Didaktische Unterlagen zur Vor- und Nachbereitung

Didaktische Unterlagen zur Vor- und Nachbereitung für Lehrpersonen und weitere Vorlagen stehen als PDF und WORD auf der Homepage zur Verfügung www.st...
Author: Max Kraus
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Didaktische Unterlagen zur Vor- und Nachbereitung für Lehrpersonen und weitere Vorlagen stehen als PDF und WORD auf der Homepage zur Verfügung

www.stiftung-gotthilft.ch/ausstellung

Inhaltsverzeichnis

1.

Informationen zum Besuch der Ausstellung

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1.1

Öffnungszeiten

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1.2

Zielgruppe

2

1.3

Anmeldung

2

1.4

Bestellung der didaktischen Unterlagen

2

1.5

Gründe, die Ausstellung zu besuchen

2

1.6

Einbettung in den Unterrichtsstoff

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1.7

Ideen zum Besuch der Ausstellung

3

2.

Vorbereitung für den Besuch der Ausstellung

3

2.1

Einführung in das Ausstellungsthema

3

2.2

Fremdplatzierung

3

2.3

Geschichte der Fremdplatzierung (Heimerziehung) in der Schweiz

4

2.4

Drastische Erziehungsmethoden

4

3.

Storyline der Ausstellung

6

5.

Fragen und Antworten

11

6.

Weiterführende Links und zu empfehlende Literatur

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1.

Informationen zum Besuch der Ausstellung

1.1 Öffnungszeiten Die Ausstellung kann ab dem 11. April 2016 besucht werden. Für den Besuch als Schulklasse ist eine Voranmeldung nötig. Der Besuch der Ausstellung ist von Montag bis Freitag möglich. Der Rundgang durch die Ausstellung ist geführt. Möchte eine Lehrperson die Ausstellung zur Vorbereitung vorher besuchen, ist dies von Montag bis Freitag von 16.00 Uhr -19.00 Uhr möglich.

1.2 Zielgruppe Die didaktischen Unterlagen sind für die Mittel- / Oberstufe und Konfirmandenklassen konzipiert. Für die Unterstufe ist die Thematik noch sehr anspruchsvoll. Willkommen sind auch Kantonsschülerinnen und –schüler sowie Studierende der Pädagogischen Hochschule. Für diese Zielgruppen steht kein anderes Vertiefungsmaterial zur Verfügung.

1.3 Anmeldung Ansprechperson für die Ausstellung ist: Monika Schürch [email protected] 081 307 38 02

1.4 Bestellung der didaktischen Unterlagen Das didaktische Material kann ab dem 31. März 2016 über die Homepage www.stiftunggotthilft.ch/ausstellung (Kontaktformular) oder direkt per Email [email protected] bestellt werden.

1.5 Gründe, die Ausstellung zu besuchen 

Fast alle Kinder sind im privaten oder schulischen Umfeld mit der Thematik in irgendeiner Form betroffen. Der Besuch der Ausstellung hat einen aufklärenden Charakter und liefert Hintergrundinformationen



Das Thema ist Teil unserer Gesellschaft und der sozialen Geschichte in Graubünden / in der Schweiz



Aktuelle politische Diskussion auf Bundesebene: Stichwort: Wiedergutmachungsinitiative www.wiedergutmachung.ch



Der Umgang mit Erinnerungen und Erlebtem kann auf eindrückliche Art nachvollzogen werden



Das Thema Kinderschutz und Kinderrechte wird thematisiert

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1.6 Einbettung in den Unterrichtsstoff Der Besuch der Ausstellung kann im Fach Mensch und Umfeld behandelt werden. Im Arbeitsbuch "Leben und Arbeiten in Graubünden" könnte das Thema "Schule heute und früher" aufgenommen werden. (Mittelstufe) Schulklassen bekommen durch den Besuch der Ausstellung geschichtliche Inhalte zum Thema Fremdplatzierung vermittelt- Die Zeitabschnitte veranschaulichen die jeweiligen Lebensumstände, und es wird aufgezeigt, wie gestern und heute Familien in schwierigen Umständen unterstützt wurden und werden. Ebenfalls geht sie auf positive und negative Erinnerungen von "Ehemaligen" ein. Diese werden mit dem Projekt "Weisch no" visualisiert und geben eindrücklich die Möglichkeit, sich mit der Thematik innerhalb der Klasse auseinanderzusetzen.

1.7 Ideen zum Besuch der Ausstellung Option 1 

2 Lektionen Vorbereitung vor dem Besuch der Ausstellung



2 Lektionen für den Besuch der Ausstellung (mit Führung)



2 Lektionen Nachbearbeitung

Option 2 Der Ausstellungsbesuch wird in Form eines Projekttags gestaltet 

Vorbereitung in der Schule (Vormittag)



Besuch der Ausstellung (Vormittag)



Nachbereitung (Nachmittag)

2.

Vorbereitung für den Besuch der Ausstellung

2.1 Einführung in das Ausstellungsthema Der Begriff Kinder- und Jugendhilfe Der Begriff Kinder und Jugendhilfe bezeichnet jenen Handlungsbereich, den moderne Länder hervorgebracht haben, um zusätzlich zur Schule (bzw. den Institutionen der formalen Bildung und Berufsbildung) und zusätzlich zu den privaten Leistungen von Familien und Verwandtschaftssystemen die sozialen Beziehungen des Aufwachsens von Kinder und Jugendlichen zu gestalten.1

2.2 Fremdplatzierung Warum werden Kinder und Jugendliche platziert? Eine Fremdplatzierung erfolgt nicht leichtfertig. Eltern und Behörden entscheiden sich aufgrund einer Notlage in der Versorgung der betroffenen Kinder und Jugendlichen für deren ausserfamiliäre Unterbringung. Damit verbunden ist eine Notlage der Eltern dieser Kinder, Jugendlichen und oft auch eine krisenhaft zugespitzte Situation in der Schule, im Kindergarten 1

Schnurr 2012 / S.68

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oder in den Einrichtungen der Tagesbetreuung. (…) Die meisten von ihnen waren vor der Platzierung über kürzere oder längere Zeit sehr ungünstigen Erziehungsbedingungen ausgesetzt. 2

2.3 Geschichte der Fremdplatzierung (Heimerziehung) in der Schweiz Die Heimerziehung in der Schweiz hat neben anderen Formen der Fremdunterbringung (Verdingkinder, Pflegekinder, Adoption, Internate) eine lange Geschichte. Sie ist heute auch Gegenstand der Aufarbeitung. Das Verdingkindersystem hielt sich bis in die 1970er Jahre, während die Kinderarbeit in schweizerischen Fabriken 1877 verboten wurde. Ein Großteil der Kinder aus der Minderheit der Jenischen wurden von 1926 bis 1973 vom so genannten "Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse" der Pro Juventute systematisch in Heimen als Verdingkinder oder als Adoptivkinder fremdplatziert, um sie ihrer Herkunftskultur zu entfremden. Wegen Verhaltensweisen, die heute gesellschaftlich akzeptiert sind wie Schminken, nächtlicher Ausgang in Tanzlokale oder frühe Beziehungen, wurden bis zur Aufhebung der menschenrechtswidrigen Gesetze zur administrativen Versorgung im Jahr 1981 viele Jugendliche ohne Gerichtsurteil jahrelang in Strafanstalten gesperrt. Entschuldigungen und Aufarbeitung Für einige dieser Machtmissbräuche haben sich Nachfolger oder Nachfolgerinnen der früher für diese Bereiche Zuständigen bei den Geschädigten entschuldigt. Eine finanzielle Soforthilfe für bedürftige Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen vor 1981 wurde, auf Gesuch des Ausschuss‘ des „Runden Tischs“ hin, ausbezahlt. Nähere Angaben dazu finden Sie auf www.fuersorgerischezwangsmassnahmen.ch 3

2.4 Drastische Erziehungsmethoden Bis weit in die 68er Jahre hinein war es üblich, wenn nötig mit „drastischen Erziehungsmethoden“, einzuschreiten. Tätliche Handlungen (Ohrfeigen, Kopfnüsse, Schläge mit dem Gurt, Essensentzug) oder psychische Methoden (in den Keller sperren, in die Ecke stehen mit dem Gesicht zur Wand, Eselsohren) waren in vielen Haushalten und Schulen üblich, ja sogar erwünscht, da eine strenge Erziehung dazu führen sollte, die Kinder zu ehrenhaften Menschen auszubilden. Im Jahr 2006 setzte sich die UNO Generalversammlung zum Ziel, bis 2009 ein weltweites Verbot von körperlicher Gewalt zu erreichen. Der Europa-Rat hat von 2006 bis 2011 eine europaweite Sensibilisierungskampagne zum Thema Körperstrafen durchgeführt. Darin wurden die Mitgliedstaaten aufgefordert, Kinder vor jeglicher Form von Gewalt in der Erziehung zu schützen. 2

Leitfaden Fremdplatzierung / S.11

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www.kinderheime-schweiz.ch

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Schweizerische Rechtssetzung und die Körperstrafe Als Vertragsstaat der UN-Kinderrechtskonvention ist auch die Schweiz seit 1997 verpflichtet, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen. In der Schweiz sind Körperstrafen als Erziehungsmethode aber nicht grundsätzlich verboten, auch wenn der Schutz der Integrität des Kindes durch Art. 10 und 11 Bundesverfassung (BV)11 gewährleistet ist.

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3. Storyline der Ausstellung In der Ausstellung werden Sie durch vier Erlebnisräume geführt, welche je einer Zeitepoche von ungefähr 25 Jahren gewidmet sind. In jedem Raum befindet sich eine grosse Stele, welche mit Erlebnisberichten betroffener Kinder, deren Eltern und Betreuer bedruckt sind. Sie geben einen lebendigen Eindruck der damaligen Situation und wie sie heute aussieht. Im letzten Erlebnisraum können Sie sich als Besucher aktiv am Zeitgeschehen beteiligen.

1916

„Das Leben bestand aus Schule und Arbeit. [...] Jeden Mittwoch- und Samstagnachmittag arbeiteten wir. [...] Die Mitarbeiterkinder mussten genau so arbeiten.“4 Walter, 10 Jahre

In den Vorkriegs-, Kriegs- und Zwischenkriegsjahren kam Armut in der Schweiz oft vor. Es existierten weder Arbeitslosen-, noch Invaliden-, Alters- oder Hinterbliebenenversicherungen. Hunger und Alkoholismus waren weit verbreitet. Kinder armer Familien waren in den Kinderheimen (zu) stark vertreten. Es war für eine Gemeinde günstiger, die Kinder ins Heim zu geben, als die ganze Familie zu unterstützen. Das Kostgeld betrug zwischen 50 Rappen und 1 Franken pro Tag. Beiträge von der öffentlichen Hand gab es nicht. Die Gott hilft-Heime nahmen immer wieder Kinder auch „um Jesu Willen“, d.h. ohne Kostgeld auf. Arme Kinder waren an Selbstständigkeit gewöhnt, sie halfen von klein auf mit, Geld zu verdienen. Da sie oft unbeaufsichtigt waren, lebten sie nach eigenen Regeln. In den Kinderheimen wollte man sie „unter christlichem Einfluss zu brauchbaren Menschen“ erziehen. Dies bedeutete: weiterhin viel zu arbeiten, aber auch zu gehorchen und sich unterzuordnen. Diese Werte galten allgemein, nicht nur in Kinderheimen. 1916 – 1945 gründete Gott hilft 14 Kinderheime mit Platz für ca. 330 Kinder.

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Brief von R. O. an Daniel Zindel vom 26 5. 2014

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1938 Der Krieg war für die ganze Bevölkerung entbehrungsreich. Nach dem Krieg verbesserten Sozialversicherungen die Lebensverhältnisse deutlich, zusammen mit einem langen wirtschaftlichen Aufschwung. Es herrschte Optimismus und man glaubte an Chancengleichheit. Die Schule wurde wichtiger, auch in den Kinderheimen. In den Gott hilft-Heimen nahm die Mitarbeit der Kinder in der Landwirtschaft langsam ab. Weiterhin erhielten die Heime viele Kinder lediger Mütter zugewiesen. Zunehmend wurden die Kinder als „schwererziehbar“ bezeichnet – leichter zu erziehende Kinder wurden vermehrt in Pflegefamilien gegeben. Die Mitarbeitenden verfügten weiterhin über keine pädagogische Ausbildung. Die Angestellten arbeiteten nach einem „Taschengeldprinzip“. Sie erhielten von der Stiftung Kost und Logis, Kleider und Krankenkasse wurden bezahlt. Für den privaten Gebrauch (Ferien, Auto, Hobbies) erhielt jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin Fr. 1200.- Taschengeld / Jahr.. Es herrschte ein gravierender Mitarbeitermangel. Ab 1955 beaufsichtigte der Kanton Graubünden die Kinderheime. Aber auch dies verhinderte vorerst nicht, dass Kinder in den Heimen (und in den Schulen) weiterhin geschlagen und gedemütigt wurden. Die Stiftung Gott hilft reduzierte die Anzahl ihrer Heime auf 8, davon waren 3 Sonderschulheime. Auch die Anzahl der Kinder reduzierte sich zugunsten einer besseren Betreuung auf 210.

Auf der Stele wird die Geschichte von Selina, 15, beschreiben. Hier ein Ausschnitt: „Ich freue mich jedes Mal, wenn ich bei den Kleinsten Dienst tun darf. [....] Wenn ich morgens um halb sechs Uhr in die Stube komme, sind sie schon durch die Schwester aufgenommen worden und haben den Schoppen bereits getrunken. Sie sind an der Arbeit auf ihrem Töpfchen. [...] Ich mache ihre Bettchen in Ordnung, die Schwester wäscht sie, eines nach dem andern, und ich darf sie anziehen.“5

Wenn ich gross bin, möchte ich Kinder haben. Das ist besser, als in einem fremden Haushalt zu arbeiten. Aber das Haushalten habe ich hier gelernt. Seit ich bei den Kleinen mithelfe, ist mir wohler. Den Streit unter den grossen Kindern habe ich schlecht ertragen. Gott hat mein Gebet erhört; ich durfte einspringen bei den Kleinen, weil die junge Hilfe Hals über Kopf davon 5

Mitteilungen 1954/59 (?), 16

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rannte. Die Tanten haben immer alle Hände voll zu tun. Sie sehen oft gar nicht, was alles los ist. Und dann passiert etwas und es wird geschlagen. Letzte Woche ist Max mit Annina abgehauen, sie wurden aber bald aufgegabelt. Mit meinem Mann werde ich später hier einen Besuch machen, es ist ja so etwas wie meine Familie. Aber meine Kinder sollen nicht mitkommen. Selina, 15 „Ich habe mir das mit der Familie anders vorgestellt. Aber als meine erste Frau in der Nervenheilanstalt landete, brach alles zusammen. Wie hätte ich die Kinder allein erziehen sollen?! Dass ich sie zu den Schwiegereltern brachte, hat alles verschlimmert. Besonders für Selina. So kam sie ins Heim. Ich gebe zu, meine zweite Frau erträgt die Kinder schlecht, wenn sie zu Besuch sind. Es ist mir drum lieber, sie kommen nicht. Niemand kann mir verwehren, dass ich nach all dem Ungemach auch noch etwas vom Leben haben will. Ob es Selina guttut, dass sie nun manchmal zu ihrer Mutter in die Klinik kann? Ich weiss nicht. Mit den Gott hilft-Leuten habe ich nichts am Hut, das ist nicht meine Welt. Selina ist mir drum auch fremd geworden.“ Vater

1968 Ein Werte-Wandel prägte diese Jahre. Die Bewegung von 1968 lehnte sich gegen die Erziehung zu Gehorsam und Unterordnung auf, Kinder sollten als eigenständige Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Die Schule und Bildung wurden noch einmal wichtiger und die Kindheit spielte sich nun in einem Schonraum ab. Die Ablehnung der Körperstrafe führte zu einer Kritik an allen Kinderheimen. Ein Kostgeld von 19 Franken pro Tag (1973) und eine veränderte Mentalität gegenüber Familien führten zu immer kürzeren Platzierungszeiten. Auch dies trug dazu bei, dass die Leitenden der Kinderheime umdenken mussten. Die Stiftung Gott hilft bot seit 1965 eine interne Ausbildung für Heimerzieher und – erzieherinnen an. Profis übernahmen die Erziehung der Kinder. Die Heimkinder wurden nun als „problembeladen, krank und schutzbedürftig“ beschrieben. Die Zahl sonderpädagogischer Maßnahmen stieg massiv. Oft unterstützte die IV eine Platzierung finanziell. Die Stiftung betrieb 5 Kinderheime, davon 3 mit einer Schule und den Verbund sozialpädagogischer Pflegefamilien mit 4-5 Familien. So bestanden Plätze für ca. 85 Kinder.

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Auf der Stele wird die Geschichte von Martin, 13, beschrieben „Die jüngeren Kinder gehen bei uns um halb neun Uhr ins Bett. Bei uns wird es etwas später, weil ich schon zu den Grösseren gehöre. Meistens gibt es noch eine Kissenschlacht mit meinem Bettnachbarn. Einmal trieben wir es so weit, bis das ganze Bücherregal zusammenkrachte. Das meiste war kaputt. Zum Glück kam niemand.“6 Ich habe ein ADHS, das macht mir und den andern das Leben schwer. Darum bin ich hier. Früher hatte ich in der Schule oft Schlägereien. Das hat sich gebessert. Hier reden sie mit dir darüber und es gibt klare Regeln. Unsere ganze Gruppe ist ein einziger Problemhaufen. Da lernt man Rücksicht nehmen. Ich bin Stürmer im Fussballclub, aber auch in unserer HockeyMannschaft können sie mich brauchen! Toll finde ich, wenn wir zusammen trekken. So etwas kannte ich nicht. Aber heim möchte ich dennoch. Ich vermisse meine Eltern. Es leuchtet mir schon ein, dass ich hier in der Sonderschule bessere Chancen für einen guten Schulabschluss habe. Aber es ist auch streng. Immer die Regeln! Martin, 13

2016 Die schulischen und beruflichen Anforderungen sind nochmals gestiegen. Das lebenslange Lernen bietet vielen neue Chancen, aber einige können nicht mithalten. Die Hürden für eine Heimplatzierung sind deutlich gestiegen. Am 1. Januar 2013 werden in der ganzen Schweiz die Vormundschaftsbehörden durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) abgelöst. Seit der Neugestaltung des Finanzausgleichs zog sich 2008 die IV gänzlich von der Finanzierung von Kindern mit besonderen Bildungsbedürfnissen zurück. Für die Finanzierung einer Heimplatzierung (die im Vergleich zum integrativen Modell kurzfristig mit höheren Kosten verbunden ist) müssen seither die Gemeinden und der Kanton aufkommen, was dazu führt, dass die Hürden für eine Heimplatzierung deutlich angestiegen sind. Heute kostet ein Tag eines Kindes, welches in einer unserer Institutionen betreut und / oder geschult wird, zwischen 180 und 400 Franken. Bei schulischen Problemen stützt der Kanton die Finanzierung, bei sozialen Problemen finanzieren die Eltern bzw. die Sozialhilfe. In den meisten Fällen hängen die Probleme allerdings zusammen. Die Sozialpädagogik hat ein eigenes Instrumentarium entwickelt, um Kindern Hilfestellung zu geben, ohne ihnen die Verantwortung für sich selbst zu nehmen. Von beiden wird im Alltag viel verlangt; Erziehen und Erzogen werden sind anspruchsvoller als in der Familie. 2 Sonderschulheime, 1 Jugendstation, 3 sozialpädagogische Pflegefamilien und ein Zentrum für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) bieten zurzeit Platz für ca. 90 Kinder und Jugendliche. Seit 2011 bieten die Pädagogischen Angebote der Stiftung Gott hilft auch ambu6

Mitteilungen 1980

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lante Angebote an wie Erziehungsberatung, sozialpädagogische Familienbegleitung und Schulsozialarbeit. Im Ausstellungsraum wird die Geschichte von Marcel, 14, beschrieben. „Ich bin seit zwei Jahren im Schulheim Scharans. Vorher war ich schon in drei anderen Heimen – zwei in St. Gallen und eines in Graubünden.“7

Mit meiner Mutter bin ich schon siebenmal umgezogen. Seit zwei Jahren wohnen wir nun wieder in Graubünden. Darum musste ich wieder in ein neues Heim wechseln. Dabei hatte ich endlich ein paar Freunde im alten Heim gefunden. Ich bin jetzt 14 Jahre alt und habe bereits mindestens sieben Beistände gehabt. Die Beiständin, welche ich jetzt habe, ist sehr nett. Auch, weil meine Mutter mit ihr keinen Streit hat. Im Schulheim Scharans gefällt es mir fast immer gut. Ich bin im Stufenplan fast immer auf Stufe 3 oder 4. Deshalb habe ich recht viele Freiheiten. Ich bin im Heim in der Eishockeymannschaft. Wir haben richtige Ausrüstungen wie die Profis. Nächste Woche gehe ich zum zweiten Mal in eine Carrosseriewerkstatt zum Schnuppern. Ich möchte Autolackierer werden. Frau Elmer ist mein Coach. Wenn ich die Lehrstelle erhalte, möchte ich auf die Lehrlingsgruppe wechseln. Curdin wird auch dort die Lehre machen. Marcel, 14

7

Scharans, mündlich

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5.

Fragen und Antworten

Warum lohnt es sich, die Ausstellung zu Die Kinder- und Jugendhilfe ist ein besuchen? unserer Gesellschaft, ähnlich wie die sundheitsversorgung. Viele Kinder Erwachsene wissen sehr wenig über sen Bereich; oder sind geprägt von dienberichten.

Teil Geund dieMe-

Die Ausstellung leistet einen Beitrag sich einen umfassendes und differenziertes Bild zum Thema Kinder- und Jugendhilfe zu machen. Ist das Thema nicht zu anspruchsvoll für Wenn der Ausstellungsbesuch durch die Kinder ab der dritten Klasse? Lehrperson gut vor- und nachbereitet wird, kann die Ausstellung auf alle Fälle besucht werden. Viele Kinder kommen schon im Kindergarten oder in den ersten Schuljahren im privaten oder schulischen Umfeld mit dem Thema in Berührung. Wie aktuell ist das Thema?

Das Thema der Kinder- und Jugendhilfe ist sehr aktuell. In diesem Jahr wird im Parlament in Bern die Widergutmachungsinitiative behandelt. Diese setzt sich mit dem Thema der Fremdplatzierung vor 1981 auseinander.

Was ist das Ziel der Ausstellung?

Die Ausstellung soll eine Art „Übersetzungsarbeit“ leisten. Sie vermittelt Kindern und Erwachsenen die Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe und zeigt auf, was die KuJ heute ist.

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6.

Weiterführende Links und zu empfehlende Literatur

SF Reporter vom 10.01.2016:“Im Heim-Wenn Eltern nicht für ihre Kinder sorgen können“ http://www.srf.ch/play/tv/redirect/detail/bb95284c-b5aa-495f-9d51-4bb6e2a901b8 SF Schweizer Film: Lina (Drama über die Administrativ Versorgung in der Schweiz) SF Reporter vom 21.02. 2016: „Ein Leben lang bestraft- Das Leiden der administrativ Versorgten Ursula Biondi“ Buch: Kindheit in der Schweiz; Fotoband (49.50 Fr.) von Peter Pfrunder und Band mit Erinnerungen von Erwin Künzli (29.50 Fr.) erhältlich bei: www.limmatverlag.ch Buch: Eva Zeltner; Stellmesser und Siebenschläfer, verlorene Kinder, Zytglogge AG Verlag Bern, 1990 (33.90 Fr.) Kinderheim statt Kinderzimmer Hintergrundinformationen zur Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe www.kinderheime-schweiz.ch Homepage zur Wiedergutmachungsinitiative http://www.wiedergutmachung.ch/home/

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