Die Neunzahl bei den Ostariern

Separatabdruck aus den philologischen Abhandlungen für HEINRICH SCHWEIZER-SIDLER. Die Neunzahl bei den Ostariern. Kulturhistorische Analekten von 9...
12 downloads 1 Views 4MB Size
Separatabdruck aus den philologischen Abhandlungen für

HEINRICH SCHWEIZER-SIDLER.

Die Neunzahl bei den Ostariern. Kulturhistorische Analekten von 9

Adolf Kasgi.

Hermann D i e 1 s weist in seinen überaus anregenden, Eduard Zeller gewidmeten ., S i b y l l i n i s c h e n B l ä t t e r n " (Berlin 1890) S. 40 fg. daraufhin, wie das religiöse Empfinden des Altertums, namentlich des römischen, sich im c h t h o n i s c h e n D i e n s t am tiefsten ausgesprochen und am reichsten entwickelt hat, und wie überall, wo dieser chthonische Dienst erscheine, sich auch die heilige Dreizahl einstelle *), deren Geltung im Totenkult zu den bekannten Dingen orehöre. Am bedeutendsten zeige sie sich „in der Verstärkung zur JVeu 71 zahl, die ja bei Römern und Umbrern, Hellenen und Germanen mit dem T o t e n - und L u s t r a t i o n s k u l t e enge verbunden ist. . . . In ausserordentlichen Fällen wird die Drei noch weiter zu 27 gesteigert. Daher erscheint diese allerheiligste Zahl auch beim Eumenidenopfer, das ein Eingeweihter uns schildert (Soph. Oed. C. 483)/' Und wie sich die ursprüngliche Neun bisweilen dekadisch abrunde, so komme auch das Dreifache der Zehn gleichbedeutend mit der S i e b e n u n d z w a n z i g vor {trigznta ingenuos patrimos et matrimos totidemqtie vir gutes bei Jul. Obsequens aus Liv.). Von jener Verwendung der Neunzahl sei das ganze altrömische Wesen durchtränkt: nönae, Nundina, ntmdinae (die mmdinae des Februar als Totenfest), ferner novendial, novendiales feriae = tvara, ze noine auf der ältesten römischen Inschrift und die novena lampas im Hochzeitsritual bei Statius u. a. m. zeigen das genugsam. Für die Umbrer wird auf Büchelers Commentar zu der Vorschrift der Iguvinischen Tafeln II, a, 24 fg.: vestikatu ahtreptidatu nuvis ( = lat. libato tripodato n o v i e n s ) 1

er d e m

) „Der T o t e wird am 3. T a g e beigesetzt (rQirci)^ dreiköpfigen

Kerberos

und den

3 Kleider werden ihm mitgegeben zur Unterwelt, wo

drei Totenrichtern

Persephone (oder anders b e n a n n t ) begegnet. . . . Oben

(Triptolemosl), zuletzt der Trias Hades,

Demeter,

am Grabe rindet dreitägige Leichenwacht statt, und

dreissigsten T a g e oder in Gambreion nach drei Monaten ist die Trauerzeit beendet. rufen, dreimal wird das Arvallied gesungen u. s. w., drei T i e r e werden

am

Dreimal wird der T o t e ge-

geschlachtet.

Aristoteles würdigt

die

Bedeutung der Dreizahl nach pythagoreischem V o r g a n g in der merkwürdigen Einleitung zu de caelo A, 1. 268 a 8, wo er auch den sakralen Gebrauch erwähnt y.al TIQOQ rag ayiöTEiag

/ow^usd-ct

TÜJV -OZCOV TW aQUh^uo TOLTW."

—• I n den Anführungen aus Diels sind dessen Citate aus Rücksicht auf den Raum w T eggelassen.

2

[5i



verwiesen 2 ); für die Griechen „an die delphische Ennaeteris und deren Lustration; an die Rolle der Neunzahl im Karneenfeste, das ja seinem Ursprung nach deutlich Sühnfest ist [an dem n e u n tägigen Feste wurden an n e u n Plätzen Zelte und Lauben für je n e u n Mann errichtet, Demetr. Sceps. bei Athen. IV, 141, e ] ; an die zur Lustration verwandte E n n e a k r u n o s und die 'Evvaa rtvlal; an die oft profanierte Geltung der Neun bei Homer, z. B. y, 7 f." erinnert. Für die Germanen stellte K. Weinhold ein reiches Material zur Verfügung — und daran schliesst Diels S. 42 die Bemerkung: „So weit meine Umschau reicht, s p i e l t d i e N e u n b e i d e n O s t a r i e r n und Semiten k e i n e e n t s p r e c h e n d e R o l l e . " Von den Semiten wollen wir absehen. S o l l t e n aber B r ä u c h e u n d A n s c h a u u n g e n , v o n d e n e n „ d a s stanze a l t r ö m i s c h e W e s e n d u r c h t r ä n k t ist" und die sich zugleich so tief e i n g e w u r z e l t und weit v e r b r e i t e t auch bei Griechen, U m b r e r n und Germanen finden, wirklich bei den O s t a r i e r n , bei I n d e r n u n d P e r s e r n , n i c h t „ e i n e e n t s p r e c h e n d e R o l l e s p i e l e n " ? Das muss doch für jeden von vornherein höchst unwahrscheinlich sein, dem die alte Stammesverwandtschaft der Ost- und Westarier 3 ) lebendig vor Augen steht, und vollends dem, der gelegentlich versucht hat, den gemeinsamen Grundlinien nachzugehen, welche sich in S p r a c h e , R e c h t und S i t t e unsers g a n z e n Völkerstammes nachweisen lassen und gerade auf dem Gebiete der religiösen Anschauungen und sakralen Bräuche trotz aller individuellen Sonderentwicklung und fremden Einflüsse zahlreich genug sind. Diels hat es ja auch nicht geradezu behauptet; er bleibt aber doch bei seiner Annahme stehen und begnügt sich mit der Uebereinstimmurjs: unter Griechen, Römern, Umbrern und Germanen. So mag ich es mir nicht versagen, Umschau in d e r L i t e r a t u r d e r O s t a r i e r zu halten und genauer z u z u s e h e n , o b n i c h t a u c h h i e r d i e D r e i - u n d N e u n z a h l (beide sind nicht zu trennen) m i t d e r e n t s p r e c h e n d e n „ d e k a d i s c h e n A b r u n d u n g " und „ S t e i g e r u n g u e i n e ä h n l i c h e R o l l e s p i e l e n wie bei den genannten Stammesbrüdern des Westens. Für I n d i e n beschränke ich mich fast ausschliesslich auf die älteste Literatur, den V e d a und die erst in neuester Zeit, aber nunmehr in ganz ungeahnter Fülle ans Licht tretenden R e c h t s b ü c h e r , die „Hausregeln" (GrhyasiUra), die „Rechtsregeln" (Dharmasütra) und die metrischen „Rechtsbücher" (Dharmagästra)*). Sie enthalten 2

) Bücheier, Umbrica. Bonn 1883. S. 1 3 4 : „libatur et tripodatur n o v i e n s , qui numerus quod t e r

continet quam sanctus potensque a veteribus habitus sit vel Ausonii n u g a e o s t e n d u n t : iuris

ter

tribzis,

omnia in istis (idyll. XI). novemdialia

Myconia [Ditt. Syll. n. 3J3] libus demnctis TQL'TCI

vs. 23 JZepeXr] tTipiov

v.ai swura

vel TQITEVVUTCU

zvvara tnl VSXQOV ayopsva TOVTO tvarevST«t,

[xvtjpat.

idem

iribtts

est

terna quod

Philox., in lege sacrorum

in christianis ecclesiis olim p r o

fide-

Lemuriis qui fabas iacit, n o v i e s dicit: ,haec ego

mitto ; eqs. (Ov. fast. V 4 3 9 . 4 4 3 ) . " 3

) Diese Scheidung sei der Kürze halber einfach

4

) Ueber diese ganze Literatur

sei

auf A. W e b e r ,

acceptirt. I n d . Literaturgesch.' 2

1876. S. 17 fg., L . v. Schröder,

Indiens Literatur u n d Kultur. 1887. S. 194 fg. 736 fg. und meinen Rigveda 2 S. I I fg. 135 fg. verwiesen. Erscheinen des letztern sind an T e x t e n hinzugekommen die Grhyasütra 1885), des A p a s t a m b a

(von Winternitz.

1887), des H i r a n y a k e g i n

des G o b h i l a

Seit

(herausgeg. von K n a u e r .

(von Kirste. 1 8 8 9 ) ; — das

Kaucikasütra



3

52]



ganz ähnlich wie die deutschen Volksgesetze, neben sichtlich modernen auch deutlich uralte Bestimmungen und repräsentieren die zur Zeit ihrer Entstehung in den verschiedenen Gegenden Indiens gültigen Rechtsanschauungen und Rechtsgewohnheiten; die ältesten dieser Sütra sind jedenfalls im s e c h s t e n J a h r h u n d e r t v o r C h r i s t o , wahrscheinlich noch früher, abgefasst, also ziemlich älter als die älteste erhaltene griechische Prosa. Für I r a n kommt neben dem A v e s t a (Vendidad, Yashts und Yacnas) die jüngere Pahlavi- oder P a r s e n l i t e r a t u r in Betracht; die ältesten Partien des Avesta reichen bis i n s a c h t e v o r c h r i s t l i c h e J a h r h u n d e r t hinauf.5) Wie es die Worte von Diels an die Hand geben, werde ich vom T o t e n k u l t ausgehen und zuerst in Kürze die w e s e n t l i c h e n B r ä u c h e d e r O s t a r i e r b e i T o d u n d B e s t a t t u n g betrachten. Dass gerade hiebei in verschiedenen Gegenden wie heut zu Tage viele Abweichungen vorkamen, ist für Griechenland und Rom längst bekannt und durch neuere inschriftliche Funde erst recht ins Licht getreten. Dass es in Indien und Iran ebenso gewesen sei, steht von vornherein zu vermuten und wird durch die Literatur vielfach direkt bezeugt. 6 ) Schon darum müssen, wenn nicht wesentliche Punkte verloren gehen sollen, immer die betreffenden Abschnitte a l l e r Gesetzbücher beigezogen werden, namentlich aber auch wegen der eigentümlichen Darstellung dieser T e x t e : immer ist nämlich „das ausdrücklich Gesagte durch nicht Gesagtes zu ergänzen, von dem sich für unsere Begriffe schwer ermessen lässt, warum es weniger wichtig oder selbstverständlicher ist, als was der Verfasser eigener Erwähnung für wert hielt14.7) Wir suchen in möglichster Kürze ein Gesamtbild zu geben. In Indien ist die ganze Verwandtschaft streng in zwei Teile geschieden; die e n g e r e Verwandtschaft bilden die Kinder, Kindeskinder und Kindeskindeskinder in (von Bloomfield. 1 8 9 0 ) ; — die V i s h n u - und die N a r a d a s m r t i (von Jolly. 1 8 8 1 . 1 8 8 6 ) ; — die

Dharmacäsira

des V a s i s h t h a (von F ü h r e r . 1883), des B a u d h ä y a n a (von Plultzsch. 1884), [des M a n u (von Jolly. 1 8 8 7 ) ] ; — englischen

U eher Setzungen

(in Max Müllers Sacred

Books) die Grhyatexte

des (Jänkhäyana,

P ä r a s k a r a u n d K h a d i r a (von Oldenberg, SB. X X I X ) , die Dharmatexte des Vasishtha, Baudhäyana

an

Ägvaläyana, und

Manu

(von Bühler. S B . X I V und X X V ) , des Vishnu, N ä r a d a und Brhaspati (von Jolly. S B . V I I . X X X I I I ) , u n d in deutscher Uebersetzung das Gobhilagrhya (von K n a u e r . 1886).

Nur schon diese L i s t e

neuer Texte

lässt er-

k e n n e n , welche F u n d g r u b e n sich hier erschliessen. 5

) So de Harlez, der gegenüber a n d e r n Forschern eher eine relativ späte Abfassung des Ganzen verficht.

E r führt (Bezzenbergers Beiträge. Bd. X I I . 1887. S. 123) ausdrücklich an, dass gewisse Abschnitte wie die Bestimmungen bezüglich „gewisser Reinigungen" noch älter als der Zoroastrismus sein k ö n n e n , d. h. als das achte J a h r h u n d e r t . — l i e b e r das Avesta sei auf Duncker, Gesch. des Alt. IV"4, 38 — 78 und Spiegel, E r a n . Altertumsk u n d e . Bd. I I I , 771 fg. v e r w i e s e n ; über die Parsiliteratur auf Spiegel, die traditionelle Literatur der Färsen. 1860, u n d Wests Introductions zu seinen Uebersetzungen 6

von Pahlavi-Texts (Sacred

Books. vol. V. X V I I I . X X I V . ) .

) Nicht nur durch B e m e r k u n g e n wie Baudh. I, 1 1 , 5 : „Bei Ausführung der weitern Riten halte m a n sich

an die Gewohnheiten des V o l k e s " ; oder Ä p . I I , 15, 10 extr.: „ D a n n k e h r e n sie (vom Begräbnis) ins Dorf zurück, ohne sich umzusehen, und führen jene Riten für den Toten aus, welche (kundige) F r a u e n für nötig erklären" — die tyyvTQiGTQicu 7

der Griechen.

) O l d e n b e r g , I n d . Stud. X V , 1 4 7 ; es trifft also hier genau zu, was Diels S. 46 von der Prodigienliteratur

s a g t : „Die Riten sind niemals vollständig und meist sehr dürftig mitgeteilt."

153

§

indische

4 —

direkter Descendenz, die direkten Nachkommen des gleichen Urgrossvaters mit ihren Frauen (die Sapznda: „Angehörige") 8 ); die w e i t e r e dagegen alle übrigen, welche den gleichen Familien(Gentil-)namen führen (die Samänodaka: „Verwandte") 9 ). j s t n u n T e m a n c [ Gestorben, so bringen ihn die Angehörigen an die Reiniorunefs-

BräuchebeiTod

J

ö

'

ö

ö

ö

ö

ö

und Bestattung, statte, schneiden ihm Haare, Bart und Nägel, salben ihn mit Narde, schmücken und bekränzen ihn und decken ihn so zu, dass die Füsse frei bleiben; vor dem Hause stellen sie einen irdenen Krug voll Wasser mit Milch und sprechen: „Verstorbener, hier bade!" Dann 1 0 ) tragen ihn Bejahrte in ungerader Anzahl hinaus auf die Totenstätte, nicht Männer und Frauen zusammen, sondern getrennt, und es folgen mit losen Haaren a l l e „Verwandten", die Alten voran, die Jüngern zuletzt. Angekommen besprengt er (d. h. der Vollzieher der Ceremonie) die Stätte, sie dreimal links umwandelnd, und leitet dann das Begräbnis oder die Verbrennung. Man verabschiedet sich von dem Toten, man wünscht ihm glückliche Reise, an den zwei gefleckten vieraugigen Hunden vorbei, über den breiten Vaitaranistrom ins dunkle Jenseits; man ruft ihm noch ein letztes Lebewohl zu; dann „wenden sich die Lebenden vom Toten", 11 ) links herum, und gehen fort, ohne nochmals zurückzusehen. Zu stehendem Wasser gekommen haben a l l e darin zu baden (sich abzuwaschen); jeder soll eine Hand voll Wasser für den Verstorbenen ausgiessen, ihn bei seinem Ruf- und Familiennamen rufend, z. B.: „O Kacyapide Devadatta, das ist für dich!" Nachdem sie dies dreimal gethan und die Kleider gewechselt haben, setzen sie sich. Die Greise suchen zu trösten, indem sie Geschichten der Vorzeit erzählen bis zum Abend, bis die Sterne erscheinen. Dann ziehen Alle heim, die Jüngern zuerst, die Aeltern zuletzt, und treten unter neuen Sühngebräuchen — Hände und Füsse waschend, den Mund spülend, Wasser und Feuer berührend, Gersten- und Sesamkörner ergreifend und Nimba- (oder Picumanda-)blätter kauend — über die Schwelle ins Haus. 12 ) Durch die Berührung mit dem Toten ist die ranze Familie verunreinigt, und zwar d a u e r t d i e Zeit d e r U n r e i n h e i t für die weiteren „Verwandten" (die Scwiä8

) Es springt in die Augen, dass es g e n a u d e r K r e i s d e r g r i e c l i . ay/iOTeCa

und uveipiadol

oder aveipiov

ncudtg,

der

„Kreis

der

griech. Altert. I 3 , 37S), welcher zugleich die ursprüngliche

erbberechtigten

ist: uöt\