EXPERTENFORUM „ES IST ANGERICHTET! - ESSEN UND TRINKEN IM HEIMALLTAG“ AM 13.04.2005 IM RAHMEN DER ALTENPFLEGE+PROPFLEGE 2005

Referat: Referentin:

Essen & Trinken im Pflegealltag Karla Kämmer

Im Bereich der Gestaltung von Essen und Trinken im Pflegealltag hat sich bereits viel getan: Wahlmenüs und/oder -komponenten werden in den Einrichtungen angeboten, Strategien der haushaltsnahen Gestaltung der Essenssituation umgesetzt. Die Sinnesanregung durch Mahlzeitengestaltung und -präsentation hat im Lebensweltkonzept einen breiten Raum eingenommen. Erschreckende Berichte und Zahlen über fehl- und mangelernährte alte Menschen zeigen jedoch, dass das Thema aktuell und brisant ist und auch in naher Zukunft bleiben wird. Es geht in der Diskussion um die Konstruktion einer fachlichen Verknüpfung von Lebensqualität, Gesundheit und Wohlbefinden – dies in einer Lebensphase, in der oftmals wenig auf Selbststeuerungspotenziale der Betroffenen zurückgegriffen werden kann und deshalb anwaltschaftliche Kompetenzen der professionellen Pflege stark gefragt sind. Beim Thema "Essen und Trinken im Heim" geht es vorrangig um Lebensqualität in seiner multidimensionalen Bedeutung. Es geht um Wohlbefinden und Gesunderhaltung. Mangelernährung tritt im Alter zwar häufig auf, ist aber keine zwangsläufige Erscheinung des Alters. Um Mangelernährung zu vermeiden, ist Risikomanagement gefragt: Gefährdungssituationen müssen erkannt, vorausschauend vermieden bzw. nicht vermeidbare Risiken müssen in ihren schädigenden Konsequenzen gemindert werden. In manchen Lebenssituationen, z. B. bei malignen Erkrankungen und im Sterben ist Mangelernährung kein Kunstfehler, sondern Teil einer (patho-)physiologischen Entwicklung. Essen im Pflegealltag ist Querschnittsaufgabe In der Gestaltung von Essen und Trinken im Heim ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Hausbereiche gefragt: ο Die personenbezogene Steuerung und Überwachung der Ernährungssituation liegt da bei der Professionellen Pflege ο Küche und Küchenleitung tragen die Verantwortung für die sach- und fachgerechte Produktion der Mahlzeiten. Hauswirtschaft, Küche und Pflege teilen sich – je nach Speisenverteilsystem – die Durchführungsverantwortung in der SpeiErstellung: Prüfung/Freigabe: Version: Überprüfung: KK Training Beratung Weiterbildung Karla Kämmer 1.0 / 2005_04_01 /schr ./. Referat: Essen und Trinken im Pflegealltag z. Welttag der Hauswirtschaft, Altenpflege und Pro Pflege 2005

Seite 1/4

senpräsentation und –ausgabe. Die Erfassung der gegessenen Mahlzeitenbestandteile und –mengen erfolgt durch Pflege und ggf. Hauswirtschaft im Anschluss an den Verzehr. ο Die gesundheitsspezifische Bewertung der Ernährungssituation auf der Basis von Pflegestatus, -planung und -dokumentation liegt in der Verantwortung der Bezugspflegfachkraft. Kriterien für die Gestaltung der Essenssituation Um Aussagen zur Angemessenheit des Trink- und Essverhaltens zu treffen, sind die oft lebenslang praktizierten Ernährungsgewohnheiten mit den aktuellen Lebensumständen der Gesundheitssituation in Verbindung zu bringen. Vor diesem Hintergrund findet eine pflegefachliche Bewertung mittels professioneller Beobachtung und Exploration auf der Basis von Biografie, Pflegeanamnese und Pflegediagnostik statt. Ihr Ergebnis bildet die Ausgangsbasis für zu treffenden fachlichen Prioritäten, ihre Planung und die Bündelung aller Informationen in der gemeinsamen Pflegedokumentation. In ihr sollte das Gesamtkonzept der personenbezogenen Leistung von Pflege und Begleitung mit seinen individuellen Facetten angemessen erkennbar sein. Angemessen heißt, dass analog zu den lebensweltbezogenen Anforderungen der Situation die Risikobewertung erfolgt und gemäß des fachlichen Standards berücksichtigt wird: Die Pflegeleistung muss zum Menschen passen wie ein „Schuh“. Risikopotenzialanalysen durchführen Grundvoraussetzungen für ein gezieltes und sicheres Handeln sind neben dem aktuellen fachlichen Wissen bei den Pflegefachkräften die Fähigkeit zur Unterscheidung, bei welchen BewohnerInnen welcher konkrete Handlungsbedarf besteht. Als große Hilfe erweist sich hier der Aufbau eines einrichtungsinternen PflegeControlling-Systems, in dem regelmäßig die z. B. 20-25 wichtigsten bewohnerbezogenen Risikopotenziale im Rahmen der monatlichen Überprüfung der Pflegedokumentation durch die Bezugspflegekräfte erfasst und nach einer einfachen Systematik eingeschätzt werden. Dieses Verfahren benötigt einen zeitlichen Aufwand von ca. 5-10 Minuten pro BewohnerIn/Monat und zeigt auf, in welchen Bereichen prophylaktische und risikomindernde Interventionen in welcher Dringlichkeit anzuwenden sind. Die Pflegedienstleitung kann durch die Arbeit mit diesem systematischen Verfahren gefährdete Personen zuverlässig herausfiltern und trägt durch geeignete Begleitungs- und Unterstützungsmaßnahmen, z.B. Pflegevisiten, dazu bei, dass der daraus resultierende Maßnahmeneinsatz rechtzeitig gezielt und wirksam, bestimmungsgemäß und ressourcenschonend erfolgt. Rahmenbedingungen schaffen Als Fachverantwortliche der Einrichtung ist es eine hervorragende Aufgabe der Pflegedienstleitung, geeignete Rahmenbedingungen zur Gestaltung der Flüssigkeits- und Ernährungssituation der BewohnerInnen zu treffen, d. h., insbesondere folgende Fragen zu klären: − Passt die Personaleinsatzplanung zum Personalbedarf während der Mahlzeiten? Erstellung: Prüfung/Freigabe: Version: Überprüfung: KK Training Beratung Weiterbildung Karla Kämmer 1.0 / 2005_04_01 /schr ./. Referat: Essen und Trinken im Pflegealltag z. Welttag der Hauswirtschaft, Altenpflege und Pro Pflege 2005

Seite 2/4

− − −

− − −



Werden angemessene Hilfsmittel eingesetzt? Sind die Mitarbeitenden fachlich auf die Anforderungen zum Thema Ernährung vorbereitet? Sind Ernährung und Flüssigkeitszufuhr in angemessener Weise Thema bei Übergaben, übergreifenden Hauskonferenzen und in der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Angehörigen, Ärzten und Therapeuten? Verfügt die Einrichtung über einen diätisch geschulten Koch und hat er Gelegenheit, sein Wissen weiterzugeben? Sind ausreichend geeignete Gewichtsmessgeräte (Sitz- und Liegewaagen) verfügbar? Werden geeignete Controlling-Instrumente eingesetzt und wird in der Pflegedokumentation auf das Thema Ernährung in erforderlicher Weise eingegangen? Sind Zuständigkeit und Verantwortlichkeit im Rahmen von Bezugspersonenpflege eindeutig geklärt und wird entsprechend verfahren?

Im Qualitätsmanagement präzisieren In den Qualitätsmanagementhandbüchern finden sich Aussagen zur Ernährung und Flüssigkeitsversorgung älterer Menschen meist in den Kapiteln zur Unterkunft und Verpflegung (Systemanalogie SGB XI) wieder. Hier beschreiben In der Regel entsprechende Verfahrensanweisungen die Speise- und Getränkeversorgung in der vollstationären Pflege eher global. In den Durchführungsbeschreibungen sollten sich diese Verfahrensanweisungen in entsprechenden Prioritäten konkretisieren: − Feststellung der Bewohnerbedürfnisse durch regelmäßige Befragungen, − differenzierte Darstellung und Umsetzung des Speiseangebotes im Tagesdurchschnitt, − zeitliche Abstandsminimierung zwischen den einzelnen Mahlzeiten, − Berücksichtigung von Ernährungsgewohnheiten von BewohnerInnen mit Diabetes mellitus oder Demenz, − Verabreichung von hochkalorischer eiweiß- und vitaminreicher Nahrung bei dekubitusgefährdeten Personen sowie − Planung und Dokumentation der täglichen Trink- und Flüssigkeitsmenge und der Nahrungszufuhr.

Um die Verankerung des Wissens zu diesem Thema in den Pflegeeinrichtungen zu beschleunigen, könnte es hilfreich sein, sich beispielsweise von den nationalen Pflege- und Versorgungsstandards in Schottland leiten zu lassen, die seit 2003 der „Schottischen Kommission zur Regelung der Pflege und Versorgung“ als Prüfgrundlage dienen. Sie gründen auf den Werten Würde, Privatsphäre, Entscheidungsfreiheit, Sicherheit, Entfaltung des Potenzials sowie Gleichberechtigung und Vielfalt. Die Erarbeitung des Standards erfolgte in Schottland aus dem Blickwinkel der BeErstellung: Prüfung/Freigabe: Version: Überprüfung: KK Training Beratung Weiterbildung Karla Kämmer 1.0 / 2005_04_01 /schr ./. Referat: Essen und Trinken im Pflegealltag z. Welttag der Hauswirtschaft, Altenpflege und Pro Pflege 2005

Seite 3/4

wohnerInnen. Die Standards sind so formuliert, dass sie den/die BewohnerIn direkt ansprechen. „Ihre Mahlzeiten sind abwechslungsreich und nahrhaft. Sie berücksichtigen Ihre Essensvorlieben und die jeweiligen Bedarfslagen für Diät. Die Mahlzeiten sind appetitlich zubereitet, gut gekocht und lassen auch das Auge mit essen. 1. Das hauswirtschaftliche Personal und das Pflegepersonal werden über Ihre Essensvorlieben und Ihre Essensauswahl informiert; dazu gehören auch Ihre ethnischen, kulturellen und Ihre religiösen Besonderheiten. Spezielle Diäten (z.B. vegetarische, fettarme, proteinreiche Kost) werden in Ihren persönlichen Pflegeund Versorgungsplan aufgenommen. 2. Dass Ihnen angebotene Essen berücksichtigt Ihre Vorlieben. Die Mahlzeiten werden nach den von Ihnen geäußerten Wünschen abwechslungsreich gestaltet; sie enthalten immer frisches Obst und Gemüse. 3. Sie können ein warmes Frühstück erhalten und haben Wahlmöglichkeiten bei Ihrem Mittag- und Abendessen. 4. Die Mahlzeiten werden auf Ihre diätischen Bedürfnisse abgestimmt, sie sind ernährungsphysiologisch ausgewogen, z. B. wenn Sie Diabetiker sind oder an Niereninsuffizienz leiden. 5. Sie können jederzeit Zwischenmahlzeiten sowie kalte und warme Getränke bekommen. 6. Wenn Sie nicht ganz sicher sind, ob Sie genügend zu Essen oder zu Trinken bekommen, werden dies die Mitarbeitenden mit Ihnen oder mit Ihrem Vertreter besprechen. Wenn Sie damit einverstanden sind, ergreifen die Mitarbeitenden entsprechende Maßnahmen, beispielsweise wird ein Ernährungsberater oder Ihr Hausarzt hinzugezogen. 7. Ihre Mahlzeiten werden gut zubereitet und sehen appetitlich aus. Der Umgang mit allen Lebensmitteln entspricht einer guten Lebensmittelhygienepraxis. 8. Sie sind in Ihrer Entscheidung frei, Ihre Mahlzeiten zu sich zu nehmen, wo Sie möchten, z.B. in Ihrem Zimmer oder im Speiseraum. Beim Essen können Sie sich Zeit lassen. 9. Sie müssen in der Lage sein, Ihr Essen zu sich nehmen zu können und es zu genießen. Falls Sie in irgendeiner Weise dabei Hilfe benötigen, wird dies das Personal für Sie regeln (z.B. Flüssignahrung, passendes Besteck, Geschirr oder die Hilfe eines Mitarbeitenden).

10. Das Pflegepersonal überprüft regelmäßig die Faktoren, die auf Ihre Fähigkeit zu essen und zu trinken Einfluss nehmen, beispielsweise die Gesundheit Ihrer Zähne. Wenn Sie eine entsprechende Beratung benötigen, wird man dies für Sie in die Wege leiten.“ Diese Standards gelten nicht nur für die heimeigene Küche, sondern der Heimbetreiber trägt auch die Verantwortung dafür, dass die von ihm ggf. beauftragten Cateringunternehmen diese Mindeststandards einhalten. Erstellung: Prüfung/Freigabe: Version: Überprüfung: KK Training Beratung Weiterbildung Karla Kämmer 1.0 / 2005_04_01 /schr ./. Referat: Essen und Trinken im Pflegealltag z. Welttag der Hauswirtschaft, Altenpflege und Pro Pflege 2005

Seite 4/4

Möglicherweise beginnt unter dem Gesichtspunkt der verbesserten Lebensqualität in einigen Einrichtungen auch die Diskussion darüber, dem Thema Essen und Trinken im Alter in der strategischen Unternehmensausrichtung größeres Gewicht beizumessen, was sich nicht in einem höheren Pflegesatz, aber durchaus in einer Neugewichtung der Pflegesatzausgaben zu Gunsten von „Essen und Trinken“ niederschlagen könnte. Das Wohlbefinden der BewohnerInnen würde nicht darunter leiden.

Erstellung: Prüfung/Freigabe: Version: Überprüfung: KK Training Beratung Weiterbildung Karla Kämmer 1.0 / 2005_04_01 /schr ./. Referat: Essen und Trinken im Pflegealltag z. Welttag der Hauswirtschaft, Altenpflege und Pro Pflege 2005

Seite 5/4