Juristische Fakultät Konversatorium zum Bürgerlichen Recht I Wintersemester 2015/16

Fall 4: Doppelte Stereoanlage

Sachverhalt Der 17-jährige M sieht im Laden des V eine einfache Stereoanlage zum Preis von 200 EUR. Ohne Wissen seiner Eltern einigt sich M mit V über den Kauf. Dieser ist bereit, dem M die Anlage gegen Anzahlung von 100 EUR sofort auszuhändigen. Eine Woche später feiert M seinen 18ten Geburtstag. Zu diesem Anlass überreichen ihm seine Eltern eine wertvolle Stereoanlage. M hat nun an der wenige Tage zuvor bei V erworbenen Anlage kein Interesse mehr und teilt dies dem V mit. Wie ist die Rechtslage?

Lösung

[Beschränkte Geschäftsfähigkeit - Verweigerung der Genehmigung nach Erreichen der Volljährigkeit - Rechtliche Vorteilhaftigkeit der dinglichen Übereignung an den Minderjährigen (Abstraktionsprinzip)]

I. Ansprüche des V gegen M

1. Anspruch aus § 433 II BGB 1

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Möglicherweise hat V gegen M einen Anspruch auf Zahlung des restlichen Kaufpreises in Höhe von 100 € aus § 433 II BGB. Das setzt den Abschluss eines wirksamen Kaufvertrages voraus. Laut Sachverhalt haben die beiden eine entsprechende (schuldrechtlich) Einigung erzielt.

a. Willenserklärung des V

Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Willenserklärung des V ist zu bedenken, dass der 17-jährige M gemäß §§ 2, 106 BGB beschränkt geschäftsfähig ist, da er das siebente, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr

vollendet

hat.

Daher

richtet

sich

der

Zugang

der

Willenserklärung nach § 131 Abs. 2 BGB.

Danach wird die Willenserklärung nicht schon wirksam, wenn sie dem beschränkt Geschäftsfähigen gegenüber abgegeben wird, sondern erst dann, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter (in der Regel die Eltern, §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB) zugeht.

Dieses Erfordernis gilt allerdings dann nicht, wenn die Willenserklärung dem Minderjährigen lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt, § 131 Abs. 2 S. 2 BGB. Ein Angebot auf Vertragsschluss schafft – unabhängig von seinem Inhalt – für den Minderjährigen immer nur eine rechtliche 2

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Möglichkeit, niemals aber Verpflichtungen und stellt daher keine Gefahr für das Vermögen des Minderjährigen dar. Es entstehen ihm also keine rechtlichen Nachteile, sodass die Erklärung allein rechtlich vorteilhaft ist. Der Zugang der dem anwesenden M gegenüber abgegebenen Willenserklärung des V ist damit unproblematisch erfolgt.

b. Willenserklärung des M

Problematisch ist weiterhin die Wirksamkeit der Willenserklärung des M. Zum Zeitpunkt der Abgabe der auf den Abschluss eines Kaufvertrages gerichteten Willenserklärungen war M nämlich minderjährig und deshalb gemäß §§ 106, 2 BGB in der Geschäftsfähigkeit beschränkt. Möglicherweise ist der Vertrag nach § 108 I BGB schwebend unwirksam. Das ist der Fall, wenn der Vertragsschluss gemäß § 107 BGB einwilligungsbedürftig ist und eine wirksame Einwilligung (= vorherige Zustimmung, § 183 S. 1 BGB) nicht erteilt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 107 BGB ist daher zu prüfen. Die Rechtsfolge der Einwilligungsbedürftigkeit tritt ein, wenn die von M abgegebene Willenserklärung für ihn rechtlich nachteilig ist. Hier hat M eine auf Abschluss eines Kaufvertrags gerichtet Willenserklärung abgegeben. Der Abschluss eines Kaufvertrages verpflichtet den M zur Zahlung des Kaufpreises (vgl. § 433 II BGB). Damit liegt ein rechtlich nachteiliges Geschäft für ihn vor. Somit ist festzuhalten, dass die Willenserklärung des M zu ihrer Wirksamkeit der Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter des M bedurfte (§ 107 BGB). Das sind seine Eltern (§§ 1626 I, 3

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1629 I 1 BGB). M hat den Kauf ohne Wissen seiner Eltern getätigt. Damit fehlt es an einer Einwilligung. Der Vertrag ist also nach § 108 I BGB schwebend unwirksam, d. h. die Wirksamkeit der Willenserklärung hängt nunmehr von der Genehmigung, das heißt der nachträglichen Zustimmung (§ 184 I BGB) der Eltern ab.

Möglicherweise hat M selbst gemäß § 108 III wirksam die Verweigerung der Genehmigung erklärt. Mit Vollendung des 18ten Lebensjahrs ist M unbeschränkt geschäftsfähig geworden (argumentum e contrario: §§ 106, 2 BGB). Das hat zur Folge, dass M selbst anstelle seiner Eltern die Genehmigung erteilen oder verweigern kann (§ 108 III BGB). Seine Mitteilung an den Verkäufer V, er habe kein Interesse mehr an der Stereoanlage, ist als Verweigerung der Genehmigung auszulegen (§§ 133, 157 BGB entsprechend). Damit ist die Willenserklärung des M und mithin der zwischen ihm und V geschlossene Kaufvertrag über eine Stereoanlage endgültig unwirksam.

Dem Anspruch des V auf Zahlung des Kaufpreises fehlt damit die rechtliche Grundlage. K ist dem V nicht zur Zahlung von 100 EUR aus § 433 II BGB verpflichtet.

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2. Anspruch aus § 985 BGB Es ist zu überlegen, ob V von M Herausgabe der Stereoanlage aus § 985 BGB verlangen kann. Das setzt voraus, dass V Eigentümer der Stereoanlage geblieben und M Besitzer ohne Besitzrecht ist.

Voraussetzungen des Herausgabeanspruchs gemäß § 985 BGB 1. Eigentum des Gläubigers 2. Besitz des Schuldners

= tatsächliche Sachherrschaft, vgl. § 854 Abs. 1 BGB

3. Kein Recht zum Besitz (Einwendung gemäß § 986 BGB)

Rechtsfolge: Pflicht zur Herausgabe

a) Eigentum des V Ursprünglich war V Eigentümer der Stereoanlage. Fraglich ist, ob er das Eigentum durch Übertragung an M gemäß § 929, 1 BGB verloren hat.1

1

Abweichend vom üblichen Vorgehen (siehe das Prüfungsschema auf S. 6) bejahe ich im Folgenden zunächst kurz das Vorliegen der unproblematischen Tatbestandsvoraussetzungen Berechtigung und Übergabe, bevor ich auf das vorliegend näher zu erörternde Tatbestandsmerkmal Einigung zu sprechen komme.

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Voraussetzungen der Übereignung beweglicher Sachen gemäß § 929 S. 1 BGB 1. Einigung

= dinglicher Vertrag

2. Übergabe der Sache

= Realakt

3. Einigsein im Zeitpunkt der Übergabe 4. Berechtigung des Veräußerers

Vorliegend ist V als Eigentümer berechtigt. Auch hat V dem M die Stereoanlage übergeben. Weitere Voraussetzung ist, dass sich V und M wirksam über den Eigentumsübergang geeinigt haben.

(a) Indem V dem M die Stereoanlage übergeben hat, hat er konkludent zum Ausdruck gebracht, dass er das Eigentum auf M übertragen wollte, um seine Verpflichtung aus dem – vermeintlich wirksamen – Kaufvertrag zu erfüllen. Der Sachverhalt enthält keinen Hinweis dahingehend, dass sich V angesichts der vereinbarten Ratenzahlung das Eigentum an der Stereoanlage bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung vorbehalten wollte. M hat durch Entgegennahme der Stereoanlage ebenfalls konkludent zu verstehen gegeben, dass er das Angebot auf – unbedingte – Übereignung annehmen wollte.

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Der

Zugang

des

Einigungsangebots

des

V

bereitet

trotz

der

beschränkten Geschäftsfähigkeit des Erklärungsempfängers M wegen § 131 II 2 BGB keine Probleme (siehe schon oben).

(b) Fraglich ist, ob die Willenserklärung des M wirksam ist. Als Minderjähriger bedarf er möglicherweise auch hierfür gemäß § 107 BGB der Einwilligung durch seine gesetzlichen Vertreter (s. o. 1).

Wiederum gilt es zu fragen, ob die Willenserklärung für M rechtlich nachteilig ist. Die Beurteilung fällt hier anders aus als oben im Hinblick auf den Abschluss des den M zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtenden schuldrechtlichen Vertrages. Die im Rahmen von § 929 S. 1 BGB erforderliche

(dingliche)

Einigung

über

den

Eigentumsübergang

verpflichtet M zu nichts und beeinträchtigt ihn auch sonst nicht in seinen Rechten.2 Damit ist die Willenserklärung des M nicht rechtlich nachteilig, und daher gemäß § 107 BGB auch ohne vorherige Zustimmung seiner Eltern wirksam.

2

Von der Frage der Wirksamkeit der dinglichen Einigungserklärung des M zu trennen ist die Frage, ob die (wirksame) Übereignung der Stereoanlage eine etwaige – hier nicht wirksam entstandene (s. o. 1) – Erfüllungspflicht des V zum Erlöschen bringen kann (§ 362 BGB). Nach h. L. kann eine Leistungspflicht dem Minderjährigen gegenüber ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht wirksam erfüllt werden. Näher zur Begründung (direkte oder analoge Anwendung von § 107, 131 I 2 BGB oder fehlende Empfangszuständigkeit des Minderjährigen) J. Schmitt, in MünchKommBGB, § 107 Rz. 43f. AA Larenz/Wolf, BGB AT, 9,. Aufl. § 25 Rz. 21, wonach grundsätzlich Erfüllung eintritt, der Schuldner u. a. aber aus §§ 280 I, 241 II BGB (Verstoß gegen Interessenwahrnehmungspflicht) haftet, wenn er fahrlässig dem Minderjährigen einen wertvollen Gegenstand zu Erfüllungszwecken anvertraut und dieser vom Minderjährigen etwa verloren oder zerstört wird.

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(c) Aufgrund des Trennungs- und Abstraktionsprinzips beeinträchtigt die bereits festgestellte Unwirksamkeit des der Eigentumsübertragung zugrunde

liegenden

Verpflichtungsgeschäfts

(Kaufvertrag)

die

Wirksamkeit der Verfügung nicht.

(d) Damit ist festzuhalten, dass V das Eigentum an der Stereoanlage durch Übertragung an M verloren hat. Es fehlt somit schon an der ersten Voraussetzung des Eigentumsherausgabeanspruchs aus § 985 BGB. Weitere Voraussetzungen müssen damit nicht mehr geprüft werden.

b) Ergebnis: V hat keinen Anspruch aus § 985 BGB gegen M.

3. Anspruch des V gegen M aus § 812 I 1 1. Alt BGB

Möglicherweise steht V aber ein Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes und Rückübertragung des Eigentums an der Stereoanlage aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 I 1 1. Alt. BGB) zu.

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Voraussetzungen des Kondiktionsanspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB 1. Etwas erlangt

= jede Verbesserung der Vermögenslage des Bereicherungsschuldners, insbes. Besitz und/oder Eigentum an einer Sache

2. Durch Leistung

= zweckgerichtete fremde Mehrung fremden

Vermögens 3. Ohne Rechtsgrund, insbesondere wegen Nichtigkeit (etwa aufgrund mangelnder Geschäftsfähigkeit, Anfechtung etc.) des zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäfts

Rechtsfolge: Pflicht zur Herausgabe des rechtsgrundlos Erlangten

Hier sind die Voraussetzungen der Leistungskondiktion gegeben:

a. M hat etwas erlangt, nämlich Besitz und Eigentum an der Stereoanlage. Dadurch hat sich seine Vermögenssituation verbessert. b. Dies geschah durch Leistung des V, nämlich bewusste zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. c. Mangels wirksamen Abschlusses eines Kaufvertrages zwischen M und V (s. o. 1) fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die Vermögensvermehrung. 9

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Ergebnis: V kann von M Herausgabe des Erlangten, das heißt Rückübereignung und Verschaffung des tatsächlichen Besitzes an der Stereoanlage, aus § 812 I 1 1. Alt BGB verlangen.

II. Anspruch des M gegen V Als Grundlage für einen Anspruch des M gegen V auf Herausgabe der als Anzahlung geleisteten 100 € ist die Vorschrift § 812 I 1 1. Alt. BGB zu prüfen.3 Die Voraussetzungen sind erfüllt: V hat durch Leistung des M 100 € erhalten. Mangels wirksamen Kaufvertrags bestand keine Zahlungsverpflichtung des M. Mithin besteht der Anspruch. Beachte: Das Trennungs- und Abstraktionsprinzip führt hier zu einer unterschiedlichen Behandlung der dinglichen Einigung über den Übergang des Eigentums an der Stereoanlage (rechtlich vorteilhaft i. S. d. 107 BGB für M, daher ohne Einwilligung wirksam) und des zugrunde liegenden Kaufvertrags (rechtlich nachteilig, daher zustimmungsbedürftig). Der Wirksamkeitsmangel des Verpflichtungsgeschäfts berührt die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts zunächst nicht. Ein Anspruch des V aus § 985 scheidet daher aus. Um dennoch zu einem sinnvollen Ergebnis zukommen, bedarf es des Rückgriffs auf § 812 I 1 1. Alt. BGB: Da M die Stereoanlage rechtsgrundlos erlangt hat, muss er sie dem V wieder zurückgeben und zurückübereignen.

3

Ein Anspruch des M gegen V auf Herausgabe des Geldes aus § 985 BGB scheitert an der in den §§ 948 i.V.m. 947 angeordneten Veränderung der Eigentumslage, vgl. OLG Celle, NJW 1974, 1833. Nach h. M. entsteht im Fall der untrennbaren Vermengung von Geld Alleineigentum des Kasseninhabers. Danach rechtfertige das quantitative Übergewicht die Anwendung von § 947 Abs. 2 BGB. Die Entschädigung für diesen Rechtsverlust richtet sich gemäß § 951 I 1 ebenfalls nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§ 812 I 1 1. Alt.). Vertiefend zu diesem umstrittenen Problemkreis BGH, NJW 1958, 1534 mit Anm. Hoche; außerdem Füller, in MünchKommBGB, 2009, § 948 Rz. 7.

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Fall 5: Tierlexikon

V bietet über eine Internetplatform ein Lexikon der Tierwelt aus dem Jahre 1952 für nur 10 EUR zum Verkauf an. Der Wert des Lexikons beträgt 50 EUR. Der 10jährige K sieht fünf Minuten nach der Eingabe des V das Lexikon und klickt nach Eingabe seiner Adresse auf „Kaufen“. Sekunden später erscheint auf dem Bildschirm des K die übliche, vom Computersystem

des

Plattformbetreibers

automatisch

erstellte

Bestätigungsnachricht, wonach der erteilte Auftrag bald ausgeführt werde. Am Abend erzählt K seinen Eltern von dem Kauf. Sie schimpfen und sagen, dass sie die Sache ablehnen. Er müsse ohne dieses Buch auskommen.

Kann K von V Lieferung des Buches verlangen?

Fortsetzung Am folgenden Tag ruft V bei K an, um sich nach den gewünschten Versandmodalitäten zu erkundigen. Die Eltern des K gehen ans Telefon. Als V erfährt, dass K erst 10 Jahre alt ist, fordert er die Eltern auf zu erklären, ob sie ihrem Sohn so etwas überhaupt erlauben wollen. Nachdem die Eltern während des Gesprächs K herbei gewunken und seine traurigen Augen gesehen haben, erklären sie dem V, dass sie den Kauf gutheißen.

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Lösung

(Invitatio ad offerendum; konkludente Willenserklärung; „Taschengeldparagraph“;

schwebende

Unwirksamkeit

des

Rechtsgeschäfts;

Genehmigung des Geschäfts eines beschränkt Geschäftsfähigen nach besonderer Aufforderung des Vertragspartners).

Ausgangsfall

Es stellt sich die Frage, ob K gegen V einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Buches aus Kaufvertrag hat, § 433 I BGB.

1. Voraussetzung ist, dass zwischen K und V ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist. Ein Vertrag setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus.

Zwar hat K hier durch Mausklick konkludent eine auf Abschluss eines Kaufvertrags über das Tierlexikon gerichtet Willenserklärung abgegeben. Angesichts des Alters des K ist aber die Wirksamkeit seiner Willenserklärung fraglich. Möglicherweise ist die Willenserklärung des K gemäß § 108 BGB schwebend unwirksam. Das ist der Fall, wenn die Erklärung einwilligungsbedürftig gemäß § 107 BGB war und die Einwilligung nicht erteilt wurde. Zu prüfen ist, ob die Regelung des § 107 12

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eingreift, K also der vorherigen Zustimmung (vgl. § 183 I BGB) durch seine gesetzlichen Vertreter bedurfte. Voraussetzungen sind zum einen, dass es sich bei K um einen in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Minderjährigen handelt, zum anderen das Vorliegen eines rechtlich nachteiligen Geschäfts.

(a) Als 10-jähriger ist K minderjährig i. S. d. § 107 BGB (arg. e contrario §§ 106, 2 BGB).

(b) Auch die Voraussetzung der rechtlichen Nachteilhaftigkeit ist erfüllt. Zwar mag es sich bei dem Angebot um ein wirtschaftlich ausgesprochen günstiges Geschäft handeln. Wegen des insoweit eindeutigen Wortlauts (rechtlich nachteilig!) ist jedoch alleine auf den Umstand abzustellen, dass K durch den Vertragsschluss verpflichtet ist, eine Gegenleistung, den Kaufpreis, zu erbringen. Ein rechtlicher Nachteil ist somit gegeben.

(c) Zu überlegen ist, ob die Wirksamkeit der Willenserklärung des K auch ohne ausdrückliche Einwilligung in den Abschluss des speziellen Geschäfts aufgrund von § 110 BGB gegeben ist. Die Rechtsfolge des sog. Taschengeldparagraphen scheitert jedoch schon daran, dass K den Kaufpreis noch nicht – wie in § 110 BGB vorausgesetzt – bewirkt hat.

(d) Als Zwischenergebnis ist festzuhalten: K bedurfte der Zustimmung durch seine gesetzlichen Vertreter. Dies sind seine Eltern, §§ 1626 I, 13

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1629 I BGB. Mangels einer Einwilligung oder Genehmigung ist der Vertrag zunächst gemäß §§ 107 I, 108 I BGB schwebend unwirksam. Die

Wirksamkeit

des

Vertrages

hängt

von

der

nachträglichen

Zustimmung durch die Eltern ab.

(e) Die Reaktion der Eltern gegenüber K ist so auszulegen, dass sie die Genehmigung des Kaufs verweigern. K war auch richtiger Adressat der Erklärung der Eltern. Gemäß § 182 I BGB ist es für die Wirksamkeit der Genehmigung bzw. ihrer Verweigerung nämlich unerheblich, ob die Eltern sich gegenüber K oder gegenüber seinem Vertragspartner V erklären. Rechtsfolge der Genehmigungsverweigerung ist, dass die Willenserklärung des K unwirksam bleibt, § 108 I BGB.

2. Ergebnis zum Ausgangsfall: Mangels wirksamer Willenserklärung des K ist der Kaufvertrag unwirksam. K kann von V nicht Übergabe und Übereignung des Buches aus dem Kaufvertrag, § 433 I BGB, verlangen.

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Fortsetzung

Möglicherweise kann K von V aus dem Kaufvertrag (§ 433 I BGB) verlangen, dass er ihm den Besitz und das Eigentum an dem Tierlexikon verschafft.

Hinsichtlich

des

Erfordernisses

zweier

übereinstimmender

Willenserklärungen gilt das oben Ausgeführte entsprechend.

1. Zunächst ist nach der Wirksamkeit der Willenserklärung des K zu fragen.

Möglicherweise wurde die Willenserklärung des K durch die von den Eltern dem V gegenüber nach entsprechender Aufforderung am Telefon erklärte Genehmigung rückwirkend wirksam, § 108 I BGB.

a. Zwar haben die Eltern wie ausgeführt die Genehmigung zunächst verweigert. Diese Verweigerung führte auch zunächst zur Unwirksamkeit der Willenserklärung des K. Grundsätzlich konnten die Eltern die Genehmigung bzw. die Verweigerung der Genehmigung nämlich wirksam sowohl gegenüber dem V als

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auch gegenüber K erklären. Das geht wie ausgeführt aus § 182 I BGB hervor.

b. Von dieser Regel macht die Vorschrift des § 108 II 1 2. HS. BGB jedoch eine Ausnahme: die Aufforderung durch H gegenüber den gesetzlichen Vertretern des K, sich über die Wirksamkeit der Willenserklärung ihres Sohnes zu erklären, führt zur rückwirkenden Unwirksamkeit der Verweigerung der Genehmigung.

Der

ursprüngliche

Schwebezustand

lebt

bis

zur

nochmaligen Entscheidung der Eltern wieder auf. Die Wirksamkeit der Willenserklärung des K hängt wiederum von der Genehmigung der Eltern ab, die diesmal jedoch dem V gegenüber abgegeben werden muss.

c. Aufgrund der von den Eltern dem V gegenüber nach Aufforderung am Telefon erklärten Genehmigung wird die Willenserklärung des K rückwirkend wirksam, § 108 I BGB.

d. Zwischenergebnis zu 1: Die Willenserklärung des K ist gemäß § 108 I BGB wirksam.

2. Weiterhin ist zu fragen, ob V eine auf Abschluss eines Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung abgegeben hat.

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a. Als Willenserklärung des V kommt zunächst das Einstellen des Lexikons auf der Internetplattform durch V in Betracht. Darin liegt möglicherweise ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags. Der objektive Tatbestand einer Willenserklärung setzt voraus, dass ein objektiver Empfänger aus der fraglichen Erklärung auf das Vorhandensein von Handlungs-, Rechtsbindungs- und Geschäftswillen schließen kann. Zweifelhaft ist hier allein das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens. Es stellt sich nämlich die Frage, ob ein objektiver Empfänger die Erklärung als bindendes Angebot i. S. d. § 145 BGB oder lediglich als so genannte invitatio ad offerendum deuten durfte. Bei der Auslegung der Erklärung sind die §§ 133, 157 BGB heranzuziehen. Angesichts der Ähnlichkeit mit der Situation der Schaufensterauslage in einem Geschäft sprechen die besseren Argumente hier wohl dafür, von einer bloßen Aufforderung an potentielle Käufer auszugehen, ihrerseits ein Angebot

zum

Abschluss

eines

Kaufvertrags

abzugeben.

Andernfalls würde sich der Verkäufer der Gefahr einer Doppelverpflichtung aussetzen. Es ist nämlich nicht auszuschließen ist, dass mehrere Interessenten durch „Klick“ das Angebot des V annehmen.

b. Letztlich kann die Frage hier aber offen bleiben. Der Mausklick des K ist entweder als Annahmeerklärung oder aber als Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages über das Lexikon zu interpretieren. Dass Willenserklärungen auch durch bloßen 17

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Mausklick über das Internet abgegeben werden können, ist unstreitig. Es handelt sich um eine so genannte konkludente Willenserklärung. Geht man davon aus, dass das Angebot von K abgegeben wurde, so liegt die Annahmeerklärung entweder in der automatisch versandten Bestätigungsnachricht, die vom Betreiber der Internetplattform als Boten des V versandt wurde, oder in dem Anruf des V bei K bzw. seinen Eltern, in dem er sich nach den Versandmodalitäten erkundigte und spätestens damit zum Ausdruck brachte, dass er einen Vertrag mit K schließen möchte.

In diesem Zeitpunkt ist die Willenserklärung des V auch den gesetzlichen Vertretern des K zugegangen, so dass es auf § 131 II 2 BGB nicht mehr ankommt.

c. Zwischenergebnis zu 2.: Eine wirksame Willenserklärung des V gerichtet auf Abschluss eines Kaufvertrags mit K über das Tierlexikon für 10 EUR liegt vor.

3. Ergebnis zur Fortsetzung: Ein wirksamer Vertragsschluss zwischen K und V über den Kauf des Lexikons zu 10 EUR liegt vor. K kann von V daher Übergabe des Buches und Eigentumsverschaffung aus dem Kaufvertrag verlangen, § 433 I BGB.

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