Jörg Zink
Die Urkraft des Heiligen Christlicher Glaube im 21. Jahrhundert
topos premium
Über das Buch Jörg Zink (1922–2016) verweist hier nicht auf die Glaubenssätze des Credo oder den Katechismus. Er richtet unseren Blick auf die großen Sinnbilder und Symbole des Christentums, die sich in unsere Seele seit Kindheitstagen eingeprägt haben. Das grundlegende Buch von Jörg Zink – in dichter, poetischer Sprache.
Über den Autor Jörg Zink, 1922–2016, evangelischer Pfarrer, war eine prägende Gestalt im Ringen um Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Als spiritueller Schriftsteller ist er bei engagierten Christen überaus beliebt. Mehr über den Autor auf www.joerg-zink.de
Verlagsgemeinschaft topos plus Butzon & Bercker, Kevelaer Don Bosco, München Echter, Würzburg Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern Paulusverlag, Freiburg (Schweiz) Verlag Friedrich Pustet, Regensburg Tyrolia, Innsbruck Eine Initiative der Verlagsgruppe engagement www.topos-taschenbuecher.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN: 978-3-8367-0023-8 2017 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen bei der Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer. Die Taschenbuchausgabe wurde von Heidi Renate Zink und Christoph Zink durchgesehen und leicht gekürzt. Umschlagabbildung: © shutterstock Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany
Inhalt
Es ist lange her 9 Beginnen wir in der Mitte
1. Das Besondere des christlichen Glaubens ist nichts als eine einsame, schmale Gestalt 19 2. Die Mitte seiner Botschaft ist die Einladung zu einem 23 Fest 3. Die beiden verlorenen Söhne und der verlorene Vater 31 4. Weg und Geschick des Mannes aus Nazareth 37 44 5. Wie ich selbst an Jesus geraten bin Etwas Schönes ist uns zugedacht
6. Uns wird eine Last abgenommen 51 56 7. Wir finden ein offenes Haus 60 8. Eine Tischrunde nimmt uns auf 65 9. Ein Gespräch bei Brot und Wein 70 10. Wachstum und Wandlung 74 11. Alles ist Gnade Wir sehen Bilder vor uns
12. Bilder unserer Seele zeigen, was wir nicht sehen 83 13. Die Urkraft des Heiligen nennen wir den „Geist Gottes“ 86 14. Jesus wurde von seinen Freunden „Christus“ genannt 91 95 15. Sie sahen in ihm etwas wie ein „Lamm“ 16. Sie gaben ihm den Rang eines „Gottessohnes“ 98 Es liegt alles sehr weit zurück
17. Die Weltgeschichte ist eine lange Lichterkette 107 113 18. Was geschieht, ist schwer durchschaubar
Inhalt
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19. Alles Frühere sehen wir mit den Augen unserer Epoche 116 20. Wir haben Mühe, mit der Bibel sinnvoll umzugehen 120 21. Gottesbilder entwickeln sich in der Geschichte 126 131 22. Es gibt keine „reine“ Religion 23. Was wir als Wahrheit vertreten, ist immer nur unsere 136 Deutung einer Erfahrung Religiöse Erfahrung schafft Bilder und Symbole
24. Durch Erfahrung kamen die Menschen zu ihrem Glauben 143 25. Religiöse Erfahrung ist auch uns zugedacht 147 26. Was unserer Seele begegnet, malt sie in Bildern nach 154 27. Ohne Symbole hat die Seele keine Sprache 158 Die Kirche spricht von der Dreieinigkeit Gottes. Sie spricht in Rätseln
28. Dieses Dogma entstand spät an der Reibungsfläche 165 zwischen zwei Kulturen 29. In anderen Religionen gab es ähnliche Vorstellungen 172 176 30. Das Spiel der drei Masken Gottes Gott ist Licht und Finsternis zugleich
31. Gott hat keinen Widersacher – auch nicht den Teufel 183 32. Gott ist alles. Alles ist Gott 189 33. Unser Gottesbild spiegelt immer auch unsere 193 eigene Seele 199 34. Das Schreckbild vom „Sühnetod“ Jesu 204 35. Das Ziel: Erlösung auch des Bösen Wir leben in einer ungeheuren, kaum verstehbaren Welt
36. Wir können nicht so tun, als gehe sie unseren Glauben 211 nichts an
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Inhalt
37. Die Wirklichkeit erscheint uns heute anders, als sie der 218 Neuzeit erschien 38. Wir haben noch keine Sprache für das, was wir heute 227 erkennen 232 39. Wir tragen eine neuartige Verantwortung Wir sammeln Erfahrungen auf mehreren Ebenen
40. Auf der Ebene des Wahrnehmens und Nachdenkens malen wir uns eine farbige Erde 239 41. Es gibt Erfahrungen an der Grenze zum Unerklärbaren 247 42. Alle Grenzen sind unsere Grenzen, in Wirklichkeit gibt 252 es sie nicht Unter Christen nennen wir die Welt „Schöpfung“
43. Der biblische Schöpfungsglaube in früher Zeit 261 44. Das Siebentagewerk war eine Revolution 269 45. Weisheit ist leben nach einem universellen Gesetz 275 46. Der „kosmische Christus“ steht für die Würde der 281 Schöpfung 47. Unsere Welt hat ein Wort für uns. Sie ist ein Sakrament 288 Wir sind lebendige Organe im Leib dieser Welt
48. Lebensgesetze zwischen Natur und Spiritualität 293 49. Bild Gottes ist nicht nur der Mensch, sondern die 300 ganze Schöpfung 50. Unsere Vorstellungen von Gott werden immer zu klein 307 sein 313 51. Eins sein mit allem, was lebt Wir blicken über unser Ende hinaus: Es gibt kein Ende 52. Diesseits und Jenseits – wer will das trennen? 319 324 53. Zeit und Ewigkeit sind für die Bibel anders
Inhalt
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54. Der Tod ist eine Tür durch eine nicht vorhandene, dünne 329 Wand 333 55. Was erwarte ich für mich selbst? 56. Die Christus-Symbole vom Ende und vom Ziel 336 Worauf es als Erstes ankommt: Freisein mit immer weniger Furcht
57. Was uns das Fest gebracht hat 341 343 58. Ein Anfang steht uns bevor 59. Handeln im Sinne Jesu heißt weitergeben, 347 was man empfangen hat 60. Es heißt handeln aus immer größerer Freiheit 351 Leben aus der Kraft des Lassens
61. Für die Wahrheit stehen 357 359 62. Gerechtigkeit wollen 362 63. Immer weniger Gewalt anwenden 366 64. Im Frieden leben und ihn ausbreiten Der Abstieg ins Tal und das Ende der Theorien
65. Nicht allein bleiben 373 375 66. Den unteren Weg wählen 379 67. Lebensdienlich entscheiden 381 68. Glücklich sein Gespräche mit einem Freund
69. Ein handfester Mann aus Burgund 387 391 70. Gelassenheit Anhang
Quellen 395 397 Bibelstellenverzeichnis 399 Verzeichnis der Begriffe und Namen
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54. Der Tod ist eine Tür durch eine nicht vorhandene, dünne Wand
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nsere Erfahrungen an der Grenze von Leben und Tod lassen, wie gesagt, begründet vermuten, es sei nicht nur unnötig, sondern vielmehr ganz und gar falsch anzunehmen, die Reichweite unseres Daseins erschöpfe sich in der uns vertrauten Welt. Es gibt allzu viele Hinweise auf zu vielen Ebenen der Erfahrung, auch zu viele empirische Untersuchungen darüber, was Einzelnen an dieser Grenze widerfuhr, als dass wir all dies für Produkte der Fantasie halten könnten, für Einbildungen, Erfindungen, Illusionen. Nein, zumindest das, was ich selbst erlebt habe, hinaus über die Grenzen meiner eigenen Welterkenntnis, kann ich auf keine Weise ausblenden. Schon als Kind und Jugendlicher, in einer Zeit, als mir das Christentum fremd und kaum bekannt war, haben mich Erfahrungen berührt, die mir einiges Grundlegende unbezweifelbar gemacht haben. Ich habe an vielen Stellen erzählt, wovon ich seither überzeugt bin: Hinter den Dingen dieser Welt, die uns vertraut sind, umgibt uns eine andere, größere Welt. Sie durchdringt die unsere und viele Menschen spüren sie manchmal sehr deutlich. Die zeitliche Linie unseres Daseins läuft hier schon auf diese andersartige Wirklichkeit zu und setzt sich dort nach unserem Tod unmittelbar fort. Unser kleines Lebensschicksal ist eingefasst von Zusammenhängen, die nach allen Seiten in eine größere Wirklichkeit hinausweisen. Als ich in jungen Jahren las, Jesus sei aus dem Tod auferstanden, war das für mich nicht überraschend, sondern eher selbstverständlich. Ich konnte mir im Gegenteil gar nichts anderes vorstellen, als dass sein Weg weiterging. Zugleich hat Jesus selbst ja von einer Auferstehung aus dem Tod nie so gesprochen, als seien vor ihm die Menschen nicht auferstanden und er sei der Erste, dem sich der Tod ins Leben hinaus geöffnet habe. In den Gesprächen mit seinen Gegnern hat er immer wieder klargemacht, dass
Der Tod ist eine Tür …
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die Toten leben und dass Gott kein Gott von Toten, sondern von Lebenden sei, dass Abraham, Isaak und Jakob lebten. Und diese Selbstverständlichkeit wollen wir festhalten, selbst wenn wir zu Recht das Große, Besondere der Auferstehung des Jesus von Nazareth feiern. Er hätte vermutlich auch einem Hindu seiner Zeit, der ihm von Auferstehung geredet hätte, bescheinigt, was er einmal einem Pharisäer gegenüber sagte: Er sei „nicht weit vom Reich Gottes“. Natürlich werden wir unterscheiden zwischen der Erfahrung einer Auferstehung und ihrer Erklärung. Was war denn die Erfahrung jener ersten Zeugen, etwa der Maria Magdalena? Sie steht vor dem Grab und sieht ungenau die Gestalt eines Menschen. Und plötzlich erkennt sie: Das ist er! Fischer stehen in einem Boot und sehen etwas am Ufer: Das ist er! Er ist da! Zwei wandern eine Straße entlang, da erleben sie, wie sie begleitet sind von einem Unbekannten und am Ende rufen sie aus: Das war Christus! In diesen Erfahrungen geschieht eigentlich nichts. Alles spielt sich still, verhüllt, in Andeutungen ab. Wäre die Auferstehung Jesu erfunden worden, so wäre irgendetwas Großes, Dramatisches geschehen. Aber nichts ereignet sich außer leisen Begegnungen am Rande der Sichtbarkeit, und nur die sind betroffen, die vorher mit ihm, dem Toten, dem Lebenden schon verbunden gewesen waren. Früher gehörte Worte werden neu gehört. Und diese leisen Vorgänge haben danach die Weltgeschichte auf ungeheure Weise bestimmt. Aber als alles vorbei war und der Alltag zurückkehrte, suchten die betroffenen Menschen nach Erklärungen. Sie wollten verstehen. Und nicht nur sie, auch die anderen, denen sie davon erzählten, wollten wissen, wie sich denn all dies vollzogen und abgespielt habe. Wie man beweisen könnte, dass es alles wahr sei. Und so begreiflich das auch sein mag: Ihre Erklärungsversuche erreichten rasch die Grenze, an der sie in produktive Fantasie übergingen. Aber auch diese ins Ungefähre bis Menschliche abdriftenden Erklärungen haben mich persönlich nie verwundert, denn so ist es wohl immer, wenn einem Menschen etwas Ungeheures widerfährt: Er kann es einfach nicht erklären. Er kann aber auch nicht
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Wir blicken über unser Ende hinaus
davon reden, ohne es immer neu erklären zu müssen. Das ist nun einmal so. Da die Juden jener Zeit sich eine Auferstehung wohl nur leiblich vorstellen konnten, lag die Frage nahe: Was war denn, als Jesus auferstanden war, im Grab zu sehen? Der Leib kann doch nicht mehr da gewesen sein! Und rasch war eine Erklärung gefunden: Das Grab muss leer gewesen sein. Wenn Jesus aber sein Grab körperlich verlassen hat, dachte man weiter, dann muss jemand den schweren Rollstein entfernt haben, mit dem das Grab verschlossen war. Ein Engel, versuchte man also zu erklären, muss ihn weggewälzt haben. Und wenn die Toten körperlich auferstehen, dann muss doch der Körper des Auferstandenen spürbar sein, muss Ähnlichkeit haben mit dem des Verstorbenen, sagte man sich, und so folgten weitere Erklärungen: Jesus hat mit den Seinen zusammen gegessen. Er ließ seine Wunden durch Thomas betasten. Nur so erschien diesen ersten Zeugen die gemachte Erfahrung erklärlich. Das eigentlich Erstaunliche an den Erklärungen der Ostergeschichte ist aber, dass sie nicht ins Abstruse führten, sondern das eigentliche Geheimnis, das Angedeutete, das Gnadenhafte dieser Begegnungen unangetastet blieb. Denn was ist wichtig? Wichtig ist das „Friede sei mit euch“, mit dem Jesus zu seinen Freunden ins Zimmer tritt. Wichtig ist, wie Maria Magdalena sich umwendet und ihren Meister erkennt. Wichtig ist, wie in aller Stille eine neue Nähe erfahren wird und in derselben Stille ein Abschied gefeiert, als Jesus, wie man erzählt, „wegging“ und die Menschen ihre weiteren Wege allein, aber im Vertrauen auf den lebenden Meister gingen. Wie sie das Abendmahl feierten, in Emmaus und danach überall, in der Erkenntnis, hier geschehe etwas an der Grenze zwischen dieser und der anderen Welt und Christus sei gegenwärtig. Wichtig ist, wie sie hörten: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ Oder: „Ich bin bei euch alle Tage.“ Oder: „Wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Wichtig ist, wie durch die Ostererfahrungen die äußere Geschichte ihrer Gemeinschaft mit Jesus überging in die innere Wirkungsgeschichte des Jesus Christus.
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Wer die Kirchengeschichte betrachtet und die Ursprünge der geschichtlichen Wirkung des Jesus von Nazaret sucht, wird feststellen, dass es weniger der Mann Jesus von Nazareth war, der diese Wirkungen auslöste, als vielmehr überall der stille innere Christus, der in den Ursprüngen des Glaubens von Menschen stand. Stärker waren die verborgenen Erfahrungen, die Paulus so beschrieben hat: Gott, der gesprochen hat: „Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten“, der ließ es in unseren Herzen licht werden, damit die Menschen erkennen: Hier ist die Herrlichkeit Gottes am Werk! Im Angesicht Jesu Christi ist sie zu schauen. 2. Korinther 4,6 Oder: Wie wir das Bild des irdischen Menschen trugen, so werden wir das Bild des himmlischen tragen. 1. Korinther 15,49 Die spirituelle Tradition des Christlichen ist reich an solchen und ähnlichen Erkenntnissen. Damit, dass sie gelten, steht und fällt alles, was uns am christlichen Glauben unbedingt angeht.
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Wir blicken über unser Ende hinaus