KonsumundWirtschaft

HEISSE SOMMER SIND STARK IM KOMMEN

Umweltkatastrophen und Wetterkapriolen häufen sich – und der Sommer 2003 brach alle Rekorde. Experten sind sich einig: Der Klimawandel spielt dabei eine wichtige Rolle.

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IRENE BÄTTIG

itzesommer 2003, Flutkatastrophe 2002 in Deutschland, verheerender Erdrutsch in Gondo 2000, Sturm Lothar 1999. Sind solche klimatischen Extremereignisse etwa erste Auswirkungen des Klimawandels? Eine Studie des «Beratenden Organs für Fragen der Klimaänderung» (OcCC), die diese Woche erscheint, ist dieser Frage nachgegangen. Die Klimaforscher kommen zum Schluss, dass sich der Einfluss der Klimaänderung auf einzelne Wetter- und Extremereignisse zwar nicht

360 CO2 (ppm)

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QUELLE: IPCC

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CO2: Lange war der CO2-Gehalt der Luft stabil. Seit gut 50 Jahren steigt er massiv. Referenztemperatur (°C) 0.5

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Temperatur: Der Anstieg der Temperatur läuft praktisch parallel zur CO2-Zunahme.

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QUELLE: IPCC

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nachweisen, jedoch ebenso wenig ausschliessen lässt. Für den Rekordsommer 2003 hingegen sind die Dinge klarer: «Die Temperaturen im diesjährigen Sommer waren so extrem, dass sie sich nicht allein mit natürlichen Klimaschwankungen erklären lassen», sagt Christoph Schär, Atmosphärenphysiker an der ETH Zürich und Mitautor der Studie. «Die Klimaänderung hat da ganz deutlich mitgespielt.» Zwar müsse jetzt nicht jedes Jahr mit so heissen Sommermonaten gerechnet werden, aber deren Häufigkeit werde zunehmen. «In etwa 100 Jahren dürfte gemäss unseren Modellrechnungen etwa jeder zweite Sommer so heiss werden.» Der Experte für Extremereignisse rechnet auch mit mehr Starkniederschlägen im Winterhalbjahr und damit verbunden einem grösseren Risiko für Überschwemmungen, zumal gleichzeitig die Schneefallgrenze weiter ansteigt. Statistisch lasse sich eine Zunahme von klimatischen Jahrhundertereignissen nicht nachweisen, weil zuverlässige Daten bis weit in die Vergangenheit fehlen. Für Wetterlagen, die etwas häufiger auftreten, liefert die Statistik aber klare Aussagen: «Intensive Nieder-

Christoph Schär auf dem Dach des Geografischen Instituts der ETH Zürich: Mit Lufttemperatur- und Regenmessungen verfolgen die Wissenschafter das aktuelle Wettergeschen.

schlagsereignisse im Winter und Herbst haben in den letzten 100 Jahren um bis zu 30 Prozent zugenommen.» Auch Monate, die drei Grad über dem langjährigen Durchschnitt liegen, treten jetzt doppelt so häufig auf. Daraus leiten die Klimaexperten ab, dass auch die Gefahr von Extremereignis-

sen steigt. Die physikalische Erklärung: «Solche Wettergeschehen brauchen eine Energiequelle. Wenn die Atmosphäre wärmer wird, verdunstet mehr Wasser», erklärt Schär. Der Wasserdampf sei eine Art Energiereserve, die sich in Form von Starkniederschlägen, Gewittern oder Stürmen entladen könne.

FOTOS: CHRISTIAN LANZ, KEYSTONE

KLIMAPROGNOSEN Im 20. Jahrhundert ist die Temperatur weltweit im Schnitt um 0,6 °C gestiegen, in der Schweiz sogar deutlich stärker – zwischen 1°C im Tessin und 1,6 °C in der Westschweiz. Die Niederschläge im Winter haben zugenommen. Im globalen Mittel rechnen die Klimamodelle bis ins Jahr 2100 im besten Fall mit einem weiteren Anstieg um 1,4°C. Im schlechtesten Fall mit 5,8 °C. Für die Landmassen der mittleren und hohen Breiten, wo auch die Schweiz liegt, erwartet man sogar eine deutlich stärkere Erwärmung und eine weitere Zunahme der Niederschläge im Winterhalbjahr. Der Rückzug der alpinen Gletscher wird sich fortsetzen und die Schneefallgrenze weiter steigen. www.occc.ch

Die Computermodelle der Klimaexperten bestätigen diese These. So auch der neue Supercomputer an der Universität Fribourg. «Das Risiko für Stürme wie ‹Lothar› wird steigen», sagt Martin Beniston, Leiter der Abteilung Klimatologie. Vermutlich müssten wir im 21. Jahrhundert alle 25 Jahre mit ei-

nem «Jahrhundertereignis» rechnen. Trotzdem dürfe man nicht jedes Extremereignis allein dem Klimawandel in die Schuhe schieben, meint Christoph Schär: «Es braucht immer einen Cocktail verschiedener Faktoren.» Die Folgen des Klimawandels, lesen Sie Seite 34.

Folgen des Klimawandels? Das vom Unwetter zerstörte Dorf Schlans (November 2002) und fehlender Schnee im Engadin (Januar 2002).

COOPZEITUNG NR. 39 – 24. SEPTEMBER 2003

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Der farbenprächtige Bienenfresser ist eigentlich im Mittelmeerraum heimisch, siedelt aber immer häufiger auf der Alpennordseite.

PFLANZEN HABEN HEUTE ELF TAGE FRÜHER FRÜHLING

Die Klimaerwärmung bringt den Fahrplan der Zugvögel durcheinander. Dies zeigen Beobachtungen der Vogelwarte Sempach von 1958 bis heute. Die Zugvögel treffen im Frühling eine bis zwei Wochen früher bei uns ein. Feldlerche, Hausrotschwanz und Star, die im Mittelmeerraum überwintern, bleiben auch länger hier – um bis zu zehn Tage haben sie den Aufbruch in ihr Winterquartier verschoben. Die Langstreckenflieger Fitis, Trauerschnäpper und Schafstelze hingegen zieht es schon früher Richtung tropisches Afrika. Aufgrund des früheren Eintreffens im Frühling bei uns sind die Jungtiere fit für den langen Flug und die Vögel können noch von der Regenzeit in der Sahelzone profitieren. Der Bienenfresser, eigentlich im Mittelmeerraum heimisch, siedelt sich immer häufiger auf der Alpennordseite an – ein Zeichen für das mildere Klima. Auch in Warmperioden des Mittelalters stiess der Bienenfresser in den Norden vor. ib

Seit 1951 beobachten Mitarbeiter von Meteo Schweiz an verschiedenen Standorten die Entwicklung von Pflanzen. Wann entfalten sich im Frühling die Blätter? Wann stehen die Pflanzen in voller Blüte? Wann verfärben sich im Herbst die Blätter? Dies sind Stichdaten, die sich die Forscher genau notieren. Die Auswertungen zeigen, dass sich der Frühling bei Pflanzen im Verlauf der letzten 50 Jahre um mehr als elf Tage vorverschoben hat! Wann Bäume, Sträucher und Kräuter den Frühling spüren, ist vor allem in höheren Lagen abhängig von der Lufttemperatur – ein Zusammenhang mit der Klimaerwärmung liegt deshalb auf der Hand. Der Eintritt der Blüte ist zwar jährlichen Schwankungen unterworfen, die Tendenz ist aber offensichtlich. Weltweite Beobachtungen bestätigen dies: Blattentfaltung und Blüte treten im Schnitt über zwei Tage pro Jahrzehnt früher ein als noch vor 50 Jahren. ib

■ www.vogelwarte.ch

■ www.climate-change.ch

500 Anzahl beobachtete Exemplare in der Schweiz 400

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Bienenfresser: In den letzten Jahren wurden auf der Alpennordseite immer mehr Bienenfresser beobachtet.

Späte Vollblüte

105 100 Frühe Vollblüte 95 90 Eintrittsdaten der Kirschvollblüte nach Tagen seit Jahresbeginn in Liestal 1900

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Kirschbäume: Die Vollblüte der Kirschbäume verschob sich im letzten Jahrhundert markant nach vorne.

QUELLE: METEO SCHWEIZ

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QUELLE: VOGELWARTE SEMPACH

ZUGVÖGEL BLEIBEN LÄNGER IM NORDEN

300

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Kirschbäume und andere Pflanzen blühen heute durchschnittlich elf Tage früher als vor 50 Jahren.

Wirds trockener und wärmer, sollten die Landwirte trockenresistentere Sorten anbauen. ährend die Weinbauern nach dem Rekordsommer 2003 mit einem Spitzenjahr rechnen, ist vielen Milchbauern im Sommer das Futter ausgegangen. Wissenschaftler der Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau (FAL) im zürcherischen Reckenholz prognostizieren bis 2050 zwar tendenziell bessere Anbaubedingungen für die Landwirtschaft. Denn die höheren CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre fördern das Wachstum vieler Pflanzen. Eine moderate Temperaturerhöhung um

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FOTOS: CHRISTIAN LANZ, KEYSTONE, TG2, VOGELWARTE SEMPACH

Leuenberger: «… sonst muss der Bundesrat die CO2-Abgabe einführen».

«Wir müssen jetzt handeln»

LANDWIRTSCHAFT ERWARTET HÖHERE ERTRÄGE wird in regenlosen Zeiten knapp. «Deshalb sollten vermehrt trockenresistentere Sorten im Ackerbau und bei den Wiesen eingesetzt werden. Und die Bewirtschaftung muss dem Austrocknen des Bodens entgegenwirken.» ib

Jürg Fuhrer von der Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau erwartet bis 2050 höhere Erträge im Ackerbau.

Das Kyoto-Protokoll ist ratifiziert. Wie wollen Sie das Ziel einer achtprozentigen Reduktion der CO2-Emissionen erreichen? Zurzeit wird zum Beispiel die Einführung eines Klimarappens auf Benzin und Diesel diskutiert. Damit könnten 60 Millionen Franken jährlich in die CO2-Reduktion gesteckt werden. Wir fördern solche freiwillige Massnahmen. Können die Reduktionsziele trotzdem nicht erreicht werden, müsste der Bundesrat eine CO2-Abgabe einführen.

Menschgemacht oder natürlich? Seite 37.

Ertrag

CO2-Wirkung nimmt ab

CO2 2050 CO2 heute Optimale Temperatur

Temperatur Bei höherer CO2-Konzentration steigt der Ertrag im Ackerbau. Steigt die Temperatur über ein Optimum – zwei Grad höher als heute – sinkt der Ertrag drastisch.

QUELLE: FAL

bis zu zwei Grad und etwas weniger Niederschläge im Frühling und Sommer könnten vor allem dem Gemüsebau und den Ackerkulturen Vorteile verschaffen. Eine stärkere Erwärmung wird aber problematisch. «Es hängt viel davon ab, wie sich die Niederschläge verteilen», sagt Jürg Fuhrer von der FAL, «und lang andauernde Trockenperioden schaden allen Kulturen.» Weniger Probleme mit Hitze und Trockenheit haben Unkräuter, die aus dem Mittelmeerraum und Asien stammen sowie gewisse Schädlinge, die von milderen Wintern profitieren. Jürg Fuhrer sieht in Zukunft eher eine mediterrane Landwirtschaft mit mehr Winterkulturen und zusätzlicher Bewässerung. Bewässerungssysteme sind aber teuer und das Wasser

Coopzeitung: Wie dringend sehen Sie Handlungsbedarf in Bezug auf den globalen Klimawandel? Bundesrat Moritz Leuenberger: Der Klimawandel ist in vollem Gang, das hat der Sommer bewiesen. Wir müssen also jetzt handeln. Wir können es uns nicht leisten, zu warten, bis alle Zusammenhänge zwischen Treibhausgasen und Klimaerwärmung bewiesen sind. Die Indizien sind stark genug.

Die Umweltverbände fordern eine sofortige Einführung der CO2-Abgabe. Das letzte Wort behielt sich das Parlament vor. Dort formiert sich nun Widerstand: Eine CO2-Abgabe hätte heute wohl keine Chance. Das Bewusstsein für die Umwelt hat merklich abgenommen. Unser Programm zur Förderung von erneuerbaren Energien und für Energieeffizienz kämpft um die nötigen Mittel, die Alpenkonvention wird bekämpft und das Budget des BUWAL soll radikal gekürzt werden. Vor 20 Jahren gab es in allen Parteien ein Engagement für Klima- und Umweltschutz. Ich wünsche mir, dass dies nach den Wahlen wieder so wäre. ib

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«WIR BRAUCHEN EINE MUTIGERE KLIMAPOLITIK»

Für Heinz Wanner ist klar: Der Temperaturanstieg ist nur noch zusammen mit menschlichen Einflüssen zu erklären.

KLIMAWANDEL! Eine Ausstellung im Schweizerischen Alpinen Museum in Bern informiert über die aktuellsten Forschungsergebnisse und zeigt mögliche Wege, um dem Klimawandel und den für die Bevölkerung drohenden Folgen entgegenzuwirken. Die komplexe Thematik wird anhand von Fotografien, Filmsequenzen und Objekten für ein breites Publikum verständlich dargestellt. Die Ausstellung dauert bis zum 31. Mai 2004. www.alpinesmuseum.ch

Heinz Wanner ist Professor für Klimatologie am Geografischen Institut der Universität Bern und Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts Klima. Veränderungen im OzeanAtmosphäre-System. Bis in die 60er-Jahre liessen sich die globalen mittleren Temperaturschwankungen allein mit Naturfaktoren und Zufallsschwankungen begründen. Der Temperaturanstieg seither ist nur noch zusammen mit dem menschlichen Einfluss erklärbar. Sie sprechen hier von Modellen. Gibt es auch fassbare Beweise? Über Eisbohrkerne können wir die CO2-Konzentrationen über 400 000 Jahre zurückverfolgen. Über diese ganze Periode schwankte der CO2-Gehalt der Atmosphäre zwischen 200 ppm, also Teile pro Million, in Eiszeiten und 280 ppm in Warmperioden. Heute sind wir bei über 370 ppm CO2 angelangt. Einen Temperaturanstieg wie in den letzten 10 Jahren in Europa hat es in der Klimageschichte der letzten 1000 Jahre nie gegeben.

Wäre es schlimm, wenn bei uns plötzlich Palmen und Olivenhaine wachsen, anstatt Tannen und Äpfelbäume? Wer möglichst viele Tage im Biergarten verbringen will, wird sich über die Erwärmung freuen. Menschen, deren Existenz eng mit dem Klima gekoppelt ist – etwa Skiliftbetreiber oder Bergführer –, werden negative Folgen spüren. Das grösste Problem wird aber die Bevölkerung in subtropischen Regionen bekommen, weil die Süsswasserressourcen knapper werden. Der Klimawandel ist nicht gerecht. Er trifft sowohl innerhalb der Schweiz als auch weltweit die wirtschaftlich unterprivilegierten Regionen am stärksten. Ist der Klimawandel überhaupt noch abzuwenden oder müssen wir uns auf die neue Klimasituation einstellen? Wir stecken bereits mitten im Wandel drin. Wir werden uns auf mehr Hitze-

tage, auf Wasserverknappung, schmelzenden Permafrost und Überschwemmungen einstellen müssen. In Pontresina baut man bereits heute einen Damm gegen Erdrutsche wegen des auftauenden Permafrosts. Gleichzeitig müssen wir aber auch die Ursachen bekämpfen in unserer Verantwortung gegenüber kommenden Generationen und den Entwicklungsländern, die kaum Mittel für Symptombekämpfung haben. Tut die Schweiz genug für die Klimapolitik? Die Schweiz müsste viel mutiger sein. Der Bundesrat dürfte das Budget von EnergieSchweiz nicht kürzen, sondern müsste es verdoppeln und dafür bei Infrastrukturinvestitionen sparen. Die CO2-Abgabe muss zügig eingeführt werden und auf internationaler Ebene sollte die Schweiz eine politische Vorreiterrolle einnehmen und Einfluss gewinnen. Interview: Irene Bättig

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FOTOS: KARL-HEINZ HUG, ZVG

Coopzeitung: Es gab schon früher Warmperioden. Warum sind Sie sicher, dass die momentane Klimaerwärmung menschengemacht ist? Heinz Wanner: Alle Klimaschwankungen, ob global oder regional, beruhen auf einem Energie-Ungleichgewicht der Erde. Drei Faktoren können die Energie der Erde aus der Balance bringen. Erstens: Natürliche Ereignisse wie Schwankungen in der Leuchtstärke der Sonne oder Vulkanausbrüche. Zweitens spielt der Mensch eine Rolle, vor allem durch die Emission von Treibhausgasen. Und drittens gibt es zufällige

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