EXTRA-LEGALE GREMIEN VERSUS RECHTSSTAAT Schweizerische Umsetzung der FATF-Empfehlung *

RECHT In den letzten drei Jahren geriet die Schweiz insbesondere im Finanzmarktbereich durch Regierungen anderer Staaten und extra-legale Organisation...
Author: Sven Frei
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RECHT In den letzten drei Jahren geriet die Schweiz insbesondere im Finanzmarktbereich durch Regierungen anderer Staaten und extra-legale Organisationen unter enormen Druck. Diesem Druck konnten unsere Regierung und das Parlament nur bedingt standhalten, und besonders in der Auseinandersetzung mit den USA wurde unser Rechtsstaat in den Ausstand gesetzt. Gerade letzteres aber stellte unsere demokratischen Strukturen und das Vertrauen in sie in Frage. JOSEF BOLL AG

EXTRA-LEGALE GREMIEN VERSUS RECHTSSTAAT Schweizerische Umsetzung der FATF-Empfehlung*

1. EINLEITUNG Seit einigen Jahren beginnt man zusehends zu realisieren, dass die nationale schweizerische Demokratie immer stärker von internationalen und supranationalen Gremien ausgehebelt wird. Sind wir noch unser «eigener Herr und Meister in unserem Haus?». Dass unser Selbstbestimmungsrecht zusehends ausgehöhlt wird, erfahren wir in verschiedenen Bereichen unseres Rechtsstaats und unserer Wirtschaft. In den letzten drei Jahren geriet die Schweiz insbesondere im Finanzmarktbereich durch Regierungen anderer Staaten und extra-legale Organisationen [1] unter enormen Druck. Diesem Druck konnten unsere Regierung und das Parlament nur bedingt standhalten, und besonders in der Auseinandersetzung mit den USA wurde unser Rechtsstaat – sagen wir es einmal milde – in den Ausstand gesetzt. Gerade letzteres aber stellte unsere demokratischen Strukturen und das Vertrauen in sie, vorab das Funktionieren der Gewaltenteilung, in Frage. Die vermeintliche Staatsraison glaubte sich über alles stellen zu können, wobei einzelne Wirtschaftszweige mit ihren Partikularinteressen kräftig mitmischten. Dieser hoffentlich einmalige Ausrutscher unserer Führungselite muss wieder gutgemacht werden. Es bedarf deshalb einer ehrlichen grossflächigen Analyse der Umstände, durch welche die Schweiz – klein aber nicht unbedeutend – vermehrt fremdbestimmt wird. In diesem Artikel soll lediglich der Finanzmarktbereich untersucht werden und dies wiederum nur mit Bezug auf die schweizerische Umsetzung der FATF (Financial Action Task Force on Money Laundering)-Empfehlungen.

JOSEF BOLLAG, DR. IUR., WIRTSCHAFTSJURIST, VIZEPRÄSIDENT FORUM-SRO, ZUG

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2. DIE FATF 2.1 Entstehungsgeschichte. Die FATF wurde 1989 als Expertengruppe von den Staatschefs der G7 und dem Präsidenten der EG-Kommission zwecks Erarbeitung von Strategien zur Bekämpfung der Geldwäscherei ins Leben gerufen [2]. Damals war sie nicht als dauerhafte Einrichtung geplant. Dies spiegelt sich auch in ihrer losen Struktur und im Fehlen einer Gründungscharta wieder. Die Kriminalisierung der Geldwäscherei und damit die strafrechtliche Verfolgung wurde als taugliches Mittel angesehen, um den Drogenhandel und die organisierte Kriminalität wirkungsvoll zu bekämpfen oder zumindest einzudämmen. Die Bekämpfung der Geldwäscherei war also Mittel zum Zweck. Diese ursprüngliche Zielsetzung wird heute geflissentlich (auch vom FATF-Präsident Luis Urrutia) unterschlagen. 2001 kam als weiterer Themenbereich die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung hinzu, als Massnahme zur Bekämpfung des Terrorismus [3]. Das zeitlich befristete Mandat für die FATF wurde neu am 14. Mai 2004 bis Ende 2012 verlängert, müsste also 2012 wieder verlängert werden. (Die erste Verlängerung war eigentlich bereits als obsolet erklärt worden. Die Ereignisse von 9/11 verschafften der FATF jedoch eine neue «raison d’être».) 2.2 Zusammensetzung und interne Organisation. Die FATF zählt 36 Mitglieder, darunter die wichtigsten Finanzzentren einschliesslich der Schweiz [4]. Sie ist ein zwischenstaatliches Gremium, welches sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene politische Richtlinien zur Erreichung ihrer Ziele definiert. Hierzu veröffentlicht sie zahlreiche Empfehlungen als Mindeststandards und gibt eine Liste heraus, worauf die sogenannten NCCT (Non-Cooperative Countries and Territories) aufgeführt sind, welche die von der FATF festgesetzten Standards noch nicht erreicht haben. So soll der politische Wille der nationalen Gesetzgeber zur Umsetzung der Massnahmen für die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung gefördert werden [5]. Zurzeit beschäftigt das Sekretariat der FATF 20 ständige Mitarbeiter [6]. Die FATF lässt sich typologisch am besten als transgouvernementale Regulierungsorganisation beschreiben [7]. Sie kommt beinahe ohne eigene organisatorische In-

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RECHT frastruktur aus und beschäftigt nationale Beamte, die innerhalb relativ loser Strukturen die Hauptarbeit leisten. Die FATF verfasst jährlich einen Rapport über ihre Tätigkeiten und Errungenschaften. Der Jahresrapport der FATF für das Jahr 2010 zeigt ein Jahresbudget von etwas über EUR 3 000 000. Aus dem Rapport wird allerdings nicht ersichtlich, wer für diese Summe aufkommt [8]. 2.3 Rechtliche Basis der Beziehungen zu souveränen Nationen. Um die Umsetzung ihrer Empfehlungen zu gewährleisten, stehen der FATF keinerlei Rechtsmittel zur Verfügung. Es liegt an den Mitgliedstaaten anhand eines standardisierten Fragebogens eine Selbsteinschätzung durchzuführen. Weiter wird ein sogenannter Peer-Review-Prozess durchgeführt, bei dem die Mitgliedstaaten einen anderen Mitgliedstaat überprüfen. Der jeweilige Vorsitzende der FATF wählt die zu evaluierenden Länder aus und ernennt drei sachverständige Examinatoren aus mindestens zwei unterschiedlichen Ländern. Die Prüfgruppe erstellt einen Bericht auf der Grundlage von Interviews vor Ort und von Informationen, die der zu prüfende Staat zur Verfügung stellt. Der Bericht wird dem Staat zur Kommentierung vorgelegt und die kommentierte Fassung des Berichts wird anschliessend im Plenum diskutiert. Dabei können Vertretern des betreffenden Staats Fragen gestellt werden und abschliessend wird eine überarbeitete Zusammenfassung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 2.4 Druckmittel anstelle fehlender Rechtsdurchsetzungsmittel. Es stehen der FATF aber auch besondere Druckmittel zur Verfügung. So wurde beispielsweise 1996 in einer öffentlichen Verlautbarung der FATF erklärt, dass die Mitgliedstaaten bei Finanztransaktionen mit der Türkei die Anwendung von Empfehlung Nr. 21 in Betracht ziehen sollen, also eine besondere Sorgfaltspflicht wahren sollen, da die Türkei keinerlei Gesetze gegen die Geldwäscherei eingeführt hatte. Noch im selben Jahr erliess die Türkei ein neues Gesetz gegen die Geldwäscherei [9]. Österreich sah sich sogar mit der Suspendierung der Mitgliedschaft im Jahre 2000 konfrontiert. Die FATF versuchte wiederholt, die österreichische Regierung zur Abschaffung der Praxis anonymer Sparbücher für Inländer zu bewegen. Eine öffentliche Erklärung des Finanzministers, Schritte gegen die anonymen Sparbücher zu unternehmen, reichte der FATF nicht aus, weshalb sie drohte, die Mitgliedschaft Österreichs zu suspendieren. Aufgrund dieses Drucks wurden schliesslich die anonymen Sparbücher abgeschafft [10]. Ferner gibt es indirekte Druckmittel einzelner «big players» auf andere Staaten. So kann die USA als Mitglied der FATF bei Bedarf ihr gesamtes politisches Gewicht einsetzen, um den Druck auf andere Mitglieder zu erhöhen. Auch besteht teilweise aufgrund historischer Verknüpfung ein grosser bilateraler Einfluss einzelner Mitgliedstaaten auf andere. 2.5 Kritische Würdigung. Wie bereits erwähnt, sind es nationale Beamte, die innerhalb relativ loser Strukturen die

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Hauptarbeit leisten. Dies hat als unmittelbare Konsequenz, dass die Verhandlungen und Beratungen im einzelnen sehr intransparent erscheinen. Ausserdem wird dadurch die Teilnahme nichtstaatlicher Akteure praktisch verunmöglicht. Dies ist allerdings durchaus problematisch angesichts der Bedeutung und Reichweite, die die Arbeit der FATF im Laufe der Zeit gewonnen hat [11]. Nach dem Vorstellen der NCCT-Initiative wurde der FATF vermehrt die Legitimation abgesprochen, weltweite Stan-

«Die FATF ist keine Erfolgsgeschichte; weder der Drogenhandel noch die organisierte Kriminalität haben abgenommen, im Gegenteil.» dards zu formulieren und unter Androhung von Sanktionen auch durchzusetzen. Phil Williams und Gregory Baudion O’Hayon kritisieren in sehr klaren Worten, dass der Fokus des Interesses ausschliesslich «on whether or not the participating states meet FATF standards rather than the far more important question of whether or not these standards are effective in combating money laundering» liege [12]. 2.6 Verfremdung der ursprünglichen Ziele der FATF. Die ursprünglichen Ziele der FATF wurden pervertiert. Heute ist die Frage, ob ein Staat die FATF-Regeln erfüllt hat, bedeutsamer als die viel wichtigere Frage, ob diese Regeln den Drogenhandel effizient bekämpfen. Die FATF ist aus diesem Aspekt denn auch keine Erfolgsgeschichte; weder der Drogenhandel noch die organisierte Kriminalität haben abgenommen, im Gegenteil. Dafür hat die Umsetzung der Empfehlungen riesige Kosten verursacht. Weder die FATF noch die beteiligten Länder haben je eine Kosten- und vor allem Nutzenanalyse gemacht. Der Selbsterhaltungstrieb der 20 FATFAngestellten in Paris produziert immer neue Empfehlungen, die längst nicht mehr mit dem ursprünglichen Ziel der Bekämpfung des Drogenhandels übereinstimmen, wie z. B. die neu vorgeschlagene Regelung, dass Tax Crime als eine Vortat für die Geldwäscherei zu legiferieren sei. Die «big players» in der FATF-Gruppe haben die FATF umfunktioniert in ein Instrumentarium, um ihre kleinen aber effizienten Konkurrenten im Weltfinanzmarkt auszumanövrieren oder auch um den internationalen Steuerwettbewerb zu nivellieren. 3. NOTWENDIGKEIT EINER STANDORTBESTIMMUNG IN DER SCHWEIZ Nach den gemachten Erfahrungen der letzten Jahre versteht man, dass sich immer mehr fragen, ob man das Mandat der FATF 2012 überhaupt erneuern sollte, zumindest in seiner jetzt bestehenden Form. Die von den FATF-Empfehlungen betroffenen Wirtschaftszweige der Schweiz sollten laut darüber nachdenken, welche

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RECHT Erfahrungen und Kosten sie bisher mit der Umsetzung dieser Empfehlungen gemacht haben und welchen Nutzen – auch übergeordneten – sie effektiv gesehen haben. Sie sollten über die faktische Einschränkung ihres angestammten Ge-

«Die FATF greift direkt in den Wettbewerb der Finanzmärkte ein.» schäftsbereichs oder gar über die Verunmöglichung ihrer Aktivitäten berichten (z. B. die Money-Changers in der Romandie fanden keine Bank mehr, mit welcher sie ihre geschäftlichen Beziehungen abwickeln konnten!). Wie fühlen sie sich, wenn sie für die kriminellen Vortaten anderer Personen selbst kriminalisiert werden und gleichzeitig als Hilfs-Sheriff für ausländische Regierungen agieren müssen? Möchten die schweizerischen Finanzintermediäre als direkt Betroffene der FATF-Empfehlungen eine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse mit Bezug auf die ursprünglichen Zielsetzungen der FATF sehen, bevor das Mandat der FATF für nach 2012 erneuert wird? Und vor allem auch bevor über die im Dezember 2010 zur Kommentierung aufgelegten «Review of the FATF-Standards» [13] diskutiert wird. Zur letzteren haben fünf Wirtschaftsverbände der Schweiz in einem gemeinsamen Schreiben an die FATF und die ISFIN (Internationales Standardsetting Finanzmarktintegrität) die neu aufgelegten Vorschläge der Reviews als verfrüht bezeichnet. Sie haben u. a. auch auf die rechtsstaatlich äusserst bedenklichen Auswirkungen der Einführung von Tax Crime als Vortat zur Geldwäscherei hingewiesen. Das Grundrecht der Privatsphäre des Individuums wird tangiert und der Finanzintermediär wird zur Denunzierung seiner Klienten in Steuersachen aufgefordert. Und wie soll der Finanzintermediär zwischen nach schweizerischem Recht legaler und nach dem ausländischem Recht seines Klienten strafbarer Steuerstruktur unterscheiden können? Die schweizerischen Finanzintermediäre, die alle bisherigen Empfehlungen mustergültig und genauestens umgesetzt und sich entsprechend administrativ und organisatorisch darauf eingestellt haben, werden am Status quo der Umsetzung der FATF-Empfehlungen kaum etwas ändern wollen. Die Frage muss aber gestellt werden, ob sie weitere Empfehlungen umsetzen können, oder ob ihre Antwort «genug ist genug» oder gar eine Aufgabe ihrer geschäftlichen Tätigkeit sein wird? 4. TRAGIK DER SCHWEIZ 4.1 Schweiz als Musterknabe. Die Schweiz war schon immer ein musterhaftes Vorbild in der Einhaltung von Verträgen, Umsetzung von Regulierungen und Empfehlungen. Wir nehmen das alles sehr ernst und genau, und auf uns ist Verlass. Dieser Umstand per se ist noch keine Tragik. Dass wir jedoch gerade bei den FATF-Empfehlungen praktisch die einzigen sind, welche die an uns gestellten Forderungen genauestens umsetzen, nicht aber alle diejenigen Länder, wel-

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che diese Ansinnen gestellt und formuliert haben, ist tragisch, weil diese Situation zu einer Ungleichheit der Chancen im Weltfinanzmarkt führt. So gesehen werden unsere Erfolge als freie Marktwirtschaft mit all ihren durch Fleiss und Tüchtigkeit herausgearbeiteten Vorteilen, durch zuweilen unsinnigen vorauseilenden Gehorsam zunichte gemacht. 4.2 Andere Nicht-Musterknaben. Wenn wir unseren Blick auf andere Staaten werfen und deren Verhalten mit dem unsrigen vergleichen, sehen wir drastisch, dass wir uns durch unsere Musterschülerhaltung im internationalen Finanzmarktwettbewerb an den kürzeren Hebel manövrieren. Deshalb muss es gestattet sein, über die Grenzen zu schauen, um sich einen Überblick zu verschaffen, wie das von anderen gehandhabt wird. Einige Beispiele dazu: p Betreffend Bankkundengeheimnis: Es gibt Länder in Europa, in denen man als schweizerischer Steuerzahler ohne weiteres ein Bankkonto eröffnen kann; keine Fragen, absolute Vertraulichkeit ist zugesichert, es wird angeboten, die Bankenkorrespondenz banklagernd zu halten usw. In den USA werden Personen in ihrer Eigenschaft als Schweizer Steuerzahler überhaupt nicht registriert und es werden keine Informationen über sie weitergegeben. Sie erscheinen nicht auf «dem Radar» und dies seit 1921. Alle politischen oder behördlichen Bemühungen, dies zu ändern, blieben – wegen der starken Bankenlobby – fruchtlos. Die USA, welche z. B. so fordernd von allen anderen Ländern (allen voran der Schweiz) den Informationstransfer verlangt, gewährt dies ihrerseits keinem anderen Land – ausser Kanada. p Betreffend Umsetzung der FATF-Empfehlungen: Was die Umsetzung der FATF-Regeln betrifft, so kann man z. B. die letzte FATF-Länderprüfung eines Nachbarlands der Schweiz im Ergebnis als total ungenügend bezeichnen [14]. Das Executive Summary des Prüfungsberichts liest sich wie ein einziges Sündenregister. Die FATF hat erstmals im Oktober 2001 Empfehlungen zur Bekämpfung der Terrorfinanzierung aufgestellt. Ein vom Terror direkt betroffenes europäisches Land zeigte diesbezüglich in der Umsetzung 2007 ein ungenügendes Prüfungs-

«Fünf Wirtschaftsverbände der Schweiz haben in einem gemeinsamen Schreiben an die FATF und die ISFIN die neu aufgelegten Vorschläge der ‹reviews› als verfrüht bezeichnet.» ergebnis, versprach Besserung und wurde 2009 nochmals geprüft. Auf dem Papier sah alles etwas besser aus, doch die Realität zeigt nach neun Jahren der verpassten Umsetzung ein anderes Ergebnis [15].

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4.3 Asymetrie zuungunsten der Schweiz. Es kommt deshalb der leise Verdacht auf, dass die FATF verschiedene Massstäbe ansetzt, je nach Stärke und Wichtigkeit der zu überprüfenden Staaten – es gibt dazu eine ganze Reihe von Beispielen! Die FATF greift damit direkt in den Wettbewerb der Finanzmärkte ein und lässt durch ihre arbiträre Bewertung und Begutachtung diese Auseinandersetzung zu einem asymmetrischen Finanz- und Wirtschaftskrieg werden, – natürlich zulasten und -ungunsten der kleineren und schwächeren Länder, wie der Schweiz. Wir können das so nicht mehr hinnehmen und müssen beginnen, uns zu wehren. Der Generalsekretär des Council of Bars and Law Societies of Europe hat sich an der Jahreskonferenz der International Bar Association für die Anwälte wie folgt gewehrt: «die von Regierungen verbreitete Mär, dass grosse Mengen an Geld durch Anwälte – auch unbewusst – gewaschen werden, weil sie den Kriminellen aufgesessen sind, ist eine Lüge. Diese gigantische Regulierungsdichte ist unnötig und schädlich» [16].

5. WAS K ANN DIE SCHWEIZ DIESEN SACHZWÄNGEN VON EXTRA-LEGALEN GREMIEN WIE DER FATF ODER G20 ENTGEGENSETZEN? Wir müssen uns wieder auf unsere Souveränität und unseren Souverän – das Volk – besinnen, deren Errungenschaften

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und Vorteile, deren höchste Legitimität und deren Verankerung in der politischen Struktur unseres Lands. Wir müssen uns weder der direkten Demokratie schämen, noch der Gewaltenteilung, noch unseres Rechtssystems, noch unserer Unabhängigkeit (Der vergleichende Blick über die Grenzen in andere Staaten, die sich als Demokratien bezeichnen, wäre da sehr aufschlussreich.). Diese Rückbesinnung mag nicht allen in ihr Konzept passen. Sowohl in- wie ausländische Kritiker, die andere Interessen vertreten, möchten die Entscheidungsabläufe und

«Wir müssen uns wieder auf unsere Souveränität besinnen.» Verfahren anders als direkt-demokratisch organisiert haben. Denn Entscheide des Souveräns lassen wenig Spielraum für Interessenvertreter, oder Bekenner der dynamischen Rechtsentwicklung, oder Vereinfacher und Abkürzer der Entscheidungswege zu. Gerade unsere behördlichen Vertretungen in den internationalen Gremien verlieren oft den Blick auf die Bedürfnisse ihres Souveräns und treffen realitätsfremde Abmachungen.

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In Ländern, in denen Entscheide von grösster Tragweite, ohne den Souverän zu befragen, getroffen wurden, beginnt der Souverän sich zu wehren (ein Unwort des Jahres 2010: «Wutbürger»). Wir müssen deshalb unsere Souveränität, unsere Gewaltenteilung und unser Rechtssystem stets und überall hervorheben und hochhalten. Wenn wir jetzt nicht «klein beigeben» und unbeirrt unseren Weg gehen, einen Weg, der höchste Legalität für sich beanspruchen kann, dann werden wir uns wohl in Bälde mit Souveränen anderer Staaten in guter Gesellschaft befinden. 6. WIE VERTEIDIGEN WIR UNSEREN FINANZMARK T? Es gilt in der Hauptsache folgende allgemeine Regeln zu beachten: Nationale Souveränität erhalten: p Keine Forderungen von aussen implementieren, ohne nicht die gesetzlichen schweizerischen Grundlagen zu beachten. p Keine Abkürzungen der Entscheidungs- oder Rechtswege zu akzeptieren. p Ohne durchgeführtes demokratisches Prozedere keine politischen Forderungen oder Medienbehauptungen als «bereits bestehende Fakten» oder «Wille des Volks» als tatsächliche Realität anerkennen. p Auf die eigene Souveränität bestehen und deren hohen legitimen Wert unterstreichen. p Die eigene hohe Regelungsdichte in unserem Land hervorheben. Eigendisziplin der Führungselite: p Keinen billigen Kuhhandel wegen kurzfristigen wirtschaftlichen Überlegungen einge-

Anmerkungen: * Überarbeitetes Referat vom 3. 11. 2010, GwG-Kongress, Forum SRO, Kursaal Bern. 1) Siehe auch http://www.gwg-kongress.ch/ referate/Referat_Josef_Bollag.pdf. 2) http://www. finma.ch/d/finma/internationales/gremien/Seiten/ fatf.aspx, 17.08.10. 3) http://www.fatf-gafi.org/pa ges/0,3417,en_32250379_32236836_1_1_1_1_1,00. html, 17.08.10. 4) http://www.fatf-gafi.org/docum ent/52/0,3343,en_32250379_32236869_34027188_

hen. p Keiner momentanen «Staatsraison» höhere Priorität einräumen (UBS-Konten und USA, Tinner-Akten). p Keine verpflichtenden Versprechungen leichtfertig abgeben, denen zurzeit gar keine schweizerischen Gesetze zugrunde liegen. Auf Drohungen von aussen reagieren (z. B. schwarze Listen): p Drohung als Drohung und unfreundlicher Akt bezeichnen und anprangern; «name and shame» für unsere Kritiker, die selber das von uns Geforderte gar nicht einhalten. p Alliierte und Verbündete auf dem Weltfinanzmarkt orten, gemeinsame Ziele definieren und kooperieren (das bedingt eine lange strategische Vorarbeit). p Voraussehend Gegenmassnahmen planen und diese sobald als nötig verlauten lassen und auch tatsächlich umsetzen (z. B. dass die Schweizerische Nationalbank in hohem Masse Gläubiger von deutschen Staatsanleihen ist). Das schweizerische Licht sollte nicht unter den Scheffel gestellt werden. Wir müssen selbstbewusster auftreten. So meinte Toni Blair: «Die Schweiz zieht sich ziemlich gut aus der Affäre. Meiner Ansicht nach sollte die Rolle der Schweiz darin bestehen, ihre hauptsächlichen Qualitäten weiter zu pflegen. Und dies nicht nur in finanziellen und wirtschaftlichen Bereichen. Die Schweiz hat ein starkes Profil in der Welt. Sie spielt ihre Rolle in internationalen Foren.»

„

(Weltwoche Nr. 42/2010)

1_1_1_1,00.html, 17.08.10. 5) http://www.fatf-gafi. org/pages/0,3417,en_32250379_32236836_1_1_1_ 1_1,00.html, 17.08.10. 6) FATF Force Annual Report 2009–2010, S. 35. 7) Saugte, S. 178 ff. 8) FATF Annual Report, 2009–2010, S. 35. 9) FATF Annual Report 1996–1997, S. 10 f. 10) FATF Annual Report 1999–2000, S. 20 ff. 11) Research Group on Equity Market Regulation, REGEM Analysis 10, S. 10. 12) Williams/Baudin-O’Hayon, S. 141. 13) http://

www.fatf-gafi.org/document/28/0,3746,en_32250 379_ 32236920_ 46266908_1 _1 _1 _1,00.html. 14) Mutual Evaluation Report FATF: Germany 19 February 2010. 15) http://www.youtube.com/ watch?v=f-HIQQMUrLc. 16) Sinngemäss aus dem Englischen übersetzt, aus «The Law Gazette» 8. 10. 2010 by Jonathan Goldsmith.

R É SU M É

Instances extrajudiciaires contre État de droit Le Groupe d’action financière pour la lutte contre le blanchiment de capitaux (GAFI) s’est largement écarté de ses objectifs initiaux et est devenu un outil de pouvoir sur le marché financier mondial entre les mains de quelques groupes puissants. La structure et la gestion du GAFI ont peu de choses à voir avec notre concept de la démocratie et sa base juridique est insuffisante. Il tente d’influencer les petites nations par des menaces et des «listes noires», quelle que soit leur structure de pouvoir tant il est clair que règne ici en maître la loi du plus fort.

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La Suisse serait bien avisée de prendre ses distances et nous devrions nous demander quoi faire. Comment, enfant modèle, nous retrouvons-nous isolés et pourquoi nous faisonsnous un tel tort? Concentrons-nous sur nos qualités et nos points forts, et surtout sur notre démocratie directe et ses avantages. Il est d’autant plus primordial à l’heure actuelle d’élaborer des règles de comportement claires pour défendre notre marché financier. JB/AFB

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