„Trolleycar-Fall“ Sachverhalt: In der hessischen Gemeinde San Franziska ist eine Straßenbahn ist außer Kontrolle geraten und wird, sofern keine Abhilfe geschaffen wird, fünf Arbeiter töten, die mit Gleisarbeiten beschäftigt sind. Abhilfe kann nur dadurch geschaffen werden, dass eine Weiche umgestellt und die Straßenbahn dadurch auf ein anderes Gleis geleitet wird. Unglücklicherweise arbeitet auch dort ein Arbeiter, der keine Möglichkeit haben würde, der Straßenbahn auszuweichen. Sie befinden sich als Polizeibeamter oder Polizeibeamtin zusammen mit einem Bediensteten des Betreibers der Bahn an der entscheidenden Weiche. Die Lage ist Ihnen bekannt. Eine Rücksprache mit Ihrem Vorgesetzten kommt aus zeitlichen Gründen nicht in Betracht. Frage: Was werden Sie tun?

Wer ist der?

Jörg Dersch 
 Rechtsanwalt
 Schwalbacher Straße 22
 65343 Eltville am Rhein
 fon: +49 611 944 6116 
 mobil: +49 171 4717 428 
 fax: +49 611 944 6117 
 e-Mail: [email protected]
 www.ra-dersch.de

Was macht der hier?

Er lehrt ...

Polizei- und Verwaltungsrecht

(nicht: Polizeiverwaltungsrecht!)

Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung

Modul S 1.3 Rechtliche Grundlagen polizeilichen Handelns Polizei- und Verwaltungsrecht A. Grundlagen 


RA Jörg Dersch 
 März 2017

Was ist
 Polizei- und Verwaltungsrecht?

Was ist Recht?

Was ist Verwaltungsrecht?

Was ist Polizeirecht?

Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung

Modul S 1.3 Rechtliche Grundlagen polizeilichen Handelns Polizei- und Verwaltungsrecht A. Grundlagen I. Recht 


RA Jörg Dersch 
 März 2017

Was versteht man unter Recht?

Rechtsordnung

Anspruch

Die Gesamtheit aller geschriebenen und ungeschriebenen rechtlichen Regeln, die an einem bestimmten Gemeinwesen gelten.

Das Recht, von einem anderen ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen zu verlangen.

Geschriebenes Recht Gesetz

Rechtsverordnung

…wird vom Gesetzgeber in einem förmlichen Verfahren (Gesetzgebungsverfahren) erlassen.

… wird von der Verwaltung aufgrund einer ihr in einem Gesetz erteilten Befugnis erlassen.

Strafgesetzbuch StGB), Straßenverkehrsgesetz (StVG),
 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG)

Straßenverkehrsordnung (StVO),
 Gefahrenabwehrverordnung über das Halten und Führen von Hunden (HundeVO)

Satzung … wird von einer juristischen Person im Rahmen ihr gesetzlich verliehener Autonomie mit Wirksamkeit für die ihr angehörigen Personen erlassen. Friedhofssatzung,
 Baumsatzung,
 Spielapparatesteuersatzung

Verwaltungsvorschriften sind keine Rechtsnormen! VVHSOG

Ungeschriebenes Recht

… ist Recht, das durch eine andauernde Anwendung von Rechtsvorstellungen oder Regeln, die von den Beteiligten als verbindlich akzeptiert wird. Es wird deshalb auch Gewohnheitsrecht genannt.

Wappenrecht (Deutschland): Das Recht, ein Wappen zu führen und anderen die Nutzung des Wappens zu untersagen. Jedermannsrecht (Schweden): Das Recht jedes Menschen, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen am Boden die Natur zu nutzen

Welche Funktion hat das Recht? Das Recht soll … • Konflikte vermeiden und (anders, als durch Gewalt) lösen 
 (Ordnungsfunktion)

• den gesellschaftlichen Frieden gewährleisten 
 (Friedensfunktion) • Rechtsgüter schützen 
 (Schutzfunktion)

Wie erfüllt das Recht diese Funktion?

Die Rechtsordnung bestimmt (unter anderem), wie sich Menschen verhalten sollen.

Das Recht soll das Verhalten von Menschen regeln.

Das Recht als Verhaltensregelung

Es gibt auch andere Verhaltensregeln, zum Beispiel:
 „Die zehn Gebote“, Anstand, Sitte, Moral, „Fairplay“

Wodurch unterscheidet sich das Recht von anderen Verhaltensregeln?

Die Verbindlichkeit des Rechts

Das Recht beansprucht (Allgemein-)Verbindlichkeit.

Wer das Recht nicht beachtet, muss mit Sanktionen rechnen. Strafe, Schadensersatz, … Wer (bestimmte) Anordnungen nicht befolgt, muss damit rechnen, 
 dass sie mit Zwang durchgesetzt werden. „Polizei! Halt stehen bleiben oder ich schieße!“

Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung

Modul S 1.3 Rechtliche Grundlagen polizeilichen Handelns Polizei- und Verwaltungsrecht A. Grundlagen I. Recht 1. Öffentliches Recht und Privatrecht

RA Jörg Dersch 
 März 2017

Erscheinungsformen des Rechts

Öffentliches Recht

Privatrecht

... regelt (unter anderem) das Verhältnis 
 Staat – Bürger

... regelt das Verhältnis 
 Bürger – Bürger

... ist gekennzeichnet durch ein 
 Über- / Unterordnungsverhältnis

... ist gekennzeichnet durch ein Gleichordnungsverhältnis

Steuerbescheid, Bußgeldbescheid,
 Abrissverfügung

Vertrag,
 unerlaubte Handlung

Kennzeichen des öffentlichen Rechts

Das öffentliche Recht ist dadurch gekennzeichnet, dass der Staat …

• einseitig mit Anspruch auf Verbindlichkeit Anordnungen treffen kann. „Polizei! Halt! Bleiben Sie stehen!“

• die Anordnungen notfalls mit Gewalt gegen den Willen des Bürgers durchsetzen kann. Festhalten der Person, um zu verhindern, dass sich der Betreffende entfernt.

Kennzeichen des Privatrechts

Das Privatrecht ist dadurch gekennzeichnet, dass … • die Beteiligten sich gleichberechtigt gegenüber stehen. Abschluss eines Vertrags durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen • die Beteiligten ihre Ansprüche nicht selbst durchsetzen dürfen, sondern staatliche Organe - die Justiz - in Anspruch nehmen müssen. Wenn ein Vertragspartner seine vertragliche Verpflichtung nicht erfüllt, kann der andere ihn nicht selbst dazu zwingen.

Die Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Forderungen Öffentlich-rechtliche Forderung

Privatrechtliche Forderung

Der Staat schafft sich den Vollstreckungstitel selbst.

Der Bürger muss ein staatliches Organ einschalten, um zu einem Vollstreckungstitel zu kommen.

Steuerbescheid, Bußgeldbescheid

> Gericht > Urteil oder Beschluss

Der Staat kann aus dem Vollstreckungstitel selbst vollstrecken.

Der Bürger muss staatliche Organe einschalten, um den Vollstreckungstitel durchzusetzen.

Pfändung

Vollstreckungsauftrag 
 > Gerichtsvollzieher/Vollstreckungsgericht 
 > Pfändung

„Schulden-Fall(e)“

Sachverhalt: Johnny Walker ist selbstständiger Rechtsanwalt. Da er seinen Mandanten nicht mehr verspricht, als er halten kann, sind seine Erfolge überschaubar. Das macht sich langfristig auch in seinen Honorareinnahmen bemerkbar. Als Johnny zur gleichen Zeit eine Rechnung für die Inspektion seines Geschäftswagens über 2.000 Euro und einen Einkommensteuerbescheid erhält, wonach er 7.500 Euro Einkommensteuer nachzuzahlen hat, und außerdem schon wieder die Miete für die Kanzlei in Höhe von 2.100 Euro fällig ist, überlegt sich Johnny, welche Forderung er besser sogleich bezahlen sollte und womit er sich Zeit lassen kann. Frage: In welcher Reihenfolge würden Sie die Schulden ausgleichen, wenn Sie Johnny wären?

Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung

Modul S 1.3 Rechtliche Grundlagen polizeilichen Handelns Polizei- und Verwaltungsrecht A. Grundlagen I. Recht 1. Öffentliches Recht und Privatrecht 2. Staatliches Gewaltmonopol

RA Jörg Dersch 
 März 2017

Staatliches Gewaltmonopol Das Recht soll das Faustrecht überwinden.

Nur der Staat ist berechtigt, Gewalt anzuwenden.

Grundsatz: Der Bürger darf das Recht nicht selbst durchsetzen, sondern muss sich dazu an die dafür zuständigen staatlichen Institutionen wenden. (Seltene) Ausnahme: Das Gesetz erlaubt dem Bürger, das Recht selbst

„Moos raus! - Fall“


(nach BGHSt 17, 87 – Urteil vom 12.1.1962) 


Sachverhalt: Gastwirt G hat gegen den ihm namentlich nicht bekannten S noch eine Zechforderung von 20 EUR. Als G und der bei ihm beschäftigte Kellner (K) den S eines Tages zufällig auf der Straße treffen, fordert G den N mit den Worten: „Moos raus!“ auf, seine Schuld zu begleichen. Da S sich weigert, halten G und K den S fest, durchsuchen seine Taschen und finden sein Portemonnaie. Darin befinden sich drei Zehn- und zwei Fünf-Euro-Scheine. Fragen: 1. Darf G dem N zwei Zehn-Euro-Scheine wegnehmen? 2. Abwandlung: G ruft die Polizei, als er den N trifft. Sie werden zum Ort des Geschehens entsandt. Was werden Sie veranlassen?

Fall: „Verleih nix!“ Sachverhalt: E ist stolzer Eigentümer eines Exemplars der Erstauflage des Buchs „Polizeiund Ordnungsrecht in Hessen“ von Mühl / Leggereit / Hausmann. B ist Polizeikommissar-Anwärter und benötigt das Buch für seine Ausbildung. Deshalb kommen E und B überein, dass E dem B das Buch für die Dauer seiner Ausbildung kostenlos überlässt. B soll das Buch am Tag nach der Graduierungsfeier zurückzugeben. Das geschieht nicht. Als E den B eines Tags besucht, nimmt E das Buch - von B unbemerkt – an sich. Fragen: 1. Durfte E dem B das Buch wegnehmen? 2. Muss E dem B das Buch zurückgeben, wenn B das verlangt? 3. Angenommen B hätte sofort bemerkt, dass E das Buch an sich genommen hat. Hätte er ihm das Buch wegnehmen dürfen?

Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung

Modul S 1.3 Rechtliche Grundlagen polizeilichen Handelns Polizei- und Verwaltungsrecht A. Grundlagen I. Recht 1. Öffentliches Recht (und Privatrecht) 2. Gewaltmonopol des Staates 3. Begrenzung der Hoheitsgewalt

RA Jörg Dersch 
 März 2017

Begrenzung der Hoheitsgewalt

Gewaltenteilung,
 Art. 20 Abs. 2 GG

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und (ansonsten) durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Gesetzesvorbehalt, 
 Art. 20 Abs. 3 GG

Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Gewaltenteilung, Art. 20 Abs. 2 GG Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und (ansonsten) durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Gesetzgebende Gewalt
 (Legislative)

Vollziehende Gewalt
 (Exekutive)

Rechtsprechende Gewalt
 (Judikative)

Gewaltenteilung, Art. 20 Abs. 3 GG Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. Bindung an die Verfassung

Gesetzgebende Gewalt
 (Legislative)

Vollziehende Gewalt
 (Exekutive)

Rechtsprechende Gewalt
 (Judikative)

Bindung an Recht und Gesetz

Bindung an Recht und Gesetz

Gesetzesbindung, Art. 20 Abs. 3 GG

Die vollziehende Gewalt ist an Recht und Gesetz gebunden.

Vorrang des Gesetzes

Vorbehalt des Gesetzes

Vorrang des Gesetzes, 
 Art. 20 Abs. 3 GG Die Verwaltung ist an die Gesetze (und das Recht) gebunden.

Vorrang des Gesetzes

Kein Handeln gegen das Gesetz! Kein Handeln der Verwaltung darf gegen das Gesetz verstoßen.

„Sozialhilfe-Fall“

Vorbehalt des Gesetzes, 
 Art. 20 Abs. 3 GG Die Verwaltung ist an die Gesetze (und das Recht) gebunden. Vorbehalt des Gesetzes

Kein Handeln ohne Gesetz!

Ein Eingriff in ein (Grund-)Recht des Bürgers ist nur aufgrund eines Gesetzes möglich, das die Verwaltung zu diesem Eingriff ermächtigt. Eine solche Regelung wird Ermächtigungsgrundlage genannt.

Die Ermächtigungsgrundlage muss die Voraussetzungen und die Rechtsfolge möglichst genau regeln (Bestimmtheitsgrundsatz) .

Gesetzesbindung der Verwaltung, 
 Art. 20 Abs. 3 GG Die Verwaltung ist an die Gesetze (und das Recht) gebunden. Vorrang des Gesetzes

Vorbehalt des Gesetzes

Kein Handeln der Verwaltung darf gegen das Gesetz verstoßen.

Ein Eingriff in Grundrechte des Bürgers ist nur aufgrund eines Gesetzes möglich, das die Verwaltung zu diesem Eingriff ermächtigt.

Kein Handeln gegen das Gesetz!

Kein Handeln ohne Gesetz!

Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage

„Blutentnahme-Fall“ (1) Sachverhalt: Sie befinden sich zusammen mit einem Kollegen auf einer Streifenfahrt, als ihnen am helllichten Tag ein Fahrzeug auffällt, das trotz gerader Fahrbahn Schlangenlinien fährt. Deshalb entschließen Sie sich zu einer Kontrolle. Sie ergibt, dass der Fahrer (F) dem ersten Anschein nach erheblich alkoholisiert ist. Er ist redselig, seine Sprache ist verwaschen, seine Augen sind gerötet. Einen Atem-Alkoholtest lehnt F ab; auch eine Blutentnahme durch einen Arzt lehnt F ab. Deshalb ordnet Ihr Kollege die Blutentnahme durch einen Arzt an. Frage: War das Vorgehen Ihres Kollegen rechtmäßig?

§ 81a StPO Körperliche Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe (1) Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Zu diesem Zweck sind Entnahmen von Blutproben und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. (2) Die Anordnung steht dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu. (3) Dem Beschuldigten entnommene Blutproben oder sonstige Körperzellen dürfen nur für Zwecke des der Entnahme zugrundeliegenden oder eines anderen anhängigen Strafverfahrens verwendet werden; sie sind unverzüglich zu vernichten, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind.

„Blutentnahme-Fall“ (2) Sachverhalt: Die rechtsmedizinische Untersuchung ergibt, dass sich in Fs Blut im Zeitpunkt der Kontrolle 1,6 Promille Alkohol befand. Daher klagt die Staatsanwaltschaft den F wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB an. Nachdem das Gericht die Anklage zugelassen hat, kommt es zu einer Hauptverhandlung. F macht keine Angaben zur Sache. POK Schweiß wird als Zeuge vernommen. Auf die Frage des Verteidigers, warum er nicht versucht habe, einen richterlichen Beschluss zu erwirken, erwidert POK Schweiß, dass er das versucht habe, aber weder einen Richter noch einen Staatsanwalt habe erreichen können. Der Verteidiger beantragt daraufhin, zum Beweis der Tatsache, dass POK Schweiß aus eigenem Entschluss gehandelt hat, ohne versucht zu haben, einen Richter oder Staatsanwalt zu erreichen, die Auswertung der Telefondaten. Die Auswertung der Telefondaten ergibt, dass POK Schweiß am fraglichen Tag tatsächlich nicht versucht hat, einen Richter oder Staatsanwalt zu erreichen. Frage: Wird das Gericht den F verurteilen?

Prüfung der Rechtmäßigkeit von staatlichen Eingriffsmaßnahmen

(1)

Greift die Maßnahme in ein Grundrecht ein? ja

(2)

Gibt es eine Rechtsnorm, die als Ermächtigungsgrundlage 
 in Betracht kommt? ja

(3)

Liegen die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vor?

Rechte des Bürgers ▪ Unter „Rechten des Bürgers“ sind in diesem Zusammenhang die Grundrechte zu verstehen.

▪ Sie sind in den Art. 1 bis 19 GG geregelt. ▪ Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Sie gewährleisten einen Freiraum vor staatlichem Handeln.

▪ Bisweilen ergeben sich aus Grundrechten auch Leistungsrechte, 
 zum Beispiel

▪ Anspruch auf Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums, Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG

▪ Anspruch auf Gewährung von Asyl, Art. 16a GG ▪ Recht auf Leben, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

Grundrechte als Abwehrrechte zum Beispiel ‣ Menschenwürde, Art. 1 Art. 1 GG ‣ Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und (Fortbewegungs-)Freiheit, 
 Art. 2 Abs. 2 GG ‣ Glaubens- und Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG ‣ Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG ‣ Versammlungsfreiheit, Art. 8 Abs. 1 GG ‣ Freizügigkeit, Art. 11 Abs. 1 GG ‣ Freiheit der Berufswahl und –ausübung, Art. 12 GG ‣ Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 GG ‣ Eigentumsgarantie, Art. 14 GG ‣ Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ‣ Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG

Aufbau einer Ermächtigungsgrundlage

Tatbestand 
 („Wenn …“)

Rechtsfolge
 (…, dann …)

§ 40 HSOG
 Sicherstellung Die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörden können eine Sache sicherstellen, 1. um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren, 2. um die Eigentümerin oder den Eigentümer oder die rechtmäßige Inhaberin oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung einer Sache zu schützen, 3. wenn sie von einer Person mitgeführt wird, die nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgehalten wird, und sie oder ein anderer die Sache verwenden kann, um 
 a) sich zu töten oder zu verletzen,
 b) Leben oder Gesundheit anderer zu schädigen,
 c) fremde Sachen zu beschädigen oder
 d) die Flucht zu ermöglichen oder zu erleichtern, oder 4. wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie zur Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebraucht oder verwertet werden soll.

§ 94 StPO
 Sicherstellung und Beschlagnahme zu Beweiszwecken

§ 94 StPO Sicherstellung und Beschlagnahme von Gegenständen zu Beweiszwecken (1) Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sind in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen. (2) Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Führerscheine, die der Einziehung unterliegen.

§ 98 StPO Verfahren bei der Beschlagnahme (1) Beschlagnahmen dürfen nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. … (2) …

Fall: „Verkehrsunfall“ Sachverhalt: Sie versehen ihren Dienst beim 3. Polizeirevier in Wiesbaden. Gegen 1:15 Uhr werden Sie zusammen mit einem Kollegen zu einem Verkehrsunfall entsandt. Den Angaben des Anrufers zufolge sind in einem der Unfallfahrzeuge zwei verletzte Insassen eingeklemmt. Sie fahren mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn zum Unfallort. Als sie vor Ort eintreffen, sind die Feuerwehr und der Rettungsdienst bereits vor Ort. Allerdings werden sie bei ihren Arbeiten durch umstehende „Gaffer“ behindert. Deshalb fordern Sie die umherstehenden Personen auf, einen näher bezeichneten Bereich um den Unfallort zu verlassen. Anschließend sperren Sie diesen Bereich durch ein weiß-rotes Band mit der Aufschrift „Polizeiabsperrung“ ab. Frage: Welche Überlegungen werden Sie anstellen, um festzustellen, ob ihr Vorgehen rechtmäßig war?

Die Unterteilung des Rechts nach den Gerichtsbarkeiten

Öffentliches Recht

Privatrecht

• Verfassungsrecht • Sozialrecht • Steuerrecht • Strafrecht • Verwaltungsrecht



• Zivilrecht • Arbeitsrecht

Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung

Modul S 1.3 Rechtliche Grundlagen polizeilichen Handelns Polizei- und Verwaltungsrecht A. Grundlagen I. Recht II. Verwaltungsrecht

RA Jörg Dersch 
 März 2017

Was ist Verwaltungsrecht?

‣ Es gibt keine einheitliche Definition für den Begriff 
 „öffentliche Verwaltung“. ‣ Die Verwaltung ist Teil der „vollziehenden Gewalt“ (Exekutive). ‣ Die Exekutive besteht aus der ‣ Regierung (Gubernative) und ‣ der Verwaltung (Administrative). ‣ Verwaltungsrecht ist Teil des öffentlichen Rechts mit einer eigenen Gerichtsbarkeit

Die Unterteilung des Rechts nach den Gerichtsbarkeiten

Öffentliches Recht

• Verfassungsrecht • Sozialrecht • Steuerrecht • Strafrecht • Verwaltungsrecht

Privatrecht

• Zivilrecht 
 • (Bürgerliches Recht, Familienrecht, Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, …)

• Arbeitsrecht

Das Verwaltungsrecht ist Teil des öffentlichen Rechts.

Besonderes und 
 allgemeines Verwaltungsrecht Besonderes Verwaltungsrecht • • • • • • • • • • • • • • •

AbfallAbgabenAgrarAtomAusbildungsförderungsAusländerAsylBauBeamtenBestattungsBodenschutzDenkmalschutzGewerbeHochschulImmissionsschutz-

• • • • • • • • • • • • • • •

KommunalLandschaftsschutzMedienNaturschutzPolizei- und OrdnungsPlanfeststellungsPrüfungsSchulStraßenSubventionsUmweltVergabeVerkehrsWaffenWasser-

Allgemeines Verwaltungsrecht • Verwaltungsverfahrensrecht • Verwaltungsvollstreckungsrecht • Verwaltungsprozessrecht • Staatshaftungsrecht

Leistungs- und Eingriffsverwaltung

Leistungsverwaltung

Eingriffsverwaltung

Die Verwaltung gewährt dem Bürger 
 – auf Antrag oder von Amts wegen – Leistungen oder räumt ihm ein Recht ein.

Die Verwaltung verlangt dem Bürger etwas ab oder schmälert seine Rechte.

Gewährung von Subventionen, 
 Ausbildungsförderung (nach dem BAFöG) 
 oder Sozialhilfe

Aufforderung zur Zahlung von Einkommensteuer, den Personalausweis vorzulegen oder das Messer fallen zu lassen


Erteilung einer Fahrerlaubnis, Baugenehmigung oder Aufenthaltserlaubnis

Entzug der Fahrerlaubnis, Widerruf der Baugenehmigung, Ausweisung eines Ausländers

A. Grundlagen

VI. Polizeirecht 1. Polizeirecht als Teil des Verwaltungsrechts 2. Der Begriff „Polizei“ 3. Gegenstand des Polizeirechts

Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung

Modul S 1.3 Rechtliche Grundlagen polizeilichen Handelns Polizei- und Verwaltungsrecht A. Grundlagen I. Recht II. Verwaltungsrecht III. Polizeirecht

RA Jörg Dersch 
 März 2017

Polizeirecht als Teil des 
 besonderen Verwaltungsrechts Besonderes Verwaltungsrecht • • • • • • • • • • • • • • •

AbfallAbgabenAgrarAtomAusbildungsförderungsAusländerAsylBauBeamtenBestattungsBodenschutzDenkmalschutzGewerbeHochschulImmissionsschutz-

• • • • • • • • • • • • • • •

KommunalLandschaftsschutzMedienNaturschutzPolizei- und Ordnungsrecht PlanfeststellungsPrüfungsSchulStraßenSubventionsUmweltVergabeVerkehrsWaffenWasser-

Das Polizeirecht ist Teil des besonderen Verwaltungsrechts.

Was bedeutet „Polizei“?

‣ Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen. ‣ Wahrscheinlich ist der Ursprung Πολιτεία (politeia = der Staat). ‣ Πολιτεία ist ein um 370 v. Chr. von Platon verfasstes Werk, in dem über die Gerechtigkeit in einem idealen Staat diskutiert wird. ‣ Später befasste sich Platons Schüler Aristoteles in Ἀθηναίων πολιτεία (Athēnaion politeia = Der Staat der Athener) ‣ Man verstand dann darunter die Verfassung und Verwaltung der πόλις (polis = Stadt, Staat).

Mittelalter ‣ In Deutschland taucht der Begriff „Polizey“ im Mittelalter auf (1476 in einer bischöflichen Verordnung der Stadt Würzburg). ‣ Man verbindet den Begriff nicht mit einer Behörde, sondern mit einem Zustand: In den Reichspolizeiverordnungen von 1530, 1548 und 1577 beschreibt „die gute Polizey“ einen Zustand guter Ordnung des Gemeinwesens. ‣ Dieser Zustand war erreicht, wenn die Bürger ein gottgefälliges Leben führten. Deshalb war in den Polizeiverordnungen unter Strafandrohung verboten: Gotteslästerung, Fluchen, Völlerei, Kuppelei, Konkubinat und Ehebruch. ‣ Aber auch, welche Tracht wer tragen durfte, und wie sich der Geselle gegenüber dem Meister zu verhalten hat, war geregelt. ‣ Im Grunde genommen war Polizei alles, was regelungsbedürftig war.

Absolutismus ‣ Nach dem 30-jährigen Krieg (1648) steht der Wiederaufbau des Landes im Vordergrund. Polizei umfasst jetzt die gesamte innere Verwaltung (außer auswärtige Angelegenheiten und Landesverteidigung) unter Einschluss von Rechtsprechung („Kammerjustiz“) und Gesetzgebung. Eine Gewaltenteilung gibt es nicht. Die Macht liegt in der Hand des jeweiligen Landesfürsten. ‣ Aufgaben der Polizei sind ‣ die Gewährleistung von Sicherheit und ‣ die Förderung der öffentlichen Wohlfahrt ‣ Zur „Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt“ oder „der allgemeinen Glückseligkeit“ kann der Monarch den Untertanen nach seinem Belieben in jedem Bereich des Lebens praktisch alles vorschreiben. ‣ Wohlfahrtsstaat oder Polizeistaat bedeutet demzufolge die Ausübung von Staatsgewalt ohne Bindung an Verfassung, Recht und Gesetz und ohne gerichtlichen Schutz.

Aufklärung

‣ Der Göttinger Rechtsprofessor Johann Stephan Pütter setzt 1770 der Behauptung, der Polizeistaat finde seine Existenzberechtigung in dem „beschränkten Untertanenverstand“, der sein „Recht und Glück nicht erkennen“ könne, entgegen, ‣ dass der Bürger nicht „zu seinem Glück gezwungen“ werden dürfe. ‣ Die Sorge um die Förderung der Wohlfahrt sei nicht die eigentliche Aufgabe der Polizei, sondern die Sorge für die Abwendung bevorstehender Gefahren. Johann Stephan Pütter 
 (Gemälde von Carl Lafontaine)

Aufklärung

‣ Dieser eingeschränkte Polizeibegriff wird in das Preußische Allgemeine Landrecht (ALR) übernommen. ‣ § 10 II 17 ALR lautet: 
 „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahren zu treffen, ist das Amt der Polizei.“ ‣ In der Realität ändert sich jedoch nichts.

Liberaler Rechtsstaat

‣ Nach der Revolution von 1848 wird in den süddeutschen Staaten die Polizeigewalt eingeschränkt und der Polizeibegriff verengt. ‣ Der preußische Gesetzgeber bleibt untätig. Den Wendepunkt markiert ein Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 14.6.1882.

„Kreuzberg-Urteil“ Preußisches Oberverwaltungsgerichts vom 14.6.1882

Das Königliche Polizeipräsidium in Berlin hatte eine Polizeiverordnung zum Schutze des auf dem Kreuzberg bei Berlin zur Erinnerung an die Siege der Freiheitskriege errichteten Nationaldenkmals erlassen. Darin ist bestimmt, dass in dem das Denkmal umgebenden Viertel Gebäude nur so errichtet werden dürfen, dass die Aussicht vom Denkmal und die Ansicht des Denkmals nicht beeinträchtigt wird. Der Kläger ist Eigentümer eines betroffenen Grundstücks und will darauf ein viergeschossiges Wohngebäude errichten. Die Baugenehmigung wird versagt, weil das Gebäude die Ansicht des Denkmals erheblich beeinträchtigen und dem Stadtteil zur Verunstaltung gereichen würde.

„Kreuzberg-Urteil“ Die Entscheidung

‣ Die Behörde greift in das Eigentum des Klägers ein. ‣ Deshalb muss die Ablehnung auf eine gesetzliche Grundlage gestützt werden können. ‣ Da die Verordnung ist kein formelles Gesetz; sie erfordert ihrerseits eine Ermächtigungsgrundlage, um wirksam zu sein. ‣ Da eine spezielle Regelung fehlt, kommt nur § 10 II 17 ALR in Betracht. ‣ § 10 II 17 ALR lautet: 
 „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahren zu treffen, ist das Amt der Polizei.“ ‣ Auf § 10 II 17 ALR kann die Versagung aber nicht gestützt werden, weil die Maßnahme nicht der Gefahrenabwehr (sondern der Wohlfahrtspflege) dient. ‣ Das Verbot ist deshalb rechtswidrig.

Die Weimarer Republik

‣ … übernimmt den auf die Gefahrenabwehr beschränkten Polizeibegriff. ‣ Der „Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ist Gegenstand des Reichsrechts (Art. 9 Nr. 2 WRV). ‣ Von der (konkurrierenden) Gesetzgebungskompetenz macht das Preußische Polizeiverwaltungsgesetz von 1931 Gebrauch. § 14 Abs. 1 PVG lautet: 
 
 „Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird.“

Nationalsozialismus
 - „Entstaatlichung“

‣ Politische Polizeien der Länder werden zur reichseinheitlichen Geheimen Staatspolizei („Gestapo“) zusammengeführt. ‣ 1936 wird Heinrich Himmler zum „Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei“ ernannt. Die Polizei wird mit der SS verquickt und damit in den Machtapparat der NSdAP eingegliedert und aus dem Staatsapparat herausgelöst ‣ Die Folge: 
 Es gibt keine (rechtsstaatliche) Kontrolle gegen polizeiliche Maßnahmen mehr.

Nach dem Zweiten Weltkrieg
 - „Entpolizeilichung“

‣ Auf der Konferenz von Jalta (Februar 1945) beschließen die Alliierten, dass die polizeilichen Befugnisse beschränkt werden sollen. Aufgabe der Polizei soll nur noch sein: ‣ Der Schutz von Leben und Eigentum, ‣ Die Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung, ‣ Die Verhütung und Aufklärung von Straftaten und die Überlieferung der Verbrecher an die Gericht. Es wird eine neue Organisationsstruktur geschaffen, die in den unterschiedlichen Besatzungszonen unterschiedlich ausgestaltet ist, weil sich an den polizeilichen Strukturen in der jeweiligen Besatzungsmacht orientiert.

Das heutige Verständnis von Polizeirecht

Als Polizeirecht bezeichnet man denjenigen Teil des Verwaltungsrechts, in dem es um die Abwehr von Gefahren (Gefahrenabwehr) geht.

Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung

Modul S 1.3 Rechtliche Grundlagen polizeilichen Handelns Polizei- und Verwaltungsrecht A. Grundlagen I. Recht II. Verwaltungsrecht III. Polizeirecht IV. Schutzpflicht des Staates

RA Jörg Dersch 
 März 2017

Schutzpflicht des Staates Wegen des staatlichen Gewaltmonopols darf der Bürger seine Rechte nicht selbst durchsetzen, sondern muss sich dazu an die dafür zuständigen staatlichen Stellen wenden.

Wenn der Staat dem Bürger verbietet, seine Rechte selbst durchzusetzen, 
 ist der Bürger gleichsam hilflos.

Der Staat muss die Mittel zur Verfügung stellen, um seinerseits 
 die Rechte des Bürgers zu schützen. Wo sind diese Schutzpflichten geregelt?

Leistungspflichten des Staates

Grundsatz: 
 Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat.

Ausnahme: 
 Aus den Grundrechten kann sich ein Anspruch des Bürgers auf Leistungen gegenüber dem Staat ergeben.

Recht auf ein Existenzminimum

Art. 1 Abs. 1 GG Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Art. 20 Abs. 1 GG Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

BVerfG, Urteil vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09: Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.

Recht auf Leben Art. 1 Abs. 1 GG Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Art. 2 Abs. 2 GG Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

BVerfGE 39, 1 [42] - „Schwangerschaftsabbruch I“
 Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet den Staat, jedes menschliche Leben zu schützen. … Die Schutzpflicht gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren.

Recht auf Leben BVerfGE 46, 160 ff. - „Schleyer“ Sachverhalt: Der Antragsteller war am 5.9.1977 von Terroristen entführt worden und befand sich in deren Gewalt. Die Entführer machen die Freilassung des Antragstellers von der Erfüllung bestimmter Forderungen abhängig gemacht, unter anderem verlangen sie, dass elf namentlich benannte, in Haft sitzende Terroristen freigelassen und ihnen die Ausreise aus der Bundesrepublik gestattet wird. Widrigenfalls haben sie angekündigt, den Antragsteller „hinzurichten“. Der Antragsteller verlangt unter Berufung auf die Schutzpflicht des Staates, dass die Bundesregierung die Forderungen der Entführer erfüllt.

Aus den Gründen: [164 f.] „Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet den Staat, jedes menschliche Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht ist umfassend. Sie gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (...). Wie die staatlichen Organe ihre Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des Lebens erfüllen, ist von ihnen grundsätzlich in eigener Verantwortung zu entscheiden. Sie befinden darüber, welche Schutzmaßnahmen zweckdienlich und geboten sind, um einen wirksamen Lebensschutz zu gewährleisten (…).“ Ergebnis: Es ist Sache der Bundesregierung zu entscheiden, ob sie die Forderung der Terroristen erfüllt oder auf andere Weise, zum Beispiel durch Fahndung nach den Tätern, versucht, das Leben des Antragstellers zu retten.

Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung

Modul S 1.3 Rechtliche Grundlagen polizeilichen Handelns Polizei- und Verwaltungsrecht A. Grundlagen I. Recht II. Verwaltungsrecht III. Polizeirecht IV. Schutzpflicht des Staates V. Repression und Prävention

RA Jörg Dersch 
 März 2017

Wie erfüllt der Staat seine Schutzpflicht? Repression

Prävention

Schaffen von Straftatbeständen und (effizienten) Strafverfolgungsbehörden

Schaffen von Gesetzen, um vorbeugend Rechtsverletzungen zu verhindern

Ahndung von bereits begangenem Unrecht

Verhüten, dass Unrecht 
 (künftig) begangen wird

Warum muss man Repression und Prävention unterscheiden? Repression

Prävention

Ermächtigungsgrundlage in der

Ermächtigungsgrundlage im

Strafprozessordnung (StPO)

Gefahrenabwehrrecht (HSOG, …)

Legalitätsprinzip 


Opportunitätsprinzip 


(„haben zu erforschen“, § 163 StPO)

als Grundsatz („können“)

Rechtsweg zum Oberlandesgericht 
 § 23 EGGVG

Rechtsweg zum Verwaltungsgericht 
 § 40 VwGO

Fall 1a: Autofahrer Sachverhalt: Polizeioberkommissar (POK) Axel Schweiß (S) und Polizeikommissarin (PKin) Anna Nass (N) versehen ihren Dienst bei der Polizeistation Hessenstadt. Gegen 1:15 Uhr befinden sie sich auf einer Streifenfahrt. Als sie durch die Bahnhofstraße fahren, fällt ihnen eine männliche Person (M) auf, die das Tanzlokal „Ball der einsamen Herzen“ verlässt und sich unbeholfen in ein Kraftfahrzeug setzt. Daraufhin halten die Beamten an und begeben sich zu dem Wagen. Dort tritt POK Schweiß an die Fahrertür heran und spricht den auf dem Fahrersitz sitzenden Mann an. Dieser reagiert darauf nicht, sondern lässt den Motor an, setzt den Wagen jedoch nicht in Bewegung. POK Schweiß fordert den Mann eindringlich auf, den Motor sofort wieder abzustellen und aus dem Fahrzeug auszusteigen. Daraufhin stellt M den Motor ab und steigt mit unsicheren Bewegungen aus dem Wagen aus. M hat gerötete Augen und riecht nach Alkohol. Aufgabe: Was würden Sie veranlassen, wenn sie POK Schweiß wären?

Fall 1b: Autofahrer Sachverhalt: … POK Schweiß fordert den Mann eindringlich auf, den Motor sofort wieder abzustellen und aus dem Fahrzeug auszusteigen. Daraufhin stellt M den Motor ab und steigt mit unsicheren Bewegungen aus dem Wagen aus. M hat gerötete Augen und riecht nach Alkohol. POK Schweiß fordert M deshalb auf, ihm den Fahrzeugschlüssel auszuhändigen. Der Aufforderung kommt M widerwillig nach. Daraufhin verschließt POK Schweiß das Fahrzeug und teilt dem M mit, dass er sich den Schlüssel am Morgen ab 10:00 Uhr beim 1. Polizeirevier abholen könne. Bevor die Beamten ihre Fahrt fortsetzen, erkundigen sie sich bei M, ob sie ihm ein Taxi herbeirufen sollen. M lehnt das aber ab.

Aufgabe: 1. Welche Norm kommt als Ermächtigungsgrundlage für die Aufforderung, den Autoschlüssel herauszugeben in Betracht? 2. Lagen die Voraussetzungen dieser Norm vor?