GENETIK DES MORBUS PARKINSON

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Österreichische Post AG • info.mail • Entgelt bezahlt • Retouren an Postfach 555, 1080 Wien

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– a k t u e l l Informationen zu Morbus Parkinson und extrapyramidalen Bewegungsstörungen

Newsletter der Österreichischen Parkinson Gesellschaft

GENETIK DES MORBUS PARKINSON Priv.-Doz. Dr. Alexander ZIMPRICH, Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Wien

Editorial

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och vor 15 Jahren wurde davon ausgegangen, dass der Morbus Parkinson primär eine umweltbedingte Erkrankung ist, und dass genetische Faktoren kaum zu seiner Pathogenese beitragen. Die Entdeckung einer Reihe von Genen, die Parkinson auslösen können, beginnend mit der Beschreibung des α-Synuklein-Gens 1997, haben zu einem radikalen Perspektivenwechsel geführt und unser Verständnis der Pathogenese des M. Parkinson wesentlich erweitert. α-Synuklein-Mutationen sind zwar sehr selten; dieses Protein ist jedoch ein wichtiger Bestandteil der Lewy Körperchen. Mutationen im Parkin-, PINK1- und DJ-1-Gen sind ebenfalls selten, unterstreichen jedoch die Rolle des Ubiquitin-ProteasomKomplexes und der Mitochondrien in der Pathogenese des M. Parkinson. Die häufigste monogene Parkinsonform wird durch Mutationen im LRRK2Gen verursacht. Mutationen in diesem Gen sind für etwa 10% der familiären und 1 bis 2% der sporadischen Parkinson-Fälle in den meisten europäischen Populationen und für bis zu 40% der ParkinsonFälle bei nordafrikanischen Arabern und Aschkenasim Juden verantwortlich. Veränderungen in diesen Genen dürften nicht nur für die relativ seltenen monogenen Parkinsonformen verantwortlich sein, sondern auch zur Pathogenese des sporadischen M. Parkinson beitragen. So erhöhen z.B. bestimmte Polymorphismen im α-Synuklein Gen das Parkinson-Risiko. Es ist zu hoffen, dass diese Erkenntnisse beitragen werden, die molekulare Pathogenese des M. Parkinson zu entschlüsseln und spezifischere neuroprotektive Therapieansätze zu entwickeln. Wir danken Herrn Doz. Alexander Zimprich für seinen exzellenten Überblick zum Thema »Genetik des Morbus Parkinson« und wünschen unseren LeserInnen viel Vergnügen bei der Lektüre und ein erfolgreiches Jahr 2011! Als Herausgeber sind wir wie immer dankbar für Anregungen und Kritik. Sylvia BOESCH Walter PIRKER

Die Erkenntnis, dass genetische Faktoren in der Ätiologie von Morbus Parkinson eine entscheidende Rolle spielen, hat sich erst in den letzten 10 bis 15 in der wissenschaftlichen Gemeinschaft durchgesetzt. So gab es zwar schon seit Jahrzehnten vereinzelt Berichte über ein familiär gehäuftes Auftreten der Erkrankung, jedoch blieb die Frage nach der genetischen Beteili-

gung für lange Zeit umstritten. In einer der ersten genetischen Untersuchungen, die auf das Jahr 1949 datiert, beschrieb Henry Mjönes eine große schwedische Parkinson Familie mit einem autosomal dominanten Stammbaum [1]. Erst 60 Jahre später wird sich herausstellen, dass die Erkrankung in dieser Familie durch eine Duplikation im α-Synuklein-Gen verursacht wird [2].

Abbildung: Mit Hilfe eines Kapillarsequenziergerätes kann die genaue Abfolge der DNA-Sequenz ermittelt werden, um Hochrisikovarianten zu identifizieren.

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Obgleich immer wieder von Familien mit einem mendelschen Vererbungsmuster berichtet wurde, konnten Zwillingsuntersuchungen keine klare genetische Beteiligung nachweisen. 1987 fasste Roger Duvoisin den Stand der wissenschaftlichen Meinung daher wie folgt zusammen »The best available data do not support a role of heredity in the etiology of PD« (…die besten verfügbaren Daten legen nahe, dass die Vererbung in der Ätiologie von M. Parkinson keine Rolle spielt.).[3] Wie wir heute wissen, liegt die Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs in der komplexen Genetik der Erkrankung. Der überwiegende Teil (>80 %) der Patienten hat eine sporadische Parkinson Krankheit. Bei diesen Patienten gibt es keine erkennbare familiäre Häufung. Der Genetik kommt hier eine eher untergeordnete Bedeutung zu. Obgleich Assoziationsuntersuchungen eindeutig belegen, dass auch für diese Gruppe von Patienten genetische Risikofaktoren eine zwar geringe, aber nachweisbare Rolle spielen. In ca. 1020% der Fälle findet sich eine familiäre Häufung von M. Parkinson bis hin zu einem mendelschen Vererbungsmuster. Bei diesen Patienten spielen genetische Faktoren die dominierende Rolle. Durch reduzierte Penetranz (d.h. die Erkrankung kommt trotz Vorhandensein des Krankheitsallels nicht zum Ausbruch), kann dieser Vererbungsmodus jedoch unentdeckt bleiben. Mit der Identifizierung der ersten verantwortlichen Gene vor über 10 Jahren gewann man einen etwas detaillierteren Einblick in die komplexe genetische Struktur dieser Form der Erkrankung.

Niedrig-Risiko-Gene und genomweite Assoziationsuntersuchungen Seit geraumer Zeit weiß man, dass das Erkrankungsrisiko auch bei komplexen, nicht mendelschen Erkrankungen durch genetische Varianten beeinflusst werden kann. Niedrig-Risiko-Allele erhöhen die

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Wahrscheinlichkeit, mit der eine bestimmte Erkrankung auftritt, nur geringfügig. Die allermeisten Träger solcher Varianten bleiben zeitlebens von der Erkrankung verschont. Pro Allel Variante erhöht sich das Risiko um ca. 50 %. In anderen Worten: Nimmt man das Lebenszeit-Risiko für M. Parkinson mit ca. 1 % an, dann haben Träger eines solchen Niedrig-Risikoallels ein 1,5%iges Risiko. Niedrig-Risikoallele werden mittels genomweiter Assoziationsanalysen (GWA) ermittelt. Bei einer GWA wird die DNA von mehreren hundert bis vielen tausend Patienten mit ebenso vielen gesunden Kontrollen verglichen und hunderttausende Genvarianten, so genannte Single Nukleotid Polymorphismen (SNPs), genotypisiert. Ein SNP stellt die einfachste Form einer genetischen Variation dar. An einer bestimmten Stelle im Genom ist ein Nukleotid durch ein anderes ersetzt, also z.B. statt einem Adenin (A) findet sich eine Cytosin (C). In den meisten Fällen haben diese Veränderungen keinen Einfluss auf Protein-Form oder -Menge. Man nimmt an, dass es insgesamt ca. 10 Millionen SNPs im menschlichen Genom gibt, wobei aber nur ca. 1 Million mit einer Frequenz von 5 % und darüber vorkommen (häufige, »common« SNPs). Nur diese häufigen SNPs werden bei GWAs untersucht. Dabei wird die Frequenz jedes einzelnen SNPs in der Patientengruppe mit der in der Kontrollgruppe verglichen. Findet sich eine signifikante Abweichung in einer der beiden Gruppen, deutet das darauf hin, dass diese Variante (bzw. das Gen in der sich die Variante befindet) mit der Erkrankung in einem Zusammenhang steht. Dabei ist es nicht die SNP-Variante selbst, die das Erkrankungsrisiko verursacht, sondern genetische Varianten in unmittelbarer Nähe des getesteten SNP. Ursächliche Variante und positiv getesteter SNP befinden sich in räumlicher Nähe auf dem gleichen Chromsomenabschnitt, und werden gemeinsam vererbt (Linkage disequilibrium). Man nimmt an, dass die eigentlich ursächliche Va-

riante nur geringfügig das Expressionsniveau des Gens oder, im Falle von Aminosäureveränderungen, die räumliche Struktur eines Proteins ändert. Allzu dramatische Veränderungen würde man eher nicht erwarten, sonst wäre der Effekt stärker. Bisher konnte für M. Parkinson keine einzige ursächliche Variante zweifelsfrei identifiziert werden. Der große Vorteil einer GWA liegt in der umfassenden genomweiten und hypothesenfreien Herangehensweise. Ein Nachteil dieser Methodik besteht in der Unmenge zu analysierender Einzeldaten. Um die echt positiven SNPs von den falsch positiven verlässlich zu trennen, benötigt man entweder einen sehr niedrigen Signifikanz-Wert (p< 10-8) oder man genotypisiert die weniger stark positiven SNPs (10-5 bis 10-3) in einem zweiten unabhängigen Patientenkollektiv. In den letzten zwei Jahren wurden drei große GWA-Untersuchungen zu M. Parkinson veröffentlicht. Zwei Studien wurden in der kaukasisch weißen Bevölkerung und eine Studie in der japanischen Bevölkerung durchgeführt. Insgesamt wurden an die 9000 Patienten und 27.000 Kontrollen getestet [4-6]. Es fanden sich drei Loci, die in beiden Bevölkerungsgruppen eine stark positive Assoziation zeigten, α-Synuklein, LRRK2 und ein Lokus auf Chromosom 1q32 (Park16). Darüber hinaus fanden sich in der kaukasischen Bevölkerung eine positive Assoziation im Tau (MAPT) Gen und in der japanischen Bevölkerung eine positive Assoziation im BST1 Gen. α-Synuklein, Tau, und LRRK2 sind insofern bemerkenswert, als dass sie ursprünglich als »Hoch-Risiko-Gene« identifiziert wurden (siehe unten). Es sind jedoch unterschiedliche Varianten im Gen, die in einem Fall ein niedriges und im anderen Fall ein hohes Risiko vermitteln (allelische Varianten). In einer der Arbeiten konnte darüber hinaus ein deutliches Signal im HLA-Bereich identifiziert werden, was eine Beteiligung immunologischer Faktoren an der Pathogenese nahe legt. Mit Ausnahme von α-Synuklein weiß man bis heute nicht, auf welche Art diese

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Allele das Risiko erhöhen (siehe unten). Die Entdeckung solcher Niedrig-Risiko-Allele ist aus der Sicht der Grundlagenwissenschaft sehr bedeutsam. Sie können beitragen, Erkenntnisse über die pathophysiologischen Wege der Erkrankung zu gewinnen. Individuell, für den einzelnen Patienten oder Allelträger spielen diese Varianten jedoch keine Rolle. Eine genetische Diagnostik oder gar eine präsymptomatische Risikoabschätzung bei gesunden Allelträgern macht auf Grund des geringen Risikos keinen Sinn.

Hoch-Risiko-Gene und Kopplungsuntersuchungen Bei ca. 10-20% der Parkinson-Fälle gibt es eine positive Familienanamnese. In 5 % der Fälle ist sogar ein mendelsches Vererbungsmuster erkennbar. Bei dieser Gruppe von Patienten sind es so genannte Hoch-Risiko-Varianten (Mutationen), die die Erkrankung verursachen. Ähnlich wie bei den Niedrig-Risiko-Varianten erhöhen auch sie nur die Wahrscheinlichkeit, mit der die Erkrankung auftritt, jedoch ist diese im Vergleich zur Normalbevölkerung um ein vielfaches erhöht. Mitunter muss man bei einigen der Mutationsträger von einem fast sicheren Ausbruch der Erkrankung ausgehen. Die Wahrscheinlichkeit, mit der Mutationsträger auch tatsächlich erkranken, drückt sich in der so genannten Penetranz aus. Dabei steigt die Wahrscheinlichkeit zu erkranken mit zunehmendem Alter. So haben z.B. Träger der LRRK2-G2019S-Mutation mit Erreichen des 60. Lebensjahres ein ca. 40% iges Risiko an M. Parkinson zu erkranken, mit dem 80. Lebensjahr ein etwa 70%iges Risiko, wohingegen das Risiko bis zum 40. Lebensjahr kaum höher ist als in der Normalbevölkerung [7,8]. Hoch-Risiko-Gene werden in Familien, in denen die Erkrankung gehäuft vorkommt, identifiziert. Das gehäufte Vorkommen von M. Parkinson in einer Familie ist ja bereits der

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beste Indikator dafür, dass eine starke genetische Prädisposition für die Erkrankung in dieser Familie vorhanden sein muss. Der technisch-methodische Aufwand, ein familiäres Hoch-RisikoGen zu identifizieren, ist jedoch erheblich. In einem ersten Schritt werden die Familienmitglieder einer so genannten Kopplungsanalyse unterzogen. Dabei sucht man nach jenen chromosomalen Abschnitten, die allen erkrankten Personen in der Familie gemeinsam sind. In jeder Generation werden die Chromosomen in den Keimzellen neu gemischt (Meiose) und nur eine Hälfte des Chromosomensatzes wird an die nächste Generation weitergegeben. Die andere Hälfte kommt vom zweiten Elternteil. Mit jeder Meiose halbiert sich so das ursprüngliche genetische Material. Nach 6 Meiosen z. B. teilen sich zwei betroffene Familienmitglieder durchschnittlich nur mehr 1,5% des gesamten Genoms. Nur in diesem Bereich würde man die Mutation erwarten und danach suchen. Je nach Lage und exakter Größe dieser Region können sich aber mehrere dutzend bis hundert Gene darin befinden. Nun gilt es Gen für Gen die genaue Nukleotidabfolge zu ermitteln (Sequenzieren). Findet man schließlich eine potentiell pathogene Veränderung, muss diese in vielen Kontrolluntersuchungen bestätigt werden. Der gesamte Prozess ist äußerst arbeits- und zeitintensiv. Mehrere Jahre können so vergehen, bis man das Krankheitsgen identifiziert hat. Seit wenigen Monaten existieren jedoch neue Methoden, mit denen es möglich ist, den gesamten proteinkodierenden Teil des menschlichen Genoms innerhalb weniger Tage zu analysieren (Exom-Sequenzierung). Es ist daher zu erwarten, dass in den nächsten wenigen Jahren sehr viele solcher Hoch-Risiko-Gene identifiziert werden. Die chromosomalen Abschnitte, die solche Parkinson Hoch-Risiko-Gene beinhalten, werden mit der Kurzform »Park« bezeichnet und entsprechend der zeitlichen Reihenfolge ihrer Entdeckung mit einer Zahl versehen. Also

Park1 für den ersten identifizierten Lokus im Jahre 1996 (α-Synuklein), Park2 für den zweiten Lokus im Jahre 1998 (Parkin) usw. Derzeit (Dezember 2010) zählt man 16 solcher Park-Loci. Für sieben dieser Abschnitte gelang es die entsprechenden Gene zu identifizieren (sh. Tabelle). Die Terminologie ist hier leider nicht einheitlich. So wurde z.B. ein Niedrig-Risikoallel mit einem Park-Kürzel versehen (Park16); für bestimmte Park-Loci und Gene ist die Beweislage unzureichend oder es gibt sogar widersprüchliche Ergebnisse; wie z.B. für das Park5 Gen UCHL-1 [911], oder das Park13 Gen Omi/HTRA2 [12,13]. Das Gen für den Park11 Lokus, GIGYF2, stellte sich sogar als definitiv falsch heraus [14,15]. In meinem Übersichtsartikel werde ich mich daher nur auf jene Parkinson-Gene konzentrieren, die hinsichtlich ihrer Pathogenität in der wissenschaftlichen Gemeinschaft als unumstritten gelten.

Autosomal dominante Gene Bei den Hoch-Risiko-Genen lassen sich im Wesentlichen autosomal dominant wirkende Gene von autosomal rezessiv wirkenden Genen unterscheiden. Bei den dominanten Genen reicht die Mutation in einem der beiden elterlichen Genkopien (Allele) aus, um die Erkrankung zu verursachen. Dominante Vererbungsmuster sind daher typischerweise durch einen »vertikalen« Vererbungsweg gekennzeichnet, d.h. die Erkrankung vererbt sich über die Generationen hinweg. Kinder von Betroffenen haben ein 50%iges Risiko das mutierte Allel zu erben, und auch selber wieder weiterzugeben. Durch reduzierte Penetranz (d.h. die Erkrankung kommt trotz Vorhandensein des Krankheitsallels nicht zum Ausbruch), kann dieser Vererbungsmodus jedoch unentdeckt bleiben. α-Synuklein α-Synuklein wurde 1997 als erstes Par-

kinson-Gen überhaupt in einer großen autosomal dominanten italienischstämmigen Familie identifiziert [16]. Als pathogene Mutation wurde eine

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Aminosäureveränderung von Alanin nach Threonin auf Position 53 (A53T) gefunden. Interessanterweise hat das orthologe Ratten-Gen genau an homologer Position ein Threonin als Wildtyp-Allel. In zahlreichen Nachfolgeuntersuchungen bei mehreren tausend Parkinson-Patienten konnten lediglich zwei weitere Aminosäureveränderungen gefunden werden (A30P und E46K) [17,18]. Dieses Gen war daher lange Zeit umstritten. Dies änderte sich 2003, als in einer Familie mit autosomal dominantem Parkinsonismus eine Triplikation des Wildtyp α-Synukleins als genetische Ursache identifiziert werden konnte [19]. Der Phänotyp in dieser Familie ist durch einen rasch progredienten Verlauf mit Demenz charakterisiert. In Nachfolgeuntersuchungen konnten zwei weitere Familien mit Multiplikationen dieses Gens identifiziert werden [20,21]. Bemerkenswerterweise sind Schweregrad und Erkrankungsbeginn von der Gendosis abhängig; Patienten mit einer Triplikation haben eine schwerere Verlaufsform und einen früheren Krankheitsbeginn als Patienten mit einer Duplikation. Insgesamt aber stellen Mutationen in diesem Gen eine sehr seltene Ursache für autosomal dominanten Parkinsonismus dar. Wie bereits oben erwähnt, können bestimmte allelische Varianten im α-Synuklein-Gen das Risiko auch bei der sporadischen Form von M. Parkinson erhöhen. Im Unterschied zu den Aminosäureveränderungen und Multiplikationen sind diese allelischen Varianten aber nur mit einer geringgradigen Erhöhung des Risikos assoziiert (Odds Ratio ~1.5). Interessanterweise konnte gezeigt werden, dass diese Risikovarianten auch mit einer veränderten Expression des Gens in Blut und Gehirn einhergehen [22,23]. α-Synuklein ist ein vergleichsweise kleines Protein. Es kodiert für 140 Aminosäuren und ist sowohl zytoplasmatisch als auch an präsynaptischen Vesikelmembranen lokalisiert [24]. Die physiologische Rolle von α-Synuklein ist nicht vollständig geklärt. α-Sy-

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nuklein dürfte eine Rolle im VesikelTransport an der präsynaptischen Membran spielen. Darüber hinaus vermutet man eine Rolle bei Lernprozessen und neuronaler Plastizität. Mutantes α-Synuklein zeigt in vitro eine erhöhte Tendenz zur Bildung pathogener Fibrillen und Oligomere. Diese haben ähnlich wie Bakterientoxine die Eigenschaft, Vesikelmembranen zu zerstören [25]. Bemerkenswert ist, dass α-Synuklein ein wesentlicher Bestandteil der Lewy Körperchen ist [26]. Mittlerweile gibt es mehrere unterschiedliche Tiermodelle für α-Synuklein. Transgene Mäuse, die ein mutiertes α-Synuklein exprimieren, zeigen ein uneinheitliches Bild. Einige dieser Stämme weisen neuronale Atrophie, dystrophe Neuriten und α-Synuklein positive Einschlusskörperchen auf, andere Stämme bleiben neuropathologisch unauffällig [27]. Überraschenderweise stellt gerade die Fruchtfliege Drosophila melanogaster, die kein orthologes α-Synuklein-Gen besitzt, ein sehr gutes Tiermodell dar. Transgene Fliegen weisen neben Lewy Körper-ähnlichen-Synuklein-Einschlüssen eine Degeneration dopaminerger Zellen sowie Bewegungseinschränkungen auf, die sich mit L-Dopa Gabe verbessern [28]. Leucine Rich Repeat Kinase 2 (LRRK2) LRRK2 wurde 2004 als verantwortliches Gen für den zwei Jahre zuvor entdeckten Park 8-Lokus identifiziert [29, 30]. Dieser Genlokus wurde ursprünglich in einer japanischen Familie mit autosomal dominantem Parkinsonismus auf Chromosom 12 kartiert [31]. Zahlenmäßig stellen Mutationen im LRRK2-Gen die wichtigste genetische Ursache des spät beginnenden M. Parkinson dar. Ca. 1 % der sporadischen Fälle und bis zu 5-10 % der autosomal dominanten Fälle sind durch Mutationen in diesem Gen erklärbar [32]. Patienten mit LRRK2-Mutationen sind klinisch von idiopathischen Fällen nicht unterscheidbar. Sie haben in der Regel einen späten Krankheitsbeginn (~60 a) und sprechen gut auf

die medikamentöse Therapie an [33]. Bis heute wurden über 20 unterschiedliche Variationen gefunden, die im Verdacht stehen als Hoch-Risiko-Allele zu fungieren, aber nur bei fünf Variationen konnte der definitive Beweis erbracht werden. Einer ganz bestimmten Mutation, bei der die Aminosäure Glycin auf Position 2019 durch Serin ersetzt ist (G2019S) kommt auf Grund ihrer Häufigkeit eine besondere Bedeutung zu. Abhängig von der jeweiligen Bevölkerungsgruppe kann die Häufigkeit der G2019S-Mutation in sporadischen Parkinson-Patienten zwischen 0.5-1 % (Deutschland, Österreich) [34], 2 % (Norwegen), 4-5 % (Irland, Italien, Spanien) [35-37] und 20-40 % (Aschkenasim-Juden, nordafrikanische Berber) [38,39] betragen. Man vermutet, dass alle heute lebenden G2019SMutationsträger von nur wenigen Vorfahren abstammen. So genannte Haplotyp-Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass sie vor ca. 700 bzw. 2000 Jahren gelebt haben müssen [40,41]. G2019S-Träger haben eine reduzierte Penetranz; nur jeder dritte Mutationträger wird im Laufe seines Lebens auch tatsächlich krank [42,43]. Die Ursache dafür ist unbekannt und Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen. In einem außergewöhnlichen Forschungsansatz versucht Sergey Brin, Mitbegründer der Internetsuchmaschine Google und selbst Träger der G2019SMutation, der Antwort auf diese Frage näher zu kommen. Sergey Brin hat eine Kampagne gestartet, in der weltweit Parkinsonpatienten aufgefordert werden, in einem detaillierten epidemiologischen Fragebogen Auskunft über Gesundheitsstatus und Lebensgewohnheiten zu geben, und diesen mit einer Speichelprobe seiner Forschungsgruppe zur Verfügung zu stellen. Die Speichelprobe wird auf die G2019S-Mutation untersucht und die Daten statistisch ausgewertet. Ungenauigkeiten in der Diagnose oder Lücken in den Fragebogen, wie sie bei einem derartigen Ansatz zwangsläufig auftreten, werden dabei bewusst in Kauf genommen und

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durch die große Anzahl an Patienten mehr als wettgemacht. In einem ersten Pilotversuch konnte so herausgefunden werden, dass Parkinson-Patienten überdurchschnittlich häufig auch am autosomal rezessiven Morbus Gaucher leiden [44]. Diese Erkenntnis, die wenige Jahre zuvor durch aufwändige Untersuchungen gewonnen werden konnte (siehe unten), wurde hier quasi per Mausklick bestätigt. Vor wenigen Jahren konnten zwei weitere Aminosäureveränderungen in die-

sem Gen identifiziert werden (R1628P und G2385R), die das Risiko auf etwa das 3fache erhöhen und somit eher wie Niedrig-Risiko-Varianten wirken. Die beiden Varianten kommen aber fast ausschließlich in der asiatischen Bevölkerung vor [66, 67, 68]. Wie bereits oben erwähnt, wurden bei GWAs in diesem Gen auch andere Niedrig-Risiko-Allele identifiziert. Wie genau diese Varianten das Risiko erhöhen, ob über eine Veränderung der Proteinstruktur oder durch eine Veränderung

der Proteinmenge, ist derzeit unbekannt. Ein bemerkenswerter Befund in LRRK2Familien ist die große neuropathologische Variabilität. Histopathologische Untersuchungen in einer Familie mit derselben Mutation ergaben unterschiedliche Befunde. So fanden sich Patienten mit typischen Lewy Körperchen, Patienten, die eine nigrale Degeneration ohne Lewy Körperchen aufwiesen, Patienten, die neurofibrilläre Tangles vom Alzheimer-Typ zeigten

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und schließlich Patienten mit diffus verteilten Lewy Körperchen, ähnlich dem Bild einer Demenz mit Lewy Körperchen [29]. Man nimmt daher an, dass LRRK2 im molekularen Stoffwechselweg der Erkrankung eine übergeordnete Position einnimmt. Möglicherweise stellen Mutationen im Gen primär die Weichen in Richtung Neurodegeneration, und weitere bislang unbekannte Faktoren entscheiden, ob es, wie in den meisten Fällen, zum typischen M. Parkinson mit Lewy Körperchen kommt, oder ob eine andere neurodegenerative Pathologie das Bild prägt. LRRK2 ist ein vergleichsweise großes Gen; es besteht aus 51 Exons und kodiert für 2527 Aminosäuren. Es gehört in die erst vor wenigen Jahren beschriebene Gruppe der so genannten ROCO Proteine [48,49] und besteht aus mehreren Proteindomänen. Es ist ein membranständiges zytoplasmatisches Protein, dessen genaue physiologische Funktion zum jetzigen Zeitpunkt noch unbekannt ist. In einer vor wenigen Monaten veröffentlichten Studie konnte gezeigt werden, dass LRRK2 über die Bindung an kurze regulatorische RNA-Proteinmoleküle (miRNA) einen hemmenden Einfluss auf die Synthese bestimmter Proteine hat [50]. Unter anderem konnte eine verminderte Synthese des Proteins E2F1 beobachtet werden. E2F1 ist als Anti-Onkogen bekannt, und spielt seinerseits in der Regulation des Zellzyklus eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Parkinsonpatienten ein geringeres Krebsrisiko zu haben scheinen [51,52]. Ob und inwieweit dieser Mechanismus für die Pathogenität von LRRK2 verantwortlich ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Kürzlich wurden die ersten Ergebnisse von LRRK2-Mausmodellen veröffentlicht [53]. Transgene Mäuse, die eine pathogene Mutation (R1441G) im LRRK2-Gen tragen, zeigen eine für die Erkrankung charakteristische Bewegungsarmut. Diese nimmt mit dem Alter der Mäu-

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se zu, und verbessert sich bei L-Dopa Gabe. Im Striatum findet sich eine Verminderung des extrazellulären Dopamins. Darüber hinaus finden sich morphologische Veränderungen in den Axonen dopaminerger Neurone. Sie erscheinen dystroph und fragmentiert. Lewy Körperchen wurden jedoch nicht beobachtet. Für die pathogene Wirkung von LRRK2 scheint eine bestimmte Kinase Proteindomäne eine entscheidende Rolle zu spielen. In vitro Untersuchungen deuten darauf hin, dass die G2019S-Mutation eine Erhöhung dieser KinaseAktivität bewirkt [54,55]. Ist diese Kinase-Domäne jedoch inaktiviert, verliert LRRK2 auch seine pathogenen Eigenschaften [56,57]. Diese Erkenntnisse eröffnen einen neuen therapeutischen Ansatz. Substanzen, die die Kinase Domäne inhibieren, könnten so der pathogenen Wirkung von LRRK2 Mutationen entgegenwirken. Dieses Jahr konnte in einer Aufsehen erregenden Arbeit in LRRK2 Mausmodellen eine positive Wirkung von Kinase-Inhibitoren auf den Zelltod in vivo gezeigt werden [58]. Glucocerebrosidase (GBA) Der Morbus Gaucher ist weltweit eine der häufigsten autosomal rezessiven Erkrankungen. Die Prävalenz in Mitteleuropa liegt bei ca. 1:160.000. Infolge von Mutationen im Glucocerebrosidase-Gen (GBA) kommt es zu einem Mangel dieses Enzyms und zu einer pathologischen Anreicherung von Glucocerebrosiden in den Lysosomen von Makrophagen und Monozyten. In der Folge kommt es zu einer Reihe von schweren Symptomen mit entzündlicher Zerstörung innerer Organe. Dabei kann es auch zu einer neurologischen Manifestation mit Neurodegeneration und Demenz kommen [59]. In einzelnen Fallberichten konnte eine Häufung von Parkinson-Fällen in Familien mit Morbus Gaucher bereits vor über 10 Jahren gezeigt werden [60,61]. In darauf folgenden systematischen Untersuchungen in vielen tausend ParkinsonPatienten fand sich eine signifikante

Häufung von heterozygoten GBAMutationen bei M. Parkinsonpatienten [62-64]. Dabei erhöht sich das Risiko für Mutationsträger um ca. das 5 fache.

Autosomal rezessive Gene Im Unterschied zu dominant wirkenden Genen müssen bei rezessiven Genen beide elterliche Genkopien mutiert sein, damit es zur klinischen Manifestation kommt. Da die Eltern von betroffenen Kindern nur jeweils ein mutiertes Allel tragen sind sie klinisch gesund. Ein Kind heterozygoter Eltern erbt mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 % beide mutierte Allele; und nur in diesem Fall kommt es auch zur Erkrankung. Rezessive Parkinson-Gene sind typischerweise durch einen frühen Krankheitsbeginn charakterisiert (Erkrankungsbeginn

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