Die Handschriften der Bibliothek von St. Peter im Schwarzwald

Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg FELIX HEINZER Die Handschriften der Bibliothek von St. Peter im Schwarzwald Ein Zeugnis der...
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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

FELIX HEINZER

Die Handschriften der Bibliothek von St. Peter im Schwarzwald Ein Zeugnis der „Klosteraufklärung“ am Oberrhein

Originalbeitrag erschienen in: Kurt Andermann (Hrsg.): Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Sigmaringen: Thorbecke, 1988, S. [331]-346

Die Handschriften der Bibliothek von St. Peter im Schwarzwald Ein Zeugnis der „Klosteraufklärung" am Oberrhein

VON FELIX HE1NZER

Haec fere omnia debemus vzilantiae ac pietati Pbilippi jacobi praesulis, non minus enalitione quam virtute clarissimi nullaque oblivione delendi. Dieser Satz aus dem Kapitelsprotokoll von. St. Peter — unter dem Datum des 7. November 1795, des Todestags von Philipp Jakob Steyrer, dem vorletzten Abt des Schwarzwaldklosters (1749 -1795) — steht als Motto über dem neuen Katalog der Pergamenthandschriften von St. Peter in der Badischen Landesbibliothek'. Nun erwartet man einen Abt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht unbedingt als Galionsfigur eines Katalogs von mittelalterlichen Handschriften'. Doch in der Tat verdanken wir Steyrer so ziemlich alles, was der genannte Band beschreibt, und Ähnliches gilt auch für die 1969 von Klaus Niebler beschriebenen Papierhandschriften dieser Provenienz'. ,

Damit ist der besondere Charakter dieses Handschriftenbestandes und zugleich auch seine Problematik angesprochen: Unter den Codices aus St. Peter, die heute als Säkularisationsgut in der Badischen Landesbibliothek liegen, befindet sich kein einziger, der schon im Mittelalter zur Klosterbibliothek gehört hätte. Der Genauigkeit halber ist hinzuzufügen, daß unter den insgesamt etwa 200 Handschriften sich mit etwas gutem Willen — wenn man das Mittelalter nicht allzu pünktlich zu Ende gehen läßt — zwei (aber auch nicht mehr!) nennen lassen, die man am Rande noch als mittelalterlichen Bibliotheksbesitz St. Peters ansprechen könnte: das 1497 unter Abt Petrus III. Gremmelsbach angelegte sogenannte Necrologium minus (St. Peter perg. 86) und ein süddeutsches Legendar des 14. Jahrhunderts, das der Freiburger Ratsherr Gilg Haas im Jahre 1507 dem eben genannten Abt geschenkt hat (St. Peter perg. 23) 4 .

1 F. HEINZER und G. STAMM, Die Handschriften von St. Peter im Schwarzwald, 2. Teil: Die Pergamenthandschriften (Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe 10, 2), Wiesbaden 1984. 2 Zu Steyrer ist noch immer zu konsultieren F. KERN, Philipp Jakob Steyrer, 1749 -1795 Abt des Benediktinerklosters St. Peter im Schwarzwald (FreibDiözArch 79), Freiburg i. Br. 1959. 3 K. NIEBLER, Die Handschriften von St. Peter im Schwarzwald, 1. Teil: Die Papierhandschriften (Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe 10, 1), Wiesbaden 1969. 4 S. HEINZER/STAMM (wie Anm. 1) S. 178 f bzw. S. 57 - 61. Zu St. Peter perg. 23 vgl. auch F. HEINZER, Neues zu Gerhard von Csanäd, in: SüdostForsch 41 (1982) S. 1-7.

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Gewichtiger ist hingegen die Entdeckung einer heute in der Bayerischen Staatsbibliothek München aufbewahrten illuminierten Handschrift aus dem sanpetrinischen Skriptorium des 12. Jahrhunderts, die Sigrid von Borries-Schulten vor gut zehn Jahren bekannt gemacht hats. Dieser Codex ist allerdings ein absolut isoliertes membrum disiectum., dem als weiteres Zeugnis der hochmittelalterlichen Schreibtätigkeit des Klosters nur noch der bekannte, im Generallandesarchiv ruhende Rotulus Sanpetrinus zur Seite gestellt werden kann. Die Hand des Schreibers der Münchner Handschrift, eines gewissen Sigefridus, läßt sich übrigens auch in einem Abschnitt des Rotulus wiederfinden'. Vielleicht vermögen diese Nachsätze die schroffe Formulierung von eben etwas zu dämpfen. Dennoch: an der wohl unwiderruflichen Feststellung, daß von den heute noch erhaltenen Handschriftenbeständen keine Verbindungslinien zur mittelalterlichen Bibliothek und zum alten Skriptorium von St. Peter zurückführen, ändert sich dadurch kaum etwas. Diese betrübliche Bilanz ist einer Reihe von vernichtenden Brandkatastrophen zu verdanken, die St. Peter bereits im Mittelalter (1238 und 1437), aber auch noch im 16. und 17. Jahrhundert heimgesucht haben. Ähnliches gilt für manche andere Klöster, deren Handschriften heute in Karlsruhe liegen', so etwa auch für St. Blasien, das noch im 18. Jahrhundert schwere Verluste zu erleiden hatte. St. Peter erlitt den härtesten Schlag im Juni 1678, am Ausgang des holländischen Kriegs. Im November 1677 hatten französische Truppen Freiburg besetzt, während die Kaiserlichen östlich von St. Peter Stellung bezogen. Als französische Detachements den Schwarzwald durchstreiften, kamen sie im Juni 1678 nach St. Peter und setzten sich in der Abtei fest, nachdem der Konvent geflohen war. Die kaiserlichen Truppen versuchten die Franzosen zu vertreiben, indem sie in der Nähe der Klostergebäude Feuer legten, das jedoch auf diese übergriff. Die Feuersbrunst hielt drei Tage an und zerstörte das Kloster völlig. Auch 1690 im pfähischen Krieg und gegen Ende des spanischen Erbfol ekriegs, im September 1713, hatte St. Peter noch einmal unter Plünderungen zu leiden'. Für die Bibliothek hatte die Katastrophe von 1678 verheerende Folgen. Mit dem Aufbau mußte praktisch ganz neu begonnen werden. So geht denn auch nahezu Alles, was heute an Handschriften und Inkunabeln aus St. Peter in Karlsruhe noch vorhanden ist, auf das 18. Jahrhundert zurück — genau wie der Raum, der diese Bände einmal beherbergte: die zu Recht berühmte Rokoko-Bibliothek von Peter Thumb 10 . Baulicher und bestandsmäßiger Aspekt der

5 S. VON BORRIES-SCHULTEN, Eine Schmuckhandschrift aus Cella Sancti Petri de Monte in der Bayerischen Staatsbibliothek (Clm 6251), in: MünchJbBildKunst 3. Folge 25 (1974) S. 27-46. 6 VON BORIUES-SCHULTEN (wie Anm. 5) S. 34 f. 7 Vgl. E. ETTLINGER, Die ursprüngliche Herkunft der Handschriften, die aus Kloster-, bischöflichen und Ritterschaftsbibliotheken nach Karlsruhe gelangt sind (Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe, Beilage 3), Heidelberg 1901, (ND Wiesbaden 1974) besonders S. 1f. 8 Vgl. G. STAMM, Zur Geschichte der Bibliothek, in: Das tausendjährige St. Blasien 2, Karlsruhe 1983, S. 171-200, besonders S. 171. 9 Vgl. J. MAYER, Geschichte der Benediktinerabtei St. Peter auf dem Schwarzwald, Freiburg i. Br. 1893, S. 114 -117, 121 und 127 f. Zusammenfassend auch E. MrrrLER, Das Kloster St. Peter und seine Bibliothek, in: E. MITTLER und W. MÜLLER (Hgg.), Die Bibliothek des Klosters St. Peter. Beiträge zu ihrer Geschichte und ihren Beständen, Bühl/Baden 1972, S. 9-39, hier S. 11. 10 H. M. GUBLER, Die Planungs- und Baugeschichte von St. Peter, in: H.-0. MÜHLEISEN (Hg.), St. Peter im Schwarzwald. Kulturgeschichtliche und historische Beiträge anläßlich der 250-Jahrfeier der Einweihung der Klosterkirche, München 1977, S. 28-49, besonders S. 40-42.

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Bibliothek sind hier durchaus kongruent und stellen, wenn man so will, das „Außen" und „Innen» der intensiven Bemühungen um einen bibliothekarischen Neuanfang St. Peters im 18. Jahrhundert dar. Zwei Namen sind in besonderer Weise mit dieser Initiative verbunden: der des eingangs genannten Abts Philipp Jakob Steyrer und der seines Vorvorgängers Ulrich Bürgi (1719 —1739) 11 . Unter Bürgi wurde 1737 mit dem Neubau der Bibliothek begonnen, wie erwähnt, nach Plänen des Vorarlberger Baumeisters Peter Thumb. Nach Bürgis Tod im Juli 1739 stockten die Arbeiten, da sein Nachfolger, Benedikt II. Wülbertz, offenbar andere Projekte als dringlicher erachtete. Der Chronist Pater Johann Nepomuk Maichelbeck berichtet denn auch im Rückblick: Das Bibliotheckgebäude ware noch unverferthiget da, mitsamt dem Geriiste ohne Fenster und Thiiren, wie es der Baumeister hinterlaßen. Und hätte der Abbt Benedict länger regire4 wäre dies herrliche Bibliothecgebäude in lauter Gastzimmer verwandlet worden. .". Daß der Bau schließlich 1753 doch vollendet wurde, ist Abt Steyrer zu verdanken, einem Mann mit ausgeprägter bibliophiler Ader wie schon Bürgi. Bürgis Bemühungen um die Klosterbibliothek galten indessen auch dem Wiederaufbau der Bestände. Und genau wie beim baulichen Aspekt war es auch hier Philipp Jakob Steyrer, der die unter Bürgi gemachten Anfänge zur Vollendung führte und so die Bibliothek zu neuer Blüte führte. Nur am Rande sei erwähnt, daß Bürgi wie Steyrer ihre Erwerbungspolitik natürlich nicht nur auf Handschriften und alte, wertvolle Drucke konzentrierten'. Es wurde auch und vor allem aktuelle, für ein Kloster des Zuschnitts von St. Peter erforderliche wissenschaftliche Gebrauchsliteratur angeschafft. Diese Bücher — an die 20 000 Bände theologischen, philosophischen, historischen und juristischen aber auch naturwissenschaftlichen Inhalts — kamen bei der Säkularisation an die Universitätsbibliothek in Freiburg'. Doch zurück zu den Handschriften. Der weitaus größte Teil davon geht auf Steyrers Akzession zurück. Dies läßt sich vor allem deshalb genau bestimmen, weil Steyrer — wie übrigens auch schon Bürgi — die Gewohnheit hatte, alle Bände, die er erwarb, mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen, in welchem auch der Zeitpunkt des Kaufs festgehalten wurde. Emit Philieus jacobus abbas (dazu die Jahreszahl) — so lautet die lapidarste lind zugleich häufigste Form dieser Vermerke'. Fassen wir das bisher Gesagte zusammen: Was unter der Überschrift ”Handschriften von St. Peter» heute greifbar ist, repräsentiert nicht die mittelalterliche Bibliothek des Klosters und schon gar nicht dessen mittelalterliches Sluiptorium, sondern ist eine Sammlung kostbarer Bücher, die auf stark bibliophil geprägte Interessen des 18. Jahrhunderts zurückgeht: kein gewachsener, „autochthone? Bestand also, sondern das, was man als Sammelprovenienz zu be-

11 Zu Abt Bürgi s. KERN (wie Anm. 2) S. 25 f und 101 f, MrruER (wie Anm. 9) S. 14 f, sowie W. JÄGER, Abt Ulrich Bürgi — Steyrers Chronik der Jahre 1719 -1739, in: MÜHLEISEN (wie Anm. 10) S. 193 -214. 12 F. FANKHAUSER, Kloster St. Peter im Schwarzwald im Jahre 1739 nach den Aufzeichnungen des P. Johann Nepom.uk Maichelbeck, in: ZGORh 70 (1916) S. 276 -295, hier S. 281 f. 13 Zu den Inkunabeln, die in der bisherigen Forschung als zum größten Teil durch Kriegsverlust verloren galten, s. jetzt F. HEINZER, Die Inkunabeln der ehemaligen Klosterbibliothek von St. Peter im Schwarzwald in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe, in: BiblWiss 18 (1984) S. 1-46. 14 Vgl. MIMER (wie Anm. 9) S.20 und 22-35, sowie die Beiträge von H. LIEHL und F. KERN in: Mirr. LER/MÜLLER (wie Anm. 9) S. 41-105 und S. 107-147. 15 Meist von den Bibliothekaren angebracht und nur in einigen wenigen Handschriften von Steyrers eigener Hand, s. HEINzER/STamm (wie Anm. 1) S. XXVIII mit Anm. 37.

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zeichnen pflegt. Und eben hier liegt auch die Ursache für eine gewisse Skepsis hinsichtlich des landesgeschichtlichen Ertrags unseres Themas. Den erhofften Aufschluß über die innere Geschichte und das geistige Klima St. Peters im Mittelalter, wie man dies von einer Klosterbibliothek erwarten möchte, kann uns dieser Bestand nicht geben. Die so interessante Frage etwa, wie sich die anfängliche Besiedlung durch Hirsauer Mönche auf Verfassung und Liturgie des Klosters und ganz besonders auf seine Buchproduktion in paläographischer und buchmalerischer Hinsicht ausgewirkt haben mag, oder auch die Frage nach den an einer Bibliothek ablesbaren Interessenschwerpunkten in Lektüre und Studium des Konvents müssen unbeantwartet bleiben'. Dazu kommt ein Weiteres: das fatale Stichwort von der »Sammelprovenienz". Sammelprovenienzen haben nun einmal erfahrungsgemäß etwas Zufälliges und oft Disparates an sich. Indessen darf ich vorwegnehmen, daß dieses Mosaik bei aller Kleinteiligkeit doch auch gewisse Schwerpunkte aufweist und sich größere Provenienzgruppen — nicht zuletzt auch aus dem oberrheinischen Raum — erkennen lassen. Die Entdeckung derartiger Nester ist sicherlich eines der wichtigsten Ergebnisse der Kataloi5sierungsarbeit 17 und verspricht für eine weitere Erforschung dieser Handschriften in verschiedener, etwa auch landeskundlicher Hinsicht durchaus interessante Erträge. Doch bevor wir auf diesen Aspekt zu sprechen kommen, erscheint es mir sinnvoll, noch einmal dort einzusetzen,. wo wir begonnen haben: im 18. Jahrhundert — bei Philipp Jakob Steyrer, dem eigentlichen Vater dieser Handschriftensammlung. Steyrers Büchersammlung und ihre Anfänge unter Ulrich Bürgi haben ihren Hintergrund in jener letzten Blüte, die das monastische Leben in St. Peter vor der Aufhebung des Klosters erlebt hat. Der Akzent dieser Spätblüte lag — ganz dem Gepräge der Zeit entsprechend — auf der Gelehrsamkeit, den Wissenschaften und den Künsten (nicht zuletzt auch auf der architektonischen Repräsentation). Wenn man im Hinblick auf den Aufschwung der Studien und des historischen Interesses um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit in manchen Benediktinerldöstern Deutschlands (etwa im Umkreis von Johannes Trithemius) von humanistischer Klosterkultur oder (nicht ganz unproblematisch) einfach von »Klosterhumanismus" sprid2, so könnte man für die Epoche und das Phänomen, das wir in unserem Zusammenhang betrachten wollen, in analoger Weise von aufgeklärter Klosterkultur oder eben auch von „Klosteraufklärung" reden. Das bekannteste Beispiel dafür ist in unserem Raum sicher die Gelehrtenakademie von St. Blasien um Fürstabt Martin Gerben". Gewiß steht St. Peter diesbezüglich deut-

16 Es fehlen auch mittelalterliche Bibliothekskataloge. Einen Vergleich der oben erwähnten Münchener Handschriften mit den wenigen erhaltenen Codices aus Hirsau versucht S. VON BORRIES -SCHULTEN (wie Anm. 5) S. 37 -40, wobei die sowohl für St. Peter wie für Hirsau gleichermaßen schmale, ja minime Basis dieses Unterfangen sehr problematisch macht. 17 Vgl. HEINZER/STAMM (wie Anm. 1) S. XXII - XXVIII. 18 Der Begriff wurde geprägt von R. NEWALD, Beiträge zur Geschichte des Humanismus in Oberösterreich, in: jbObÖsterrMusV 81 (1926) S.155 -223. S. auch P. 0. KRISTELLER, The contribution of religjuos orders to renaissance thought and learning, in: The Americ.an Benedictine Review 21 (1970) S. 1- 55. Einen überblick über Thematik und entsprechende Literatur bietet R. SCHMIDT, Reichenau und St. Gallen: Ihre literarische Überlieferung zur Zeit des Klosterhumanismus in St. Ulrich und Afra zu Augsburg um 1500, Sigmaringen 1985, S. 11-25. Zu Johannes Trithemius s. den Beitrag von K. SCHREINER in diesem Band, S. 35-87. 19 Vgl. den Beitrag von P. FUCHS in diesem Band, S. 309 -329, besonders S. 312 f£

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lich im Schatten von St. Blasien, und Philipp Jakob Steyrers Stern als Gelehrter wird vom Glanz Gerberts weit überstrahlt. Dennoch: auch in St. Peter gab es so etwas wie eine Gelehrtenakademie en miniature, wenngleich Namen wie die von Gregor Baumeister, Konrad Borer, Karl Martini, Antonius Engst und auch der von Steyrer selbst gegenüber dem Ruhm von Größen wie Rustenus Heer, Marquard Hergott, Trudpert Neugart oder Ämilian Usserrnann verblassen. Daß die ersteren im Gegensatz zu den letzteren heute kaum mehr jemand kennt, liegt zum einen an den sicherlich vorhandenen Unterschieden hinsichtlich der Qualität ihrer wissenschaftlichen Leistungen, zum anderen aber auch daran, daß nur Weniges von dem in St. Peter Produzierten zum Druck gelangte, das meiste aber im Manuskriptzustand verblieb — im Gegensatz zu St Blasien, wo gerade auch die klostereigene Druckerei in diesem Zusammenhang eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte'. Nun geht es hier ohnedies nicht um ein Plädoyer ftir St Peter gegenüber St. Blasien — die „Vindidae Sanpetrinae" sind nicht mein Thema! Was ich etwas ausleuchten möchte, ist lediglich der kulturelle Hintergrund, das geistige Klima, das die Entstehung dieser respektablen. Sammlung mittelalterlicher Handschriften in so kurzer Zeit (in einem knappen halben Jahrhundert!) gestattet hat Ich sprach davon, daß sich das Phänomen der „Gelehrtenakademie in kleinerem Maßstab auch in St Peter erkennen läßt. Die Interessen galten dabei nicht nur den. historischen und sonstigen geisteswissenschaftlichen Disziplinen, sondern auch den Naturwissenschaften und der Mathematik, wie etwa das Beispiel von P. Thaddäus Rinderle' zeigt, der sich als Erfinder von Maschinen und optischen und astronomischen Geräten einen guten. Ruf erworben hatte (und übrigens auch unter den Schwarzwälder Uhrmachern einen fruchtbaren Einfluß ausübte). Er wurde 1786 als Professor mechanicae an die Freiburger Universität berufen, wo er sich u. a. mit Problemen wie der Beheizung öffentlicher Gebäude mit Heißluft, der Verbesserung der Stromschiffahrt oder auch der Dampfkraftnutzung befaßte. Zwei prächtige Globen von jeweils gut einem Meter Durchmesser, die Rinderle mit einem seiner Schüler eigenhändig hergestellt und später der Universität hinterlassen hat sie stehen heute als Leihgabe im Augustinermuseum —, geben heute noch anschauliches Zeugnis vom Geschick und Können dieses interessanten Mannes". In diesem Zusammenhang sind auch die Anstrengungen Steyrers, das gesamte Klosterterritorium zu vermessen und in genauen Karten zu erfassen, hervorzuheben; und auch die Einrichtung eines Naturalienkabinetts mit einer beachtlichen Sammlung von naturwissenschaftlichen Instrumenten sowie eines Münzkabinetts gibt Zeugnis von den weitgespannten Interessen des aufgeklärten Prälaten'. 1762 ließ Steyrer auch ein Archiv einrichten, dessen Leitung dem Haushistoriographen von St Peter, Pater Gregor Baumeister, übertragen wurde'. Die besondere Liebe des Abtes aber galt — nebst der Bibliothek

20 Noch immer grundlegend ist P. LINDNER, Die Schriftsteller und Gelehrten der ehemaligen Benediktiner-Abteien im jetzigen Großherzogtum Baden vom Jahre 1750 bis zur Sämlarisation, in: FreibDiözArch 20 (1889) S. 79-140, zu St. Peter: S. 99-120. Vgl. auch MAYER (wie Anm. 9) S. 164 -179 und KERN (wie Anm. 2) S. 130-134. 21 Dazu G. STAMM, Buchdruckerei, Verlag und Buchhandel, in: Das tausendjährige St. Blasien (wie Anm. 8) 2, S. 153-169. 22 LINDNER (wie Anm. 20) S. 118; MAYER (wie Anm. 9) S. 224; KERN (wie Anm. 2) S. 134. Vgl. jetzt auch K. Samte, Thaddäus Rinderle (1748-1824). Mönch und Mathematiker, St Ottilien 1981. 23 SCHMIDT (wie Anm. 22) S. 67-73. 24 MAYER (wie Anm. 9) S. 167; KERN (wie Anm. 2) S. 123 f. und 189. 25 MAYER (wie Anm. 9) S. 164 f; KERN °(wie Anm. 2) S. 123.

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— der Klosterschule, die erst kurz vor seinem Amtsantritt ins Leben gerufen worden war'. Unter Steyrers Ägide wurde dieses Gymnasium zu einem der angesehensten weit und breit.. Als erstes Institut dieser Art — auch noch vor St. Blasien — nahm die St. Peterer Klosterschule beispielsweise das Studium von orientalischen Sprachen in ihren Lehrplan auf. Ein später so bedeutender Gelehrter wie der bereits genannte Ämilian Ussermann — eigentlich eine „Entdeckung" Steyrers aus dessen Zeit als Seelsorger im Klosterpriorat St. Ulrich — besuchte dank der Vermittlung Steyrers die Schule von St. Peter und erwarb dort, wie er später oft gerne berichtete, die ersten Hebräisdikenntnisse". Erwähnung verdient hier eine Handschrift unter den Beständen der Sammlung Rosenberg, die lateinische und deutsche, aber auch griechische und hebräische Ansprachen enthält, die dem Abt von Aluinnen der Klosterschule in. den Jahren 1760 –1770 zu Namenstagen und ähnlichen Anlässen dargebracht wurden — gew'S ein recht eindrucksvolles Zeugnis für das Niveau dieses Instituts". Schließlich sei auch Steyrers weitgespannte Korrespondenz nicht vergessen". Zu seinen Partnern, mit denen er die Erörterung wissenschaftlicher, literarischer und kirchenpolitischer Probleme pflegte, gehörte nebst Gerbert und anderen bedeutenden Persönlichkeiten auch der Straßburger Gelehrte Johann Daniel Schöpflin, der übrigens auch regelmäßig und gern als Gast in St. Peter weihe". Anlaß dazu bot natürlich vor allem die Publikation seiner 'Historia Zaringo Badensie, für die ihm Steyrer das Archiv des Zähringer Hauskloster bereitwillig öffnete. Sdiöpflin veröffentlichte denn auch als erster längere Abschnitte aus dem Rotulus Sanpetrinus, und zwar im fünften Band der 'Historie (sogar mit einer Facsimile-Abbildung aus der Handschrift — ganz im Stil etwa auch der Gerbertschen Veröffentlichungen handschriftlicher Quellen). Daß hier wie auch im Falle von Schöpflins Schülern Andreas Lamey und Christoph Wilhelm Koch, mit denen Steyrer ebenfalls in regem Briefkontakt stand, konfessionelle Unterschiede nicht zum Hindernis wurden, ist sicher auch ein Indiz für die geistige Weite und die aufgeklärte Atmosphäre, die in St. Peter um Abt Steyrer herrschten. Daß in diesem Klima nun auch die Bibliothek zu neuer Blüte kam und — sozusagen als deren Herzstück — eine Handschriften-Sammlung entstehen konnte, verwundert nicht. Ähnliches läßt sich ja auch für St. Blasien feststellen'. Doch war der Akzent bei Steyrer ein anderer als bei Gerbert. Nicht so sehr wissenschaftliche Erforschung und Auswertung der Handschriften für historiographische oder ordens- und liturgiegeschichtliche Publikationen, sondern deren Schönheit und Kostbarkeit, deren Charakter als Zim,elien, wenn man so will: als Kuriosa, standen beim St. Peterer Abt im Vordergrund des Interesses. Wollte man den Gegensatz zwischen ihm und Gerbert in diesem Punkt auf eine griffige Formel bringen, so könnte man sagen: Steyrer sammelte als Bibliophiler, Gerbert als Wissenschaftler. 26 KERN (wie Anm. 2) S. 126-130. 27 KERN (wie Anm. 32) S. 34 und 126 f. 28 H. FLAMM, Marc Rosenbergs Badische Sammlung 8, Frankfurt a. M. 1907, S. 10 (Nr. 381, 5). 29 Vgl. KERN (wie Anm. 2) S. 163 f. 30 In seinem Diarium notierte Steyrer zum 7. August 1771, dem Todestag des Straßburger Gelehrten: Hodie D. Schiejlin, Professor historiae Aregentorati placid£ exspiravit. Hic monasterii nostri trat amicus et saeius huc venit . zit nach MAYER (wie Anm. 9) S. 166 Anm. 3. 31 In gleichem Sinn sind auch die Bücherschenkungen des evangelischen Pfarrers von Thiengen, Theophil Eisenlohr, an Steyrer zu vermerken: s. HEINZER, Inkunabeln (wie Anm. 13) S. 5 und Nr. 65 und 125 des Katalogteils. 32 Vgl. STAMM, Bibliothek (wie Anm. 8) S. 183 -186.

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Wenn wir uns nun der Handschriften-Sammlung von St. Peter etwas näher zuwenden, so sollen drei Aspekte im Vordergrund stehen: als erstes die Erschließungsgeschichte dieses Bestandes, dann die Frage nach seiner provenienzmäßigen Gliederung und schließlich als dritter Punkt seine inhaltliche Charakterisierung (mit Hinweisen zu einigen ausgewählten Handschriften). Die Erschließung dieser Handschriften t im Grunde — und auch dies nur zaghaft — erst im 19. Jahrhundert. Zwar ließ Steyrer offenbar die erworbenen Handschriften (wie schon erwähnt, insgesamt an die 200 Codiees) in einem Katalog verzeichnen, der leider nicht erhalten ist'. Auf dessen Grundlage konnte sich ein Besucher der Klosterbibliothek wenigstens umrißartig ein Bild über das Vorhandene verschaffen. Zu einer wissenschaftlichen Auswertung der Handschriften scheint es indessen in dieser Zeit nicht gekommen zu sein. Zumindest findet sich in den Publikationen der Zeit nichts Entsprechendes — mit einer einzigen. Ausnahme, die den musikalischen Sammelcodex St. Peter perg. 29a (2. Hälfte 13. Jahrhundert) betziffe. Die Handschrift enthält unter anderem den Musiktraktat des St. Georgener Abts Theoger von Metz (t 1120), den Martin Gerben im zweiten Band seiner 1784 erschienenen 'Scriptores ecciesiastici de musica' herausgab, wobei er die St. Peterer Handschrift, die vermutlich in Salem geschrieben wurde, und einen Tegernseer Codex als Grundlage benutzte (der berühmte 'Codex Villinganue aus dem 11 Jahrhundert, der nebst anderen Texten auch Theogers Traktat enthielt, war 1768 in St. Blasien verbrannt'). Steyrer hatte den Codex aus unbekanntem Vorbesitz laut Kaufvermerk am 20. November 1780 erworben und muß Gerben schon bald danach davon berichtet haben, denn bereits am 8. Dezember desselben Jahres bittet dieser seinen Amtsbruder, ihm die Handschrift für seine Edition leihweise zur Verfügung zu stellen'. Der Vorgang ist typisch für die eben skizzierten Unterschiede zwischen Steyrer und Gerbert in Bezug auf ihr Verhältnis zu mittelalterlichen Codices. Gerben sieht auch hier gleich den wissenschaftlichen Aspekt, die Handschrift ist für ihn nicht nur Preziose, sondern er sieht sie als Trägerin historischer Informationen, sie ist Material, mit dem er arbeitet. Symptomatisch ist auch Gerberts Reaktion auf das 'Breviculum', die bekannte Prachthandschrift über Leben und Lehre des katalanischen Philosophen und Theologen Ramon Lull (heute St. Peter perg. 92). Dieses außergewöhnliche Manuskript, auf das wir noch zu. sprechen kommen, wird in Gerberts Beschreibung der Steyrersch.en Bibliothek im 'her Alemannicum' besonders hervorgehoben, wobei sich der St. Blasianer Abt nicht mit der bloßen Bewunderung der prachtvollen Miniaturen zufriedengibt, sondern auch gleich bemerkt, die Handschrift könnte für die jüngst in Angriff genommene Mainzer Edition der Werke Lulls oder auch für ein Supplement zu den 'Acta Sanctoiurn' der Bollandisten von Bedeutung sein". Bei der Neuedition der Vita Lulli wurde die Handschrift übrigens tatsächlich mit herangezogen; ihre Varianten wurden allerdings nicht in den Apparat aufgenommen". Gerben

33 NIEBLER (wie Anm. 3) S. XII. 34 HEINZER/STAMM (wie Anm. 1) S. 72 f mit weiterer Literatur. 35 Vgl. den Bericht von MARTIN GERINERT selbst im Vorwort des eben genannten 2. Bandes der Scriptores ecdesiastici de musica (5. VI 0. 36 G. PFEILSCHISTER (Hg.), Korrespondenz des Fürstabts Martin IL G rbert von St. Blasien 2, Karlsruhe 1934, S. 542f. 37 M. GERBERT, Iter Alemannicurn, St. Blasien 1765, S. 383 f. 38 B. de GAipmER (H g.), Vita beati Raymundi Lulli, in: AnalBolland 48 (1930) S. 130 —178, hier S. 133. .

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hat also die textkritische Bedeutung des Breviculums sicher überschätzt. Dennoch verdient sein Hinweis, registriert zu werden: eben weil er außer der Theoger-Edition das einzige Anzeichen für ein erstes, wenngleich sehr punktuelles wissenschaftliches Interesse an den St. Peterer Handschriften darstellt. Steyrers Katalog ging, wie schon erwähnt, verloren. Besser erging es glücklicherweise dem Verzeichnis, das Steyrers Nachfolger, Ignaz Speeide, der letzte Abt von St. Peter, zu Beginn des 19. Jahrhunderts anfertigen ließ". Es wird heute im Generallandesarchiv aufbewahrt (102/ 27 fol. 33 38). Speekles kurz vor der Säkularisation angelegter Katalog, der die Handschriften nach Formaten ordnet, wurde offensichtlich auch von den badischen Beamten bei der Übernahme der Bibliothek im Frühjahr 1807 als Hilfsmittel herangezogen. Ein interessantes Detail: auch heute in anderen Bibliotheken befindliche Handschriften lassen sich teilweise in Speddes Katalog nachweisen, so etwa das Missale, das Steyrer 1795 erworben hatte (heute Do naueschingen, Fürst Fürstenberg. Bibl., Hs. 197), oder auch der Scherenberg-Psalter (s. u.); diese Stücke müssen also erst im letzten Moment aus St. Peter weggeschafft und so dem Zugriff der Beschlagnahmungskommission entzogen worden sein. Nach der Überstellung der Handschriften-Bestände nach Karlsruhe an die Hofbibliothek wurde dort insofern eine Änderung vorgenommen, als nun statt der Scheidung der Formate die der Beschreibstoffe in den Vordergrund rückte'. Der Zeitpunkt dieser Neuordnung ist nicht genau zu bestimmen. Sie dürfte etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts anzusetzen sein. Die seither gültigen Signaturen (mit der Unterscheidung St. Peter pap. bzw. perg.) haben sich allerdings nur zögernd durchgesetzt. Dies zeigt sich beispielsweise in F. j. Mones bekanntem Werk 'Lateinische Hymnen des Mittelalters' (1853 — 55), für welches er eine Reihe von Handschriften des Bestandes ausgewertet hat. Diese Publikation und mehrere Aufsätze und Miszellen in Mones 'Anzeiger für die Kunde des deutschen Mittelalters' bzw. 'der teutschen Vorzeit' (in den dreißiger Jahren) und in der 'Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins' von 1854 sind zugleich als erste Zeugnisse wissenschaftlicher Benutzung der Handschriften aus St. Peter nach der Säkularisation zu nennen. Für eine umfassende Sichtung des Bestandes müssen wir jedoch noch bis zum Erscheinen des bahnbrechenden Aufsatzes von Emil Ettlinger im Jahre 1900 warten'. Im Rahmen des seit 1960 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts einer umfassenden Katalogisierung der abendländischen Handschriften in der Bundesrepublik erfolgte dann eine Beschreibung des Bestands von St. Peter nach heutigen wissenschaftlichen Gesichtspunkten. 1969 erschien Klaus Niebiers Katalog der Papierhandschriften von St. Peter (50 Nummern), und 1984 konnten Gerhard Stamm und ich den Katalog der Pergamenthandschriften (150 Codices und 12 Fragmente) vorlegen. Im Zusammenhang mit dieser Katalogisierung gelang es auch, eine Reihe von versprengten Handschriften aufzuspüren, die heute in anderen Bibliotheken außerhalb Karlsruhes liegen. Eine entscheidende Hilfe waren -

39 'Codices Manuscdpti Bibliothecae ad S. Petrum in Silva nigra Ord. S. Benedicti'; S. NIEBLER (wie Anm. 3) S. XII und HEINZER/STAMM (wie Anm. 1) S. XXVIII und XXXVII-XL. 40 Einzelheiten dazu und zum Folgenden bei HEINZER/STAMM (wie Anm. 1) S. XXX f. 41 E. ErruNGER, Geschichte der Bibliothek von St. Peter im Schwarzwalde unter besonderer Berücksichtigung des Handschriftenbestandes, in: ZGORh 54 (1900) S. 611-641. .

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hier natürlich die bereits erwähnten Kaufvermerke Abt Steyrers. Klaus Niebler entdeckte derartige mernbra disiecta in Zürich (aus Kloster Rheinau, wo ein Sanpetriner Konventuale, Pater Basilius Me: .1e, Zuflucht gefunden hatte), Donaueschingen, Freiburg i. Br., Bamberg und Solothurn'. Einige Handschriften der Klosterbibliothek sind auch wieder nach St. Peter in das dort «eingerichtete Priesterseminar zurückgekehrt'. 1974 kam der schon genannte Münchner Fund dazu. Bei der Katalogisierung der Pergamenthandschriften konnte Nieblers Liste um weitere acht Codices (in Freiburg i. Br., Zürich und Nürnberg) ergänzt werden", und. schließlich machte uns A. Vizkelety auf einen Codex mit Kaufvermerk Abt Steyrers in Budapest aufmerksam'. Dieser zuletzt bekannt gewordene Irrläufer — wohl kaum der letzte! — ist zugleich der, den das „fatum libellorum" am weitesten von seiner alten Bibliotheksheimat w etragen hat". Was in publieue Bibliotheken kommt, gemeiniglich alltla begraben bleibt— so hat sich der große Frankfurter Bibliophile und Autographensammler Zacharias Konrad von Uffenbach (1683 1734) einmal geäußert'. Für die Handschriften von St. Peter sollte dieser Stoßseufzer seine Berechtigung nun eigentlich verloren haben, denn mit den beiden Katalogen sind die Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Bearbeitung des Bestandes gegeben. An welchen Punkten die Grabungsschaufel ansetzen könnte und was an zu hebenden Schätzen zu erwarten ist, soll gleich durch einige Beispiele verdeutlicht werden. Zuvor allerdings, wie angekündigt, noch ein paar Hinweise zu den wichtigsten Pmvenienzschwerpunkten des Bestandes. Ein Vergleich der Darstellung Ettlingers in seinem eben erwähnten Aufsatz mit den beiden. Handschriftenkatalogen zeigt vielleicht am augenscheinlichsten, daß durch die Katalogisierung das anfänglich eher undifferenzierte Bild von der Herkunft dieser Handschriften ein ganz anderes Gepräge erhalten hat. Nahmen die Handschriften unbestimmter Provenienz bei. Ettlinger noch einen recht großen Raum ein, so lassen sich nunmehr ganz deutliche Schwerpunkte im Sinne größerer Nester oder Gruppen erkennen. Dieser stärker strukturierte Befund ist das Ergebnis intensiver und genauer Einzeluntersuchungen auf der Grundlage paläographischer, einbandkundlicher, personengeschichtlicher und vor allem auch inhaltlicher Kriterien. Hier die wichtigsten Komplexe": 42 NIEBLER (wie Anm. 3) S. XIII. 43 NIEBLER S. XIII f; Genaueres bei HEiNzER/STAxim (wie Anm. 3) S. XXXII f. 44 HEINZER/STAMM (wie Anm. 1) S. XXXII f. 45 Es handelt sich um Cod. germ. 6 der Szechenyi-Nationalbibliothek, ein Prozessionale und Rituale aus einem elsässischen Reuerinnenkloster (vermutlich Straßburg oder Hagenau), das um die Mitte des 14. Jahrhunderts geschrieben worden ist. Vgl. A. VIZKELETY, Beschreibendes Verzeichnis der altdeutschen Handschriften in ungarischen Bibliotheken 1, Wiesbaden 1969, S. 21f. Vizkeletys exakte Beschreibung des Einbands läßt erkennen, daß es sich dabei um eine der häufigen Arbeiten des in Straßburg tätigen. Buchbinders Johann Schwyzer handelt (vgl. zu diesem I. SCHUNKE, Die Einbände der Palatina in der Vatikanischen Bibliothek 1, Cittä del Vaticano 1962, S. 27 f) — ein weiteres Proverüenzindiz. Verlesen ist leider das erste Wort des 1781 datierten Kaufvermerks, das zum Vornamen umgedeutet wird (Emil statt Emil), und Steyrer erscheint im Register (S. 177) unter der Ansetzung Abb (!), was ein Aufspüren der Handschrift auf diesem Weg natürlich praktisch verunmöglicht 46 Der Weg von St. Peter nach Budapest führte über einen nicht weiter bekannten Jakob Reicher und den bedeutenden ungarischen Bibliophilen Mild6s Jankovich (1733 -1846). Zu letzterem vgl. VIZICELETY (wie Anm. 45) S. 9 -11. 47 J. SCHELHORN (Hg.), Herrn Zacharias Conrad von Uffenbach Merkwürdige Reisen durch Niedersachsen Holland und Engelland 2, Ulm und Memmingen 1754, S. 67. 48 Näheres s. Hamm/Summ (wie Anm. 1) S. XXII-XXVIII.

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Die erste Gruppe — ausschließlich Papierhandschriften (und Inkunabeln) — stammt aus dem Zisterzienserinnenkloster Günterstal bei Freiburg. Die Erwerbung dieser Bände fällt in das Jahr 1753. Auch der in der Chronologie der Erwerbungen nächstfolgende Komplex kommt aus der unmittelbaren Umgebung von St Peter, nämlich aus dem Dominikanerinnenkloster Adelhausen, in welchem im 17. Jahrhundert auch die übrigen Freiburger Dominikanerinnenkonvente (mit ihren Buchbeständen) aufgegangen waren. Der Kauf fällt in das Jahr 1754 und dürfte wohl im Zusammenhang stehen mit der wirtschaftlichen Notlage Adelhausens nach dem Brand von 1752. Der nächste größere Zuwachs während Steyrers Amtszeit weist hingegen in eine andere Richtung, nämlich nach Südtirol (Brixen, Bozen, Trient). Kauf datum dieser Handschriften ist 1763. Nun hat Abt Steyrer gerade in diesem Jahr eine Reise nach Wien unternommen, doch findet sich in einem Brief vom 10. Juli 1763 v o r der Abreise nach Wien, die erst im Oktober stattfand, bereits ein Hinweis auf den Kauf zweier Handschriften dieser Gruppe. Mit anderen Worten: die Wanderung dieser Stücke nach St. Peter muß anderweitige Gründe haben, die ja bei den regen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen des vorderösterreichischen Breisgaus zu den österreichischen Hauptlanden in verschiedenster Art denkbar sind". Mehr als die Hälfte des Handschriftenbestandes trägt Kaufvermerke aus den Jahren 1780 und 1781. In dieser Zeit haben die Erwerbungspolitik und das Sammlerglück Steyrers offenbar ihren Zenit erreicht. Als Provenienzschwerpunkt ist. hier zunächst einmal das Elsaß zu nennen, und zwar besonders die dortigen Dominikanerinnenldöster, vor allem die Konvente in Straßburg, in Colmar und in Schönensteinbach. Für die Vermittlung dieser insgesamt über dreißig Handschriften wird seit Ettlinger auf Steyrers Beziehungen zum bereits erwähnten Schöpflin-Schüler, dem Straßburger Bibliothekar Christoph Wilhelm Koch, verwiesen. Zwar ist in der erhaltenen Korrespondenz der beiden oft von Bücherkäufen die Rede, doch handelt es sich dabei stets um gedruckte Werke und nicht um Handschriften. So ist die Frage nach den Bezugsquellen für die Elsässer Codices nicht endgültig zu beantworten. Erst recht gilt dies für die beiden anderen Schwerpunkte der Käufe von 1780/81: Nürnberg und Erfurt. Das Dominikanerinnenkloster St. Katharina in Nürnberg ist mit nicht weniger als 17 Handschriften in Steyrers Sammlung vertreten. Dabei handelt es sich fast durchweg um jene Standardliturgjca, die zur Ausstattung einer ins Kloster eintreten.den Schwester gehörten und die man deshalb, wie aus unseren Beständen aber auch aus anderen Bibliotheken ersichtlich wird, im Kathminexildoster offenbar in großer Zahl hergestellt hat, zumal auch andere, Nürnberg als Reformzentrum angeschlossene Klöster versorgt werden mußten. Man kann hier von einer richtigen Massenproduktion sprechen, an der auch

49 Ein Beispiel dafür bietet etwa Mathias Wertwein, Kanonikus in Brixen, später Dompropst in Wien und einer der Hauptstifter des Collegium Pacis in Freiburg i. Br., auf dessen Sammlung eine beträchtliche Anzahl von Inkunabeln Südtiroler Provenienz zurückgehen, die sich heute in der Universitätsbibliothek Freiburg i. Br. befinden. Vgl. V. SACK, Die Inkunabeln der Universitätsbibliothek und anderer öffentlicher Sammlungen in Freiburg i.Br. und Umgebung 1-3, Wiesbaden 1985, 1 S. XXII und 3 S. 653. Auch St. Peter besaß einen Sammelband von mehreren Wiegendrucken (teilweise aus Brixen stammend) aus dem Besitz Wertweins (s. HEINZER, Inkunabeln, wie Anm. 13, S. 28 f Nr. 93; der Name Wertweins dort fälschlich als Wernher gelesen), doch fällt dessen Erwerbung durch Steyrer in das Jahr 1753, hat also nichts zu tun mit den erst zehn Jahre später gekauften Südtiroler Handschriften.

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bürgerliche Lohnschreiber beteiligt waren '°. Diese Handschriften weisen übrigens teilweise etne äußerst qualitätvolle buchmalerische Ausstattung auf, die im Zusammenhang mit der Werkstätte des Nürnberger Künstlers Nikolaus Glockendon stehen dürftest. Das Nest dieser Nürnberger Handschriften war übrigens schon F.j. Mone aufgefallen und hatte ihn im Vorwort zum ersten Band seiner 'Quellensammlung' zu folgender.Bemerkung veranlaßt: „Viele dieser Handschriften stammen aus fränkischen Klöstern, es scheint, daß der Abt in Nürnberg einen Antiquar hatte, von dem er sie kaufte. Sie sind nicht alle nach Karlsruhe gekommen, ich habe mehrere in Privatbesitz gesehen, worin ebenfalls jene Inschrift steht [gemeint ist Steyrers Kaufvermerkl und die meistens in rothes Schafleder eingebunden sind". Diese Nachricht ist interessant, auch wegen des Hinweises auf versprengte Handschriften Steyrers in Privatbesitz. Die Vermutung, ein Antiquar in Nürnberg habe diese Erwerbung vermittelt, trifft indessen kaum zu. Hingegen ließen sich Anzeichen entdecken, die daftir sprechen, daß das Bamberger Dominikanerinnenkloste Zum Heiligen Grab, das mit St. Katharina in eng ster Verbindung gestanden hatte, für diese Codices Zwischenstation auf dem Weg in die Bibliothek von St. Peter war. Viele der fraglichen Stücke zeigen entsprechende Spuren (z. B. Bamberger Nachträge in den Kalendarien und Litaneien oder Besitzvermerke von Bamberger Konventsmitgliedern). Wie Schenkungsvermerke in drei Codices zeigen, dürfte dieser Komplex von der letzten Priorin des 1596 erloschenen Nürnberger Klosters dem Bamberger Konvent übergeben worden sein, um ihn dem Zugriff der protestantisch gewordenen Stadt zu entziehen'

50 Zu nennen ist hier vor allem der bisher in anderen Handschriften des Katharinenldosters nicht nachgewiesene Johannes Tretter, von dessen Hand nicht weniger als sechs Codices stammen: St. Peter perg. 34, 34a, 53a, 68,103 und 106. Mehrere davon sind datiert (1516 und 1519). Genau diese sechs Handschriften weisen auch den aus der Werkstatt Nikolaus Glockendons stammenden Buchschmuck auf (s. Anm. 51). 51 Der Hinweis auf Glockendon stammt von Hans Thum (Würzburg), dem an dieser Stelle herzlich dafür gedankt sei. Ein Vergleich mit A. BIERMANN, Die Miniaturenhandschriften des Kardinals Albrecht von Brandenburg (1514 -1545), in: AachenKunstbil 46 (1975) S. 310, besonders S. 148 - 203, zeigt, daß an diesem Werkstattzusammenhang wohl kaum zu zweifeln ist. Auch die zeitliche Einordnung unserer Handschriften in Glockendons Oeuvre ergibt sich zwanglos. Sie lassen sich den zwischen 1515 und 1520 entstandenen Frühwerken (BIERMANN 5. 148-151) gut zur Seite stellen; besonders eng sind die Parallelen zu dem zisterziensischen Gebetbuch Berlin, Staatsbibl. Preuße Kulturbesitz, Ms. theol. lat. fol. 148 (BIERMANN S. 148 f mit Abb. 185 und 186), das mit Streublumenbordüren und kleinen Initialbildern ganz in der Art der sechs Nürnberger Codices ausgestattet ist. Gegenüber dem großen Missale für Kardinal Albrecht von Brandenburg von 1523/24 (Aschaffenburg, Hofbibl., Ms. 10; s. BIERMANN S. 153 182), Glockendons buchmalerischem Hauptwerk, muten unsere Handschriften wie Vorarbeiten an, die indessen schon manches anklingen lassen, was im Missale zur vollen Entfaltung kommt. Vor allem gilt dies für die figürlichen Initial- und Randbilder in der Aschaffenburger Handschrift (BIERMANN S. 176 179 und Abb. 226 -246), einschließlich der mit Banderolen versehenen Adelswappen (BIERMANN, S. 178), zu denen es in St. Peter perg. 53a, 8 ein kleines und leider beschnittenes Pendant gibt (s. HEINUR/ STAMM, wie Anm. 1, S. 128). Die Lokalisierung dieser Handschriftengruppe nach Breslau durch E. J. BEER, Initial und Miniatur. Buchmalerei aus neun Jahrhunderten in Handschriften der Badischen Landesbibliothek, 2. Aufl., Basel 1965, S. 65, wird damit nun auch vorn Kunsthistorischen her widerlegt.. Zur Kritik der liturgiegeschichtlichen Argumentation s. F. HEINZElt, Aspekte der Katalogisierung liturgischer Handschriften: Erfahrungen bei der Bearbeitung des Bestandes St. Peter perg. der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, in: Codices Manuscripti 10 (1984) S. 98-105, hier S. 100 f. Inhaltliche sche) und kunsthistorische Kriterien konvergieren jetzt zu überzeugendem Einklang. 52 Einzelheiten s. HErmzER/STAND4 (wie Anm. 1) S. XXVI.

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Ganz im Dunkeln tappen wir hingegen im Falle der Erfurter Handschriften. Es handelt sich um über zwanzig Codices, darunter acht Bände aus dem Vorbesitz des Erfurter Marienstifts: nebst dem 'Liber c.hori', auf den wir noch zu sprechen kommen, auch verschiedene kanonistische und medizinische Werke, was angesichts der engen Verbindungen des Marienstifts mit der Universität nicht weiter verwunderlich ist". Weit erstaunlicher ist hingegen die Tatsache, daß überhaupt Handschriften aus der thüringischen Hauptstadt den Weg nach St. Peter gefunden haben. Ettlinger hatte angenommen, Koch habe die Handschriften mittelund norddeutscher Provenienz auf der Leipziger Buchmesse von 1781 für Steyrer gekauft. Diese Hypothese läßt sich jedoch nicht belegen, zumal mehrere Bände einen Kaufvermerk von 1780 tragen. Auf einer Tagung der Handschriften-Bearbeiter der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1984 wurde zur Frage nach diesen und ähnlichen „Massen"-Käufen von Handschriften in dieser Zeit die Vermutung geäußert, diese könnten möglicherweise gar nicht über den ordentlichen Buchhandel zustandegekommen sein, sondern wenigstens teilweise im Zusammenhang mit dem en-gros-Handel von Pergamenthandschriften für die Goldschläger. Diese erstanden solche Codices oft blockweise und zu billigsten, nur nach Gewicht berechneten Preisen, da sie für ihr Handwerk, nämlich die Herstellung von Blattgold, ständig auf größere Mengen Pergament angewiesen waren; Goldblech wird zwischen Pergamentblättern durch Hämmern zu dünnen Folien ausgeschlagen. Man kann sich tatsächlich vorstellen, daß auf diesem Markt auch der eine oder andere bibliophile Handschriften-Sammler einen guten und vor allem billigen Fang machen konnte". An weiteren Provenienzschwerpunkten wären sodann noch zu erwähnen: die Abtei Salem und die ihr unterstellten Frauenzisterzen sowie der Raum Augsburg/Ulm. Alle diese Erwerbungen gehen auf Steyrer zurück. Ulrich Bürgi ist nur gerade eine Handschrift mit Sicherheit zuzuschreiben — allerdings eine von ganz besonderer Bedeutung: das schon erwähnte Breviculurn (St. Peter perg. 92). Auch unter der Ägide Speckles scheint nur noch eine einzige Handschrift hinzugekommen zu sein, die sich heute übrigens in Zürich befindet (Rh. 176).

53 Vgl. F. P. SONNTAG, Das Kollegiatstift St. Martin zu Erfurt von 1117 bis 1400 (ErfurtTheolStud 13), Leipzig 1962, besonders S. 33-37, und E. KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis 1-2 (ErfurtTheolStud 14 und 22), Leipzig 1964 -1969, passim. Zur Bibliothek des Stifts vgl. SONNTAG S. 30 mit der Feststellung: „Leider fehlt. . über die Bibliothek des Stiftes für den Zeitraum des 12. bis 14. Jahrhunderts ein urkundlicher Hinweis". Die erwähnten acht Codices sind mit Ausnahme von St. Peter perg. 50a erst im 15. Jahrhundert in die Bibliothek von St. Marien. gekommen. 54 Vgl. auch die Bemerkung von J. G. SCHELHORN, Anleitung für Bibliothekare und Archivare 1, Ulm. 1788 (ND München 1981), S. 183 f: „Nicht bloß die öffentlichen und Kloster-Bibliotheken sind des reisenden Bibliothekars Aufmerksamkeit würdig, und ihr Besuch und genaue Kenntniß ihm nutzbar . . . Es ist ihm das Nachforschen bey Künstlern, Handwerkern und Krämern, die zu ihren Hanthierungen und Geschäften Pergament und Papier aufsuchen und brauchen, oft sehr vortheilhaft. Man findet hier vielmals angenehme Gelegenheit, wichtige Schriften, auch alte Handschriften, oder doch Fragmente da von, vom Untergang zu retten." (Es folgen Beispiele aus der Sammlerpraxis Uffenba.chs und Schelhoms selbst, der u. a. bei einer Spitzenklöpplerin ein handschriftliches Diurnale von 1524 „durch wohlfeilen Ankauf" erstehen konnte).

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Inhaltlich gesehen bilden die liturgischen Handschriften einen zumindest quantitativ herausragenden Schwerpunkt Vor allem gilt dies für die Pergamenthandschriften, wo der Anteil der Liturgica über drei Viertel beträgt! Innerhalb dieser Codices wiederum fällt der überaus große Anteil an dominikanischen Handschriften auf: es handelt sich um an die 70 Stücke, was nach dem über die Provenien.zschwerpunkte Gesagten nicht mehr unbedingt erstaunt. Dazu kommen 21 zisterziensische Manuskripte (aus Erfurt sowie aus Salem und dessen Tochterklöstern), während erstaunlicherweise überhaupt keine benediktinischen Liturgica vorhanden sind. Für liturgiewissenschaftliche Forschungen, vor allem zu Fragen der Dominikanerliturgie, gerade auch der frühen Zeit, ist hier also ein reichhaltiges Material bereitgestellt. Unter den Texthandschriften sind wohl die deutschsprachigen Codices am meisten von Interesse. Sie haben denn auch in der germanistischen Forschung schon verschiedentlich Erwähnung gefunden. Dies gilt besonders für die Texte aus dem Bereich der Mystik (Tauler, Eckhart u. a.). Hervorgehoben zu werden verdienen die altsächsischen und althochdeutschen Glossen in St. Peter perg. 87. Dieser Code; dessen Grundstock im 11. Jahrhundert vermutlich in Lorsch entstand, ist die älteste Handschrift des Bestandes überhaupt und muß auch deshalb erwähnt werden. Für den zünftigen Historiker sind wohl nur wenige Stücke von unmittelbarem Interesse. Nebst dem schon erwähnten Necrologium minus mit seiner Zähringer Genealogie (Abschrift nach verlorenen Quellen des 13. Jahrhunderts) und den beiden Collectaneenbähden Pater Gregor Baumeisters (St. Peter pap. 13 und 14) — S.emmlungen von Abschriften und Exzerpten mittelalterlicher Urkunden und neueren Quellenwerken zur Geschichte der Zähringer — sind noch folgende Nummern zu nennen: St. Peter perg. 50a, der liber chozi? des Erfurter Marienstifts, eine noch längst nicht ausgeschöpfte Quelle zur Geschichte dieses für die thüringischen Teile des Erzbistums Mainz so bedeutenden Stifts. Die Sammelhandschrift aus dem 13. und 14. Jahrhundert enthält unter anderem das Nekrolog (auszugsweise von Mone publiziert), das liturgische Direktorium des Stifts, Statuten des frühen 14. Jahrhunderts" und ein für die Besitzgeschichte aufschlußreiches Zinsverzeichnis aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang sei auch auf das Präsenzregister für die Erfurter Plebane und Vikare aus dem 15. Jahrhundert hingewiesen (St. Peter perg. 35, ebenfalls aus St. Marien) sowie auf das Nekrologhirn des Erfurter Neuwerk-Klosters (St. Peter perg. 37); und wenn wir schon bei Nekrologien sind, soll auch noch das Seelbuch der Bamberger Klarissen (St. Peter perg. 57) genannt werden. Fragmente aus zwei Sammlungen von Stauferbriefen finden sich als Spiegel beziehungsweise Vorsatzblätter in einem wohl nicht zufällig gerade aus Salem stammenden Prozessionale (St. Peter perg. 22a). Es handelt sich um Bruchstücke zweier Kollektionen, deren Schrift in das frühe 14. Jahrhundert weist, wobei die eine italienischer Herkunft sein dürfte. Diese enthält unter anderem den Text eines Rundschreibens von König Manfred, das Paul Zinsmaier in seinem Nachtrags- und Ergänzungsband zu den Regesta Imperii V nach Fedor Schneider

55 F. HEINZER, Statuten des Erfurter Marienstifte aus dem 14. Jahrhundert, in: ArchivlittelrhKG 37 (1985) S. 211-223.

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aus einem einzigen Textzeugen (ebenfalls italienischer Provenienz) publiziert hat'. Das Stück ist beidemal nur fragmentarisch überliefert, doch hat das Karlsruher Bruchstück etwas mehr an Text und bietet auch eine bessere Textqualität (leider ist die Lesbarkeit durch Leimspuren beeinträchtigt), könnte also zur Ergänzung der Ausgabe Zinsrnaiers herangezogen werden. Einer der wichtigsten und wohl auch attraktivsten Aspekte des Bestandes überhaupt ist seine kunsthistorische Bedeutung. Die Codices mit qualitätvoller buchmalerischer Ausstattung sind zahlreich. Dazu einige Beispiele: Wie nach der Diskussion der Provenienzen nicht weiter Wunder nimmt, liegt der Schwerpunkt auf der oberrheinischen Buchmalerei, für die der Bestand ein quantitativ wie qualitativ höchst beachtliches, in dieser Konzentration vielleicht sogar einmaliges Anschauungsmaterial zu liefern vermag. Insbesondere gilt dies rür das Elsaß, vor allem seit den enormen Verlusten durch den Brand der Straßburger Bibliothek im Jahre 1870. Durch die Wechselfälle und, wenn man so will, die Ironie der Geschichte, ist hier auf der rechten Rheinseite ein wertvoller Komplex elsässischer Buchmalerei erhalten geblieben, der die Katastrophe von 1870 zwar keineswegs verschmerzen läßt, aber vielleicht doch ein wenig zu mildern vermag. Das älteste und sicherlich bekannteste Zeugnis ist das Evangelistar St. Peter perg. 7 aus der Zeit um 1200, von dem seit 1961 eine Facsimile-Edition vorliegt. Beiläufig sei erwähnt, daß sich die von Ellen J. Beer in der 2. Auflage im Anschluß an Cyrill Lambot vorgebrachten Argumente für eine Entstehung in Weißenburg nicht als stichhaltig erwiesen haben. Ge'rard Cam.es hat unterdessen für Straßburg plädiert — allerdings auch nicht mit zwingenden Argumenten. Die Frage nach dem Entstehungsort muß offenbleiben, und man wird sich einstweilen weiterhin mit der relativ weitgefaßten Provenienzbestimmung „Oberrhein" zufriedengeben müssen. Unter den illuminierten Psalterien des 13. Jahrhunderts ragt eines besonders heraus, nämlich die Handschrift St. Peter perg. 139, der sogenannte 'Scherenberg-Psaltef, übrigens eine der Handschriften, die statt nach Karlsruhe über Rheinau nach Donauechingen gelangten. 1982 kam das Psalterium mit einer Reihe weiterer Donaueschinger Handschriften bei Sotheby's unter den Hammer und konnte — leider erst ein Jahr später und auf dem (auch finanziellen!) Umweg über die USA — vom Land Baden-Württemberg erworben werden.. Seither steht die Handschrift nun wieder unter den Schwesterhandschriften ihrer alten Bibliotheksheimat St. Peter. Das um 1260 in Straßburg entstandene Psalterium gehört mit seiner Miniaturen-Doppelseite zu den wenigen erhaltenen Zeugnissen eines ausgeprägten Straßburger Miniaturenstils des späten 13. Jahrhunderts". In ihrer Verbindung von theologischer Komplexität und Bedeutungstiefe der Ikonographie und gemüthafter Innigkeit, ja Lieblichkeit, ist diese Doppelseite repräsentativ für das Milieu, dem sie entstammt: die mystische Frömmigkeitsbewegung in den deutschen Dominikanerinnenklöstern des 13. und 14. Jahr-

56 Regesta Imperii V, 4. Nachträge und Ergänzungen, bearb. von P. ZINSMAIER, Köln 1983, Nr. 617. 57 Vgl. H. SWARZENSKI, Die lateinischen illuminierten Handschriften des XIII. Jahrhunderts in den Ländern an Rhein, Main und Donau, Berlin 1936, Textband, S. 50, 53 und 122 f, Tafelbd., Abb. 505 511. Zur Ikonographie der beiden Miniaturen darf verwiesen werden auf F. HEINZER, Wurzel Jesse und Kreuzesbaum. Zwei Miniaturen aus einem Straßburger Psalterium des 13. Jahrhunderts, Karlsruhe 1983 Jahresgabe der Bad. Bibliotheksgesellschaft), dort auch Abbildung der Doppelseite (ebenso HEINZER/ STAMM Abb. 5).

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hunderts, wo sich unter dem Einfluß der Predigt und Seelenführung der Beichtväter eine Gei stigkeit entwickelte, die durchaus theologisch, ja spekulativ begründet und geprägt, zugleich aber stark auf das affektive Erleben ausgerichtet war. Als Kostbarkeit besonderer Art verdient sicher das Kanonbild aus St. Peter perg. 46 erwähnt zu werden. Die Handschrift, ein dominikanisches Missale, stammt aus der gleichen Epoche wie der Scherenberg-Psaiter, also aus den Jahren um 1260. Eine eingehende liturgiewissenschaftliche Analyse der Handschrift e b, daß diese mit Sicherheit aus einem Kloster des Augsburger Raums hervorgegangen ist". Damit ergibt sich auch für das bisher am Oberrhein (von anderer Seite in Würzburg) lokalisierte Kanonbild, nach dem Urteil Hanns Swarzenskis eine der ,,,edelsten Schöpfungen der deutschen Malerei des ausgehenden 13. jahrhunderts"", ein neuer Forschungsansatz. In das ausgehende 15. Jahrhundert führt uns die reich illustrierte Handschrift St. Peter pap. 32 mit dem vom Konstanzer Ritter und Bürgermeister Konrad von Grünenberg verfaßten Bericht über seine Heiliglandreise im Jahr 1486. Die kolorierten Federzeichnungen in der 1487 datierten Handschrift sind übrigens nach den Holzschnitten der 1486 im Druck erschiene nen Reisebeschreibung des Mainzer Domdekans Breidenbach gestaltet — ein schönes Beispiel für die Wechselwirkung zwischen gedrucktem und handschriftlichem Buch in der Inkunabelzeit auch hinsichtlich der Illustration". Auf die Glockendon-Handschriften wurde oben im Zusammenhang mit der Provenienzfrage schon hingewiesen'. Als letztes Beispiel ein Codex aus einem ganz anderen Kulturraum: die vielleicht kostbarste Handschrift des Bestandes. Es handelt sich um das bereits mehrfach erwähnte Breviculum (St. Peter perg. 92), eine Synthese der Lehre des katalanischen Philosophen Ramon Lull, die von einem seiner engagiertesten Schüler, dem nordfranzösischen Kanoniker und Arzt Thomas Le Myesier verfaßt und um das Jahr 1321 der französischen Königin dediziert wurde. Dem Textteil sind zwölf ganzseitige Miniaturen vorangestellt, die das Leben und zugleich die Lehre des Meisters darstellen sollen. Eine umfangreichere Handschrift ähnlicher Art, jedoch. ohne Miniaturen, das sog. Electoriurn magnum, das für die Sorbonne als geistigen Mittelpunkt der Zeit bestimmt war, hat sich ebenfalls erhalten und liegt heute in der Bibliotheque Nationale in Paris. Das Breviculurn gelangte über Poitiers, wo es Ende des 16. Jahrhunderts nachweisbar ist, an den Oberrhein und wurde 1736 in Freiburg durch Abt Bürgi erworben. Die Erwähnung in Gerberts Iter Alem.annicurd wäre der prächtigen Handschrift übrigens beinahe zum Verhängnis geworden, als 1796 der berüchtigte Mainzer Jakobiner Professor Metternich an der Spitze der im Gefolge der französischen Revolutionsarmeen wirkenden ,,Kunstkommission" auch im Freiburger Raum sein Unwesen trieb und als Handbuch zum

58 FIEINzER/SrAmm (wie Anm. 1) 5. 109 -112. Zum Methodischen s. HEINZER, Katalogisierung (wie Anm. 51) S. 101 f. 59 SWARZENSK1 (wie Anm. 57) Textband S. 54. 60 Vgl. auch den Diskussionsbeitrag von K. Graf zum Vortrag von P. johanek in: Protokolle der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein e.V., Karlsruhe, Nr. 251 (1986), S. 15 16. 61 S. Anm. 51.

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Aufstöbern der Kostbarkeiten in den Klosterbibliotheken mit Vorliebe Gerberts Reisebericht benutzte. Kein Wunder, daß er in St. Peter gleich nach dem Breviculum verlangte. Die Auslieferung und Verschleppung der Handschrift schien bereits unabwendbar, doch verlief die Sache aus ungeklärten Gründen im Sand'. So blieb dieses kostbare Stück, von dem die Badische Landesbibliothek zur Zeit eine Faksimileausgabe vorbereitet, unserem Raum erhalten. Der Oberrhein als historische Landschaft ist gekennzeichnet von seiner besonderen Situation: als Schnittpunkt wichtiger Verkehrslinien und Brennpunkt vielfältigster wirtschaftlicher, politischer und kultureller Kräfte kann er zum Ort der Begegnung aber auch zum konfliktgeladenen Spannungsfeld werden. Deshalb sind die einzelnen Teile dieses Raumes grundsätzlich immer auch in Gefahr, Grenzlandschaften und mithin Kriegsschauplätze par excellence zu werden. Von diesen beiden Aspekten ist denn auch die oberrheinische Geschichte seit jeher entscheidend geprägt. Im Grunde dokumentiert das hier Vorgelegte diese Spannung überaus deutlich, ja eindrucksvoll. Daß die Verbindungslinien zur mittelalterlichen Bibliothek St. Peters und seinem Skriptorium durch Kriegsverluste, Brandschatzung und Plünderung so radikal abgerissen sind, belegt auf drastische Weise den negativen Aspekt, die Gefährdung und Unbill der Zwischenland-Situation. Daß wir heute dennoch — dank den Anstrengungen Bürgis und Steyrers — von „Handschriften aus St. Peter" sprechen können, zeigt auf der anderen Seite die Fähigkeit dieser Landschaft zur Regeneration, ihre Vitalität und vor allem auch ihre Möglichkeiten, nicht nur Autochthones hervorzubringen, sondern auch Sammelbecken vielfältigster geistiger und kultureller Güter verschiedenster Herkunft zu werden. Insofern darf die Handschriftensammlung von St. Peter und ihre Geschichte aller anfänglichen Skepsis zum Trotz für sich beanspruchen, in einem ganz authentischen Sinn ein Stück oberrheinischer Landesgeschichte darzustellen.

62 Vgl. L. KLAIBER, Kunst- und Buchraub am Oberrhein im Jahre 1796, in: Schau-ins-Land 82 (1964) S. 104 —115, besonders S. 106 112.