EuZPR in Familiensachen

Münchener Kommentar zum FamFG • §§ 1-491 FamFG, IZPR/EuZPR in Familiensachen von Prof. Dr. Thomas Rauscher, Prof. Dr. Dagmar Coester-Waltjen, Prof. Di...
Author: Ernst Frank
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Münchener Kommentar zum FamFG • §§ 1-491 FamFG, IZPR/EuZPR in Familiensachen von Prof. Dr. Thomas Rauscher, Prof. Dr. Dagmar Coester-Waltjen, Prof. Dieter Eickmann, Alexander Erbarth, Ansgar Fischer, Prof. Dr. Christian Fischer, Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Gottwald, Dr. Stefan Heilmann, Norbert Heiter, Michael Henjes, Dr. Katharina Hilbig-Lugani, Dr. Alexander Krafka, Prof. Dr. Volker Lipp, Carola Macco, Dr. Hans-Ulrich Maurer, Dr. Jörg Mayer, Prof. Dr. Karlheinz Muscheler, Dr. Steffen Pabst, Julia Pasche, Dr. Manfred Postler, Wulf Schindler, Prof. Dr. Adrian Schmidt-Recla, Prof. Dr. Eva Schumann, Dr. Jürgen Soyka, Angelika Stein, Dr. Bernhard Ulrici, Dr. Wolfram Viefhues, Prof. Dr. Holger Wendtland, Prof. Dr. Walter Zimmermann, Bettina Limpert 2. Auflage

Münchener Kommentar zum FamFG • §§ 1-491 FamFG, IZPR/EuZPR in Familiensachen – Rauscher / CoesterWaltjen / Eickmann / et al. schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thematische Gliederung: Freiwillige Gerichtsbarkeit

Verlag C.H. Beck München 2013 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 406 61017 2

Inhaltsverzeichnis: Münchener Kommentar zum FamFG • §§ 1-491 FamFG, IZPR/EuZPR in Familiensachen – Rauscher / Coester-Waltjen / Eickmann / et al.

Vorbemerkung zu den §§ 23 ff.

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(vgl. Rn. 13).63 Ist das Gericht zur Verfahrenseinleitung befugt und verpflichtet, ist umstritten, welche Bedeutung einem gleichwohl durch einen Beteiligten gestellten Antrag zukommt. Die hM ging schon für das FGG davon aus, dass diesen Anträgen lediglich die Bedeutung einer bloßen Anregung an das Gericht auf Einleitung eines Verfahrens zukommt.64 Das Gericht muss kein Verfahren einleiten.65 Der Antragsteller erlangt durch seinen Antrag nicht die Stellung eines formell Beteiligten.66 Zu Recht ging die Gegenansicht bereits zum FGG davon aus, dass aus der Geltung der Offizialmaxime lediglich folgt, dass ein Antrag keine Voraussetzung für die Verfahrenseinleitung ist.67 Hierdurch wird der in einem Amtsverfahren gestellte Antrag jedoch nicht bedeutungslos. Dies gebietet die Subjektstellung der Verfahrensbeteiligten.68 Dieser Ansicht hat sich für das FamFG nunmehr auch der Gesetzgeber angeschlossen,69 was in § 52 Abs. 1 und § 87 Abs. 1 S. 2 zum Ausdruck kommt (vgl. § 23 Rn. 9). Auch setzt zB § 42 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 SGB VIII voraus, dass das Jugendamt durch einen Antrag ein Amtsverfahren nach § 1666 BGB70 einleiten und nicht nur anregen kann („Entscheidung des Familiengerichts … herbeizuführen“).71 Der Antragsteller ist nach zutreffender Ansicht daher stets formell Beteiligter.72 Sein Antrag ist zu bescheiden (vgl. § 87 Abs. 1 S. 2 für das Vollstreckungsverfahren).73 Fehlt ihm die Antragsbefugnis (vgl. § 23 Rn. 16 ff.), ist sein Antrag als unzulässig abzuweisen.74 Dies entspricht letztlich der Rechtslage im Verwaltungsverfahren (zB wenn ein Bürger ein Einschreiten gegen einen Dritten begehrt).75 Im Ergebnis gilt für das FamFG danach grds. die Offizialmaxime, welche durch die Möglich- 11 keit zur beteiligtenseitigen Verfahrenseinleitung ergänzt wird. Das Gericht kann und muss ein Verfahren von Amts wegen einleiten, ist hierzu aber auch auf entsprechenden Antrag verpflichtet. Folge der gerichtlichen Befugnis zur Verfahrenseinleitung von Amts wegen ist zunächst, dass die Beteiligten ein Tätigwerden des Gerichts nicht, zB durch Schiedsvereinbarung, ausschließen können.76 Außerdem disponiert allein das Gericht über die Fortführung des Verfahrens und dessen Beendigung.77 Die Beteiligten können sich nicht entscheiden, eine Mediation oder ein anderes außergerichtliches Konfliktslösungsverfahren anstelle des gerichtlichen Verfahrens durchzuführen (vgl. § 36a Rn. 15). Verfahrenshandlungen der Beteiligten wie Anerkenntnis, Verzicht, Vergleich, übereinstimmende Beendigungserklärung78 sowie Antragsrücknahme führen nicht zur Verfahrensbe63 OLG Frankfurt FamRZ 2012, 570; OLG Hamm FamRZ 1982, 94; Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 1, 4, 51 f.; Baur § 17 I, Brehm § 2 Rn. 13, § 10 Rn. 3; Bumiller/Harders § 23 Rn. 1; Jansen/v. König/v. Schuckmann Vor §§ 8–18 FGG Rn. 4; Keidel/Sternal § 23 Rn. 5; Lindacher JuS 1978, 577, 578. 64 OLG Hamm FamRZ 1982, 94; Baur § 17 I; Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 1; Keidel/Kuntze/ Winkler/Meyer-Holz Vor §§ 8–18 FGG Rn. 6; Klüsener Rn. 50; Lent ZZP 66 (1953), 267, 269; für das FamFG auch OLG Frankfurt FamRZ 2012, 570; OLG Hamm BeckRS 2012, 05452; MDR 2011, 1479; FGPrax 2009, 285, 286; LG Frankenthal BeckRS 2010, 11855; Bassenge/Roth/Gottwald § 24 Rn. 1, 3; Büte FuR 2008, 537, 538; Bumiller/Harders § 24 Rn. 1; Haußleiter/Gomille § 24 Rn. 1; Keidel/Sternal § 24 Rn. 5; Kemper/Schreiber/Kemper Einl. Rn. 37; Kemper/Schreiber/Schreiber § 24 Rn. 4; Prütting/Helms/Ahn-Roth § 24 Rn. 1, 3; Schulte-Bunert Rn. 143; Zimmermann FamFG Rn. 149. 65 Baur § 17 I. 66 BGH NJW 1999, 3718, 3719; Baur § 17 I; differenzierend Jansen/v. König/v. Schuckmann Vor §§ 8–18 FGG Rn. 5. – Jetzt auch Begründung zum Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften (BT-Drucks. 17/10490), S. 20. 67 Vgl. Brehm § 10 Rn. 4; Lindacher JuS 1978, 577, 578. 68 Vgl. Brehm § 7 Rn. 6; Bork/Jacoby/Schwab/Jacoby § 23 Rn. 7. 69 Amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 178. – Anders jetzt Begründung zum Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften (BT-Drucks. 17/10490), S. 20. 70 OLG Hamm BeckRS 2012, 05452; OLG Brandenburg BeckRS 2011, 16736; Brehm § 10 Rn. 3; BeckOKFamFG/Burschel § 24 Rn. 2; Keidel/Sternal § 24 Rn. 3. 71 Übersehen von Begründung zum Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften (BT-Drucks. 17/10490), S. 20. Kann das Jugendamt kein Verfahren einleiten, kann es eine Entscheidung des Gerichts nicht herbeiführen, weil eine gerichtliche Entscheidung nicht ergeht, wenn das Gericht eine bloße Anregung nicht aufgreift. 72 Vgl. amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 178; Brehm § 7 Rn. 6, § 10 Rn. 4; Bork/Jacoby/Schwab/ Jacoby § 23 Rn. 7; bei bestehender Antragsbefugnis auch Jansen/v. König/v. Schuckmann Vor §§ 8–18 FGG Rn. 5. – AA Prütting/Helms/Ahn-Roth § 24 Rn. 3. 73 Amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 178; Brehm § 10 Rn. 4; Bork/Jacoby/Schwab/Jacoby § 23 Rn. 7. – AA OLG Hamm BeckRS 2012, 05452; OLG Frankfurt BeckRS 2011, 00377; FamRZ 2012, 570; MDR 2012, 1466, 1467; Prütting/Helms/Ahn-Roth § 24 Rn. 12. 74 AA Jansen/v. König/v. Schuckmann Vor §§ 8–18 FGG Rn. 5: kein Anspruch auf Bescheidung. 75 Vgl. OVG Münster NJW 1987, 2603. 76 Baur § 17 I. 77 Lindacher JuS 1978, 577, 579. 78 OLG Schleswig FamRZ 2012, 895.

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endigung (vgl. § 22 Abs. 4). Durch eine Antragsrücknahme wird dem Gericht zwar die Befugnis zur Bescheidung des gestellten Antrags entzogen. Dies hindert das Gericht jedoch nicht, dass es im Interesse der Fürsorge den ursprünglichen Antrag weiterhin als Anlass zu einer von Amts wegen erfolgenden Verfahrensfortführung und zur Entscheidung über den Verfahrensgegenstand nimmt.79 12 Die Kombination aus Offizialmaxime und Verfahrenseinleitungsrecht der Beteiligten findet sich vereinzelt ausdrücklich im Gesetz, zB § 1896 Abs. 1 BGB. Hierdurch wird jedoch keine eigenständige dritte Fallgestaltung der Verfahrenseinleitung neben den Alternativen Offizial- und Dispositionsmaxime (vgl. hierzu Rn. 9) begründet.80 Vielmehr entspricht § 1896 Abs. 1 BGB ausweislich vorstehender Ausführungen in Bezug auf die Herrschaft über Verfahrenseinleitung, -gegenstand und -beendigung vollständig den klassischen Fällen des Amtsverfahrens (zB Kindeswohlgefährdung, § 1666 BGB). Erst recht irreführend ist daher die Gesetzesbegründung,81 welche unter unzutreffender Vermischung82 von Offizial- bzw. Dispositionsmaxime und Beibringungs- bzw. Untersuchungsgrundsatz für das FamFG sogar vier Fallgestaltungen der Verfahrenseinleitung unterscheidet. c) Ausnahme: Dispositionsmaxime. Die Offizialmaxime gilt im FamFG-Verfahren allerdings nicht durchgängig, weil auch der hinter ihr stehende Gedanke einer unabhängig von einem entsprechenden Willen des Betroffenen zu gewährenden Fürsorge nicht durchgängig greift. Das Gesetz sieht teilweise ausdrücklich vor, dass ein Verfahren nur auf Antrag eingeleitet wird (vgl. zB §§ 29,83 235384 BGB, §§ 223, 417).85 Ausnahmsweise kann sich ein Antragserfordernis trotz Schweigens des Gesetzeswortlauts aber auch im Wege der Auslegung ergeben.86 Umstritten ist dies bspw. für § 1828 BGB.87 Insoweit wird teilweise davon ausgegangen, dass die Genehmigung nur auf Antrag des Vormunds erteilt wird.88 Nach anderer Ansicht kann das Verfahren auch von Amts wegen (auf Anregung, zB des Geschäftspartners) eingeleitet, die Genehmigung aber nicht gegen den Willen des Vormunds erteilt werden.89 Vorzugswürdig erscheint, dass das Verfahren nur auf Antrag eingeleitet wird, um den Beteiligten die gerichtliche Hilfe nicht aufzudrängen.90 Die Antragsbefugnis richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. § 23 Rn. 16 ff.). Sie fehlt dem Geschäftspartner des Mündels.91 Soweit ein Antragserfordernis besteht, ist das Gericht nicht zu einer Verfahrenseinleitung von 14 Amts wegen berechtigt. Vielmehr obliegt allein den Beteiligten die Herrschaft über Einleitung, Gegenstand und Beendigung des Verfahrens. Das Vorliegen eines wirksamen Verfahrensantrags ist in Antragsverfahren in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung.92 Da entscheidend ihr Vorliegen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist, kann der Antrag mit Wirkung für die Zukunft nachgeholt werden.93 Soweit die Beteiligten dem Gericht die Entscheidungsbefugnis durch Rücknahme des Antrags, übereinstimmende Beendigungserklärung94 bzw. im Rahmen ihrer materiell-rechtlichen Dispositionsbefugnis95 durch Anerkenntnis, Verzicht oder Vergleich entziehen, führt dies zur Verfahrensbeendigung. Die Geltung des Untersuchungs13

79 Vgl. Baur § 17 IV 1 b; Habscheid, FGG, § 18 II 2, vgl. für die Verfassungsbeschwerde mit allgemeiner Bedeutung BVerfG NJW 1998, 2515, 2518. 80 Haußleiter/Gomille § 23 Rn. 1. – AA BeckOK-FamFG/Burschel § 23 Rn. 3; Prütting/Helms/Ahn-Roth Vor §§ 23, 24 Rn. 3; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann Vor §§ 23–37 Rn. 6. 81 Vgl. amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 185; im Anschluss auch Bassenge/Roth/Gottwald § 23 Rn. 1; Bumiller/Harders § 23 Rn. 1 f.; BeckOK-FamFG/Burschel § 23 Rn. 3; Keidel/Sternal § 23 Rn. 3; Kroiß/ Seiler § 2 Rn. 48; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann Vor §§ 23–37 Rn. 4 ff. 82 Vgl. MüKoZPO/Rauscher Einl. ZPO Rn. 292; Haußleiter/Gomille § 26 Rn. 3. – Unzutreffende Vermischung auch bei Kemper/Schreiber/Schreiber § 26 Rn. 8 ff. 83 Vgl. KG BeckRS 2012, 11640. 84 Vgl. OLG München BeckRS 2012, 09830. 85 OLG Hamm FamRZ 1982, 94; Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 4; Bumiller/Harders § 23 Rn. 1 f.; vgl. die Übersicht bei BeckOK FamFG/Burschel § 23 Rn. 4 f.; Keidel/Sternal § 23 Rn. 8 f. 86 Lindacher JuS 1978, 577, 578; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann § 24 Rn. 2. – AA Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 4; Keidel/Sternal § 24 Rn. 3. 87 Vgl. hierzu MüKoBGB/Wagenitz § 1828 Rn. 33. 88 BGH DNotZ 1967, 320, 321 f.; Pawlowski/Smid Rn. 296. 89 Vgl. KGJ 52, 43, 45; BayObLG FamRZ 1977, 141, 144; Bamberger/Roth/Bettin § 1828 BGB Rn. 7; Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 4; MüKoBGB/Wagenitz § 1828 Rn. 33; ohne diese Einschränkung BGH NJW 1987, 1770; Keidel/Sternal § 23 Rn. 5 (Gericht „sollte“ absehen). 90 Vgl. jetzt (eher unbeabsichtigt) § 63 Abs. 2 Nr. 2 nF. 91 OLG Rostock NJW-RR 2006, 1229, 1229 f.; Jacoby FamRZ 2007, 1703, 1704 f.; Schulte-Bunert Rn. 84; vgl. auch OLG Celle NJW-RR 2012, 73, 73 f. 92 BGH FGPrax 2011, 41, 42; Haußleiter/Gomille § 23 Rn. 4; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann § 23 Rn. 11. 93 Haußleiter/Gomille § 23 Rn. 4; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann § 23 Rn. 11. 94 KG BeckRS 2012, 11640. 95 Vgl. Lindacher JuS 1978, 577, 579; Thubauville, Wirkungen, S. 15 ff.

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grundsatzes (vgl. Rn. 15 ff.) schließt diese Dispositionsformen, insbesondere Anerkenntnis und Verzicht nicht aus,96 weil er allein die Tatsachenbeschaffung nicht aber den Verfahrensgegenstand betrifft.97 Kein Ausfluss der Dispositionsmaxime ist dagegen, dass ein Verfahren bei Unzuständigkeit (entgegen § 3 Abs. 1) nur auf Antrag verwiesen wird (vgl. nur § 48 Abs. 1 ArbGG, § 83 S. 1 VwGO jeweils iVm. § 17a Abs. 2 GVG).98 3. Beschaffung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen. Im Anwendungsbereich der 15 §§ 23 ff. gilt für die Beschaffung der tatsächlichen Grundlagen der gerichtlichen Entscheidung der eingeschränkte Untersuchungsgrundsatz.99 Abweichend vom Zivilprozess müssen im Grundsatz nicht die Beteiligten den für die Entscheidung relevanten Sachverhalt beibringen (vgl. § 26). Auch disponieren nicht die Beteiligten durch Bestreiten oder Zugestehen über die Beweisbedürftigkeit einer Tatsache (vgl. § 29 Abs. 1 S. 2).100 Sie können die Zulässigkeit von Beweismitteln nicht durch Vertrag (zB im Rahmen einer Mediationsvereinbarung) regeln. Schließlich besteht keine Verpflichtung der Beteiligten, erforderliche Beweismittel herbeizuschaffen. Vielmehr muss das Gericht im Ausgangspunkt die entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen ermitteln. Ihre Feststellung erfolgt unabhängig vom Vorbringen der Beteiligten, soweit sie für die Überzeugungsbildung des Gerichts erforderlich ist.101 Ein Geständnis der Beteiligten ist nicht bindend,102 weshalb eine Säumnisentscheidung vergleichbar den §§ 330 f. ZPO ausgeschlossen ist.103 Auch können die Beteiligten keinen Vergleich über die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen treffen (vgl. § 36 Rn. 16). Dagegen schließt der Untersuchungsgrundsatz weder Anerkenntnis noch Verzicht aus, was ein Vergleich mit anderen Verfahren zeigt, in denen der Untersuchungsgrundsatz gilt (vgl. § 87a Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 155 Abs. 2 Nr. 2 SGG, §§ 80 Abs. 2 S. 1 iVm. 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 ArbGG).104 Die Zulässigkeit von Anerkenntnis und Verzicht richtet sich vielmehr allein nach der Dispositionsbefugnis der Beteiligten (vgl. § 36 Rn. 15 ff.).105 Schließlich muss das Gericht von Amts wegen die für eine Beweisaufnahme erforderlichen Beweismittel herbeischaffen. Durch die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes sichert der Gesetzgeber die materielle 16 Wahrheit der Entscheidungsgrundlagen.106 Dies dient vielfach besonders schutzwürdigen, nicht disponiblen Interessen, welche durch die Entscheidung berührt werden.107 Soweit die Beteiligten allerdings nach materiellem Recht dispositionsbefugt sind, trägt diese Wertung nicht. Es scheint ein Wertungswiderspruch darin zu bestehen, dass die Beteiligten zwar befugt sind, die materielle Rechtslage nach ihren Vorstellungen umzugestalten, ihnen diese Befugnis jedoch hinsichtlich der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen nicht zukommen soll.108 Vielmehr könnten insoweit Geständnis, Nichtbestreiten109 und Säumnis110 wie im Zivilprozess zu behandeln sein. Bei näherer Betrachtung liegt ein Wertungswiderspruch jedoch nicht vor. Das Verfahrensrecht kann anderen Grundsätzen folgen als das materielle Recht.111 Bspw. ließe sich der fehlende Gleichlauf mit dem Schutz der Autorität und des Ansehens des Gerichts sowie mit einem im Gerichtsverfahren gesteigerten Interesse an der Bewährung der Rechtsordnung rechtfertigen. Für die Fälle der Säumnis und des Nichtbestreitens spricht außerdem gegen einen Wertungswiderspruch, dass dem bloßen 96 Vgl. Klüsener Rn. 54; Thubauville, Wirkungen, S. 36, 331 ff., 345. – AA BayObLG NJWE-MietR 1997, 14; Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. Rn. 53; Bork/Jacoby/Schwab/Jacoby § 26 Rn. 9; Keidel/Sternal § 26 Rn. 9; Kemper/Schreiber/Schreiber § 26 Rn. 12; Musielak/Borth/Borth § 26 Rn. 9, § 38 Rn. 9; Prütting/Helms/Prütting § 26 Rn. 13; Schlegelberger § 12 FGG Rn. 6. 97 Thubauville, Wirkungen, S. 12, 36. 98 KG FGPrax 2011, 260. – AA Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 52; Keidel/Sternal § 3 Rn. 36. 99 Vgl. Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 53; Keidel/Sternal § 26 Rn. 10, 20; Lindacher JuS 1978, 577, 580; Schreiber JURA 1994, 30, 35. 100 Vgl. AG Ludwigslust v. 22.7.2011 – 5 F 266/10. 101 KG NJW 2001, 903, 904; Brehm § 10 Rn. 22. 102 Vgl. AG Ludwigslust v. 22.7.2011 – 5 F 266/10. 103 Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 53; vgl. auch Keidel/Meyer-Holz § 32 Rn. 8, 42. 104 Vgl. Klüsener Rn. 54; Lindacher JuS 1978, 577, 579; Thubauville, Wirkungen, S. 36, 331 ff., 345. – AA BayObLG NJWE-MietR 1997, 14; Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 53; Bork/Jacoby/Schwab/Jacoby § 26 Rn. 9; Keidel/Sternal § 26 Rn. 9; Kemper/Schreiber/Schreiber § 26 Rn. 12; Musielak/Borth/Borth § 26 Rn. 9, § 38 Rn. 9; Prütting/Helms/Prütting § 26 Rn. 13; Schlegelberger § 12 FGG Rn. 6. 105 Vgl. Klüsener Rn. 54. 106 Vgl. BayObLG BayVBl. 1972, 502, 503; Klüsener Rn. 57. 107 Vgl. Schreiber JURA 1989, 86, 87. 108 Vgl. Grunsky, Grundlagen, § 3 II 2, § 18 III; vgl. auch Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann § 26 Rn. 6. 109 Hierfür Grunsky, Grundlagen, § 20 I, II. 110 Hierfür Grunsky, Grundlagen, § 21 I. 111 Lindacher JuS 1978, 577, 580; Thubauville, Wirkungen, S. 306 ff.; vgl. auch Schlegelberger § 12 FGG Rn. 3. – Abw. Bork/Jacoby/Schwab/Jacoby § 27 Rn. 3.

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Unterlassen nicht der gleiche Erklärungswert wie einem aktiven Vergleichsschluss zukommt.112 Für die Säumnis kommt hinzu, dass im Unterschied zur ZPO im FamFG-Verfahren keine Pflicht zur Mündlichkeit besteht (vgl. Rn. 25), weshalb deren Nichtbeachtung nicht sanktioniert werden kann.113 Ein dem Vergleichsschluss vergleichbarer Erklärungswert kommt zwar dem erklärten Geständnis (vgl. § 288 ZPO) zu. Gleichwohl rechtfertigt dies ebenso wenig wie der Telos des § 288 ZPO, die Anordnung114 des Gesetzgebers in § 29 Abs. 1 S. 2 zu ignorieren.115 17 Die Untersuchungspflicht des Gerichts ist auf den Gegenstand des Verfahrens beschränkt. Außerdem besteht sie nur im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten des Gerichts. Dieses ist nicht zu einer Ermittlungstätigkeit „ins Blaue hinein“ verpflichtet.116 Der Richter muss nicht „auf Verdacht“ jede – aus seiner Sicht – mehr oder weniger nur theoretische Möglichkeit berücksichtigen.117 Vielmehr ist das Gericht nur insoweit zur Sachverhaltserforschung verpflichtet, als der ihm bekannte Sachverhalt Anhaltspunkte für weitere Nachforschungen bietet.118 Solche Anhaltspunkte kann das Gericht vielfach nur dem Vorbringen der Beteiligten entnehmen. Dementsprechend sieht das Gesetz eine Mitwirkungslast der Beteiligten bei der Sachverhaltsaufklärung vor (vgl. § 27 Rn. 3 ff.).119 Das Gericht kann sich der Beteiligten bei der Sachaufklärung bedienen, allerdings nur vereinzelt Mitwirkungshandlungen erzwingen (vgl. § 27 Rn. 7). Soweit eine Aufklärung nicht erzwungen werden kann, begrenzt die fehlende Mitwirkung der Beteiligten die Ermittlungspflicht des Gerichts.120 Kann dieses ohne Mitwirkung der Beteiligten nicht beurteilen, in welche Richtung weitere Untersuchungen oder eine Beweisaufnahme zu richten sind, endet seine Untersuchungspflicht. Weitere Ermittlungen sind ihm gleichwohl nicht verboten. Eine besondere Beschränkung erfährt der Untersuchungsgrundsatz, soweit das Gesetz die Glaubhaftmachung einer Tatsache durch die Beteiligten vorsieht (zB §§ 13 Abs. 2 S. 1, 18 Abs. 3 S. 1, 51 Abs. 1 S. 2).121 In diesen Fällen trifft die Beteiligten die Obliegenheit, die Glaubhaftmachungsmittel herbeizuschaffen.122 Das Gericht ist hierzu unter Beachtung seiner Neutralität zwar befugt, aber nicht verpflichtet (vgl. § 31 Rn. 9). Im Interesse einer effektiven und flexiblen Verfahrensführung ist die Tatsachenfeststellung durch 18 das Gericht nicht auf ein förmliches Beweisverfahren mit einem beschränkten Katalog an Beweismitteln begrenzt.123 Vielmehr kann das Gericht grds. im Wege des Freibeweises alle verfügbaren Erkenntnisquellen heranziehen, auch wenn sich deren Erhebung nicht in die aus dem Zivilprozess bekannten Mittel des Strengbeweises einordnen lässt.124 Das Gericht legt seiner Entscheidung den gesamten Inhalt des Verfahrens zu Grunde (vgl. § 37 Abs. 1) und ist, weil der für das ZPO-Verfahren geltende Mündlichkeitsgrundsatz125 nicht zur Anwendung kommt, nicht auf den Inhalt der mündlichen Verhandlung beschränkt. Die Freistellung der Tatsachenfeststellung von Förmlichkeiten gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Vielmehr sieht das Gesetz Fälle vor, in denen das Gericht im Interesse der Beteiligten ein förmliches Beweisverfahren durchführen muss bzw. soll (§ 30 Abs. 2, 3). 19

4. Verfahrensdurchführung. a) Amtsbetrieb. Von der Herrschaft über die Verfahrenseinleitung und -beendigung ist die Frage zu unterscheiden, wer das Verfahren tatsächlich in Gang hält.126 Für das FamFG gilt umfassend, dh. in Amts- und Antrags- sowie in streitigen und nichtstreitigen 112

Thubauville, Wirkungen, S. 309, 325 ff. Thubauville, Wirkungen, S. 344; Zimmermann FamFG Rn. 156. 114 Amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 188. 115 AA für das FGG Thubauville, Wirkungen S. 336 ff., 345. 116 BGH FGPrax 2011, 178; OLG Frankfurt FGPrax 2012, 89, 90; OLG Saarbrücken BeckRS 2012, 09549; Keidel/Sternal § 26 Rn. 17. 117 Vgl. BGH NJW 2010, 1351, 1353; OLG Saarbrücken BeckRS 2013, 02405; BeckRS 2012, 09549; KG NJW 2001, 903, 904; Brehm § 10 Rn. 26; Lindacher JuS 1978, 577, 581. 118 BGH NJW 2010, 1351, 1353; 1963, 1972, 1973; OLG Saarbrücken BeckRS 2012, 09549; Lindacher JuS 1978, 577, 581. 119 Vgl. OLG Frankfurt FGPrax 2012, 89, 90; OLG Hamm FGPrax 2010, 143, 144; Brehm § 10 Rn. 23; Keidel/Sternal § 26 Rn. 20; Lindacher JuS 1978, 577, 580. 120 Vgl. amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 186; Stellungnahme der BReg (BT-Drucks. 16/6308) S. 406; OLG Köln NJW-RR 1991, 1285, 1286; Brehm FPR 2006, 401, 404; Kroiß/Seiler § 2 Rn. 56; Lindacher JuS 1978, 577, 581. 121 Keidel/Sternal § 26 Rn. 18. 122 OLG Bremen NJW-RR 2011, 1511, 1512. 123 Vgl. auch Kuntze FGPrax 2005, 185, 187. 124 Schreiber JURA 1994, 30, 35. 125 Vgl. MüKoZPO/Rauscher Einl. ZPO Rn. 348, 354. 126 Brehm § 10 Rn. 2; Jansen/v. König/v. Schuckmann Vor §§ 8–18 FGG Rn. 22. 113

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Verfahren, der Amtsbetrieb.127 Danach hält das Gericht das Verfahren in Gang. Insbesondere ordnet es Termine oder eine Beweisaufnahme an, setzt Fristen, gibt Hinweise und verfügt Zustellungen und Ladungen.128 Von einem Beteiligten angeordnete Maßnahmen sind unwirksam. Auch entscheidet das Gericht über eine Aussetzung des Verfahrens (§ 21); nach Maßgabe des § 36a Abs. 2 können die Beteiligten eine Aussetzung allerdings erzwingen (vgl. § 36a Rn. 16). b) Richterliche Fürsorge. Im Vergleich zum Zivilprozess wird das Verfahren des FamFG in 20 besonderer Weise von einer richterlichen Fürsorge zu Gunsten der Beteiligten bestimmt.129 Hierdurch soll auch nicht rechtskundigen Beteiligten eine effektive Teilnahme am Verfahren und die Wahrnehmung ihrer Interessen ermöglicht werden. Zwar entspricht hinsichtlich der gerichtlichen Verfahrensleitung § 28 abstrakt weitgehend § 139 ZPO.130 Als Ausdruck einer gesteigerten gerichtlichen Fürsorge erscheinen aber zB die von Amts wegen erfolgende Verweisung bei Unzuständigkeit (§ 3 Abs. 1), die Belehrung über das Antragsrecht (§ 7 Abs. 4 S. 2), die geringen Anforderungen an die Verfahrenseinleitung (§ 23 Abs. 1, vgl. dort Rn. 11), die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 26), die Nichtförmlichkeit der Tatsachenfeststellung (§ 29) sowie die Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung131 (§ 39). c) Rechtliches Gehör. Abweichend von den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers zum 21 FGG132 steht den Beteiligten des Verfahrens ein verfassungsrechtlich gesicherter Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu (Art. 103 Abs. 1 GG).133 Für das einfache Recht enthält das FamFG in einer Reihe von Vorschriften positive Ausgestaltungen dieses Anspruchs (zB §§ 28 Abs. 1 S. 2, 30 Abs. 4, 34, 37 Abs. 2, 283 Abs. 1 S. 2). Zudem setzt § 44 einen umfassenden Anspruch auf rechtliches Gehör voraus und unterstellt ihn einem besonderen Schutz (vgl. § 44 Rn. 1 ff.). Rechtliches Gehör ist in allen Instanzen und in allen Verfahren zu gewähren, einschließlich der Zwangsvollstreckung und des Verfahrens über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe.134 Der Anspruch auf rechtliches Gehör steht eigenständig neben der (persönlichen) Anhörung zur 22 Tatsachenermittlung, weil sich ihre Zwecke nicht vollständig entsprechen.135 Die Sachverhaltsermittlung betrachtet den Beteiligten als Erkenntnisquelle, dh. als dienendes Objekt.136 Die Gewährung rechtlichen Gehörs trägt dagegen der Stellung der Beteiligten als Verfahrenssubjekte Rechnung.137 Gleichwohl kann die Kommunikation zwischen Gericht und Beteiligten im Einzelfall beiden Aspekten dienen.138 Allerdings können verschiedene Anforderungen gelten. So kann im Einzelfall die schriftliche Anhörung zur Gewährung rechtlichen Gehörs ausreichen, jedoch die der Tatsachenermittlung dienende Pflicht zur persönlichen Anhörung verletzen oder umgekehrt eine persönliche Anhörung den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen, wenn die Ergebnisse der Anhörung nicht mitgeteilt werden.139 Berechtigte des Gehörsanspruchs sind alle Beteiligten (vgl. § 7 Rn. 3 ff.).140 Dies gilt zunächst 23 für alle formell Beteiligten, dh. für den Antragsteller (vgl. § 7 Abs. 1) und alle vom Gericht tatsächlich zum Verfahren als Beteiligte hinzugezogenen Personen (vgl. § 7 Abs. 2, 3).141 Darüber hinaus folgt aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör, dass alle materiell Beteiligten tatsächlich am Verfahren beteiligt werden müssen (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 1).142 Im Rahmen des Streits um die Beteiligtenstellung 127

Keidel/Sternal § 26 Rn. 11; Schlegelberger § 12 FGG Rn. 1, 2 aE. Jansen/v. König/v. Schuckmann Vor §§ 8–18 FGG Rn. 22; Keidel/Sternal § 26 Rn. 11. Zimmermann Rpfleger 1967, 329, 334. 130 Vgl. Prütting/Helms/Prütting § 28 Rn. 1, 3. 131 Vgl. amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 196. 132 Vgl. hierzu Jansen, Wandlungen, S. 14 f., 19 f.; Lindacher JuS 1978, 577, 582; Schleicher, Rechtliches Gehör, S. 13 ff. 133 BVerfG NJW 1957, 1228; 1988, 125; 2009, 138; 2011, 1275; BGH NJW 1985, 1702, 1705; Jansen, Wandlungen, S. 15 ff.; Keidel, Rechtliches Gehör, S. 112; Lindacher JuS 1978, 577, 582; Schleicher, Rechtliches Gehör, S. 13; Zimmermann Rpfleger 1967, 329, 332. 134 Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 57; Keidel, Rechtliches Gehör, S. 112. 135 BGH NJW 1985, 1702, 1705; Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 56; Brehm § 10 Rn. 30; Keidel, Rechtliches Gehör, S. 50 ff.; Lindacher JuS 1978, 577, 583; verkannt von BVerfG NJW 1995, 316, 317. 136 Brehm § 10 Rn. 31. 137 Brehm § 10 Rn. 31; Jansen, Wandlungen, S. 19 f. 138 Lindacher JuS 1978, 577, 583. 139 Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 56; vgl. auch BGH NJW 1985, 1702, 1705; BeckRS 2012, 20501. 140 BVerfG NJW 2009, 138, 139; Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 58; vgl. auch Kuntze FGPrax 2005, 185, 186. 141 Vgl. BGH NJW 1999, 3718, 3719; Lindacher JuS 1978, 577, 582. 142 BVerfG NJW 1995, 2155, 2157 f.; 2009, 138, 139; Jacoby FamRZ 2007, 1703, 1704; Lindacher JuS 1978, 577, 582. 128 129

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24–26

Buch 1. Abschnitt 2. Verfahren im ersten Rechtszug

(vgl. § 7 Abs. 5) ist den hiervon Betroffenen rechtliches Gehör zu gewähren. Verfahrensfähige nehmen das Recht selbst, Nichtverfahrensfähige durch ihre Vertreter oder Verfahrensbeistände wahr.143 24 Inhaltlich ist erforderlich, den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, sich zu einer tatsächlichen oder rechtlichen Frage innerhalb einer nach den Umständen angemessenen Frist zu äußern.144 Ihnen soll die Möglichkeit gegeben werden, die Willensbildung durch das Gericht zu beeinflussen.145 Eine bestimmte Form ist hierfür nicht vorgeschrieben.146 Eine Pflicht zur mündlichen Verhandlung oder Erörterung besteht deshalb nur teilweise (vgl. §§ 32 Abs. 1, 34 sowie § 15 Abs. 1 LwVG).147 Zunächst haben die Beteiligten ein Recht darauf, von der Einleitung eines Verfahrens (vgl. §§ 7 Abs. 4 S. 1, 23 Abs. 2) sowie allen entscheidungserheblichen148 Grundlagen Kenntnis zu erlangen (vgl. §§ 28 Abs. 1 S. 2, 37 Abs. 2).149 Die Form der Kenntnisgabe muss zumutbar sein.150 In Betracht kommt die Übersendung von Hinweisen oder Abschriften ebenso wie eine mündliche Unterrichtung.151 Ausfluss dessen sind das Recht auf Akteneinsicht (vgl. § 13 Abs. 1) sowie das Recht auf Teilnahme an einer stattfindenden mündlichen Verhandlung oder einer Beweisaufnahme. Weiterhin ist das Recht umfasst, tatsächlich am Verfahren beteiligt, zB zu einem Termin geladen zu werden und Anträge stellen zu können.152 Im Anschluss muss für alle Beteiligten die Möglichkeit bestehen, sich angemessen zu den entscheidungserheblichen Umständen zu äußern (vgl. § 30 Rn. 40). Den Inhalt einer Äußerung muss das Gericht zur Kenntnis nehmen und in seine Entscheidungsfindung einbeziehen.153 Aus seiner Funktion folgt, dass rechtliches Gehör grds. vor der Entscheidungsfindung zu gewähren ist.154 Beschränkungen auf eine nachträgliche Gewährung können allerdings aus übergeordneten Interessen, zB im Eil- (vgl. § 51 Abs. 2) und Vollstreckungsverfahren (vgl. § 92 Abs. 1 S. 2) oder zur Gefahrenabwehr, erfolgen.155 25 d) Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsatz. Im Verfahren nach §§ 23 ff. gilt der Mündlichkeitsgrundsatz nicht.156 Deshalb findet eine mündliche Verhandlung grds. nicht zwingend statt.157 Vielmehr steht es im Ermessen des Gerichts, einen Erörterungstermin durchzuführen (vgl. § 32 Abs. 1).158 Dieses hat hierbei die Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK zu beachten.159 Im Einzelfall kann zudem eine Verpflichtung zur persönlichen Anhörung bestehen (§ 34 Abs. 1). Anders als im ZPO-Verfahren ist die Mündlichkeit danach nicht als Prinzip ausgestaltet.160 Einzelne Ausnahmen finden sich zB in §§ 155 Abs. 2, 165 Abs. 2 und in Gesetzen, welche das FamFG-Verfahren in Bezug nehmen (zB § 15 Abs. 1 LwVG). Da eine mündliche Verhandlung nicht zwingend vorgesehen ist, sind die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen nicht auf deren Inhalt beschränkt. Vielmehr entscheidet das Gericht auf der Grundlage des gesamten Verfahrensinhalts (vgl. § 37 Rn. 3 ff.). 26 Im FamFG-Verfahren gilt mit Einschränkungen der Unmittelbarkeitsgrundsatz, welcher auch mit einem nichtmündlichen Verfahren vereinbar ist.161 Ausdruck findet er zunächst darin, dass das erkennende Gericht selbst (vgl. § 32 Rn. 1) die Sache mit den Beteiligten erörtern und hierzu in geeigneten Fällen auch technische Möglichkeiten nutzen soll (vgl. § 32 Abs. 1, 3). Außerdem entscheidet das erkennende Gericht selbst nach seiner freien Überzeugung (§ 37 Abs. 1). Keine Anwen143 Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 59 f.; Jansen/Briesemeister § 12 FGG Rn. 121; Keidel/Meyer-Holz § 34 Rn. 5. 144 BVerfG NJW 1982, 1579, 1582; 1983, 2762, 2763; 1988, 1773, 1774; 1991, 1283, 1285; Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 61; Keidel, Rechtliches Gehör, S. 112 ff.; Zimmermann Rpfleger 1967, 329, 333. 145 BVerfG NJW 2011, 1275. 146 Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 63; Jansen, Wandlungen, S. 20; Schleicher, Rechtliches Gehör, S. 9 f. 147 Vgl. für Fälle einer besonderen Betroffenheit der Persönlichkeit bereits Schleicher, Rechtliches Gehör, S. 87 ff. 148 Zuck NVwZ 2012, 479, 480 f. – Abw. neuerdings BVerfG-K BeckRS 2011, 53030 unter Verweis auf die Subjektstellung der Beteiligten. 149 Lindacher JuS 1978, 577, 582 f.; Zimmermann Rpfleger 1967, 329, 333. 150 Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 62. 151 Bassenge/Roth/Gottwald § 37 Rn. 6. 152 Lindacher JuS 1978, 577, 582. 153 BVerfG NJW 1983, 2762, 2763; 1987, 485; 1991, 1283, 1285; 1994, 2683; 1997, 2310, 2312. 154 BVerfG NJW 1959, 427, 428; Keidel, Rechtliches Gehör, S. 187. 155 Vgl. BVerfG NJW 1959, 427, 428; BGH BeckRS 2012, 03448; OLG Dresden NJW-RR 1998, 830, 831; Bassenge/Roth, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 57; Jansen, Wandlungen, S. 24 f.; Keidel, Rechtliches Gehör, S. 194. 156 Amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 191; Prütting/Helms/Prütting Einl. Rn. 58. 157 Vgl. amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 191; Lent § 12 VI; Zimmermann Rpfleger 1967, 329, 331. 158 Schulte-Bunert Rn. 164. 159 Vgl. hierzu Lipp FPR 2011, 37, 38 f. 160 Amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 191; Schulte-Bunert Rn. 185. 161 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 80 Rn. 2. – AA Lent § 12 VIII.

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dung findet der Unmittelbarkeitsgrundsatz zwar im nach § 29 zulässigen Freibeweis.162 Allerdings schreibt § 355 Abs. 1 S. 1 ZPO iVm. § 30 Abs. 1 für die förmliche Beweisaufnahme die Unmittelbarkeit mit den im Bereich des ZPO-Verfahrens bestehenden Ausnahmen (vgl. §§ 355 Abs. 1 S. 2, 361, 362 ZPO) vor.163 Geschwächt wird der Unmittelbarkeitsgrundsatz allerdings insoweit, als es an einer § 309 ZPO entsprechenden Regelung fehlt,164 was sich aus der fehlenden Geltung des Mündlichkeitsgrundsatzes erklärt. Die Entscheidung kann daher von einer Gerichtsperson getroffen werden, die weder an der Beweisaufnahme noch an einer mündlichen Verhandlung teilgenommen hat und daher nur nach vorgefundener Aktenlage entscheidet.165 Insgesamt reduziert sich der Unmittelbarkeitsgrundsatz daher im Wesentlichen darauf, dass das erkennende Gericht nach seiner eigenen freien Überzeugung entscheidet. e) Verfahrensbeschleunigung. Wirksame gerichtliche Hilfe verlangt nicht nur richtige Ent- 27 scheidungen nach gründlicher Untersuchung und Prüfung, sondern auch eine rasche Entscheidung, weil gerichtliche Maßnahmen durch Zeitablauf entwertet werden können.166 Einstweilige Maßnahmen nach §§ 49 ff. können hier nur partiell Abhilfe schaffen, weil sie zwar geeignet sind, eine Rechtsvereitelung zu verhindern; Rechtssicherheit begründen sie auf Grund ihres vorläufigen Charakters jedoch nicht. Abhilfe schafft daher nur eine Beschleunigung des Verfahrens. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben167 sowie Art. 5 Abs. 3, 6 Abs. 1, 13 EMRK168 gilt im FamFG-Verfahren der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung.169 Für bestimmte Kindschaftssachen wird dies im Gesetz ausdrücklich angeordnet und um das Gebot vorrangiger Erledigung ergänzt (vgl. § 155 Abs. 1).170 Ein Gebot zur Konzentration des Verfahrens auf einen Verhandlungstermin (vgl. § 57 Abs. 1 S. 1 ArbGG) besteht dagegen nicht, weil das Mündlichkeitsprinzip nicht gilt. Ausdruck findet der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung insbesondere in §§ 28 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 3,171 34 Abs. 3. Er wird zudem mittelbar dadurch gesichert, dass Verzögerungen sanktioniert (Verzögerungen durch einen Beteiligten: § 81 Abs. 2 Nr. 4) oder ausgeglichen (Verzögerungen durch das Gericht: §§ 198 ff. GVG)172 werden können. Die §§ 23 ff. enthalten allerdings grds. keine der Verfahrensbeschleunigung unmittelbar dienenden Präklusionsvorschriften. Deshalb ist die Nichtberücksichtigung verspäteten Vorbringens regelmäßig nicht zulässig.173 Dies folgt zwar nicht zwingend aus dem Amtsermittlungsgrundsatz,174 wie zB § 83 Abs. 1a ArbGG, § 87b VwGO und § 106a SGG zeigen. Allerdings bedarf die Präklusion als Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG einer gesetzlichen Grundlage.175 Nur vereinzelt, zB für Haushalts- und Ehesachen (vgl. § 206 Abs. 2, 3 bzw. § 115), sieht das FamFG die Möglichkeit zur Zurückweisung verspäteten Vorbringens vor. f) Nichtöffentlichkeit. Die Verfahren sind, auch soweit eine mündliche Verhandlung erfolgt, 29 im Unterschied zum Zivilprozess grds. nicht öffentlich (vgl. § 170 GVG).176 Dies gilt auch in Streitverfahren.177 Das Gericht kann die Öffentlichkeit zulassen, jedoch nicht gegen den Willen der Beteiligten (§ 170 Abs. 1 S. 2 GVG). Dies wird entgegen der Annahme des Gesetzgebers178 Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht gerecht.179 Zwar kann das Gericht nach seinem Ermessen die Öffentlichkeit zulassen und hierdurch im Einzelfall den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK unter 162 163 164 165 166 167 168

OLG München NJW-RR 2009, 83, 85. Vgl. Klüsener Rn. 80. Vgl. Klüsener Rn. 80; Zimmermann FamFG Rn. 156. OLG München NJW-RR 2009, 83, 85; kritisch Klüsener Rn. 80. Rosenberg/Schwab/Gottwald § 81 Rn. 1. BVerfG NJW 2005, 739; 2008, 503. Vgl. EGMR (Kudla/Polen) NJW 2001, 2694, 2697 f.; EGMR (Sürmelin/Deutschland) NJW 2006, 2389,

2390. 169 170 171 172 173 174

Lindacher JuS 1978, 577, 583 f. Vgl. hierzu Hennemann FPR 2009, 20; Schmid FPR 2011, 5. Amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 187. Vgl. hierzu MüKoZPO/Zimmermann § 198 GVG Rn. 1 ff. Jacoby FamRZ 2007, 1703, 1706; Lindacher JuS 1978, 577, 584; Zimmermann FamFG Rn. 150. Lindacher JuS 1978, 577, 584. – AA BeckOK-FamFG/Burschel § 26 Rn. 32; Kemper/Schreiber/Schreiber § 28

Rn. 5. 175

Bork/Jacoby/Schwab/Jacoby § 26 Rn. 10; Jacoby FamRZ 2007, 1703, 1706. Vgl. Keidel/Meyer-Holz § 32 Rn. 23; Lent § 12 IX; Lindacher JuS 1978, 577, 584. Amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 320. – Vgl. für das FGG Lindacher JuS 1978, 577, 584 einerseits und Keidel/Kuntze/Winkler/Meyer-Holz Vor §§ 8–18 FGG Rn. 7a unter Verweis auf Art. 6 EMRK andererseits. 178 Amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 320. 179 Lipp FPR 2011, 37, 39; Keidel/Meyer-Holz § 32 Rn. 24; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann § 32 Rn. 15. – AA Prütting/Helms/Prütting Einl. Rn. 63. 176 177

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Berücksichtigung der Einschränkungsmöglichkeiten des Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK Rechnung tragen.180 Soweit das Gericht hieran aber bereits durch den ins Belieben gestellten Widerspruch eines Beteiligten gehindert wird, ist dies geeignet, die Rechte des jeweils anderen Beteiligten aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK zu verletzen.181 Art. 6 EMRK stellt das Vorliegen eines Geheimhaltungsinteresses nicht in das Belieben eines Beteiligten. Einer konventionskonformen Auslegung des § 170 Abs. 1 S. 2 GVG dahin, dass nur ein berechtigter Widerspruch die Zulassung der Öffentlichkeit hindert,182 steht allerdings entgegen, dass hierdurch die Sonderregelung des § 170 Abs. 2 GVG entbehrlich würde.183 30 Der von § 170 GVG vorgegebene Grundsatz der Nichtöffentlichkeit bezieht sich nur auf die Allgemeinheit und nicht auf die Beteiligten des Verfahrens. Es verbleibt daher bei dem bereits im FGG geltenden Grundsatz der Beteiligtenöffentlichkeit,184 welcher im Zusammenhang mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. Rn. 21 ff.) steht.185 Er kann für einzelne Beteiligte zum Schutz der übrigen Beteiligten beschränkt werden (vgl. §§ 33 Abs. 1 S. 2, 128 Abs. 1 S. 2, 157 Abs. 2 S. 2).

IV. Verfahrensgegenstand 1. Bestimmung. Das Gesetz verwendet den Begriff des Verfahrensgegenstands zunächst ausdrücklich in § 38 Abs. 1 und daneben in § 2 Abs. 1 den gleichbedeutenden Begriff „Angelegenheit“. In § 50 Abs. 1 erwähnt es die „Hauptsache“. Dabei fehlt allerdings jeweils eine gesetzliche Definition. Vielmehr setzt der Gesetzgeber den Begriff mit einem bestimmten Inhalt voraus. Eine unmittelbare Verbindung des Verfahrensgegenstands besteht dabei zur Verfahrenseinleitung, weil durch diese erstmals der Gegenstand des Verfahrens bestimmt wird. Wer das Verfahren einleitet, entscheidet über den Gegenstand des Verfahrens.186 Dies lässt allerdings nur eine Aussage über die Auswahl der Grundlagen für die Bestimmung des Verfahrensgegenstands zu (vgl. Rn. 34). Diesbezüglich ist offensichtlich, dass sich Unterschiede in Abhängigkeit davon ergeben, wie das Verfahren eingeleitet wurde (vgl. Rn. 1). Hiervon zu unterscheiden ist allerdings die Frage, anhand welcher Kriterien der Verfahrensgegenstand ermittelt und von anderen, ähnlichen Verfahrensgegenständen abgegrenzt wird (vgl. Rn. 32 f.).187 Die Art der Verfahrenseinleitung muss für diese Individualisierung nicht notwendig bedeutsam sein. Für den Zivilprozess, aber auch für die Verfahren anderer Rechtswege geht die hM davon aus, 32 dass der Streitgegenstand zweigliedrig bestimmt, dh. jeweils anhand des gestellten Antrags und des zu seiner Begründung unterbreiteten Lebenssachverhalts ermittelt wird.188 Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass das Gericht einen ihm unterbreiteten Lebenssachverhalt am Maßstab des materiellen Rechts im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel untersucht.189 Zwar scheint für den Strafprozess der Verfahrensgegenstand allein durch den angeklagten Lebenssachverhalt begrenzt zu werden.190 Bei näherer Betrachtung wird aber auch dort offenbar, dass der Verfahrensgegenstand ebenfalls zweigliedrig bestimmt wird, weil die Anklageerhebung das verfolgte Ziel (Feststellung der Strafbarkeit eines konkreten Angeklagten) bestimmt. Diese Einheitlichkeit in den Grundlagen spricht dafür, auch den Gegenstand des Verfahrens nach dem FamFG zweigliedrig zu bestimmen.191 Er wird begrenzt durch das Ziel des gerichtlichen Verfahrens sowie den insoweit zugrunde liegenden Lebenssachverhalt, weil das Gericht auch im FamFG-Verfahren mit einem bestimmten Ziel unter Berücksichtigung eines bestimmten Lebenssachverhalts tätig wird.192 Abzulehnen ist dagegen die Ansicht, der Verfahrensgegenstand werde eingliedrig nur durch das Verfahrensziel 31

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Amtl. Begr. FamFG (BT-Drucks. 16/6308) S. 320. Lipp FPR 2011, 37, 39. 182 So Lipp FPR 2011, 37, 39. 183 Vgl. auch OLG Stuttgart BeckRS 2012, 05481 unter B. III. 1. a, c der Gründe; Keidel/Meyer-Holz § 32 Rn. 24. 184 BayObLG NJW-RR 1996, 583, 584; Bumiller/Harders § 30 Rn. 21; Jansen, Wandlungen, S. 34 ff.; Kroiß/ Seiler § 2 Rn. 82; Schreiber JURA 1994, 30, 36. – AA RGZ 63, 275, 277 f. 185 Bumiller/Harders § 37 Rn. 3; Jansen, Wandlungen, S. 34 ff.; Lindacher JuS 1978, 577, 582 f., 584. 186 Vgl. Prütting/Helms/Prütting Einl. Rn. 76; vgl. auch BGH NJW 2008, 2922; BAG NJW 1994, 604, 605; Baumgärtel JuS 1974, 69, 70; Lent § 11 II; Schreiber JURA 1988, 190; Thubauville, Wirkungen, S. 266 f. 187 Vgl. Thubauville, Wirkungen, S. 266; Prütting/Helms/Prütting Einl. Rn. 76. 188 BGH NJW 1981, 2306; 1995, 1757, 1757 f.; BAG NJW 1994, 604, 605; BVerwG NVwZ 1994, 1115; Baumgärtel JuS 1974, 69, 70; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 92 Rn. 23 ff.; MüKoZPO/Becker-Eberhard Vor §§ 253 ff. Rn. 32. 189 Vgl. BGH NJW 2002, 3465, 3466; Baumbach/Lauterbach/Hartmann § 2 ZPO Rn. 4; Rosenberg/Schwab/ Gottwald § 92 Rn. 23. 190 Vgl. BGH NJW 1970, 255, 256; 2000, 226, 227. 191 Prütting/Helms/Prütting Einl. Rn. 76. Für Antragsverfahren auch Keidel/Engelhardt § 45 Rn. 23. 192 Vgl. Pawlowski/Smid Rn. 195. 181

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