Diagnostik des Ulcus cruris venosum

85 Übersichtsarbeit Diagnostik des Ulcus cruris venosum M. Stücker; A. Pljakic; M. Dörler Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der ...
Author: Heike Holtzer
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Übersichtsarbeit

Diagnostik des Ulcus cruris venosum M. Stücker; A. Pljakic; M. Dörler Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum, Venenzentrum der dermatologischen und gefäßchirurgischen Kliniken der Ruhr-Universität Bochum

Schlüsselwörter

Keywords

Ulkus, Ulcus cruris venosum, CVI, Duplexsonografie

Ulcer, Ulcus cruris venosum, CVI, Duplex ultrasound

Zusammenfassung

Summary

Die Diagnostik des Ulcus cruris venosum stellt die Weichen für eine erfolgreiche Therapie. Entscheidend ist eine präzise klinische Befunderhebung mit der Objektivierung der Zeichen einer chronischen Veneninsuffizienz. Sehr frühzeitig bei dem Auftreten eines Ulcus cruris ist eine duplexsonografische Untersuchung der Beinvenen zur Therapieplanung erforderlich. Obligatorisch ist ferner nicht nur die klinische Untersuchung der arteriellen Durchblutung, sondern auch die Bestimmung des Knöchel-Arm-Index. Eine mikrobiologische Diagnostik wird derzeit in Deutschland aufgrund der MRSA-Diskussion für sinnvoll erachtet, obwohl sie ohne das Vorliegen klinischer Infektionszeichen keine direkte therapeutische Konsequenz hat. Durch eine laufende Dokumentation der Wundgröße, des Wundgrunds, des Wundexsudats und der Infektzeichen sowie der Lebensqualität des Patienten mit chronischen Wunden können Therapieerfolge objektiviert werden.

Clinical diagnostics of venous leg ulcers set the course for efficient therapy. Precise clinical findings with an objectification of signs and symptoms of chronic venous insufficiency are essential. Duplex ultrasound investigations of the leg veins are necessary in the very early stages after the appearance of leg ulcers. Furthermore, not only a clinical investigation of the arterial perfusion but also the determination of the ankle-brachial-index is obligatory. Microbiological diagnostics are currently seen as useful in Germany, due to discussions on MRSA, even though they don´t have an immediate therapeutic consequence without the presence of clinical signs of infection. Therapeutic achievements can be objectified by a continuous documentation of the wound size, the wound bed, the wound exudate and signs of infection as well as the life quality of patients with chronic wounds.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. Markus Stücker Venenzentrum der dermatologischen und gefäßchirurgischen Kliniken Kliniken der Ruhr-Universität Bochum Hiltroper Landwehr 11–13, 44805 Bochum Tel. +49-234/8792–377 od. –378, Fax –376 E-Mail: [email protected]

Zitierweise des Beitrages/Cite as:

Das Ulcus cruris venosum ist die häufigste Ursache für chronische Wunden an der unteren Extremität. Der Anteil liegt bei bis zu 70 % aller chronischen Wunden am Bein (1). © Schattauer 2016

Diagnostics of ulcus cruris venosum Phlebologie 2016; 45: 85–90 http://dx.doi.org/10.12687/phleb2302-2-2016 Eingereicht: 27. Januar 2016 Angenommen: 28. Januar 2016 English version available at: www.phlebologieonline.de

Das Ulcus cruris venosum ist definiert als eine Ulzeration im Bereich des Beins bzw. Fußes in einem Areal mit venöser Hypertension. Die venöse Hypertension wird durch Refluxe oder Obstruktionen bedingt.

Jedoch können auch Sondersituationen wie ein arthrogenes Stauungssyndrom oder eine funktionelle chronische Veneninsuffizienz im Rahmen eines Adipositas-assoziierten Dependency-Syndroms zu Zeichen einer chronischen Veneninsuffizienz bis hin zum Ulcus cruris venosum führen (2). Bei der Analyse der Ursachen des Ulcus cruris venosum sind nicht nur Störungen der venösen Funktionen am Bein, sondern auch im Becken im Bereich der Iliacalvene oder der Vena cava inferior zu berücksichtigen. Zusätzlich zur gestörten Venenfunktion gibt es weitere pathogenetisch relevante Mechanismen wie z. B. die Aktivierung von Entzündungskaskaden, die jedoch einer Routinediagnostik derzeit kaum zugänglich sind und daher im vorliegenden Artikel nicht weiter berücksichtigt werden. Ziel der Diagnostik beim Ulcus cruris venosum muss sein, möglichst effizient die pathogenetisch relevanten Faktoren zu definieren, welche einer Therapie zugänglich sind. Ein wesentlicher Schritt hierbei ist die Unterscheidung, ob es sich um ein „reines“ Ulcus cruris venosum handelt, oder ob andere pathogenetische Faktoren noch eine Rolle spielen. Hier ist insbesondere an eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, aber auch an andere pathologische Zustände wie Narben, Lymphödeme, Autoimmunerkrankungen, Infektionen und Traumata zu denken (3). Bestehen weitere pathogenetisch relevante Faktoren über die rein venöse Genese hinaus, ist von einem protrahierten Heilungsverlauf auszugehen. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen für Unterschenkelgeschwüre finden sich in ▶ Tabelle 1. Konkret haben sich bei der Diagnose des Ulcus cruris venosum folgende Schritte bewährt: Phlebologie 2/2016

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M. Stücker, A. Pljakic; M. Doerler: Diagnostik des Ulcus cruris venosum

Tab. 1

Differenzialdiagnose des Ulcus cruris venosum (nach 4).

Gefäßerkrankungen

Neuropathisch

Venen

Chronische venöse Insuffizienz: postthrombotisches Syndrom, Varikose, Dysplasie

Arterien

Periphere arterielle Verschlusskrankheit, Hypertonus, arteriovenöse Fistel, arterielle Thrombose, Embolie, Dysplasie, Thromboangiitis obliterans, Aneurysma

Lymphabflussstörung

Lymphödem, Dysplasie

Vaskulitis

Rheumatoide Arthritis, leukozytoklastische Vaskulitis, Polyarteriitis nodosa, Wegener-Granulomatose, Churg-Strauss Syndrom, Erythema induratum Bazin, Lupus erythematodes, Sjögren Syndrom, Sklerodermie, Morbus Behçet

Mikroangiopathie

Diabetes mellitus, Livedo-Vasculopathie

Peripher

Diabetes mellitus, Alkohol, Medikamente

ZNS

Tabes dorsalis, Myelodysplasie, Syringomyelie, Spina bifida, Poliomyelitis, Multiple Sklerose

Metabolisch Hämatologisch

Diabetes mellitus, Gicht, Prolidasemangel, Morbus Gaucher, Amyloidose, Kalziphylaxie, Porphyrien, Hyperhomocysteinämie Erythrozyten

Sichelzellanämie, Thalassämie, Polycythämia vera

Leukozyten

Leukämie

Thrombozyten

Thrombozytämie

Dysproteinämie

Kryoglobulinämie, Lymphom

Gerinnung

Plasmatische Gerinnungsfaktoren (Faktor I-XIII), Gerinnungsinhibitoren (Antithrombin III, APC-Resistenz, Protein C und S), Fibrinolysefaktoren (t-PA, PAI, Plasmin)

Exogen

Wärme, Kälte, Druck, ionisierende Strahlung, Artefakte, chemische Noxen, Allergene

Neoplasie

Primär kutan maligne

Basalzellkarzinom, Plattenepithelkarzinom (Marjolin-Ulcus), malignes Melanom, (Angio-)Sarkom, cutanes Lymphom

Infektion

Bakterien

Furunkel, Ecthyma, Mycobacteriosen, Lues, Erysipel, Anthrax, Diphterie, chronisch vegetierende Pyodermie, Ulcus tropicum

Viren

Herpes, Pockenviren, Zytomegalie

Pilze

Sporotrichiose, Histoplasmose, Blastomycose, Kokzidiomykose

Protozoen

Leishmaniose

Medikament

Hydroxyurea, Leflunomid, Methotrexat, Halogene, Marcumar, Impfungen, Ergotamin, paravasale Zytostatika

Genetischer Defekt

Klinefelter-Syndrom, Felty-Syndrom, TAP 1 Mutation, Leukozytenadhäsionsdefizienz

Anamnese Die Anamnese kann bei Patienten mit Ulcus cruris venosum durch die Einschränkungen im höheren Lebensalter der Patienten, die sehr lange Vorgeschichte und die komplexen Begleiterkrankungen erschwert sein. Daher hat es sich bewährt, sich auf wenige Fragen zu konzentrieren, die für das Management des Ulcus cruris venosum besonders wichtig sind. Relevant sind hier die Möglichkeiten der Patienten zum eigenständigen Handeln bei der Therapie bzw. zum sozialen Status, um abzuschätzen, inwieweit Hilfsmaßnahmen wie ein ambulanter Pflegedienst erforderlich sein können. Abgefragt werden sollten Begleiterkrankungen und Impfstatus Phlebologie 2/2016

(Tetanusschutz?). Der Schwerpunkt der Befragungen sollte auf das Venenleiden selber und die Ulzeration gelegt werden. Vergleiche hierzu ▶ Tabelle 2 und ▶ Tabelle 3.

Klinische Untersuchung Das Ulcus cruris venosum weist eine typische Morphologie auf. Die Lokalisation ist häufiger am Innenknöchel als am Außenknöchel. In der Umgebung des Ulcus cruris venosum finden sich typischerweise weitere Zeichen einer chronischen Veneninsuffizienz wie Besenreiser, retikuläre Venen, Seitenastvarizen, Ödeme, Hyperpigmentierungen, Stauungsekzeme, Atrophie blanche, Dermatoliposklerose, narbige Ver-

änderungen bei Z. n. Abheilung eines Ulcus. Bei multiplen Ulzerationen und atypischer Lage der Ulzeration muss an weitere Faktoren gedacht werden, die zusätzlich zu einer venösen Hypertension zur Entstehung und Unterhaltung der Ulzeration beitragen bzw. alleine für die Ulzeration verantwortlich sind. Wichtig ist, rechtzeitig maligne Tumore als Ursache der Ulzeration oder aber auch als Folgeerkrankung einer Ulzeration zu erkennen (5). Ein wichtiger Parameter für eine maligne Transformation ist ein therapieresistenter Verlauf, bei dem über 6–8 Wochen trotz suffizienter Kompressionstherapie des vermeintlichen Ulcus cruris venosum keinerlei Heilungstendenz zu erkennen ist. Weitere Kriterien © Schattauer 2016

M. Stücker, A. Pljakic; M. Doerler: Diagnostik des Ulcus cruris venosum

sind bereits bei der ersten Untersuchung hinweisend für einen malignen Tumor im Bereich der Ulzeration: atypische Morphologie mit atypischer Lage, Form und Wundumgebung, noduläre Proliferate, dunkel livide Farbe des Granulationsgewebes sowie eine lange Bestandsdauer bei kleiner Wundgröße. Bestehen klinische oder anamnestische Hinweise für ein malignes Tumorwachstum im Bereich der Ulzeration, sollten von verschiedenen Stellen ausreichend dimensionierte Biopsien entnommen werden. Typische Entnahmestellen sind der Wundrand und knotige Proliferate in den verschiedenen Bereichen der Ulzeration. Werden ulzerierte Areale biopsiert, ist auf eine ausreichende Biopsietiefe zu achten, um nicht nur oberflächlichen Wunddetritus oder pathologisches Granulationsgewebe zu erfassen und den möglicherweise darunterliegenden Tumorprozess unerfasst zurückzulassen.

Mikrobiologie Die routinemäßige Anlage einer mikrobiologischen Kultur bei venösen Ulzerationen wird häufig für nicht erforderlich gehalten. Lediglich bei klinischen Zeichen einer Wundinfektion sollte eine mikrobiologische Kultur angelegt werden (3). Demgegenüber wird in vielen Einrichtungen des Gesundheitswesens, insbesondere in Krankenhäusern, ein MRSA-Aufnahmescreening durchgeführt, wenn MRSARisikofaktoren vorliegen. Als MRSA-Risikofaktoren werden unter anderem Hautulzerationen gewertet. Bei diesen Patienten sollte ein kombinierter Rachen-Nasen-Abstrich sowie ein Abstrich aus dem Wundbereich entnommen werden. Davon unabhängig sollten bei Patienten, welche klinische Zeichen einer Infektion wie Fieber, Schmerzzunahme, vermehrte Rötung, vermehrtes Wundexsudat, üblen Wundgeruch, Ausbildung eines Biofilms, Gewebenekrosen oder Ulkusprogression eine mikrobiologische Kultur entnommen werden (3). In spezialisierten Zentren, in denen sich die Patienten sekundär oder tertiär vorstellen, werden die Unterschenkelulzerationen häufig derartige Charakteristika aufweisen, so dass in diesen Zentren eine primäre mi© Schattauer 2016

Tab. 2 Basis-Anamnese bei Ulcus cruris venosum

Gewicht, Größe, BMI Begleiterkrankungen, insbesondere

• periphere Polyneuropathie • Vaskulitis • Diabetes mellitus • Herzinsuffizienz und andere Herzerkrankungen

• Aktuelle interne Medikation Allergien Angiologische Risikofaktoren Sozialanamnese

Mobilität

• Nikotinabusus • Hypercholesterinämie • arterielle Hypertonie • Familienstand: • Kinder: • Beruf: • Wohnen: • 1= eigenständig Aufstehen (ggf. inkl. Gehhilfe) und mind. 50 m gehen,

• 2= mit Hilfe Anderer aufstehen und mind. 50 m gehen,

• 3= mit Rollstuhl mind. 50 m gehen, • 4=

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