Krieg und Politik im 21. Jahrhundert

Martin Hoch Krieg und Politik im 21. Jahrhundert I. Einleitung ¹Krieg ist die Hælle.ª1 So das knappe, aber provokante Resçmee von William T. Sherman ...
Author: Maja Hartmann
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Martin Hoch

Krieg und Politik im 21. Jahrhundert I. Einleitung ¹Krieg ist die Hælle.ª1 So das knappe, aber provokante Resçmee von William T. Sherman (1830 ± 1891), einem der erfolgreichsten Generåle der Union im amerikanischen Bçrgerkrieg, gegen Ende seiner militårischen Karriere im Jahre 1879. Nur wenige andere Themen vermægen es ± wie der Krieg ±, in politischen und akademischen Diskussionen Emotionen freizusetzen und Ûberzeugungen aufeinander prallen zu lassen, stehen sich dabei doch oft gegensåtzliche Menschenbilder und Weltsichten gegençber. Den Ausfçhrungen çber die Zukunft des Krieges, die im Mittelpunkt dieses Beitrags steht, seien daher einige Bemerkungen grundsåtzlicher Natur vorangestellt. Krieg ist ein universales Phånomen in der Geschichte und ein zentraler Bestandteil menschlicher Erfahrung: Er ist zu finden bei nahezu allen Vælkern und Kulturen, in fast allen Perioden und Erdteilen2. Spåtestens seit dem Neolithikum ist die Geschichte der Menschheit auch eine Geschichte des Krieges. Eine Selbstverståndlichkeit ist der Krieg deswegen aber nicht: Es ist vielmehr der Frieden, der durch nahezu alle Kulturen und Perioden als konzeptioneller Bezugspunkt menschlichen Handelns, als ¹Normalzustandª angesehen wird. Der Krieg hingegen wird als Ausnahme empfunden und erfordert, im Gegensatz zum Frieden, aufgrund seines agonalen Charakters fast durchgångig eine besondere Begrçndung oder Rechtfertigung3. Der vorliegende Text ist die çberarbeitete Fassung eines Vortrages vor dem Internationalen Clausewitz-Zentrum an der Fçhrungsakademie der Bundeswehr in Hamburg am 7. Dezember 2000. 1 Zitiert nach Robert Cowley/Geoffrey Parker (Hrsg.), The Reader's Companion to Military History, Boston ± New York 1996, S. 424. 2 Hierzu und zum Folgenden vgl. Martin Hoch, Vater aller Dinge? Zur Bedeutung des Kriegs fçr das Menschen- und Geschichtsbild, in: Mittelweg 36, 8 (1999) 6, S. 30 ± 48, hier S. 30 ± 32. 3 Vgl. Lawrence H. Keeley, War Before Civilization. The Myth of the Peaceful Savage, New York ± Oxford 1996, S. 143 ± 147; John Keegan, A History of Warfare, London 1993, S. 386 (deutsche Ûbersetzung: Die Kultur des Krieges, Berlin 1995).

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Gleichwohl ist Krieg aber von Menschen durch die Geschichte hindurch als ein Erfolg versprechendes Instrument politischer Interaktion angesehen worden. Offenbar sind Menschen fçr eine Vielzahl von Motiven bereit, Leben zu nehmen beziehungsweise ihr eigenes Leben zu verlieren. Dieser Sachverhalt rechtfertigt oder verharmlost Krieg in keiner Weise. Er macht aber deutlich, dass das hehre Ziel der vollståndigen Eliminierung einer derart widerstandsfåhigen sozialen Institution wie des Kriegs sehr schwer zu erreichen ist. Und zwar zu schwierig, als dass man es bereits durch eine bloûe Feinabstimmung schon vorhandener oder in der Entwicklung befindlicher Regulationsmechanismen der internationalen Politik oder des Vælkerrechts erreichen kænnte. Aller Voraussicht nach wird Krieg ± und zwar weitgehend unabhångig von seiner ethischen Stigmatisierung ± ein zentraler Bestandteil des politischen Wirkens auch im 21. Jahrhundert sein. Welche Formen er dabei annehmen wird, welche Entwicklungen fçr die Transformation des Kriegs bestimmend sein werden und welche Konsequenzen sich daraus fçr die Zukunft des Krieges sowie fçr das Verhåltnis von Krieg und Politik ergeben werden, ist Gegenstand der folgenden Ûberlegungen.

II. ¹Groûer Kriegª und ¹kleiner Kriegª In der auf die Neuzeit fokussierten, eurozentrischen Perspektive erscheint der Krieg zwischen Staaten bzw. zwischen den regulåren Streitkråften dieser Staaten als Normalfall. Der Krieg in seiner zwischenstaatlichen Form hat bis in die Gegenwart hinein das Bild des Krieges nicht nur in Politik, Streitkråften und Úffentlichkeit, sondern auch in der Wissenschaft geprågt. Durch eine solche Sichtweise wurde und wird jedoch verdeckt, dass der Krieg zwischen Staaten nur in einer vergleichsweise kurzen historischen Phase und in einem beschrånkten geographischen Raum die vorherrschende Kriegsform war. Die Auffassung vom Krieg als einem Rechtszustand zwischen Staaten setzte sich zuerst in der Aus Politik und Zeitgeschichte

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Folge des Dreiûigjåhrigen Krieges in Europa durch und ist in engem Zusammenhang mit der Herausbildung des Territorialstaates zu sehen. Nunmehr hatten allein Staaten bzw. ihre regulåren Streitkråfte das Recht, Krieg zu fçhren. Dies bedeutete gegençber der Katastrophe des Dreiûigjåhrigen Krieges auch eine Einhegung des Krieges: Er sollte von nun an nach den kodifizierten Regeln eines immer weiter ausdifferenzierten Kriegsrechts und Kriegsvælkerrechts gefçhrt werden. Eine der wichtigsten Auswirkungen war, dass ± zumindest in der politischen und militårischen Vorstellungswelt ± im Regelfall nur noch die Streitkråfte des Gegners als legitimes Ziel militårischer Handlungen gelten sollten, nicht aber die Zivilbevælkerung. Diese Einhegung des Krieges war allerdings auf die Beziehungen zwischen europåischen bzw. atlantischen Staaten beschrånkt: Bezeichnenderweise galten die rechtlichen Beschrånkungen, die nach dem Ende des Dreiûigjåhrigen Krieges in diesem zwischenstaatlichen Kriegskonzept zum Tragen kamen, nicht fçr die gleichzeitigen Kriege dieser Staaten in ihren Kolonien oder gegen andere, nichteuropåische Vælker. Sowohl in der Zeit vor dem Dreiûigjåhrigen Krieg wie parallel zum zwischenstaatlichen Krieg in der Zeit nach 1648 war und ist stets auch eine ganz andere Kriegsform pråsent. Sie ist nicht ± wie der zwischenstaatliche Krieg ± durch gegenseitig anerkannte Regeln gekennzeichnet, sondern gerade durch deren Abwesenheit. Es sind dies die so genannten ¹kleinen Kriegeª4. Synonym spricht man auch von low-intensity conflicts, von ¹asymmetrischen Kriegenª oder von ¹Partisanen-ª bzw. ¹Guerillakriegenª5; kçrzlich sind Bezeichnungen wie ¹postnationaler Kriegª6 und ¹neo-hobbesscher Kriegª7 hinzugekommen. Dabei handelt es sich um all jene Kriege, die nicht zwischen den 4 Der Begriff des ¹kleinen Kriegesª im deutschen Sprachgebrauch geht auf Carl von Clausewitz zurçck, der ihn in Abgrenzung zu den zwischenstaatlichen, den ¹groûen Kriegenª verwendet. Vgl. Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen çber den kleinen Krieg, gehalten auf der KriegsSchule 1810 und 1811, in: ders., Schriften, Aufsåtze, Studien, Briefe, Bd. 1, hrsg. von Werner Hahlweg, Gættingen 1966, S. 208 ± 599. 5 Der spanische Begriff ¹guerillaª bedeutet wærtlich ¹kleiner Kriegª; im Deutschen hat die teilweise tautologische Bezeichnung ¹Guerillakriegª Verbreitung gefunden. 6 Vgl. Ulrich Beck, Ûber den postnationalen Krieg, in: Blåtter fçr deutsche und internationale Politik, 44 (1999) 8, S. 984 ± 990. 7 Trutz von Trotha, Formen des Krieges. Zur Typologie kriegerischer Aktionsmacht, in: Sighard Neckel/Michael Schwag-Trapp (Hrsg.), Ordnungen des Krieges. Beitråge zu einer politischen Soziologie der Gewalt und des Krieges, Opladen 1999, S. 71 ± 95, hier S. 92.

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regulåren Armeen moderner Staaten ausgefochten werden. In unserer Zeit treffen in kleinen Kriegen zumeist die regulåren Streitkråfte von Staaten und nichtstaatliche Akteure als Gegner aufeinander. Keine der angefçhrten Bezeichnungen wird dem Phånomen des kleinen Krieges wirklich gerecht; in ihm offenbart sich die ursprçngliche, ungehemmte Form des Krieges8. Sie umfasst Aufstånde ebenso wie Bçrgerkriege, Eroberungskriege oder Vernichtungskriege. Bei ihnen handelt es sich um die çberwiegende Mehrzahl der Kriege in der Geschichte der Menschheit. Die groûen, zwischen Staaten und regulåren Streitkråften sowie unter Einhaltung gegenseitig vereinbarter Regeln gefçhrten Kriege sind demgegençber die Ausnahme gewesen9. Und die kleinen Kriege sind nicht notwendigerweise ¹kleinerª als die groûen Kriege ± weder in ihrer Intensitåt noch in ihrer Dauer, noch in ihrer Zerstærungskraft. Kennzeichnend fçr die kleinen Kriege ist die Abwesenheit bzw. Durchbrechung verbindlicher Regeln fçr die Kriegfçhrung, die in der fehlenden Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, dem Herzstçck des modernen humanitåren Vælkerrechts, am augenfålligsten wird10. Aber auch die Grenzen zwischen Krieg und Frieden sind in ihnen flieûend: Die Folge ist, dass die gewohnte klare (und in rechtlichen Kategorien gefasste) Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden, welche dem modernen westlichen Verståndnis zugrunde liegt, fçr kleine Kriege gar nicht mehr getroffen werden kann. Auch die enge Verbindung mit mehr oder minder organisierter Kriminalitåt ± etwa dem Drogenhandel, um nur ein Beispiel zu nennen ± ist fçr den kleinen Krieg typisch11. 8 Zum totalen Charakter von Kriegen in vormoderner Zeit vgl. L. H. Keeley (Anm. 3), S. 175 f., sowie T. v. Trotha (Anm. 7), S. 75 ± 79. 9 Es liegt auf der Hand, dass der groûe und der kleine Krieg als Idealtypen anzusehen sind, die nicht notwendigerweise, falls çberhaupt, in reiner Form auftreten. Allein anhand der Verfasstheit der Gegner (Staat gegen Staat bzw. Staat gegen nichtstaatlichen Akteur) låsst sich eine klare Unterscheidung treffen. 10 Aus diesem Grund wird fçr den kleinen Krieg auch der Begriff des ¹nicht-trinitarischen Kriegesª verwendet, in dem die fçr moderne Staaten charakteristische Unterscheidung zwischen Regierung, Streitkråften und Bevælkerung nicht gegeben ist. Vgl. Martin van Creveld, The Transformation of War, New York 1991, S. 35 ± 62 (deutsche Ûbersetzung: Die Zukunft des Krieges, Mçnchen 1998). 11 Zu Kriminalitåt als Strukturmerkmal des operativen Umfeldes westlicher Militåreinsåtze im 21. Jahrhundert vgl. Alice Hills, Doctrine, Criminality, and Future British Army Operations: A Half-Completed Understanding, The Occasional, Nr. 39, Camberley 2000.

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Der kleine Krieg ist per definitionem entgrenzt, alle Mittel kommen in ihm zum Einsatz, und oft nimmt er in seiner charakteristischen Brutalitåt ± insbesondere gegençber Nichtkombattanten, hier vor allem Frauen und Kinder12 ± Zçge an, die mit dem Phånomen des totalen Krieges in Zusammenhang gebracht werden: Die Gesamtheit des Gegners, und nicht nur dessen Kombattanten, wird als Feind angesehen und bekåmpft13. Die Symmetrie, also die Beschrånkung des Kampfes auf die Kombattanten, kennzeichnet den groûen Krieg; fçr den kleinen Krieg hingegen ist die bewusst angestrebte Asymmetrie im Kampf gegen die verwundbarste Stelle des Gegners, eben die Nichtkombattanten, charakteristisch. Daher rçhrt der hohe Anteil von Zivilisten unter den Opfern kleiner Kriege. Auch regulåre Streitkråfte, die in einem kleinen Krieg gegen irregulåre Kråfte eingesetzt werden, tendieren dazu, sich die regellose Kampfesweise des Gegners zu Eigen zu machen14. Kleine Kriege werden oft in schwierigem Terrain ± wie urbanen Groûråumen, Dschungeln bzw. bewaldeten Gebieten oder schwer zugånglichen Bergregionen ± ausgefochten, auf dem die vergleichsweise schweren und hochtechnologieorientierten Kampf- und Aufklårungsmittel regulårer Streitkråfte nur in begrenztem Umfang eingesetzt werden kænnen15. Auch der rasante technische Fortschritt und die praktisch unbeschrånkte Nutzbarmachung von Kommunikations- und Informationstechnologien begçnstigen die nichtstaatlichen Akteure: Immer kleinere Einheiten verfçgen çber immer græûere Kråfte, z. B. bei Hacker-Angriffen auf Datennetze, dem so genannten cyber bzw. information warfare. Gerade solchen Gegnern kommt zugute, dass sie mit preiswerten Mitteln eine groûe Wirkung erzielen kænnen, dass sie schwer zu identifizieren sind und keinen klar definierten Aufenthaltsort oder eine Basis haben, die sie angreifbar machen wçrden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs rçckten die kleinen Kriege zunåchst als Befreiungskriege 12 Vgl. Volker Matthies, Immer wieder Krieg?, Opladen 1994, S. 43 ± 48. 13 Vgl. L. Keeley (Anm. 3), S. 175 f.; T. v. Trotha (Anm. 7), S. 75 ± 79, sowie Stig Færster, Das Zeitalter des totalen Kriegs, 1861 ± 1945. Konzeptionelle Ûberlegungen fçr einen historischen Strukturvergleich, in: Mittelweg 36, 8 (1999) 6, S. 12 ± 29, hier S. 13 f., 29. 14 Vgl. Christopher Daase, Kleine Kriege ± Groûe Wirkung. Wie unkonventionelle Kriegfçhrung die internationale Politik veråndert, Baden-Baden 1999, S. 100 f., 231 ± 233. 15 Vgl. Dan Gour, Coping with Chaos, in: Jane's Defence Weekly vom 17. Januar 2001, S. 22 ± 26, hier S. 24, sowie Jçrgen Uchtmann, Einsatz in schwierigem Gelånde und bebautem Gebiet, in: Europåische Sicherheit, 49 (2000) 11, S. 33 ± 38.

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gegen Kolonial- oder Besatzungsmåchte und seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes vermehrt in der Form ethnisch motivierter Konflikte, wie etwa auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, wieder stårker in das Bewusstsein der Úffentlichkeit; gleichzeitig gewinnen sie auch in den Ûberlegungen von Politik und Streitkråften immer mehr an Bedeutung. Die treibende Kraft dieser Entwicklung ist die zahlenmåûig starke Zunahme von nichtstaatlichen Akteuren in der internationalen Politik, die auch immer mehr Gewicht und Einfluss erlangen. Zu ihnen zåhlen neben klassischen Befreiungsbewegungen und Guerillaorganisationen Strukturen der organisierten Kriminalitåt, private military companies16 sowie private Sicherheits- und Nachrichtendienstorganisationen17. Sie kænnen sowohl im eigenen Interesse als auch im Auftrag eines Staates oder eines anderen nichtstaatlichen Akteurs tåtig werden. Es liegt auf der Hand, dass das Beziehungsgeflecht der internationalen Politik durch diese Entwicklung erheblich komplexer gestaltet wird. In der strategischen Community ist diese Entwicklung unter dem Schlagwort der ¹Rçckkehr des Mittelalters in der Sicherheitspolitikª gelåufig. Diese Formulierung beschreibt, dass Staaten nicht långer die einzigen Tråger von Gewalt in der internationalen Politik sind. Die Folge einer zunehmenden Privatisierung von Gewalt und Krieg ist die Auflæsung des staatlichen Gewaltmonopols und das Nebeneinander bzw. die Konkurrenz staatlicher und nichtstaatlicher Machtausçbung18. Die Mehrzahl der Kriege seit 1945 wurde und wird nicht zwischen Staaten, sondern zwischen Staaten und nichtstaatlichen Akteuren gefçhrt, sind also kleine Kriege; sie werden als vorherrschende Kriegsform das Bild des 21. Jahrhunderts entscheidend mit prågen. Daraus folgt jedoch nicht, dass im Konfliktspektrum des 21. Jahrhunderts generell die kleinen Kriege an die Stelle der groûen Kriege treten werden19. Kennzeichnend fçr das 21. Jahrhundert wird 16 Vgl. hierzu David Shearer, Private Armies and Military Intervention, Adelphi Papers, Nr. 316, Oxford 1998. 17 Es gibt noch eine Anzahl weiterer nichtstaatlicher Akteure, wie etwa global agierende Wirtschaftsunternehmen oder Nicht-Regierungsorganisationen, die aber als unmittelbar kåmpfende Parteien in militårischen Konflikten (noch) nicht auftreten, auch wenn sie durchaus an Konflikten beteiligt sein bzw. auf diese Einfluss nehmen kænnen. 18 Vgl. grundlegend Herfried Mçnkler, Die privatisierten Kriege des 21. Jahrhunderts, in: Merkur, 55 (2001) 3, S. 222 ± 234. 19 Zur Diskussion çber die Frage, ob der zwischenstaatliche Krieg als ein çberholtes Konzept anzusehen ist, vgl. Michael Mandelbaum, Is Major War Obsolete?, in: Sur-

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eine Vervielfåltigung der Konfliktszenarien sein, nicht ein Ersatz von bisherigen Szenarien durch andere. Auch Szenarien massiver konventioneller Konflikte zwischen regulåren Streitkråften von Staaten wird es weiterhin geben, wie auch die Mæglichkeit eines nuklearen Schlagabtausches oder des Einsatzes von biologischen und chemischen Waffen. Daneben wird es aber eine Vielzahl weiterer, asymmetrischer Konfliktszenarien geben, in denen nichtstaatliche Akteure eine zentrale Rolle spielen.

III. Die Unterscheidbarkeit ziviler und militårischer Ziele Unabhångig von der zu erwartenden Zunahme kleiner Kriege ergeben sich auch fçr Szenarien groûer Kriege zwischen den regulåren Streitkråften von Staaten nicht zu unterschåtzende Verånderungen. Bemerkenswerterweise konvergiert die wichtigste dieser Entwicklungen des groûen Krieges mit einem zentralen Wesensmerkmal des kleinen Krieges, nåmlich der fehlenden Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, zwischen zivilen und militårischen Zielen. Die Unterscheidung ± pråziser gesagt: die Unterscheidbarkeit ± ziviler und militårischer Ziele stellt das groûe Problem des zwischenstaatlichen Krieges im 21. Jahrhundert dar. Die Unterscheidung zwischen (legitimen) militårischen und (zu vermeidenden) zivilen Zielen bzw. zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten ist in den westlichen Gesellschaften wie in den Streitkråften verinnerlicht worden. In unserer Zeit kann der Vorwurf der Barbarei nur noch in den seltensten Fållen erhoben werden; zu diesen Ausnahmen zåhlt aber bezeichnenderweise die bewusste Kriegfçhrung gegen Nichtkombattanten, vor allem Frauen und Kinder. An diesem Sachverhalt wird deutlich, wie sehr die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten zu einem zentralen Bestandteil des westlichen zivilisatorischen Selbstverståndnisses geworden ist20. Es ist folglich nur konsequent, dass die durch den Einsatz von Pråzisionswaffen versprochene Trennschårfe zwischen zivilen und militårischen Zielen ± vival, 40 (1998) 4, S. 20 ± 38, sowie die Repliken darauf: Is Major War Obsolete? An Exchange, in: Survival, 41 (1999) 2, S. 139 ± 152. 20 Vgl. Andreas Herberg-Rothe, Gewalt als Lebensform. Ein unguter Paradigmenwechsel in der Kriegstheorie, in: Frankfurter Rundschau vom 26. Oktober 2000.

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ein Kernaspekt der so genannten Revolution in Military Affairs21 ± eine wichtige Rolle bei der Legitimierung von westlichen Militåreinsåtzen gegençber der eigenen Bevælkerung spielt: Im Kosovokrieg sollte der Einsatz von Pråzisionswaffen so genannte Kollateralschåden an zivilen Personen und Einrichtungen nach Mæglichkeit vermeiden. Bekanntlich wurden zahlreiche Ziele nicht angegriffen, weil deren eindeutige Identifizierung nicht mæglich war, wåhrend die gelegentliche Zerstærung ziviler Ziele als Folge von Planungsfehlern, Fehlidentifizierungen oder unglçcklichen Konstellationen zu einem Sturm der Entrçstung fçhrte und hektische apologetische Bemçhungen von Seiten der NATO zur Folge hatte. Analysten wie etwa Martin von Creveld argumentieren nun aber, dass es gerade die Zerstærung der serbischen Infrastruktur war, welche Serbien zum Einlenken brachte ± also die Zerstærung nicht rein militårischer Ziele, sondern von solchen, die sowohl fçr den militårischen Apparat als auch fçr die Zivilbevælkerung wichtig waren22. Dabei ist die mangelnde Fåhigkeit, bei der Infrastruktur des Gegners zwischen zivilen und militårischen Zielen zu unterscheiden, ausdrçcklich nicht auf unzureichende technische Mæglichkeiten, versehentliche Fehlidentifizierungen oder gar ein bewusstes Aufgeben der Unterscheidung ziviler und militårischer Ziele zurçckzufçhren. Es geht vielmehr darum, dass eine solche Unterscheidung nicht mehr vorgenommen werden kann, weil sie keine Entsprechung in der Realitåt mehr hat: An der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert kænnen weite Teile der Infrastruktur einer Konfliktpartei nicht mehr in zivile und militårische Komponenten aufgeteilt werden. Dies ist unter anderem eine Folge des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts, der sich bereits in den Kriegen des 19. und 20. Jahrhunderts in einer deutlichen Tendenz zur Totalisierung konkretisiert hat23. Konfliktparteien greifen ganz selbstverståndlich auf såmtliche Ressourcen zu, 21 Vgl. hierzu Martin Hoch, Die ¹Revolution in Military Affairsª ± Zur Kritik eines Mythos, in: Europåische Sicherheit, 49 (2000) 8, S. 51 ± 54; Steven Metz, Armed Conflict in the 21st Century. The Information Revolution and Post-Modern Warfare, Carlisle, Pa. 2000; ferner die Beitråge in dem Sammelband von Erwin J. Mattes/Alexander Graf von Westerholt (Hrsg.), Revolution in Military Affairs (RMA), Rosenburg-Papiere, Nr. 4, Bonn 2000. 22 So in seinem Vortrag vor der Bundesakademie fçr Sicherheitspolitik, Bonn, 19. August 1999. 23 Zu der Unterscheidung von modernem und totalem Krieg vgl. Hew Strachan, On Total War and Modern War, in: The International History Review, 22 (2000) 2, S. 341 ± 370.

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die fçr Kriegsanstrengungen eingesetzt werden kænnen, einschlieûlich der meisten çberwiegend zivil genutzten, wie etwa die Strom-, Kommunikations- oder Verkehrsnetze, um nur einige Beispiele zu nennen. Diese werden damit aber auch zum Ziel der militårischen Schlåge des Gegners. Und mit der Verfçgbarkeit von Flugzeugen und weitreichenden Abstandswaffen kænnen sich die Kampfhandlungen vom ersten Tag an auf das gesamte Territorium des Gegners und auf alle seine kriegswichtigen Ressourcen erstrecken. Die herkæmmliche Unterscheidung zwischen der Front und den rçckwårtigen, unmittelbaren Kampfhandlungen entzogenen Gebieten wird damit aufgelæst. Auch die zunehmende Verlagerung von Kampfhandlungen in Stådte und bebautes Gelånde, und damit in eine Konzentration von Nichtkombattanten hinein, erhæht die Wahrscheinlichkeit, dass zivile Personen und Einrichtungen zu Schaden kommen.

Sachverhalt sehr viel geschickter zunutze machen, als es im Kosovokrieg die serbische Propaganda vermochte. Deren im Ûbermaû vorgetragene Behauptungen, NATO-Luftangriffe håtten Wohngebiete, Krankenhåuser und Schulen zum Ziel gehabt, unterminierte letztlich nur die serbische Glaubwçrdigkeit weiter. In zukçnftigen Konflikten wird der Vorwurf gegen westliche Staaten, gegen die eigenen ethischen Grundsåtzen zu verstoûen, mit groûer Sicherheit der Kernpunkt eines intensiven æffentlichen Propagandakrieges sein, der parallel zu den physischen Kampfhandlungen stattfinden wird und diese an Bedeutung sogar çbertreffen kænnte.

Wåhrend die westlichen politischen und militårischen Fçhrungen ihrem Selbstverståndnis gemåû von einer fortgesetzten Unterscheidbarkeit ziviler und militårischer Ziele ausgehen (und ausgehen mçssen), ist diese Unterscheidung in der Realitåt immer weniger gegeben. Die groûe Herausforderung des Krieges im 21. Jahrhundert besteht daher nicht darin, ein Ziel mæglichst genau zu treffen, sondern darin zu entscheiden, was çberhaupt als ein legitimes Ziel anzusehen ist. Letztlich ist die Frage, ob es sich bei einer Brçcke, einem Telefonknotenpunkt, einer Raffinerie oder einer Stromerzeugungsanlage um ein legitimes Ziel handelt, nicht mit Sicherheit und schon gar nicht a priori zu beantworten. Die Entscheidung çber die faktische Legitimitåt eines Zieles wird ± zumindest in den westlichen Staaten ± durch die Akzeptanz der Militåraktionen in den eigenen Bevælkerungen (und damit in der Regel im Nachhinein) getroffen und ist in hohem Maûe von den Umstånden des Einzelfalls abhångig. Diese Akzeptanz ist in erster Linie das Ergebnis eines politischen und gesellschaftlichen Diskussionsprozesses; sie kann weder durch eine technische noch durch eine juristische Definition herbeigefçhrt oder ersetzt werden24.

Im westlichen Verståndnis ist Krieg ± ganz im Sinne Carl von Clausewitz' (1780 ± 1831) ± als Fortsetzung der Politik, als Ultima Ratio zu begreifen. In seinen eigenen Worten: ¹So sehen wir also, dass der Krieg nicht bloû ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchfçhren desselben mit anderen Mitteln.ª25

Wahrscheinlich wird ein kçnftiger Kriegsgegner sich in seiner psychologischen Kriegfçhrung diesen 24 Dabei wird der Aspekt der Kollateralschådenbegrenzung und der Verhåltnismåûigkeit der Mittel bei friedensschaffenden und friedenserhaltenden Missionen westlicher Streitkråfte ± und diese zåhlen zu den wahrscheinlichsten Einsatzszenarien fçr das 21. Jahrhundert ± sicherlich eine græûere Rolle spielen als bei solchen Konflikten, in denen vitale westliche Interessen berçhrt sind.

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IV. Clausewitz und die Transformation des Krieges

In den westlichen liberalen Gesellschaften und Staaten ist diese Clausewitz'sche Auffassung, welche die rationalen Momente politischen Handelns in den Mittelpunkt stellt, zu einem wesentlichen Teil des politischen und zivilisatorischen Selbstverståndnisses geworden. Dies gilt auch fçr die in engem Zusammenhang damit stehenden Grundsåtze, wie etwa die bereits behandelte Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten oder die im Folgenden angesprochene klare Unterscheidbarkeit von Krieg und Frieden als sich jeweils gegenseitig ausschlieûende Rechtszustånde zwischen Staaten. Es wåre naiv zu glauben, dass man diese Grundwerte und Einstellungen kurzfristig veråndern kænnte, oder auch, dass man sie åndern kænnte, ohne damit zugleich den Charakter liberaler Demokratien substanziell in Frage zu stellen. Mit der Zunahme der kleinen Kriege findet jedoch eine fundamentale Transformation des Gesamtphånomens Krieg statt, die Kriege immer mehr aus der zweckrationalen Sphåre politischen Handelns herauszulæsen scheint: Denn fçr die Entscheidung zum Krieg kænnen nicht nur 25 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, hrsg. von Werner Hahlweg, Bonn 198019, Nachdruck 1991 (Erstpublikation Berlin 1831/34), S. 210.

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zweckrationale Erwågungen ± die Interessen26 ± ausschlaggebend sein, sondern auch fçr Dritte sehr viel schwerer nachvollziehbare ideologische oder emotionale Grçnde. Darçber hinaus kann Krieg auch ein sich selbst gençgender Zweck sein, etwa wenn Gewaltausçbung zur Lebensform wird27. Der zweckrationale Erklårungsansatz im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation ist vor allem da nicht mehr erklårungsmåchtig, wo Kriegfçhrende um ihre Existenz oder als Ausdruck ihrer Identitåt Krieg fçhren. Auch der von westlicher Seite verschiedentlich angefçhrte Kriegsgrund der ¹Wahrung der eigenen Glaubwçrdigkeitª ist keineswegs so rational und fçr Dritte nachvollziehbar, wie es den Anschein haben mag28.

Verkehrs mit anderen Mittelnª31 ist die klar erkennbare Unterscheidbarkeit von Krieg und Frieden angelegt. Auch sie ist zu einem festen Bestandteil der modernen politischen Vorstellungswelt geworden. Das bekannte Axiom von Hugo Grotius (1583 ± 1645), dass es zwischen Krieg und Frieden kein Drittes gebe, traf allerdings immer nur auf das als Rechtszustand definierte Verhåltnis zwischen Staaten zu. Und selbst hierbei sind im 20. Jahrhundert rechtliche Grauzonen entstanden, etwa bei Zwangsmaûnahmen zur Durchsetzung von Beschlçssen des UN-Sicherheitsrates. Ein Wesensmerkmals des kleinen Krieges ist jedoch gerade die Unmæglichkeit einer klaren Unterscheidung von Krieg und Frieden.

Wie sehr das Ziel eines nichtstaatlichen Akteurs in einem kleinen Krieg von dem klassischen zweckrationalen Denkschema abweichen kann, macht eine Beobachtung Henry Kissingers wåhrend des Vietnamkrieges deutlich: ¹Die Guerilla gewinnt, wenn sie nicht verliert. Die konventionelle Armee verliert, wenn sie nicht gewinnt.ª29 Regulåre Streitkråfte stehen in einem kleinen Krieg in dem Dilemma, dass der Gegner bereits aus der Tatsache eines andauernden Konfliktes Beståtigung der eigenen Ziele sowie Legitimitåt und Anerkennung auf internationaler Ebene gewinnt, und zwar unabhångig vom eigenen militårischen Erfolg30. Eine Intensivierung des Konfliktes zur Niederwerfung des nichtstaatlichen Gegners ± was in einem zwischenstaatlichen Krieg die pråferierte Vorgehensweise wåre ± kann sich unter diesen Vorzeichen in einem kleinen Krieg leicht als kontraproduktiv erweisen. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn eigene Verluste an Menschenleben fçr den staatlichen Akteur ein græûeres Problem darstellen als fçr den nichtstaatlichen Gegner.

Die Clausewitz'sche Sicht des Verhåltnisses von Krieg und Politik weist einen weiteren zentralen Schwachpunkt auf: Fçr das Verståndnis des Krieges im 20. und 21. Jahrhundert ± und zwar sowohl des groûen wie des kleinen Krieges ± greift seine Definition, dass Krieg ¹ein Akt der Gewalt (ist), um den Gegner zur Erfçllung unseres Willens zu zwingenª32, zu kurz. Sie beinhaltet als unausgesprochene Pråmisse, dass der unterlegene Gegner nach dem Krieg physisch fortexistiert. Damit lassen sich aber gerade die fçr das 20. (und vermutlich auch fçr das 21.) Jahrhundert so charakteristischen Kriegsformen nicht mehr fassen: Im Vernichtungskrieg und in ethnisch motivierten Konflikten bedeutet der ¹Willeª der einen Seite die vollståndige Auslæschung der anderen Seite (und nicht etwa nur ihrer Fçhrung bzw. ihrer Kombattanten); ein Unterwerfen unter diesen Willen, um den Krieg zu beenden, kåme einem kollektiven Suizid gleich. Bei diesen tendenziell genozidalen Kriegstypen konvergieren, in den Kategorien von Clausewitz, das militårstrategische Ziel und der politische Zweck, nåmlich die Auslæschung der kollektiven Identitåt und physischen Existenz des Gegners33. Dem Gegner wird hier die Mæglichkeit genommen, durch Einlenken auf Dauer und Verlauf des Krieges Einfluss zu nehmen. Ûbrigens wçrde auch ein denkbarer massiver nuklearer Schlagabtausch, der die Territorien der Krieg fçhrenden Staaten und mæglicherweise sogar die gesamte Erde unbewohnbar machen wçrde, notwendigerweise die Grenzen der Clausewitz'schen Definition sprengen.

In der Clausewitz'schen Definition von Krieg ¹als Fortsetzung und Durchfçhrung des politischen 26 Dabei darf der Begriff der Interessen nicht zu weit gefasst werden: Es geht nicht um zielgerichtetes Handel per se, denn dann wåre der Begriff der Interessen nicht mehr erklårungsmåchtig. Auch ideologisch oder emotional begrçndete Vorgehensweisen kænnen durchaus zielgerichtet sein. Bei der Verfolgung von Interessen geht es um Handeln, das ± fçr Dritte unmittelbar erkennbar und messbar ± zu einem Machtoder Besitzzuwachs fçhrt. Demgegençber sind die Ziele ideologisch oder emotional motivierten Handelns fçr Dritte sehr viel schwieriger nachvollziehbar. 27 Vgl. M. van Creveld (Anm. 10), S. 218 ± 223; J. Keegan (Anm. 3), S. 216 f. 28 Vgl. Michael Howard, When are Wars Decisive?, in: Survival, 41 (1999) 1, S. 126 ± 135, hier S. 127 f. 29 Henry A. Kissinger, The Vietnam Negotiations, in: Foreign Affairs, 47 (1969) 2, S. 211 ± 234, hier S. 214. 30 Dies låsst sich bespielsweise am israelisch-palåstinensischen Konflikt anhand des politischen Aufstiegs der PLO zeigen; vgl. Ch. Daase (Anm. 14), S. 220 ± 228.

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31 C. v. Clausewitz (Anm. 25), S. 210. 32 C. v. Clausewitz, ebd., S. 191 f. 33 Diese genozidalen Tendenzen stellen eine weitere deutliche Intensivierung von Kriegsverlauf und Kriegszielen gegençber politisch motivierten Befreiungskriegen dar, bei denen ± wie etwa in Vietnam und Afghanistan ± vor allem eine fremde Macht aus dem Land verdrångt werden soll.

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V. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 1. Kleine Kriege und groûe Kriege Die zwischenstaatlichen, die groûen Kriege werden nicht aus dem Konfliktspektrum des 21. Jahrhunderts verschwinden. Aber sie werden angesichts der Vervielfåltigung der Konfliktformen und insbesondere aufgrund der Zunahme kleiner Kriege eine ± relativ gesehen ± weniger wichtige Rolle spielen. Nichtsdestoweniger handelt es sich bei den groûen Kriegen um diejenige Kriegsform, fçr die westliche Staaten aufgrund ihres Selbstverståndnisses und aufgrund ihres Potenzials an militårischem Groûgeråt am besten gerçstet sind. Sie werden daher dazu tendieren, militårische Konflikte auch weiterhin auf der Ebene der groûen Kriege auszutragen. Ob dies jedoch gelingen wird und ob dies dann gegen nichtstaatliche Akteure zu den angestrebten militårischen Erfolgen fçhren wird, muss offen bleiben34. Christopher Daase hat çberzeugend argumentiert, dass es eine Reihe von Grçnden gibt, warum Staaten bzw. regulåre Streitkråfte trotz ihrer çberlegenen militårischen Machtmittel prinzipiell groûe Schwierigkeiten haben, sich in asymmetrischen Konflikten gegen nichtstaatliche Akteure durchzusetzen35: Das Grunddilemma des kleinen Krieges ist, dass in einem asymmetrischen Konflikt zwischen einem staatlichen und einem nichtstaatlichen Akteur der Staat erhebliche Nachteile hat. Das Fçhren kleiner Kriege setzt westliche Staaten bzw. Gesellschaften heftigen Spannungen und Verwerfungen aus. Sie geraten durch die Regellosigkeit und Entgrenzung des Krieges in Widerspruch zu ihren eigenen politischen und ethnischen Grundlagen und gefåhrden damit ihre Gesellschaftsordnung. Der nichtstaatliche Gegner zieht aus der Nichtanwendung von Regeln hingegen ausschlieûlich Vorteile, in erster Linie den eines græûeren Handlungsspielraums. Das Selbstverståndnis der westlichen Gesellschaften legt ihren Streitkråften also Beschrånkungen auf, die von den Gegnern in kleinen Kriegen nicht geteilt werden; sie betreffen insbesondere die Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten. 34 Zur spezifischen Logik militårischer Konfrontationen und dem Ausnutzen von Asymmetrien im Krieg vgl. grundlegend Edward N. Luttwak, Strategy. The Logic of War and Peace, Cambridge, Mass. 1987. 35 Vgl. Ch. Daase (Anm. 14), S. 91 ± 102.

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Verletzt aber ein staatlicher Akteur seine eigenen Regeln zur Kriegfçhrung, kann sich eine innenpolitische Opposition oder der Kriegsgegner leicht diesen Umstand argumentativ zunutze machen. 2. Kombattanten und Nichtkombattanten In einem zentralen Punkt konvergieren die kleinen Krieg auf der einen Seite und die Entwicklungen innerhalb des groûen Krieges auf der anderen Seite, nåmlich bei der problematischen Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten bzw. von zivilen und militårischen Zielen. Die seit dem 19. Jahrhundert und durch das ganze 20. Jahrhundert zu konstatierende Tendenz zur Totalisierung des groûen Krieges macht diese Unterscheidung immer schwieriger. Damit geht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem regellosen kleinen Krieg und dem durch internationales Recht eingehegten groûen Krieg verloren. Anders gesagt: Die Schonung von Zivilisten und zivilen Einrichtungen im Krieg beruht auf Voraussetzungen, die heute immer weniger gegeben sind. Ob westliche Gesellschaften ihre Haltung bezçglich der Behandlung von Nichtkombattanten çberhaupt aufgeben kænnen, bleibt offen. Wenn sie es aber tun, wird sich ihr zivilisatorisches Selbstverståndnis substanziell veråndert haben mçssen. Und es gibt durchaus erste Denkansåtze in diese Richtung: In der Folge des Kosovokrieges ist es in Kreisen amerikanischer Militårjuristen zu einer Diskussion çber den zukçnftigen Status der gegnerischen Zivilbevælkerung gekommen. Ausgehend von der Einschåtzung, dass die Politik der jugoslawischen Regierung gegençber dem Kosovo nicht nur von der Regierung Milosevic, sondern von der Mehrheit der serbischen Bevælkerung getragen wurde, wird erwogen, ob nicht sinnvollerweise der vælkerrechtlich festgeschriebene Nichtkombattantenstatus der Bevælkerung durch eine formelle Ønderung der Rechtsnorm teilweise eingeschrånkt werden sollte. Dadurch wçrden Angriffe auch auf rein zivile Einrichtungen, wie etwa Banken, Fabriken, Geschåfte sowie kulturelle und historisch wertvolle Objekte ± wenn auch noch nicht auf Zivilpersonen selbst ± mæglich, um auf diese Weise den Druck auf den Gegner zu erhæhen36. Der Ausgangspunkt der Argumentation, dass die Krieg auslæsende Politik gegençber dem Kosovo nicht von einer verbrecherischen Regierung dem eigenen Volk gegen dessen Willen aufgezwungen 36 Vgl. Charles J. Dunlap, The End of Innocence: Rethinking Noncombatancy in the Post-Kosovo Era, in: Strategic Review, 28 (2000) 3, S. 9 ± 17, hier S. 14.

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wurde, sondern dass weite Teile der Bevælkerung diese Politik ihres gewåhlten Pråsidenten bereitwillig mittrugen, ist nicht von der Hand zu weisen37. Diese Konstellation dçrfte fçr ethnisch motivierte Konflikte nicht untypisch sein. Doch konsequent zu Ende gedacht bedeutet dieser Denkansatz, dass letztendlich doch die gegnerische Bevælkerung zum legitimen Ziel von Kampfhandlungen werden kænnte. Dies wåre spåtestens dann der Fall, wenn Angriffe auf die rein zivile Infrastruktur nicht die erwartete Wirkung entfalten. Am Ende der Entwicklung verschwånde der zentrale Unterschied zwischen dem kleinen und dem groûen Krieg. Dies wçrde nichts weniger als eine weitgehende Rçckkehr zu dem regellosen Zustand des Dreiûigjåhrigen Krieges bedeuten. 3. Politische Rahmenbedingungen von Streitkråfteeinsåtzen Aus der im westlichen Verståndnis grundsåtzlich politischen Natur des Krieges folgt zum einen, dass Krieg eine dezidiert æffentliche Angelegenheit ist ± und in der Mediengesellschaft in Zukunft auch bleiben wird38. Parallel zu Kampfhandlungen wird es sowohl innerhalb der Krieg fçhrenden Gesellschaften wie in der internationalen Politik heftige und breit angelegte Auseinandersetzungen çber die Rechtmåûigkeit, Zweckmåûigkeit und Verhåltnismåûigkeit des jeweiligen Militåreinsatzes geben. Der Kampf um die Meinungsfçhrerschaft in den Medien, die Beeinflussung des Denkens der eigenen wie der gegnerischen Bevælkerung wird ein nicht mehr wegzudenkender integraler Bestandteil militårischer Operationen und des dahinter stehenden politisch-strategischen Kalkçls sein39. Die nationale wie die internationale Úffentlichkeit ist ein Raum, in dem Kriege zukçnftig ebenso intensiv, ebenso wirkungsvoll und vielleicht sogar ebenso entscheidend gefçhrt werden wie auf dem Gefechtsfeld. Ferner wird die Politik auch weiterhin groûen und unmittelbaren Einfluss auf den Verlauf von Streitkråfteeinsåtzen nehmen ± sei es durch die 37 Dies ist çbrigens ein wichtiger und oft çbersehener Unterschied zu der Konstellation im zweiten Golfkrieg, mit der der Kosovokrieg oft verglichen wird: Treibende Kraft der Ansprçche des Vielvælkerstaates Irak auf das kuwaitische Staatsgebiet war in der Tat das Regime Saddam Husseins, nicht die irakische Bevælkerung. 38 Vgl. Herfried Mçnkler, Den Krieg wieder denken. Clausewitz, Kosovo und die Kriege des 21. Jahrhunderts, in: Blåtter fçr deutsche und internationale Politik, 44 (1999) 6, S. 678 ± 688, hier S. 687 f. 39 Vgl. Walter Jertz, Krieg der Worte ± Krieg der Bilder. Manipulation oder Wahrheit im Kosovo-Konflikt?, Bonn 2001, S. 8 f.

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Vorgabe minimaler Kollateralschåden bzw. des Vermeidens eigener Verluste40, durch die Forderung nach rasch sichtbaren Erfolgen oder durch die zahlenmåûige Begrenzung bzw. spezifische Zusammensetzung der eingesetzten Truppen. Weitere politische Faktoren, aus denen durchaus Einschrånkungen der Effektivitåt von Militåreinsåtzen resultieren kænnen, sind die Dauer der politischen Entscheidungsprozesse, bevor es çberhaupt zu einem Streitkråfteeinsatz kommt, die Notwendigkeit des coalition-building innerhalb von NATO bzw. EU und auf internationaler Ebene sowie die Beteiligung an Militåreinsåtzen aus Bçndniserwågungen heraus oder als politische Geste, ohne dass vitale nationale oder Bçndnisinteressen berçhrt sind. Aus militårischer Sicht mægen diese politischen Beschrånkungen entbehrlich, um nicht zu sagen: kontraproduktiv, sein. Doch handelt es sich bei ihnen um eine Folge des Primats der Politik und damit um eine nicht verånderbare Rahmenbedingung von Militåreinsåtzen in liberalen Demokratien. Die Vorstellung, dass in Militåreinsåtzen ausschlieûlich nach militårischen Erfordernissen und ohne Einmischung der Politik gehandelt werden kænnte, verkennt die grundsåtzliche politische Natur dieser Einsåtze. Auch zukçnftig wird also politisches Makro- und Mikro-Management von militårischen Konflikten der Regelfall sein. Ein Paradoxon in diesem Zusammenhang ist die fçr die æffentliche Akezptanz der Entscheidung zu militårischen Operationen als unverzichtbar empfundene Dåmonisierung des Gegners: So wurden etwa Saddam Hussein und Slobodan Milosevic von den westlichen Regierungen als grausamste Verbrecher gegen die Menschlichkeit dargestellt, um in der eigenen Úffentlichkeit den Rçckhalt fçr den Einsatz von Streitkråften herzustellen. Damit nahm man sich aber auch die Mæglichkeit, zur Beendigung der bzw. im Anschluss an die Kampfhandlungen zu einem diplomatischen Geben-undNehmen mit der gegnerischen Fçhrung zurçckzukehren, denn mit einem einmal dåmonisierten Gegner kann man sich auf keine substanziellen Verhandlungen in der Sache selbst mehr einlassen. Durch die Dåmonisierung entsteht also ein selbstverursachter Druck, den Krieg solange fortzusetzen, bis die gegnerische Seite auf alle wesentlichen Forderungen eingegangen ist; dies bedeutet tendenziell eine Intensivierung und Verlångerung der Kampfhandlungen. 40 Vgl. Martin Hoch, Krieg ohne Verluste?, in: Europåische Sicherheit, 49 (2000) 5, S. 12 f.

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4. Zum Verhåltnis von Krieg und Politik Doch was kommt nach dem militårischen Erfolg im Krieg? Nach westlichem Verståndnis geht es bei einem Krieg, wie Michael Howard deutlich gemacht hat, letztlich nicht um den Sieg an sich, sondern darum, durch den militårischen Sieg eine Verånderung der politischen Lage herbeizufçhren, die zum Ausbruch eines Krieges gefçhrt hat; und zwar eine Verånderung, die auch von der unterlegenen Seite dauerhaft akzeptiert wird41. Gerade unter dem Vorzeichen von Krieg als einem Mittel der Politik kann es nicht ausreichen, lediglich auf dem Gefechtsfeld militårisch zu obsiegen. Von entscheidender Bedeutung ist in letzter Konsequenz immer der politische Kontext, in dem ein solcher Konflikt stattfindet. So haben die militårischen Erfolge gegen den Irak 1990/91 und gegen Restjugoslawien 1999 zwar eine neue Lage geschaffen, aber die tieferen Ursachen der Konflikte (zumindest bislang) nicht beseitigt. Aber kænnen und wollen westliche Staaten Krieg auf eine solche Weise fçhren, dass sowohl die Fçhrung als auch die Bevælkerung des Gegners durch die Drohung mit der vælligen Vernichtung bzw. durch dauerhafte Besetzung und Souverånitåtsverlust zu einer grundlegenden Revision ihrer Haltung bewogen werden? Nach Michael Howards Argumentation war es genau dieser Umstand, der in der Folge der Niederlage im Zweiten Weltkrieg ± und im Unterschied zu der Situation nach dem Ersten Weltkrieg ± einen radikalen Paradigmenwechsel in der deutschen Gesellschaft und Politik zur Folge hatte. Ein solches Vorgehen dçrfte jedoch, zumindest bei interventionistischen Einsåtzen, bei denen vitale Interessen der intervenieren41

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Vgl. M. Howard (Anm. 28), S. 130 ± 132.

den Måchte nicht berçhrt sind, kaum eine reale Option sein. Es stellt sich daher die Frage, ob Militåreinsåtze westlicher Staaten çberhaupt gerechtfertigt werden kænnen (sei es unter ethischen oder auch nur unter politisch-pragmatischen Gesichtspunkten), wenn der militårische Erfolg ± bzw. die darauf aufbauenden nichtmilitårischen Maûnahmen ± zu keiner grundlegenden und dauerhaften Verånderung der politischen Lage fçhren. Mit diesem Maûstab werden sich kçnftige Entscheidungen çber den Einsatz militårischer Mittel als Instrument der Politik messen lassen mçssen. Dieser Maûstab nimmt vor allem die Politik in die Pflicht. Der in dem Clausewitz'schen Diktum vom Krieg als Fortsetzung der Politik angelegte Primat der Politik bedeutet nicht nur die Unterordnung des Militårs unter die Politik; er legt auch der Politik der westlichen Staaten bei der Entscheidung fçr einen Militåreinsatz ± und fçr die sich daran anschlieûende politische Umsetzung ± eine besondere Verantwortung auf: Der Einsatz militårischer Mittel bewirkt, fçr sich alleine genommen, nur in seltenen Fållen eine unmittelbare Problemlæsung; dies gilt auch fçr eine jahre- oder gar jahrzehntelange Stationierung von Friedenstruppen. Es kann daher nicht gençgen ± wenn die Diplomatie sich in eine Sackgasse manæviert hat ±, nach dem militårischen Befreiungsschlag zu rufen. Ohne eine an den militårischen Erfolg anknçpfende diplomatische Fortfçhrung und Umsetzung ± und eine daraus resultierende grundlegende und auch von der unterlegenen Seite akzeptierte Verånderung der politischen Ausgangslage ± sind Militåreinsåtze als Mittel der Politik im 21. Jahrhundert weder sinnvoll noch zu verantworten.

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