Die segregierte Fremde

WISSEN : VERNETZEN : PUBLIZIEREN www.textfeld.ac.at Patrick Wohlkönig Der/Die segregierte Fremde Ein interdisziplinärer Versuch der Thematisierung v...
Author: Babette Scholz
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WISSEN : VERNETZEN : PUBLIZIEREN www.textfeld.ac.at

Patrick Wohlkönig

Der/Die segregierte Fremde Ein interdisziplinärer Versuch der Thematisierung von ‚Fremden’ in der Stadt

Bakkalaureatsarbeit 2009 Downloaden und kommentieren unter http://www.textfeld.ac.at/text/1417

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Patrick Wohlkönig

Der/Die segregierte Fremde Ein interdisziplinärer Versuch der Thematisierung von ‚Fremden’ in der Stadt

Bakkalaureatsarbeit aus

PK: Stadtsoziologie (WS 08/09) Betreuer: Ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Gasser-Steiner

INHALT I) Einleitung

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II) Zur Konzeption vom Fremden in der Moderne

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III) Segregation

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Das Konzept der klassischen Sozialökologie

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Das (Vermarktungs-) Konzept der Multikulturalität

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Segregation Pro-Contra: Aktuelle Positionen zu (ethnischer) Segregation

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IV) Vorurteile und Stereotypen Diskriminierung V) Soziale Identität und intergruppales Verhalten

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Das Eigene und das Andere

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Das Stereotyp „AusländerIn“

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VI) Das Fremde in der Stadt Kriminalisierung

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VII) Resümee

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VIII) Literatur

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I) Einleitung Jede historische Epoche trägt einen eigenen, spezifischen Namen, von Menschen erfunden, anhand zentraler, gesellschaftlicher Umbrüche der jeweiligen Zeit definiert. Das gilt z.B. für die sog. „Aufklärung“, als das Zeitalter der Ratio, aber auch für aktueller Epochen wie beispielsweise die „Moderne“. Müsste ich die Epoche der Moderne mit wenigen Worten beschreiben, so würde ich z.B. „Industrialisierung, Demokratisierung, Differenzierung, Urbanisierung, Nationalisierung“ usw. nennen. Alles Prozesse, welche in verschiedenen Ländern der Erde zu unterschiedlichen Zeitpunkten begannen und die Menschheit jeweils auf unterschiedliche Art und Weise in ihrem Leben beeinflussten. Solche Prozesse spielen einerseits ineinander, andererseits bauen sie aufeinander auf. Greift man einzelne Tatbestände einer Gesellschaft als Untersuchungsgegenstand auf, so sollte man stets damit beginnen, den jeweiligen Tatbestand in den sozialhistorischen Kontext einzuordnen. Den Zweiten Weltkrieg kann man beispielsweise nicht verstehen, ohne die Folgewirkungen des Ersten Weltkriegs zu kennen. Dem Titel entsprechend, möchte ich in dieser Arbeit ein stadtsoziologisch und stadtpolitisch hoch brisantes Thema aufgreifen. Die Thematisierung des/der Fremden in der Stadt muss dabei vor dem Hintergrund größerer sozialhistorischer, aber inzwischen vor allem auch ökonomischer Prozesse verstanden werden. Ich habe bereits an einigen Wörtern die Epoche der Moderne festgemacht, deren Fortbestand sich noch immer weit in die Denkmuster der gegenwärtigen Gesellschaft finden lässt. Doch kamen inzwischen neue Prozesse – man könnte von einem

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sozialen Wandel sprechen – hinzu. Weltumspannende Massenmedien, eine globale Verkehrsinfrastruktur, weltweite Migrationsbewegungen, die Internationalisierung der Ökonomie, die erhöhte transnationale Mobilität von Investitionskapital und das Entstehen globaler Arbeitsund Absatzmärkte lassen die Welt enger zusammenrücken (Vgl. Welz, 1996, S. 99). Müsste ich wiederum die jetzige Epoche – egal wie man sie nennen möchte – anhand von Begriffen beschreiben, so würde ich z.B. „Globalisierung und Technologisierung“ verwenden. Die „Spielfelder“ solcher Prozesse sind dabei stets die Städte als Zentren der Moderne, aber auch der Gegenwart. Dabei konzentriere ich mich in dieser Arbeit auf den oben angesprochenen Aspekt der Migrationsbewegungen und speziell auch mit deren Folgen. Denn zunehmend beobachtbar, ist schon seit der Nachkriegszeit, in Österreich etwas später, eine ethnische Pluralisierung der Bevölkerung, besonders in den Städten. Jene Migrationsprozesse unterscheiden sich dabei vor allem qualitativ und strukturell von jenen früherer Jahrhunderte und Jahrzehnte. Sie bringen unterschiedliche, nach Migrationsmotiv und sozioökonomischem Status gespaltene MigrantInnengruppen hervor (Vgl. Welz, 1996, S. 100f). Die jeweiligen ethnischen Communities der Stadt bilden den ersten Anlaufpunkt von MigrantInnen. Die Stadt wird dabei der Brennpunkt, die Konfliktzone per se. Während klassische Integrationskonzepte wie von Robert Park bzw. der Chicagoer Schule auf eine Assimilation über das „Sprungbrett“ der ethnischen Segregation abzielen, zeigt sich ein gegenwärtiger Trend in Richtung Vermarktung der „Multikulturalität“ einer Stadt (Vgl. Fassmann, 2002, S. 13ff). Ein Beispiel wäre hierfür die Neupositionierung des Griesplatzes und der Griesgasse als „interkulturelles Zentrum von Graz“ (Vgl. Verhovsek, 2003, S. 345ff). Diese inszenierte Multikulturali-

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tät einer Stadt besitzt jedoch auch eine andere Seite, dreht man einmal die Medaille um und sieht sich die lebensweltliche Wirklichkeit, das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, an. Wahlwerbeplakate von politischen Parteien der letzten Nationalrats- und Gemeinderatswahlen, aber auch aktuelle Maßnahmen des Innenministeriums, deuten auf das Konfliktfeld „interkulturelles Zusammenleben“ hin. Das Konzept des/der Fremden bietet daher den geeigneten Einstieg in die theoretische Untersuchung jenes Feldes. Bereits sozialphilosophische Klassiker des 19. Jhdt. wie Georg Simmel haben sich dem angenommen. Er hat dabei „den Fremden“ wie folgt definiert: „Es ist hier also der Fremde nicht in dem bisher vielfach berührten Sinn gemeint, als der Wandernde, der heute kommt und morgen geht, sondern als der, der heute kommt und morgen bleibt - sozusagen der potentiell Wandernde, der, obgleich er nicht weitergezogen ist, die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden hat.“ (Simmel, 1908, S. 509ff).

Wie ich nun den Begriff des/der „Fremden“ verwende, wird später erläutert. Es gilt jedenfalls, ganz genau darauf zu achten, einerseits die eigene Position reflektiv zu beurteilen und andererseits das jeweilige Konzept des/der Fremden in einem sozialhistorischen Kontext eingebunden zu sehen. Dies bedarf einer längeren, etwas in die Geschichte zurückgreifenden, Erklärung, welche im Anschluss an dieses Einleitungskapitel gegeben wird. Auch ist es nötig, den Gegensatz zwischen dem klassischen Konzept ethnischer Segregation der Chicagoer Schule und dem aktuelleren Mul-

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tikulturalitätskonzept näher zu beleuchten. Den Kern der Arbeit wird jedoch auf Basis des vorher beschriebenen Wissens, die sozialpsychologische und mikrosoziologische Auseinandersetzung mit dem Thema der Konstruktion des/der Fremden an sich sein. Deren Folgen, Ausgrenzung, Etikettierung, Stigmatisierung und Kriminalisierung des/der Fremden, bilden dabei den Abschluss der Arbeit.

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II) Zur Konzeption vom Fremden in der Moderne Wen meine ich nun, wenn ich vom „Fremden“ oder von der „Fremden“ spreche? Hier gibt es viele Sichtweisen, welche von Disziplin zu Disziplin, aber durchaus auch von Person zu Person verschieden sein können. Selbst, wenn man eine sehr gebräuchliche Kategorie des/der Fremden, nämlich den/die „AusländerIn“, verwendet, dann kommen stets einige Fragen auf: Warum gerade der/die AusländerIn? Wer ist nun eigentlich ein(e) AusländerIn? Der Begriff „AusländerIn“ deutet bereits darauf hin, dass unser Konzept des/der Fremden eng an eine Nationalität und in weiterer Folge an unsere nationale Identität geknüpft ist. Nationalität kann man dabei sogar als eines der bedeutendsten Glaubenssysteme seit dem 19. Jhdt. auffassen. Identitäten waren jedoch nicht immer an eine Nation gebunden. Ein kurzer historischer Rückblick vor die Moderne lässt dies erkennen. Vor dem Entstehen von Nationalstaaten, als Menschen noch Fürsten untertänig waren, existierte noch kein „Wir-Bild“, eine kollektive Identität, welche sich an einen Staatskomplex richtete. Jenes Bild kam erst auf, als Eliten mittelständischer Herkunft die aristokratischen Eliten ersetzten und der Politik zwischen Fürstenhöfen ein vorherrschender Normenkanon der Ehre und der Tugend, welcher vor allem auf den Umgang

zwischen

Fürsten

abzielte,

von

einem

moralisch-

humanistischen Kanon des Bürgertums überlagert wurde. Das Gefühl der Verpflichtung und der Loyalität gegenüber dem eigenen Herrscher musste durch eine gänzlich andere, eine viel emotionalere Bindung an unpersönliche Symbole der Nation ersetzt werden (Vgl. Elias, 1997, S. 174ff). -5-

„[…] in der Kommunikation unter Landsleuten trägt der Ausdruck ‚Nation’ Gefühle einer Tiefe und Fülle mit sich, die ihn vor den übrigen auszeichnen. Das Kollektiv, auf das er sich bezieht, wird durch ihn mit einer sehr spezifischen emotionalen Aura umkleidet und erscheint so als etwas höchst Wertvolles, Sakrosanktes, dem Bewunderung und Verehrung gebührt.“ (Elias, 1997, S. 191)

Die Nation bzw. die Nationalität wurde dadurch zu einem integralen Bestandteil des „Wir-Bildes“ der meisten Menschen. Dementsprechend haben sich mit dem Übergang zur modernen Gesellschaft die gesellschaftlichen Konstitutionsbedingungen des/der Fremden geändert. Der/die Fremde wird seitdem in Bezug auf den Nationalstaat verstanden. Dies erkennt man bereits in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom August 1789, der Französischen Revolution. Darin kann man neu aufkommende Ideale wie Freiheit und Gleichheit von Geburt, Unterordnung aller politischen Vereinigung unter den Erhalt der unveräußerlichen Menschenrechte, Recht auf Eigentum, Sicherheit und Widerstand bereits nachlesen. Eine diesbezügliche Einschränkung folgt schließlich im 3. Artikel, worin steht, dass der Ursprung aller Souveränität von der Nation ausgeht. D.h., die oben beschriebenen Ideale werden zugunsten des Staatsbürgers und der Staatsbürgerin eingeschränkt. Der Egalitarismus der modernen Nationen betreibt somit eine Ausgrenzung des/der Fremden aufgrund seines Status des NichtBürgers oder der Nicht-Bürgerin. Der Sinn dahinter ist eine Machtstruktur, welche eine spezifische Form der Vertrautheit innerhalb der eigenen Nationalität als Identifikationskategorie herausbildet und da-

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bei versucht, innernationale Differenzen und Konflikte zugunsten äußerer Abgrenzung zu entschärfen. „Schon aus logischen Gründen ist dann alles, was jenseits des Einschlusshorizonts der jeweiligen Nation liegt, fremd. Der Prototyp des Fremden in der Moderne wird demnach der ‚Ausländer im Inland’.“ (Nassehi, 1997, S. 145ff).

Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen werde ich in dieser Arbeit den/die „AusländerIn“ als ein Bündel an Zuschreibungen verstehen. Ich definiere den/die AusländerIn also weniger über eine rechtliche Kategorie, wie der Staatsbürgerschaft, die aus der Distanz ja nicht ersichtlich ist, sondern ich verweigere jegliche Definition und sehe mir jene Zuschreibungen an, welche in der gegenwärtigen Gesellschaft gerne im Zusammenhang mit dem Begriff „AusländerIn“ in Gebrauch sind, ohne dass jene Personen, welche diese Zuschreibungen unter Mangel an Informationen vornehmen, diese reflektieren.

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III) Segregation Das Konzept der klassischen Sozialökologie Ausgehend von der Frage sozialräumlicher Ungleichheit, beschäftigte sich die sog. „Chicagoer Schule“, vor allem Robert Park und seine Kollegen und Schüler, mit den Migrationsprozessen der Stadt Chicago der 1930er Jahre. Sie entwickelten dabei das Konzept der „residenziellen Segregation“, d.h. der Abbildung von sozialer Ungleichheit im Raum1. So, wie Pflanzen oder Tiere sich an die Gegebenheiten ihrer oder einer neuer Umwelt anpassen und zueinander im Wettstreit um knappe Ressourcen stehen, würden auch Menschen in der Stadt handeln. Diese setzen sich dabei mit ihrer städtischen Umwelt auseinander, bewerten sie und „kämpfen“ um deren Ausstattung. Was bei Tieren über den physischen Kampf entschieden wird, erfolgt hier über Kapital und den Markt. In der Stadt bilden sich so Gebiete mit einer spezifischen Nutzung und einer homogenen sozialen und ethnischen Struktur heraus. Die klassischen Sozialökologen der Chicagoer Schule sahen dies als einen „natürlichen Ausleseprozess“. Die Verwendung solch darwinistischen Vokabulars brachte entsprechende Kritik hervor, obwohl die Sozialökologie die dabei entstehenden „natural areas“ als positiv in Bezug auf die „Integration“ von MigrantInnen sahen. Denn jede(r), der/die in die Stadt kommt, könne sich verwirklichen, seine/ihre „natural area“ und damit seine/ihre erste neue Heimat finden. Da jene Separation jedoch ein Spannungsverhältnis zwischen Individualisierung und Desorganisation darstellt, müssen ZuwanderInnen nach einer gewissen Zeit – Dass jene Definition unzureichend ist, wird noch in einem späteren Abschnitt entsprechend ausgeführt. 1

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je nachdem, wie lange sie brauchen, um sich das Werte- und Normensystem der Majoritätsgesellschaft anzueignen – aus ihren ethnischen Vierteln heraus und mit der besagten Majoritätsgesellschaft in Kontakt treten. Das Erlernen deren Verhaltensweisen dient dabei der Möglichkeit, eine Chance im freien Kampf um Ressourcen zu erlangen. Jenen Prozess der Auseinandersetzung nennt die Chicagoer Schule „race relations circle“. Und somit stellt sich für sie ethnische Segregation als etwas „Natürliches“ und „Nützliches“ dar. Das Wort „Integration“ sollte in jenen Ausführungen jedoch kaum zu tragen kommen. Vielmehr müsste von „Assimilation“ und vom Aufgeben der eigenen Kultur, gesprochen werden (Vgl. Fassmann, 2002, S. 15ff).

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Das (Vermarktungs-) Konzept der Multikulturalität Daher musste jene Idee der nötigen Anpassung an die Majorität einer pluralistischen Gesellschaft in Zeiten der Individualisierung und Globalisierung hinterfragt werden. Denn an welche Verhaltensweisen sollte nun eigentlich angepasst werden? Wer Anpassung verlangt und als Lösung aller interkulturellen Konflikte betrachtet, „[…] der muss sich zu Recht die Frage gefallen lassen, ob nun der Lebensstil eines Tiroler Bergbauern oder derjenige eines gut verdienenden Großstädters gemeint ist.“ (Fassmann, 2002, S. 19)

So trat die Assimilationsidee zwar nicht in den Hintergrund, betrachtet man z.B. die Wahlplakate der politischen Parteien zu den letzten Nationalrats- und Gemeindewahlen, doch bekam sie Konkurrenz. Die relativ neue Idee der Multikulturalität (einer Stadt) gewann zunehmend an Bedeutung, denn die Vielfalt an sprachlichen und kulturellen Ressourcen wurde und wird als entscheidend für das Funktionieren moderner Dienstleistungsökonomien verstanden. Das tolerante Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Ethnie oder Kultur sollte in einer Stadt möglich sein und zu ihrem Erfolg beisteuern. Dementsprechend ist in einer ethnisch-pluralistischen Gesellschaft Segregation keine Bedrohung, sondern eher ein dauerhafter Ausdruck einer vielfältigen Gesellschaft. Dieser Ansatz besitzt jedoch einen gewissen Utopiegehalt. Die Anerkennung von Unterschieden zwischen Menschen einer Gesellschaft und

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die gleichzeitige Garantie ihrer unterschiedslosen Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung stellt nämlich einen äußerst prekären Balanceakt seitens der Politik dar. Die Realität sieht meistens anders aus und so wird gerade sozial benachteiligten Gruppen einer Stadt der Hauptteil an Integrationsleistung abverlangt. Davon abgesehen, schwingt in den obigen Ausführungen stets ein wirtschaftlicher Aspekt der Vermarktung von Städten mit, was eigentlich nichts anderes als eine Instrumentalisierung von Multikulturalität ist (Vgl. Fassmann, 2002, S. 19ff und Welz, 1996, S. 99ff). Der dabei verwendete Kulturbegriff selbst stellt sich jedoch zusätzlich noch als „instabil“ dar, sieht man genauer hin und erkennt, dass er von einer „ethnischen Identität“, einer „Ethnizität“, ausgeht. Das Erhalten von „Kultur“ wäre demnach durch das Festhalten an Traditionen und am kulturellen „Erbe“ garantiert, welches nur durch die Bewahrung ihrer ethnischen und homogenen Gruppenidentität zu bewerkstelligen wäre. Dieser Tatbestand stellt sich nicht nur sofort als ein Konstrukt heraus, sondern zeigt zudem die dahinterliegenden Machtstrukturen von Ein- und Ausschluss auf. Von politischer Seite her gesehen, kann das so weit gehen, dass beispielsweise Lebenspraxen von sozial benachteiligten Gruppen – welche oft gleichzeitig ethnische Gruppen darstellen – als „kulturell“ beschrieben und damit im Sinne der Pluralisierung von Lebenswelten als zu tolerieren, da gegeben, begriffen werden. Im extremsten Fall sind die Akteure selbst an ihrer misslichen Lage schuld (Vgl. Welz, 1996, S. 99ff).

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Segregation Pro-Contra: Aktuelle Positionen zu (ethnischer) Segregation Überwiegend wurde bisher davon ausgegangen, dass es sich bei Segregation rein um die Abbildung sozialer Ungleichheit im Raum handle. Dabei erscheint die Reproduktionswahrscheinlichkeit sozialer Ungleichheit aufgrund bereits existenter Segregation nicht minder wichtig. Denn durch die Ausstattung des jeweiligen Wohnquartiers entstehen selbst unmittelbare Vor- und Nachteile für die Menschen in der Stadt, welche Ungleichheiten in der Sozialstruktur wiederum reproduzieren und sogar verstärken (Vgl. Dangschat, 1998, S. 207 und Häußermann/Siebel, 2000, S. 125). Die eigene Position innerhalb der Sozialstruktur, welche entsprechende Chancen u.a. für das Leben in der Stadt bereithält, kann man dabei, nach Bourdieu, über die Verfügung von ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapital messen. Je nachdem, wie viel an Kapital der drei Sorten Akteure besitzen, finden sie ihre Stellung im „sozialen Raum“. Diese prägt, aufgrund der Kapitalsverteilung den Habitus, der jeweiligen Person. Außerdem weist er eine Tendenz auf, sich im physischen Raum (der Stadt) einzuschreiben. So stellt die jeweilige Position von Menschen im physischen Raum einen guten Indikator für seine Stellung im sozialen Raum dar. Dies lässt sich vor allem daran erkennen, wenn Menschen versuchen, sich von anderen (z.B. habituell oder symbolisch) abzugrenzen. AkteurInnen, welche dabei bereits eine ungünstige „Startposition“ in jenem Wettstreit belegen, werden dabei in ihren Handlungsmöglichkeiten und Partizipationschancen

von

ihren

Wohnumfeldbedingungen

einge-

schränkt (Vgl. Bourdieu, 1994, S. 26ff). Es geht also bei der Betrach-

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tung von Chancengleichheit stets um Segregationsmuster und soziale Ungleichheit. Dangschat spricht Bourdieus Modell jedoch Mängel im Hinblick auf die Beschreibung von Sozialstrukturen innerhalb einer Stadt zu und erweitert es entsprechend. Besonders beim sozialen Kapital, welches die soziale Netzwerkstruktur von Personen und der damit möglichen Zusatzchancen auf Märkten darstellt, möchte er einiges ergänzen. Er spricht dabei von einem „Habitus des Ortes“, von einer spezifischen, örtlich gebunden, Kultur, welche die Rahmenbedingungen für das Ausmaß sozialer Integration bzw. Desintegration, sowie sozialer Toleranz (gegenüber Fremden) bestimmt. Außerdem kritisiert Dangschat, dass Bourdieu nicht näher auf spezielle soziale Gruppen wie MigrantInnen eingeht, welche es ungleich schwerer haben, Kapital zu erlangen (Vgl. Dangschat, 1998, S. 207ff). Besonders MigrantInnen werden auf verschiedensten Ebenen benachteiligt, ausgegrenzt und diskriminiert; so auch am Wohnungsmarkt. Die Reproduktion von ethnischer Segregation, aufgrund dessen MigrantInnen wegen der beschriebenen Gründe ihrer Kapitalverteilung in benachteiligte, schon von „ihresgleichen“ bewohnten, Wohnquartiere, ziehen, ist dabei die Folge. Solch ethnische Viertel treten dabei unbeabsichtigt in den Fokus der Öffentlichkeit. Bereits erwähnte Prozesse wie Etikettierung, Stigmatisierung und weitere Vorurteilsbildungen verschärfen die ohnedies missliche Situation. Doch muss man an dieser Stelle auch auf den ersten Blick scheinende, positive Effekte von (ethnischer) Segregation anführen. Denn Konzentrationen bestimmter sozialer oder ethnischer Gruppen könnten in gewisser Hinsicht positiv auf die Selbsthilfe, Selbstvergewisserung, politische Artikulation und den Aufbau einer speziellen Infrastruktur einwirken. Dem entgegengestellt, bedroht eine Konzentration bestimm-

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ter Gruppen die mögliche Existenz bzw. Chancenvielfalt außerhalb der Gruppe und dessen Integration in dieselbe. Diese Ambivalenz bei möglichen sozialräumlichen Effekten kann, so Häußermann und Siebel, durch eine Unterscheidung von kurz- und langfristigen Wirkungen aufgelöst werden. Ähnlich den Sozialökologen der Chicagoer Schule, sehen Häußermann und Siebel einen ersten positiven Effekt ethnischer Segregation in der Erstaufnahme in die neue Stadt, innerhalb der eigenen ethnischen Community. Sie bietet im fremden Land eine erste Hilfe und Orientierung, stabilisiert die eigene Identität und gibt Sicherheit für die ersten Schritte in der Fremde. Das nennen sie „funktionale Segregation“. Verharren AkteurInnen mit Migrationshintergrund jedoch längerfristig und ausschließlich in ihrer Gemeinschaft, so wirkt diese isolierend und ausgrenzend. Jene „strukturelle Segregation“ wirkt dann entsprechend desintegrativ. So sehen sie nicht die Häufigkeit von Kontakten als günstige Voraussetzung für Integration an, sondern erkennen, dass die Bedingungen, unter denen sie stattfindet eine große Rolle spielen (Vgl. Häußermann/Siebel, 2001, S. 135f). Unterschiedliche Lebensstile, deren Aufeinanderprallen, die sich daraus ergebende Distinktion, Abgrenzung und Ausgrenzung, sind damit gemeint. Um jene Vorgänge, welche soziale Wirklichkeit tatsächlich auf der Ebene des Menschen ausmachen, zu verstehen, wird es nun infolge nötig sein, sozialpsychologische Theorien einzuführen und mit mikrosoziologischen Ansätzen zu verbinden. Beim Thema der Konstruktion des/der Fremden kann man dies nur über den Ansatz von Vorurteilen und Stereotypen als Konstrukte zur Kategorisierung und Vereinfachung der menschlichen Umwelt.

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IV) Vorurteile und Stereotypen Vorurteile sind voreilige, verallgemeinernde, emotional beladene und klischeehafte (Pseudo-) Urteile, welche nicht an der Realität überprüft wurden, meist eine negative Bewertung mit sich ziehen und nur schwer zu verändern sind. Zumeist schreibt man sie dem Pol extremer, negativer Einstellungen zu und werden so oft in Verbindung mit dem Umgang mit ethnischen Minderheiten genannt. Vorurteile setzen somit immer das „Eigene“ relational dem „Anderen“ gegenüber. Dabei stellen sowohl das Bild des Eigenen, als auch das Bild des Anderen soziale Konstruktionen dar. Diese sind eng an das Konzept der eigenen sozialen Identität geknüpft. Darauf komme ich jedoch später zurück. Ein Stereotyp ist hingegen die kognitive Komponente eines Vorurteils und bildet somit ein symbolbehaftetes Bild in den Köpfen von Menschen, welches einer wahr/falsch-Beurteilung distanziert gegenübersteht und dazu dient, die soziale Umwelt zu definieren und zu vereinfachen. Werden jene Bilder von einer hinreichend großen Anzahl von Menschen geteilt, so spricht man von einem „kulturellen Stereotyp“. Die soziale, an Stereotypen angelehnte, Beurteilung anderer Menschen, sozialer Gruppen und sozialer Sachverhalte wird dabei genützt, um das Selbstbild positiver erscheinen zu lassen. Eine genauere Überprüfung des Wahrheitsgehaltes bleibt dabei aus. Stattdessen nützt man Informationen dazu, die eigenen Stereotypen zu bestätigen. Anomalien werden in diesem Zusammenhang als Ausnahmeerscheinungen deklariert. Vorurteile und Stereotypen dienen dabei dem Schutz vor Angst oder Selbstkritik, der Stabilisierung des Selbstwertgefühls, der Aggressionsprojektion, der relationalen Abwertung anderer und anderer Gruppen und der Erleichterung der Integration neuer Informationen in das eige- 15 -

ne Wahrnehmungssystem. Wie man seine Umwelt für sich selbst mittels Klassifikationen und Kategorisierungen vereinfacht, hängt von der Sozialisation und der darin erlernten Kategorien ab. Das Individuelle tritt jedenfalls besonders bei einer raschen Klassifikation der Umwelt in den Hintergrund. An dessen Stelle tritt ein „Schubladendenken“ mit dessen Unterstützung Fremde entindividualisiert und in Kategorien eingeordnet werden, um sie so rasch wie möglich in die eigene Wahrnehmung zu integrieren. Personen, Gruppen oder andere soziale Sachverhalte, welchen man nur selten begegnet, werden demnach anhand von Einzelerfahrungen pauschal beurteilt. Vorurteile bestätigen sich dabei anhand dieser übertriebenen, schnellen Pauschalurteile und stellen somit eine Wahrnehmungsverzerrung, eine selektive Aufmerksamkeitszuwendung, dar (Vgl. Güttler, 2000, S. 108 ff).

Diskriminierung Die in diesem Zusammenhang zwingend zu nennende und von Kategorisierungen bedingte Diskriminierung enthält hierbei mehrere Facetten. Sie dient zu allererst der Separation des Eigenen vom Fremden, um eine leichtere Erfassung der sozialen Umwelt zu ermöglichen. Die Distanz zwischen jenen Kategorien und die Andersartigkeit des/der Anderen werden dabei so groß wie nur möglich gehalten. Damit gehen stets eine positive Eigen- und eine negative Fremdbeurteilung einher. Dem/der Anderen werden individuelle Eigenschaften abgesprochen. Er/Sie wird stattdessen als RepräsentantIn einer Kategorie oder sozial konstruierten Gruppe gesehen und darin fixiert. Der Grund jener Etikettierungen ist die damit erzeugte Erwartungshaltung dem/der Frem-

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den gegenüber. Wenn jemand erstmal typisiert wurde, wissen wir, wie wir mit ihm/ihr umgehen, uns ihm/ihr gegenüber verhalten sollen (Vgl. Güttler, 2000, S. 113ff).

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V) Soziale Identität und intergruppales Verhalten Die Zunahme der sog. „Individualisierung“ im vorherigen Jahrhundert und die Auflösungstendenzen traditioneller Wertemuster und Normensysteme machten es dabei für den/die Einzelne(n) notwendig, sich seine/ihre Identität selbst zu konstruieren. Dies geschieht freilich nur innerhalb von Grenzen, welche durch das eigenen soziale Feld bzw. den Habitus bestimmt werden. Trotzdem existiert keine von den Eltern vorgelegte Schiene, in welcher man sich einordnen kann/muss. Stattdessen kommt es zu einer Identität unterschiedlichster Facetten, zu einer „Patchwork-Identität“, welche nicht mehr jenen Rückhalt, jene Orientierung, wie in vergangenen Zeiten besitzt und in Gruppen gesucht wird (Vgl. Güttler, 2000, S, 184).

Das Eigene und das Andere Das Bild, was jemand von sich selbst hat, besteht aus zwei Teilen, der „persönlichen“ und der „sozialen Identität“. Die persönliche Identität ist demnach jene, die wir im Alltag für gewöhnlich nur als „Identität“, „Charakter“ oder als „Persönlichkeit“, bezeichnen. Bei der sozialen Identität handelt es sich hingegen um jenen Teil des Selbstkonzepts, welcher sich als Mitglied sozialer Gruppen versteht. Das Selbstbild bestimmt sich dabei einerseits über persönliche Fähigkeiten, Präferenzen und Persönlichkeitszüge, andererseits über das Wissen, sozialen Gruppen anzugehören. Das Verhalten wird dabei zwischen den beiden Polen persönlicher und sozialer Identität gesehen und befindet sich somit in einer Grauzone. Die eine oder andere Seite (Ich- oder Wir-Bild) über-

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wiegt hier je nachdem, ob es sich um intergruppales oder interindividuelles Verhalten handelt (Vgl. Güttler, 2000, S. 161f). So stellt sich heraus, dass soziale Interaktionen nicht nur durch persönliche Beziehungen, sondern vor allem auch durch Beziehungen zwischen Gruppen, bestimmt werden. Die jeweiligen Gruppenmitgliedschaften bzw. die Identifikationen mit jenen Gruppen beeinflusst dabei das Verhalten von Personen wesentlich. Erst, wenn sich zwei einzelne AkteurInnen näher kennenlernen, tritt der Pol der persönlichen Identität in den Vordergrund und mit ihm interpersonales Verhalten. Dieses zeichnet sich im Vergleich zur Homogenität intergruppalen Verhaltens durch seine Variabilität aus und orientiert sich weniger stark an dem Bewusstsein der Dichotomie Eigen- versus Fremd-Gruppe (Vgl. Güttler, 2000, S. 147f). Der Zusammenhang, der durch Gruppenmitgliedschaften definierten sozialen Identität und Vorurteilen, scheint klar, bedenkt man, dass Vorurteile und Stereotype das Ergebnis des Wettbewerbs sozialer Gruppen um knappe Ressourcen sind. Jene Bedrohung durch das Bewusstsein gegenüber anderen Gruppen erzeugt hierbei die Abwertung derselben und die Feindseligkeit ihr gegenüber. Dies hat wiederum die Verstärkung der Solidarität gegenüber der Eigengruppe und der Identifikation mit derselben zur Folge. Alles, was man als „fremd“ oder „anders“ empfindet, wird demnach der vertrauten, positiv bewerteten, Eigengruppe entgegengestellt. Die Bewertungen und Kategorisierungen des Anderen erfolgen, wie bereits erwähnt, über soziale Konstruktionsprozesse innerhalb der jeweiligen Gruppe und erzeugen dabei eine verzerrte Realitätswahrnehmung mit realen Folgen. Fremdgruppen schreibt man negative Charakteristika zu, ihre Mitglieder werden diesen entsprechend in ihren wesentli-

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chen Persönlichkeitsaspekten so homogen wie nur möglich angesehen. Je größer der tatsächlicher Unterschied von Gruppen hinsichtlich eines bestimmten Merkmals ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es als Stereotyp der jeweils anderen Gruppe erscheint. Die positive Überbewertung der Eigengruppe führt dabei einerseits zu einer positiven Überbewertung der einzelnen Mitglieder, was wiederum zur Folge hat, dass sich jene umso stärker mit der Gruppe identifizieren, und andererseits zur Vergrößerung der sozialen Distanz zwischen Gruppen. Der Fremdgruppe werden dabei inakzeptable Bedürfnisse, Motive, Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale angehaftet. Dieser Effekt kommt vor allem in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzunge, politischer Instabilitäten, anderer Krisen und deren Folge der zunehmenden Wahrnehmung von Konkurrenz zum Tragen2. Weniger distante Gruppen werden stärker stereotypisiert, sehr distanten Gruppen werden hingegen eher Projektionen auferlegt. Existiert ein geringer Unterschied zwischen Gruppen, so spielt dessen eventuell minimale Größe keine Rolle, er wird quasi sozial „aufgebauscht“. Je größer dabei eine andere Gruppe abgelehnt wird, desto bedrohlicher wird diese empfunden (Vgl. Güttler, 2000, S. 132ff). Der Vergleich zwischen Gruppen zielt hier darauf ab, die soziale Identität positiv durch einen für die Eigengruppe positiven Vergleich mit der Fremdgruppe zu bewerten und somit das Selbstwertgefühl zu erhöhen. Er bewirkt somit auch Abgrenzung. Den Extremfall dieses Prozesses stellt die Delegitimation von Gruppen dar, welche sich durch die Entmenschlichung von Anderen, dessen Ausschluss, Zuschreibungen, Etikettierungen und durch ihre Kategorisierung als gesamtgesellschaftlich D.h. reale Konflikte begünstigen „scheinbar wahrgenommene“ Konflikte zwischen Gruppen. 2

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unakzeptierte Gruppe ausdrückt. Aufgrund einer zusätzlichen Implikation von Emotionen stellen sich Delegitimationen als stabil bzw. schwer veränderbar dar. Informationen werden in das bestehende Wahrnehmungssystem eingebaut. Auch sie werden analog zu Stereotypen sozial geteilt und sind relevante Charakteristika einer spezifischen Gruppenzugehörigkeit. Je weniger Normentoleranz eine Gruppe besitzt, desto eher neigt sie zu Delegitimationen, welche auch dazu verwendet werden, um Unterschiede zwischen den Gruppen deutlich zu machen und gleichzeitig das eigene, von der Gruppe abhängige, Selbstwertgefühl zu erhöhen (Vgl. Güttler, 2000, S. 174ff).

Das Stereotyp „AusländerIn“ Vorurteile, Stereotype und jegliche andere Formen sozialer Diskriminierung werden dabei vor allem gegenüber gesellschaftlicher Randgruppen konstruiert und richten sich oft gegen eine angebliche Ungerechtigkeit in der Behandlung verschiedener Gruppen einer Gesellschaft. So sehen Menschen z.B. MigrantInnen gerne als Schmarotzer, welche vom System des Wohlfahrtsstaates profitieren, ohne dafür etwas zu leisten (Vgl. Güttler, 2000, S. 181). Gruppen von MigrantInnen werden dabei wesentlich über deren Religion, welche zumeist nicht von einer ethnisch-sprachlichen Herkunft unterschieden wird, kategorisiert und etikettiert. Der „Türke“ wird im deutschsprachigen Raum somit zum Prototyp aller MuslimInnen. In unserer Sprache finden sich diese Stereotypen in kurzen, meist spontan verwendeten, Formen oder Redewendungen wie z.B. „Der faule Zigeuner“ oder „Ein Grieche lügt wie ein Zigeuner.“. Im letztgenannten Bei-

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spiel finden wir sehr schön die oben genannte Funktion von Stereotypen für das Vergleichen von Gruppen. Diese stereotypen Bilder in unseren Köpfen weisen einen hohen Grad an Stabilität und Wandlungsresistenz auf, sie gehören damit zum kollektiven Wissensbestand ganzer Gesellschaften. Mittels Sozialisation erlernt, verfestigen sie sich und werden bewahrt, stets weitergegeben und kaum hinterfragt, obwohl sie meist nicht aus dem persönlichen Erfahrungsschatz kommen. So besitzen wir über fast alle Menschen, denen wir begegnen, kategorial geordnetes Vorwissen, welches wir in der Interaktion, z.B. durch eine selektive Wahrnehmung, auch anwenden. Man darf dabei jedoch nicht die Reziprozität vergessen. Wir verwenden Kategorien nicht nur dazu, um das Fremde, oder das Andere, zu definieren, sondern auch, um ein verständliches, in sich konsistentes Selbstbild zu konstruieren. Die in einem früheren Kapitel genannte Wichtigkeit der Nation stellt sich dabei z.B. in das Zentrum des „österreichischen“ Selbstbewusstseins. Wir denken somit in den Kategorien „Österreicher“ und „Nicht-Österreicher“, also „Ausländer“. Die Definition des Selbstbildes steht wieder der Definition des Fremdbildes gegenüber. Ein (im wahrsten Sinne des Wortes) „Schwarz-Weiß-Denken“ erscheint dabei immanent zu sein und deutet bereits auf den Konstruktionsaspekt jener Muster hin. Schließlich dürfen wir davon ausgehen, dass die sog. „Realität“ nicht nur aus den Farben schwarz und weiß besteht. Die Wahrnehmung dieser Differenzen erfolgt dabei zu aller erst über das als erstes Sichtbare wie z.B. das Aussehen, die Kleidung und die Verhaltensweisen (Vgl. Roth, 1998, S. 21ff). Dieser Aspekt wird nun im daran anschließenden Kapitel zentral werden, wenn es wiederum darum gehen soll, das Fremde in Verbindung mit ethnischer Segregation in der Stadt zu bringen.

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VI) Das Fremde in der Stadt Die Überschrift jenes Kapitels ist in sich auf den ersten Blick widersprüchlich, denn gilt die Stadt eigentlich als der Ort, an welchem sich alle Menschen fremd sind. Die Anonymität und der Verlust an traditionelle Sicherheiten werden dabei der erlangten Freiheit gegenübergestellt. Jenen Verlust habe ich bereits als ausschlaggebend dafür betrachtet, wie Menschen ihre soziale Sicherheit und Identität in Gruppen zu suchen. Somit wird die Stadt jener Ort, an welchem ganz besonders die Ausformungen von verschiedenen Gruppen sichtbar werden und das Fremde dezimiert. Dies kann jedoch nur eine Seite der Medaille sein, bedenkt man strukturelle Prozesse, welche Ungleichheiten in der Stadt erzeugen oder reproduzieren. Um den Kreis wieder zu schließen, spreche ich vom privaten Wohnungsmarkt und der damit einhergehenden Segregation von spezifischen Gruppen. Differenzen im Einkommen, in der Bildung, aber auch die berufliche Stellung, sind ausschlaggebend für die Optionen und Chancen am Wohnungsmarkt. Und wie Bourdieu meint, kann man daher die soziale Stellung von Menschen sehr gut als Indikator für deren Stellung im sozialen Raum ansehen. Bei ethnischer Segregation verstärkt sich dieser Effekt nochmals erheblich. Besonders deren Sichtbarkeit macht sie anfällig auf Etikettierung, Stigmatisierung und Diskriminierung von Seiten der Majoritätsgesellschaft. Die Reaktion seitens der Minorität, nämlich der vermehrte Rückzug in die eigene Community, schließt jenen Kreislauf (Vgl. Dangschat, 200, S. 151). Stereotype Vorstellungen der Majoritätsgesellschaft bzgl. der Homogenität von MigrantInnen oder spezifischer MigrantInnengruppen werden dadurch bekräftigt und ihnen eine kollektive ethnische - 23 -

Identität, die der eigenen diametral entgegengesetzt ist, zugesprochen. Was folgt, ist die Ausgrenzung, welche jedoch bereits weitaus früher beginnt, wenn Einstellungsmuster hervorgehoben werden, welche eine nationale Wir-Identität der Majoritätsgesellschaft erzeugen. MigrantInnen stellen nun einen neuen Einfluss und neue Konkurrenz dar. Sie stellen die bestehenden und etablierten Strukturen in Frage. Die Majorität grenzt sich ihnen gegenüber ab und versucht die althergebrachten Strukturen zu bestätigen. Jenes Ausgrenzungsverhalten begünstigt schließlich auf beiden Seiten die Ausbildung von (abwertenden) Vorurteilen und Stereotypen. Diese Stigmatisierungsprozesse führen nun zu Diskriminierungen von Seiten der sich überlegen fühlenden Majoritätsgesellschaft, um bestehende Machtstrukturen zu erhalten. Auf der anderen Seite bildet sich als Reaktion entweder eine eigene Wir-Identität heraus, oder man wählt den Weg der Anpassung. Die empfundene Ausgrenzung und Etikettierung führt dabei zu einer Rekonsolidierung ethnischer Selbstorganisation, dem Aufbau einer eigenen ethnischen Infrastruktur und dergleichen. Dies begünstigt wiederum deren Sichtbarkeit und die Wahrscheinlichkeit der erneuten Stigmatisierung und Ausgrenzung. Da sich jene Prozesse wiederum als nachteilig für den Erwerb von Qualifikationen und dem Schließen von Kontakten herausstellen, reproduziert sich auf Dauer jene soziale Ungleichheit. Ethnische Segregation gilt somit als „Mobilitätsfalle“ und benachteiligt deren BewohnerInnen im Erwerb von Fähigkeiten und infolge dessen von Chancen (Vgl. Krummacher, 1998, S. 324ff).

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Kriminalisierung Eine Verschärfung der genannten Etikettierung ethnischer Minderheiten in der Stadt erfolgt durch die Exekutive und die Rechtspflege. Das Merkmal der Nationalität von Personen scheint nämlich in jeder Polizei- und Gerichtsstatistik der Welt auf. So wird bei der Analyse dieser Statistiken zwangsläufig, da auch andere Variablen wie sozialer Status und die Lebenslage meist fehlen, ein Fokus auf die Herkunft von StraftäterInnen gelegt. Die Gefahr der ständigen Kriminalisierung von Menschen ethnischer Minderheiten bleibt dadurch immanent. Diverse Verzerrungsfaktoren der Statistik und die fehlenden Berücksichtigung von wichtigen Variablen, welche auf die spezielle Lage ethnischer Minderheiten hindeuten, erzielen bei entsprechenden Auswertungen oft Ergebnisse, welche unzureichend die soziale Realität widerspiegeln. Eine seriöse Auswertung müsste, über verschiedene sozialstrukturelle Faktoren vergleichend, die Kriminalitätsverhältnissen zwischen Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern herausarbeiten (Vgl. Pilgram, 1993, S. 17ff). Susanna Krainz führt in ihrem Kriminalitätsatlas der Stadt Graz (2000:67f) immerhin in zwei Sätzen des drei Seiten langen Kapitels über „AusländerInnenkriminalität“ an, man müsse die Zahlen aufgrund der jeweiligen deliktspezifischen Aufklärungsquote und den dazugehörigen Dunkelziffern mit Vorsicht betrachten. Daran anschließend führt sie jedoch an, dass erstmals rumänische Tatverdächtige jene aus dem ehemaligen Jugoslawien an der Spitze ablösten. Neben den Staaten des sog. „Ehemaligen Ostblocks“, Deutschlands und der Türkei führt sie die restlichen Nationalitäten unter „Sonstige Fremde“ an, welche bis zu-

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rückreichend in das Jahr 1993 den größten Teil der „Ausländerkriminalität“ ausmachen (Vgl. Krainz, 2000, S. 67ff). Da jedoch auch hier wieder ein Schwarz-Weiß-Denken zwischen „InländerIn“ und „AusländerIn“ bzw. zwischen „Fremde“ und „NichtFremde“ gemacht wurde, diese Begriffe jedoch nur Stereotypen darstellen, entstehen in diesem Fall statistisch nicht ausreichend plausible Ergebnisse. Es wären maximal Ergebnisse für die Medien, welche dann gekonnt in einen parteilichen Populismus münden können. Somit kann angenommen werden, dass eine Mehrbelastung von „AusländerInnen“ in der Kriminalitätsstatistik nicht auf eine höhere Zahl von Straftaten zurückzuführen ist, sondern auf eine entsprechende Kriminalisierung seitens der Majoritätsgesellschaft, zumeist der Politik und der Medien. Solch eine extreme Form der Stigmatisierung führe jedoch nach dem Ansatz der Kriminalisierungsthese eventuelle tatsächlich zu devianten Karrieren und die Kriminalisierung von Menschen ethnischer Minderheiten würde zu einer „self-fulfilling prophecy“. Zumeist liegt das Problem am Mangel einer differenzierten Sicht auf „AusländerInnen“. Gerade in Zeiten der Globalisierung und großer Mobilität ist es nötig, die Perspektive hinsichtlich MigrantInnen zu erweitern und deren Vielschichtigkeit zu erkennen (Vgl. Pilgram, 1993, S. 20ff).

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VII) Resümee Ich habe in dieser interdisziplinären Arbeit versucht, unterschiedliche Sichtweisen auf Fremde innerhalb der Stadt zu spezifizieren. Die Ansätze kamen dabei sowohl aus der Sozial-, als auch aus der Geisteswissenschaft und der Sozialpsychologie. Das Zusammenführen jener Disziplinen erwies sich klarerweise als schwierig und es wird hier keinesfalls eine Vollständigkeit suggeriert, welche in einer Bakkalaureatsarbeit unmöglich wäre. Stattdessen habe ich Ansätze zu der Thematik des/der Fremden selektiv herangezogen, um herauszufinden, ob sie sich miteinander verbinden lassen, einander ergänzen oder widersprechen. Das Beleuchten eines Themas aus unterschiedlichen Perspektiven war somit möglich und vielversprechend. Das Fremde erschien in meiner Arbeit vor allem als der/die „AusländerIn“. Dies war zwar nicht beabsichtigt, jedoch zwingend, da der Prototyp des/der Fremden in Europa nun mal der/die AusländerIn ist. Warum jene Definition an eine Staatsbürgerschaft und damit an eine Nationalität gebunden ist, wurde aufgezeigt. Norbert Elias beschrieb diesen Prozess als eine Folge der Durchmischung eines bürgerlichen Kodex mit dem zuvor an der Macht herrschenden machiavellistischen Kodex der Ehre. Die Selbstidentifikation – im Sinne der sozialen Identität – verschob sich mit dem Aufstieg des Bürgertums in der Moderne endgültig vom Herrschaftsgeschlecht zu unpersönlichen Symbolen der Nation. Dabei entstand eine Selbstbild, welches stets an ein Wir-Bild der Nation – bis heute – verbunden ist. Nationale Grenzen werden trotz diverser Prozesse der Globalisierung und der Grenzenöffnungen durch die Europäische Union als Identifikationslinien, als Grenzen des Selbstbildes von Menschen herangezogen. - 27 -

In der Stadt, als Hauptfeld von Globalisierungskonflikten, wird das deutlich, wenn man bedenkt, mit welchen Mitteln beispielsweise politische Wahlkämpfe geführt werden. Aufgrund mangelhafter Integrationspolitik stehen die verantwortlichen Kräfte einem Stadtbild gegenüber, welches in einer Zeit der Identität- und Orientierungslosigkeit von Menschen – als Folge des Verfalls traditioneller Wertesysteme – von Segregation(en) geprägt ist. Vor allem die ethnische Segregation, welche in der vorliegenden Arbeit speziell bearbeitet wurde, scheint als die gegenwärtig zentralste Form, Konflikte heraufzubeschwören. Der/die MigrantIn wird dabei als das sozialpsychologische „Andere“ wahrgenommen und entsprechend ausgegrenzt, etikettiert und stigmatisiert. Das verschärft deren Lage und führt in einem fortschreitenden Kreislauf wiederum zu einer Verschärfung der Konfliktverhältnisse. Der diesbezügliche Optimismus der Chicagoer Schule konnte sich also nicht bestätigen. Der Nutzen einer ethnischen Community zum Einstieg in eine „fremde“ Gesellschaft scheint logisch, dem Übertritt in die Majoritätsgesellschaft stehen jedoch strukturelle und politische Barrieren im Weg. Doch darüber hinaus erschweren diesen Vorgang, sei er je nach Ansatz erwünscht oder unerwünscht, vor allem Vorurteile die Integration von MigrantInnen innerhalb der Stadt. Gegenseitige Zuschreibungen, Etikettierungen, münden so recht schnell auch in Kriminalisierungen und politischen Populismus. So ist es nötig, neben stadtstrukturellen und rechtlichen Maßnahmen, auch das Misstrauen auf der Ebene der Interaktion zwischen Menschen abzubauen. Ich sehe darin in erster Linie Möglichkeiten im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt. Die Politik ist gefragt, entsprechende Zeichen des gegenseitigen Vertrauens zu setzen, anstatt Videokameras als Symbole der Unsicherheit einer Stadt zu installieren. Denn jene

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Unsicherheit wird von den Medien gerne eng in Zusammenhang mit MigrantInnen gebracht. Seriös ist dieses Vorgehen nicht, jedoch symbolbehaftet und entsprechend manipulierend.

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VIII) Literatur Bourdieu, Pierre: Physischer, sozialer und angeeigneter Raum, in: Wentz, Martin (Hg.): Die Zukunft des Städtischen, Frankfurt/New York, 1994 (= Frankfurter Beiträge, Band 2) Dangschat, Jens: Segregation, in: Häußermann, Hartmut (Hg.): Großstadt. Soziologische Stichworte, Opladen, 1998 Dangschat, Jens: Sozial-räumliche Differenzierung in Städten. Pro und Kontra, in: Harth, Annette u.a. (Hg.): Stadt und soziale Ungleichheit, 2000, Opladen Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. Band 3, Frankfurt am Main, 1997 Fassmann, Heinz u.a. (Hg.): Zuwanderung und Segregation. Europäische Metropolen im Vergleich, Klagenfurt/Drava, 2002 (= Publikationsreihe des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr zum Forschungsschwerpunkt Fremdenfeindlichkeit, Band 7) Fassmann, Heinz: Zuwanderung und Segregation, in: Fassmann, Heinz u.a. (Hg.): Zuwanderung und Segregation. Europäische Metropolen im Vergleich, Klagenfurt/Drava, 2002 (= Publikationsreihe des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr zum Forschungsschwerpunkt Fremdenfeindlichkeit, Band 7)

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Gestring, Norbert u.a. (Hg.): Jahrbuch StadtRegion 2001. Schwerpunkt Einwanderungsstadt, Opladen, 2001 Güttler, Peter: Sozialpsychologie. Soziale Einstellungen, Vorurteile, Einstellungsveränderungen, München/Wien, 2000³ Harth, Annette u.a. (Hg.): Stadt und soziale Ungleichheit, 2000, Opladen Häußermann, Hartmut (Hg.): Großstadt. Soziologische Stichworte, Opladen, 1998 Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter: Wohnverhältnisse und Ungleichheit, in: Harth, Annette u.a. (Hg.): Stadt und soziale Ungleichheit, 2000, Opladen Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter: Multikulturelle Stadtpolitik. Segregation und Integration, in: Gestring, Norbert u.a. (Hg.): Jahrbuch StadtRegion 2001. Schwerpunkt Einwanderungsstadt, Opladen, 2001 Heuberger, Valeria u.a. (Hg.): Das Bild vom Anderen. Identitäten, Mentalitäten, Mythen und Stereotypen in multiethnischen europäischen Regionen, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien, 1998

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Katschnig-Fasch, Elisabeth (Hg.): Das ganz alltägliche Elend. Begegnungen im Schatten des Neoliberalismus, Wien, 2003 Krainz, Susanna: Kriminalitätsatlas der Stadt Graz. Eine empirische Untersuchung zur räumlichen Verteilung von Kriminalität, Graz, 2000 Krummacher, Michael: Zuwanderung, Migration, in: Häußermann, Hartmut (Hg.): Großstadt. Soziologische Stichworte, Opladen, 1998 Nassehi, Armin: Der Fremde als Vertrauter, in: Wolf, Andrea (Hg.): Neue Grenzen. Rassismus am Ende des 20. Jahrhunderts, Wien, 1997 Roth, Klaus: Bilder in den Köpfen. Stereotypen, Mythen und Identitäten aus ethnologischer Sicht, in: Heuberger, Valeria u.a. (Hg.): Das Bild vom Anderen. Identitäten, Mentalitäten, Mythen und Stereotypen in multiethnischen europäischen Regionen, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien, 1998 Pilgram, Arno (Hg.): Grenzöffnung, Migration, Kriminalität, Baden-Baden, 1993 (= Jahrbuch für Rechts- und Kriminalsoziologie)

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Pilgram, Arno: Mobilität, Migration und Kriminalität - gegen die die Vordergründigkeit kriminologischer Studien über Ausländer, in: Pilgram, Arno (Hg.): Grenzöffnung, Migration, Kriminalität, Baden-Baden, 1993 (= Jahrbuch für Rechts- und Kriminalsoziologie) Simmel, Georg: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Berlin, 1908 Verhovsek, Johann: Von oben gesteuert, in: Katschnig-Fasch, Elisabeth (Hg.): Das ganz alltägliche Elend. Begegnungen im Schatten des Neoliberalismus, Wien, 2003 Welz, Gisela: Inszenierung kultureller Vielfalt. Frankfurt am Main und New York City, Berlin, 1996 (= Zeithorizonte. Studien zu Theorie und Perspektive Europäischer Ethnologie, Band 5) Wolf, Andrea (Hg.): Neue Grenzen. Rassismus am Ende des 20. Jahrhunderts, Wien, 1997

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