Du sollst dir kein Bildnis machen

Du sollst dir kein Bildnis machen Autor(en): Gerstner, Karl Objekttyp: Article Zeitschrift: Du : die Zeitschrift der Kultur Band (Jahr): 54 (19...
Author: Harald Berg
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Du sollst dir kein Bildnis machen

Autor(en):

Gerstner, Karl

Objekttyp:

Article

Zeitschrift:

Du : die Zeitschrift der Kultur

Band (Jahr): 54 (1994) Heft 7-8:

Islam : die Begegnung am Mittelmeer

PDF erstellt am:

17.02.2017

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-298865

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Karl Gerstner

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Wie jede Kunst ist auch die islamische verwurzelt in der Religion und Philo¬ sophie, von der sie geprägt ist - und die sie wiederum prägt. Vielleicht noch exemplarischer als andere Künste. Es steht zwar nicht im Koran, ist aber überliefert: dass der Prophet keine Darstellung lebender Wesen duldete. Seine Idee einer Religion liess keinen Raum für Abbilder, für Idole; und letztlich für Idolatrie. Der Mensch soll sich nicht nur kein Bild von Gott, sondern auch kein Bild vom Menschen machen, den Gott nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Überhaupt von keiner lebenden Kreatur. In einer nichtnaturalistischen Kunst setzt der Islam letztlich nichts anderes konsequent um als das, was schon das Alte Testament fordert: Du sollst kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden oder des, das im Wasser unter der Erde ist (Exodus 20.4).

Den Künstlern, die gegen Mohammeds Willen verstiessen, drohte am Tag der Auferstehung die schrecklichste aller Strafen. So formuliert vom Religions¬ lehrer al-Buchâri (im 9. Jahrhundert): Wer Gottes Wesen imitiert, muss ihnen dannzumal auch Leben geben. Nämlich seines. Der Islam sieht - wie Piaton - in dem, was wir für die Wirklichkeit halten, nichts als den Schatten der Wirklichkeit, die wirklich ist; die im Göttlichen, im Geistigen besteht. Dieses zu reflektieren ist der Inhalt der islamischen Kunst. Nicht das Äussere der Schöpfung will sie darstellen, sondern das Innere, das Wesentliche; die Struktur sowohl des Mikrokosmos als auch des Makro¬ kosmos. Das Ewiggültige. Erkenntnis des Abstrakten wird durch das Medium des Abstrakten per se erlangt: durch Zahlen, Mathematik, Geometrie; durch Gesetze, die sowohl Atome wie Planeten in Bewegung und in ihren Bahnen halten. Der islamische Künstler bedient sich - neben der arabischen Schrift, die er, ornamental verformt, souverän in seine Kunst einbezieht hauptsächlich zweier Ausdrucksmittel: der floralen und der polygonalen Arabesken; auf arabisch taurîk und tastîr. Die erste eine Geometrie der freien Kurven, die zweite eine Geometrie der strengen Geraden. Es sind die Arabesken der Gera¬ den, die mich besonders faszinieren; vor allem in den Mosaiken aus farbig gla¬ sierter Keramik: die Tastir-Mosaiken. Zuerst musste ich lernen, sie nicht mit meinem aus der eigenen Tradition abgeleiteten Kunstverstand zu betrachten. Sie sind zwar auch Verzierung, rapportierte Ornamentik, aber nicht nur. Es handelt sich um eine Kunst sui

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Beispiel 3

Tastir-Mosaiken sind überall in der islami¬ schen Welt zu finden. Hauptsächlich in den Moscheen und Koranschulen, den Medresen; aber auch in privaten Räumen. Die eindrucksvollsten habe ich in Persien in Isfahan -, in Marokko und in der Alham-

bra im Süden Spaniens gesehen. In der Alhambra vor allem im sogenannten Ambassadoren-Saal, aus welchem dieses dritte Bei¬ spiel stammt. Es ist eines der aussergewöhnlichen Mosaiken, die sich in den Alkoven befin¬ den. Das sind Nischen, in welchen man bequem auf Kissen sitzend - auf kurze Distanz den Bildern gegenübersass und das Geflecht von Linien und Farben suggestiv auf sich wirken lassen konnte. Vielleicht rauchte man dazu eine Wasser- oder Ha¬ schischpfeife, auf jeden Fall besass man viel Zeit und Musse.

Versuchen wir einmal, dieses Bild statt

mit den flüchtigen Augen des Touristen mit dem wachen Einfühlungsvermögen eines Zeitgenossen des 14. Jahrhunderts zu be¬ trachten. Damals, als die Alhambra erbaut wurde. Zuerst werden wir die farbigen Felder wahrnehmen, die offene, offensichtliche Struktur aus wenigen, nämlich vier Farben: Blaue Bänder mit schwarzen Füllungen, zum Teil mit grünen Feldern gerahmt, und ein Netz aus gelben Punkten, Sternen im Firmament der Fläche. Die weissen Linien sind zunächst nichts anderes als Trennlinien zur topologischen Verteilung der Farben. Aber bei genauerer Beobachtung werden wir darin die geheime, geheimnisvolle Struktur erkennen, für die Meditation ungleich ergiebiger als die

Die weissen Linien in Abbildung 3.2 markieren den Weg, den wir zurückgelegt haben. Die grauen Linien sind noch zu explorieren. Beginnen wir diesmal in einer Ecke. Das Resultat ist wieder eine symmetri¬ sche Figur, aber diesmal ohne diagonale Symmetrieachse. Abbildung 3.3. Die vollständige Symmetrie erhalten wir, indem wir diese Figur um 90 Grad dre¬ hen. Abbildung 3.4. Das Ergebnis ist eine von der ersten völlig verschiedene Figur, mit dieser jedoch organisch verflochten. Würden wir beide Figuren kombinie¬ ren, konstatierten wir immer noch graue Zonen, die neue Überraschungen bergen. Beim Augenspaziergang erhielten wir vier einzelne, identische Figuren, die - jeweils 90 Grad abgedreht - ineinander verschlun¬ gen sind. Abbildung 3.5. Und schliesslich: wie der Schlussstein in einem gotischen Gewölbe, der die ganze Konstruktion zusammenhält, die letzte kompakte Figur ohne eigene Überschnei¬

dungen. Abbildung 3.6. In Abbildung 3.7 ist das ganze Liniengefüge abgeschritten, ohne dass die kürzeste Strecke zweimal begangen wurde.

Abbildung 3.8 zeigt - in Umkehrung des ursprünglichen Bildes - nicht die Felder far¬ big, sondern die Trennlinien, unterschieden nach den eben analysierten Figuren. So gesehen haben wir es gewiss nicht mit einem flüchtig wahrzunehmenden Artefakt zu tun - mit einem Ornament -, sondern mit einem Bild von höchst komplexer, sowohl formaler wie geistiger Dichte. Es lädt zu fortdauernder Kontemplation ein. Wir dringen sowohl in es ein wie es in uns. Sooft wir seine Strukturen entschlüsseln, sooft verhüllt es neue. Die in sich geschlossenen Linien ver- und entknoten sich dauernd, fügen sich zu stets neuen Konstellationen, zu Kraftfeldern, die ihre Energie dem ver¬ ständigen, aktiv Sehenden abgeben. Im Laufe der Zeit wurde mir die so fremde wie wunderbare Welt der TastirMosaiken immer vertrauter. Ist in ihnen nicht etwas - und dies seit Jahrhunderten vorweggenommen, was wir Künstler der konkreten Kunst heute anstreben: eine Syn¬ these von luzider Klarheit und sinnlicher Potenz? Siehe auch:

Karl

Gerstner, «Die Formen der

Farben», Frankfurt 1986

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