Gutes noch besser machen

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Author: Gabriel Bach
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Gutes noch besser machen. Positionspapier zur Bedeutung innovativer Arzneimittel auf Basis bewährter Wirkstoffe.

- Zusammenfassung Die innovative Verbesserung bewährter Arzneimittel bietet die Chance, bedeutende Fortschritte in der Pharmakotherapie auch mit begrenztem Entwicklungsrisiko und Aufwand zu erzielen. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen in Deutschland haben entsprechende Investitionen jedoch zu wenig Aussicht auf Erfolg – Chancen bleiben ungenutzt! Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) weist daher auf die dringende Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit den hier geltenden Rahmenbedingungen hin. Für innovative Arzneimittel auf Basis bewährter Wirkstoffe fordert der BPI daher: 1) Risikobasierte Arzneimittelzulassung mit angemessenen Anforderungen 2) Verbesserung des Unterlagenschutzes 3) Schaffung erstattungsrechtlicher Anreize durch ein „opt out“ aus dem Festbetragssystem 4) Ausschluss einer Aut-idem-Substitution

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Hintergrund: Das Gesundheitswesen in Deutschland steht vor großen Herausforderungen. In der aktuellen Diskussion um die Ausgabenentwicklung bei Medikamenten wird zumeist auf die wichtige, aber aufwändige Entwicklung neuer Wirkstoffe verwiesen, die auf Kosten bis zu 1 Mrd. USD je Wirkstoff geschätzt wird, wobei diese Kosten nicht nur die direkten Kosten sondern auch Kosten für Fehlschläge sowie Opportunitätskosten enthalten1. Zudem erreichen von bis zu 10.000 neuen Substanzen, die in der Arzneimittelentwicklung geprüft werden, nur eine bis zwei den Markt als zugelassenes Produkt – und nicht jedes Produkt ist am Markt wirtschaftlich erfolgreich. Die Entwicklung innovativer Arzneimittel auf Basis bewährter Wirkstoffe baut dagegen auf vorhandenem Wissen auf und entwickelt beispielsweise für bereits etablierte

Wirkstoffe

verbesserte

Darreichungsformen

oder

erweitert

deren

Anwendungsbereich. Insbesondere die Zulassung für bestimmte Patientengruppen wie z.B. zum Einsatz eines Arzneimittels bei Kindern oder zur Behandlung seltener Erkrankungen ist vom europäischen und nationalen Gesetzgeber sogar ausdrücklich gewünscht und wird rechtlich und durch Stiftungen2 gefördert. Bewährte Wirkstoffe sind in ihrer Qualität und in ihren zugelassenen Indikationen hinsichtlich Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bereits gut charakterisiert. Ihre Nebenwirkungen sind in den zugelassenen Indikationen überwiegend bekannt. Somit sind sowohl das Risiko für Patienten wie auch das wirtschaftliche Risiko für das forschende Unternehmen geringer bzw. überschaubarer als bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe. Dieser Forschungsansatz ist daher insbesondere für standortgebundene, meist mittelständische Unternehmen, die nur begrenzte finanzielle Mittel in die Forschung investieren können, von großer Bedeutung.

1

Quelle: J.A. DiMasi und H.G. Grabowski: The Cost of Biopharmaceutical R&D: Is Biotech Different? In: Managerial and Decision Economics 28 (2007), S. 469-479. 2 z.B. durch die Eva-Luise und Horst Köhler Stiftung.

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Unter innovativen Verbesserungen bewährter Arzneimittel versteht der BPI z.B.: 3



Zulassung eines bewährten Wirkstoffs in einer neuen Indikation



Einführung eines bewährten Wirkstoffs bei besonderen Patientengruppen (z.B. Kinder , ältere Menschen)



Verbesserung von Dosierungsschema, Darreichungsform oder Verabreichungsweg (z.B. geringere Anzahl der Dosen pro Tag, orale gegenüber intravenöser Verabreichung, 5 altersgemäße Darreichungsform , kürzere Behandlungsdauer, optimierte Verträglichkeit), mit besserer Sicherheit, Wirksamkeit oder Compliance



Verbesserung der Sicherheit (z.B. im Hinblick auf Nebenwirkungen oder potenzielle Medikationsfehler)



Erweiterung des Anwendungsbereichs hinsichtlich der Therapiemöglichkeiten: Verbessertes Arzneimittel kann neben der Kurzzeittherapie auch zur Langzeittherapie eines chronischen Krankheitsverlaufs eingesetzt werden sowie zur Prävention und zur Verhinderung eines Wiederauftretens einer Erkrankung



Wechsel von Multi- auf Monomedikation durch verbessertes Medikament

4

Nahezu

alle

heutigen

Therapiestandards

haben

sich

durch

schrittweise

Verbesserungen bewährter Arzneimittel entwickelt. So ist es durch innovative Dosiersysteme möglich, Augentropfen auf Basis bewährter Wirkstoffe nun auch ohne Konservierungsstoffe anzubieten, was das Auftreten allergischer Reaktionen deutlich vermindern kann. Spezielle Darreichungsformen eines bewährten Wirkstoffs zur Therapie von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung) bei Kindern führen zu deutlich erhöhter Sicherheit und Therapietreue (Compliance) im Gegensatz zu normal oder lediglich retardiert freisetzenden Medikamenten. Die Möglichkeit, starke Schmerzmittel über transdermale Pflaster optimiert freizusetzen, bedeutet einen erheblichen Gewinn an Lebensqualität für Patientinnen und Patienten wie auch für Angehörige. Die Zulassung eines bewährten Schmerzmittels zur Anwendung bei bestimmten Herzfehlbildungen Frühgeborener ermöglicht nun auch eine medikamentöse Therapie und kann unter Umständen eine notwendige Operation verhindern. Diese Beispiele zeigen, dass die Forschung an bewährten Wirkstoffen – neben der Entwicklung neuer Wirkstoffe – ein wichtiges und effizientes Instrument ist, um neue und verbesserte Therapien zur Verfügung zu stellen. Dennoch werden solche Innovationen sowohl von der breiten Öffentlichkeit wie auch von Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung oft als „Scheininnovationen“ abqualifiziert und entsprechend nicht bei der Ausgestaltung entsprechender Rahmenbedingungen gewürdigt, wie der 2010 vorgelegte Entwurf des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) deutlich erkennen lässt.

3

vgl. „Guidance on a new indication for a well established substance“ (2007, Europäische Kommission). vgl. Leitlinie der Europäischen Kommission 2008/C 143/1, Abschnitt 2.3.3. 5 vgl. „Reflection paper: formulations of choice fort he paediatric population“, Europäische Arzneimittelagentur (2006). 4

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Eine Nutzenbewertung und Verhandlungen über den Erstattungsbetrag sind in der Gesetzesvorlage des AMNOG nur für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen vorgesehen, während innovative Arzneimittel auf Basis bewährter Wirkstoffe - unabhängig vom therapeutischen Nutzen - automatisch in das Festbetragssystem eingruppiert werden, was zu einer unzureichendenden Honorierung dieser Innovationen führen kann. Es besteht dringender Handlungsbedarf, um für diese - insbes. für in Deutschland ansässige Firmen - wichtige Forschung endlich mehr Anreize zu schaffen! Die vom BPI geforderte Verbesserung entsprechender Rahmenbedingungen kann im Sinne der Solidargemeinschaft zudem zur Realisierung von Einsparpotenzialen beitragen – bei gleichzeitiger Verbesserung der Therapie für Patientinnen und Patienten und Förderung der standortgebundenen pharmazeutischen Industrie! Für innovative Arzneimittel auf Basis bewährter Wirkstoffe fordert der BPI daher: 1) Risikobasierte Arzneimittelzulassung mit angemessenen Anforderungen Die

Weiterentwicklung

bewährter

Arzneimittel

benötigt

angemessene

Zulassungsanforderungen. Zwar gibt der rechtliche Rahmen schon heute den Zulassungsbehörden die Möglichkeit, bereits vorliegende Daten, bspw. zur Sicherheit des Wirkstoffs, zu berücksichtigen. Zusätzlich ist jedoch die derzeit nicht zulässige Verwendung von eigenen Daten zusammen mit Literaturdaten bei der „wellestablished-use“-Zulassung unbedingt zu ermöglichen. Nur mit angemessenen Zulassungsanforderungen kann gewährleistet werden, dass insbesondere für besondere Patientengruppen, wie z.B. Kinder, weiterhin innovative Arzneimittel auf Basis bewährter Wirkstoffe entwickelt und nicht durch unangemessene Anforderungen - wie Zahl der Vergleichsarme und Probanden bei klinischen Studien be- oder gar verhindert werden. 2) Verbesserung des Unterlagenschutzes Die innovative Verbesserung bewährter Arzneimittel ist essenziell für Patientinnen und Patienten. Der aktuell geltende Unterlagenschutz von einem Jahr bei der kostenintensiven Entwicklung neuer Indikationen für bewährte Wirkstoffe6 greift hier deutlich zu kurz. Da ein Wettbewerb zwischen innovativen Entwicklungen auf Basis neuer und bewährter Wirkstoffe für Patienten und Krankenkassen sinnvoll ist, muss der Unterlagenschutz für Arzneimittel auf Basis bewährter Wirkstoffe deutlich verbessert werden. 6

§ 24b Abs. 6 Arzneimittelgesetz.

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Selbst die Entwicklung von Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln genießt für Unterlagen über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben einen fünfjährigen Unterlagenschutz7. Der BPI fordert daher ebenfalls einen Unterlagenschutz von mindestens fünf Jahren. Zum Vergleich: Arzneimittel auf Basis neuer Wirkstoffe genießen regulatorische Schutzfristen

von mindestens zehn Jahren8, ebenso wie

Arzneimittel für seltene Erkrankungen9 und speziell zugelassene Kinderindikationen (PUMA, Paediatric Use Marketing Authorisation)10. Auch der Unterlagenschutz innovativer pflanzlicher Arzneimittel bedarf einer deutlichen Verbesserung: spezifischen

Durch

speziell

(standardisierten)

aufbereitete Bedingungen

Pflanzenauszüge angebauten

oder

aus

Heilpflanzen

unter

können

pflanzliche Arzneimittel signifikant verbessert werden. Dennoch werden solche Forschungsergebnisse immer den in Arzneibüchern definierten Pflanzenextrakten und nicht dem speziellen Verfahren zugeordnet. Da Extrakte aus der Heilpflanze vielfach bereits

seit

langer

Zeit

angewendet

werden,

lassen

sich

entsprechende

Forschungsergebnisse nicht angemessen schützen. Es ist daher notwendig, auch für die weiterentwickelnde Forschung bei pflanzlichen Arzneimitteln ein adäquates Anreizsystem zu entwickeln. Dieses sollte u.a. einen verbesserten Unterlagenschutz beinhalten, der individuelle Anbaubedingungen- und Extraktionsverfahren und eine damit einhergehende Standardisierung berücksichtigt. 3) Schaffung erstattungsrechtlicher Anreize Rein regulatorische Anreize sind nahezu unwirksam, sofern diese nicht durch erstattungsrechtliche Anreize flankierend ergänzt werden. So hat die Verbesserung des Unterlagenschutzes für die gewünschte Entwicklung von Arzneimitteln für Kinderindikationen bisher leider ihr Ziel verfehlt: da die geforderten Studien nicht über einen höheren Erstattungspreis refinanziert werden können, bleibt die gewünschte Erschließung von Kinderindikationen für bewährte Wirkstoffe weitgehend aus - trotz des hier deutlich verbesserten Unterlagenschutzes. Auch wenn die Entwicklungskosten bei der innovativen Verbesserung bewährter Arzneimittel unter den Kosten der Entwicklung neuer Wirkstoffe liegen, müssen diese Kosten refinanziert werden. Rabattverträge und Eingliederung in Festbetragsgruppen führen momentan allerdings häufig zu einer unzureichenden Vergütung dieser Innovationen – entsprechende Investitionen bleiben aus.

7

Artikel 21 EG-Verordnung 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel. § 24b Abs. 1 Arzneimittelgesetz. 9 Artikel 8 EG-Verordnung 141/2000 über Arzneimittel für seltene Leiden 10 Artikel 38 Kinderarzneimittelverordnung (EG 1901/2006). 8

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Verbesserte Medikamente müssen daher die Möglichkeit haben, am Markt einen höheren Preis als auf gleichen Wirkstoffen basierende Standardmedikamente zu erzielen. Daher schlägt der BPI vor, dass innovative Medikamente auf Basis bewährter Wirkstoffe nicht automatisch in Festbetragsgruppen eingeordnet werden, sondern auf Antrag des Herstellers ebenfalls Gegenstand der Nutzenbewertung nach § 35a SGB V sowie von Verhandlungen über den Erstattungsbetrag nach § 130b SGB V (gem. AMNOG-Entwurf) werden können. Aufgrund der im AMNOG vorgesehenen Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) sind solche Verhandlungen jedoch momentan ausschließlich für Medikamente mit neuen Wirkstoffen vorgesehen, bei denen der G-BA einen Zusatznutzen festgestellt hat. Innovationen auf Basis bewährter Wirkstoffe, die mit geringeren Forschungskosten dennoch einen erheblichen therapeutischen Fortschritt für Patientinnen und Patienten bedeuten können, müssen ebenfalls eine Möglichkeit auf

diese

Nutzenbewertung

und

anschließende

Verhandlungen

über

den

Erstattungsbetrag erhalten. 4) Ausschluss von Aut idem Bestehende Rabattverträge der Kassen mit einzelnen Herstellern und dem daraus resultierenden Zwang zum Einsatz rabattierter Medikamente führen dazu, dass Patientinnen und Patienten, denen ein innovatives Medikament auf Basis bewährter Wirkstoffe verordnet wurde, nicht vor dem Austausch (aut idem) gegen rabattierte Standardprodukte geschützt sind, obwohl dieser Austausch bei derzeitiger Rechtslage meist nicht im Sinne einer „guten Substitutionspraxis“ 11 erfolgt. Das bedeutet konkret: Wenn ein pharmazeutischer Unternehmer eine neue Indikation für einen bekannten Wirkstoff mit aufwändigen und teuren Studien erschließt und das entsprechende Produkt durch den sehr komplexen Zulassungsprozess auf den Markt bringt, wäre dieses Produkt jederzeit gegen das Produkt eines Wettbewerbers austauschbar, soweit dieses lediglich auf dem gleichen Wirkstoff basiert. Der Unternehmer würde damit dem Produkt eines Wettbewerbers zum Nulltarif neue Märkte erschließen und hätte keine Chancen, seine in Forschung und Entwicklung getätigten Investitionen zu refinanzieren. Der BPI fordert daher, dass innovative Medikamente auf Basis bewährter Wirkstoffe, für die (1) eine neue Indikation erforscht und zugelassen wurde oder die (2) durch eine optimierte Galenik einen verbesserten therapeutischen Nutzen aufweisen, nicht gegen wirkstoffgleiche Medikamente ausgetauscht werden dürfen. 11

vgl. Blume, H. et al.:„Gute Substitutionspraxis – GSP“, Deutsche Apotheker-Zeitung (2002), S. 129-138.

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Fazit: Die Weiterentwicklung bewährter Arzneimittel bedeutet für Patientinnen und Patienten häufig einen erheblichen therapeutischen Fortschritt. Gleichzeitig können solche Innovationen zu günstigen Preisen angeboten werden, da bereits vorhandenes Wissen genutzt und erweitert wird. Es ist daher dringend erforderlich, die Rahmenbedingungen für pharmazeutische Innovationen so zu gestalten, dass diese Innovationen in Deutschland unternehmerisch attraktiver werden. Die vorgeschlagenen Maßnahmen können hierzu beitragen – und die verbindliche Zusage, dass therapeutischer Fortschritt in Deutschland und der EU nicht nur gewünscht, sondern auch gefördert und bezahlt wird.

Berlin, im August 2010

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI) vertritt mit seiner über 50jährigen Erfahrung auf dem Gebiet der Arzneimittelforschung, -entwicklung, -zulassung, -herstellung und -vermarktung das breite Spektrum der pharmazeutischen Industrie auf nationaler und internationaler Ebene. Über 260 Unternehmen mit rund 72.000 Mitarbeitern haben sich im BPI zusammengeschlossen. Dazu gehören klassische Pharma-Unternehmen, Unternehmen aus dem Bereich der Biotechnologie, der pflanzlichen Arzneimittel, der Homöopathie und Anthroposophie sowie Pharma-Dienstleister.