Die Diplomatie im Krieg

Weltenbrand ohne politisches Konzept Die Diplomatie im Krieg Andreas Rose Überzeugt, nur durch Krieg könnten die europäischen Spannungen gelöst werd...
Author: Johanna Kohler
2 downloads 2 Views 484KB Size
Weltenbrand ohne politisches Konzept

Die Diplomatie im Krieg Andreas Rose

Überzeugt, nur durch Krieg könnten die europäischen Spannungen gelöst werden, stürzten sich 1914 die Mächte in die große Schlacht. Was genau damit erreicht werden sollte, hatte zu diesem Zeitpunkt keiner der Beteiligten parat.

Als sich im Sommer 1914 die bekannte Stafette diplomatischer Krisen zum Weltenbrand entlud und sich die europäischen Großmächte zwischen dem 28. Juli und dem 4. August gegenseitig den Krieg erklärten, bedeutete das zunächst das Ende der Diplomatie: Die direkten Verbindungen zwischen den Regierungen wurden gekappt, Botschaften geschlossen und das Personal in die Heimat zurückbeordert. Fortan sollte der Krieg als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Carl von Clausewitz, 1837) die zwischenstaatlichen Beziehungen beherrschen. Keine Frage, auf allen Seiten glaubte man sich im Recht und hielt sich für den Angegriffenen. Vielleicht, so eine in allen Hauptstädten anzutreffende Vermutung, würde ein kurzer, gewaltsam ausgetragener Konflikt, ein heftiges Gewitter, wenn man so will, die jahrelangen Spannungen zwischen den Mächten reinigen und neu ordnen können. Österreich-Ungarn wollte zunächst Serbien zerschlagen. Mit dem ambitionierten Terrorstaat an der östlichen Grenze des Vielvölkerreiches sollte nach dem Attentat von Sarajevo ein für allemal aufgeräumt werden. Sankt Petersburg und Paris wiede-

Patriotischer Kitsch: Unter der rum kamen die erneuten SpanÜberschrift „In Treue fest“ zeigte nungen auf dem Balkan äußerst eine Ansichtskarte von 1915 die gelegen. An der Seine schielte beiden Monarchen der Mittelman begierig auf die Rückerobemächte einträchtig zusammen: rung Elsass-Lothringens. An der den österreichischen Kaiser Franz südosteuropäischen Peripherie Joseph I. (links) und den deutschen erkannte der Quai d’Orsay anKaiser Wilhelm II. ders als etwa im Falle der Marokko-Frage 1906 bzw. 1911 eine Sollbruchstelle des Staatensystems, mit deren Hilfe es insbesondere der französischen Regierung möglich erschien, den russischen Verbündeten gegen die Mittelmächte zu verpflichten. Längst strebte das Zarenreich die Zerschlagung der osmanischen Herrschaft und die Kontrolle der Meerengen am Bosporus und den Dardanellen an. Zudem erkannte es in einer Verteidigung slawischer Interessen auf dem Balkan eine Möglichkeit, über seine anhaltenden innenpolitischen Probleme hinwegzukommen. Demgegenüber erscheinen die Ziele der vermeintlichen Hauptprotagonisten der Vorkriegsepoche, Berlin und London, eher diffus. Berlin

89

fürchtete die Einkreisung, insbesondere nach Bekanntwerden anglo-russischer Marinegespräche im Frühjahr 1914. Als einzig verbliebener Partner erschien die Habsburgermonarchie und dessen angeschlagene Großmachtrolle als besonders schützenswert. Gleichzeitig sahen nicht wenige in der Julikrise die letzte Chance, den Ring der Feindstaaten erfolgreich zerschlagen zu können, bevor man selbst zum Spielball der Mächte werden würde. London, so zumindest die öffentliche Begründung, ging es um die Befreiung und dauerhafte Unabhängigkeit Belgiens. Inoffiziell war es allerdings vornehmlich die Sorge vor der eigenen Isolation, die die britische Regierung zur Entsendung des Expeditionskorps veranlasste. Der englische Außenminister Edward Grey begründete dies mit der Loyalität gegenüber dem französischen Partner. Innerhalb des Kabinetts machte jedoch die Befürchtung die Runde, bei einem Sieg Russlands und Frankreichs nicht dabei gewesen zu sein und als Folge dessen nicht nur den Einfluss auf jede Nachkriegsordnung zu verlieren, sondern sich dann einem noch stärkeren Druck auf seine imperialen Besitzungen in Afrika und Asien ausgesetzt zu sehen. Konkret formulierte Kriegsziele brachte jedoch auf allen Seiten erst der Krieg selbst mit sich. So legitim der Griff zu den Waffen erschien, so machte das Schlachtgeschehen bald deutlich, dass mit Konfliktbereitschaft allein die eigenen Interessen nicht zu erreichen waren.

Westoffensive an der Marne scheiterte, ließ er „eine vorläufige Aufzeichnung über die Richtlinien unserer Politik beim Friedensschluss“ aufsetzen. Was hier als „Septemberprogramm“ in die Geschichte eingehen sollte, war jedoch kaum mehr als ein Gelegenheitspapier, eher hastig improvisiert denn langfristig konzipiert und ganz unter dem Eindruck erster Anfangserfolge. Ergebnis des Krieges sollte demnach sein, dass Deutschland das Erzgebiet von Longwy-Briey annektiere und langfristig sowohl „nach Ost und West“ gesichert sei. Frankreich sollte so geschwächt werden, dass es dauerhaft aus dem Kreis der Großmächte ausscheide. Russland wiederum sollte von der deutschen Grenze abgedrängt werden und seine Herrschaft über seine slawischen Vasallen verlieren. Von einem eigenen Kolonialreich war nur schemenhaft die Rede. Konkreter umrissen war dagegen die Idee eines von Deutschland dominierten mitteleuropäischen Wirtschaftsraumes, dem Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und eventuell Italien angehören sollten. Wenngleich Bethmann Hollweg mit derlei Forderungen die weiter reichenden Pläne der Annexio-

Außenpolitik der Mittelmächte: diffus und von unterschiedlichen Interessen geleitet Die ersten Siegesmeldungen stimulierten auf deutscher Seite die Euphorie. Große Teile des Bürgertums wurden von Machtphantasien erfasst, die weit über das hinausgingen, was selbst die radikalsten Fanatiker vor 1914 je gefordert hatten. In dieser Stimmung sah sich auch Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg veranlasst, erste Gedanken über die deutschen Ziele zu formulieren. Am 9. September 1914, just an dem Tag, als die deutsche

Österreichs Außenminister Graf Istvan Burián von Rajecz (1851 − 1922; Foto um 1915) wich aus, als Berlin der Regierung in Wien Ende 1915 eine dauerhafte wirtschaftliche Kooperation über die militärische Zusammenarbeit hinaus anbot. Er sah in dem Vorschlag eine Bedrohung der Unabhängigkeit Österreich-Ungarns.

90 Die Diplomatie im Krieg

nisten entschärfen wollte, so musste auch ihm klar sein, dass derlei Ideen nicht nur eine Rückkehr zur Ausgangslage vor dem Krieg, zum status quo ante, ausschlossen, sondern auch mit keiner stabilen Nachkriegsordnung zu vereinbaren waren. Es bleibt beachtenswert, dass die Sicherung Deutschlands nicht durch territoriale Expansion und militärische Stärke, sondern durch wirtschaftliche Dominanz erreicht werden sollte. Anfang November 1915 bot die Berliner Regierung Wien eine dauerhafte, sowohl militärische als auch wirtschaftliche Kooperation an. Deutschland und Österreich-Ungarn sollten den Kern einer mitteleuropäischen Zollunion bilden. Der k. u. k. Außenminister, Graf Istvan Burián von Rajecz, erkannte jedoch in den Plänen eine Gefahr für die eigene Unabhängigkeit. Mit Rücksicht auf den Zusammenhalt der Mittelmächte wich der Ballhausplatz (= der Platz in Wien, an dem unter anderem das Außenministerium logierte; der Name des Platzes wird auch heute als Synonym für die politische Macht in Österreich genutzt) einer Zustimmung aus und versuchte die Pläne auf die lange Bank zu schieben − wo sie auch blieben. Selbst in der Not des Krieges ließen sich die völlig unterschiedlichen Wirtschaftsstruk-

Unter der Oberherrschaft der Mittelmächte wurde am 5. November 1916 das Königreich Polen neu gegründet. Die feierliche Zeremonie im Warschauer Schloss (Foto: Polnische Offiziere und ein deutscher Soldat im Schlosshof) konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das neue Königreich über kein definiertes Territorium verfügte.

turen des modern-industrialisierten Deutschen Reiches und der noch überwiegend agrarisch geprägten Donaumonarchie nicht verdecken. Uneinig blieb man auch in der Polen-Frage. Im Sommer 1915 erobert, blieb offen, ob Polen zukünftig Deutschland oder Österreich-Ungarn angegliedert werden oder eine Form der Unabhängigkeit erhalten sollte. In der Hoffnung, über 250 000 Polen für den Kampf gegen das Zarenreich mobilisieren zu können, setzten sich Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff später seit Mitte 1916 für einen polnischen Staat ein, der Anfang November 1916 in Warschau proklamiert wurde. Die militärischen Hoffnungen erfüllten sich nicht. Bis zum Kriegende meldeten sich nur wenige tausend Polen, um an der Seite Berlins und Wiens zu kämpfen.

91 Außenpolitik der Mittelmächte: diffus und von unterschiedlichen Interessen geleitet

Frühe Erkenntnis: Mehr als ein Remis ist militärisch nicht drin

Alliierte Außenpolitik: Koalitionstreue und das Ziel des Siegfriedens

Als noch entscheidender als die vereinzelten Streitfälle zwischen Wien und Berlin erwies sich aber, dass schon zwei Monate nach der Septemberdenkschrift die großspurig formulierten Ziele Makulatur geworden waren. Bereits am 18. November 1914, nachdem die letzten Hoffnungen auf einen durchschlagenden militärischen Erfolg auf den Schlachtfeldern Flanderns versiegt waren, musste der Chef des Generalstabs, Erich von Falkenhayn, dem Reichskanzler offenbaren, dass der Krieg gegen die alliierten Mächte nicht zu gewinnen sei. Aussicht bestehe höchstens auf ein Remis. Falkenhayn riet zu einem Separatfrieden mit Russland, möglichst auch mit Frankreich, um alle Kräfte gegen England zu bündeln. Nachdem die militärische Führung offenbar frühzeitig mit ihrem Latein am Ende war, sollte also die Diplomatie den Weg aus dem Krieg finden. Innerhalb weniger Wochen hatte sich damit die militärisch-politische Gesamtlage für das Reich grundlegend geändert. Von nun an waren die Deutschen zwischen ihren hochgesteckten Zielen und der Notwendigkeit gefangen, die alliierte Koalition gegen sie auseinanderzudividieren. Angesichts der eigenen quantitativen Unterlegenheit unternahmen die Mittelmächte Anfang 1915 einen ersten Vorstoß, zumindest zu einem Teilfrieden mit Russland zu kommen. Über einen dänischen Staatsrat als Mittelsmann wurde versucht, Kontakt mit Sankt Petersburg aufzunehmen. Aber erst im März 1915 reiste besagter Hans-Niels Andersen an die Newa. Obwohl der Zar schon Anfang April eine dänische Vermittlung ablehnte, ließ Berlin nicht locker. Die großen Erfolge der Frühjahrs- und Sommeroffensive nährten die Hoffnungen, dass Russland durch das Angebot eines Statusquo-ante-Friedens aus der feindlichen Koalition herauszulösen sei. Auch der österreichische Oberbefehlshaber Franz Conrad von Hötzendorf forderte inzwischen, dem Zarenreich „goldene Brücken“ zu bauen. Aber trotz verheerender Niederlagen blieb die zaristische Regierung standhaft. Auch Paris und London ließen jede Bereitschaft vermissen, den Krieg vorzeitig zu beenden. Ein Grund hierfür war zum einen sicherlich, dass das deutsche Heer im Westen wie im Osten tief in Feindesland stand. Zum anderen pochte die Reichsleitung auf einen Siegfrieden.

Die Alliierten schienen von Anfang an entschlossener, die politische, militärische und wirtschaftliche Macht Deutschlands zu brechen. Noch bevor das „Septemberprogramm“ formuliert worden war und trotz erster militärischer Rückschläge hatten sich die Alliierten im Londoner Vertrag (5. September 1914) die Treue geschworen. Großbritannien, Frankreich und Russland verpflichteten sich, keinen Separatfrieden zu schließen und sich zu gegebener Zeit über die Bedingungen für einen Frieden auszutauschen. Noch Ende September definierte der französische Ministerrat das „Ende des preußischen Militarismus“ als conditio sine qua non (als unerlässliche Bedingung) eines zukünftigen Friedens. In den folgenden Wochen verständigten sich Franzosen und Russen in bilateralen Gesprächen auf einige weitere Eckpunkte. So sollte Frankreich nicht nur Elsass-Lothringen zurückerhalten, sondern auch im Rheinland tun und lassen können, was es für richtig hielt. Russland wiederum sollte freie Hand in Polen erhalten. Ohne Großbritannien mit einzubeziehen, verteilten beide Länder bereits die schon vor 1914 ersehnte Beute unter sich. In Frankreich wurden zudem Stimmen laut, die auch das Saargebiet und Luxemburg für sich reklamierten. An der Themse waren die Vorstellungen dagegen noch nicht so weit gediehen. Immer wieder betonte die britische Regierung die Unabhängigkeit Belgiens und dessen Recht auf Selbstbestimmung. Dass allerdings in anderen Fällen der Zusammenhalt der Kriegskoalition schwerer wog, bestätigte kein Geringerer als Edward Grey selbst. Bereits im November 1914 schloss er vornehmlich zur Beruhigung Frankreichs eine Rückkehr zum Status quo ante kategorisch aus. Der russische Außenminister Sergei Sasonow spielte unterdessen die Karte aus, eventuell auf die deutschen Friedensvorstöße einzugehen. Nach dem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches auf Seiten der Mittelmächte forderte er nun offiziell die Kontrolle der Meerengen, sowohl von europäischer als auch asiatischer Seite, sowie unter Androhung, die Kriegskoalition zu beenden, das Annexionsrecht für Istanbul. Als der dänische Vermittler Hans-Niels Andersen mit dem Ziel einer Vermittlung zwischen Deutschland und Russland im März 1915 in Sankt Petersburg eintraf, hatten London und Paris kurz zuvor die russischen Ansprüche akzeptiert.

92 Die Diplomatie im Krieg

Diese Übereinkunft war aber nur ein Grund, warum Russland auch weitere Sonderfriedensverhandlungen ausschlug. Die zaristische Regierung glaubte trotz ihrer vernichtenden Niederlage bei Tannenberg weiterhin an einen Sieg der Alliierten. Darüber hinaus wollte Russland nicht nur das Osmanische, sondern auch das Habsburgerreich zerschlagen. Als Österreich-Ungarn im Frühjahr ebenfalls eine Friedensinitiative unternahm, winkte Sankt Petersburg ohne weitere Prüfung unverzüglich ab und sorgte zudem dafür, dass auch Paris und London den Wiener Versuchen kein Gehör schenkten. Dreh- und Angelpunkt der zaristischen Kriegsdiplomatie war die dauerhafte Schwächung der Mittelmächte und die eigene Expansion. Aus Sorge um die russische Loyalität gestanden Franzosen und Briten im April 1916 Russland sogar das Recht auf weitere Annexionen im Nahen Osten zu. Erst als Sasonow Westarmenien und einen direkten Mittelmeerzugang forderte, lehnte Frankreich schließlich ab. Aristide Briand, der im Oktober René Viviani auf dem Posten des Ministerpräsidenten gefolgt war, führte gemeinsam mit Präsident Raymond Poincaré einen weitaus entschlosseneren Kurs. Vor allem Poincaré, der bereits in der Julikrise 1914 zum Krieg getrieben hatte, gab sich hinsichtlich der französischen Kriegsziele ausgesprochen ambitioniert. Außer Elsass-Lothringen, dem Saargebiet und eventuell dem Rheinland sollte Deutschland noch weitere Provinzen in West und Ost verlieren, und selbst die deutsche Einheit wollte Poincaré grundsätzlich in Frage gestellt wissen. Deutschland sollte dauerhaft als europäische Großmacht verschwinden. Was lange mit dem traditionellen Sicherheitsstreben Frankreichs gegenüber dem deutschen Erbfeind begründet worden ist, war nichts anderes als eine Rückkehr zum napoleonischen Hegemoniestreben auf dem Festland. Während die deutschen Mitteleuropa-Pläne eine Abwehr und Reaktion auf die wirtschaftliche Dominanz der Weltreiche darstellten, waren die Pariser Pläne offensiv gegen eine bestimmte Nation gerichtet. Deutschland sollte auch nach dem Krieg der Zugang zu den wichtigsten Weltrohstoffreserven verwehrt bleiben. Die anglo-französische Verständigung darüber reichte so weit, dass Großbritannien sogar bereit war, seinen traditionellen wirtschaftsliberalen Vorstellungen abzuschwören. Letztlich scheiterten die Pläne aber daran, dass ausgerechnet Belgien, Italien und Russland die Verträge nicht ratifizierten, da sie eine Wiederaufnahme

Im November 1914 trat das Osmanische Reich auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg ein. Auch wenn auf einer Postkarte von 1915 die Allianz wie ein Bündnis von drei gleich starken Mächten dargestellt wurde, war die Kampfkraft des neuen Partners zweifelhaft: In den Balkankriegen von 1912/13 hatten die türkischen Streitkräfte verheerende Niederlagen erlitten.

ihrer Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland nach dem Krieg als wichtiger erachteten. Ungeachtet dessen stand auf allen Seiten ein Siegfrieden im Vordergrund. Von Anfang an ging es nicht um eine legitime Neuordnung der Staatenbeziehungen. Sicherheit, Siegfriede und Koalitionstreue bestimmten maßgeblich die politischen Prozesse. Immer wieder verständigten sich die Alliierten darauf, keine neutrale Vermittlung zuzu-

93 Alliierte Außenpolitik: Koalitionstreue und das Ziel des Siegfriedens

lassen ohne eine vorherige vollständige Niederlage Deutschlands. Diese Haltung gründete auf der festen Erwartung eines Sieges, und zu diesem Zweck mussten nach Möglichkeit noch weitere Verbündete hinzugewonnen werden. Die Ausweitung des Konflikts schraubte die Hürden für einen Verständigungsfrieden in noch weniger erreichbare Höhen. So versprachen die Geheimverträge mit Italien und Rumänien substantielle territoriale Gewinne auf Kosten ÖsterreichUngarns. Je unwahrscheinlicher der Separatfriede mit Russland wurde, desto mehr verstärkten sich auf deutscher Seite die Bestrebungen nach einem Siegfrieden im Osten. Aber auch im Westen hielt die Reichsleitung an ihren Kriegszielen fest.

an eine Offensive an der Somme. Die politische Führung zeigte sich allerdings skeptisch. Vor allem die kaum noch zu beherrschenden Kosten ließ sie auf einen amerikanischen Kriegseintritt hoffen. Ohne Washington, so glaubte Munitions- und Kriegsminister David Lloyd George, sei jede Hoffnung auf einen Sieg gegen die Mittelmächte illusionär. Da Amerika aber jenseits wirtschaftlicher Hilfen keinerlei Anstalten machte, auch militärisch in den Konflikt einzugreifen, setzte die Mehrheit des englischen Kabinetts zumindest auf eine Friedensvermittlung Washingtons. Im Januar traf Oberst Edward M. House, engster Berater des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, an der Themse ein, um mit Außenminister Edward Grey über einen möglichen Ausweg aus dem Krieg zu beraten. Gemeinsam kamen sie überein, eine Friedenskonferenz unter Führung und Vermittlung Wilsons vorzuschlagen, bei der sich Washington größtenteils auf die Seite der Alliierten schlagen und Berlin zum Frieden zwingen würde. Nach intensiven Verhandlungen zwischen Februar und Juni 1916 sollte ein günstiger militärischer Moment für die Alliierten abgewartet und Deutschland eine Friedensvermittlung offeriert werden. Das sogenannte Grey-House-Memorandum sah vor, dass die Unabhängigkeit Belgiens wiederhergestellt werden sollte, dass Frankreich Elsass-Lothringen zurückerhalte und Russland einen eisfreien Hafen bekommen sollte. Im Gegenzug sollte das Kaiserreich mit kolonialen Territorien außerhalb Europas abgefunden werden. Für London hatte die amerikanische Initiative einen doppelten Charme. Entweder verhelfe sie dem Empire zu einem „anständigen“ und für die Ehre des Landes vertretbaren Frieden, wie sich Grey ausdrückte. Oder im Ergebnis trete Washington wenigstens an die Seite der Alliierten in den Krieg ein und sorge für einen direkten englischen Zugang zu den scheinbar unerschöpflichen Ressourcen der Vereinigten Staaten. Darüber hinaus versprach das offenkundige Interesse der Amerikaner, an einer

Auftritt Amerika: Edward House und seine Mission Anfang 1916 standen sowohl die britische Kriegsstrategie als auch die dazugehörige Politik am Scheideweg. Bis dahin hatte sich London vor allem an den Kosten, nicht aber an großen militärischen Operationen beteiligt. Nun knüpfte aber insbesondere die militärische Führung große Erwartungen

Edward Mandell House (1858 −1938) leitete die „Inquiry“, eine Agentur, die für den US-Präsidenten Woodrow Wilson Leitlinien für einen Friedensschluss und den Wiederaufbau in Europa entwickelte. Im Januar 1916 traf House in diplomatischer Mission in London ein. Er sollte mit der britischen Regierung mögliche Auswege aus dem Krieg beraten.

94 Die Diplomatie im Krieg

Friedensordnung mitzuwirken, nicht nur einen außenpolitischen Kurswechsel im Weißen Haus, sondern verhieß zudem die Chance auf eine belastbare Neuordnung. Bis dahin war man in der britischen Hauptstadt fest davon ausgegangen, dass mit dem deutschen Kaiserreich kein dauerhafter Frieden möglich sein würde und es im gegenwärtigen Krieg lediglich darum gehe, sich die besten Ausgangspositionen für den nächsten zu sichern. Mit den Amerikanern als zusätzlichen Friedensgaranten eröffnete sich in den Augen britischer Außenpolitiker jedoch durchaus eine Alternative. Die monatelangen Verhandlungen, die das gesamte erste Halbjahr 1916 prägten, offenbarten jedoch die fundamentalen Schwierigkeiten der internationalen Politik in Kriegszeiten.

An der britischen Heimatfront kracht es Sowohl Grey als auch House hatten demnach nicht nur mit der aufgehetzten britischen Heimatfront zu rechnen, die trotz aller Entbehrungen und schmerzlichen Verluste des ersten Kriegsjahres noch keineswegs kriegsmüde erschien und trotzig einen Siegfrieden verlangte, sondern auch mit den zur Offensive drängenden Militärs. Zudem galt es, die schwierige innenpolitische Gemengelage innerhalb der englischen Koalitionsregierung ebenso zu beachten wie die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November 1916. Außerdem mussten die Interessen der Verbündeten, insbesondere Frankreichs, beachtet werden. Während die Mehrheit der Bevölkerung nichts anderes als einen überzeugenden Sieg forderte und die britische Presse jeden Anschein von Kompromisslösungen verriss, war die englische Koalitionsregierung tief gespalten zwischen konservativen Hardlinern und liberalen Kräften. Schließlich setzten sich die Konservativen um Kolonialminister Andrew Bonar Law schließlich durch, und der englische Kriegsausschuss votierte gegen eine Friedensinitiative und für die umstrittene Offensive an der Somme. Maßgeblich gefördert wurde die Entscheidung vom militärischen Oberbefehlshaber General William Robertson und dem liberalen Hoffnungsträger David Lloyd George. Erhoffte sich Ersterer militärische Meriten, so glaubte Letzterer, trotz mannigfacher Zweifel, nach einem siegreichen Ende des Krieges nur mit konservativer Unterstützung als nächster Premier in die Downing Street einziehen zu können.

David Lloyd George (1863 − 1945) hatte bereits mehrere Ministerämter in britischen Kabinetten inne gehabt, bevor er am 7. Dezember 1916 zum Premierminister ernannt wurde. Er setzte sich energisch für die Fortführung des Krieges ein. Dieser sollte erst nach dem völligen „knock out“ Deutschlands beendet werden.

Aber auch von anderer Seite wurde die HouseMission torpediert. Sowohl Präsident Wilson als auch sein Außenminister Robert Lansing versuchten sich gleichzeitig an einer Initiative in Richtung Deutschland. Berlin sollte auf die Versenkung britischer Handelsschiffe verzichten und London sich im Gegenzug dazu bereit erklären, diese zu entwaffnen. An der Themse empfand man diese Doppeldiplomatie als Verrat, und House musste sich intensiv darum bemühen, die Gespräche mit der britischen Führung überhaupt in Gang zu halten. Letztlich, so urteilte Außenminister Grey, musste die britische Armee ihr Glück an der Somme versuchen. Erst dann sei der britischen Bevölkerung wie

95 An der britischen Heimatfront kracht es

zember. Wollte der Reichskanzler den Sieg über Rumänien nutzen, um ohne zwingende Angebote zu Verhandlungen zu kommen, so sah der Vorschlag Wilsons eine große Friedenskonferenz vor. Zum Verhängnis wurde diesen Vorstößen ihre zeitliche Nähe zueinander. Berlin lehnte mit Verweis auf die eigene Initiative ab, und wenig später lehnten auch die Ententemächte, die eine Komplizenschaft vermuteten, jede Verhandlung ab. Frankreich und England gaben sich entschlossen, den Krieg bis zur vollständigen Niederwerfung Deutschlands fortzuführen. Unter begeisterter Zustimmung erklärte Aristide Briand im französischen Abgeordnetenhaus jeden Gedanken an Verhandlungen mit dem Kaiserreich für „entwürdigend und ehrlos“. Als ob gerade das Jahr 1916 an der Somme nicht genug Opfer gekostet hatte, pflichtete ihm Lloyd George bei, indem er wenige Tage später forderte, den Krieg gegen Deutschland bis zu dessen völligem „knock out“ zu führen.

Der britische Luxusdampfer „Lusitania“ wurde am 7. Mai 1915 von einem deutschen U-Boot vor der Küste Irlands versenkt (Gemälde). Fast 1200 Menschen, darunter 127 Amerikaner, kamen dabei ums Leben. Zwar protestierten die USA scharf gegen den Angriff, traten vorerst aber noch nicht in den Krieg ein.

auch dem Kabinett vielleicht ein politischer Neustart vermittelbar. Aber die Enttäuschungen an der Somme förderten einmal mehr verhärtete Positionen zutage. Mit der Wahl Lloyd Georges zum Premierminister Anfang Dezember 1916 galt es als beschlossene Sache, dass der Krieg mit aller Energie fortgesetzt werde. Der Leidensdruck der Völker war noch immer nicht groß genug, so dass der Frieden auch im dritten Kriegsjahr noch keine echte Chance bekam. Dies galt auch für die Friedensresolution Bethmann Hollwegs im Reichstag vom 6. Dezember 1916 und die wenig später verschickte, aber bereits von längerer Hand geplante Note Woodrow Wilsons an die kriegführenden Mächte vom 18. De-

96 Die Diplomatie im Krieg

U-Boot-Krieg und Kriegseintritt der USA

mehr aufzuhalten. Die deutsche Außenpolitik verlor nun auch noch den letzten Spielraum für eine Friedenspolitik und einen wichtigen Vermittler. Das konnte auch nicht mehr durch die russische Februarrevolution und den Ausfall des Zarenreiches ausgeglichen werden. Der Krieg trat in seine letzte Phase. Gleiches galt auch für die Diplomatie. Bis die militärische Schlagkraft der USA das europäische Festland erreichte, kam es noch zu verschiedenen geheimen, aber letztlich erfolglosen Vermittlungsversuchen.

Im Januar fiel im Großen Hauptquartier in Pleß die folgenreiche Entscheidung Deutschlands, den uneingeschränkten U-Boot-Krieg zum 1. Februar 1917 wiederaufzunehmen. Deutlicher konnte die deutsche Führung nicht zum Ausdruck bringen, dass sie den Vorschlägen Woodrow Wilsons ablehnend gegenüberstand und fortan alles auf eine Karte setzen wollte. Zwar versuchte Bethmann Hollweg noch, den amerikanischen Vorschlag eines „Friedens ohne Sieg“ aufzugreifen, doch die U-Boote waren bereits ausgelaufen. Als dann auch noch über britische Geheimdienstkanäle das sogenannte ZimmermannTelegramm bekanntwurde, in dem der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Mexiko ein antiamerikanisches Bündnis anbot, war der Kriegseintritt der USA nur noch eine Frage der Gelegenheit. Diese bot sich Mitte März, als einige Amerikaner bei einer UBoot-Attacke auf englische Handelsschiffe ums Leben kamen. Die Vermittlungsversuche hatten nichts geholfen. Am 6. April 1917 befanden sich die USA und Deutschland im Krieg. Die Eskalation und Ausweitung des Konflikts auf die USA war fraglos der schwerste diplomatische Fehler Berlins im Ersten Weltkrieg. Nicht nur war die Niederlage jetzt nicht

Wilsons 14 Punkte und der „Sieg ohne Frieden“ Das letzte Kriegsjahr begann mit einem Paukenschlag: Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson strebte mit seinen 14 Punkten einen grundsätzlichen Wandel in den zwischenstaatlichen Beziehungen an. Mit der traditionellen Geheimdiplomatie sollte Schluss sein, und das europäische Mächtesystem sollte grundsätzlich umgestaltet werden. Vor allem die Einheit der Donaumonarchie wurde zur Disposition gestellt, was den Mittelmächten als vollkommen inakzeptabel erschien. Noch immer war der Kurs der inzwischen die Richtung vorgebenden dritten Obersten Heeresleitung (OHL) unter Paul von Hindenburg und Erich Lu-

USA im Krieg: Am 2. April 1917 forderte US-Präsident Woodrow Wilson (1856 −1924) bei einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Abgeordnetenhaus den USKongress auf, den Kriegsbeitritt der USA zu beschließen. Zuvor hatten deutsche U-Boote mehrere US-Schiffe versenkt.

97 Wilsons 14 Punkte und der „Sieg ohne Frieden“

dendorff auf Sieg ausgerichtet. Der Diktatfriede von Brest-Litowsk hatte schließlich bedeutende Kräfte freigesetzt. In einer anderen Hinsicht entsprachen die Vorstellungen Wilsons aber auch den traditionellen europäischen Gepflogenheiten. Deutschland sollte zwar niedergerungen, aber nicht diskriminiert und nicht gedemütigt werden. Während Engländer und Franzosen die Auffassung vertraten, das Kaiserreich für sehr lange Zeit aus der wirtschaftlichen und politischen Nachkriegsordnung auszuschließen, forderte Wilson, wie nach 1815 mit Frankreich geschehen, die allmähliche Integration Deutschlands in eine neue Ordnung. Das war der Grundgedanke, den er schon im Jahr zuvor in seiner Jahresbotschaft vom „Frieden ohne Sieg“ an den Senat artikuliert hatte. Im Deutschen Reich, namentlich von der OHL, erntete Wilson dafür nur Spott. Vier Jahre hatte nun schon das Schlachten als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ gedauert. Immer wieder war es zu vereinzelten Versuchen gekommen, der Politik wieder zu ihrem Recht zu verhelfen und aus der Spirale der Gewalt auszubrechen. Immer wieder aber haben der Kriegsverlauf, die aufgepeitschte Öffentlichkeit, schwierige innenpolitische Gemengelagen, aber auch die Diskrepanz von Kriegszielen, Koalitionsinteressen und Friedensinitiativen einen Verhandlungsfrieden verhindert. Genauso, wie die übertriebenen Zielvorstellungen Deutschland auf dem Weg zu einem Ver-

handlungsfrieden immer wieder im Weg gestanden haben, so verhinderte auch der Koalitionszusammenhalt der Alliierten, einen Ausweg zu finden. Über den Frieden – darin waren sich die europäischen Kriegsgegner bis zum Schluss einig – sollte auf dem Schlachtfeld, nicht am Verhandlungstisch entschieden werden. Besonders auffällig war dabei, wie wenig sich die Regierungsverantwortlichen mit einer legitimen Nachkriegsordnung beschäftigten. Sogar bis über den Krieg hinaus wurde verkannt, dass Annexionen das eigene Land nicht sicherer machen, sondern es viel eher dem Revanchegeist des Verlierers aussetzen würden. So verpasste auch die deutsche Führung der OHL die letzte Gelegenheit zum rechtzeitigen Ausstieg aus dem Krieg und setzte weiterhin auf Sieg. Als nach dem britischen Durchbruch bei Amiens am 8. August 1918 die Niederlage unabwendbar geworden war, stahlen sich Hindenburg und Ludendorff aus der Verantwortung. Nun sollten die Politiker und Diplomaten „die Suppe auslöffeln“. Das Ergebnis des Pariser Friedenskongresses war denn auch alles andere als ein „Frieden ohne Sieg“. Vielmehr sollte er sich als „Sieg ohne Frieden“ herausstellen.

Dr. Andreas Rose, geb. 1976, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Bonn.

98 Die Diplomatie im Krieg