Die Bewegungsgeschichte als Teil der Lebensgeschichte

Die Bewegungsgeschichte als Teil der Lebensgeschichte Wie kann ich die individuelle Ausdrucksweise des Kindes verstehen? „Der Körper ist das beste Bi...
Author: Frank Steinmann
32 downloads 0 Views 300KB Size
Die Bewegungsgeschichte als Teil der Lebensgeschichte Wie kann ich die individuelle Ausdrucksweise des Kindes verstehen?

„Der Körper ist das beste Bild der Seele" (Ludwig Wittgenstein) Ausgangspunkt meiner Sichtweise und körperorientierten Interventionen, welche auf den Grundlagen der Psychomotorik basieren, ist die individuelle körperliche Ausdrucksweise eines jeden Kindes. Neben der neuromotorischen Betrachtungsweise ist mir hier die symbolische Ebene der Bewegung sehr wichtig. Das beinhaltet: > > > >

Bedeutung des Körpers (Leib) und Bewegung für die Persönlichkeitsentwicklung Wie entwickelt sich das Körper Ich, welche Einflussgrößen werden wirksam, Wie kann ich symbolische Fähigkeiten nutzen, verstehen und weiterentwickeln Mögliche Störungen, therapeutische Intervention

Ein kennzeichnender Aspekt von Leben ist Bewegung. Sie begleitet uns von der Pränatalzeit bis zum Tod. (In der PM ist Bewegung das charakteristische Merkmal der therapeutischen Begleitung. Sie betont dabei die Ganzheitlichkeit: Körper, Geist, Seele und Gefühle sind miteinander verwoben. Die Beschäftigung mit einem dieser Bereiche bedingt die Einbeziehung der anderen.) Was wir äußerlich vollziehen und wie wir es bewerkstelligen (zaghaft, dynamisch, ängstlich, selbstbewusst...) prägt unser Innenleben. Gleichzeitig ist unser Leib in seiner Haltung Spiegel für das, was sich im Inneren des Menschen vollzieht. Der Mensch ist eine komplexe Einheit aus Körper, Geist und Seele. Bewegung wirkt also nicht nur körperlich. Was die Psyche bewegt, bewegt den Körper ebenfalls (erkennbar als Körperausdruck, „Gefühlsregung"). Die Signale des Körpers (Muskeltonus, Haltung, Mimik und Gestik) spiegeln sehr oft den psychischen Zustand authentischer wider wie verbale Aussagen. Die Körpersprache ist in jenem Maße wirksam, dass wir im Zweifelsfall sie zur Instanz erklären, wenn non-verbale Zeichen inkongruent zum Gesagten des Gegenübers sind. Physis und Psyche stehen in wechselseitiger Abhängigkeit. Im asiatischen Raum wird dies treffend formuliert: "Ich bin mein Körper" und nicht „Ich habe einen Körper". Körper-haben und Leib-sein Körper-haben ist die Voraussetzung für menschliche Existenz. Der Körper ist Objekt. Er wird als selbstverständlich vorhanden betrachtet, Erwartungen des Funktionierens werden an ihn geknüpft. Die Beschäftigung mit dem gesunden Körper ruft bei uns eher Langeweile hervor, Fürsorge und Zuwendung zu ihm sollen einen möglichst geringen Zeitaufwand erfordern. Erst Schmerzen oder krankhafte Veränderungen des Körpers führen zur ersten notwendigen und lästigen Auseinandersetzung mit ihm. Der Leib ist Subjekt. Hier geht es um die bestätigende Annahme. Sie zeigt sich im Ausdrucksverhalten, in Mimik, Gestik, in vegetativen Reaktionen. Leiblichkeit bestimmt die Beziehung zur Welt.

„Bewegungsgeschichte", Samonig Heidi

Winnicott sagt, dass das Körper-Ich nur in einem positiven Verlauf der frühen Entwicklung eine stabile Basis für das psychische Ich sein wird, Der Körper wird zum Leib. Unter dem Begriff Körper wird also nicht nur der anatomische Körper, der an die neurophysiologische Reifung gebunden ist, verstanden, sondern vor allem der imaginäre Körper mit seinem affektiv-emotionalen Aspekt. Dieses Imaginäre meint die nicht bewussten Bilder des Körpers, die aus der ersten körperlichen Beziehung hervorgegangen sind. Der Körper strukturiert sich in der Beziehung zum Anderen. Die Vorstellung, die der Mensch sich von seinem Körper macht, entspricht niemals den objektiven Gegebenheiten, sondern ist Resultat der gelebten Erfahrungen mit dem Anderen. „Der Mensch konstituiert sich durch den Blick des Anderen" Sartre Das Bewegungsverhalten und die Wahrnehmungen eines Kindes lassen sich nur bei Kenntnis seines Interaktionsbereiches, seines Lebenskontextes bewerten. Körperliches Funktionieren ist zwar Voraussetzung für "normales" Wahrnehmen und Bewegen, erklärt dies aber nicht, d.h. es kann nicht daraus abgeleitet bzw. darauf reduziert werden. So sind auch Entwicklungsverläufe nicht als universelle biologische Muster anzusehen, sondern sind ebenfalls kontextabhängig ( Geburtskultur, Bezugspersonen, unterschiedliche Formen der Behandlung von Kindern...). Kindliche Entwicklung ist daher nicht nur sensomotorische, sondern immer auch psychomotorische Entwicklung. „Vor allem im Kleinkind- und Vorschulalter beeinflussen psychische und motorische Vorgänge sehr stark. Die Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit (Gefühlsleben, kognitive Entwicklung, Sozialverhalten, Kommunikation) vollzieht sich vorwiegend über Bewegung und Wahrnehmung (Herrn, 1997)".

Entwicklung der Bewegungsgeschichte, Sensitive Phasen. Einflussgrößen: Das Kleinkind bis zum ca. 7. LJ erfühlt und erfasst die Welt über den Körper. Das Kind setzt Dinge in Bezug zu seinem Körper, drückt sich über den Körper aus. Aucouturier spricht von „somatischer Expressivität", und meint die körperliche Ausdrucksfähigkeit. Bereits in den ersten Lebensmonaten zeigt sich, dass jedes Kind seine eigene Art und Weise hat, sich zu bewegen, zu handeln, eigene Gestik, eigenen Tonfall. Diese Ausdrucksformen hängen entscheidend mit der bis dahin gemachten Erfahrung des Kindes ab. In den ersten Wochen werden besonders jene Reize als positiv erlebt, die an den intrauterinen Zustand erinnern. Dies sind Eingebettet sein, Gehaltensein, Gewiegtwerden, leicht Geschüttelt- und Vibriert werden. Es ist dies eine wichtige erste Erfahrung des Körper-Ichs und somit des Selbst. Mahler spricht vom „Kern des Selbst um das sich das Identitätsgefühl formt. Gegen Ende der symbiotischen Phase verlagern sich die Besetzungen des Körperinneren an die Peripherie des Körpers. Sie stellen eine wesentliche Vorbedingung für die Bildung des Körper-Ichs dar. Diese periphere Rinde des Ichs (Freud) dient der wesentlichen Abgrenzung des Selbst von der Objektwelt.

„Bewegungsgeschichte", Samonig Heidi

Eine erste tief greifende Angst und Stresssituation erlebt der Mensch bei seiner Geburt. (Er kann auch bereits verunsichert geboren werden infolge traumatischer intrauteriner Erfahrungen - Amygdala, Cortisol) Das Neugeborene versucht, sein verloren gegangenes inneres Gleichgewicht wieder zu finden. Hensel prägte für dieses Streben nach Ausgleich den Begriff der Homöostase. Mangelnde Bedürfnisbefriedigung evoziert eine emotionale Unausgeglichenheit, die sich in Form von Unruheerscheinungen manifestiert (Schreien, motorische Aktivität) Werden hingegen Bedürfnisse befriedigt, stellt sich der homöostatische Zustand wieder ein. Je öfter diese Erfahrung gemacht wird, desto ausgeprägter wird die Problemlöungskompetenz, was sich im Gehirn in Form von neuronalen Netzwerken verankert. Vorangehende Unruhe also ist ein durchaus förderlicher Zustand, da der Anfang jeglichen Lernens das Wagnis des Umdenkens bedeutet, in welchem vertraute Standpunkte aufgegeben werden sowie zeitweilig eine Verunsicherung hinzunehmen ist, um dann zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Auf diese Weise werden Bewältigungsmechanismen (CopingStrategien) entwickelt. Tonischer Austausch und Verschmelzungszustand Ebenso wichtig ist in den frühen Entwicklungsphasen der tonische Dialog. Die ständige Anpassung an die Bedürfnisse des Kindes Durch Muskel- und Gelenksrezeptoren nimmt das Kind wahr, wie man es anfasst und hält, und was der, der es trägt, ihm gegenüber fühlt (Kinästhetisches Gefühl). Der Säugling ist nach der Geburt auf den intensiven Körperkontakt mit der Mutter angewiesen, um ein Körper- Ich entwickeln zu können - Tonischer Dialog. Seine Qualität beeinflusst das Werden des Kindes, Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit begründen sich darauf. Der Prozess der Identität entsteht das heißt die Freude und Lust, man selbst zu sein und trotzdem offen für andere zu sein. Verlaufen diese ersten Interaktionen ungünstig, nicht subtil abgestimmt, führt das zu Irritationen, zu Verzerrungen des Erlebens im eigenen Körperraum. Bei motorischen Auffälligkeiten des Kindes ist immer auch der Aspekt des Dialogs und der Beziehung in der frühen Kindheit zu berücksichtigen. Erschwerte, ungünstige Bedingungen in der Prä- oder Perinatalzeit, oder aber auch eine nicht geglückte Mutter-Kind Beziehung können Grund dafür sein, dass das Kind schlechte Erfahrung mit Berührung gemacht hat, oder aber einen hohen Mangel an Spürerfahrung zeigt. Dadurch verändert sich natürlich die Erlebnisqualität der Berührung. Der Körper empfindet Spannungen, Schmerzen. Emotionen werden unterdrückt, verdrängt oder verstärkt und manifestieren sich im Körperausdruck. Körperzonen, die gelitten haben, behalten ihre Spuren. In Situationen, in denen wie die auf uns einströmenden Eindrücke nicht verarbeiten und ausleben können, müssen wir, um uns zu retten, die Erlebnisse und dabei entstandenen Gefühle unverdaut verstauen. Dies lässt auf Dauer Verspannungen, starre Haltungen und typische Bewegungen entstehen. Diese Blockaden verbrauchen nicht nur einen Großteil unserer Energievorräte, wir sind auch in unserer Beweglichkeit, Sicherheit und Reaktionsmöglichkeit und dadurch in unserem ganzen Lebensgefühl eingeschränkt. Unausgedrückte Gefühle werden im Körper gelagert. Jede/r von uns hat Stellen, an denen emotionale Spannungen gehalten werden: Die Schulter, der Magen, das Kreuz, der Kiefer sind häufige Bereiche. Wenn wir den Körper bewegen, können wir das Lösen von Spannungen im Körper initiieren und damit das Potential für Gesundheit und Bewegung erweitern. (Die Bewegung (motio) in der Emotion finden)

„Bewegungsgeschichte", Samonig Heidi

Affektive Distanznahme, Bedürfnis nach Selbstbehauptung und Exploration Wiederholen bekannter Abläufe, Erforschen unbekannter Situationen, Funktionslust stehen im Vordergrund. Die Wahrnehmungsmuster und die Handlungsabläufe beziehen sich sowohl auf die Bezugsperson wie auf unbelebte Objekte. Im Zustand des Losgelöst seins von der Bezugsperson sind Selbstbehauptung und Exploration besonders gut zu beobachten. (Objektpermanenz, Übergangsobjekt) Handlungsfähigkeit, Macht über den eigenen Körper, Körpererleben Über das Spiel mit den Objekten, in einer permanenten Dialektik zwischen dem Ich und der Welt, entdeckt das Kind seinen Körper. Der Körper ist Mittel der Handlung, Mittler zwischen Ich und der Welt. Nehmen, nicht nur bekommen, ist erste Äußerung eines Individuums, dass sich als Subjekt bestätigt. Ein früher Aspekt der Körperwahmehmung hat mit Kontrolle zu tun. Man soll so früh wie möglich Kontrolle über den Körper erlangen, um zu verhindern, dass man gesellschaftlich peinliche oder fürchterliche Dinge tut, um mithalten zu können. Der unumwundenen Fähigkeit des Kleinkindes, Freude, Schmerz, Hunger, Abneigung und Zufriedenheit auszudrücken, werden nun Forderungen nach Beherrschtheit entgegengesetzt. Tabus, starre Regeln und Angepasstheit beeinflussen die Entwicklung. „Sitz still", „Halt den Mund", „Leg die Hände auf den Tisch", usw. sind uns allen bekannte Sätze. Unbewegtheit als Ziel einer guten Erziehung! Das Kind entdeckt die Lust, seinen Körper zu leben - Bewegungslust. Während das Kind im Vorschulalter und auch in den ersten Jahren der Volksschule noch in diesem Stadium der Entdeckung der Welt über den Körper lebt, die Bewegungslust im Vordergrund steht, erfolgt eine Erziehung zu Stille und Unbeweglichkeit, die spontanen motorischen Erfahrungen verarmen. Erwachsene richten hier ihre Aufmerksamkeit schon auf die Arbeit, auf kognitive Leistungen. Väter und Mütter vermeiden oft aus eigener Angst vor Körperlichkeit körperliche Beziehungen. Diese erschöpfen sich im Nähren und Saubernalten. Auch wenn sich in den Beziehungen der heutigen Mütter und Väter ein deutlicher Wandel vollzogen hat, sind doch viele ungeübt, den Ausdruck des Kindes, seine Wünsche und Bedürfnisse zu verstehen. Es wird übersehen, dass die Haut des Kindes ein Beziehungsorgan ist, und das Gehaltensein Vertrauen in die Welt vermittelt Gelingt eine so verstandene Wechselbeziehung nicht, bleibt also der Ausdruck der Bedürfnisse des Kindes unbeantwortet, so hinterlässt die gemeinsame Beziehung weder Eindruck noch Ausdruck. Dem Kind bleibt die noch vorhandene kreative Fähigkeit, sich im psychosomatischen Symptom auszudrücken oder in der Angepasstheit des „Falschen Selbst", wie es Winnicott formuliert hat. Eindruck empfangen und Ausdruck geben gehören also zur lebendigen Auseinandersetzung mit sich selbst und der Umwelt. Der Mangel an Informationen über den menschlichen Körper während unserer Schul- und Ausbildungszeit ist erschreckend, ist der Körper doch während des ganzen Lebens unser Heim. Anscheinend meinen wir entweder, der Körper sei zu einfach und zu „physisch", um Aufmerksamkeit zu verdienen, oder er sei so kompliziert, dass er den Studierenden der Medizin vorbehalten bleibt.

„Bewegungsgeschichte", Samonig Heidi

Nach der Kontrolle folgt Manipulation durch Trainingstechniken wie Ballett, Gymnastik, Sport, Arbeit. Das Ziel ist, unseren Körper in bestimmte Muster zu pressen, um Koordination, höchste Wirksamkeit, ästhetisches Wohlgefallen oder Konkurrenzfähigkeit zu erlangen. Die Beziehung zur Sexualität wird überlagert, unterdrückt, umgeleitet. Verlegenheit herrscht hinsichtlich aller Verdauungsgeräusche. Besonders in der Jugend schafft der Wille zur Konformität mit dem äußeren Bild, wie ein Körper auszusehen hat einen Zwiespalt zwischen unseren inneren Impulsen und den äußeren Manifestationen. Definiert wird dieses Bild vom sozialen, kulturellen und religiösen Hintergrund der jeweiligen Gesellschaft. Immer weniger beachtet man die Signale von innen. Wir benötigen Anleitung, um einen gesunden Dialog mit unserem körperlichen Wesen zu entwickeln. Als junge Erwachsene verbringen wir viel Zeit damit, um besser auszusehen, dünner zu sein, kräftiger...Und als reife Erwachsene oder ältere Menschen werden wir dazu verleitet, den Alterungsprozess zu leugnen und zu verbergen, anstatt die Schönheit anzunehmen, die jedem Alter eigen ist. Mögliche Störunqsbilder: Frühkindliche Engramme, die sich in das Körpererleben oder in die Handlungsstrukturen des Kindes eingeprägt haben, mit den dazugehörenden emotionalen Erfahrungen, können in der Therapiesituation in einer Leiberinnerung oder Handlungserinnerung reaktiviert werden. Ausgangspunkt der psychomotorischen Intervention ist die individuelle Ausdrucksweise des Kindes, die geprägt ist von seinen geistig - seelisch - leiblichen Erfahrungen. Das Kind äußert sich in einem typischen Verhalten, das für uns vordergründig von der Norm abweicht und sendet in seinem Versuch, seine Integrität zu schützen, eine Botschaft. (z.B. ist ein traumatisiertes Kind ein Kind in Bedrängnis und kann mit Hyperaktivität und Hypervigilanz reagieren). Wichtig ist, diese Botschaft und damit das Kind in seinem Lebens- und Verhaltenszusammenhang zu verstehen, die tiefere Bedeutung der Auffälligkeit zu entschlüsseln und dann das Kind bei der Suche nach tragfähigen Lösungen zu unterstützen. Die Bewegungsgeschichte des Kindes ist somit Teil seiner Lebensgeschichte und umfasst auch nicht bewusste Informationen. In Erscheinung treten Verhaltensauffälligkeiten in Form der psychomotorischen Hemmung mit Angst bzw. Unsicherheit, oder der psychomotorischen Enthemmung mit Aggression als Hauptsymptom. Ziel der Psychomotorik ist es, diese Kreisläufe zu durchbrechen. Flucht in die Hemmung: Lähmung der Handlungsfähigkeit, das unbewusste Bedürfnis, sich zu verstecken, sich nicht auszudrücken, um nicht bewertet zu werden Diese Passivität ist ein Appell, dem man nicht nachgeben sollte, um dem Kind zu helfen, aus seiner Abhängigkeit herauszukommen

„Bewegungsgeschichte", Samonig Heidi

Flucht in Überaktivität: Eine Überkompensierung, die die Hemmung verbergen soll, mit der gleichen Absicht, um den authentischen Ausdruck zu verhindern. („Maske"; umso mehr äußere Dynamik, umso weniger „innere") Flucht in Stereotypien: Eine Tätigkeit zu reproduzieren, die man gelernt hat, gibt Sicherheit, man offenbart nichts Wesentliches. Therapeutische Intervention: Gerade in der psychomotorischen Praxis werden im mit einander Bewegen neue Handlungsmöglichkeiten nicht nur gedanklich durchgespielt, sondern im dynamischen Handlungsgeschehen miteinander entwickelt und werden so zu konkreten, neuen Erfahrungen. Wie kann es gelingen, das Bedürfnis nach Bewegung und nach Handlung zu bewahren oder wiederzufinden und gleichzeitig den Zugang zu Kreativität und schließlich zu den stark symbolischen Handlungsformen (plastischer, verbaler Ausdruck) als Geistesbewegung zu ermöglichen? Das Kind trifft in Spielsituationen und auch in Geräten und Spielzeug auf Symbole, in denen es sich wieder finden kann. Das Spiel ermöglicht dem Kind auch den Entwurf eines veränderten Selbst. Handlungsalternativen können erprobt oder neu entworfen werden. Im Spiel kann man ein ideales Selbst entwerfen, eine Rolle, mit der man sich identifizieren kann. „Das symbolische Spiel zeigt, ob die Phantasietätigkeit und Kreativität des Kindes blockiert ist. Hier erhält die Therapeutin Aufschluss über die kindlichen Ängste und Erlebnisse. Die verschiedenen Körpererfahrungen im Raum verbinden sich mit Emotionen. Die Emotionen setzen das imaginäre Erleben des Kindes, das an das Unbewusste gebunden ist, frei. Das Kind erlebt Situationen, die in direkter Verbindung mit seiner Geschichte stehen (Marion Esser, 1995), und lebt so seine persönlichen Lebensthemen aus. Manchmal muss sich die Therapeutin zum Objekt machen, damit das Kind zum Subjekt werden kann. Sie stellt sich für das Kind zur Verfügung und lebt für es die Rolle aus. Immer wieder überraschen uns Kinder mit Ihrer Kreativität bei der Sinnsuche und dem Versuch, sich und ihre Integrität zu schützen, wenn sie sich nicht wahrgenommen oder verletzt fühlen. Wir haben die verantwortungsvolle Aufgabe, diesen Eigensinn wahrzunehmen und zu achten, die tiefere Bedeutung von Auffälligkeiten zu entschlüsseln und Kinder auf der Suche nach tragfähigen Lösungen zu unterstützen. Tonisch-Emotionalen Spiele Kinder können sich oft von ihren emotionalen Empfindungen nicht distanzieren. „Uwohlsein" wird über Bewegungsverhalten ausgedrückt (gehemmt, aggressiv, impulsiv)

„Bewegungsgeschichte", Samonig Heidi

>

>

erste Bewegungserfahrungen: „gehalten werden", „umhüllt sein", die Erinnerungen bleiben auf den Körper fixiert und können nur darüber wieder geweckt werden. Kinder nehmen am liebsten jene Positionen ein, die sie früher als lustvoll erlebt haben. „umhüllt sein" steht für psychischen Halt (content), Kinder kriechen in Schachteln, wickeln sich ein, schaukeln viel, ... „Suche nach dem Ungleichgewicht" (15 - 18 LM): Kind will sein inneres Gleichgewicht auf die Probe stellen, Fallen löst Erschrecken, erschrecken löst Bilder, wirkt sich befreiend auf den Tonus aus. (tonisch-emotionale Spiele) Springen: Kind verlässt bewusst den sicheren Stand, wichtig für das Kind ist, dass ein anderer an der Handlung teilnimmt Bei Kinder, denen die Lust an der Handlung fehlt, ist gerade die Befreiung des tonisch-emotionalen wichtig, man geht oft zu früh ins symbolische Spiel!

Symbolische Spiele > Imitation (Nachspielen der Wirklichkeit, Aufarbeiten von Ereignissen, Verarbeiten) > Kompensation: Korrektur der Wirklichkeit, Verändern von Rollen, Erproben von Handlungsalternativen > Antizipation: Überprüfen von Handlungsalternativen auf ihre möglichen Wirkungen Häufige Themen: > Arzt, Unfall, Rettung: „für das Kind symbolisch Sorge tragen", > Aggression: „Wunsch nach Beziehung", „Gib mir Platz", Aggression in den symbolischen Bereich übertragen, in dem sie akzeptiert und ohne Schuldgefühle gelebt werden kann, Bewegungsorientierte Aktivitäten und das Erleben der Funktionalität des Körpers geben den Kindern die Möglichkeit, positive Beziehungen zum eigenen Körper aufzubauen und eine neue Orientierung in Raum und Zeit zu entwickeln. Dies sind Voraussetzungen, damit das Kind auch fähig ist zu spielen. In Anlehnung an die 'Theorie der psychosozialen Entwicklung" von ERIKSON (1973) zeigt sich, dass Kinder dabei auf Bewegungs- und Spielformen zurückgreifen, die eigentlich ihre entwicklungsfördemde Kraft schon in viel früheren Entwicklungsstufen hätten entfalten müssen. Dadurch wird deutlich, dass sie im freien Spiel immer wieder versuchen, die ungelösten Krisen ihrer Vergangenheit zu bewältigen, um sich damit neue Entwicklungschancen für die Zukunft zu eröffnen. Regressionen werden gefördert, damit das Kind sie in positiven emotionalen Situationen noch einmal durchleben kann. Ich habe in meinen Ausführungen über den Lebenstrieb in seinen primären und spontanen Formen gesprochen: Tonische Spannung, Bewegung, Geste, Handlung. Dies stellt die erste grundlegende Basis für Kommunikation dar. Der abstrakte Ausdruck, also sich verbal, plastisch, grafisch oder intellektuell auszudrücken, tritt zunehmend an die Stelle des motorischen Ausdrucks, bedarf aber, dass er sich entwickeln und frei entfalten kann, einer symbolischen Basis, die sich über die Symbolik der Bewegung und Handlung artikuliert.

„Bewegungsgeschichte", Samonig Heidi

Suggest Documents