TEUTOPRESS

„Deutscher Filmpreis“-Gala in Berlin (31. Mai)*: Mit unerschrockenem Willen zur Show

Fi l m

Das Lachen macht’s Ob Komik oder Comic: Das neue deutsche Filmwunder, zunächst als banale Saisonerscheinung belächelt, hält an. Der Marktanteil einheimischer Lachnummern wächst. Dennoch droht ein jäher Absturz, wenn die auf BeziehungsHumoresken fixierte Branche nicht bald neue Themen und Töne ausprobiert.

A

ufbruchstimmung im deutschen Kino: Junge Regisseure mucken auf, verurteilen harsch das biedere Leinwandschaffen der Altvorderen: Der „Zusammenbruch des konventionellen deutschen Films“ sei nicht mehr abzuwenden, „dadurch hat der neue Film die Chance, lebendig zu werden“. Selbstbe-

Marktanteil des deutschen Films in Deutschland Besucherzahlen in Millionen

wußt fordern die zornigen jungen Männer „neue Freiheiten“. Ihr trommelwirbelndes Fazit: „Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.“ Das war vor mehr als drei Jahrzehnten. Im Jahr 1962 unterzeichneten Autorenfilmer wie Alexander Kluge, Edgar Reitz und Peter Schamoni jenen bedeutungsschweren Waschzettel, der als „Oberhausener Manifest“ den Anstoß zum – damals – Jungen Deutschen Film gab. Was * Romuald Karmakar, Götz George, Katja Riemann, Michael Verhoeven, Joseph Vilsmaier.

seit Kinostart

0,5

„Abgeschminkt!“

1,1

6,5

„Der bewegte Mann“

Quelle: FFA

„Ein Mann für jede Tonart“

die radikalen Herren sicher nicht ahnten: daß ihre eigenen Werke einmal mit genauso derber Kritik von der nachfolgenden Generation abgelehnt werden sollten. Genau das aber geschieht gerade. Manche Feststellungen und Forderungen des Oberhausener Fanals lesen sich, als wären sie erst gestern verfaßt worden: nur daß der kritisierte „konventionelle“ Film jetzt der klassische Autoren-Kunstfilm ist. Der sei „blutleer“, konstatiert etwa Nachwuchstalent Rainer Matsutani, und seine ehemaligen Macher seien, wenn

10,4 % Kinostart: 22. Feb. 1993

214

8,4 % 1993

DER SPIEGEL 38/1996

Kinostart: 1. Juli 1993

Kinostart: 13. Okt. 1994

1994

KU LT U R katastrophalen Marktanteil von etwa zehn Prozent abgesackt war, lag der Anteil in den ersten sieben Monaten dieses Jahres bei 21,9 Prozent. Bis einschließlich Juni hatte die deutsche Frischfilmware bereits mehr Zuschauer als alle germanischen Unterhaltungseskapaden im gesamten Vorjahr. Die „erstaunliche Entwicklung, die der deutschen Filmindustrie einen unerwarteten Adrenalinstoß versetzt hat“, wurde unlängst selbst in der New York Times gefeiert. Da dürfe „eine Zuversicht nisten“, befand auch die Frankfurter Allgemeine, „die nicht länger vage zu sein braucht“. Denn alle Zeichen deuten darauf hin, daß die gegenwärtige Hausse bis zum Jahresende anhalten wird. Sogar in den Sommermonaten konnten die Filmtheater mit einer erfolgreichen Heiterkeitsattacke aufwarten. Zum Auftakt machte der unkaputtbare Bierschlucker Werner in seinem zweiten Leinwandauftritt, „Werner – Das muß kesseln!!!“, die Highways rund um Kiel unsicher. Der Comic-Trip erreichte allein in den ersten vier Tagen mehr als eine Million Zuschauer – Rekord für einen deutschen Film. Der infantilen, aber ideensatten Zeichentrick-Arie folgte gerade eine weitere deftige Comic-Bearbeitung, der zum Realfilm umgebastelte Heftchenhit „Kondom des Grauens“– mit bizarren Kastrationen in einem New Yorker Stundenhotel (bisher 330 000 Zuschauer). Die Vorlage stammt – ebenso wie die des „Bewegten Manns“ – vom schwulen Star-Strichler Ralf König. Weniger drastisch und kalauerreich kommt die leicht- 21,9 % gewichtige Yuppie-Beziehungskiste „Workaholic“ daher, in der eine Frau den Mann ihres Lebens erst dann kriegt, als sie ihn fast um der Kinostart: J. RAKETE / PHOTOSELECTION

nicht verstorben, dann „senil“. Eine GarDank ihres populistischen Programms de begabter, an Filmhochschulen gut ge- stoßen die Erfolgsritter, die oft die Kodrillter Jungspunde hat sich darange- mikgiganten Ernst Lubitsch (1892 bis macht, das bankrotte, schon lange zum 1947) und Billy Wilder, 90, als Vorbilder Zuschauerschreck verkommene Autoren- angeben, auf unverhohlene Begeisterung prinzip zu beerdigen. Ihre These: Der alte bei den Zuschauern. „Mitte 1996 findet Film à la Kluge, Rainer Werner Fassbin- man sich mitten im neuen deutschen der, Wim Wenders, Werner Herzog und Filmwunder wieder“, staunt das BranMargarethe von Trotta ist am Ende – wirtschaftlich wie ästhetisch. Bei der Zeitenwende, die das deutsche Kino in diesen Tagen erlebt, geht es um mehr als einen schlichten Generationenkampf. Es geht um den unaufhaltsamen Aufbruch in die Ära des Entertainments: Ein „Anfang nach bleierner Zeit“, sagt erleichtert der Regisseur Hark Bohm, mit 57 Jahren selbst einer der Altvorderen. Statt sich in langatmigen Egotrips auf der Leinwand selbst zu verwirklichen, will die Mehrzahl der nachgewachsenen Filmemacher – von Sönke Wortmann, 37, Rainer Kaufmann, 37, und Detlev Buck, 33, bis zu Ralf Huettner, 41, Sherry Hormann, 36, und Katja von Garnier, 29 – nichts als kurzweilig sein. Ihr vornehmstes Ziel: Filme zu drehen, die den Zuschauer packen und unterhalten, Filme, „die ich auch selber sehen will“, sagt Wortmann, der Erfolgreichste des Entertainment-Stoßtrupps. Mit glattgeschmirgelten Lustspielen leisten die Spaß-Rebellen derzeit vor allem Basisarbeit am Regisseur Buck, Schauspieler Schweiger Zwerchfell der Deutschen – und Keine Angst vor den Massen beherzigen dabei die einfachen wirtschaftlichen Grundregeln, von denen chenblatt Film-Dienst. Film um Film ersich ihre kommerzkritischen Autoren- reicht derzeit siebenstellige BesucherVorfahren angewidert abgekehrt hatten: zahlen: zuletzt „Werner – Das muß kesdaß Film nicht nur ein keusches Kul- seln!!!“ (aktuell 4,9 Millionen), davor turgut ist, sondern auch schlicht eine „Echte Kerle“ (1,1 Millionen), „Das SuWare; daß daher der Markt immer mitbe- perweib“ (2,3 Millionen), „Männerpendacht werden muß; und daß eine filmi- sion“ (3,3 Millionen), „Stadtgespräch“ sche Infrastruktur nur dann wachsen und (1,7 Millionen), „Keiner liebt mich“ (1,3 gedeihen kann, wenn sie auch zahlende Millionen) und „Der bewegte Mann“ (6,5 Interessenten anlockt. Wer in einer Mas- Millionen). senindustrie Karriere machen will, darf Nach mehreren Jahren, in denen das keine Angst vor den Massen haben. sieche deutsche Filmschaffen auf einen

27. Juni 1996

1,7

„Das Superweib“

2,3

„Werner –

4,3 Das muß kesseln!!!“

FOTOS: CINETEXT; TIME; KINOARCHIV ENGELMEIER (2); CONSTANTIN FILM (2)

„Stadtgespräch“

9,4 % Kinostart: 26. Okt. 1995

Kinostart: 7. März 1996

1995

bis Aug. 1996 DER SPIEGEL 38/1996

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KULTUR

„Lieber sexy als nett“ Schauspielerin Jenny Elvers über ihr Image als Erotik-Star SPIEGEL: In Detlev Bucks Kinohit

„Männerpension“ haben Sie mit einer obszönen Geste Aufmerksamkeit erregt. War Ihnen die Szene peinlich? Elvers: Warum? Ich hab’ mal kurz den Minirock gelüpft – mit nichts drunter. Mir ist das nicht schwergefallen. Ich hab’ beim Drehen den Regisseur angeguckt, und der sah mir streng dienstlich nur in die Augen. SPIEGEL: Droht dem deutschen Film jetzt ein neues Superweib? Elvers: Das liegt am Betrachter. Nach der „Männerpension“ hat sich jedenfalls eine Menge geändert – viele Filmund TV-Angebote, außerdem kommt die schrägste Post von Männern, die sich gebrauchte Slips von mir wünschen. Da fühle ich mich überfordert. SPIEGEL: Haben Sie ein Imageproblem? Elvers: Ja, für manche Leute bin ich die doofe Blonde mit dem Riesenbusen. Ich kann mich ganz gut selbst auf die Schippe nehmen, aber wenn man den Mitmenschen ständig erklären muß, daß man in ganzen Sätzen sprechen kann, ist das doch ziemlich lästig. SPIEGEL: Wie wehren Sie sich? Elvers: Wer mich provozieren will und einen dieser blöden Blondinenwitze erzählt, muß damit rechnen, daß ich ihm 20 um die Ohren haue. SPIEGEL: Sie sind wohl nicht auf den Mund gefallen? Elvers: Das wird mir nachgesagt, seit ich 1990 in meiner Heimat Amelinghausen zur Heidekönigin gewählt worden bin. SPIEGEL: Was haben Sie angestellt? Elvers: Es gab Krach, als mir, nach der Wahl, jemand ein Blatt Papier in die Hand drückte: „Hier Ihre Rede.“ Wieso Rede, hab’ ich gefragt, wenn hier eine Ansprache gewünscht wird, dann halt’ ich sie selber. Blödsinn kann ich allein verzapfen. SPIEGEL: Und wahrscheinlich haben sich die braven Heidjer auch C. KELLER

Karriere willen sausenläßt – fast 590 000 Zuschauer wollten schon Augenzeugen sein. Weitere Frauenleiden werden in der Milena-Moser-Verfilmung „Die Putzfraueninsel“ (Start 10. Oktober) und in der Fruchtbarkeitsfarce „Irren ist männlich“ (Start 31. Oktober) zum Gelächter freigegeben. Die Deutschen trauen sich wieder in deutsche Filme. Mehr noch: Sie gehen zielstrebig in deutsche Leinwandkapriolen, um dort ihre neuen SchauspielerDarlings zu erleben: Katja Riemann und Til Schweiger. Die quirlige, patente Blonde („Stadtgespräch“) und der freche Frauenschwarm („Der bewegte Mann“), beide 32, sind die Vorhut eines echten neudeutschen Filmstar-Aufgebots. Denn lange waren es bloß die etablierten TV-Komiker, von Otto, Didi Hallervorden und Gerhard Polt bis zu Loriot, deren Zugkraft die Kinokassen füllten. Die Gagparaden dieser von der Zuschauergunst geadelten Nonsens-Barden gingen als Highlights der Lustigkeit durch – und verhinderten den vollkommenen wirtschaftlichen Absturz des Deutschfilms. Mit dem RuhrpottProleten Tom Gerhardt („Voll Normaaal“), dem Anti-Komiker Helge Schneider („Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“) und dem HessenDuo Badesalz („Abbuzze!“) lebt die humoristische Vulgärkultur weiter. Aber neben den bekannten Witzfiguren – und das ist entscheidend für den gegenwärtigen Boom – erleben die Schauspieler ihre Wiederauferstehung. Hinter den Zuschauermagneten Riemann und Schweiger wartet eine Riege hochbegabter junger Akteure auf den Starlet Elvers ganz großen Durchbruch – und etliche von ihnen haben sicher das Zeug zum Star: die dunkle Beauty Maria Schrader („Keiner liebt mich“), 31, auch der proletarische Narziß Jürgen Vogel („Sexy Sadie“), 28, der charmante Schurke Hannes Jaenicke („Nur aus Liebe“), 36, das pfiffige Girlie Heike Makatsch („Männerpension“), 25, und die strahlende Senkrechtstarterin Franka Potente („Nach fünf im Urwald“), 21. Auch anders gelagerte Talente finden ihr Plätzchen auf der Leinwand: Mit einer Unten-ohne-Szene in „Männerpension“ gelang es der opulenten Blondine Jenny Elvers, 23, „einen Fuß in die Tür zu kriegen“ (siehe Interview). Wo attraktive Stars jenseits der Graubart-Liga eines Götz George, Mario Adorf oder Harald Juhnke nachwachsen,

über Ihren vermeintlich liederlichen Lebenswandel erregt. Elvers: Die Leute waren entsetzt, daß ihre Skandal-Queen lieber PunkRock als die Wildecker Herzbuben hört, lieber Minirock als Dirndl trägt. Dabei habe ich meine Verpflichtungen immer brav erfüllt: nett sein und immer hübsch mit Blümchen in die Altenheime marschieren. SPIEGEL: Ein blonder Engel sind Sie aber nicht? Elvers: Nein, mir liegt die Hölle wohl näher als der Himmel. Ich bin eben, schon rein äußerlich, eine Femme fatale, und das bin ich gern. Das war meine Marktlücke, irgendwie muß man ja einen Fuß in die Tür kriegen. Natürlich will ich auch richtige Charakterrollen spielen. Es muß nicht gleich Shakespeare sein. Mit der schönen Hülle allein kommt man jedenfalls nicht weit. SPIEGEL: Bis Hollywood sind Sie schon gekommen. In drei Folgen der TV-Strandserie „Baywatch“ sind Sie dem Bademeister David Hasselhoff in die Arme gefallen. Elvers: Die Serie spielt in Malibu, und ich war keineswegs eine nymphomane Nixe, sondern eine Ertrinkende, die von David gerettet wird. SPIEGEL: Wie gefallen Ihnen die neudeutschen Kino-Komödien? Elvers: Sehr. Allerdings finde ich die schwule Welt à la „Der bewegte Mann“ langsam nervig. Warum nicht mal wieder was stinknormal Heterosexuelles oder Sozialkritisches? SPIEGEL: Was können wir von Ihnen erwarten? Elvers: Eine Menge. Bei RTL spiele ich demnächst in der 13teiligen Serie „Nikola“ eine wirklich schöne Rolle, ein freches, selbstbewußtes Girlie. Gern würde ich auch Theater spielen, zum Beispiel die „Jungfrau von Orleans“. SPIEGEL: In der „Männerpension“ mußten Sie sich noch mit der Unterleibsrolle begnügen. Waren Sie enttäuscht über das Angebot? Elvers: Es ist doch eine Ehre, mit Buck zu drehen. Außerdem habe ich anschließend bei ihm eine Hauptrolle in dem erotischen Kurzfilm „Der Elefant vergißt nie“ gespielt – mit Höschen.

DER SPIEGEL 38/1996

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KULTUR

Film-Thema Homosexualität („Kondom des Grauens“, „Stadtgespräch“): Nette Chauvis und lechzende Tunten

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DER SPIEGEL 38/1996

KINOARCHIV / ENGELMEIER

BUENA VISTA

autoren und Kameraleute herangezogen; seit neuestem gibt es gar ein Studienfach „Produktionsmanagement“. Auch die etablierten Filmhochschulen in München oder Berlin bieten seit einigen Jahren verstärkt Ausbildungsgänge für jenes Jungvolk, das organisatorisch hinter den Kameras tätig werden will. Dadurch bilden sich häufig bereits im Klassenzimmer regelrechte „Familien“ (Riemann), in denen sich Talente der einzelnen Berufssparten zusammentun, weil „man gesehen hat: Man brennt für die gleichen Ziele, man spricht die gleiche Sprache“, sagt der Schauspielstar. An der Münchner Filmhochschule hat der Nachwuchsproduzent Jakob Claussen sein Fach gelernt; er und sein Partner Thomas Wöbke haben den Außenseitererfolg dieses Frühjahrs, „Nach fünf im Urwald“ (Regie: Hans-Christian Schmid), als Produzenten verantwortet – und gelten als leuchtendste Hoffnungsträger ihres Fachs. Mit Claussen & Wöbke, aber auch anderen, marktbeflissenen Jungteams wächst ein Berufszweig nach, der lange fast abgestorben war. „Ich war in meinem Jahrgang noch der einzige“, erinnert sich Claussen, „der sich ganz explizit als Produzent an der Hochschule beworben hatte.“ Seit den siebziger Jahren konnte vom deutschen Film allein kein Produzent leben; wer Erfolg haben wollte, lieferte vor allem dem Fernsehen zu – und erlaubte sich allenfalls gelegentlich, als Zuckerbrot im TV-Alltag, einen „großen“ Leinwandfilm. In der deutschen Filmwirtschaft ging es vor allem darum, bei den verschiedenen Fördereinrichtungen des Bundes und der Länder so viel Geld zusammenzukratzen, daß man drehen konnte. Ohne diese Gremiengelder – insgesamt jährlich

KINOARCHIV / ENGELMEIER

ist auch der Glamour nicht mehr weit. branche, daran, daß Produzent, Regisseur Die Verleihung der deutschen Filmpreise, und Drehbuchautor jeweils ihren eigenen lange so aufregend wie das Jahrestreffen Job erledigen – und nicht die ganze Verdes Schrebergarten-Verbands, imitiert antwortung in Hand und Hirn eines einmittlerweile die Oscar-Gala Hollywoods zelnen, eben des „Autors“, liegt. – zwar noch ein bißchen bieder, aber mit Die pragmatischen Youngster wisunerschrockenem Willen zur Show. Die sen auch, daß Inspiration allein nicht Herren tragen Smoking, die Damen zei- reicht, sondern daß man pauken kann gen Kurven unter Pailletten und Straß. (und muß), wie ein Film dramaturgisch Daß eine erfolgreiche Filmwirtschaft aufgebaut wird – im Zweifel anhand auf jeden Fall Stars braucht, zählt zu den von Wie-schreibe-ich-ein-DrehbuchLehren, die die neuen Macher und Mächtigen der Leinwandwelt aus dem kommerziellen Scheitern ihrer Vorfahren gezogen haben. „Es ist absolut neu“, sagt Mechthild Holter, die als Chefin der zur Zeit erfolgreichsten deutschen Schauspieleragentur „Players“ viele der jungen Wilden betreut, „daß mit Blick auf ganz bestimmte Schauspieler ein Drehbuch geschrieben, ein Projekt gepackagt wird.“ Zu Zeiten der Autorenfilmer wäre das undenkbar gewesen. Denn Wenders („Paris, Texas“), Herzog („Fitzcarraldo“), Schlöndorff („Die Blechtrommel“) und von Trotta („Die bleierne Zeit“) hatten andere Ziele, als Stars neben sich heranzuziehen. Einzige Regisseurin Hormann Ausnahme war Fassbinder, der Der Spaß-Faktor muß stimmen zielstrebig die Aktrice Hanna Schygulla aufbaute. „Mit einer gewissen Ratgebern aus den USA. Die straff Egomanie“, kritisiert der einflußreiche durchgeplante Filmfertigung in Amerika Altproduzent Günter Rohrbach, „haben „ist kein Feindbild mehr“, sagt Katja Riedie Autoren sich damals an die Stelle von mann, die sich wie keine zweite Schauallem und jedem gesetzt. An die Schau- spielerin für den Unterhaltungsfilm ihrer spieler als die eigentlichen Träger der Fil- Generation engagiert, „sondern eher ein me für die Zuschauer haben sie nicht ge- Vorbild“. glaubt.“ Das hat sich gerächt. Dieses „handwerkliche Bewußtsein“ Im Gegenzug geben sich jetzt die Re- habe den deutschen Leinwandhoffnungisseure der neunziger Jahre mit kalku- gen viel zu lange gefehlt, glaubt Hark lierter Bescheidenheit als „Teamworker“ Bohm, der 1988 einen „Aufbaustudienund „Handwerker“ (Wortmann) aus; gang Film“ an der Hamburger Universität nicht als Alleinherrscher, Großdenker initiiert hat, um genau diesem Mangel und Weltverbesserer. Sie glauben an abzuhelfen: In der Hansestadt werden die klassische Arbeitsteilung der Film- jetzt unter anderem praxisnah Drehbuch-

* Mit Alexander Kluge (obere Reihe, 5. v. l.), Rainer Werner Fassbinder (8. v. l.), Wim Wenders (9. v. l.) sowie Hark Bohm (untere Reihe, r.).

Filmstar Schygulla (1980) Wut, Trauer und Betroffenheit

gewalttätigen und bigotten Gesellschaft, und die Kinogänger hatten beim anschließenden Kneipenbesuch jede Menge Stoff, um die drängendsten Fragen der Zeit zu erörtern. Wut, Trauer und Betroffenheit verwandelten sich in Erkenntnis, Ästhetik in Politik – so, wie bei den Filmemachern zuvor politische Motive in ästhetische übersetzt worden waren. Die neuen Spaß-Filme hingegen reagieren auf einen Werte- und Wahrnehmungswandel, der nicht allein mit einer Entpolitisierung zu erklären ist. Er speist sich aus fundamentalen Umwälzungen in der deutschen Psyche. Allein die Seherwartungen der durchschnittlich 14- bis 29jährigen Filmzuschauer haben sich dramatisch verändert.

Die in einer Videoclip- und ComputerKultur aufgewachsenen Jugendlichen sind programmiert auf rapide aufeinanderfolgende Augen-Stimuli. Einem Spannungsbogen folgen sie nur noch, wenn dieser „kürzer als beim Pinkeln“ ist, glaubt Dieter Kosslick, Chef der Filmförderung Nordrhein-Westfalen. Auch wer sich mit Ecstasy und anderen Pillen in ein nächtelanges DauerHigh auf der Tanzfläche versetzen kann, ist nicht mehr bereit, im Kinosessel eine Viertelstunde auf den nächsten Lacher zu warten. Der Spaß-Faktor muß stimmen – von jetzt auf gleich. Die jungen Kulinariker der Fit-forFun-Erlebnisgesellschaft leben im Augenblick, genießen den Oberflächenreiz und wollen weder über ihre Verantwortung belehrt noch mit befremdlichem Gedankengut behelligt werden. Dafür akzeptieren sie die Normen der Konsumgesellschaft nahezu kritiklos: Anything goes – wenn es Spaß macht und wenn man es bezahlen kann. Auf diese Veränderungen haben sich die Filmemacher eingestellt: Ein Präzedenzfall war Katja von Garniers Partnersuche-Spektakel „Abgeschminkt!“ von 1993, das mit hoher Drehzahl alle Skepsis gegenüber einem deutschen Lustspiel wegfegte. Die Nachwuchsfilmer „haben wirklich begriffen, wie die Leute heute ticken“, sagt Produzent Günther Rohrbach, „und sie sind auch selber anders“. Sie setzen darauf, rein private Geschichten auf die Leinwand zu bringen: Der neue deutsche Film liebt die Commedia Sexualis. Fast immer sind seine im Geschlechterkampf angeschlagenen Helden und Heldinnen um die 30, attraktiv, schlagfertig und, bei aller zur Schau getragenen Ausgeflipptheit, fest im west-

D. MELLER-MARCOVICZ

mittlerweile mehr als 200 Millionen Mark – wurde (und wird) fast kein Kinofilm in Deutschland hergestellt. Die Gelder, eigentlich als Darlehen gedacht, die aus den erwirtschafteten Filmgewinnen wieder zurückgezahlt werden sollten, verschwanden in Wirklichkeit – buchstäblich auf Nimmerwiedersehen – in den oft larmoyanten, dilettantischen und garantiert erfolglosen Kunstanstrengungen zahlreicher Betroffenheitsflagellanten. Diese verstanden sich zwar als KinoAutoren in der Nachfolge von Fassbinder und Co., hatten aber längst nicht deren Talent und Leidenschaft. Es war das zerquälte Schaffen dieser Epigonen, das dem Autorenkino insgesamt – und gar nicht zu Recht – seit Mitte der Achtziger einen schlechten Ruf und noch schlechtere Besucherzahlen eingetragen hat. Starke Produzenten mit einem massiven Geschäftsinteresse hätten da sicher so manches Debakel im Keim erstickt. Nur ein einziger Kraftkerl brach schon Ende der siebziger Jahre aus dem kleinlichen Gremienraster aus: der bayerische Mega-Produzent Bernd Eichinger, der mit aufwendigen Literaturverfilmungen wie „Die unendliche Geschichte“ (1984), „Der Name der Rose“ (1986) und „Das Geisterhaus“ (1993) stets auf internationalen Unterhaltungswert gesetzt hat. Eichinger pendelte lange zwischen Bayern und Hollywood, und er macht bis heute – gerade ist der Thriller „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ abgedreht – Filme mit achtstelligen Budgets. Kein Wunder daher, daß die eifrigen Jung-Aufsteiger der Filmwirtschaft den Erfolgsstrategen, der die mächtige KirchMediengruppe hinter sich weiß, als großes Vorbild sehen. Eichinger sei „der einzige deutsche Produzent mit promotbarem Namen“, sagt respektvoll Mischa Hofmann vom bayerischen ProducerDuo Hofmann & Voges („Rohe Ostern“). Auch Hofmann & Voges setzen vor allem darauf, „eine große Menge Leute gut zu unterhalten“. Die Masse macht’s. Mit ihren „Feel good“-Filmen treffen die Vertreter der Leichtgewichts-Nouvelle-Vague die politische Stimmung im Land. Ohne alle kulturkritischen Bedenken verhelfen sie dem gebeutelten deutschen Unter- und Mittelstand zur Ablenkung: zu jenem Lachen, das ein paar Stunden lang die Angst vertreibt, zu den Spannungsschauern, den Thrills, dem Vergessen. Kein Panem, aber Circenses. Und kein Vergleich mit dem Kino der Siebziger. Die Folie, auf der damals Filme wie „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ oder „Messer im Kopf“ spielten, war stets eine diffuse Vorstellung besserer, „befreiter“ Verhältnisse. Die Figuren waren meist Opfer einer korrupten,

KINOARCHIV ENGELMEIER

KULTUR

Treffen deutscher Autorenfilmer (1975)*: Ästhetik verwandelt sich in Politik DER SPIEGEL 38/1996

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T. BOZI / FOTEX

deutschen Mittelstand verankert. Die Lehrerinnen und Ärzte, Manager, Architekturstudenten und Journalisten erleben ihre Partnerschaftskrisen durchweg in schick unaufgeräumten Großstadt-Edelappartements mit alternativem Einschlag, fahren aparte Autos und tragen die konformistisch legeren Klamotten der Nonkonformisten. Wie entschlossen die Filme ihre Figuren aber auch immer durch den Vergnügungspark des Trivialen treiben: Gegen ihren eigenen Willen beweisen sie, daß auch das Private politisch ist. Denn bei aller verzweifelt angestrebten Individualität lugt aus den neudeutschen Beziehungslachwerken das Charakterbild einer genau umrissenen Alters- und Gesellschaftsgruppe heraus: die Ziele, Ideen und Sorgen der 89er. Intakte Kleinfamilien alter Bauart kommen kaum vor, statt dessen WGs und Single-Haushalte. Die Frauen sind alleinstehend, berufstätig und fast immer kinderlos. Das seelische Gleichgewicht hält kein Traummann aufrecht, sondern die beste Freundin, die Mutter, der Bruder oder der gleichgeschlechtlich gesinnte beste Freund. Auf flachem Unterhaltungsniveau werden in vielen der JunggesellinnenFarcen – auch hier gilt das Vorbild „Ab-

Regisseurin von Garnier Nach dem feministischen Urknall

geschminkt!“ – die Nachwirkungen der Frauenbewegung verhandelt. Der feministische Urknall ist verhallt und hat nur Spurenelemente einer Emanzipation hinterlassen. Was will das Weib? Immer noch einen Mann, klar, allerdings nicht mehr den erstbesten. Auch keinen Versor-

ger mehr, sondern einen, der einsieht: „Ich bin ein mieses patriarchalisches Arschloch“ (Thomas Heinze in „Allein unter Frauen“). Mit solchem Lippenbekenner kann frau reinen Gewissens ins Bett springen, nach vollbrachtem Geschlechtsverkehr ein paar Seiten Hera Lind lesen – und die weitere Emanzipation den HardcoreFrauenrechtlerinnen überlassen. Wie eigentlich ganz attraktive, aber viel zu eingebildete Chauvis schwer eins auf den Deckel kriegen: Diesen Anblick finden Zuschauerinnen immer wieder erquicklich. Das Schema der Domestizierung der Männer zieht sich durch ein halbes Dutzend aktueller Leinwandwerke. Besonders gern wird der VorzeigeChauvi mit einer netten, nach ihm lechzenden Tunte zusammengebracht – und durch diese Konfrontation komplett verwirrt. Sein Macho-Gehabe schwindet, etwa in „Der bewegte Mann“, wenn er entdeckt, daß der Weg vom einen zum anderen Ufer durchaus nicht so weit ist, wie er gedacht hatte. So trimmen ausgerechnet die Schwulen den Chauvi um zum Neuen Mann, wie ihn die Frauen lieben (Nur die Schwulen selbst haben, bei aller Toleranz, bislang nichts davon.) Die Schwierigkeiten im Miteinander von Frau und Mann, die viele Filme mit

KULTUR

verkrampfter Heiterkeit auskundschaften, sind aber nur Anzeichen einer wesentlich tiefer reichenden Sinnkrise der jungen Wohlstandsgeneration. Wie kann, wie darf, wie will ich leben? Fast alle Konflikte entwickeln sich aus diesen unbeantworteten Fragen. Die neuen deutschen Lustspiele seien „fixiert auf Identitätskrisen“, sagt der Marburger Medienforscher Karl Prümm. Es gibt ein ganz neues, vorgezogenes Midlife-Trauma, das all jene um die 30 trifft. Erst langsam stellen diese Luftikusse irritiert fest, daß sich ihr Leben nicht so glatt und geschmeidig gestaltet wie eine Margarine-Werbung. Sie erleben das Ende ihrer Jugend, die doch – so hatte ihnen der Yuppie-Kult der Achtziger versprochen – angeblich ewig dauern sollte. Fast schon besessen betreiben die 89er ihre Nabelschau. Wenn die Selbstbespiegelung ins Dramatische gewendet wird, wie in dem Heiligabend-Dreierdrama „Stille Nacht“ (Regie: Dani Levy), bleiben die Zuschauer sofort fern. Werden die Schwierigkeiten aber in einem heiteren Happy-End aufgefangen, dann lassen sich die lachenden Dritten vor der Leinwand gern stellvertretend die Absolution erteilen: Auch wir werden’s mit der Liebe und dem Leben schon packen.

Ist das nun ein Lachen im „Dienst einer neuen Biederkeit“ (Süddeutsche Zeitung)? Dienen die Filme allein als „Seelenkosmetik, Barbiturate“ (epd film)? Sicher handelt es sich bei den Seelenwehwehchen der 89er um die Sorgen einer wirtschaftlich abgesicherten Elite:

Das Ausland zeigt kaum Interesse an der neudeutschen Heiterkeit Ostdeutsche treten in ihrem Idyll allenfalls als komische Figuren auf; Arbeitslose, Asylanten oder obdachlose Alkoholiker erst gar nicht. Diesen Mangel an Welthaltigkeit und den hemmungslosen Narzißmus, der den unangenehmen Teil der deutschen Wirklichkeit ausblendet, prangern viele Kritiker an. Und sie vermissen auch Leidenschaft, Wut, Radikalität und avantgardistische Impulse. Einen Eskapismus, der „außer dem kurzen Spaß am Augenblick“ nichts, „aber auch gar nichts“ hinterlasse, beklagte die Süddeutsche. Dank einer „entschlossenen Eliminierung jeglichen Konfliktpotentials“ seien die Filme „von himmelschreiender Harmlosigkeit“. Der neue Unterhaltungsfilm sei denn auch

„kein Kind der Phantasie, sondern eines der Angst“, beschwerte sich Die Zeit, aus ihm spreche die „Angst vor dem Zorn des Publikums, dieser Großen Mutter, die man nie überfordern darf“. Haben diese kulturkritischen Unkenrufer recht, denen angesichts des großen Gelächters zum Weinen zumute ist? Oder gilt gar schlicht, was der Berliner Tagesspiegel deklarierte: Heute hätten „die deutschen Filme nichts zu sagen, weil zur Zeit niemand etwas zu sagen hat“? Die Verrisse zeugen eher von überspannten Erwartungen als von echtem Interesse für den frischen Talentschub. Immerhin hat sich der deutsche Film aus seiner Leichenstarre befreit und seine Zuschauer wiedergewonnen. Dieser Aufbruch sollte nicht unterschätzt werden, auch wenn der Film dieser Tage keine Weltgeltung beanspruchen kann. Vernichtend selten werden deutsche Kinowerke gegenwärtig zu den großen internationalen Festivals eingeladen – oder gar dort ausgezeichnet. Auch sind deutsche Leinwandgags kaum außerhalb der Sprach- und Lachgrenzen verwertbar. Die im Inland bestens gelaufene Knastballade „Männerpension“ fand nur in wenigen Auslandsmärkten Abnehmer – darunter ausgerechnet Korea und Finnland. Der Film habe „halt eine Art von Witz“,

KULTUR

„Alle sollten froh sein“ bringen Sie nicht mehr nur Filme Ihrer amerikanischen Muttergesellschaft heraus, sondern auch deutsche Leinwandware, etwa „Der Totmacher“. Das beschert Ihnen massiven Ärger mit deutschen Verleihern. Warum tun Sie es trotzdem? Geike: Sehen Sie hier irgendeinen Amerikaner sitzen? Auch wir sind Teil der deutschen Filmwirtschaft. Und einige der sogenannten deutschen Verleiher, die uns jetzt attackieren, leben seit Jahren fast ausschließlich von amerikanischen Filmen. Darum finde ich deren Klagenummer reichlich scheinheilig. SPIEGEL: Die deutschen Verleiher haben Angst, daß Sie ihnen die besten Filme weg- Geike schnappen. Geike: Diese Angst davor, daß die Majors den Markt der deutschen Filme übernehmen, ist einfach lächerlich. Genau wie jedem anderen Verleiher muß es uns darum gehen, den hiesigen Film so weit zu entwickeln, daß er das Geschäft insgesamt voranbringt. Wenn es wieder deutsche Filme und deutsche Stars gibt, die Zuschauer vor die Leinwand locken, wächst der Markt – und das nützt auch unseren amerikanischen Filmen. SPIEGEL: Wächst der Markt wirklich? Oder verschieben sich nur Zuschaueranteile? Geike: Nein, die deutschen Filme sprechen teilweise ganz andere Zuschauerschichten an als die amerikanischen. Jemand wie Katja Riemann etwa, mit der wir den BerlinThriller „Nur aus Liebe“ gemacht haben, zieht eine bestimmte Zielgruppe an, die lange Zeit nicht einmal mehr daran gedacht hätte, ins Kino zu gehen. SPIEGEL: Wie sieht diese Zielgruppe aus? Geike: Die ist hauptsächlich weiblich, besser gebildet und etwas älter als die Teenie-Zuschauer. Diese Frauen zwischen 25 und 35 wollen bestimmte US-Filme einfach nicht sehen.

SPIEGEL: Warum sind die 30jährigen Zuschauer interessant? Geike: Weil wir wissen, daß nicht so viele junge Leute nachwachsen – einfach aufgrund der Bevölkerungsstatistik. SPIEGEL: Den Glauben, daß die USVerleiher ihre Filme besser vermarkten, haben Sie vor kurzem entkräftet: „Nur aus Liebe“ hat trotz Ihrer massiven Marketing-Kampagne nur 410 000 Zuschauer geschafft. Geike: Man kann sicher darüber streiten, ob man in Deutschland gerade einen Actionfilm machen muß. Aber ich finde, daß sich „Nur aus Liebe“ sehr gut geschlagen hat. Jeder, der neue Filmformen entwickeln will, muß auch in solche Ansätze investieren. Und wenn ein Star wie Katja Riemann versucht, sich in einem neuen Genre zu etablieren, dann sollte man ihr die Chance dazu geben. SPIEGEL: Aber wenn einer Ihrer deutschen Filme floppt, ist die Schadenfreude besonders groß. Geike: Das finde ich einfach nur dumm. Wie kann man so kurzsichtig sein? Es ist doch viel wichtiger, daß der deutsche Film überhaupt unterstützt wird – und wenn ein Unternehmen diese Unterstützung anbietet, egal ob ein deutsches oder ein amerikanisches, sollten eigentlich alle in der Branche froh sein. SPIEGEL: Das klingt sehr edel. Geike: Ist es gar nicht. Logisch haben wir ein wirtschaftliches Interesse. Aber es wird immer so getan, als ob die deutsche Seite ein rein kulturelles Interesse hätte, während wir „Amerikaner“ aus Profitgier handeln. SPIEGEL: In Amerika wäre eine staatliche Filmförderung undenkbar. Sollen in Deutschland weiterhin Gremiengelder fließen? Geike: Gegenwärtig ja. Wir brauchen die Förderung, um bestimmte Entwicklungen erst in Gang zu setzen. Denn davon, daß in Deutschland ein Film seine gesamten Kosten einspielt, sind wir ja, von Ausnahmen abgesehen, immer noch weit entfernt. C. ENGEL / VISUM

SPIEGEL: Herr Geike, seit kurzem

W. M. WEBER / ARGUS

Warner-Brothers-Geschäftsführer Willi Geike über Konkurrenz im Kino

Produzent Eichinger* Zwischen Bayern und Hollywood

sagt sein Produzent Claus Boje, „die nicht sofort klickt. Die muß man erst mal kapieren. Und mit Untertiteln dauert das zu lange“. Selbst der bisher wichtigste Germanenhit der neunziger Jahre, „Der bewegte Mann“, tat sich beim Auslandsverkauf schwer. In den USA bestand immerhin – eine Ehre – starkes Interesse an seinen Remake-Rechten. Allerdings beweist das geringe Interesse des Auslands an der neudeutschen Heiterkeit noch keineswegs deren Dämlichkeit. Die Filmkulturen Europas leiden derzeit unter einer allgemeinen Exportflaute. Die von deutschen Intellektuellen herbeigesehnte Weltgeltung besitzen heutzutage nur die Vereinigten Staaten. Ein entscheidender Vorteil liegt schon in den Vorlagen: Amerikanische Autoren liefern laufend niveauvolle, aber zugleich leicht verfilmbare Geschichten ab; deutsche Autoren hingegen verfassen entweder unlesbaren Billigfusel oder allzu hochgeistige L’art-pour-l’art-Spirituosen: Leinwandtauglich ist dabei – mit markanten Ausnahmen wie Robert Schneiders Roman „Schlafes Bruder“ (verfilmt von Joseph Vilsmaier) – fast nur der Fusel. Jenseits dieser Ausschlachtung der Trivialliteratur dräut das alte Elend: Erfolgreiche Ideen finden zwar stets Nachfolger, etwas wirklich Frisches hingegen denken sich die wenigsten Autoren aus. Solche Austauschbarkeit versuchen die ohrenbetäubenden PR-Trommelwirbel zu überspielen, mit denen aus einigermaßen gelungenen Filmchen große Ereignisse gemacht werden sollen. Wie das geht, zeigen die in Deutschland tätigen US-Verleiher. Die DisneyTochtergesellschaft Buena Vista etwa * Mit der Schauspielerin Nina Hoss.

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KULTUR

Mit etlichen Filmen haben die Amerikaner bereits zusätzliche Einnahmen eingefahren – wenngleich nicht mit allen: „Stille Nacht“ etwa kam mit 55 000 Zuschauern nur auf einen Bruchteil des Ergebnisses, das sich Buena Vista erhofft hatte. Trotzdem haben die Tochtergesellschaften der US-Giganten ein langfristiges Interesse daran, „den hiesigen Film so weit zu entwickeln, daß er das Geschäft insgesamt voranbringt“, sagt Warner-Brothers-Geschäftsführer Willi Geike, 46 (siehe Interview Seite 226). Mit planloser Heiterkeit allein ist dies nicht zu schaffen. Haben sich die Zuschauer erst zu Tode gekichert, könnte der deutsche Film bald wieder ausgepowert auf der Schlapplachhalde landen. Die Satire-Zeitschrift Titanic persiflierte in fiktiven Filmanzeigen bereits die Tendenz, mit den immergleichen Gesichtern die immergleichen Schmunzelnummern abzuziehen: „Zu zweit unter Frauen“, Hauptrolle „Katja Riemann von

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brachte „Echte Kerle“ in die Filmtheater – mit einer aufwendigen Kampagne, die einen siebenstelligen Betrag verschlang. Buena Vista lud Filmreporter zu SetBesuchen ein; ließ ein „Making of“ drehen, einen fernsehtauglichen Bericht von den Dreharbeiten, der dann zum Filmstart gesendet wurde; und schickte die Hauptdarsteller auf die Ochsentour zu lokalen Filmgalas: lauter Werbeanstrengungen, die bei deutschen Filmen bisher rar waren. Das Engagement der US-Verleihfirmen kam überraschend: Seit Anfang der achtziger Jahre hatten sich die Unternehmen damit zufriedengegeben, den umfangreichen Ausstoß ihrer amerikanischen Muttergesellschaften auf dem deutschen Markt, immerhin dem zweitwichtigsten der Welt, zu plazieren. Jetzt aber vertreiben (und koproduzieren) sie zunehmend auch einheimische Unterhaltung – und ziehen sich damit den Ärger ihrer deutschen Konkurrenten zu.

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Regisseur Levy, „Stille Nacht“-Darsteller Schrader, Vogel: Nabelschau der Elite

Regisseur Wortmann, „Superweib“-Darsteller*: Planlose Heiterkeit

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Garnier“, hieß eines der gar nicht allzu frei erfundenen Werke; ein anderes „Supermänner“ von Doris Dörrie, „Besetzung wie gehabt, zusätzlich noch Til Schweiger“. „Ich hoffe, daß es keine schlimmen Rückschläge geben wird“, sagt Katja Riemann angesichts solchen Spotts sorgenvoll. Die Schauspielerin baut darauf, „daß man sich trauen wird, andere Geschichten, andere Genres“ anzubieten. Das aber ist unter anderem eine Frage des Geldes. Beziehungslustspiele werden auch deshalb en masse gedreht, weil sie sich preiswert – mit maximal vier bis sechs Millionen Mark – herstellen lassen. Einem Actionfilm hingegen, der mit demselben Mini-Budget auskommen muß, ist gleich anzusehen, daß bei jeder Verfolgungsjagd das Autoblech geschont werden mußte. Zum Vergleich: „Twister“ und das Schwarzenegger-Vehikel „Eraser“ haben jeweils um die 100 Millionen Dollar gekostet. Deutsche Filmemacher wie Wolfgang Petersen („In the Line of Fire – Die zweite Chance“) und Roland Emmerich („Independence Day“), die in GeldfresserGattungen Talent beweisen, gehen deshalb gezwungenermaßen nach Amerika. Andere Filmgenres aber zehren weniger an den Finanzen: Liebesfilme made in Germany wären denkbar, auch Krimis, Melodramen und Thriller. Die Umsichtigeren der Branche basteln bereits am Ausbau des Unterhaltungsangebots. „Jenseits der Stille“ etwa (Regie: Caroline Link; Kinostart 19. Dezember) erzählt die anrührende Entwicklungsgeschichte eines Mädchens, das mit tauben Eltern aufwächst, dann aber die Musik für sich entdeckt. Und im kommenden Frühjahr soll das Liebesdrama „Aimée und Jaguar“ (Regie: Max Färberböck) gedreht werden, die wahre Geschichte eines deutsch-jüdischen Lesbenpaars in der Nazi-Zeit. „Aimée und Jaguar“ ist ein Projekt mit guter Aussicht auf das Gütezeichen „Weltgeltung“. Ganz Optimistische träumen bereits von einem geteilten Markt nach amerikanischem Muster: hier die Massen-Unterhaltung, durch die sich die Industrie wirtschaftlich trägt; dort die schwierigen, anspruchsvollen kleinen IndependentFilme, welche im Windschatten der riesigen Blockbuster ihren Weg in die Filmtheater – und die Herzen der Zuschauer – finden. Denn Independent-Talente gibt es auch in Deutschland durchaus. Daß ein kompromißloser Jungfilmer wie Romuald Karmakar mit seinem „Totmacher“ Ende Mai die wichtigsten deutschen Filmpreise abräumen durfte, war sicher auch als Appell gedacht: Der deutsche Film kann und soll noch besser werden. Gewiß braucht er die Totlacher. Aber eben auch die „Totmacher“. * Liselotte Pulver, Thomas Heinze.