Das Dorf macht Schule Die Schule macht das Dorf

Projektbericht MADAGASKAR „Das Dorf macht Schule Die Schule macht das Dorf“ Lernen ist ein Kinderrecht: Eltern schaffen Schulen MISEREOR-Nr.: P14701 ...
Author: Hannah Hofmann
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Projektbericht MADAGASKAR

„Das Dorf macht Schule Die Schule macht das Dorf“ Lernen ist ein Kinderrecht: Eltern schaffen Schulen MISEREOR-Nr.: P14701

Politische Krise hält an Bereits seit Februar 2009 befindet sich Madagaskar in einer politischen Krise und wird vom mit Hilfe des Militärs an die Macht gekommenen Präsidenten Andry Rajoelina regiert. Dieser hatte sich nach dem erfolgreichen Sturz des damaligen Präsident Marc Ravalomanana selbst zum Präsidenten ausgerufen. Trotz der Unterzeichnung einer Erklärung, in der er Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ankündigte, hat bis heute keine demokratische Wahl stattgefunden. Durch Vermittlung der „Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft“ sind nun Wahlen für Ende 2011 oder Anfang 2012 geplant. Ob diese jedoch tatsächlich stattfinden, bleibt ungewiss. „Denn die derzeitigen Machthaber samt ihrem Anhang werden versuchen, solange wie möglich an den ‚Fleischtöpfen’ der Regierungsmacht sitzen zu bleiben, um sich weiterhin ungehindert auf Kosten der Bevölkerung bereichern zu können“, so ein Beobachter der Vereinten Nationen. Die politische Krise hält somit weiterhin an und belastet nachhaltig die Entwicklung Madagaskars. Die ohnehin schwache Wirtschaft schrumpft, auch weil die meisten Staaten der Welt die derzeitige Regierung als illegal betrachten und deshalb die politische und finanzielle Zusammenarbeit eingefroren haben.

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Ärmer als je zuvor Madagaskar, die viertgrößte Insel der Welt (ca. eineinhalb Mal so groß wie Deutschland), ist bereits eines der ärmsten Länder der Welt. Ca. 68 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als 0,90 Euro (1,25 Dollar) am Tag. Die Entwicklung des Landes in den letzten Jahren lässt befürchten, dass keine baldige Änderung dieser Situation in Sicht ist. Auch im Human Development Index, der den Wohlstand der Länder anhand des Pro-Kopf-Einkommens, der Lebenserwartung und des Bildungsgrads misst, belegt Madagaskar einen der hinteren Plätze (135 bei 169 Ländern). Von erneuten Etatkürzungen der Regierung ist neben dem sozialen Bereich besonders der Bildungssektor betroffen. Umso bedeutsamer sind die Aktivitäten nichtstaatlicher Organisationen wie VOZAMA, um der Bevölkerung wenigstens ein Minimum an Entwicklungsmöglichkeiten zu belassen. 15 Jahre VOZAMA Trotz der noch schwieriger gewordenen Rahmenbedingungen hat VOZAMA dank der großzügigen Hilfe von deutschen Spenderinnen und Spendern seine Aktivitäten fast ohne Einschränkungen fortführen können. Seit nunmehr 15 Jahren kämpft die vom inzwischen verstorbenen Jesuitenpater André Boltz gegründete Organisation gegen Analphabetismus und Armut in den ländlichen Gebieten der Regionen Ambositra und Fianarantsoa im zentralen Hochland. „Bildung und darauf gründendes politisches Bewusstsein sind die entscheidende Voraussetzung, um den Teufelskreis von Unterentwicklung und Armut zu durchbrechen“; sagte der heutige Leiter von VOZAMA, Bruder Claude Fritz, bei einer kleinen Feier zum 15-jährigen Bestehen seiner Organisation. Um dabei eine möglichst große Breitenwirkung zu erzielen, setzt VOZAMA nicht nur auf die Schulbildung der Kinder, sondern bezieht auch die Eltern und schließlich die ganze Dorfgemeinschaft in seine Entwicklungsarbeit ein. Diese reicht weit über die Bildung hinaus bis hin zu Projekten zur Verbesserung der allgemeine Ernährungslage. Denn Fehlund Mangelernährung ist eines der Hauptprobleme, wenn nicht das Hauptproblem der Bevölkerung im Hochland. Plakat mit Darstellung der Sektoren der VOZAMAEntwicklungsarbeit: Vorschulerziehung, Erwachsenenbildung, Umwelt, Wasser und Landwirtschaft, Gesundheit

Die Nachfrage nach Schulposten steigt weiter VOZAMAs Prinzip ist, dass die Eltern die Hauptverantwortung für die Kinder tragen. Die Organisation setzt daher mit Sensibilisierungskampagnen bei den Eltern an, denn Schulposten werden nur auf Anfrage der Eltern in den Dörfern eingerichtet und bestehen auch nur so lange das Engagement der Eltern gegeben ist. Ziel von VOZAMA war bis zum Jahr 2011 mindestens 700 kleine Dorfschulen einzurichten, in denen den Kindern über einen Zeitraum von zwei Jahren mit jeweils zwölf Wochenstunden das nötige Grundwissen in Lesen, Schreiben, Mathematik, Französisch, Gesang und Tanz näher gebracht wird. Im Anschluss sollen die Kinder in der Lage sein, www.misereor.de

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eine reguläre Grundschule zu besuchen. Ende März diesen Jahres existierten bereits 740 Dorfschulen, an denen insgesamt 10.212 Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Alle diese Kinder im Alter zwischen sechs und neun Jahren würden sonst nicht zur Schule gehen, da die staatlichen Schulen für sie zu weit entfernt wären, um den täglichen Fußweg bewältigen zu können. Sicherung der Unterrichtsqualität Die Kinder sollen bestmöglich gefördert werden, sodass sie bei einem anschließenden Wechsel in die zweite Jahrgangsstufe einer staatlichen oder privaten Grundschule keine Probleme haben. Daher legt VOZAMA großen Wert auf die Qualität des Unterrichts. So beträgt die Klassengröße nie mehr als 15 Kinder, um einen effizienten und – so weit möglich – auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Schüler eingehenden Unterricht zu ermöglichen. Die insgesamt 570 Lehrer (505 Frauen, 65 Männer), werden regelmäßig durch Inspektoren vor Ort und in mehrtägigen Seminaren fortgebildet. Im Schuljahr 2010/2011 gab es 240 solcher Veranstaltungen. Die Besuche der 33 bei VOZAMA tätigen Schulinspektoren – in der Mehrzahl mit einer kleinen Aufwandsentschädigung entlohnte pensionierte Lehrer - haben hingegen nicht im gewünschten Maße stattgefunden. Statt der geplanten 5.750 Besuche, die notwendig gewesen wären, um jede Schule und ihr Lehrpersonal einmal im Monat zu betreuen, gab es nur 4.802 Inspektionen. Das lag vor allem an der nach wie vor miserablen Infrastruktur. Bei schlechtem Wetter sind viele Dörfer selbst mit einem Geländemotorrad nicht erreichbar. Mehr Fehlzeiten, weniger Abbrecher Die extreme Armut der Bevölkerung wirkt sich in manchen Dörfern auf die Grundausstattung der Schulen aus, für die die Eltern verantwortlich sind. So fehlen dort oft noch Stühle und Tische, sodass die Kinder während des Unterrichts auf dem Boden sitzen müssen. Ein Indikator, dass die Armut zugenommen hat, sind die leicht angestiegenen Fehlzeiten der Kinder. Insbesondere Familien, die sich in den Wochen vor der nächste Ernte nicht mehr ausreichend ernähren können, schicken ihre Kinder dann nur noch unregelmäßig zur Schule. Dafür konnte die Abbrecherquote im Schuljahr 2010/2011 niedrig gehalten werden. Sie lag bei nur 9,3 Prozent der Schüler. Zudem gehen etwa 85 Prozent aller Kinder, die eine VOZAMA-Schule besucht haben, anschließend auf eine öffentliche Schule. Beim letzten Schuljahreswechsel (September 2010) sind sogar alle Kinder direkt in eine staatliche oder private Schule eingestiegen. Fehlende Geburtsurkunden blockieren das Recht auf Bildung VOZAMA geht davon aus, dass ca. 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Madagaskar keine Geburtsurkunde und damit keinen Zugang zu staatlicher Schulbildung haben. Durch Aufklärungsarbeit und die Vereinfachung der behördliwww.misereor.de

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chen Auflagen konnten bereits Fortschritte bei der Registrierung der Kinder erzielt werden. 77 Prozent der Kinder, die derzeit in Schulposten von VOZAMA unterrichtet werden, besitzen eine staatliche Geburtsurkunde. Zu verzeichnen ist auch allgemein ein Anstieg der Registrierungen direkt nach der Geburt. Trotz dieser positiven Entwicklung ist die Zahl von Kindern ohne Geburtsurkunde immer noch viel zu hoch. Deshalb bedarf es weiterer Anstrengungen mit beharrlicher Überzeugungsarbeit bei den Eltern und den zuständigen Behörden, damit den Kindern nicht ihre elementaren Grundrechte verwehrt bleiben. Chronische Nahrungsmittelknappheit Der Zugang zu Nahrung sowie deren Qualität sind in Madagaskar –laut aktuellen Analysen der Vereinten Nationen - höchst prekär. Ca. 84 Prozent der Madagassen leiden unter chronischer Nahrungsmittelknappheit. VOZAMA versucht diesem Problem durch verschiedene Programme zu begegnen. Der verstärkte Anbau der Jamswurzel ist ein wichtiges Element im Kampf gegen den Hunger, da die Knollenpflanze durch ihren Energiewert einen guten Ersatz für Reis, insbesondere in den Trockenzeiten, darstellt. Jamswurzeln enthalten zudem die Vitamine B1 und C sowie Ballaststoffe und Eisen, und sie können problemlos bis zu sechs Monaten gelagert werden. Doch der Anbau und die Nutzung der Jamswurzel als ergänzende Nahrung verliefen anfangs nur schleppend, da sie den Ruf hat, Nahrung der Armen zu sein. Inzwischen hat sich die Akzeptanz erhöht, nachdem VOZAMA 2010 nach intensiver Informations-und Aufklärungsarbeit ein gesondertes Projekt durchgeführt hatte, bei dem in 33 Dörfern insgesamt 582 kg Samen der Jamswurzel eingesät worden war. Es wird daher zurzeit eine Erweiterung des Projekts auf 185 Dörfer in den Regionen Finanarantsoa und Ambosita geplant. Wasser- und Hygieneprojekte Zu der bestehenden Nahrungsmittelunsicherheit kommt hinzu, dass nur ca. 7 Prozent der Bevölkerung in den beiden Regionen Finanarantsoa und Ambosita Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit, insbesondere bei Kindern. 60 Prozent der Todesfälle bei Kindern beruhen entweder auf schlechter Wasserqualität oder auf mangelhaften sanitären Bedingungen. VOZAMA hat deshalb eine weit reichende Kampagne durchgeführt, durch die alle Kinder in den 740 Schulen, die 10.200 dazugehörigen Familien sowie die 575 VOZAMA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter über Hygiene und entsprechende sanitäre Standards informiert und sensibilisiert worden sind. Ein Ergebnis der Kampagne der Eltern war die Selbstverpflichtung, in jeder Schule mindestens ein WC einzurichten. Inzwischen haben in der Region Fianarantsoa gut die Hälfte der Schulen eine oder zwei Toiletten. Da der Staat sich nicht um die Trinkwasserversorgung auf dem Land kümmert und derzeit dazu auch nicht zu bewegen ist, engagiert sich VOZAMA auch in diesem Bereich. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit Experten, die ein www.misereor.de

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spezielles Netzwerk für die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung entwickelt haben, dass den besonderen geografischen und ökonomischen Gegebenheiten einer extrem armen und dünn besiedelten ländlichen Gegend angepasst ist. Dies wurde bis jetzt in neun Dörfern aufgebaut und von der dortigen Bevölkerung dankbar angenommen. Neuer Aufgabenbereich: Hilfe für kranke Kinder Bei den Schulbesuchen der VOZAMA-Inspektoren werden häufig kranke Kinder vorgefunden, die keine ärztliche Versorgung erhalten. Seit Oktober letzten Jahres hat VOZAMA ein System aufgebaut, um diesen Kindern zu helfen, da die Hemmschwelle der Eltern zur Inanspruchnahme medizinischer Hilfe schon aus finanziellen Gründen sehr hoch ist. Deshalb beschränkt VOZAMA sein Hilfsangebot nicht auf die Kinder der VOZAMA-Schulen, sondern schließt die älteren Kinder ein, die bereits staatliche oder private Schulen besuchen. VOZAMA hat hierfür drei weitere Mitarbeiter angestellt. Diese besitzen selbst keine medizinischen Kompetenzen, sondern vermitteln hilfsbedürftige Kinder an Gesundheitseinrichtungen. Allein von Oktober letzten Jahres bis März 2011 profitierten 108 Kinder von insgesamt 150 Konsultationen. Ökologische Aktivitäten Die Aktivitäten zur Wiederaufforstung haben sichtbare Erfolge gebracht. Während von 2008-2009 in den Regionen Finanarantsoa und Ambosita lediglich 11.291 Bäume gepflanzt worden sind, beträgt die Zahl der gepflanzten Bäume im letzten Jahr 22.200. Dies zeigt einen langsamen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung an, da Wiederaufforstung und ihre entsprechenden Methoden unbekannt waren. Dies war bis vor wenigen Jahrzehnten auch kein Problem, als der Baumbestand noch so dicht war, dass er durch Selbstaussäung abgeschlagene Bäume ersetzen konnte. Nun aber ist die Entwaldung so weit fortgeschritten, dass die Natur sich nicht mehr selbst helfen kann, sondern von Menschenhand unterstützt werden muss. Doch die Einsicht in die Notwendigkeit eines ausreichenden Baumbestands und das nötige Know-how zu einer nachhaltigen Forstwirtschaft lässt sich zumal bei einer wenig gebildeten Bevölkerung nur allmählich vermitteln. Am einfachsten ist dies noch bei Kindern, sodass VOZAMA Zusammenhänge und Voraussetzungen einer intakten Natur zu einem wichtigen Bestandteil des Unterrichts gemacht hat. Bauarbeiten Seit Juli letzten Jahres wird das „Inter-Regionale Zentrum“ von VOZAMA in Fianarantsoa umgebaut. Dies war dringend notwendig, da die Räumlichkeiten nur auf zehn Personen ausgelegt und daher für Fortbildungsseminare viel zu klein waren. Melanie Miersch/SJF/9/2011 www.misereor.de

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