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SWR2 GLAUBEN KLEINE SCHRITTE VON DEN MÜHSAMEN WEGEN CHRISTLICHER FRIEDENSARBEIT VON IRENE DÄNZER-VANOTTI

SENDUNG 26.12.2009 /// 12.05 UHR

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oder per E-Mail an [email protected]. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Autorin: Friedenstag in Derventa im Norden von Bosnien-Herzegowina. 100 Kinder starten zu einem Friedenslauf um die orthodoxe Kirche. Eine nagelneue katholische Kirche und eine ebenso neue, weiße Moschee stehen auf dem Marktplatz unmittelbar daneben. Gotteshäuser waren im Bosnienkrieg 1992 bis 1995 die ersten Gebäude, die zerstört wurden. Für jede Gruppe der Bevölkerung war es ein Triumph, die Kirchen oder Moscheen der anderen zu beschießen. Heute, 14 Jahre nach Kriegsende, haben alle drei Religionen hier in Derventa wieder ihre Räume für Gebet und Gottesdienst. Während die Kinder am Friedenstag um die Kirche laufen, wirkt die Stadt, in der 57.000 Menschen leben, besonders freundlich: O- Ton Annett Werner Das Leben sieht friedlich aus, aber es gibt viel Gewalt und Konfliktpotential in der Gesellschaft.

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Autorin: Annett Werner aus Aachen arbeitet hier seit drei Jahren. Schwelende Konflikte aufspüren und möglichst lösen, ist ihr Beruf. Sie arbeitet als Friedensfachkraft und hat die Kinder von Derventa zu diesem Friedenslauf animiert. Atmo hochziehen Bosnien-Herzegowina gehörte einst zu Jugoslawien. Heute halten äußere Grenzen einen Staat zusammen, der im Inneren zu zerfallen droht. Drei Volksgruppen leben hier: bosnische Serben, Bosniaken und Kroaten. Sie gehörigen unterschiedlichen Religionsgemeinschaften an. Die Serben sind orthodox, die Kroaten katholisch und die Bosniaken Muslime. Im bosnischen Krieg haben sie sich bekämpft. Heute ringen sie um die Vorherrschaft im Land und sind einander bestenfalls in Gleichgültigkeit, oft aber eher in Feindschaft verbunden. Religiöse Auseinandersetzungen spielen dabei zur Zeit nur eine untergeordnete Rolle. O- Ton Bernd Rieche Zwar schweigen hier in Bosnien seit 15 Jahren, seit Dayton die Waffen, aber von Frieden – wirklich Frieden – spricht hier eigentlich kaum jemand. Autorin: Bernd Rieche gehört zum „Zivilen Friedensdienst“ in Deutschland. Seit zehn Jahren gibt es diese Organisation. 1999 wollte die damalige rot-grüne Bundesregierung nicht allein die Geschwader der NATO nach Serbien und in den Kosovo schicken, um die Kämpfe mit Gewalt zu beenden. Es sollten zusätzlich Vermittler kommen, die Menschen auf dem schwierigen Weg der Versöhnung begleiten. O- Ton Bernd Rieche Es gibt nicht den Frieden, sondern es gibt den Weg zum Frieden hin. Autorin: Diese Schritte gehen Friedensfachkräfte vom „Zivilen Friedensdienst“ in rund 50 Ländern, die gerade einen Krieg oder Bürgerkrieg überstanden haben und jetzt Möglichkeiten der Versöhnung suchen. In Israel oder Kambodscha, in Ruanda oder im Kongo und eben auch in Bosnien. Christliche Friedensgruppen mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung in vielen Konfliktherden sind dabei eine wesentliche Stütze der Arbeit. In Derventa versuchen Annett Werner und ihren Kollegen starre Fronten aufzuweichen. O- Ton Annett Werner Ich arbeite für Pax Christi schon sehr lang als Freiwillige und Friedensfachkraft. Autorin: Pax Christi ist eine katholische Friedensorganisation, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Frankreich gegründet wurde. „Pax Christi in Regno Christi“, der Frieden Christi in Christi Reich. Dieses Wort von Papst Pius XI. ist Leitwort der Organisation. Etliche Bistümer haben

3 Pax Christi Gruppen. Die Gruppe in Aachen, zu der Annett Werner gehört, engagiert sich in Bosnien. Weil Frieden Stiften nicht allein eine Sache guten Willens ist, hat der „Zivile Friedensdienst“ in Deutschland den Beruf der Friedensfachkraft geschaffen. Menschen wie Annett Werner lernen ein Jahr lang verschiedene Methoden der Konfliktlösung. Sie muss für die unscheinbaren Erfolge ihrer Mühen ein ebenso feines Gespür haben wie für die Probleme: O- Ton Annett Werner Für mich ist das ein Weg der kleinen Schritte. Ich habe gelernt, dass es gut ist, bescheiden zu sein und zu vertrauen darauf, dass es gut ist, dass das, was Menschen vielleicht zum ersten Mal in unserem Projekt erfahren, dass das erst viel später für sie wichtig werden könnte. Autorin: Der Krieg hat jedes Leben verändert. Und darüber reden zu können und sich nicht allein als Opfer zu fühlen, das ist schon beruhigend und kann Rachegelüste dämpfen. Verständigung wächst immer da, wo Menschen benennen und anerkennen, was sie selbst erlitten und was sie anderen zugefügt haben. Das hat auch Jörgen Klußmann erfahren. Er ist Studienleiter der Evangelischen Akademie im Rheinland, hat selbst in vielen Ländern Friedensprojekte geleitet und in Tagungen reflektiert: O-Ton Klußmann Wir müssen zuerst einmal die Gefühlslage der Konfliktparteien kennen lernen. Oft ist es so, dass sie erst einmal das Gefühl brauchen, ernst genommen zu werden mit dem Gefühl ihrer Bedrohung oder auch ihren Gelüsten nach Rache oder Wiedergutmachung. Das muss zunächst einmal gesehen werden und dann kann man erst anfangen zu arbeiten. Es geht bei Versöhnung immer um Ausgleich – und Ausgleich nicht nur von materiellen Dingen. Sondern überhaupt erst mal anzuerkennen, dass Leid verursacht wurde, dass man verantwortlich ist für Leid, dass man selbst gelitten hat – und das macht es dann – in Anführungsstrichen – leichter, zu einer versöhnlichen Haltung zu kommen, weil man weiß, was man selbst getan hat und man weiß, was der andere durchlitten hat. O- Ton Spasoje Kulaga (Übersetzung/overvoice) Wir Veteranen, egal aus welchem Volk wir stammen, verstehen uns sehr gut. Wir haben die gleichen Probleme. Wir kämpfen mit dem gleichen Leid. Alle Veteranen haben gesundheitliche Probleme. Alle haben mit Traumata zu tun, die nach dem Krieg geblieben sind. Autorin: Der Krieg in Bosnien war für alle Menschen ein brutaler Einbruch in ein Leben, das zumindest auf der Oberfläche des alltäglichen Lebens friedlich war. Für Spasso Kulaga kam der Krieg plötzlich: An einem Tag stand er noch als Serbe neben seinem kroatischen Kollegen in der Fabrik – am nächsten Tag musste er auf ihn schießen. O- Ton Spasoje Kulaga (Übersetzung/overvoice) Überall fanden Kämpfe statt. Wir sehen die Spuren heute noch.

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Autorin: Die Soldaten aller Seiten waren Täter und Opfer zugleich, egal ob sie Angehörige des Militärs waren oder Männer, die eilig einberufen und notdürftig bewaffnet in den Kampf geschickt wurden. Einige dieser Soldaten, etwa 100 Männer, stellen sich heute in einem heiklen Prozess ihren eigenen Taten. Sie suchen den Kontakt zu Soldaten der anderen Seite. Aussöhnung – oder zumindest Annäherung – der Veteranen ist eine Grundlage für den Aufbau einer Nachkriegsgesellschaft. Deshalb sind diese Kontakte ein wichtiges Projekt des „Zivilen Friedensdienstes“ in Bosnien. Es wird nicht etwa in Deutschland ausgedacht und den Menschen auf dem Balkan übergestülpt. Vielmehr entwickelt eine bosnische Organisation – das „Zentrum für gewaltfreie Aktion“ in der Hauptstadt Sarajevo – das Programm. Die ehemaligen Soldaten legen sich, wie Spasso Kulaga, erst einmal selbst Rechenschaft ab: O- Ton Spasoje Kulaga (Übersetzung/overvoice) Ich habe mein Leben vor dem Krieg gelebt und ich lebe mein Leben nach dem Krieg. Der Krieg hat bei den meisten von uns Spuren hinterlassen, die wir mit uns tragen werden so lange wir leben. Ich wurde verletzt und ich trage diese Verletzung mein ganzes Leben. Der Spasso, den es vor dem Krieg gab, war nicht derjenige, der jetzt hier sitzt. Autorin: Ein Mann wie Spasso Kulaga muss seine Verwundung bei jedem Schritt, den er geht, zeigen. Sein Bein ist steif. Trotzdem ist er eine Stütze der fragilen Gesellschaft. Jörgen Klußmann: O- Ton Klußmann Das ist interessant, dass von Kombattanten oder Menschen, die den Konflikt direkt erlebt haben, Versöhnung besser möglich ist als mit politischen Repräsentanten, die sich immer nur theoretisch auseinandergesetzt haben. Aber das persönliche Durchleiden ist letztlich der Schlüssel zur Versöhnung. Denn nur wer selbst etwas durchlitten und erlebt hat, was ihn hat deutlich spüren lassen, dass er Teil eines Konfliktes ist, der hat die emotionale Verfassung sich einzulassen. Der weiß, was es heißt, Opfer zu bringen. Der weiß auch, dass er nicht alleine damit ist, Opfer zu bringen. Er weiß auch, dass die Gegenseite Opfer gebracht hat. Und das ist etwas, was man von einem politischen Führer leider nicht erwarten kann. Und er weiß auch, dass er Täter ist. Das ist ganz klar. Autorin: Sich tief in Menschen einfühlen, ihre Bedürfnisse spüren und sie anerkennen, das ist für Jürgen Klußmann auch eine christliche Aufgabe. Als Protestant sieht er sich vor allem dazu aufgerufen, Gerechtigkeit zu schaffen und als Islamwissenschaftler weiß er, dass das Austarieren von Interessen auch für Muslime eine Lebensaufgabe ist. Dass diejenigen, die im Krieg gekämpft haben, den weitesten Weg zum Frieden gehen müssen und darin am meisten Unterstützung brauchen, ist für Christen in der Friedensarbeit ein wichtiger Grundsatz.

5 O- Ton Adnan Hasambegowicz (Übersetzung/overvoice) Krieg ist eine Folge menschlicher Schwäche. Einige mögen sagen, es sei eine Strafe Gottes. Aber der Krieg zeigt nur, wie schwach wir sind. Wir werden gewalttätig, weil wir keine andere Lösung finden. Es ist so einfach, gewalttätig zu sein. Autorin: Adnan Hasambegowicz sitzt in einer Rauchwolke. Er ist 36 Jahre alt. Als junger Mann hat er fast vier Jahre lang gekämpft, hat Sarajevo mitverteidigt. Die bosnische Hauptstadt war von 1992 bis 1996 eingeschlossen und belagert. Noch nach Ende des Krieges beschossen bosnische Serben unter der Führung von Radovan Karadcic von den Bergen, die sich 1.000 Meter hoch über dem Stadtzentrum erheben, Sarajevos Straßen. Für die Bewohner war fast vier Jahre lang –- jeder Schritt eine Lebensgefahr. Kinder, die auf Terrassen spielten, wurden erschossen, Jugendliche waren nicht sicher, wenn sie in die Schule gingen. Die Scharfschützen zielten auf Frauen, die beim Einkauf einen Platz überquerten. Keine Stadt wurde im 20. Jahrhundert so lange belagert wie Sarajevo. Adnan Hasambegowicz stand auf Seiten der Bosniaken. Heute raucht er viele Zigaretten, wenn er davon spricht. Aber er ist radikal ehrlich mit sich: O- Ton Adnan Hasambegowicz (Übersetzung/overvoice) Ich war Soldat, aber ich bin auch ein Friedensaktivist. Ich habe viel darüber nachgedacht, warum ich in den Krieg gezogen bin. Ich bin da meinen eigenen Entschuldigungen und Rationalisierungen auf die Schliche gekommen. Die Erfahrung des Krieges verändert die eigene Persönlichkeit. Autorin: Adnan Hasambegowicz leitet die Gesprächskreise der ehemaligen Soldaten. Denn alle, die sich an diesen Kreisen beteiligen, sagen nach den Jahren des Kampfes: Nie wieder Krieg. O- Ton Adnan Hasambegowicz (Übersetzung/overvoice): Als Teilnehmer des Krieges fühle ich mich verantwortlich für diese Gesellschaft. Autorin: Adnans Weg zu dieser Erkenntnis war weit. Er zwang sich immer wieder in die Erinnerung an die Augenblicke im Krieg, in denen sein Leben beendet schien. O- Ton Adnan Hasambegowicz (Übersetzung/overvoice): Als ich in der vordersten Linie war und dem Tod immer wieder begegnet bin, habe ich mich mit ihm schon arrangiert. Als ich dann all diese traumatischen Erlebnisse bedacht habe, fand ich Frieden – mit Gott, wie sich Christen ausdrücken würden. Ich habe heilige Bücher und Texte gelesen und plötzlich hat all das Sinn. Das Leben als Test, als Versuchung schien mir sinnvoll. Diese Erfahrung der Gewalt des Krieges war ein Prozess. Ich habe immer wieder nachgedacht, ich habe mich ins Gebet begeben und so habe ich Frieden gefunden. Frieden in meinem Herzen. Ich habe eine Erklärung gefunden und das hatte dann wiederum zur Folge, dass ich in der Gesellschaft aktiver wurde. Gott erwartet von mir, dass ich aktiv bin und den Frieden suche, ihn aktiv erstrebe. Das ist meine Erklärung für all das. So habe ich einen Sinn gefunden.

6 Autorin: Adnan Hasambegowicz hat noch eine Zigarette geraucht. Er konzentriert sich, wählt jedes Wort. Seine Erkenntnis über das Leben und den Frieden scheinen immer noch neu und so groß, dass er angespannt darüber spricht. Erst als er sagt, dass die Arbeit für den Frieden seine Lebensaufgabe geworden ist, lächelt er ein wenig: O- Ton Adnan Hasambegowicz (Übersetzung/overvoice): Was mein eigenes Lebens anlangt, so muss ich sagen: Ich glaube an Schicksal. Gott hat mein Leben gerettet, damit ich meinem Kind ein Beispiel gebe, vielleicht sogar, damit andere Menschen an mir sehen, dass es sich lohnt, um Frieden zu ringen. Autorin: Diese Arbeit geht tief und geschieht weitgehend im Verborgenen. Sie ist nicht schön. Kein Politiker oder anderer Geldgeber kann Hochglanzfotos davon machen. Dennoch ist sie für den labilen Frieden in Bosnien unverzichtbar – und sie hat noch eine größere Dimension. Bernd Rieche vom „Zivilen Friedensdienst“: O- Ton Bernd Rieche In allen Organisationen sind Menschen mit einem religiösen Hintergrund und ich denke, die Arbeit selbst hat auch spirituelle Elemente. Egal, ob sie christlich oder religiös oder moslemisch motiviert sind, aber diese Erfahrung – ein gutes Gespräch hat ein bisschen was von Gnade, ist ein kleines Wunder. Das ist etwas, was nicht nur gesteuert und gemacht ist, sondern etwas, was sich in der Begegnung ergibt und ich glaube, das ist auch ein Element von Religion und die Kraft. Ich selbst komme ja aus Ostdeutschland – und die Dimension, die ein Herbst 1989 hat, das hat was Spirituelles. Ein Element waren ja die Friedensgebete und das, was sich aus den Friedengebeten ergeben hat. Und wenn ich jetzt hier den Kriegsveteranen zugehört habe – manche haben ihre eigenen religiösen Wurzeln ja erwähnt, andere nicht, und trotzdem war da eine Tiefe, die ich eigentlich auch nur mit spirituell beschreiben kann. Autorin: Arbeit für den Frieden ist für viele Christen Prüfstein ihres Glaubens. Viele berufen sich dabei auf die großen Sätze der Bergpredigt, die den Einsatz für die Schwachen unabdingbar machen. Und das Gebot der Nächstenliebe ist ohnehin Leitstern. In einem Land aber, das vom Krieg noch so gekennzeichnet ist wie Bosnien – und dessen politischer Frieden auch heute so bedroht ist, verbieten sich offenbar große Worte. Hier ereignen sich allenfalls Momente, in denen alle Beteiligten die Kraft einer Veränderung spüren, die nicht von Menschen gemacht ist. Mit gutem Willen gehen Menschen kleine Schritte zum Frieden, werden aber immer wieder zurückgezerrt. Scheinbar gibt es gar keine positive Entwicklung: damit müssen sich auch im Heiligen Land, in Israel, Friedensfachkräfte des „Zivilen Friedensdienstes“ auseinandersetzen. Dort sind die Mauern nicht nur in den Köpfen: O-Ton Edit -> Pal/Jonas Geith „Die wenigsten Leute, die ich kenne, haben die Erlaubni, nach Jerusalem zu gehen und waren seit Jahren nicht mehr da“

7 Autorin: Jonas Geith steht mit dem Rücken zur Wand – wortwörtlich: Hinter dem Familienvater aus Freiburg, der seit drei Jahren in Ostjerusalem lebt, türmen sich acht Meter Beton, darauf noch eine Dornenkrone aus Stacheldraht: Die Grenzbefestigung, mit der sich Israel gegen palästinensische Selbstmordattentäter schützen will, ist hier doppelt so hoch, wie es die Berliner Mauer war. Und eine Mauer findet der Islamwissenschaftler Jonas Geith oft auch in den Köpfen seiner Partner vor: Er setzt sich als Friedensfachkraft dafür ein, religiöse Vertreter des Judentums mit christlichen und muslimischen Geistlichen aus Palästina an einen Tisch zu bringen. Das erfordert manchmal ganz handfeste Vorbereitungen: O- Ton Jonas Geith auf der israelischen Seite zum Beispiel haben wir über unsere israelische Partnerorganisation Vertreter, die mehr von der ultra-orthodoxen Seite kommen – sprich: Sie brauchen koscheres Essen. Und deshalb müssen wir organisieren, dass das Essen von Israel meistens mitgenommen wird.“ Autorin: ...mitgenommen auf neutralen Boden, etwa in die Türkei, wo sich nach monatelangen Vorbereitungen auf den jeweiligen Seiten dann Rabbiner, orthodoxe und katholische Geistliche zusammensetzen, um sich über die Grundlagentexte ihrer Religionen zu streiten. Nur wer sich ehrlich hinterfragt, komme weiter, erklärt Noah Salameh, der Direktor des Zentrums für Konfliktbearbeitung und Aussöhnung. O-Ton Pal/Salameh/Reality „Wir müssen den Leuten Hoffnung geben. Dabei kann ich helfen. Was haben die Supermächte dieser Welt denn schon erreicht? Nicht die USA, nicht Deutschland haben es geschafft, dass Israel nicht mehr mit Notstandsgesetzen über das besetzte Palästina regiert, wie seit 42 Jahren, sondern uns wie Menschen behandelt. Ich hoffe, ich kann etwas für unsere Kinder bewirken, aber ich fürchte, die Realität ist stärker als ich.“ Autorin: Nicht nur Kriege haben ihre Veteranen, sondern auch Friedensbemühungen und ein Veteran der Suche nach Frieden im Nahen Osten ist Johan Galtung. Er sieht in diesen kleinen, manchmal sogar winzigen, aber unverzagten Schritten die einzige Möglichkeit für den Frieden. Sie müssen aber neue Strukturen schaffen und sollten seiner Meinung nach auf einen Bundesstaat Palästina zielen: O-Ton Galtung Ich bin überzeugt, dass die Lösung ist eine Nahe-Osten-Gemeinschaft, wie die Europäische Gemeinschaft. Also offene Grenzen, Israel mit den Nachbarstaaten, Palästina völlig anerkannt. Ich glaube an die Legitimität eines Staates jüdischer Prägung in diese Gebiet. Dann bin ich darauf gekommen, die Juden könnte zwei Kantone in der Westbank haben und die Palästinenser zwei Kantone in Nordwest-Israel haben. Also zwei Staaten mit nebeneinander mit Kantonen in eine Nah-Ost-Gemeinschaft eingebaut. Autorin:

8 Egal in welchem Land, die Friedenspolitik der kleinen Schritte muss dazu führen, dass Staaten und ihre Gesellschaften Regeln und Gesetze für ihr Zusammenleben wählen, die den Frieden fördern. Bosnien-Herzegowina hat genau so eine Struktur, wie sie der norwegische Friedensforscher Johan Galtung für den Nahen Osten vorsieht. Das Land ist in drei Teile geteilt, in denen unterschiedliche Volksgruppen in der Mehrheit leben. In der Republik Srpska sind Serben in der Überzahl – entsprechend sind dort alle Straßenschilder kyrillisch geschrieben – in der Föderation im Zentrum des Landes leben Kroaten und Bosniaken miteinander. In einem kleinen neutralen Landesteil im Nordosten sind alle drei Gruppen etwa gleich stark. Als dieses Modell gefunden wurde, war das ein großer Schritt zum Frieden. Es wurde im Abkommen von Dayton festgeschrieben – und als der Vertrag im November 1995 unterschrieben war, schwiegen von einer Stunde zur anderen die Waffen. Und trotzdem: es ist den Menschen bisher nicht gelungen, friedlich zusammenzuleben. O- Ton Jasminka Drino-Kirlic Sprecherin (Übersetzung/overvoice): Wir haben doch Völkertrennung! Autorin: Das sagt Jasminka Drino-Kirlic. Sie leitet ein Jugendzentrum in Gornij Vakuf. Das Städtchen mit 20.000 Einwohnern in den Bergen im Zentrum von Bosnien ist geteilt. Westlich der Hauptstraße wohnen bosnische Kroaten. Eine katholische Kirche, ein sandsteinfarbener Kasten, ist das Zentrum ihrer Siedlung. Östlich der Hauptstraße leben Bosniaken um eine Moschee – auch sie ist erst vor kurzem wieder aufgebaut worden. Die Schule von Gornij Vakuv ist ein einstöckiger langgestreckter Bau im kroatischen Viertel. Sie hat zwei Eingänge. Einen für bosniakische, einen für kroatische Kinder, sie hat zwei Rektoren, zwei Lehrerzimmer, unterschiedliche Pausenzeiten und verschiedene Lehrpläne. Völkertrennung – man könnte auch sagen: Apartheid – für die Jugend von Gornij Vakuf. Auf dem Schulhof gehen sie einander aus dem Weg. Adnan Gavanic war hier selbst ein bosniakischer Schüler: O- Ton Adnan Gavanic (Übersetzung/overvoice): Natürlich kann es vorkommen, dass ein Junge und ein Mädchen aus den beiden Volksgruppen sich ineinander verlieben. Aber sie wagen das nur bei gemeinsamen Ferien in einem Friedenscamp. Sowie sie wieder hierher zurückkommen, vergessen sie alles und zeigen sich nicht mehr zusammen. Jeder findet irgendeinen Vorwand, mit dem anderen nicht mehr zu reden. Autorin: Adnan organisiert einstweilen Ferienlager für Kinder aus allen Volksgruppen. Sie sind nur kleine Inseln der Nähe in einem Land der Schranken zwischen den Völkern. Über diese ist die Leiterin des Jugendzentrums Jasminka Drino-Kirlic immer wieder aufgebracht.

9 O- Ton Jasminka Drino-Kirlic (Übersetzung/overvoice): Wir haben ein Café für die einen, ein Café für die anderen, eine Schule für die einen und eine für andere. Wir haben das aus diesem Land gemacht ! Wir haben uns dazu entschieden, wir haben es hingenommen. Einer unserer Politiker sagte: Man mixt nicht Birnen und Äpfel. Menschen, die dies sagen, wurden in diesem Land gewählt. Wenn Kinder in unterschiedlichen Bussen in die Schule gefahren werden – was soll das anderes sein als Trennung der Volksgruppen? Was in Amerika früher zwischen Schwarzen und Weißen passierte, scheint so weit weg. Aber es ist das selbe. Und hier finden die Leute auf beiden Seiten das gut. Autorin Dennoch und gerade deshalb: Die Bemühungen um Frieden gehen weiter. O- Ton Bernd Rieche So schwierig die Situation im gesamten Land nach wie vor ist, so haben doch die kleinen Pflänzchen, die mit Hilfe des „Zivilen Friedensdienstes“ gefördert worden sind, da hat sich etwas entwickelt, was mich sehr beeindruckt hat. Vor zehn Jahren waren sie Kinder des Krieges, jetzt sind sie Kinder des Friedens. Vor zehn Jahren war das undenkbar, dass wir über persönliche Folgen des Krieges geredet hätten. Autorin: Das sagt Bernd Rieche vom „Zivilen Friedensdienst“. Er stammt aus Halle und wollte die guten Erfahrungen aus der Friedensgruppe der evangelischen Kirche in der DDR weitertragen. Schon vor zehn Jahren organisierte er Begegnungen zwischen Jugendlichen aus Deutschland und Bosnien. Heute arbeitet Bernd Rieche bei einer der Organisationen, die zum „Zivilen Friedensdienst“ gehören, der protestantischen „Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden“. Der 39Jährige macht keine unnötigen Autofahrten, er hat keinen Fernseher und isst selten Fleisch – und das alles, ohne verkniffen zu sein. Friedensarbeit ist sein Leben geworden. Sie ist auch für Annett Werner, Friedensfachkraft in Derventa im Norden von Bosnien, Ausdruck ihrer Überzeugung: O- Ton Annett Werner Ich kann schon sagen, dass sich ein Teil meines Christseins darin zeigt, dass ich mich in einer Organisation wie Pax Christi engagiere aber auch zu Hause fühle. Autorin: Sie muss bescheiden sein, um durchzuhalten. Ihr Gehalt reicht zum Leben in Bosnien aber nicht etwa, um für die Rückkehr nach Deutschland viel zu sparen. Das christliche Engagement für den Frieden verlangt persönliche Opfer. Annett Werner ist dazu bereit. Sie will in Derventa etwas aufbauen, was der Idee des ökumenischen Friedenskonzils der 80er Jahre nahe kommt: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sollten in Einklang gebracht werden. Annett Werner: O- Ton Annett Werner Mir ist schon wichtig zu sagen, dass wir unser Ziel erreichen, dass wir in den nächsten ein bis drei Jahren eine Friedensinitiative aufbauen, die langfristig und auch strukturell stabil Friedensarbeit macht. Und es würde mich sehr freuen, wenn ich in 10 Jahren, wenn ich

10 hierher komme, sehen würde: da gibt es ein Büro und da gibt es ein Plakat, wir laden ein zum Friedenstag 2015 – das wäre super! Autorin: Es bedarf kluger Politik in ganz Europa, um die bosnischen Akteure, die oft nur die Vorteile ihrer eigenen Volksgruppe im Blick haben, von der Notwendigkeit eines friedlichen Zusammenlebens im ganzen Staat zu überzeugen. Daneben aber bedarf es der vielen unscheinbaren Schritte zur Verständigung, um aus der Nachkriegsgesellschaft eine Friedensgesellschaft zu machen. Alle, die daran mitarbeiten, haben erlebt, dass es in einem Friedensprozess Momente gibt, die Wundern gleichen, die größer sind als das, was Menschen allein ausrichten können. Diese Augenblicke machen auch für die Helfer die Friedensarbeit Hoffnung.