SÜDWESTRUNDFUK

SWR2 GLAUBEN DAS VORZIMMERPERSONAL GOTTES WERK UND WIRKUNG DER HEILIGEN VON ROLF CANTZEN

SENDUNG 01.01.2010 /// 12.05 UHR

ENTDECKEN SIE DEN SWR2 RADIOCLUB! Lernen Sie das Radioprogramm SWR2 und den SWR2 RadioClub noch näher kennen! Fordern Sie unverbindlich und kostenlos das aktuelle SWR2-Programmheft und das Magazin des SWR2 RadioClubs an unter Telefon 01803/92 92 22 (0,09 €/Min. aus dem dt. Festnetz, Mobilfunk ggf. abweichend)

oder per E-Mail an [email protected]. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

1

Cut 1a O-Ton: Litanei zu Ehren des hl. Bruder Konrad: (221)Text:

Vorbeter: Gemeinde: Vorbeter: Gemeinde: Vorbeter: Gemeinde: Vorbeter: Gemeinde:

Heiliger dreifaltiger Gott Erbarme dich unser. Heilige Maria. Bitte für uns Heiliger Bruder Konrad Bitte für uns. Du Vorbild an Glaube und Gottvertrauen Bitte für uns.)

Cut 1 O-Ton 1: Pater Felix, Altötting Bruder Konrad wurde 1934 und zwar am 20. Mai, damals das Pfingstfest, heilig gesprochen. 1930 wurde er selig gesprochen. Schon vier Jahre danach heilig gesprochen.

Erzählerin:

… eine Blitzkarriere: Selig- und Heiligsprechungen sind höchst komplizierte und zeit- und auch geldaufwändige Prozeduren. Doch die Kapuziner, der Orden, dem Bruder Konrad angehörte, machte erfolgreiche Lobbyarbeit für ihren vorbildlich frommen Mitbruder.

Cut 2 (O-Ton 2: Litanei zu Ehren des hl. Bruder Konrad: (223)Text: Vorbeter: Heiliger Bruder Konrad Gemeinde: Bitte für uns. Vorbeter: Du Vorbild an Glaube und Gottvertrauen … Litanei unter dem Folgenden ausblenden.)

Erzählerin:

Heutige Kapuziner wie Pater Felix, der Obere des BruderKonrad-Klosters in Altötting, verehren ihren heiligen Ordensgenossen, die „einfachen Leute“ auch, denn Bruder Konrad war Pförtner des Klosters, quasi einer von ihnen. 2

Cut 3 O-Ton: Pater Felix, Altötting Bruder Konrad wird immer ein Heiliger bleiben, gerade hier, ein Mann des Volkes, ein Mann aus dem Volk. Er ist aus dem Bauernstand. Sie kommen auch deswegen gerne her, die bäuerliche Bevölkerung zum Bruder Konrad.

Erzählerin:

… viele kommen zum oberbayerischen Wallfahrtsort, bitten ihn um Beistand in der Bruder-Konrad-Kirche – dort sind seine leiblichen Überreste aufgebahrt - , nehmen sich Wasser vom davor sprudelnden Brunnen, lassen es segnen – und: – doppelt hält besser – gehen hinüber zur Gnadenkapelle der seit dem Mittelalter immer wieder wundertätigen „Schwarzen Madonna“, um dort ihre Gebete fortzusetzen. Doch Wunder bewirkte der heilige Konrad auch. Ohne Wunder keine Selig- und erst recht keine Heiligsprechung!

Cut 4 O-Ton Pater Felix, Altötting Ich habe auch eine Frau hier beerdigt vor drei Jahren, Elise Erl, die ausschlaggebend war dafür, dass Bruder Konrad heilig gesprochen wurde.

Erzählerin:

Elise Erl bezeugte das Wunder. Sie pflegte in jungen Jahren eine Frau, die als kleines Mädchen während des Ersten Weltkrieges auf wunderbare Weise geheilt wurde – und zwar durch die Hilfe des Heiligen Konrad, der zu diesem Zeitpunkt bereits 20 Jahre tot war. Pater Felix erklärt:

Cut 5 O-Ton Pater Felix, Altötting Sie hatte unterschiedlich lange Füße. Es war ein Pflegefall von vornherein und die Eltern waren vollkommen verzweifelt. Noch dazu gab es im Krieg keine orthopädischen Dinge, Kliniken, Ärzte oder Hilfsmittel. Und immer wieder sind sie zum Bruder Konrad gekommen und haben ihn gebeten. Er hatte mal dem Vater versprochen gehabt, ich helfe euch, wenn einmal irgendetwas wäre.

Erzählerin:

Das Versprechen Bruder Konrad noch zu Lebzeiten. Er starb 1894. Viele Jahre später, als Bruder Konrad schon lange tot war, erinnerte sich der Vater des Mädchens an das Versprechen und 3

bat Bruder Konrad inständig um Fußkorrektur. Und tatsächlich löste Bruder Konrad post mortem sein Versprechen auf wunderbare Weise ein. Der Vater des Mädchens war im Krieg … Cut 6 O-Ton: Pater Felix, Altötting … und nach 5 Jahren, als der Vater wieder nach Hause kam, sprang das Kind ihm völlig gesund entgegen. Ich habe die Pflegerin gefragt dieser alten Frau, sagen Sie mir, was hat an den Füßen eigentlich gefehlt? Sie sagt, überhaupt nichts, ich konnte überhaupt nichts feststellen. Sie war auf ganz wunderbare Weise geheilt worden und sie war immer dankbar. Sie war keine überzogen religiöse Frau, sondern sie wusste, ich bin von einem Heiligen auf dessen Fürsprache hin geheilt worden. Die Wunder wirkt immer nur Gott selber.

Erzählerin:

Das ist katholische Lehre: Die Menschen bitten den potentiellen oder tatsächlichen Heiligen oder Seligen, der wendet sich an Gott, und weil er ihm durch ein herausragend gottgefälliges Leben aufgefallen war, folgt Gott seiner Bitte und bewirkt das Wunder. Als Wunder verstehen katholische Theologen auch Fingerzeige Gottes, jemanden selig und – wenn sich Wunder wiederholen heilig zu sprechen. Mit den Heiligen taten sich die Kirche schwer: Einerseits boten die Heiligen gleichsam Anschauungsunterricht für ein gottgefälliges Leben – und das war durchaus gewünscht. Andererseits begannen die Menschen zu bestimmten Heilige zu beten wie zu Gott. Das war nicht in Ordnung, weil es dem Monotheismus widersprach. So versuchte die Kirche – in der Glaubenspraxis oft erfolglos – eine Art Gradwanderung: Verehrung der Heiligen ja, Anbetung nein. Doch damit allein war es nicht getan. Er wurde auch kontrolliert, wer heilig wurde, warum und wie viele. Seit dem Jahre 993 gibt es ein „juristisches“ Heiligsprechungsverfahren mit verschiedenen Phasen. Und zwar erstens: 4

Cut 7 Zitat

Die Basis – also die Gemeinde, der Orden, das Bistum des Seligenanwärters – beauftragt eine Art Gerichtshof unter Vorsitz eines Bischofs, der das Leben und Wirken des Kandidaten strengstens prüft. Ein früher so genannter „Teufelsadvokat“ argumentiert mit aller Härte gegen den Kandidaten. Ein Notar dokumentiert Wunderberichte, Zeugenaussagen etc.

Erzählerin:

Zweitens:

Cut 8 Zitat

Bei positivem Ergebnis werden die Akten dem zuständigen Kardinalpräfekten nach Rom überstellt, der weitere Prüfungen in Gang setzt, medizinische Gutachten zu Wunderheilungen anfertigen lässt

Erzählerin:

Drittens:

Cut 9 Zitat

Der Papst prüft abschließend alle Akten und spricht, wenn alles Okay ist, den Kandidaten - selig.

Erzählerin:

Nebenbei bemerkt: Kandidatinnen sind in der Legion der Heiligen und Seligen deutlich in Unterzahl. – Viertens:

Cut 10 Zitat Wenn ein Seliger zum Heiligen befördert werden soll, beginnt die Prozedur von vorn.

5

Erzählerin:

Dieses Verfahren wird – mit kleineren Änderungen – seit 993 angewandt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Partei, die den Prozess in Gang setzt. Ein Seeliger kostet heute etwa eine halbe Millionen Euro – so Experten. Doch das sind Investitionen, die sich schon immer bezahlt gemacht haben. Denn die Orte, an denen die leiblichen Überreste der Heiligen aufgebahrt sind, können – das zeigt die Vergangenheit - zu Wallfahrtsorten werden. Und Wallfahrer bringen Geld. Das Städtchen Altötting ist wohlhabend: Über eine Millionen Pilger pro Jahr! Hier werden die Jungfrau Maria und der heilige Konrad verehrt. Hotels und Gastronomie sind gut besucht. Der Devotionalienhandel blüht. Früher brachten die Pilger Ochsen, Pferde, Schafe mit, die sie dem Heiligen und ihren irdischen Vertretern spendeten, heute eher Geld.

Cut 11 Ton: Heiligenlitanei (Köln) Text: Vorbeter: Heiliger Michael, heiliger Georg und heiliger Martin Gemeinde: Bittet für uns Vorbeter: Heiliger Pantalion und heilige Cäcilia, heiliger Kunibert und heilige Agnes, heiliger Severin und heiliger Johannes der Täufer Gemeinde: Bittet für uns…

Erzählerin:

Besungen werden hier Heilige, die bereits vor dem juristischen Heiligsprechungsverfahren von 993 heilig waren. Sie wurden es damals durch die Liturgie, also durch die Praxis des Gottesdienstes. Das hat man sich so vorzustellen

Erzählerin:

Erstens: 6

Cut 12 Zitat Wunder ereignen sich am Grab von - zum Beispiel Märtyrern, die oft grausam zu Tode gefoltert wurden, weil sie sich heldenhaft weigerten, ihrem Glauben abzuschwören.

Erzählerin:

Heiligenlegenden berichten detailiert. Der heilige Dionysius von Paris soll zum Beispiel zuerst mit Ruten gepeitscht, über einen glühenden Rost gelegt, dann - hartnäckig blieb er bei seinem Glauben - wilden ausgehungerten Tieren zum Fraß vorgeworfen worden sein. Weil aber die Tiere ihn verschmähten, wurde Dionysius geköpft und zwar, weil er den Henker nervte, bereits auf dem Weg zur Hinrichtungsstelle. Er soll dann mit seinem Kopf in der Hand noch bis zum heutigen Mont Martre spaziert sein. Doch es gab nicht nur Märtyrer, sondern auch heilige Einsiedler, Jungfrauen und „Bekenner“, an deren Grab sich Wunderbares ereignete. Geschah das – das gehört zur frühen Heiligwerdungspraxis – dann:

Erzählerin:

… zweitens - …

Cut 13 Zitat ..... wurden über ihren Gräbern Kirchen und Kapellen erbaut, in denen man sie verehrte.

Erzählerin:

Oder – drittens - man „erhob“ die Heilige zu den Ehren der Altäre, das heißt:

7

Cut 14 Zitat … ihre toten Körper wurden ausgegraben, um sie in einer Kirche, oft unter dem Altar, als Reliquie in mehrtägigen feierlichen Zeremonien wieder beizusetzen.

Erzählerin:

Legenden berichten, die „erhobenen“ Körper seien unverwest geblieben, hätten aber zumindest erhabene Wohlgerüche verströmt. Außerdem seien unentwegt Zeichen und Wunder geschehen …

Cut 15 Zitat … Blinde konnten sehen, Taube hören, Lahme gehen, Teufel wurden ausgetrieben, hartnäckige Heiden bekehrten sich frohen Herzens ...

Erzählerin:

Kirchenhistoriker weisen darauf hin, dass Heiligenlegenden wenig individuell, sondern weitgehend standardisiert sind: Vorbildhaftes Leben, heldenhaftes Sterben, schließlich wunderbare Ereignisse am Grab.

Cut 16 O-Ton: Heiligenlitanei (Köln) Text: Vorbeter: … heilige Agnes, heiliger Severin und heiliger Johannes der Täufer Gemeinde: Bittet für uns…

Erzählerin:

Der Heiligenkult begann als Totenkult, als Verehrung verstorbener vorbildlicher Menschen am Grab, am Ort, an dem ihre toten Leiber lagen. Der Hintergrund dieses Glaubens ist, so der Theologe und Professor für Kirchengeschichte Arnold Angenendt, dass die Menschen damals Leib und Seele nicht als getrennte Sphären verstanden hätten: Die Kraft der Seele sei im Leib anwesend, auch nach dem Tod. Deshalb wurden am 8

Heiligengrab die sterblichen Überreste, die Reliquien der Heiligen, verehrt. Cut 17 O-Ton Prof. Dr. Arnold Angenendt Von daher entsteht ein neuer heiliger Ort im Christentum. Man kann den heiligen Ort religionsgeschichtlich definieren. Hier an dieser Stelle ist der Himmel offen. Wenn Du Dich hierhin stellst, dann hast du einen direkten Kontakt zu Gott. Jetzt am Heiligengrab – wegen dieser Verbindung – Du hast einen Kontakt zum Himmel. Hinzu kommt noch, dass Stephanus bei seiner Steinigung gesagt hat, ich sehe den Himmel offen. Also, wer am Märtyrergrab ist, am Grab eines Heiligen, der hat den Himmel offen über sich. Ich stehe hier und habe direkt Kontakt, weil hier Heiligenreliquien sind, habe ich direkt Kontakt mit dem Himmel, mit den heiligen, mit Gott, mit Gottvater.

Erzählerin:

Noch heute werden in jeder neu geweihten katholischen Kirche im Altar Reliquien deponiert. Heiligengräber sind Kontaktstellen zu den himmlischen Mächten, Orte, an denen man die Heiligen „besuchen“ kann, zu denen die Menschen pilgern und wallfahren können – etwa zum Heiligen Konrad nach Altötting.

Cut 18 O-Ton Pater Felix, Altötting Es ist beispielsweise vor dreieinhalb Jahren ein Chef der Bundespolizei zu mir gekommen und hat gesagt: „Wir möchten ganz gerne hier eine Wallfahrt machen zum Heiligen Bruder Konrad. Er war Pförtner an der Klosterpforte 40 Jahre lang. Wir müssen die Grenzen unseres Staates und die Flughäfen bewachen, damit nicht ungute Leute in unser Land kommen. Wir besuchen den Bruder Konrad.“ Und diese Leute vom Bundesgrenzschutz musste einmal zur Weltmeisterschaft, die vor ein paar Jahren in Deutschland war, nach Stuttgart fahren vom niederbayerischen Deckendorf aus und sie haben einen ganz schweren Verkehrsunfall gehabt oder auch verursacht und es ist kein einziger wirklich zu Schaden gekommen von den jungen Polizisten und sie haben dann wieder eine Wallfahrt gemacht.

Erzählerin:

Die arbeitsteilige Gesellschaft macht auch vor den Heiligen im Himmel nicht halt: Sie werden zu Spezialisten für bestimmte Berufsgruppen gemacht.

9

Cut 19 (O-Ton: Litanei zu Ehren des hl. Bruder Konrad: Text: Vorbeter: Heiliger Bruder Konrad Gemeinde: Bitte für uns. Erzählerin:

Der Bruder Konrad ist als Pförtner des Klosters zuständig für seine „Berufskollegen“, die Pförtner des Landes, obgleich diese eher dafür sorgen, dass Hilfsbedürftige und Flüchtlinge draußen bleiben statt sie gastfreundlich hineinzubitten, wie der Heilige. Nicht weniger sinnfällig und kurios sind andere Berufspatronate.

Cut 20 Zitat Appolonia ist zuständig für Zahnärzte.

Erzählerin:

Vor ihrer Verbrennung hat man der Märtyrerin in der Folter Zähne und Unterkiefer herausgerissen.

Cut 21 Zitat Maria Magdalena – Patronin der Friseure.

Erzählerin:

Die Sünderin trocknete Jesus die Füße mit ihrem Haar.

Cut 22 Zitat Die Heilige Agatha ist zuständig für Glockengießer und Ammen.

Erzählerin:

Folterknechte hatten der jungfräulichen Märtyrerin ihre – allerdings wieder nachwachsenden Brüste – abgeschnitten. Die betroffene heilige Agatha hilft daher bei Brustleiden, rektalem Wundsein und anderen Krankheiten wie Schnupfen, Husten, Heiserkeit; Krebs, Herzinfarkt und Unfruchtbarkeit – für alles hält der sogenannte „Volksglaube“ heilige Expertinnen und Experten zur Hilfe bereit. Für das alltägliche Leben war das nötig. Der Glaube an einen abstrakten Gott, der sich 10

zurückgezogen hat und in das Geschehen der Welt nicht mehr eingreift – das war den Menschen zu wenig. Arnold Angenendt schreibt in seinem Buch „Kirche und Heilige“.

Cut 23 Zitat Die naturgebundene Agrargesellschaft verlangte nach einer direkten Einwirkung auf all jene Mächte, denen sie ihr Leben verhaftet sah: Wetter und Gewitter, Fruchtbarkeit und Ernte, Krankheiten und Seuchen, Leben und Tod.

Erzählerin:

Zu Heiligen kann der Mensch Beziehungen aufbauen, kann bei ihnen mal vorbeischauen in ihrer Kirche, sie bei Alltagsproblemen konsultieren, sogar mit ihnen Geschäfte mache, indem er zum Heiligengrab pilgert, eine Kerze stiftet oder ein Schwein spendet und du hilfst mir. Und wenn der Heilige getroffene Vereinbarungen nicht hielt?

Cut 24 O-ton Prof. Dr. Arnold Angenendt Also ein Grab wurde mit Dornen zugeworfen, es wurden die Fluchpsalmen gebetet, man entzog ihm das Gebet, also richtig Liebesentzug, in der Hoffnung, dass er sich bekehren ließe und seine Schaar nicht im Stich lasse. Das ist strenges Denken: Also wir haben unseren Patron verehrt, haben ihm Opfergaben dargebracht. Wir erwarten, dass er zurückzahlt.

Cut 25: Oton: Heiligenlitanei (Köln) Text: Vorbeter: Ihr Heiligen aller Kirchen unserer Stadt, heiliger Andreas und ihr heiligen Apostel, heiliger Michael und heiliger Gerhard … Cut 26 O-Ton Prof. Dr. Arnold Angenendt Dieses antike Patronatswesen mit der Klientelschaft, also der Anhängerschaft, die der Patron zu beschützen hat, das überträgt sich auf den Heiligenkult. Ambrosius von Mailand ist der Patron von Mailand … der seine Leute in besonderer Weise beschützt, ja ihr himmlischer Anwalt ist. An den muss man sich halten. Also hier wird ein Gesellschaftswesen übertragen auf die Jenseitswelt.

11

Erzählerin:

Es gibt Patrone für Länder und Städte. Ihre Reliquien – auch die des heiligen Bruder Konrads – werden in Prozessionen durch Straßen und Felder getragen, früher bei Kriegen mitgeführt. Sie waren Kriegspartei, kämpften mit, waren in ihren Reliquien persönlich anwesend.

Cut 27 O-Ton Prof. Dr. Arnold Angenendt Das ist urmenschlich. Also in religionsgeschichtlichen Büchern liest man, dass der Tote absolut tot ist, ist eine völlig moderne Vorstellung. Die Seele ist im Himmel, aber mit Verbindung zum Leib auf Erden. Dass das Grab nichts ist, dass der Tote einfach weggeworfen wird – undenkbar.

Erzählerin:

Herakles, Äslulap, Orpheus - Das sind keine christlichen Heiligen, sondern „Gottesmenschen“, Heroen, „Heilige“, die in der Antike verehrt wurden. Man erzählte sich, wie bei ihren christlichen Nachfolgern, Legenden über sie. Sie haben demnach, wie die späteren christlichen heiligen Einsiedlern, zum Beispiel nur spärlich Nahrung zu sich genommen, wenig geschlafen, waren oft auch sexuell enthaltsam waren, haben Ungeheuer erledigt, starben heldenhaft, vollbrachten prae- und post mortem Wunderheilungen. Auch zu ihren Gräbern pilgerten die Menschen. Herakles wird in Bura auf dem griechischen Pelepones verehrt, Bruder Konrad im oberbayerischen Altötting. Doch diese Orte waren bereits vorher Orte mit besonderer Ausstrahlung meinen etwa heutige Esoteriker . Sie sprechen von „Kraftorten“.

Cut 28 O-Ton: Dr. Fritz Fenzl Führung Also ein Herzliches „Grüß Gott“ zu Euch allen. Ich nehme an, Ihr habt da Interesse. Ich muss nicht mehr erklären: Kraftorte sind was Tolles, wen es nicht interessiert, der kann ja heim gehen. …

Erzählerin:

Dr. Fritz Fenzl ist katholischer Theologe, macht aber in seinen vielen Büchern Ausflüge in Gebiete, die man eher der populären 12

Esoterik zurechnen könnte. Er pilgert mit Gruppen, die etwa die Volkshochschulen organisieren, zu „Kraftorten“, im Folgenden in Altmühltal beim Starnberger See. Cut 29 O-Ton Fritz Fenzl Führung Sie interessieren sich für Kraftorte. Nur um abzuchecken: Wer von Ihnen hat ein Buch schon von mir gelesen?

Erzählerin:

Fritz Fenzl – er verdient, so erzählt er stolz, inzwischen mehr mit seinen Auftritten und Büchern als mit seinem Beruf als Gymnasiallehrer - … Fenzl präsentiert seine vielen Büchern über Heilige, über die Gottesmutter Maria, über Wunder und wundersame Kraftorte im Kofferraum seines Mercedes.

Cut 30 O-Ton: Dr. Fritz Fenzl Führung Aber jetzt ganz Bodenständig: was ist ein Kraftort? Das ist ein Ort, an dem etwas mit Ihnen passiert. Also Ihre Körperfunktion als Mensch – geistig, seelisch – funktioniert da anders, besser. ..

Erzählerin:

Am ersten Kraftort sprudelt eine Quelle, rings herum in den Bäumen sind geflochtene bunte Bändchen befestigt, hunderte von ihnen, auch Bildchen, Kerzen, eine Marienstatue.

Cut 31 O-Ton: Dr. Fritz Fenzl Führung Das sehen Sie selber: Eine wunderbare Kultstätte. Sie werden merken, wie gut Ihnen das tut. Ich liebe diesen Ort, um mal etwas Persönliches zu sagen. Ich habe noch nie ein Band hierhin gehängt, das muss ich mal machen. Der Ort wird pausenlos besucht. Er ist ein uralter, ein Jahrhunderte alter Frauenkultplatz, ein Hexentanzplatz. Hexen immer gebraucht als wissende Frauen. Bundesweit bekannt. Das ist ein Pilgerort geworden. Darum der viele Schmuck.

Erzählerin:

Es sei ein Kraftort, ein urweiblicher Ort, den bereits die Kelten und Keltinnen in vorchristlicher Zeit aufgesucht hätten, versichert Fritz Fenzl.

Cut 32 O-Ton: Dr. Fritz Fenzl Führung 13

… Die drei Beten, drei wissende Frauen. Diese drei Beten, sind die drei Frauen, die hier gewirkt haben. Und die prägen das ganze Gebiet und sind eigentlich die Glaubensform, die wir hier haben ohne es zu wissen und zu merken. Auf der ganzen Welt. Das dreifach Weibliche, den drei Parzen, den drei Moiren, den drei Schicksalsgöttinnen, der trojanische Krieg geht an wegen drei Frauen, also das hat irgendwas. …

Erzählerin:

Die drei Beten, die hier gewirkt hätten, seien uralt, vom Christentum adoptiert und umbenannt worden …

Cut 33 O-Ton: Dr. Fritz Fenzl Führung … da sind es die drei heiligen Madel, haben Sie sicher schon gehört. Das wäre Margarete mit dem Wurm, Barbara mit dem Turm, Katharina mit dem Radel, das sind die drei heiligen Madel. .. Jetzt schauen‘s hin: Margarete mit dem Wurm, mit dem Drachen, wo sind wir hier, an der Würm, das ist also die Drachenlinie. Barbara mit dem Turm, die Pfählung. Katharina mit dem Radl: Katharina ist die Seherin, da gehen wir jetzt rauf, die hatte unter der rechten Hand ein Sonnenrad, eine linksdrehende Swastika, das ist also das keltische Rad der Jahreszeiten.

Erzählerin:

Die drei Beten – alias die drei heiligen Madel, sie gehören zu den 14 Nothelfern – würden ganz in der Nähe dieser alten keltischen und heutigen esoterischen Kultstätte in einer benachbarten christlichen Kapelle verehrt. Madel eins: Margarete mit dem Wurm, also dem Drachen.

Cut 34 Zitat Die standhafte Jungfrau, wurde legendentypisch gefoltert, dann – untypisch – vom Teufel in Gestalt eines Drachens erfolglos sexuell belästigt, dann in kaltes Wasser getaucht und enthauptet.

Erzählerin:

Madel zwei: Barbara mit dem Turm.

Cut 35 Zitat Die Märtyrerin Barbara wurde von ihrem eifersüchtigen Vater in einem Turm eingesperrt, entkam und wurde schließlich, gemäß Heiligenlegendenschema, brutal gefoltert. 14

Ihr eigener Vater hat ihr den Kopf abgehauen, woraufhin ihn ein Blitz mit lautem Krachen erledigte.

Erzählerin:

Barbara ist die Patronin der Artilleristen. Der Turm symbolisiere das gewaltsame Männliche, dass die weibliche Drachenenergie nach oben leite, erklärt Fritz Fenzl. Madel drei: Katharina mit dem Radl …

Cut 36 Zitat … wurde von der Jungfrau Maria persönlich zur ewigen Jungfräulichkeit überredet, war ungeheuer schön und vor allem klug, bekehrte 50 Philosophen in einer Diskussion zum Christentum, wurde deshalb wie üblich gefoltert, auf ein Rad gebunden, vom Engel zunächst befreit, aber schließlich doch vom Henker enthauptet. Post mortem transportierten Engel ihre Leiche nach Sinai, dorthin, wo heute Pilger und Touristen das Katharinenkloster besuchen.

Erzählerin:

Das Radl des dritten Madels symbolisiere das Rad des Lebens, weiß Fritz Fenzl.

Cut 37 O-Ton Dr. Fritz Fenzl Führung So, liebe Kinder, das war es hier an der Quelle. Ich empfehle Ihnen: Trinken Sie da noch. Ich mach das mal auch. Im christlichen Bereich gibt es das auch. Hier könnte genau so eine Marienkapelle stehen. Früher hat jemand hier eine Madonna hingestellt und das passt natürlich total. Das ist eine weibliche Stelle und Madonna ist eine Variation und diese dreifach weibliche Kraft, die wir im Christentum haben mit den drei Beten.

Erzählerin:

Die Volkshochschulgruppe pilgert dann noch zu einem keltischen Grab, das mit Hexenbändern, Heiligenbildchen, Kerzen und Kelchen dekoriert ist.

Cut 38 O-Ton: Dr. Fritz Fenzl Führung 15

Sie sehen ja hier, Kraft entsteht. Das Grab der Seherin. Das ist wirklich europaweit eine Kultstätte. Hier kommen Leute her, natürlich Frauengruppen – über Hexen habe ich jetzt einiges gesagt – es könnte natürlich hier auch eine Kapelle stehen. Hier allerdings, wenn Sie fühlend sind, sind die Kräfte sehr überlagert, vielschichtig. Die Seherin ist hier wirklich gelegen.

Erzählerin:

Fritz Fenzl ist „fühlend“ und hat erfahren, dass Kraftorte wie dieser auf sich überkreuzenden Kraftlinien angeordnet sind …

Cut 39 O-Ton: Dr. Fritz Fenzl Führung Das ist nachgewiesen, das ist also gar kein Schmarrn …

Erzählerin:

… an solchen Kraftlinienkreuzungen lägen uralte Kultorte. Altötting sei auch so einer:

Cut 40 O-ton: Dr. Fritz Fenzl Führung Liegt absolut an einem solchen Ort. Das hab ich in meinem Buch drin „Wunder in Bayern“, da habe ich genau recherchiert. Das ist ein keltischer Kultort. Später – das kann man historisch genau belegen – durch die Kirche entdeckt und dann ist genau diese Gnadenkapelle an der richtigen Stelle und der richtige Bau auch noch ein Oktogon, ein Achteck.

(Unter dem vorangehenden O-Ton einblenden) Cut 41 O-Ton: Gnadenkapelle Altötting (Gesang) O, Maria hilf uns allen, aus unsrer tiefen Not. (Priester) Gegrüßet seist du Maria …

(Die O-Töne am Ende jeweils überblenden mit folgendem O-Ton) Cut 42 O-Ton: Wallfahrer Wir sind Wallfahrer und kommen vom Spätberufenenseminar St. Matthias in Waldram und machen jetzt bald unser Abitur. … Dieses Wochenende ist Daseinswochenende bei uns und da sind wir mit dem Seminar hierher gepilgert. (Frage: Und ihr glaubt auch, dass euch das hier hilft?) Auf jeden Fall!

Erzählerin:

Pilgern zur urweiblichen Gottheit Maria zum Kraftort Altötting.

Cut 43 O-Ton Wallfahrerin Zum Dank, dass man einfach gesund ist, dass man für seine Familie sich bedankt und seine Kinder. Da kann man nicht nur bitten, sondern da soll man auch mal Danke sagen. Und da kommen wir schon jahrelang immer zur

16

Heiligen Mutter Gottes nach Altötting. – so alle zwei, drei Jahre, dass wir immer mal dabei sind, auf der Wallfahrt nach Altötting.

Erzählerin:

Im überdachten Gang der altöttinger Gnadenkapelle, an diesem „Kraftort“, sind 2000 Mirakeltafeln angebracht – zum Dank dafür, dass die Gottesmutter geholfen hat:

Cut 44 (O-Ton: Marienlied BBB 3dem Folgenden unterlegen) Cut 45 Zitat 2 Zum Dank, liebe Gnadenmuttergottes in Altötting, dass wir alle 19 Neumarkter die Katastrophe in Puket, den Tsunami, am 26.12.2004 überleben durften und unversehrt wieder zurückgekehrt. (untergelegter O-Ton „Marienlied“kurz lauter, dann wieder zurückblenden und unterlegen) Cut 46 Zitat 2 Dank der lieben Gottesmutter für die wunderbare Heilung einer Blutvergiftung am Arm. Regensburg 1957.

Erzählerin:

Einige Mirakeltafeln stammen aus dem 15. und 16., die meisten aus dem 19. Jahrhundert.

Cut 47 Zitat 2 Hierher zur allerseligsten Gnadenmutter Maria hat sich verlobt in einer schweren Krankheit, Anton Wilmert, Zimmermann von Weilkirchen und ist Gott und Maria in Dankbarkeit wieder gesund geworden. Oh, Maria steh uns bei, doch immer unsre Mutter sei. 1850

(O-Ton: Marienlied ausblenden)

17

Cut 48 O-Ton: Pater Felix, Altötting Was mir persönlich schon begegnet ist … mich rief ein Arzt an aus Ludwigshafen und sagte: Können Sie mein Kind taufen. … Und ich sagte, ich kann es schon, aber ich brauche dafür die Erlaubnis. Ja. Die Eltern haben alles gemacht, der Vater katholisch, die Mutter Muslimin, sie haben kein Kind bekommen. Das war ihr großer Schmerz. Und sie haben sich hierher verlobt, also versprochen, Mutter Gottes, Bruder Konrad helft ihr, dass wir ein Kind bekommen. Nachdem sie alle Unikliniken und alle Kollegen-Ärzte vergeblich angefleht haben, ihnen zu helfen, ist nach der Wallfahrt sofort sichtbar geworden, die Frau ist schwanger und ich habe das Kind hier getauft.

Erzählerin:

… hier bei der „Schwarzen Madonna von Altötting“ – schwarz übrigens deshalb, weil sie schwarz wurde von den vielen in den zurückliegenden Jahrhunderten zu ihren Ehren gekauften und entzündeten Kerzen unter ihrem Standbild.

Cut 49 (O-Ton: Marienlied „Segne du Maria …“ BBB 135 Erzählerin:

Die Jungfrau Maria ist als Gottesmutter eine Ausnahmeheilige. Sie findet in den Evangelien – Theologen führen das auf die patriarchale jüdische Herkunftsreligion zurück - eher beiläufige Erwähnung. Als jungfräuliche Mutter hatte sie, wie die drei Beten und andere Heilige antike Vorläuferinnen:

Cut 50 Zitat … die altägyptische Isis, die griechische Aphrodite …

Erzählerin:

… und andere. Die „Himmelskönigin“ wurde peu à peu theologisch kreiert und zwar aus Bestandteilen verschiedener antiker Göttinnen und in Konkurrenz zu ihnen. Sie ist also so etwas wie ein multikulturelles Remake. Da sie – glauben muss man das erst seit 1950 – wie ihr Sohn mit Leib und Seele im Himmel aufgenommen wurde, gibt es kein Grab, zu dem die Gläubigen pilgern könnten. Doch an mehr als einhundert Orten – soll sie seit ihrer Himmelfahrt aufgetaucht sein – etwa in 18

Lourdes, - an anderen Orten, wie Altötting, vollbringt die Ausnahmeheilige allerlei Wunder und zieht – zusammen mit Bruder Konrad und anderen Heiligen - jährlich mehr als eine Millionen Pilger in den bayerischen Wallfahrtsort. Cut 51 (O-Ton: Marienlied BBB 3dem Folgenden unterlegen) Cut 52 O-Ton Pater Felix, Altötting Es sind sehr viele gläubige Menschen da, aber es sind auch viele Menschen da, die einfach Suchende sind, denen sozusagen, das Gehen, das Wallfahren, das Pilgern auch einen übertragenen Sinn hat. Sie suchen wieder einen Ort, wo sie halt, Beständigkeit und einen festen Standpunkt für ihr Leben suchen und den auch hier finden wollen.

Erzählerin:

Pater Felix ist Wallfahrtskustus und weiß wovon er redet.

Cut 53 O-Ton: Pater Felix, Altötting Wir denken, dass das Wallfahrten ganzheitlicher ist und den Menschen gefangen nimmt im positive Sinn seine Sinne einholt und manches wieder öffnet, was eine Theologie vom Lehrstuhl herunter oder aus dicken Büchern heraus nicht schafft.

Cut 54 (O-Ton: Marienlied BBB 3dem Folgenden unterlegen) Cut 55 Zitat 2 … von 5 Prozent Sehkraft auf 100 Prozent Sehkraft in 12 Monaten, Neustadt an der Weinstraße, 26. Juni 2009 Angela Hauffe. Ich danke meinen himmlischen Heilern … Cut 56 o-ton: Pater Felix, Altötting Wir glauben, dass Gott auf die Fürsprache seiner Mutter oder auch auf die Fürsprache der Heiligen Wunder wirkt auch in unserer Zeit.

Erzählerin:

Die Mirakeltafeln belegen es: Wunder über Wunder.

Cut 57 Zitat 2 Maria uns mit Schutz bedachte / Darum uns die Bombe gar nichts machte / Das Haus blieb steh’n, am Leben wir / Heilige Jungfrau, wir danken dir. 1939 bis 45 19