problemlagen der Bewohner/Nutzer und allgemein des Quartiers orientierten integrierten Bestandsanalysen wird bereits die Potenzialanalyse lösungsoptimiert aufgestellt. Das theoretisch errechnete Einsparpotenzial wird auf seine Realisierungschancen überprüft. Im Rahmen dieser Evaluierungsebene werden insbesondere soziale, bautechnische und architektonische Anforderungen an potenzielle energetische Sanierungsmaßnahmen überprüft. Auf diesem Weg werden energetisch effektive und vor allem bezahlbare bzw. finanzierbare integrierte Maß-

nahmen identifiziert. Das Maßnahmenpaket muss auf die spezifischen Bedingungen in den jeweiligen Quartieren ausgerichtet sein. Die Erfahrungen aus den sich anschließenden Umsetzungsphasen – den energetischen Sanierungsmanagements – haben deutlich gemacht, dass insbesondere in den Energieniedrigpreisphasen nur die Maßnahmen in der Bewohnerschaft und bei den kommunalen Entscheidungsträgern Akzeptanz finden, die zumindest mittelfristig Amortisierungschancen aufweisen und die städtebauliche Werthaltigkeit steigern. In diesem Kontext ist jedoch auch festzustellen, dass sich in der momentanen Niedrigzinspha-

rund drei Prozent pro Quartier. Diese ersten Berechnungen sind weiter zu quantifizieren und zu qualifizieren. Schwachstellen in der Bilanzierung sind dabei vor allem die CO 2-Belastungen durch den motorisierten Individualverkehr. Dieser Sektor ist auf Quartiersebene problematisch zu erfassen, hat aber einen Anteil von häufig über 30 Prozent der CO 2-Gesamtbelastung. Die Chance, die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung stärker durch Maßnahmen im Bestand, als durch weitere Restriktionen im Neubaubereich zu erreichen, sollte genutzt und gefördert werden. Auf der kommunalen Ebene wird die energetische Stadtsanie-

se spürbare Effekte ohne zusätzliche Investitionshilfen nur schwerlich abbilden lassen. Hier sollte der „Lernprozess“ des Programms KfW 432 weitergeführt und zum Beispiel eine Maßnahmenbezuschussung aus Mitteln der Städtebauförderung/KfW geprüft werden.

rung weiter zu entwickeln sein und die Struktur der Konzepte muss den sich stetig ändernden Anforderungen sukzessive angepasst werden. Die jüngsten Zahlen der KfW weisen einen Anstieg der Förderanträge auf. In den Kommunen steht die Energiediskussion wieder stärker im Fokus, ausgelöst auch durch den prognostizierten Anstieg der Energiepreise als Folge der aktuellen OPEC-Beschlüsse.

Neben den vielfältigen Erkenntnissen für die energetische Sanierung aus den über 100 KlimaQuartieren ist in einer ersten Bilanzierung durch die DSK | BIG Gruppe zufolge die klimapolitische Bedeutung des KlimaQuartiers deutlich geworden. Im Rahmen der Diskussionen zur Novellierung des Energieeinsparrechts ist im Frühjahr dieses Jahres die Frage erörtert worden, ob es nicht nachhaltiger und kostensparender wäre, die erforderlichen Energieeinsparungen stärker im (Quartiers-)Bestand als im Neubaubereich zu fordern und zu fördern. Die DSK | BIG Gruppe konnte in einer ersten Auswertungsrunde nachweisen, dass in 67 auswertungsreifen KlimaQuartieren mit einer Fläche von rund 2.000 Hektar ein CO2-Minderungspotenzial in Höhe von 123.000 Tonnen pro Jahr im Zielszenario von zehn Jahren realistisch ist. In Bezug auf die CO2-Eingangswerte errechnet sich damit eine durchschnittliche jährliche CO2-Minderungsquote von

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Mit dem Instrumentarium der KlimaQuartiere sind die Grundlagen für einen energetischen Umbau großer Teile des Wohnungsbestandes geschaffen worden. Die Umsetzung und hier vor allem die Finanzierung der Maßnahmen wird die zentrale Zukunftsaufgabe für alle Beteiligte sein.

Weitere Informationen Klaus von Ohlen Büro Bremen T 0421 32901-78 [email protected]

Dezember 2016 | Seite 5

Fünf Jahre Energetische Stadtsanierung – ein Beitrag zum Klimaschutz in Deutschland

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Vor fünf Jahren startete die KfW im Auftrag des Bundes das Zuschussprogramm Energetische Stadtsanierung. Ziel ist es, auf kommunaler Ebene umfassende und lokal angepasste Investitionen in die Energieeffizienz und den Einsatz Erneuerbarer Energien voranzutreiben und damit einen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele der Bundesregierung zu leisten.

Das KfW-Programm 432 ist ein wichtiger Baustein im Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz,

Entscheidend für die gewünschten Umwelteffekte ist allerdings, dass die entwickelten Maßnahmen auch umgesetzt werden. Daher wird in

grammstart haben KfW und BMUB 600 Quartiere in 550 Kommunen und Landkreisen gefördert – überwiegend zunächst die Entwicklung von Konzep-

sich erst im Laufe der Zeit aus den Erfahrungen vor Ort ergeben. So wurde beispielsweise im Dezember 2015 die bereits genannte Möglichkeit geschaf-

Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). Mit dem Quartier als zentrale Handlungsebene liegt dem Programm ein integrierter Ansatz zugrunde. Hier können energetische Maßnahmen an Gebäuden und Versorgungssystemen technisch und wirtschaftlich optimal aufeinander abgestimmt werden. Sie lassen sich sinnvoll mit baukulturellen, aber auch sozialen und demografischen Zielen der Stadtentwicklung verknüpfen. Wer sich seinem „Kiez“ verbunden fühlt, lässt sich zudem leichter motivieren, aktiv an einem Projekt zur Aufwertung seiner Umgebung mitzuwirken. Mit dem gemeinsamen Engagement vieler Akteure im Quartier – Kommune, Wohnwirtschaft, Versorger und privater Eigentümer – können so erhebliche Investitionen angestoßen werden. Stadtentwicklungsgesellschaften und Sanierungsträgern kommt dabei die wichtige Rolle zu, ihre Erfahrung im Management von Stadtentwicklungsprozessen einzubringen.

Baustein B das Sanierungsmanagement gefördert, das insbesondere die Aufgabe hat, die Akteure und Öffentlichkeit zu aktivieren und die Umsetzung der im Konzept empfohlenen Maßnahmen zu koordinieren.

ten. In immerhin 130 Quartieren wurde mit dem Sanierungsmanagement bereits die Phase der Umsetzung eingeleitet. Dies ist angesichts der Komplexität der Aufgabe ein beachtliches Ergebnis. Besonders erfreulich: Trotz anderweitiger drängender kommunaler Aufgaben, wie etwa aktuell der Integration von Flüchtlingen, ist die Nachfrage anhaltend hoch.

fen, die Förderung des Sanierungsmanagements bei Bedarf zu verlängern.

Im Rahmen des Zuschusses werden für beide Bausteine 65 Prozent der anfallenden Sach- und Personalkosten übernommen, wobei der maximale Zuschussbetrag für den Sanierungsmanager zunächst auf 150.000 Euro je Quartier und eine Förderlaufzeit von drei Jahren begrenzt ist. Seit Ende letzten Jahres gibt es die Möglichkeit, die Laufzeit auf fünf Jahre und den Zuschussbetrag auf 250.000 Euro aufzustocken. Über die Nutzung des Programms durch Kommunen oder kommunale Eigenbetriebe hinaus können die Zuschüsse auch an privatwirtschaftlich organisierte oder gemeinnützige Akteure weitergeleitet werden.

Programminhalte

Impulse für die Entwicklung von Quartieren

Das Programm selbst besteht aus zwei Bausteinen. Mit Baustein A wird die Erstellung integrierter Quartierskonzepte bezuschusst. Damit können Kommunen die strategische Grundlage für eine quartiersbezogene Investitionsplanung schaffen.

Für eine umfassende Bewertung der Fördereffekte ist es noch zu früh, da die energetische Stadtsanierung ein sich über viele Jahre erstreckender Prozess ist. Die Zahlen zeigen jedoch, dass das Programm auf gute Resonanz gestoßen ist. Seit Pro-

Das Programm wird flächendeckend in Anspruch genommen: von Flensburg bis München, von Bottrop bis Berlin. Kommunen in wachsenden, finanzstarken Regionen nutzen das Angebot genauso wie Kommunen in finanzschwachen Gegenden, große Städte genauso wie kleine Gemeinden im ländlichen Raum. Unter den Quartieren finden sich historische Stadtkerne ebenso wie Gründerzeitviertel, Einfamilienhaus- genauso wie Großwohnsiedlungen. Das Programm erreicht damit die ganze Vielfalt von Siedlungstypen mit ihren unterschiedlichen energetischen Anforderungen. Ganz bewusst wurde das Programm als „lernendes Programm“ konzipiert. Flexible, auf die komplexen Gegebenheiten eines Quartiers zugeschnittene Lösungen können nur gefunden werden, wenn auch die Förderbedingungen flexibel und offen für Anpassungen sind, die

Damit die identifizierten Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, bedarf es aber auch geeigneter Investitionsfinanzierungen. Die KfW bietet hier eine breite Palette an günstigen Produkten an, die sowohl von kommunalen Akteuren als auch von Privateigentümern, der Wohnwirtschaft oder von gewerblichen Unternehmen genutzt werden können. Mit Zuschüssen für die integrierte Planung und das Sanierungsmanagement einerseits und mit Investitionskrediten für die Umsetzung andererseits, können Bund und KfW die Akteure in der energetischen Stadtsanierung in jeder Phase unterstützen.

Weitere Informationen Dr. Kay Pöhler, David Michael Näher KfW Bankengruppe T 030 20264-5389/5454 [email protected] [email protected]

Dezember 2016 | Seite 6

Gut beraten zum KlimaQuartier Stadtentwickler steuern in vielen deutschen Städten Energetische Stadtsanierungen. Mit kostenlosen Energieberatungen für Wohnungen und Häuser fängt der Bewusstseinswandel bei Privatleuten und Wohnungsunternehmen an. Ein Projektausflug in die KlimaQuartiere in Osnabrück, Emden und Weilmünster.

Osnabrück goes green: Als eine von bundesweit 19 Masterplankommunen hat sich die 162.000-Einwohner-Stadt verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen massiv zu reduzieren. Der sogenannte ökologische Fußabdruck soll bis zum Jahr 2050 den Wert von 1990 um 95 Prozent unterschreiten, der Primärenergiebedarf im gleichen Zeitraum um die Hälfte sinken. Ein ganzes Maßnahmenbündel für Privat- und Industrieimmobilien soll helfen, die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen. Eines der größeren Osnabrücker Klimaprojekte ist die Ertüchtigung des Wohnquartiers Gartlage, die aus dem KfW-Programm 432 „Energetische Stadtsanierung“ gefördert wird. Die DSK-Tochter BauBeCon ist in dem für drei Jahre laufenden Projekt mit dem Sanierungsmanagement betraut und hat die Stadt Osnabrück gemeinsam mit dem lokalen Energiespezialisten Planungsbüro Graw bei der Umsetzung unterstützt. Bereits seit 2011 setzt die DSK dieses KfW-Förderprogramm unter dem geschützten Produktnamen „KlimaQuartier“ um. „Wir sind für die Prozessplanung und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und arbeiten eng mit der Stadt zusammen“, sagt BauBeCon-Projektleiter Ralf Manke. Strukturell verlangt das Projektgebiet den Sanierern Einiges ab. Es gibt kaum Leerstände in Osnabrück und kostengünstiger Wohnraum – wie hier in Gartlage-Süd – ist gefragt. Vermietungsprobleme schieden in dem engen Wohnungsmarkt als Sanierungsmotivation folglich aus. Auch die heterogene Eigentümerstruktur macht Gartlage zu einem anspruchsvollen Projekt. Lediglich 20 Prozent der Quartiersbewohner sind Eigennutzer, 80 Prozent wohnen zur Miete, die Mehrheit davon in Beständen der Wohnungsgesellschaft Vonovia (ehemals Gagfah). Die Bereitschaft, die Gebäude energetisch auf den

neuesten Stand zu bringen, fällt daher sehr unterschiedlich aus. „Man muss den richtigen Hebel mit den passenden Argumenten finden“, sagt Ute Fritsch-Riepe, die das KlimaQuartier von städtischer Seite aus betreut und sich auch personell einbringt. „Das paritätische Modell hat viele Vorteile. Wir sind nah an den Beteiligten dran und können inhaltlich stärker mitarbeiten“, sagt die Umweltplanerin der Stadt.

Kostenlose Energie-Checks als Einstieg Mit der Zusammenarbeit ist sie sehr zufrieden. Bei Privateigentümern sei gerade der erste Schritt – die persönliche Ansprache – besonders wichtig. Vermittelt werden müsse, dass energetische Sanierungen sinnvoll sind und einen wichtigen Beitrag zum Werterhalt der Immobilie leisten. Eine Argumentation, die Profi-Vermieter dagegen sehr gut kennen. Viele ziehen daraus trotzdem keine Konsequenzen – oder erst dann, wenn die Maßnahmen in die üblichen Instandhaltungspläne passen. Doch auch Großvermieter Vonovia zeigte sich gesprächsbereit. Die Vorgängergesellschaft Gagfah musste sich häufig mit Mieterbeschwerden auseinandersetzen und genoss auch in Gartlage keinen besonders guten Ruf. Das Image soll sich bessern – ein Sanierungsvorhaben mit Prima-Klima-Komponente kommt da gerade recht. Handlungsbedarf besteht aufgrund der veralteten Heizungsanlagen ohnehin, wie man seitens der Stadt wusste. Vonovia war gerne bereit, die Mieter über das Vorhaben in einem Brief zu informieren und zur Mitarbeit aufzurufen. Überprüft haben die Energiefachplaner des Sanierungsträgers BauBeCon etwa die technischen Voraussetzungen für eine Umstellung der älteren Heizungsanlagen auf eine energiesparende Brennwerttechnik. Im Rahmen eines Energie-Checks wurde zudem untersucht, ob eine Verbesserung der Dachdämmung oder

eine Fenstererneuerung zu empfehlen sind. Die gleichen Angebote richteten sich an die privaten Hauseigentümer und Mieter im Quartier. Auch sie wurden persönlich angeschrieben und zum Energie-Check eingeladen. „Zuerst müssen die Gebäudenutzer erfahren, dass es diese kostenlosen Energieberatungsangebote in ihrer Stadt gibt. Wir haben gut die Hälfte der beratungswilligen Mieter oder Eigentümer über Postwurfsendungen mobilisiert, die andere Hälfte über Presseberichte“, erzählt Manke. Mit dem Feedback von Bewohnerseite zeigt sich die städtische Projektleiterin Fritsch-Riepe mehr als zufrieden. „In den drei Jahren haben wir viel erreicht, das Projekt wird immer bekannter. Unter den Wohnungseigentümern spricht sich herum, dass die Energieberatung gut funktioniert und es für die verschiedenen Maßnahmen auch Zuschüsse gibt“, sagt sie. Diese kommen vor allem aus dem KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“. Zusätzlich hat die Stadt Osnabrück 150.000 Euro zur Unterstützung von entsprechenden Maßnahmen bereitgestellt. Gefördert wurden beispielsweise neue Hauseingangstüren, Heizungsanlagen und Fenster. Auch wurden zahlreiche Dächer und Fassaden in der Siedlung gedämmt. Für die Anschaffung neuer Waschmaschinen und Kühlgeräte standen Zuschüsse von jeweils 150 Euro bereit.

achten erstellt und die Ergebnisse in einer Präsentation aufbereitet. In einer moderierten „Zuschau-Beratung“ wurden diese dann zusammen mit Zuschauern öffentlich diskutiert. „Für uns war entscheidend, dass die Beratung neutral war und nicht von Interessen geleitet, wie dies bei Handwerkergutachten der Fall ist“, betont Mohsell. Als erste konkrete Maßnahme haben Mohsells den Hauseingang erneuert und dabei energetisch auf aktuellsten Stand gebracht. Die Erneuerung wurde deshalb aus dem städtischen Förderbudget „Energie Gartlage“ mit 20 Prozent der Investitionskosten bezuschusst. Als nächstes sind die Fenster an der Reihe. „Da holen wir gerade Angebote ein“ sagt Mohsell weiter. Inzwischen haben sich eine ganze Reihe von Gebäudeeigentümern für eine Sanierung entschieden und konnten von diesen Zuschüssen profitieren. Doch damit nicht genug. Stadt und BauBeCon planen schon den nächsten Coup: Osnabrück beabsichtigt, das KlimaQuartier Gartlage förmlich zum Sanierungsgebiet zu erklären. Die Immobilienbesitzer könnten Sanierungsmaßnahmen an ihren Gebäuden dann innerhalb von zwölf Jahren bis zu 100 Prozent über die Einkommensteuer absetzen. „Bei anderen Projekten haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Überschneidung von KlimaQuartier

Win-Win für Immobilienbesitzer und die Umwelt Nicht gezögert hat da Familie Mohsell, eine kleine Eigentümergemeinschaft, die in Gartlage ein Mehrfamilienhaus mit acht Wohnungen besitzt. „Wir haben die Immobilie aus dem Jahr 1954 zwar laufend modernisiert. Uns hat nun aber interessiert, wo wir energetisch stehen“, sagt Hausbesitzerin Irmela Mohsell. Sanierungsträger BauBeCon hat das Energiegut-

Foto: © Stadt Osnabrück, Dr. Sven Jürgensen

Von Miriam Beul-Ramacher

Als eine von bundesweit 19 Masterplankommunen hat sich Osnabrück verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen massiv zu reduzieren.

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Im Quartier „Port Arthur“ in Emden gibt es große CO 2-Einsparpotenziale.

Der Marktflecken Weilmünster hat für die Erstellung des Integrierten Energetischen Quartierskonzepts zwei Quartiere parallel ausgewählt.

und Sanierungsgebiet zu vielen Um-

Zwei Quartiere auf einen Schlag

setzungen geführt hat“, lobt Manke. So etwa im niedersächsischen Harsefeld. Durch die Kombination aus energetischem Sanierungsmanagement und steuerlicher Erleichterung konnte die Sanierungswilligkeit der Immobilienbesitzer merklich erhöht werden. „Nicht nur wegen der attraktiven Steuerersparnis, sondern auch durch die gezielte Beratung, welche Maßnahmen aus welchem Grund den meisten Sinn ergeben“, sagt Manke. Eine „Win-Win“-Situation für die Immobilienbesitzer und die Umwelt.

Positive Berichterstattung als Projektmotor Eine positive Zwischenbilanz zieht man inzwischen auch beim KlimaQuartier Port Arthur/Transvaal in Emden. Die 50.000 Einwohner-Stadt hat ihre CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2007 bereits um 13 Prozent verringert. Und möchte ihre Klimabilanz weiter verbessern. 2010 wurde die Erarbeitung eines kommunalen Klimaschutzkonzepts für die Gesamtstadt beschlossen. Als ein Teilgebiet wurde dafür das Quartier Port Arthur/ Transvaal/(PAT) Südliche Ringstraße ausgewählt. „Hier gibt es große CO2-Einsparpotenziale, zudem aber auch Handlungsbedarf aus städtebaulicher, sozialer und baukultureller Hinsicht“, sagt Ralf Manke, der auch dieses Projekt leitet. 2012 und 2013 wurde dann ein Integriertes Energetisches Quartierskonzept (IEQK) erarbeitet, das die energetische Bestandsanalyse mit dem Maßnah-

menkatalog zur Umsetzung der durch die Bundesregierung formulierten Klimaschutzziele verbindet. Auch hier unterstützt die Stadt die Bewohner beim sparsamen Umgang mit Strom und Heizenergie, stellt der kostenlose Energie-Check die erste Stufe für mehr Umweltbewusstsein bei den betroffenen Immobiliennutzern dar. „Was hier funktioniert hat, dient als Blaupause für die Gesamtstadt“, sagt Manke. Der Erfolg hatte in Emden freilich viele Väter. Dank einer Kooperation mit der Verbraucherzentrale Niedersachsen konnte schon mit einem relativ kleinen Budget eine in der Gesamtstadt kostenfreie Grundberatung angeboten werden. Außerdem machte die gute Zusammenarbeit mit der Pressestelle der Stadt und den überaus interessierten Lokalzeitungen das Projekt in der Bevölkerung rasch bekannt. Mit Schlagzeilen wie „Den Energiefressern auf der Spur“ oder „Stadt Emden ermöglicht kostenlose Energiechecks“ war ein Teil der Überzeugungsarbeit quasi schon geleistet. „Presse ist immer wichtig“, sagt BauBeCon-Mann Manke. So waren wie in Osnabrück auch die betroffenen Wohnungsunternehmen vergleichsweise leicht zu gewinnen. „Die Gewoba hat ihre Mieter persönlich eingeladen, beim sogenannten Basis-Check der Verbraucherzentrale kostenlos teilzunehmen“, berichtet er. Auf 300 Mieteranschreiben gab es 50 Anfragen für die Teilnahme am Energie-Check. „Das ist ein sehr gutes Ergebnis“.

Gespannt dürfen die DSK-Stadtentwickler jetzt auf eines ihrer neuen Projekte – im Landkreis Limburg-Weilburg – blicken. Die Gemeinde Weilmünster strebt ebenfalls eine nachhaltige und klimafreundliche Quartiersentwicklung an. Es handelt sich hierbei um ein Folgeprojekt des in der Vergangenheit bereits aufgestellten Integrierten Kommunalen Entwicklungskonzepts der Gemeinde Weilmünster mit ihren 13 Ortsteilen (IKEK). Für die Erstellung des Integrierten Energetischen Quartierskonzepts (IEQK) untersucht die DSK erstmalig zwei Quartiere im Marktflecken Weilmünster parallel, in diesem Fall Weilmünster-Ost und Weilmünster-Dorfkern. „Wir haben diese Gebiete gezielt aufgrund ihres unterschiedlichen Charakters ausgewählt“, sagt DSK-Projektleiterin Ines Mühlenhardt. Weilmünster-Dorfkern als vorwiegend Einzelhandelsstandort mit 679 Einwohnern weist einen vergleichsweise hohen Leerstand und eine repräsentative Mischnutzung auf und ist mit dieser besonderen, entwicklungstechnischen Herausforderung ebenfalls Bestandteil der Fördergebiete des IKEK Weilmünster. Das Gebiet Weilmünster-Ost mit 1.161 Bewohnern ist bewusst gewählt. Es weist mit privaten Gebäuden überwiegend aus den 1960er und 1970er Jahren eine recht homo-

gene Bebauung auf. In Kombination mit dem dort ansässigen Klinikum werden sehr hohe Synergieeffekte und Energieeinsparpotenziale erwartet. „Ein weiteres Kriterium zur Gebietswahl ist, dass es nicht als Fördergebiet des IKEKs ausgewiesen ist und die Gemeinde Weilmünster damit aufzeigt, dass auch die außerhalb der IKEK-Fördergebiete liegenden Gebiete berücksichtigt werden“, so Mühlenhardt. So soll unter anderem geprüft werden, ob neben der Umsetzung klassischer Energieeinsparmaßnahmen auch eine Energieversorgung des gesamten Ortsteils durch Nahwärmenetze möglich wäre. Natürlich sind die Initiatoren auch bei diesem Projekt auf eine rege Bürgerbeteiligung angewiesen. Die erste Informationsveranstaltung fand im Oktober statt. Eine ergänzende Bürgerbeteiligung wird unter anderem auf der Website www.weilmuenster-klimaquartier.de stetig bekannt gegeben.

Weitere Informationen Miriam Beul-Ramacher Journalistin [email protected], www.miriambeul.de

Dezember 2016 | Seite 8

Energetische Sanierung: Bürger erreichen und aktivieren Umweltschutz ist in aller Munde, Energiewende auch – nur der steigende Handlungsdruck zur energetischen Optimierung unseres Gebäudebestands zählt leider nicht dazu. Wie kann man Bewohner effektiv erreichen und aktivieren?

Das den wachsenden Bedarfen hinterher hinkende Interesse an der Energetischen Sanierung ist messbar, etwa an den Response-Quoten auf die vielfältigen Aktionen der Öffentlichkeitsarbeit, die besonders in den KfW-geförderten „KlimaQuartieren“ seit einigen Jahren unternommen werden. Es werden kostenlose Beratungen angeboten, Zuschussprogramme beworben, zu Energie-Events eingeladen – mit äußerst professionellen Strategien und attraktiven Kampagnen. Doch mit zufriedenstellender Resonanz kann oft nur rechnen, wer die Bewohnerschaft eines Quartiers direkt und persönlich anspricht. So konnten mit Einladungen zu Beratungsangeboten per

Stromsparlampe bis KfW-Kredit endlich attraktiv zu transportieren? Leider nein: In Sanierungs- und städtebaulichen Fördergebieten sowie in KlimaQuartieren soll primär eine klar definierte und relativ kleine Zielgruppe erreicht und zu konkretem Handeln aktiviert werden; meist einige hundert bis wenige tausend Haushalte. Das web dagegen sendet jede Botschaft world wide. Diese breite Streuung schließt aus, eine Quartiersbewohnerin persönlich auf die Dämmqualität ihrer Fenster anzusprechen. Das Sender-Empfänger-Modell macht diese Diskrepanz deutlich.

Mieterbrief schon Annahme-Quoten von zehn Prozent und mehr erreicht werden, mit thematisch ähnlichen Einladungen per Postwurf nicht einmal die Hälfte. In Zahlen: Mit 1.000 ausgetragenen Postwurf-Einladungen sind mancherorts nur zehn bis 20 Adressaten aktiviert. Und diese Wege der Ansprache sind mit Kosten verbunden, die mit der Ausweitung der Zielgruppe steigen.

Also macht der Einsatz neuer Medien in der – normalerweise auf das einzelne Quartier bezogenen – energetischen Stadterneuerung doch keinen Sinn? Auch hier lautet die Antwort nein. Allerdings muss klar sein, wer und was erreicht werden soll. Welche Ziele verfolgt eine Kommune mit der Ausweisung eines (energetischen) Fördergebiets? Wie sehen die Zielgruppen aus?

Da freut es zu hören, dass die energetische Sanierung eines Reihenmittelhauses im niedersächsischen Stade bisher schon mehr als 1.800 Mal mitverfolgt wurde – auf YouTube. In Form von vier Kurzfilmen, die die vier Bauphasen der energetischen Sanierung dokumentieren. Es scheint, dass die „Neuen Medien“ und das Internet, gar das interaktive Web 2.0, alles möglich machen. 1.000 Klicks sind im world wide web wenig – aber für das Interesse an einer Information über die klimaschonende Dämmung, Fenstererneuerung und die Installation einer Holzpelletheizung in einem 80-Quadratmeter-Haus sind 1.800 eine geradezu gigantische Zahl. Und 88 Prozent aller deutschen Haushalte verfügen über einen Internetanschluss, Tendenz weiter steigend.

Das Quartier soll aufgewertet werden. Dazu ist man auf die Bewohner und das lokale Gewerbe als Akteure der Sanierungsmaßnahmen angewiesen – Zielgruppe 1 „Quartiersbewohner“. Aber nicht jeder Stadtteil kann eigens gefördert werden, deshalb ist eine Abstrahlwirkung gewünscht und Sanierungs-Nachahmer sind gesucht – Zielgruppe 2 „Gesamtstadt“. Und schließlich will die Kommune sich zeigen, der Imagewettbewerb um Neubürger, Gewerbeansiedlung und auch Fördermittel will bestritten werden – Zielgruppe 3, zumindest die „Region“, wenn nicht das ganze Land.

Ist damit der Königsweg gefunden, das spröde Themenspektrum von

Das genügt als Einzugsbereich für eine Botschaft über das ‚weltweite‘ Netz. Zum Beispiel die vier professionellen Sanierungs-Videoclips, die das Sanierungsmanagement Stade Hahle beauftragt und via YouTube ins Netz

gestellt hat. Damit sind Zielgruppe 2 und 3 zufriedenstellend erreicht. Aber Gruppe 1 soll ja nicht nur aus der Vogelperspektive das eigene Quartier bewundern, sie muss eingeladen, „abgeholt“, motiviert und regelrecht bei der Hand genommen werden bei ihren schwierigen Entscheidungen über Sanierungsmaßnahmen, Termine, Darlehen und steuerliche Fragen. Das geht nicht per Klick, sondern nur in der direkten Ansprache: per Brief, Telefon oder im Gespräch. Und wenn die Akteure im Quartier, die den schnellen Informationsaustausch und die weiterführende Verlinkung schätzen, auf die – unbedingt professionell gestaltete und aktualisierte – Projektwebsite hingewiesen werden können, umso besser. Lohnt sich also der Aufwand, für ein einzelnes Stadtquartier, für ein vorübergehendes Entwicklungsprojekt, Clips zu produzieren, Domains zu reservieren, Websites zu entwerfen und die Inhalte ständig aktuell zu halten? Diese Frage stellt sich nicht: Die viel zitierten Neuen Medien, die Präsenz im Internet, zunehmend im web 2.0, sind unumgänglicher Bestandteil jeder Kommunikationsstrategie geworden. Praktisch jede deutsche Kommune hat eine Website, etwa die Hälfte eine Facebook-Seite, immer mehr Einzelprojekte und Quartiere stellen sich auch im Netz dar. Wer dieses Schaufenster gar nicht nutzt, sollte dies sehr bewusst, begründet und gestützt auf andere Kommunikationskanäle tun. Wer „mitmacht“, ist gut beraten, vor

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jeder Überlegung zu Webdesign, Domain und Backlinks zunächst die Zielgruppe(n) zu prüfen. Wer soll erreicht werden, welche Botschaften kann man den Adressaten über das Internet überhaupt vermitteln, welche flankierende Kommunikation ist notwendig? Oft ist weniger mehr: Eine kleine, aber feine Kontaktseite veranlasst möglicherweise mehr Quartiersbewohner zu einer Kontaktaufnahme, als eine üppige Präsenz mit viel Information und entsprechend komplexer Navigation. Einige web-veröffentlichte Videoclips, wie in Stade, bewerben Stadt und Projekt im Land sicher weit effektiver, als das aufwendigste Grafikdesign der Spartenwebsite. Und schließlich gilt auch in Zeiten von Internet und web 2.0: Wer seine Bürger und Bürgerinnen persönlich erreichen will, der muss sie persönlich ansprechen. Jede(r) bekommt gerne mal richtige Post. Aus Papier.

Weitere Informationen Ralf Manke BauBeCon Sanierungsträger GmbH T 0421 32901-53 [email protected]

Dezember 2016 | Seite 9

Dezentrales Energiemanagement in nachhaltigen Stadtquartieren Die Energiewirtschaft steht vor großen Veränderungen: Stromerzeugung, -speicherung und -versorgung wird unabhängiger, selbstständiger und regionaler. Konsumenten werden zu ‚Prosumenten‘ und produzieren teilweise selbst, was sie verbrauchen. Von Dr. Torsten Amelung Die Energiewirtschaft befindet sich in einem disruptiven Wandel, der vergleichbar ist mit den Veränderungen in der Musikindustrie, im Einzelhandel und im Telekomsektor. Drei Faktoren sind für diesen Wandel ausschlaggeben. Erstens sind die Preise für Solarmodule in den letzten sieben Jahren um mehr als 70 Prozent gesunken. Die Folge ist, dass Stromerzeugung nicht mehr nur in Großkraftwerken erfolgt, sondern zunehmend dezentral in unmittelbarer Nähe zu den Stromverbrauchern. Zweitens sind die Batteriepreise in den vergangenen Jahren in ähnlichem Umfang zurückgegangen. Daher wird es zunehmend möglich, dass sich einzelne Gebäude, Stadtteile oder sogar Gemeinden weitgehend in ihrer Stromversorgung unabhängig machen können. Und drittens erlebt auch die Energiewirtschaft einen zunehmenden Wandel durch die Digitalisierung: Die komplexe Steuerung von Millionen Erzeugungsanlagen und deren Zusammenspiel mit einer noch größeren Zahl von Verbrauchern ist ein Prozess, der durch sogenannte virtuelle Kraftwerke effizient und zunehmend vollautomatisch bewältigt werden kann. Die Energiewirtschaft wird sich dadurch maßgeblich ändern. Während heute ein großer Teil der Stroms in Großkraftwerken erzeugt und über Höchstspannungsnetze bis zu hunderte von Kilometern weit verteilt

wird, kann man in Zukunft davon ausgehen, dass ein großer Teil des Stroms in Anlagen in der näheren Umgebung produziert wird (vgl. Schaubild). Zwar werden weiterhin stromintensive Betriebe zumeist aus Großkraftwerken versorgt, doch in einigen Konzernen gibt es bereits ein Umdenken. So haben sich eine Reihe von Tech-Unternehmen und Konsumgüterhersteller im Rahmen einer Nachhaltigkeitsstrategie selbst verpflichtet, ihren Stromverbrauch aus regionalen Wind- und Solaranla-

meisten Verbraucher in Deutschland ist der Strombezug aus der eigenen Solaranlage heute schon günstiger als der Strombezug aus dem Netz. Man spricht in diesem Zusammenhang von Netzparität, wenn der vom Konsumenten selbst erzeugte Strom kostengünstiger ist als der Strom, der über die Netze geliefert wird. Konsumenten werden somit zu Produzenten bzw. zu „Prosumenten“, also Kunden, die zeitweise aus dem Netz beziehen, zeitweise aber auch einspeisen. Dies gilt nicht nur für Haushalte, sondern

Veränderungen in der Stromversorgung

In Zukunft kann man davon ausgehen, dass ein großer Teil des Stroms anstatt in Großkraftwerken in Anlagen in der näheren Umgebung produziert werden wird.

gen zu decken. Dadurch entsteht ein Trend zu Regionalisierung der Stromversorgung, die auch wirtschaftliche Vorteile hat. Denn die regionale Ausrichtung der Infrastruktur spart Investitionen in Netze, die mittlerweile einen größeren Teil der Stromrechnung ausmachen als die eigentlichen Stromerzeugungskosten. Für die

auch für mittelständische Betriebe. Nicht selten können mittelständische Betriebe durch eine Solaranlage auf dem Dach oder dem Betriebsgelände einen hohen sechsstelligen Euro-Betrag an Stromkosten einsparen. Dabei müssen die Investitionsmittel nicht einmal von den Unternehmen selbst aufgebracht werden. Über ein Solarpacht-Modell, beispielsweise den Statkraft SonnenPakt, können Betriebe ohne Eigeninvestition Betreiber einer Solaranlage werden und sofort Stromkosten sparen.

Foto: Statkraft

Statkraft hat frühzeitig begonnen, das Zusammenspiel von Photovoltaik, Batterien, lokaler Wasserkraft und Verbrauch in Wohngebäuden auf seinem historischen Betriebsgelände in Dörverden/Niedersachen zu testen und die entsprechenden Konzepte Bereits 1.000 qm Dachfläche können genug Energie für die Kühltechnik eines Supermarktes liefern.

weiterzuentwickeln. Entsprechende Lösungen gibt es auch für Immobilienunternehmen und Liegenschaften der öffentlichen Hand. Insbesondere Solaranlagen bieten Möglichkeiten, die heute bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Bei modernen Wohn- und Bürogebäuden wird inzwischen bereits bei der Planung die mögliche Nutzung von Solar und Batterien einbezogen und die Gebäude entsprechend konzipiert. Die Solarzellen werden dabei nicht nur auf dem Dach aufgestellt, sondern zunehmend in die Glasfassade integriert. So kann in absehbarer Zukunft davon ausgegangen werden, dass Städte zu Nettoproduzenten von elektrischem Strom werden. Die Steuerung dieser dezentralen Produktionsanlagen wird schon heute gebündelt und zum Teil automatisiert über Dienstleister dargestellt. Statkraft ist führend in diesem Bereich und vermarktet als größter „Direktvermarkter“ über 9.000 MW dezentrale Erzeugung in Deutschland und rund 2.000 MW in anderen Ländern Europas. Dies entspricht der Kapazität von etwa zwölf Kernkraftwerken, die sich nicht mehr im Besitz der klassischen Energieunternehmen befinden, sondern oft von reinen Finanzinvestoren oder sogar Privatpersonen gehalten werden. Diese Energiewende ist nicht mehr nur ein deutsches Phänomen – sie findet mittlerweile weltweit statt, insbesondere in China, den USA, Indien, und anderen Ländern.

Weitere Informationen Dr. Torsten Amelung Geschäftsführer, Statkraft Markets GmbH [email protected]

Dezember 2016 | Seite 10

Im Zeichen von Marrakesch – der Klimaschutzplan 2050 Der BDI sprach von einem „Horrorkatalog“ und einem „dirigistischen, nationalen Alleingang“, die Familienunternehmer geißelten ihn für die „wirtschaftsfeindliche Überregulierung“. Mit dem Klimaschutzplan 2050 wollte Deutschland gerüstet sein für die internationale Klimarahmenkonferenz in Marrakesch. Erst in letzter Sekunde konnte sich die Bundesregierung im wochenlangen Ressortstreit einigen. Doch worum geht es eigentlich? Bis März 2016 hatten die Nationalstaaten Zeit, ihre Maßnahmen an das Sekretariat der UN-Klimarahmenkonvention (COP) zu melden, mit denen sie bis 2020 und 2030 ihre jeweiligen Klimaschutzziele zu erreichen gedenken. So war es in Paris vor einem Jahr verabredet worden. Die Bundesregierung brachte daraufhin das „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ auf den Weg und hatte damit den formalen Kriterien an das Pariser Abkommen genüge getan. Doch der Anspruch, als erstes Land der Welt einen langfristigen Umsetzungsplan auf der jetzt stattfindenden Marrakesch-Konferenz zu präsentieren, geht weit darüber hinaus. Der Klimaschutzplan 2050 ist kein Gesetz, sondern ein Leitbild. Er setzt deshalb auch kein förmliches Verbände- oder Beteiligungsverfahren voraus, sondern wird schlicht im Bundeskabinett verabschiedet. Wie bereits im Vorwort festgehalten, sind alle ableitenden Maßnahmen in Gesetze zu fassen, die wiederum vom Deutschen Bundestag zu verabschieden sind. Man könnte also meinen, es werde heißer gekocht als gegessen. Doch in der Sache geht es um strategische Weichenstellungen: Das federführende Bundesumweltministerium skizziert immerhin, wie die Bundesrepublik zwischen 80 und 95 Prozent ihrer klimaschädlichen Emissionen bis 2050 zum Referenzjahr 1990 reduzieren will. Schon der formale Beschluss des Bundeskabinetts wird

demzufolge die politische Diskussion künftiger Legislaturperioden prägen. Die CDU-Fraktion im Parlament protestierte mit einer 57seitigen Tabelle mit Änderungswünschen beim Bundeskanzleramt, Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium legten formalen Protest ein und die Verbände liefen Sturm.

Erstmals Klimaziele für einzelne Sektoren Einer der Hauptstreitpunkte waren die sogenannten Sektorziele (siehe Tabelle). Sie legen fest, welchen Beitrag jede einzelne Branche in nackten Zahlen zu erreichen hat. Trotz wochenlangen Streits bleiben die Änderungen zur Ursprungsfassung minimal: Erstens hat man sich darauf verständigt, ein derart konkretes Zahlenwerk nur bis 2030 festzuhalten, statt die noch ungewissere Prognose bis 2050 zu wagen. Zweitens sind die industrieanteiligen Ziele noch einmal leicht nach unten angepasst worden.

Klimaschutz im Gebäudebestand Prozentual ist jene Branche am stärksten von Einsparungen betroffen, die am immobilsten ist und sich selbst nicht ins Ausland verlagern kann: Der Gebäudebestand muss 2030 zwei Drittel weniger CO2 emittieren als vier Dekaden zuvor – und das, obwohl zwischen 1990 und 2014 bereits 43 Prozent eingespart worden sind. Die Festlegung wirkt auf das politi-

Die Sektorziele des Klimaschutzplans 2050

Handlungsfeld

1990

2014

2030

2030

(in Mio. t CO 2Äq.)

(in Mio. t CO 2Äq.)

(in Mio. t CO 2Äq.)

(Minderung in % ggü. 1990)

Energiewirtschaft

466

358

175-183

62-61

Gebäude

209

119

70-72

67-66

Verkehr

163

160

95-98

42-40

Industrie

283

181

140-143

51-49

Landwirtschaft

88

72

58-61

34-31

sche Ziel eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestands im Jahr 2050 hin. Wichtige Bausteine seien dem Bundesumweltministerium zufolge „moderne Technologien, die Nutzung nachhaltiger Baustoffe und eine intelligente Raum- und Stadtplanung“. Um zum Beispiel Rebound-Effekte durch lange Anfahrtswege zwischen Wohn- und Arbeitsstätte zu vermeiden, soll sich Planung stärker auf die „Stadt der kurzen Wege“ durch kompakte Siedlungsstrukturen und smarte Technologien konzentrieren. Dies ist aber auch schon die einzige Bezugnahme auf räumliche Aspekte. Darüber hinaus fehlt es im Klimaschutzplan vollständig an einer energetischen Betrachtung der Quartiersebene, obwohl doch einerseits klar ist, dass die Gebäudeebene schon jetzt durch überzeugende Baustandards ausgereizt ist, und andererseits das KlimaQuartier in der Langfristprojektion die größten Einsparungen verspricht. Stattdessen wollte das Umweltministerium in der Ressortabstimmung ermitteln, welche konkrete Obergrenze (in Kilowattstunde je Quadratmeter und Jahr) bezogen auf den Endenergieverbrauch für Wohngebäude künftig gelten solle. Diese Obergrenze ist vom Tisch. Das energetische Niveau soll wörtlich „nochmals deutlich weiterentwickelt“ werden. Gleiches gilt im Übrigen auch für Nichtwohngebäude, wo jedoch viel eher der Aspekt der Gebäudeklimatisierung im Vordergrund steht. Des Weiteren sieht der Plan eine schrittweise Abkehr von fossilen Heizungssystemen vor. Ursprünglich sollte eine verpflichtende Wärmebereitstellung über erneuerbare Energiequellen eingeführt werden, sobald ein Heizkessel ausgetauscht wird. Die anteilige Nutzungspflicht ist jetzt abschwächend als Prüfauftrag im Maßnahmenkatalog enthalten, wird aber dennoch als politischer Erfolg der Umweltministerin verkauft.

Depescheaktuell – Fachzeitung der führenden deutschen Stadtentwicklungsunternehmen

Kaum abgeschwächt worden ist die frühere Idee nach der Einführung von Gebäudeklassen als neue Energieeffizienzsystematik. Die Bundesregierung will vor dem Hintergrund komplexer rechtlicher und fachlicher Fragen einen Methodenkatalog entwickeln, wonach die Klassen einzelnen Mindesteffizienzstandards zugeordnet werden können. Dies dürfte weitere Verschärfungen durch die Hintertür zur Folge haben, mittelfristig vielleicht aber den Gebäudeenergieausweis ersetzen. Breite Unterstützung dürften hingegen die individuellen, freiwilligen und langfristigen Sanierungsfahrpläne bekommen. Das Programm Energetische Stadtsanierung soll verstetigt werden. Vorgezogene Sanierungen könnten mit einem Anreiz unterlegt werden, finanziert aus dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Noch immer liefert der Klimaschutzkatalog reichlich Sprengstoff. Darüber darf auch nicht der Auftritt der Bundesumweltministerin in Marrakesch hinwegtäuschen. Steigende Vorgaben beim Neubau, die Missachtung der Quartiersebene und dirigistische Eingriffe in die Haustechnik waren nicht hilfreich. Auf der anderen Seite dürfte die Bedeutung der Stadtentwicklung zur Steigerung der Energieeffizienz in ganzen Quartieren durch den Klimaschutzplan 2050 nur noch zugenommen haben.

Weitere Informationen Dr. Paul Kowitz Büro Berlin T 030 3116974-55 [email protected]

Dezember 2016 | Seite 11

Klimaschutz und energetische Stadtsanierung in Nordrhein-Westfalen – ein Überblick Mit rund 17,7 Millionen Einwohnern ist Nordrhein-Westfalen das bevölkerungsreichste Bundesland. In den Ballungszentren von Rhein und Ruhr sind die Bevölkerungsdichte sowie die Anzahl der Industrie- und Gewerbebetriebe besonders hoch. Da verwundert es nicht, dass es auch das Bundesland mit den höchsten Treibhausgasemissionen in Deutschland ist.

 Klimaschutz bzw. Klimafolgemaßnahmen, die sich auf die landes- und regionale Ebene beziehen und  die energetische Stadtsanierung und Quartiersentwicklung, die auf kommunaler und teilräumlicher Ebene umgesetzt werden.

Klimaschutz und Klimafolgeanpassung Dem bundesweit ersten Klimaschutzgesetz, das der Landtag im Januar 2013 verabschiedete, ging bereits 2011 das „KlimaschutzStartProgramm“ voraus. Zu den durchaus ambitionierten Zielen des Gesetzes gehört, die Gesamtsumme der Treibhausgasemissionen in NRW bis zum Jahr 2020 um mindestens 25 und bis zum Jahr 2050 um mindestens 80 Prozent im Vergleich zu den Gesamtemissionen des Jahres 1990 zu verringern (vgl. §3) und bis 2030 eine klimaneutrale Landesverwaltung zu erreichen (vgl. § 7). Zur Konkretisierung der Ziele ist im Klimaschutzgesetz die Erarbeitung eines landesweiten Klimaschutzplans verankert (§ 6). Was der Plan enthalten muss, gibt das Klimaschutzgesetz bereits

DIFFERENZIERUNGS- UND VERNETZUNGSPHASE

KONZEPTIONSPHASE

Klimaschutz AG 1 AG 2 AG 3 AG 4 AG 5 AG 6

Breite Öffentlichkeit



Energieumwandlung Produzierendes Gewerbe und Industrie Gebäude/Gewerbe, Handel, Dienstleistungen Verkehr Landwirtschaft, Forst, Boden Private Haushalte

Klimafolgenanpassung WS 1 Information, Bildung & Netzwerke WS 2 Ländliche Räume WS 3 Industrie & Gewerbe WS 4 Siedlungsräume Wissenschaftliche Begleitung Koordinierungskreis





Online-Beteiligung



Kommunalkongress Unternehmenskongress Bürgerschaftstische



Regionalworkshops



Empfehlungen

Experten-AGs und -Workshops

Landtagsbeschluss

kleinräumiger und quartiersbezogener Bedeutung sind:

Der Klimaschutzplan wurde in einem zweiphasigen Beteiligungsverfahren entwickelt: In der Konzeptionsphase wurden Maßnahmen und Strategien zur Erreichung der Klimaschutzziele erarbeitet und diskutiert, in der anschließenden Differenzierungs- und Vernetzungsphase gab es über

KOMPLEXER PROZESS: DIE ENTSTEHUNG DES KLIMASCHUTZPLANS NRW IM ÜBERBLICK

Komplexer Prozess: Die Entstehung des Klimaschutzplans NRW im Überblick

Landesregierung erstellt Klimaschutzplan

Zur Bewältigung der Herausforderungen im Klimaschutz und bei der Klimafolgeanpassung hat das Land Nordrhein-Westfalen eine Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten entwickelt, die teils von landesweiter, teils von

vor. Hierzu gehört u. a., dass die inhaltliche Ausgestaltung des Plans „unter umfassender Beteiligung von gesellschaftlichen Gruppen sowie der kommunalen Spitzenverbände“ erfolgen soll (§ 6 Abs.4).

Vorschläge zu Handlungsfeldern, Strategien & Maßnahmen

Um die Ziele der Bundesregierung zur Senkung des CO2-Ausstoßes erreichen zu können, sind die Herausforderungen in NRW besonders hoch. Gleichzeitig bieten sich auch Chancen, etwa bei der energetischen Stadt- bzw. Gebäudesanierung, da bei hoher Siedlungsdichte und kompakter Bebauungsstruktur erhebliche Energieeinsparpotenziale entstehen können.

Online-Tools und sogenannte Parlamentarische Begleitung durch den Unterausschuss des Landtags Vernetzungsveranstaltungen Quelle: Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft,Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit für die Bürger des Landes, Kommunen und Unternehmen, ihre Meinunauförderung im Rahmen einer integ- Quartiersentwicklung letztlich in gen zu den Maßnahmenvorschlägen rativen Gesamtentwicklung konkrete der „Innovation City Ruhr | Modellaus der ersten Runde einzubringen. Förderzugänge bei energetischen Er- stadt Bottrop“. Hierbei handelt es neuerungsmaßnahmen für die Kom- sich um ein PPP-Projekt, dessen Energetische Stadtsanierung munen und Privateigentümer, etwa Ziel es ist, einen „klimagerechten und Quartiersentwicklung über die energetische Ertüchtigung Stadtumbau bei gleichzeitiger Sivon Gemeinbedarfseinrichtungen im cherung des Industriestandorts in Eine Vielzahl von Maßnahmen und kommunalen Kernhaushalt. Bottrop voranzutreiben“. Grundlage Projekten aus dem Klimaschutzplan ist der „Masterplan Stadtumbau“, beziehen sich auf die kommunale Eine systematische Einordnung der in dem rund 350 Projekte für das bzw. auf die Quartiersebene. Dies energetischen Quartierserneuerung innerstädtische Modellgebiet enthalbetrifft z. B. den Ausbau von Nah- in den Kontext der klima- und ener- ten sind. Die Erkenntnisse aus dem und Fernwärmekonzepten, klimaf- giepolitischen Handlungs- und Förder- Modellprojekt werden sukzessive reundliche Mobilitätskonzepte und programme des Landes erfolgte im ausgerollt, so dass alle NRW-Komdie energetische Gebäudesanierung. Rahmen des Forschungsgutachtens munen hiervon profitieren und so Hier gibt es eine Reihe von Schnitt- „Energetische Quartierserneuerung die bundes- und landespolitischen stellen und Synergien zur Städte- als Motor zur Verbesserung der sozia- Klimaziele erreicht werden können. bau- und Wohnraumförderung des len, ökonomischen, ökologischen und Landes NRW. So enthalten die Stadt- verkehrlichen Verhältnisse im Quarerneuerungsrichtlinien des Landes tier“, das die DSK 2014 im Auftrag einerseits Zuwendungsvorausset- des MBWSV erstellt hat. Dabei ging zungen für den Einsatz von För- es insbesondere um Schnittstellen dermitteln: Zum Beispiel sind bei und Synergien mit den Quartierskonder Konzeption für die umfassende zepten im Rahmen des KfW-ProAufwertung von Quartieren u. a. die gramms 432, von denen mittlerwei„Ergebnisse einer stadtklimatischen le rund 40 in NRW vorliegen (Quelle: Betrachtung/ Verbesserung zu be- KfW, Stand Sept. 2016). rücksichtigen sowie Vorschläge zur Weitere Informationen Einsparung von Energie und zur Re- Modellhaft erprobt und umgesetzt Rainer Kalscheuer duzierung von Treibhausgasen vorzu- werden die Aktivitäten des Landes Büro Bonn legen“ (vgl. Ziff. 4.2 FRL NRW 2008). in den Bereichen Klimaschutz/Kli- T 0228 55523-710 Andererseits ermöglicht die Städteb- mafolgeanpassung und integrative [email protected]

Dezember 2016 | Seite 12

Neues zum Thema Stadtentwicklung: Ein Blick in die Kommunen Allianz Thüringer Becken (Thüringen)

Foto: allianz-thueringer-becken.de

Heidelberg (Baden-Württemberg)

Interkommunale Kooperation auf dem Vormarsch

Seit 2008 entsteht auf einer Fläche von rd. 108 Hektar stillgelegter Bahn-, frei gewordener Militärfläche und kleinteiliger Privatgrundstücke ein neuer gemischt genutzter

sen werden. Mit der neugeplanten Trasse wird die Straßenbahn mitten durch den zentralen Bereich des neuen Viertels geführt. Der Bau der 2,2 Kilometer langen

Für ein in Thüringen bisher einmaliges Projekt wurden im September 2016 Zuschüsse aus Mitteln der Regionalentwicklung durch das Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft bewilligt. Die vier Mitgliedskommunen des interkommunalen Zweckverbands „Allianz Thüringer Becken“ – Buttstädt, Kindelbrück,

Stadtteil südlich des Hauptbahnhofs. In der Bahnstadt sollen künftig über 5.000 Bewohner leben und 7.000 Menschen arbeiten. Zur Umsetzung der städtebaulichen Ziele bedient sich die Stadt des Instrumentariums der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme. Der neue Stadtteil soll künftig über Schienenverkehr erschlos-

Straßenbahntrasse umfasst neben der Gleisanlage auch drei neue, barrierefreie Haltestellen sowie Gehwege und Parkstreifen. Ab Sommer 2018 können die Bewohner und Besucher der Bahnstadt die direkte Straßenbahnanbindung an das Heidelberger Zentrum, den Hauptbahnhof und das Netz der rnv (Rhein-Neckar-Verkehr GmbH) nutzen.

Sömmerda und Straussfurt – können mit Hilfe der Förderung das begleitende Projektmanagement finanzieren und erste investive Vorhaben umsetzen. So werden vier Elektroladestationen für Fahrräder errichtet. Fortfolgend ist auch der weitere Ausbau des Radwegenetzes im Gebiet der Allianz geplant, um durch Lückenschlüsse die Region für den

Neubau einer Straßenbahnlinie in der Heidelberger Bahnstadt

Fahrradtouristen noch attraktiver zu machen. Diverse Projekte sind in Vorbereitung, die angesichts der spürbaren Auswirkungen des demografischen Wandels die Daseinsvorsorge im ländlichen Raum sichern sollen. Konkret geht es um eine interkommunale Leerstandsbörse, die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements durch einen „Bund der Vereine“ und innovative Mobilitätslösungen. Technisch sollen diese Vorhaben über eine Allianz-InfoApp – gefördert als „Modellvorhaben der Regionalentwicklung“ – vernetzt werden. In den kommenden zwei Jahren will man so beweisen, wie interkommunale Kooperation erfolgreich praktiziert werden kann.

Wismar (Mecklenburg-Vorpommern)

Foto: Falcon Crest

Stadtsanierung Wismar: Das „St. Marien-Forum“ Innerhalb des Sanierungsgebiets „Altstadt“ in der Hansestadt Wismar liegt der städtebauliche Raum um die ehemalige St. Marienkirche. Dieser Bereich wurde während der letzten Tage des zweiten Weltkriegs durch Zerstörungen und daraus resultierende Abbrüche stark in Mitleidenschaft gezogen. Das Projekt „St. Marien-Forum“ in Wismar soll dazu dienen, diesen städtebaulichen Missstand zu beheben und die Lebens- und Aufenthaltsqualität in der historischen Altstadt der Hansestadt Wismar weiter zu verbessern. Hierbei gilt es, das Umfeld um die St. Marien-Kirche als einen integrierten Stadtraum für die Bewohner und Besucher der Hansestadt Wismar und für das UNESCO-Welterbe unter Umsetzung des beschlossenen Leitbilds im Betei-

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ligungs- und Mitwirkungsverfahren weiter zu entwickeln. Das erstellte Konzept bietet die Möglichkeit, diesen Bereich wieder besser in die Stadt zu integrieren, ihn städtebaulich aufzuwerten und ihm eine Nutzung zuzuweisen, von der die gesamte Altstadt profitieren wird. Nach der Umsetzung des Konzepts sollen Lebensqualität, Kultur und Geschichte gleichberechtigt nebeneinander stehen. Damit erfolgt eine Weiterentwicklung als touristischer Anziehungspunkt und eine verstärkte Außenwirkung des stadtbildprägenden Ortes. Mit der Aufnahme des Projekts in das Bundesprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ 2016 bietet sich für die Hansestadt Wismar die Chance, eine zügige Umsetzung der Konzeption voranzutreiben.

Dezember 2016 | Seite 13

Berlin

Nahwärmenetz in Berlin Charlottenburg Seit 2012 verfolgen die Siedlervereine Eichkamp e.V. und Heerstraße e.V. in Berlin Charlottenburg die Vision, in ihren Quartieren den Energiebedarf zu senken und eine vollständige Eigenversorgung in den Bereichen Strom und Wärme auf Basis regenerativer Energiequellen zu erreichen. Hierzu wurde eine Machbarkeitsstudie zum Vorhaben erstellt. Für die Senkung des Energiebedarfs wurden zunächst gemeinsam mit der Bewohnerschaft Möglich-

keiten der energetischen Sanierung abgestimmt. In einem Maßnahmenkatalog konnten diese dann als gebäudetypbezogene Empfehlungen zusammengestellt werden. Für die Konzeptionierung eines Nahwärmenetzes wurden Varianten auf Quartiers-, Insel- und Nachbarschaftsebene betrachtet, die sich abschließend alle als technisch und wirtschaftlich machbar darstellten. In allen Varianten ist die Wärmeversorgung aus Blockheizkraftwer-

Bad Oldesloe (Schleswig-Holstein)

ken (BHKW) und Geothermieanlagen geplant. Der in den BHKWs erzeugte Strom wird für den Betrieb von Netzpumpen, Geothermieanlagen und Wärmepumpen genutzt. Besonders innovativ ist die untersuchte Versorgung mit Wärme aus Geothermieanlagen über Kaltnetze. Nun gilt es, möglichst viele Haushalte zum Anschluss zu motivieren bzw. auch angrenzende (öffentliche) Akteure zur Beteiligung zu bringen. Die Realisierung eines Pilotvorha-

bens auf Nachbarschafts- oder Inselebene scheint derzeit realistisch und hätte sowohl für die bestehenden Quartiere als auch bundesweit für ähnliche Bestandsquartiere deutliche Signalwirkung.

Schleswig (Schleswig-Holstein)

Das Kultur- und Bildungszentrum (KuB) in Bad Oldesloe

Beteiligungsprozess zur Rahmenplanung in Schleswig erfolgreich abgeschlossen

Im Rahmen des Städtebauförderprogramms „Stadtumbau West“ wurde zwischen 2008 und 2016 das Kultur- und Bildungszentrum (KuB) realisiert. Das innerstädtische Gebäudeensemble aus ehemaligem Amtsgericht, historischem Rathaus, Multifunktionssaal, Probebühne sowie Eingangshalle soll zur kulturellen Belebung, Bildung und Aufwertung des Zentrums beitragen und wurde Anfang September 2016 bei der Einweihung von den Bürgern der Stadt begeistert angenommen. Der Planungsprozess des 10,4-Millionen-Euro-Projekts begann 2008 nach dem Kauf des ehemaligen Amtsgerichts durch die Stadt mit zwei Beteiligungsveranstaltungen. Hier wurde die ursprüngliche Idee für das spätere

Die Stadt Schleswig hat in den vergangenen zwölf Monaten mit großem Engagement der lokalen Akteure die städtebauliche Rahmenplanung für ihre Innenstadt erarbeitet. Ziele der Innenstadtsanierung, einer Gesamtmaßnahme im Städtebauförderungsprogramm „Stadtumbau West“, sind die Stärkung des Einzelhandels und des Tourismus sowie die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit der Stadt. Wie dies genau aussehen kann, wurde im Planungsprozess gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern entwickelt: In Bürgerwerkstätten und Experten-Workshops wurden von Einwohnerinnen und Einwohnern, Vertretern der lokalen Wirtschaft und Interessensvertretern z.B.der Kinder und Jugendlichen sowohl

KuB entwickelt, die ein Arbeitskreis in mehr als 20 Sitzungen weiterformte. In einem Architektenwettbewerb wurde 2009 für die Idee eine Umsetzung gefunden, die eine attraktive bauliche Ausgestaltung und städtebauliche Integration ebenso berücksichtigt, wie die Wirtschaft- und Umweltverträglichkeit, Barrierefreiheit und Energieeffizienz. Nachdem 2014 schließlich die Bauphase eingeläutet worden war, feierte man im Mai 2015 Richtfest. Nach knapp acht Jahren Planungs- und Bauzeit wurde das KuB im September 2016 fertiggestellt und beherbergt seitdem die Volkshochschule, die Musikschule und die Oldesloer Bühne sowie weitere Vereine der Stadt Bad Oldesloe.

Leitlinien wie Barrierefreiheit und Familiengerechtigkeit formuliert als auch konkrete Maßnahmenvorschläge, z. B. zur Gestaltung der Plätze, erarbeitet. Ein großer Erfolg war der als „Beteiligung vor Ort“ konzipierte Bürgerdialog in der Fußgängerzone zum Tag der Städtebauförderung, der auch vom Innenminister SchleswigHolsteins besucht wurde. Alle Veranstaltungen waren sehr gut besucht; auch bei der abschließenden Informationsveranstaltung im Rathaus war der Ständesaal mit ca. 100 Teilnehmenden voll besetzt. Neben positiven Rückmeldungen zur Planung gab es auch Feedback zum Beteiligungsprozess; ein Teilnehmer dankte explizit: „Ich habe noch nie einen so umfangreichen Beteiligungsprozess erlebt!“

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Verkehr der Zukunft. Aufruf zum Umbau. Sharing Ökonomie statt Eigentums-Gesellschaft, fließender Verkehr statt von Autos okkupierter Raum, das Smartphone als Schaltzentrale für ein bequemes und zielorientiertes Leben: Hindernis für eine fortschrittliche Gesellschaft ist der politische Rahmen, der sich am Gesellschaftsbild der 50er Jahre orientiert. Ein Wandel ist jedoch dringend notwendig.

Von Prof. Dr. Andreas Knie

Besitz ist nicht mehr nötig

Man tritt einfach auf die Straße und sucht sich das passende Fahrzeug aus. Heute mal ein Auto zum Selbstfahren, um Dinge zu transportieren. Morgen ein Rad oder man geht einfach zu Fuß. U- und S-Bahn, Tram und Bus gibt’s auch noch. Mit einem Blick auf das Smartphone sind sofort alle Angebote auf einen Blick verfügbar. Man kann sich auch einfach mitnehmen lassen, kurz das Wunschziel eintippen und in Sekunden weiß man, wann und wo was kommt. Einen Fahrschein braucht man schon lange nicht mehr. Fahrpläne sind nicht mehr existent. Im Zeitalter

Natürlich fährt alles mit Strom aus Erneuerbaren Energien. Es gibt sie zwar noch, die Fahrzeuge mit Dieseloder Benzinmotoren, sie sind aber genauso selten geworden wie die Autos im Privatbesitz. Einen eigenen Pkw zu haben, ist genauso absurd, wie heute einen Helikopter oder gar ein Flugzeug zu besitzen. Denn das Fahren mit einem Verbrenner oder das Abstellen von etwas Privatem auf öffentlichen Grund ist so teuer, dass sich dies nur noch ganz wenige leisten können. Man braucht auch gar nichts Eigenes. Fahrräder gibt es noch im Privateigentum, aber die

der digitalen Vernetzung zählt in der Stadt nur noch das Hier und Jetzt, und das einfach und bequem. Das Smartphone ist der Schlüssel, der alle Bewegungen mit den Transportfahrzeugen aufzeichnet und auswertet. Die Preise variieren hinsichtlich Geschwindigkeit und Bequemlichkeit. Je schneller, umso teurer; mehr Platz für sich alleine kostet ebenfalls mehr Geld.

Mietangebote sind auch hier in der Mehrzahl, weil sie viel bequemer sind. Einfach an der nächsten Ecke aufsteigen und an einer beliebigen anderen wieder abstellen. Mit dieser konsequenten Umstellung auf die Sharing-Ökonomie ist nicht nur ein hohes Maß an Bequemlichkeit und Komfort gewonnen, viel entscheidender ist, dass man den Transport

viel effizienter bewerkstelligen kann. Der Verkehr fließt wieder, weil man mit deutlich weniger Gerätschaften auskommt. In Berlin zu Zeiten der Eigentumswirtschaft zählte man noch gut 1,3 Mio. Fahrzeuge. In Berlin zu Zeiten der Sharing Economy sind es noch 350.000 Einheiten. Die Stadt hat dadurch gigantische Mengen an Platz zurückgewonnen, ohne Einschränkungen in der Leistungsfähigkeit des Verkehrs eingebüßt zu haben.

ten Spur stehen und jedes noch so kleine Teilchen in die Wohnung oder das Büro ausliefern. Das geht zwar immer noch, kostet aber vergleichbar einem privaten Auto so viel, dass sich dies kaum einer leisten möchte. Für Menschen, die sich nicht bewegen können, gibt es besondere Servicedienste.

Elektrische Fahrzeuge entlasten Städte

Wenn man sich dieses Szenario vor Augen führt und dabei auf die Straßen von heute schaut, kann man kaum glauben, dass dies wohl mal Realität werden könnte. Dabei sind

Selbst der Transport von Waren und Gütern wird rein elektrisch vorgenommen und findet vorwiegend in den Nachtstunden statt. Denn die Fahrzeuge machen keinen Krach mehr und ausgeliefert wird zu den vielen dezentralen Packstationen in der Nähe, die dann für jedermann auch jederzeit zugänglich sind. Man muss nicht mehr auf den Postboten warten; der kommt einfach nicht mehr. Vorbei sind die Zeiten, in denen die vielen Lieferfahrzeugen auf der zwei-

Digitalisierung als Chance für Zukunft der Städte

die Keime des Wandels längst im Humusboden der Urbanität erkennbar: Der größte Treiber für den Wandel sind die Bewohner und Besucher der Städte selbst. Seit mehreren Jahren wird von einer Mehrheit der Stadtbewohner die anwachsende Menge an Fahrzeugen beklagt, die laut und vor allen Dingen raumgreifend die Aufenthaltsqualität immer mehr eintrüben. Auch das alte Versprechen des Autos, jedes Ziel schnell und bequem zu erreichen, ist durch die große Zahl der Gerätschaften längst nicht mehr gegeben. Weitere Unterstützung erfährt diese Transformation durch die Digitalisierung. Immer mehr Menschen nutzen das Smartphone. Dadurch verschieben sich die Präferenzen. Nicht mehr das Fahrzeug selbst, seine physische Beschaffenheit ist entscheidend für die Nutzung, viel wichtiger ist die digitale Präsenz. Durch das Smartphone verwandelt sich die Verkehrslandschaft zu einem gigantischen Optionsraum, in dem jeder jetzt und sofort Zugang wünscht. Das private Eigentum stört in dieser Perspektive mehr als das es nutzt. Und es gibt ganz objektive Vorteile einer solchen Sharing Economy: Den Verkehr vollständig auf einen C0 2-freien Betrieb umzustellen, ist ja seit der Verabschiedung der Pariser Klimaziele ein zentraler Punkt auf der

Ob Auto, Rad, Bus oder Bahn: In Zukunft wird man sich das passende Fahrzeug per Smartphone aussuchen.

Depescheaktuell – Fachzeitung der führenden deutschen Stadtentwicklungsunternehmen

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Tür gewöhnt, dass den öffentlichen Raum okkupiert, so als wäre es das Normalste auf der Welt. Und natürlich werden die billigen Spritpreise begrüßt und die Entfernungspauschale bei der Steuererklärung aktiviert.

Foto: Rainer Sturm @ pixelio.de

Mittlerweile haben sich aber auch unter den bestehenden Ordnungsrahmen neue Formen der Verkehrsmittelwahl und einer geänderten sozialen Praxis entwickelt. Das Rad hat enorm an Popularität zurückgewonnen und, obwohl kaum sinnvoll zu betreiben, sind rund eine Millionen Menschen bereits aktive Carsharer. Die Zahl der Autos hat eine solche Menge erreicht, dass ein Privateigentum gar keinen Sinn mehr macht. In den letzten zehn Jahren ging die Zahl der Jugendlichen unter 30 Jahre, die ein eigenes Auto gekauft oder geleast hat, um die Hälfte zurück. Seit mehreren Jahren wird von einer Mehrheit der Stadtbewohner die anwachsende Menge an Fahrzeugen beklagt,

politischen Agenda. Bislang hat man in Deutschland bei der Produktion von Strom bereits einen Anteil von gut 40 Prozent Erneuerbarer Energien, beim Verkehr sind es aber gerade mal vier Prozent. Dabei wäre gerade die Zusammenführung der Produktion Energie für Strom und Verkehr so bedeutsam, weil durch diese Form der „Sektorkopplung“ das Problem fehlender Speicher beim Ausbau der Erneuerbaren gelöst werden könnte. Elektrische Fahrzeuge als intelligente Flotten betrieben, können nicht nur Strom tanken, sie können diesen auch speichern und bei Bedarf auch wieder abgeben. Selbst zu Zeiten der Sharing Economy sind die Fahrzeuge zu rund 40 Prozent der Zeit Stehzeuge und wären daher als Speichermedium sehr gut geeignet, da sie vor allen Dingen überschüssigen Windstrom aufnehmen könnten. Aber warum sind wir hier noch kaum einen Schritt vorangekommen? Ganz einfach deshalb, weil es noch keinen passenden politischen Rahmen gibt. Die bestehenden Gesetzesrahmen fixieren weiterhin ein Gesellschaftsbild aus den 1950er und 1960er Jahren. Erklärtes Ziel war es damals, den Familien nicht nur ein eigenes Häuschen, am besten im Grünen, sondern auch ein eigenes Fahrzeug zu ermöglichen. Ob es die Steuergesetzgebung ist, das Baurecht, die Stellplatzverordnung oder die Park-

raumbewirtschaftung, alle Gesetze, Verordnungen oder Regelungen sind

Einnahmen gleich wieder von den Zuwendungen abgezogen werden. Die

weiterhin auf den Erwerb und den Betrieb privaten Eigentums ausgerichtet. Andere Wirtschaftsformen haben da keine Chance. Ein Beispiel: Der französische Autokonzern PSA hat im Jahre 2014 den Berliner Bezirken für den Betrieb von 350 elektrisch betriebenen Fahrzeugen insgesamt 680.000 EUR an Parkraumgebühren überwiesen. Wären diese Fahrzeuge im privaten Besitz, wären maximal 7.000 EUR fällig gewesen. Dem Wunsch des Unternehmens, dies zu ändern, wurde vom Senat mit Verweis auf die bestehende Ordnung nicht entsprochen.

öffentlichen Verkehrsunternehmen können daher den modernen Verkehr gar nicht orchestrieren und müssen sich weiterhin auf die Bereitstellung und den Betrieb von Verkehrsgeräten konzentrieren und die Chancen der Digitalisierung an sich vorbeirauschen lassen.

Car- oder Bikesharing, wohlmöglich noch mit elektrischem Antrieb im Format eines freefloating Angebotes, lässt sich jedenfalls in deutschen Städten nicht wirklich auskömmlich betreiben. Für diejenigen, die sich dennoch kein eigenes Auto leisten konnten, war der öffentliche Verkehr in der Form der Daseinsvorsorge zuständig. Diese Rechtskonstruktion ist bis heute unverändert erhalten und wird durch das Personenbeförderungsgesetz geregelt: Der Staat zahlt die Investitionen und gleicht die Defizite aus – dafür bestimmt er aber auch über das Angebot. Einen unternehmerischen öffentlichen Verkehr kann es unter diesen Bedingungen gar nicht geben, da alle zusätzlichen

Alternative Transportformen, beispielsweise das Mitnehmen von Menschen gegen Entgelt, ist überhaupt verboten. Neue Geschäftsmodelle im Transport werden überall mit großem Erfolg entwickelt, nur in Deutschland nicht. Das Gesetz lässt das nicht zu.

Veraltetes Gesellschaftsbild behindert Weiterentwicklung Das Bild mit der glücklichen Familie, mit Papi am Steuer, Frau auf dem Beifahrersitz und die lachenden Kinder auf den Rücksitzen, es ist heute noch in allen Gesetzen, die den öffentlichen Raum definieren und seine Bewirtschaftung regeln, fest eingeschrieben. Aber wer sollte es ändern? Vertreter der Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik verweisen immer wieder darauf, dass jeder Eingriff in die Verkehrsmittelwahlfreiheit mit sofortiger Abwahl bestraft würde. Und natürlich haben sich viele an das eigene Auto praktisch vor der

Alternative Fortbewegungsmittel bereits auf dem Vormarsch Um das eingangs skizzierte Bild eines C0 2-freien, digital vernetzen Verkehrs tatsächlich auch zu realisieren, sind auch in Deutschland alle Ingredienzien vorhanden. Es fehlt lediglich an Mut, den Wandel langsam, aber konsequent einzuleiten und überkommene Steuerpolitik zu ändern, das Personenbeförderungsgesetz abzuschaffen und endlich eine Bewirtschaftung des öffentlichen Raumes einzuleiten, die eine Voraussetzung für die Rückgewinnung der Stadt ist. Die Menschen stünden diesen Eingriffen und Veränderungen in den Städten mehrheitlich offen gegenüber, wenn sie transparent, nachvollziehbar und als Erweiterung des eigenen Möglichkeitsraumes verstanden würden.

Weitere Informationen Prof. Dr. Andreas Knie Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) [email protected]

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Aus Groß mach Klein Die Herausforderungen bei der nationalen und lokalen Umsetzung von Klimaschutzzielen Lange Zeit brauchte die nationale und lokale Klimaschutzpolitik eine durch die internationalen Zielsetzungen, mindestens aber die europäische Rahmensetzung, determinierte Handlungsempfehlung, um effektive Instrumente zur CO2-Reduzierung in der Praxis auf den Weg bringen zu können. Jetzt, wo es losgehen müsste, ignorieren die gewählten Werkzeuge ökonomische Gesetze und legen gesellschaftliche Zielkonflikte frei.

Die große Welt: Internationale und europäische Klimaschutzpolitik „Denke global und handle lokal“ gilt als eine der wesentlichen Handlungsmaximen moderner Klimaschutzpolitik, die offiziell 1997 in der Agenda21 der Vereinten Nationen als Leitidee skizziert worden ist. Praktische Anwendung hat sie indes nie recht gefunden, auch weil retrospektiv betrachtet die vielen gescheiterten Klimaverhandlungen für ein Post-Kyoto-Protokoll auf internationaler Ebene negativ auf die supranationalen und nationalen Ebenen nachwirkten. Unvergessen bleibt das mit großen Erwartungen verbundene und letztlich gescheiterte Gipfeltreffen in Kopenhagen im Jahr 2009. Seither wirkte die Europäische Union mit ihrem ersten Energie- und Klimapaket des Jahres 2007 und dem erstmaligen Versuch einer Operationalisierung von Klimaschutzzielen auf niedrigschwelliger Ebene – nämlich auf Ebene der Nationalstaaten – eher wie ein Geisterfahrer. Das „20-20-20-Paket“ der EU sah bis zum Jahr 2020 eine Steigerung der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch von 20 Prozent, eine Steigerung der Energieeffizienz um 20 Prozent und eine Reduzierung der CO2-Emissionen ebenfalls um 20 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 vor. Der Clou: Die EU konditionierte ihre Ziele an den interna-

tionalen Verhandlungen in der Weise, als dass sie bereit war, ihren Beitrag im selben Zeitraum auf 30 Prozent CO2-Reduzierung zu steigern, sollte ein rechtlich verbindliches, globales Klimaschutzabkommen von den großen Treibhausgasemittenten ratifiziert werden. Seither hat sich einiges getan: In Paris ist vergangenes Jahr der internationale Durchbruch gelungen, die Europäische Union hat in einem zweiten Paket ihre Klimaschutzziele – wie angekündigt – ambitioniert gesteigert und für ihre Mitgliedstaaten entsprechende Richtlinien erlassen. Es obliegt nun den einzelnen Regierungen, die Instrumente zu wählen, welche geeignet sind, die jeweils übergeordneten Ziele zu erreichen. Große Ziele müssen so klein gemacht werden, dass sie (in Maßnahmen übersetzt) lokal Wirkung erzeugen und in Summe messbar werden.

Die nationale Ebene: Maßnahmen der deutschen Bundesregierung Die Bundesregierung hat mit ihrem Klimaschutzplan 2020 aus dem Bundesumweltministerium und dem Nationalen Aktionsplan für Energieeffizienz (NAPE) aus dem Bundeswirtschaftsministerium reagiert. Darin enthalten sind sektoral aufgegliederte Vorhaben, in deren Summe 40 Prozent an

CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 eingespart werden sollen. Allein, der Instrumentenkasten ist dadurch keineswegs aufgeräumter. Seit Jahren listet McKinsey in seinem Energiewende-Index bis zu 15 Indikatoren auf, deren Zielerreichung teilweise oder gar nicht erreicht wird, weil offenkundige ökonomische Mechanismen durch den Gesetzgeber ignoriert werden. Ein Beispiel: Der Ausbau der erneuerbaren Energien, etwa mittels Photovoltaikanlagen auf Hausdächern, ist ein erklärtes Ziel der Energiewende und wird mittels einer garantierten Stromeinspeisevergütung vom Staat gefördert. Jede Tonne CO2, die über Stromproduktion aus Erneuerbaren eingespart wird, wirft jedoch ein freies Verschmutzungszertifikat im europäischen Emissionshandel auf den Markt und kann an der Börse erworben werden. Je höher das Angebot an Verschmutzungsrechten ist, desto geringer fällt der Zertifikatpreis aus und umso kostengünstiger können sich all jene emissionsreichen Branchen mit Rechten eindecken, die sie zur energieintensiven Produktion benötigen. Der gut gemeinte Emissionshandel wird dadurch zu einer riesigen Umverteilungsmaschine von Emissionen, weil diese schlicht nur an anderer Stelle getätigt werden. Mit einem einmaligen „Backloading“ von Zertifikaten und der Einführung der Marktstabilitätsreserve als Gegenreaktion hat man die Angebotspreise in manipulativer Absicht vor dem tiefen Fall bewahrt – getreu dem Motto: Was nicht sein kann, darf auch nicht sein!

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Die lokale Welt: Klimaschutz in Neubau und Bestand Eine ähnlich starke Gegenreaktion wird es bald auch in der Immobilienund Wohnungswirtschaft geben müssen, wo die Verwerfungen nicht weniger bedeutsam sind. Mit Blick auf den Neubau erfordert die jüngste Stufe der Energieeinsparverordnung (EnEV

Enrique Peña Nieto, François Hollande, Angela Merkel und Michelle Bachelet bei der UN-Klimakonferenz in Paris 2015

Depescheaktuell – Fachzeitung der führenden deutschen Stadtentwicklungsunternehmen

2016) mehr bauliche Maßnahmen, um denselben zertifizierten Energiestandard zu erreichen. Das hatte bekanntlich investive Mehrkosten (je nach Berechnungsart) von acht bis neun Prozent, aber nur eine zusätzliche Reduzierung von 0,02 Prozent an CO2-Emissionen zur Folge. Die erhöhten Baukosten werden in irgendeiner Form auf den Endnutzer umgelegt, ohne dass dieser in seiner Betriebskostenabrechnung eine signifikante Erstattung zu erwarten hat. Daneben gibt das Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (EEWärmeG) vor, zu welchen Anteilen der Wärmebedarf in einem Neubau über erneuerbare Energiequellen gedeckt werden muss. Das Gesetz, bevor es ein bundespolitisches Regelwerk wurde, hat seinen Ursprung in Baden-Württemberg, wo es echte Stilblüten hervorgebracht hat: Wer dort einen alten Ölheizkessel ersetzen will, muss sicherstellen, dass der künftige Eigenenergieverbrauch über einen definierten Anteil durch regernative Energien gedeckt wird. Bei Amortisationszeiten von einigen Jahrzehnten für die Photovoltaik- oder Geothermieanlage mag sich mancher Hausbesitzer fragen, ob dessen Lebensverlängerung in dieser Rechnung eingepreist worden ist. Nicht unerwähnt bleiben soll die sozialpolitische Verwerfung von Photovoltaikanlagen auf Hausdächern. Die garantierte Einspeisevergütung wird finanziert aus der EEG-Umlage, welche – gemessen am Aufkommen – mit 8,3 Milliarden Euro im Jahr 2015 zum größten Teil durch private Haushalte getragen wird. Jeder Mieter finanziert demzufolge die Photovoltaikanlage von Hausbesitzern zu einem mindestens 35 prozentigen Anteil mit.

Die lokale Welt: Fokussierung auf Bestandsmodernisierung Insgesamt ist fraglich, ob die einseitige Fokussierung auf den Neubau

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Impressum Erscheinungstermin: Dezember 2016 Herausgeber: DSK | BIG Gruppe www.dsk-big-gruppe.de Redaktion: DSK WissensCenter Verantwortlich i. S. d. P.: Dr. Paul Kowitz Layout und Satz: Claudia Steiner, DSK Druck: Grafik & Druck, Kiel Die Depescheaktuell ist auf zertifiziertem Papier aus nachhaltigem Anbau gedruckt. Für die Richtigkeit der Angaben kann keine Haftung übernommen werden. Änderungen vorbehalten. 64 Prozent des gesamten Gebäudebestands in Deutschland ist vor 1979 entstanden und unterlag demnach zum Zeitpunkt des Baus noch nicht einmal der 1. Wärmeschutzverordnung

überhaupt der angemessene Hebel zur Erreichung von nationalen Klima-

braucherschutzpolitik (als solche ist diese im Ministerium aufgehängt)

Energie-Einsparungsgesetzes, der EnEV und des EEWärmeG angestrebt

schutzzielen ist. Denn 64 Prozent des gesamten Gebäudebestands in Deutschland ist vor 1979 gebaut worden und unterlag demnach zum Zeitpunkt des Baus noch nicht einmal der 1. Wärmeschutzverordnung, einem sehr frühen Vorläufer der EnEV. Hier schlummern die wahren Potenziale aus einer Zeit, in der die Dreifachverglasung nicht zum Standard gehörte.

lässt das investive Sanierungsinteresse eines Bestandshalters deutlich sinken – ebenfalls zulasten des Klimaschutzes.

und eine etwaige Verschärfung der EnEV (resultierend aus europäischen Vorgaben) erst in der nächsten Legislaturperiode. Doch auch veränderte Mehrheitsverhältnisse sind kein Garant für eine widerspruchsfreie Klimaschutzpolitik im nationalen und lokalen Kontext.

Zum Wirtschaftlichkeitsgebot, das immerhin im aktuellen Koalitionsvertrag verankert ist, würde demzufolge gehören, dass ein besonderes Augenmerk auf die Bestandssanierung gelegt wird. Ein steuerlicher Anreiz wie eine Sonder-Afa für energetische Sanierungen hätte zum einen den nötigen Investitionsantrieb bedeutet, zum anderen den Mittelstand und das regionale Handwerk gestärkt. Mit der Deckelung der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen auf 300 Euro pro Jahr wäre das Vorhaben gegenfinanziert gewesen. Doch zweifach ist die Einführung des Instruments in der laufenden Legislaturperiode am Widerstand der Länder gescheitert. Stattdessen liegt der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zur Kappung der Modernisierungsumlage auf acht Prozent vor, um die Mieter vor steigenden Wohnkosten zu schützen. Die hier vermittelte Ver-

Neben einer Vielzahl von Kleinstmaßnahmen wie das Altanlagenlabeling, Smart Meter und Energieausweise für Gebäude, bleibt als einzig kräftiger Hebel nur noch die Betrachtung des Quartiers als Ganzes. Hier ist das KfW Programm 432 (Energetische Stadtsanierung) ein echtes Erfolgsmodell, berücksichtigt es zum einen das Wirtschaftlichkeitsgebot und fördert zum anderen Maßnahmen technologieneutral, die vor dem Hintergrund einer energieberatenden Vorfeldanalyse auch echte Wirkung versprechen. Es berücksichtigt spezifische lokale Gegebenheiten in der Konzeptdarstellung, sodass jedes Quartier eine passende Sanierungsstrategie erhält. Bislang sind bereits knapp 600 KlimaQuartiere förderfähig mit – auf lange Sicht gerechnet – deutlich geringeren Investitionskosten gegenüber der ökologisch weitgehend effektlosen Neubauverteuerung.

Die Welt von morgen

Wenn sich im kommenden Jahr die „Agenda21“ zum zwanzigsten Mal jährt, wird zumindest eine Anforderung erfüllt sein – global denken. Ein internationales Klimaabkommen ist zum Greifen nahe, der politischen Rahmen jedenfalls in Europa gesetzt. Doch dort, wo die Ziele in Maßnahmen vor Ort übersetzt werden müssen, liegen die Dinge offenkundig nicht so einfach.

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Weitere Informationen Dr. Paul Kowitz

Immerhin wird noch in dieser Legislaturperiode eine Vereinfachung durch die Zusammenlegung des

Die mit Namen versehenen Beiträge geben nicht immer die Meinung der Redaktion wieder.

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Der Gebäudesektor im Spannungsfeld von Klima- und Sozialpolitik Deutschland hat sich ambitionierte Klimaschutzziele gesetzt. Bis zur Mitte des Jahrhunderts soll der Treibhausgasausstoß – gegenüber 1990 – um 80 bis 95 Prozent vermindert werden. Eine entscheidende Rolle hierbei fällt dem Gebäudebereich zu. Die Klimaziele lassen sich nur erreichen, wenn die großen vorhandenen Potenziale zur Verminderung von Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich erschlossen werden: Allein auf die Erzeugung von Raumwärme in Wohngebäuden entfallen etwa 20 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland. Dementsprechend strebt die Bundesregierung bis 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand an. Von Annette Volkens und Carl-Friedrich Elmer In Deutschland fehlt es regional an kostengünstigem Wohnraum, vor allem in Ballungsräumen und Universitätsstädten. Die ohnehin angespannte Lage auf diesen Wohnungsmärkten wird durch den Zuzug aus strukturschwachen Regionen und die Unterbringung von Flüchtlingen noch verschärft. Hieraus ergeben sich vermeintliche Konfliktlinien zwischen klima- und sozialpolitischen Zielen. So wurden in der Diskussion um Anreize und Hemmnisse für eine verstärkte Neubautätigkeit im Segment günstigen Wohnraums Forderungen laut, die Vorgaben der Energieeinsparverordnung (EnEV) temporär aufzuweichen, um die Baukosten zu vermindern und so die Vermietung zu geringeren Kaltmieten zu ermöglichen. Dieser Forderung wurde von der Politik nicht stattgegeben.

Emissionen und Kosten durch Energieeffizienz einsparen Ein kurzfristiges Absenken energetischer Gebäudestandards stellt weder ökologisch noch ökonomisch eine nachhaltige Option dar, um das Spannungsfeld von Klima- und Sozialpolitik aufzulösen. Die Maßnahme stünde in scharfem Kontrast zu den langfristigen Zielen der Energiewende und des Klimaschutzes. Die weniger energieeffizienten Neubauten wären die Sanierungsfälle der Zukunft. Dabei ist der Handlungsdruck, im vorhandenen Gebäudebestand Energie und Treibhausgase einzusparen, ohnehin bereits hoch und sollte daher nicht durch kurzsichtiges Nachgeben gegenüber situativem Druck weiter verschärft werden. Würden für neue Wohngebäude mit Blick auf den gegenwärtigen Nachfragedruck Ausnahmen von den geltenden EnEV-Vorgaben gemacht, könnte der Wohnraum zwar zu etwas niedrigeren Kaltmieten vermietet werden,

doch hätten die Haushalte dauerhaft höhere Heizkosten zu tragen. Verminderungen des Energieverbrauchs sind jedoch ein zentraler Hebel zur Entlastung einkommensschwacher Haushalte. Somit ist die langfristige Sozialverträglichkeit niedrigerer Kaltmieten auf Kosten höherer Wärmekosten fraglich. Vielmehr sind Konzepte zu entwickeln, welche die Entlastung sozial schwacher Haushalte und der Umwelt in Einklang bringen.

Überdurchschnittliche Energiekostenbelastung einkommensschwacher Haushalte Haushalte mit niedrigem Einkommen werden überdurchschnittlich durch Energiekosten belastet. Zwar nehmen die durchschnittlichen absoluten Energiekosten eines Haushalts mit steigendem verfügbarem Einkommen zu, etwa wegen einer größeren Wohnfläche pro Kopf und einer umfassenderen Ausstattung mit energieverbrauchenden Geräten. Gleichzeitig nimmt der Anteil der Energieausgaben an den Konsumausgaben mit

steigendem Einkommen ab (siehe unten stehende Grafik). An der überdurchschnittlichen relativen Belastung einkommensschwacher Haushalte durch Energiekosten hat sich eine Debatte über die Verteilungsgerechtigkeit von Energiewende und Klimapolitik entzündet. Für die öffentliche Unterstützung klimapolitischer Maßnahmen ist eine als fair empfundene Verteilung sowohl zwischen privaten Haushalten und anderen Sektoren, als auch zwischen verschiedenen Einkommensgruppen von großer Bedeutung. Die zunehmende Kostenbelastung gerade einkommensschwacher Haushalte durch die Energiewende wurde dabei vor allem mit Fokus auf die Stromkosten und die EEG-Umlage diskutiert. Die Kosten für Wärme spielen bislang eine untergeordnete Rolle, auch da die Ausgaben für Heizung und Warmwasser aufgrund gefallener Brennstoffpreise in den letzten Jahren eher gesunken sind. Darüber hinaus sind Heizenergieträger mit geringe-

ren Steuern und Abgaben belegt als Strom. Es kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Haushaltspreise für Heizenergie dauerhaft auf niedrigem Niveau stabilisieren. Dies gilt etwa mit Blick auf die internationalen Rohstoffmärkte, an denen eine anziehende Weltkonjunktur zu einer Wende bei der Preisentwicklung führen kann. Die Bepreisung des Energieverbrauchs ist ein wichtiges umweltpolitisches Instrument, um Effizienz und Verbrauchsreduktionen anzureizen. Somit ist auch eine schrittweise Erhöhung der Abgaben auf Heizenergieträger möglich und klimapolitisch durchaus zu begrüßen. Da Haushalte mit niedrigem Einkommen einen überdurchschnittlichen Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Energie einsetzen, fallen Energiepreisanstiege bei ihnen relativ stärker ins Gewicht. Gerade diese Haushalte verfügen aber häufig nur über begrenzte Möglichkeiten, auf Kostensteigerungen mit einer Verringerung ihres Energieverbrauchs zu reagieren. Oft fehlt ihnen Kapital

Absolute Energieausgaben und relative Energiekostenbelastung nach Haushaltseinkommen

Die durchschnittlichen absoluten Energiekosten eines Haushalts nehmen mit steigendem verfügbarem Einkommen zu, jedoch nimmt der Anteil der Energieausgaben an den Konsumausgaben mit steigendem Einkommen ab.

SRU/UG 2016/Abb. 3-3; Datenquelle: Statistisches Bundesamt 2015b

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Foto: maho - fotolia

zu verbessern, sollte perspektivisch die erzielte Energieeinsparung bei der Ermittlung der Umlage berücksichtigt werden. Gleichermaßen sollte die Energieeinsparung zukünftig auch ein Kriterium für die Förderhöhe im Rahmen der KfW-Programme sein.

zur Anschaffung energieeffizienter Produkte, ihre Kenntnisse über Möglichkeiten zur Verbrauchsreduktion durch Verhaltensänderung reichen nicht aus oder sie haben keinen Zugang zu Wohnraum mit niedrigeren Wärmekosten.

Energetische Modernisierungen zielgenau und sozialverträglich fördern Hinsichtlich der Wärmekosten ist festzuhalten, dass die überwiegende Zahl der Haushalte mit niedrigem Einkommen zur Miete wohnt. Ihr Einfluss auf die Kosten für Heizen und Warmwasserbereitung beschränkt sich daher weitestgehend auf Einsparungen durch Verhaltensänderungen. Weit größere Einsparpotenziale sind hingegen durch investive Maßnahmen am Gebäude zu erzielen. Diese umzusetzen, obliegt dem Eigentümer. Dem sich hieraus ergebenden Investor-Nutzer-Dilemma sollen verschiedene Instrumente begegnen. So werden von der öffentlichen Hand Zuschüsse und vergünstigte Kredite angeboten, vor allem durch die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Zudem können die getätigten Investitionen für energetische Sanierungen aber auch verschiedene andere Modernisierungsmaßnahmen mietrechtlich nach § 559 BGB in Höhe von elf Prozent der Investitionssumme pro Jahr auf die Miete umgelegt werden. Der Zinsvorteil sowie die Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln sind dabei abzuziehen, sie mindern somit den Umfang der umlagefähigen Investitionssumme. Die Möglichkeit der Investitionsumlage reizt Modernisierungen und energetische Sanierungen an, doch kann sie in Regionen mit hohem Nachfragedruck auf dem Wohnungsmarkt auch soziale Sprengkraft entwickeln. Sanierungen können trotz einer Verminderung der Energiekosten zu steigenden Wohnkosten führen, ins-

besondere da die Umlagemöglichkeit nicht auf die Investitionen für energetische Sanierungen beschränkt ist, aber auch weil die Energiekosteneinsparung nicht notwendigerweise das Niveau der umgelegten Kosten für die energetischen Sanierungsmaßnahmen erreicht. So kann durch energetische Sanierung und Modernisierung vor allem in bislang kostengünstigem Wohnraum die Kaltmiete je Quadratmeter deutlich stärker steigen, als die Heizkosten sinken. Hinzu kommt, dass Mietanhebungen nach Sanierungen aufgrund der bestehenden Systematik gemäß § 558d BGB zu steigenden Durchschnittsmieten in Mietspiegeln beitragen, so dass sukzessiv steigende Kaltmieten auch in energetisch nicht sanierten Wohnungen durchgesetzt werden können. Haushalte mit niedrigem Einkommen können diese Steigerungen der Wohnkosten oftmals nicht finanzieren und müssen in günstigeren Wohnraum ausweichen. In der Folge nehmen Segregation und die Konzentration sozialer Milieus zu. Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, den bestehenden rechtlichen Rahmen so anzupassen, dass er die Ziele der Energiewende unterstützt und dabei die Belastungen der Haushalte mit niedrigem Einkommen vermindert. So sollte bei der Umlage von Investitionen nach § 559 BGB zwischen energetischer Sanierung und sonstiger Modernisierung unterschieden werden. Investitionen in energetische Sanierungen sollten mit einer höheren Rate umgelegt werden können, als solche für Modernisierungen. Dabei ist festzuhalten, dass die derzeitige Umlagemöglichkeit von jährlich elf Prozent der Investitionskosten im Lichte der aktuellen Kreditmarktzinsen – insbesondere für wohnwertsteigernde Modernisierungen – unangemessen hoch erscheint. Um sowohl die klimapolitische Wirksamkeit, als auch die Sozialverträglichkeit von Sanierungsmaßnahmen

Sozialtransfers anreizkompatibel anpassen

wobei hierfür in einem ersten Schritt der Gebäudeenergieausweis genutzt werden kann. Hierdurch ließen sich soziale Verdrängungseffekte mindern und es würden energetische Sanierungen auch dort angereizt, wo einkommensschwache Haushalte wohnen und sich keine hohen Mietsteigerungen am freien Markt realisieren lassen.

Anpassungsbedarf besteht auch bei den Sozialtransfers. Für die angemessenen Kosten der Unterkunft bei Grundsicherung ist die Kaltmiete in der Regel die Bezugsgröße und auch für den Wohngeldbezug bildet sie die Basis. Der energetische Zustand des Gebäudes hat keine Relevanz, so dass sanierungsbedingte Mietpreissteigerungen nicht durch eine steigende Angemessenheitsgrenze beziehungsweise einen steigenden Zuschuss kompensiert werden. Die Höhe der Heizkosten spielt für Empfänger von Grundsicherung hingegen kaum eine Rolle, da die anfallenden Heizkosten

Der Politik steht ein hinreichendes Instrumentarium zur Verfügung, um dem Spannungsverhältnis von klima- und sozialpolitischen Zielen erfolgreich zu begegnen. Energieeinsparungen im Gebäudebestand sind klimapolitisch ebenso erforderlich, wie ein hoher energetischer Standard, auch im kostengünstigen Wohnungsneubau. Die notwendigen Investitionen müssen so angereizt beziehungsweise staatlich unterstützt werden, dass es nicht zu sozialen Verwerfungen kommt und ohne dass in der öffentlichen Wahrnehmung Gewinner und Verlierer der Energiewende

in der Regel vollständig übernommen werden. Erzielte Energieeinsparungen und dadurch bedingte Nebenkostenrückzahlungen verbleiben nicht bei den Grundsicherungsempfängern, so dass diese keinen ökonomischen Anreiz haben, Heizenergie effizient einzusetzen. Diese Praxis ist sowohl aus ökologischer, wie auch volkswirtschaftlicher Perspektive zu hinterfragen.

unterschieden werden. Hinsichtlich des sozialen Ausgleichs ist zunächst die Sozialpolitik gefordert, doch sollte sie so ausgestaltet werden, dass sie steigende Kosten von Transferempfängern nicht nur monetär ausgleicht, sondern ihnen auch Teilhabe ermöglicht, zu effizienter Energienutzung anregt und ihre Anpassungsfähigkeit an steigende Preise unterstützt. Darüber hinaus sollte bei allen Konzepten gerade auch jenen Haushalten, die knapp oberhalb der Berechtigungsschwelle liegen oder keine Transferleistungen beantragen (dem „Graubereich“) besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn sie profitieren nicht von Anpassungen der Sozialtransfers, sind jedoch von Kostensteigerungen für Energie und Wohnen ebenfalls überproportional betroffen.

Eine Reform der Ermittlung der angemessen Kosten für Unterkunft und Heizung sollte einerseits solchen Fehlanreizen entgegensteuern, andererseits Grundsicherungsempfängern ermöglichen, energetisch effizienten Wohnraum zu nutzen und zudem Vermieter motivieren, diesen auch bereitzustellen. Der vom Bundessozialministerium unterbreitete Vorschlag einer Gesamtangemessenheitsgrenze für Miete, Neben- und Heizkosten im Rahmen der Grundsicherung führt konzeptionell in die richtige Richtung, jedoch dient er in erster Linie der Verwaltungsvereinfachung und zielt nicht darauf ab, Haushalten mit niedrigem Einkommen das Wohnen im sanierten Bestand – bei höheren Kaltmieten, aber geringeren Heizkosten – zu ermöglichen. Zieladäquater wäre es, bei den angemessenen Kosten der Unterkunft ebenso wie bei der Wohngeldberechnung den energetischen Gebäudezustand zu berücksichtigen,

Weitere Informationen Annette Volkens Carl-Friedrich Elmer Sachverständigenrat für Umweltfragen T 030 263696-0

Dezember 2016 | Seite 20

Lübecker Modell zur Wohnraumförderung Die Zuwanderung von Schutzsuchenden in den vergangenen Monaten hat in vielerlei Hinsicht enormen Handlungsbedarf erfordert – eine gute Willkommenspolitik inkludiert neben einem passenden Bildungs- und Versorgungsangebot auch die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum. Aber nicht nur Schutzsuchende allein, sondern insbesondere auch Rentner mit kleinen Einkommen, alleinerziehende Familien und Studierende beeinflussen die gestiegene Nachfrage in diesem Segment des Wohnungsmarkts. Es ist eine gesellschaftspolitische Herausforderung, genügend bezahlbaren Wohnraum für alle zur Verfügung zu stellen, um hier aus dem Nachfrageüberhang resultierende soziale Konflikte zu vermeiden. Die Hansestadt Lübeck hat sich mittelfristig zum Ziel gesetzt, 5.000 neue Wohnungen zu schaffen, insbesondere im preisgünstigen Segment. Mitverantwortlich für den gestiegenen Bedarf ist die positive Bevölkerungsentwicklung. Seit 2005 stieg die Einwohnerzahl von 214.000 auf nunmehr 220.000. Der Anstieg ist ursächlich nicht nur verbunden mit der Zuwanderung von Schutzbedürftigen, sondern ebenso durch Zuzug aus dem Umland und der Metropolregion Hamburg. Die Leerstandsquote liegt in Lübeck im Schnitt bei 1,5 Prozent. Angesichts des Auslaufens öffentlicher Förderungen fallen deutschlandweit jährlich grob geschätzt 120.000 Sozialwohnungen aus dem Bestand. In Lübeck sind in den vergangenen fünf Jahren rund 2.000 Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen. Noch im Jahr 2005 zählte die Stadt knapp 10.000 Sozialwohnungen. Dieser Rückgang macht sich zunehmend bemerkbar. Die Wohnungen unterliegen danach den Preisgesetzen des freien Markts, was ein unausgewogenes Verhältnis zwischen Sozialwohnungsberechtigten und dem Anteil entsprechend günstiger, frei verfügbarer Wohnungen zur Folge hat.

stehen daher Stadtteile mit einer geringen Quote von gefördertem Wohnraum.

den, um Sozialwohnungen darauf zu errichten.

alisierung von sozialem Wohnungsbau öffentlich ausgeschrieben werden, können Gebote abgegeben werden, die deutlich unter dem Verkehrswert liegen. Der Mindestpreis ergibt sich hierbei aus dem Verkehrswert des Grundstücks unter Berücksichtigung des Anteils von Wohnungen für den sozialen Wohnungsbau. Der Mindestpreis darf nicht unterschritten werden.

Die Quote des auf Grundlage der Finanzierungsrichtlinien für die Wohnraumförderung in Schleswig-Holstein für den geförderten Wohnungsbau im 1. Förderweg soll in allen Lübecker Stadtteilen bei Neubauten und Modernisierungen mindestens 30 Prozent betragen. Wichtig bei der Umsetzung ist uns die Schaffung einer ausgewogenen Mischung von gefördertem und frei finanziertem Wohnungsbau. Denn: Eine gute soziale Durchmischung ist Voraussetzung für Stabilität und Lebensqualität einer Stadt. Dies gilt sowohl für die einzelne Siedlung, als auch für die Stadt als Ganzes. Im Zentrum der Umsetzung

Foto: Gerard

Um als Kommune mittel- und langfristig Wohnungen für finanziell schwächer gestellte Bevölkerungsgruppen zu schaffen, hat die Hansestadt Lü-

beck deshalb als erste Kommune in Deutschland nunmehr eine Verbilligungsrichtlinie zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus beim Verkauf städtischer Grundstücke eingeführt. Zu entlasten ist der angespannte Wohnungsmarkt nicht nur durch Ersatzneubau, sondern auch durch den Neubau von zusätzlichen Wohneinheiten. Da die Baukosten jedoch stetig ansteigen, sollen nun kostengünstige Grundstücke der Stadt die Wohnungswirtschaft ermuntern, sich am geförderten Wohnungsbau zu beteiligen. Deshalb offerieren wir den Investoren deutliche Preisnachlässe bei städtischen Grundstücken, wenn diese zweckgebunden genutzt wer-

Mittels der Verbilligungsrichtlinie konnten wir auch einzelne Spielräume ausnutzen, die die Voraussetzungen für die Förderungen für Investoren deutlich verbessern und somit Anreize zur Investition darstellen. So ist bei Anwendung der Richtlinie ein Verkauf von Grundstücken unter dem vom Gutachterausschuss für Grundstückswerte geschätzten Verkehrswert möglich. Die Kommunen sind grundsätzlich gehalten, Vermögen nur zum Verkehrswert zu verkaufen. Für Grundstücke, die mit dem Ziel der Re-

Die Verbilligung ist an diverse Voraussetzungen gebunden, die sich in der Verbilligungsrichtlinie wiederfinden. So unterliegt der Investor einer Miet- und Zweckbindung für die Dauer von 20 bis 35 Jahren; in dieser Zeit darf nur an Personen mit Wohnberechtigungsschein vermietet werden. Für jede Wohnung, die der Investor mit diesen Bindungen zur Verfügung stellt, kann er mit einer Kaufpreisermäßigung von bis zu 15.000 Euro pro Sozialwohnung rechnen. Darüber hinaus ist eine Verrechnung des Restkaufpreises mit 5.000 Euro pro Wohnung dann umsetzbar, wenn ein zusätzliches Benennungsrecht angeboten wird. Bei einem Besetzungsrecht, das vorschreibt, an die von der Stadt Lübeck vorgeschlagene Person zu vermieten, erhält der Käufer sogar eine Grundstücksermäßigung von 10.000 Euro.Die Verbilligungsrichtlinie ist zunächst befristet bis 2020.

Lübeck hofft, dass Wohnungsbauunternehmen sich angesprochen fühlen, auch in Arealen mit höheren Grundstückspreisen in den sozialen Wohnungsbau zu investieren.

Depescheaktuell – Fachzeitung der führenden deutschen Stadtentwicklungsunternehmen

Wir hoffen, dass Wohnungsbauunternehmen sich angesprochen fühlen, auch in Arealen mit höheren Grundstückspreisen in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Durch das Lübecker Modell wird eine Förderung ermöglicht, die bis zu 25.000 Euro pro Sozialwohnung ausmachen kann. Unser Konzept zielt darauf ab, den sozialen Wohnungsbau in Lübeck kräftig anzukurbeln. Davon partizipieren nicht nur die Wohnungs- und Bauwirtschaft, ebenso wird den Menschen geholfen, die auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind. Dadurch gelingt es wiederum der Kommune, der Wohnungsnot nachhaltig vorzubeugen. Das ist eine klassische Win-win-Situation für alle Beteiligten. Darüber hinaus hat die Hansestadt Lübeck in einem ersten Schritt Grundstücke identifiziert, die sofort bebaubar bzw. mittel- und langfristig bauleitplanerisch dem Markt zur Verfügung stehen können. Insgesamt handelt es sich hier um Flächen für 1.400 Einfamilienhäuser und 3.000 Geschosswohnungen. In den nächsten drei Jahren wird die Stadt – nicht nur für sozialen Wohnungsbau – Grundstücke zwischen 1.000 und 50.000 Quadratmeter am Markt anbieten. Gemeinsam stehen die öffentliche Hand zusammen mit der Wohnungsund Bauwirtschaft in einer Verantwortungsgemeinschaft für ausreichend bezahlbaren Wohnraum für alle.

Weitere Informationen Bernd Saxe Bürgermeister der Hansestadt Lübeck [email protected]

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Stadtgespräch Im Gespräch mit Dr. Jochen Lang, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Abteilung IV Wohnungswesen, Wohnungs­neubau, Stadterneuerung, Soziale Stadt Berlin ist von starkem Zuzug geprägt, gleichzeitig fehlt es vielerorts an bezahlbarem Wohnraum. Welchen aktuellen Wohnungsbedarf sehen Sie für die Stadt?

merkmale neuer Wohnquartiere diskutiert. Die daraus entwickelten Leitlinien bilden die Grundlage für eine weitere gebietsspezifische Vertiefung.

Zu Beginn dieses Jahres hat der Senat eine aktuelle Bevölkerungsprognose veröffentlicht. Demnach ist für den Zeitraum zwischen 2015 und 2030 ein Zuwachs von rund 265.000 Menschen zu erwarten. Auf dieser Basis ist ermittelt worden, dass bis 2020 ein Bedarf von rund 15.000 bis 20.000 Neubauwohnungen jährlich besteht. Im Jahr 2015 ist der Wohnungsbestand um rund 10.900 Wohnungen gestiegen – das zeigt, vor welch großer Herausforderung wir stehen. Allerdings steigen die Genehmigungsund Neubauzahlen Jahr für Jahr. Wir arbeiten daran, dass wir die Ziele erreichen werden; es bedarf der Kooperation vieler Akteure.

Verdichtungsvorhaben sind bekanntermaßen immer wieder auch Gegenstand von Bürgerprotesten. Wie gehen Sie mit diesen um und wie organisieren Sie die Verflechtung mit der Nachbarschaft?

Der Senat tritt der Nachfrage mit zwölf neuen Stadtquartieren zur Bebauung entgegen. Was sieht der Stadtentwicklungsplan hinsichtlich Qualität und Dichte vor? In welchem Maße und in welcher Qualität wollen Sie die Innenverdichtung in der Stadt vorantreiben? Die im April vorgestellten neuen Stadtquartiere sind ein Teil unserer Gesamtstrategie. Es handelt sich hierbei um Standorte in der inneren Stadt, um Konversionsflächen und um Baugebiete in der äußeren Stadt. Daneben wird es weiterhin Dachausbauten, Lückenschließungen und auch Nachverdichtungen in Bestandsquartieren geben. Diese Maßnahmen der Innenverdichtung allein reichen allerdings nicht aus, um den Wohnungsbedarf zu decken. Zudem handelt es sich vielfach um Privateigentum, auf das wir nur begrenzten Einfluss haben. Die neuen Quartiere sollen zu lebendigen Kiezen entwickelt werden, die mit ihrer Nachbarschaft vernetzt sind. Sie sollen alle sozialen Schichten und Altersgruppen ansprechen. Es wird aber auch darum gehen, jeweils eine eigene Identität und städtebauliche Qualität zu entwickeln. In einem ersten Schritt haben wir hierzu im Dezember vergangenen Jahres eine Fachtagung zur „Gartenstadt des 21. Jahrhunderts“ durchgeführt und mit verschiedenen Expertinnen und Experten Qualitäts-

Wir haben in Berlin eine erfreulich lebendige Zivilgesellschaft. Veränderungen in der Nachbarschaft können Sorgen auslösen – beispielsweise vor Verdrängung. Dafür habe ich Verständnis. Wir setzen daher bei der Entwicklung der Projekte auf Beteiligung und Transparenz. Zudem ist uns wichtig, dass neue Entwicklungen und bestehende Nachbarschaften im Zusammenhang gedacht werden. Ziel ist es, zum Beispiel die soziale Infrastruktur in der Nachbarschaft auszubauen. Um herauszufinden, wo Verbesserungsbedarf besteht, brauchen wir die Bewohner als lokale Experten. Nehmen Sie das Beispiel Elisabeth Aue. Hier wird gegenwärtig ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK) erarbeitet. Die Bürgerinnen und Bürger werden aktiv informiert und einbezogen. Eine erste Beteiligungswerkstatt fand im März statt, eine weitere im Oktober. Die Ergebnisse sollen dann zum Jahreswechsel präsentiert werden. Auch bei verschiedenen vorbereitenden Untersuchungen wird die Bewohnerschaft aktiv mit einbezogen. Ich möchte allerdings betonen, dass wir auch den Wohnungsbedarf und insofern die Interessen derer, die auf Wohnungssuche sind, im Blick behalten müssen. Darüber hinaus wird es darauf ankommen zu vermitteln, dass – insbesondere durch den Anteil geförderter Wohnungen und die Einbeziehung städtischer Wohnungsunternehmen – diese neuen Quartiere für viele Berlinerinnen und Berliner ein Potenzial darstellen, sei es bei Familiengründungen oder, wenn im Alter eine kleinere barrierefreie Wohnung erforderlich wird. Darüber hinaus können sie durch zusätzliche soziale Infrastruktur und eine verbesserte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr profitieren. Mit Blick auf die Verdichtung innerstädtischer Quartiere schlägt das Bundesbauministerium das

„Urbane Gebiet“ als eine neue Baugebietskategorie vor, in der Bauplanungs- und Immissionsschutzrecht besser aufeinander abgestimmt und flexibilisiert werden sollen. Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem neuen Baugebietstyp? Die Schaffung dieses neuen Baugebiets, mit dem die Belange der Großstädte berücksichtigt werden, ist überfällig. Ich begrüße diese Novellierung ausdrücklich. Mit ihr wird die planungsrechtliche Sicherung des Wohnens im innerstädtischen Bereich erleichtert – bei gleichzeitiger angemessener Berücksichtigung von Gewerbebetrieben. Wir werden in die Lage versetzt, lebendige, gemischte Quartiere zu erhalten und schaffen zu können. Ich kann mir vorstellen, dass dieser neue Baugebietstyp auch für Kristallisationspunkte größerer neuer Quartiere Anwendung findet. Die vom Bundesbauministerium angekündigte Klarstellung, dass die Nutzungsmischung zwischen Wohnen und Gewerbe nicht gleichgewichtig sein muss, aber auch die Tatsache, dass bei Gewährleistung gesunder Wohnverhältnisse auch Gebäude, die ausschließlich dem Wohnen dienen, zulässig sind, wird uns bei der Umsetzung der Ziele des Stadtentwicklungsplans Wohnen helfen. Ob die zulässigen baulichen Dichten ausreichend sind, wird noch zu diskutieren sein. Wohnraumschaffung auf der einen Seite und Klimaschutz in Form erhöhter energetischer Neubauanforderungen auf der anderen Seite bilden mit Blick auf die Baukosten einen Zielkonflikt. Wie will Berlin dennoch die selbstgesteckten Ziele beim Wohnungsneubau schaffen? Berlin hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 eine klimaneutrale Stadt zu werden. Um dies zu erreichen, hat der Senat im Juni 2016 ein Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK) vorgelegt. Im Handlungsfeld Gebäude und Stadtentwicklung sollen neben der Sanierung des Bestandes auch die Optimierung von Neubauten einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Energieverbräuche leisten. Ich bin zuversichtlich, dass sich mit innovativen Konzepten eine sozial ausgewogene und gleichzeitig klimaverträgliche Stadtentwicklung realisieren lässt.

Hinsichtlich der EnEV hoffe ich sehr, dass es nach der intensiven politischen Debatte nun gelingt, Klimaschutz und bezahlbares Wohnen besser zu vereinbaren. In der Vergangenheit hatte es stets den Vorwurf gegeben, das Land Berlin verwende die Kompensationsmittel des Bundes, die an die soziale Wohnraumförderung gekoppelt sind, zur Tilgung von Altlasten. Gleichzeitig fallen viele Wohnungen aus der Preisbindung. Wie wollen Sie den Bestand an Sozialwohnungen dennoch sichern? Die Zukunft des Sozialwohnungsbestands ist in der Tat ein wichtiges Thema, das uns auch in der neuen Legislaturperiode beschäftigen wird. Im Frühjahr tagte zu dem Themenkomplex des alten sozialen Wohnungsbaus eine Expertenkommission, die im Juli ihren Bericht vorgelegt hat. Wir arbeiten derzeit intensiv an der Umsetzung der Reformvorschläge. Umgesetzt haben wir bereits die Verringerung von Anreizen zur vorzeitigen Ablösung von Förderdarlehen, mit der wir dem Abschmelzen des Sozialwohnungsbestands entgegenwirken. Berlin ist mit voller Kraft wieder in den sozialen Wohnungsbau eingestiegen. Im vergangenen Jahr wurden rund 1.000 Neubauwohnungen gefördert. Mit dem Doppelhaushalt 2016/17 wurde der Umfang der Neubauförderung deutlich ausgeweitet. Im laufenden Jahr können insgesamt 2.500 Neubauwohnungen gefördert werden. Im kommenden Jahr werden es 3.000 Wohnungen sein und eine weitere Aufstockung wird intensiv diskutiert. Das ist ein wesentlicher Beitrag, um den Bestand an Sozialwohnungen konstant zu halten.

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Energetische Sanierung großer Wohnungsbestände: Entwicklung eines Werkzeugs zur Strategieberatung Rund 40 Prozent der Endenergie wird in Deutschland in Wohngebäuden verbraucht. Hier schlummern die größten Einsparpotenziale, wenn es um die Reduzierung von klimaschädlichen Treibhausgasemissionen geht, die bei der Energieproduktion anfallen. Um einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand bis 2050 zu erhalten, wie es die Bundesregierung anstrebt, muss zum Beispiel die jährliche Sanierungsrate der Gebäudehülle zur energetischen Ertüchtigung von derzeit knapp unter einem Prozent mindestens verdoppelt, wenn nicht gar verdreifacht werden. Am Beispiel der Stadt Leipzig zeigt sich, wie mit modernen Werkzeugen der Digitalisierung eine strategisch-planerische Umbau- und Sanierungsberatung eine gebäudebezogene und integrierte Gesamtlösung hervorbringen kann. Die LWB, Leipzigs städtisches Wohnungsunternehmen, verwaltet einen Bestand von insgesamt ca. 35.300 Wohnungen. Allein 11.300 davon in ca. 250 Plattenbauten in elf verschiedenen Stadtteilen Leipzigs waren im Jahr 2015 noch weitgehend unsaniert. Der Bestandshalter hatte ein Interesse daran, die Wohnungen so zu sanieren, dass innerhalb von ca. zehn Jahren alle Wohnungen saniert werden können. Dabei sollten die notwendigen Investitionen wirtschaftlich sinnvoll und den Zielsetzungen der Eigentümerin, der Stadt Leipzig, eingesetzt werden. Insofern sollten soziale, wirtschaftliche und energetische Ziele gleichzeitig erreicht werden – eine echte Herausforderung! Entsprechend der dafür notwendigen integrierten Herangehensweise berücksichtigte der gewählte methodische Ansatz insbesondere die Eignung der verschiedenen Quartiere im Hinblick auf zielgruppenspezifische Wohnansprüche und leitet für die einzelnen Gebäude eine strategische Grundausrichtung der Sanierung ab, die sich wiederum in sogenannten Umbaupaketen zusammenfassen, aber auch individuell anpassen lassen.

Analyse Sekundärstatistik Aufbereitung Lagemerkmale Durchführung Gebietsgespräche Wohnungspolitisches Konzept Zielgruppenanalyse (Nachfrage) Ableitung von Umbaukategorien

Aufbereitung Bestandsdaten Programmierung Analysetool

Gebietsbewertung

In einem ersten Zwischenschritt sind grundlegende Teilprodukte der Gesamtstrategie erarbeitet worden:  Gebietstypisierung Potenzial/Defizit-Analyse, kleinräumige Differenzierungen/ Mikrolagen, Zieldefinition/ strategische Grundausrichtung.  Zielgruppenanalyse und -charakterisierung Identifikation potenzielle Nutzergruppen für dieses Marktsegment und Ableitung spezifischer Wohnansprüche.  Handlungsoptionen Bestandsentwicklung Definition von Umbaupaketen entsprechend Bautyp/Bauzustände sowie definierten Zielklassen. Dafür wurden die in der LWB vorhandenen Daten zu einer Gesamtübersicht zusammengestellt. Sie sollten in deren Auswertung und Analyse in einer Sanierungsvariante münden, die energetisch und wirtschaftlich berechnet ist. Doch der Datenfundus war extrem umfangreich. In unterschiedlichen Abteilungen lagen große Tabellen mit unterschiedlichen Zielstellungen vor. Die Bauunterhalter hatten einen Überblick über die in den „Übergebäuden“ verbauten Bauteile wie Anzahl, Alter und Zustand. Die Vermietungsabteilung konnte Mieterdaten, Erlöse und Zahlen zu Leerständen bereitstellen. Die Gebäudeverwaltung hingegen

Gebietspotenziale

Eckwerte Bestandsentwicklung

Strategische Grundausrichtung

Definition Umbaupakete

Ableitung SOLLProfile

Gebietsbezogene Umsetzung der Grundstrategie

objektkonkrete Umsetzungsstrategie Zeitplanung Kostenplanung

IST-Profile

war im Besitz von Daten zu geplanten Investitionen, Mietentwicklung und Umfeldelementen. Nötig war es also, alle vorhandenen Daten in einer Datenbank zusammenzuführen, die zunächst in einer Excel-Datei angesiedelt war, zwischenzeitlich aber in eine SQL-Umgebung überführt wurde und durch verschiedene Optimierungen einen Gesamtüberblick erlaubte. Im konkreten Fall galt es im Rahmen der Entwicklung einer Sanierungsstrategie folgende Fragen zu beantworten:  Wo ist der größte technische Sanierungsbedarf?  Wo würde eine energetische Sanierung den größten Einspareffekt ermöglichen?  Welche Zielgruppen benötigen welche Sanierungsmaßnahmen?  Welche Investitionskosten sind einzuplanen?  Wie kann die Sanierung so erfolgen, dass in den einzelnen Siedlungen eine kontinuierliche Umsetzung erfolgen kann?  Wie werden sich die Mieten entwickeln? Wie können Mieter, die Transferleistungen erhalten, angemessen untergebracht werden? Diese Fragen beantwortet die Sanierungsdatenbank in Reports, die sich je nach Änderung der Annahmen und nach der Entwicklung der Daten ebenfalls ändern. Auch können über Schnittstellen nunmehr alle objektkonkreten Daten und Ergebnisse innerhalb eines Geographischen Informationssystems räumlich visualisiert und zu einer Dokumentation zusammengefasst werden. Die gebietsbezogene Umsetzungsstrategie und die Ableitung der SOLL-Profile ergeben letztlich die objektkonkrete Umsetzungsstrategie die über die Priorisierung des Gesamtbestandes eine detaillierte Zeit- und Kostenplanung ermöglichen. Durch das dargestellte Vorgehen und der sich daraus ergebenden flexiblen Definitions- und Auswertungsmöglichkeiten war es

Ein Projekt der DSK in Kooperation mit den Seecon Ingenieuren aus Leipzig im Auftrag der LWB.

Depescheaktuell – Fachzeitung der führenden deutschen Stadtentwicklungsunternehmen

nicht nur möglich, eine integrierte Gesamtstrategie für das Wohnungsunternehmen zu entwickeln, sondern verschiedene Varianten entlang der Vorgaben und Ideen des Bestandshalters zu prüfen und optimal anzupassen. Auch eine Fortschreibung der Strategie ist so problemlos möglich. Die Lernerfahrungen aus dem LWB-Projekt konnten auch auf weitere Bestände wie für die WOBA Reichenbach angewendet werden. In Reichenbach sind zwar „nur“ 2.300 Wohnungen einzubeziehen, allerdings hat sich das Spektrum der bautechnischen Möglichkeiten deutlich erweitert, da neben Plattenbauten auch Blockbauten und Gebäude aus der Gründerzeit betrachtet werden. Außerdem lebt das System mittlerweile in einer SQL-Umgebung, die zahlreiche zusätzliche Möglichkeiten eröffnet. In Zukunft soll die halbautomatisierte Erstellung von energetischen Sanierungsstrategien online erfolgen und im Wesentlichen durch die Kunden selber mit Daten „gefüttert“ werden. Dadurch können mittels fortschreitender Digitalisierung und der Verfeinerung der Techniken zunehmend komplexere Modelle durchgerechnet werden, die eine optimale Sanierungsstrategie zum Ergebnis haben. Denn die Steigerung der Sanierungsrate in Deutschland wird vor allem dann erfolgreich, wenn technologieneutrale und jeweils quartiers- bzw. gebäudebezogene Individuallösungen gefunden werden.

Weitere Informationen Heiko Böttcher Büro Leipzig T 0341 30983-27 [email protected]

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IKAREUM Anklam Die Nikolaikirche in der Hansestadt wird zum energetischen Pilotprojekt Die Nikolaikirche in der Hansestadt Anklam bekommt mit dem „IKAREUM Flightmuseum“ eine neue Nutzung – und ein modernes energetisches Versorgungskonzept gleich mit. Dahinter steckt ein nachhaltiges Wärmekonzept, das die Betriebskosten senkt, die regionale Wertschöpfung steigert und nicht zuletzt zum Klimaschutz beiträgt. Ein Bericht über ein Projekt mit großer Vorbildwirkung. Wer auf dem Weg zur Sonneninsel Usedom die Hansestadt Anklam passiert, wird aktuell durch eine Vielzahl von Baustellen gebremst. Ursache dafür ist – nach erfolgreicher Sanierung der historischen Substanz dieser backsteingotisch geprägten, stark kriegszerstörten Stadt – die Transformation des Wohnungsbestandes in die an den Marktplatz angrenzenden Quartiere. Das Ziel besteht in der Schaffung einer neuen Mitte, die sowohl den aktuellen Anforderungen an das Wohnen als auch an die Aufenthaltsqualität in der Stadt gerecht wird. Blick man sich weiter um, so tritt die ehemalige Nikolaikirche in den Blick.

Gebäudehülle – Kirchenmauer, Fenster, Dach und Bodenplatte – regelhaft nicht den neuesten Baustandards und eine zusätzliche Dämmung ist in den wenigsten Fällen möglich. Dazu kommt die oft nur sporadische, dann aber intensiv von Wärme- und Feuchtigkeitseinträgen durch Menschen geprägte Nutzung des Gebäudes.

Seit Jahren nicht mehr als Kirche ge-

im Mittelpunkt. Darauf basierend wurde für das IKAREUM eine nachhaltige Lösung für die Wärmeversorgung des historischen Gebäudes entwickelt, welches die ganzjährige Nutzung und eine Kostenoptimierung gewährleistet. Ergänzend wird auch die Nutzung der Dachflächen für die Installierung von PV-Anlagen auf dem benachbarten Parkhaus geprüft. Diese könnten Strom für den Eigenbedarf des Gebäudes liefern und zugleich für die Versorgung einer E-Zapfsäule in dem unweit vorgesehenen Parkhaus dienen. Durch die Einbindung der lokalen gewerblichen Wirtschaft in das gesamtstädtische Versorgungskonzept trägt das energetische Handlungskonzept der Stadt und insbesondere die energetische Sanierungsmaßnahme IKAREUM zur regionalen Wertschöpfung bei.

nutzt, bemüht sich die Hansestadt Anklam seit Jahren um deren Wiederherstellung. Die Kriegszerstörung hat deutliche Spuren an der Kirche hinterlassen, wesentliche Elemente des vormals imposanten Backsteingebäudes sind unwiederbringlich verloren. Wesentliches Ziel der stadtgesellschaftlich getragenen Bemühungen des Wiederaufbaus der Kirche ist auch die Herstellung des Turms. Die nun gefundene Nutzung für die bauliche Hülle, das „IKAREUM – Flightmuseum“ als Otto-Lilienthal-Museum mit Veranstaltungs- und Begegnungsraum, stellt eine wundervolle Symbiose von geschichtsträchtiger baulicher Hülle und neuer Nutzung her. Dieser Nukleus der Identifikation in der Stadtmitte Anklams – bedingt durch seine stadtgeschichtliche Bedeutung – wird zudem durch die Einbindung in die nachhaltige Wärmeversorgung auch zum energetischen Pilotprojekt der Hansestadt Anklam. Die Temperierung eines Kirchengebäudes stellt völlig andere Anforderungen an Planer und Ausführende als das „normale“ Ein- und Mehrfamilienhaus oder der Büro- und Industriebau. Denn der zu beheizende Raum ist verhältnismäßig groß im Vergleich zur Nutzfläche. Außerdem entspricht die

Die energetische Sanierung des Gebäudes ist ein Baustein des auf einem Klimakonzept der Hansestadt Anklam basierenden Handlungskatalogs. Insbesondere die Herstellung des wirtschaftlichen Betriebs der Fernwärmeversorgung unter Einbindung der gewerblichen Wirtschaft steht dabei

Die Betriebskosten des IKAREUM werden auf mehrerlei Weise reduziert: Der erzeugte Strom verringert zusammen mit einem nachhaltigen Wärmekonzept den Energiebedarf des Gebäudes. Die Stadt könnte zudem von den Erlösen aus der Einspeisevergütung profitieren. Außerdem wurde ein alternativer Ansatz als Grundlage für die angemessene Reduzierung der Betriebskosten – hier insbesondere der Heizkosten – entwickelt. Die Räumlichkeiten für

Ehemalige Kirche mit modernem energetischem Versorgungskonzept: das IKAREUM in Anklam

die Dauerausstellung der eigenen

Nutzungszeit sind die Aspekte der

Sammlung werden in nachvollziehbarer Gliederung und ansprechender Präsentation vor dem Hintergrund der „luftigen“ Themen Otto Lilienthals in geschlossenen und offenen Räumen präsentiert. Der Besucher wechselt zwischen temperierten Räumen und nicht beheizten Räumen im Innenund Außenbereich. Damit wird den musealen Anforderungen Rechnung getragen und zugleich der Klimatisierungsaufwand reduziert.

Denkmalpflege, der Wirtschaftlichkeit während der Heizperiode und vor allem die Werterhaltung der Substanz sowie von wertvollen Einrichtungsgegenständen zu beachten. Mit dem entwickelten Konzept ist die Basis für ein Pilotvorhaben entstanden, welches Impulse über die Grenzen Mecklenburg Vorpommerns hinaus geben kann.

Nicht zuletzt übernimmt das IKAREUM als Ort des lebenslangen Lernens einen allumfassenden Bildungsauftrag. Basis hierfür sind seine Sammlungen – originale Objekte, mit denen Ausstellungen zu historischen, kulturhistorischen, künstlerischen, naturwissenschaftlichen oder technikgeschichtlichen Themen entwickelt werden. Die Informationen beruhen auf neuen Erkenntnissen, sie werden allgemein verständlich und ansprechend dargeboten. Jeder Ausstellung liegt ein Vermittlungskonzept zugrunde, das sich an den Bedürfnissen und Erwartungen der Besucher orientiert. Ergänzend wird das Gebäude selbst zum Ausstellungsstück und zum Anwenderfall moderner energetischer Versorgungskonzeptionen.

Es zeigt, dass die innovative Auseinandersetzung mit den Fragen der gesamtstädtischen energetischen Versorgung Wirkungen auf eine Reihe von Ebenen hat, die Optimierung von Einzelvorhaben ermöglicht und somit direkte Auswirkungen nicht zuletzt auf den städtischen Haushalt hat.

Weitere Informationen Christina Ebel, BIG Städtebau GmbH T 0431 5468-202 [email protected] Dipl.-Ing. Volker Broekmans, bofest consult GmbH

Neben dem Wunsch nach Behaglichkeit für die Besucher während der

T 02102 77 089-0 [email protected]

Dezember 2016 | Seite 24

Recht

Transparenz und Wertung von Qualitätskriterien in Vergabeverfahren Die Verwendung von Qualitätskriterien ist besonders bei der Vergabe von Planungsleistungen oder Leistungen zur Konzepterstellung sehr beliebt. Die öffentlichen Auftraggeber versprechen sich hiervon einen großen Freiraum in der Bewertung der eingereichten Angebote, mit welchen regelmäßig eingereichte Lösungsskizzen, die bei Planungsleistungen den Grad der Vergütungspflicht nach der HOAI nicht erreichen sollten, oder geplante Durchführung der ausgeschriebenen Leistungen in Ansätzen dargestellt werden sollen. Demgemäß gehören zu den Qualitätskriterien, auch weiche Kriterien genannt, zum Beispiel „Aufgabenverständnis“, „erwartete Qualität der Auftragsdurchführung“, „Qualität der Lösungsskizze/des Durchführungskonzepts“. Charakteristisch für sie ist, dass sie wenig konkret sind und

letzt die VK Lüneburg, Beschluss vom 13.07.2016, VgK-26/2016. Einen Tag später, am 14.07.2016, befasste sich der EuGH mit der Thematik und stellte in seiner Vorlageentscheidung (C-6/15 „TNS Dimarso“) fest, dass weder Art. 53 Abs. 2 noch eine andere Vorschrift der Richtlinie 2004/18 eine Pflicht zulasten des öffentlichen Auftraggebers begründet, den potentiellen Bietern durch Veröffentlichung in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen die Bewertungsmethode zur Kenntnis zu bringen, anhand deren er eine konkrete Bewertung der Angebote hinsichtlich der zuvor in den Auftragsdokumenten festgelegten Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung vornimmt und eine Rangfolge für sie erstellt. Der EuGH billigte dem öffentlichen Auftraggeber bei der Erfüllung seiner Aufgaben einen gewissen Freiraum

dieser Stelle öffnet der EuGH dem öffentlichen Auftraggeber eine Tür, indem er ausführt, dass der Auftraggeber die Bewertungsmethode nach Öffnung der Angebote festlegen kann, wenn es ihm vorab nicht möglich wäre. Wann ein solcher Umstand vorliegt, um von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, führt er nicht aus. Es ist lediglich darauf zu achten, dass sich die Gewichtung der einzelnen Kriterien nicht verändert. Welche Methode der Auftraggeber für die Wertung der Angebot wählt, überlässt ihm der EuGH. Die Verwendung einer Skala von „hoch“ über „ausreichend“ bis „niedrig“ zur Wertung des Zuschlagskriteriums „Qualität der Angebote“, ohne dass bei Zuschlagskriterium „Preis“ eine Skala angewendet worden wäre, beanstandet er nicht. Grenze ist wiederum die Beibehaltung der

auf den Zeitpunkt vor Wertung der Angebote. Gemäß § 8 VgV ist unter anderem die Auswahlentscheidung zu begründen. Hierzu gehört auch die Wertung der Angebote anhand der klar bestimmten und bekannt gemachten Zuschlagskriterien. Gemäß der Begründung zu § 8 VgV ist die Dokumentation Ausfluss des Transparenzgrundsatzes. Sie dient dazu, die Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers nachzuvollziehen und rechtlich prüfen zu können (BR-Drs. 87/16). Die Begründung sollte daher nicht nur in Stichpunkten und allgemeinen Formulierungen verfasst werden, sondern sich mit dem konkreten Angebot auseinandersetzen. Der EuGH hat mit seiner Entscheidung vom 14.07.2016 die strenge nationale Rechtsprechung zu Anforderungen an die Transparenz und Wertung von Qualitäts-

für den Bieter nicht immer erkennbar ist, worauf der Auftraggeber Wert legt. Um den Wertungsvorgang für diese Qualitätskriterien den Grundsätzen der Transparenz genügen zu lassen, entschied das OLG Düsseldorf in seinen bekannten Beschlüssen vom 21.10.2015, Verg 28/14 („No Spy“) und vom 16.12.2015, Verg 24/15, dass für Bieterunternehmen erkennbar sein muss, welchen Erfüllungsgrad ein Konzept erreichen muss, um mit den festgelegten Punkten bewertet zu werden. Damit stellte das OLG hohe Anforderungen an die ausschreibenden Stellen. Etliche Vergabekammern folgten dieser Rechtsprechung, zu-

zu. Dieser Freiraum ist nach seiner Auffassung aus praktischen Gründen gerechtfertigt. Der öffentliche Auftraggeber muss in der Lage sein, die Bewertungsmethode, die er zur Bewertung und Einstufung der Angebote anwenden wird, an die Umstände des Einzelfalls anzupassen. Damit spricht der EuGH dem öffentlichen Auftraggeber den für ihn wünschenswerten Entscheidungsspielraum zu. Der EuGH sieht hierdurch den Transparenzgrundsatz offensichtlich nicht verletzt. Der öffentliche Auftraggeber mag zwar die Bewertungsmethode nicht vorab bekannt geben müssen, aber sie muss mindestens vor Öffnung der Angebote feststehen. Auch an

Gewichtung der Zuschlagskriterien. Damit werden die Angebote auch wieder mit Schulnoten bewertet werden können, wie es bis zu den Entscheidungen des OLG Düsseldorf im vierten Quartal von vielen Vergabestellen praktiziert worden war. Die Entscheidung des EuGH wird sicher etliche öffentliche Auftraggeber aufatmen lassen. Allerdings birgt die Verwendung von Qualitätskriterien eine weitere Schwierigkeit. Denn wenn auch das gewählte Zuschlagskriterium an sich nicht rügefähig ist, kann das Vergabeverfahren bei entsprechender Rüge aufgrund eines Dokumentationsmangels zumindest zurückversetzt werden

kriterien überholt und räumt dem öffentlichen Auftraggeber in der Bewertung der Angebote einen wesentlich größeren Entscheidungsspielraum ein als bisher.

Weitere Informationen Rechtsabteilung Manuela Peters T 030 3116 974-20 [email protected]

Termine 22. BIS 23. NOVEMBER 2016, BERLIN: dena-Kongress: Die Zukunft der Energiewende Veranstalter: Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena) » www.dena-kongress.de 8. BIS 9. DEZEMBER 2016, BERLIN: Internationaler Kongress „Die europäische Stadt und ihr Erbe“ Veranstalter: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit » www.kongress-erbe-der-stadt.de 19. JANUAR 2017, BERLIN: Verleihung LEG-Preis 2016 „Neue Nachbarn: Integrative Wohnkonzepte für Flüchtlinge“ im Rahmen des Neujahrsempfangs BVLEG mit ZIA

Veranstalter: Bundesvereinigung der Landes- und Stadtentwicklungsgesellschaften e.V. mit ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V. » www.bvleg.de; www.zia-deutschland.de 25. JANUAR 2017: Neujahrsempfang der BID

Veranstalter: BID Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland » www.bid.info MÄRZ 2017, BERLIN: Frühjahrssitzung des Wissenschaftlichen Beirats Veranstalter: DSK | BIG Gruppe » www.wissenschaftlicherbeirat.de

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