Gedenkveranstaltung der DGB-Jugend Bayern zur Reichspogromnacht

Gedenkveranstaltung der DGB-Jugend Bayern zur Reichspogromnacht 09.11.2014 Rede von BJR Präsident Matthias Fack - Es gilt das gesprochene Wort - Seh...
Author: Jacob Blau
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Gedenkveranstaltung der DGB-Jugend Bayern zur Reichspogromnacht 09.11.2014

Rede von BJR Präsident Matthias Fack - Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Gäste, liebe Freundinnen und Freunde aus der Jugendarbeit, liebe Vertreterinnen und Vertreter der DGB-Jugend, In diesem Jahr jährt sich zum 100. Mal der Beginn des 1. Weltkriegs. In diesem Jahr jährt sich zum 75. Mal der Beginn des 2. Weltkriegs. 76 Jahre ist es her, dass es zu deutschlandweiten organisierten Übergriffen gegen jüdische Mitbürger und jüdische Einrichtungen kommt. Wir gedenken in diesem Jahr dem Beginn vieler schrecklicher Ereignisse und schrecklicher Taten. Und gleichwohl blieb es nicht bei bloßer Unterdrückung, wie uns dieser Ort immer wieder, schmerzhaft und erschütternd zugleich vor Augen führt. Nein das tat es nicht. Verfolgung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden gerade in Deutschland systematisiert, administriert und in eine perverse Perfektion getrieben. Heute hier stehen zu dürfen, an diesem Ort, und die Gedenkrede halten zu dürfen anlässlich des 77. Jahrestages der Reichspogromnacht ist für mich eine große Ehre und von hoher persönlicher Bedeutung. Ich möchte mich recht herzlich bei euch von der DGB-Jugend für die Einladung bedanken, heute die Gedenkrede zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus halten zu dürfen. Meine Damen und Herren, der Nationalsozialismus ist bei Leibe nicht eine Epoche, deren Spukgespenst erst 1933 begann und 1945 mit dem zweiten Weltkrieg endete. Gerade die letzten

Monate haben uns vor Augen geführt, dass der braune Spuk weiter sein Unwesen treibt. Die Umtriebe der NSU sind nur ein kleiner, wenn auch medial sehr präsenter, Teil dessen, was auch heute noch da ist. Dabei sind es nicht nur terroristische und öffentliche Gewaltakte. Nein. Der Nationalsozialismus und seine menschenverachtende Ideologie haben auch heute noch einen Platz – mitten in unserer Gesellschaft. Mal offen, mal versteckt, mal laut und manchmal völlig unbedarft und unbewusst. Was bedeutet das aber für uns? Was bedeutet es für die junge Generation, deren Aufgabe, Zuschreibung aber auch Wunsch es ist, die Zukunft zu gestalten. Was also ist unsere Antwort? Nichts drückt es meine ich besser aus, als das Motto, unter dem diese Gedenkveranstaltung steht: Erinnerung muss leben! „Nur wer die Vergangenheit kennt, (…) kann die Zukunft gestalten“ Dieser vielfach zitierte Satz August Bebels, drückt das aus, woran und wofür wir arbeiten. Die Gestaltung der Zukunft ist gerade für die Jugendarbeit und den Bayerischen Jugendring, als Vertreter der nachfolgenden Generationen, ein zentrales, wenn nicht das zentrale Thema. Heute gedenken wir des Pogroms im Jahre 1938, der verharmlosend auch Reichskristallnacht genannt wird. Kristalle sind ja etwas wertvolles, etwas schönes. Das, was in der Nacht vom 9. Auf den 10. November geschah hat nichts, aber auch gar nichts schönes an sich. Und wenn wertvoll, dann nur im übertragenen Sinn. Wertvoll im Ermahnen des Erinnerns: Es darf nicht wieder sein. Dies ist Auftrag und Aufgabe zugleich. Für diesen Auftrag und diese Aufgabe stehen Jugendverbände seit Jahrzehnten ein. Die DGB Jugend gedenkt und erinnert daran, jährlich hier auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau, bereits seit dem Jahr 1953. Damit ist diese Gedenkveranstaltung das „längste Gedenkprojekt einer 1

Nichtverfolgtenorganisation in der Bundesrepublik“ das bis heute fortbesteht. Und es ist bei Weitem nicht das einzige Gedenkprojekt aus den Reihen der bayerischen Jugendarbeit. Es gibt eine weitere Vielzahl jährlich wiederkehrender Gedenkveranstaltungen und Seminare, die sich entweder dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus widmen oder sich unter dem Aspekt der Politischen 1

Barbara Distel, langjährige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau

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Bildung mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzten. Darunter auch viele internationale Jugendbegegnungen. Dachau ist mit seiner Geschichte auch ein Bezugsort für Europa geworden. Hier waren 200.000 Menschen aus ganz Europa interniert, hier wurden 41.500 aus vielen unterschiedlichen Nationen ermordet. Insofern sind gerade internationale Jugendbegegnungen notwendig und dazu gut geeignet, sich mit den Ereignissen dieser Zeit zu beschäftigen und sich ihrer zu erinnern. Seien es also… 

die Gedenkveranstaltungen der Falken und der DGB-Jugend in den KZGedenkstätten Flossenbürg und Dachau



die internationalen Jugendbegegnungen der evangelischen Jugend in Flossenbürg und im Max-Mannheimer-Studienzentrum hier in Dachau



das DokuPäd in Nürnberg: Pädagogik rund ums Dokumentationszentrum. Eine Einrichtung des KJR Nürnberg-Stadt.



die Transnationale Erinnerungsarbeit im deutsch-tschechischen Jugendaustausch von TANDEM



die Jugendbegegnungsstätte am Tower des KJR München-Land mit ihren Jugendbegegnungen



oder zeitgeschichtliche Projekte zum Nationalsozialismus in München durch den KJR München-Stadt, der demnächst Kooperationspartner des Dokumentationszentrums München werden wird.

… um nur einige zu nennen. Der BJR hat die pädagogische Arbeit an den Gedenkstätten und die Erinnerungsarbeit im Allgemeinen immer begleitet, gefördert und unterstützt und wird dies auch in Zukunft tun. In den Anfangsjahren war der Bayerische Jugendring 2

Mitveranstalter dieser Gedenkveranstaltung. Anfang/Mitte der 80er Jahre ,als die Politik Gedenkstättenpädagogik noch nicht eindeutig als gesellschaftliche Aufgabe formuliert hatte, gab es bereits eine Arbeitsgruppe des BJR, die Überlegungen angestellte, wie die pädagogische Arbeit an der KZ Gedenkstätte verbessert werden kann.

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Der BJR war von 1958 bis 1977 zentral an der Organisation der Gedenkveranstaltung beteiligt. Vgl. Petra Schreiner, Veränderungen des Gedenkens. Die Gedenkfeiern der bayerischen Gewerkschaftsjugend im ehemaligen Konzentrationslager Dachau 1952 - 2006, München: Herbert Utz Verlag 2008 (Dachauer Diskurse Bd. 3), hier: S. 125.

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Das Ergebnis war die Konzeption für die internationale Jugendbegegnungsstätte Dachau und Überlegungen, für die dort stattfindende Bildungsarbeit mit jungen Menschen (verabschiedet auf dem HA 1986, siehe Schriftenreihe des BJR Nr. 19, Lernort Dachau). Die Erinnerungs- und Gedenkstättenkultur hat, vor allem auch Mitte der 90er Jahre, auch auf Initiative von politischen Entscheidungsträgern an Bedeutung gewonnen. Sie ist ein wichtiger Bestandteil der Politischen Bildung geworden. Endlich könnte man sagen. Denn bis dahin war unsere Arbeit gekennzeichnet von Widerstand derjenigen, die es in der Macht gehabt hätten uns zu unterstützen. Viel zu oft wurde das Handeln der Jugendarbeit gegen rechts abgetan mit dem Hinweis, wir seien ein linker Haufen und uns sei nicht zu trauen. Es ging und geht nicht darum, dass linkes Gedankengut verbreitet werden sollte. Es ging und geht um nichts anderes als das Eintreten für Menschenrechte und Gerechtigkeit. Durch Erinnern und der Arbeit des Erinnerns in der historischpolitischen Bildung. Im Zentrum dieses Erinnerns stehen die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Politische Bildung ist ein Grundanliegen und eine der wichtigsten Aufgaben des BJR als einem Zusammenschluss von demokratischen Jugendorganisationen und Jugendverbänden; und zwar bereits schon seit der Gründung 1947. Auch Generationen nach dem beispiellosen Zivilisationsbruch, ist uns das Erinnern und Gedenken immer noch eine Verpflichtung, ein Auftrag, allein schon deshalb, um die Opfer dem Vergessen zu entziehen und den Nummern von damals ein Gesicht, einen Namen und wenigstens einen kleinen Teil ihrer Menschenwürde wiederzugeben, derer sie bestialisch und gnadenlos beraubt wurden. Darüber hinaus ist es aber eben auch ein ethischer und pädagogischer Auftrag. Er liegt nicht in einer irgendwie gearteten Schuld begründet, denn natürlich ist es so, dass die heutige junge Generation nicht für die Untaten der Vorgenerationen schuldig gemacht werden kann und darf. Die heutige junge Generation kann aber wieder schuldig werden, dann nämlich, wenn sie sich nicht ihrer Verantwortung stellt; der dass es nicht mehr geschieht. Es gilt, von der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Und dies in dreifacher Hinsicht:

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1. Es gilt kognitiv zu lernen und Zusammenhänge zu verstehen. Etwa Mechanismen zu erkennen, wenn Macht in Herrschaft umschlägt, wenn sie willkürlich wird. Dazu ist es, zumal hier in Deutschland, notwendig, sich mit dem Phänomen Nationalsozialismus in seinen soziologischen und psychologischen Dimensionen auseinander zu setzen. Erst dann können das Aufkeimen von Rassismus und Gewaltherrschaft im Anfangsstadium verstanden werden; auch wenn es noch so harmlos an den Stammtischen klingen mag, unter dem Deckmantel eines trunkenen Wohlfühlgerechtigkeitssinns. 2. gilt es emotional zu lernen und Mitgefühl zu empfinden oder manchmal auch erst zu entdecken, wenn Menschen, gar ganze Menschengruppen, ausgegrenzt und entrechtet werden. Mitgefühl als Triebfeder wahrzunehmen für das Streben nach Gerechtigkeit, ohne dass es in unserer Gesellschaft nicht gehen kann. Mitgefühl als Grundbedingung zu verstehen als ein gelebtes Verständnis der Menschenrechte. 3. Der nächste Schritt aber, der dritte erst, macht unsere Demokratie stabil und wehrhaft. Es sind die praktischen sozialen und politischen Kompetenzen, die es zu entfalten gilt. Das Sich-Einmischen, das NichtWegsehen, das Aufstehen, auch wenn Mehrheiten noch nicht offensichtlich sind, das Offene Bekennen zu den Menschenrechten, Position zu beziehen, Politisch handeln zu lernen: hierzu leistet historischpolitische Bildung einen wichtigen Beitrag. Denn vieles lässt ich eben erst „ex post“ verstehen, und dann hoffentlich mit Gewinn in der Zukunft umsetzten. Aus all diesen Gründen ist es also im wahrsten Sinn des Wortes Not-wendig, sich zu erinnern und aus dem sich erinnern auch Konsequenzen in der Einstellung und im eigenen Handeln zu ziehen. Und dass dies gelingt zeigt die offene Art und Weise, wie die Gesellschaft heute mit Flüchtlingen aus fremden Ländern umgeht. Es herrscht der Wunsch vor, zu helfen, zu unterstützen. Und diese tätige Solidarität ist es, für die wir stehen wollen, die mit uns in Verbindung gebracht werden soll. In ihr setzen wir ein deutliches Zeichen des „Nie wieder!“

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Wie kann die künftige Entwicklung der ob beschriebenen Erinnerungsarbeit praktisch aussehen? Dazu ein paar Gedanken zum Schluss. Methoden und Konzepte der Erinnerungsarbeit stehen aktuell an einem Scheideweg. Die kommende Generation wird absehbar nicht mehr direkte Kontakte mit Zeitzeuginnen und -zeugen haben können. Die Erinnerungsarbeit steht damit vor der Herausforderung, dass rechtzeitig und fortlaufend neue, zeitgemäße Methoden zu entwickeln sind. Erinnerungs- und Gedenkorte müssen so gestaltet sein, dass sie junge Menschen ansprechen und sie motivieren, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen. Gedenk- und Erinnerungsorte müssen zu jugendgerechten Lernorten (weiter-) entwickelt werden. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik hat vorletzte Woche die Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendrings auf Initiative aller Landesjugendringe beschlossen. Die Lücke, die Zeitzeuginnen und -zeugen hinterlassen werden, wird nur ansatzweise kompensiert werden können. Dazu gibt es bereits heute didaktische Hilfsmittel, wie beispielsweise vorbereitete Lernumgebungen, die zur Beschäftigung mit einzelnen zielgruppenspezifischen Biografien anregen, oder etwa das Angebot von ausgebildeten "Peer-guides" bzw. "Scouts" (Gleichaltrige führen Gleichaltrige). Diese Ansätze gilt es in der Fläche zu verfolgen und stetig weiterzuentwickeln. Der Einsatz und die Nutzung verschiedener Medien und Tools, wie beispielsweise QRCodes oder Audio- und Videoguides, sind in unserer heutigen digitalen Gesellschaft ein wesentlicher Bestandteil eines zeitgemäßen, individuellen und zielgruppengerechten Zugangs zu den Lerninhalten. Auch in der immer noch verstörenden Konfrontationen mit dem Leid der Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft, sollten diese jugendgerechten Medien daher nicht fehlen. Letztlich ist es das Erinnern und sind es all jene, die dies tun, welche den wichtigsten Beitrag für den Frieden in unserer Gesellschaft und in der Welt leisten. „Nur wer die Vergangenheit kennt, (…) kann die Zukunft gestalten“ Erinnerung muss leben!

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