Der letzte Mensch. Von Jonas Margraf

Der letzte Mensch Von Jonas Margraf Meistens belehrt uns erst der Verlust über den Wert der Dinge. -Arthur Schopenhauer 2 Als ich klein war, hat ...
Author: Wilhelm Roth
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Der letzte Mensch Von Jonas Margraf

Meistens belehrt uns erst der Verlust über den Wert der Dinge. -Arthur Schopenhauer

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Als ich klein war, hat mir mein Bruder immer Geschichten vorgelesen. Am liebsten mochte ich die über den kleinen Außerirdischen: Ein süßes kleines Ding mit drei Beinen und einem langen Stielauge. Doch als sie dann kamen, fanden wir sie nicht mehr so süß. Eines Morgens waren sie da. Ihr riesiges Raumschiff schwebte genau über meiner Heimatstadt: New York. Es sah überhaupt nicht aus wie in den Filmen. Keine große fliegende Scheibe, die metallisch glänzt, nein viel mehr erinnerte es an eine schwebende Insel. Alle Ufologen waren begeistert: Jahrelang wurden sie für ihre Theorien ausgelacht und nun war der unwiderlegbare Beweis erbracht, dass sie recht hatten. Doch die anfängliche Euphorie verflog schnell, als wir merkten, dass ihre Absichten nicht gerade friedlich waren. Nach den ersten Angriffen erwarteten viele einen Krieg, doch der sollte nicht kommen. Viel mehr war es ein Gemetzel. Die Menschen hatten keine Chance: Die U.S.-Airforce flog einen Großangriff auf das Schiff der Außerirdischen, ohne ihm auch nur den geringsten Schaden zuzufügen. In den Nachrichten haben sie von einem elektromagnetischen Feld gesprochen, das das Schiff vor Projektil-Waffen und herkömmlichen Raketen schützt. Nicht einmal eine Woche nach ihrem Eintreffen brach ein Chaos aus, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Sämtliche Regierungen waren entweder tot oder verschwunden. Meine Familie und ich haben wie viele Menschen kurz nach den ersten Angriffen unser Zuhause verlassen und sind in einen der wieder eröffneten Bunker aus der Zeit des zweiten Weltkrieges geflüchtet. Und hier war ich nun. Seit fünf Tagen waren wir schon in diesem Bunker und nichts passierte. Wir wussten nicht, was draußen vor sich ging, da die Army jeden Bunker sofort abgeriegelt hat, als sie erfahren haben, dass die Scanner-Technologie der Außerirdischen so weit fortgeschritten war, dass sie jeden Menschen in einem Umkreis von ca. 1000 Meilen orten konnten. Allerdings schienen die meterdicken Wände der Bunker ihre Scans zu stören, denn noch waren wir am Leben. Aber das war auch das einzige Positive an unserer Situation. Uns gingen nämlich die Vorräte aus, was das Verhältnis zwischen den Menschen in C13, das war die Bezeichnung unseres Bunkers, nicht gerade entspannte. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, alles wäre besser als in diesem Loch zu versauern, sogar der Tod. Doch bald sollte ich eines Besseren belehrt werden. Eines Morgens wurden wir durch einen lauten Knall geweckt, Staub rieselte von der Decke und überall fingen Kinder an zu schreien. Ich brauchte nicht lange nachzudenken, was los war: Der Bunker wurde angegriffen. Die Außerirdischen hatten uns gefunden und wollten nun reinen Tisch machen. Mein Vater zog mich und meinen Bruder hinter sich her aus unserem Schlafsaal. Meine Mutter war dicht hinter uns. Wir rannten in Richtung Ausgang. Das scheint im ersten Moment nicht das Klügste, schließlich waren wir in einem Bunker, aber wir wussten, dass er den Angriffen der Außerirdischen nicht standhalten würde. Um uns herum war das reinste Chaos. Rufe nach Eltern, Kindern, Freunden und Geliebten waren zu hören. Noch ein Knall. Dann ein Krachen: Alles stürzte über uns zusammen. Ich rannte wie ich noch nie in meinem Leben gerannt war. Hinter uns hörte man das Geräusch von fallendem Beton und berstendem Stahl, darunter vereinzelt Schmerzensschreie. Dann sahen wir ein Licht. Irgendwer musste das Tor geöffnet haben. Meine Beine schmerzten schon vom Rennen, aber ich hielt nicht an, im Gegenteil, ich wurde noch schneller. Es ist erstaunlich, zu welchen Höchstleistungen Menschen in der Lage sind, wenn sie in Gefahr sind. Das Licht kam immer näher, wir wähnten uns schon in Sicherheit, fast die Gefahr vergessend, die dort auf uns wartete. Doch wie immer holte uns diese grausame Realität ein: Wir liefen nur vor einer Gefahr weg, um der nächsten direkt in die Arme zu laufen. Als wir nah genug dran waren, um zu sehen, was vor der Tür lag, erschrak ich so sehr, dass ich fast stehengeblieben wäre. Aber nur fast, denn in diesem Moment ertönte ein weiteres Krachen. Wir liefen stolpernd weiter und erreichten schließlich die Tür. Und dann standen sie vor uns. Roboter aus mattem gräulichem Metall. Sie hatten in etwa die Statur eines Menschen, waren aber um einiges größer und sahen viel bedrohlicher aus. Sie standen vor dem Eingang, schienen uns aber nicht wirklich zu beachten. Viel mehr 3

noch, sie schienen überhaupt nichts zu tun. Auf den ersten Blick schienen sie nicht einmal bewaffnet zu sein. Direkt hinter uns stürmten weitere Menschen aus dem Bunker, doch noch bevor auch nur zehn Menschen den Ausgang erreichten, stürzte das Gebäude endgültig ein und begrub Dutzende unter sich. Unter den wenigen Überlebenden waren auch einige Soldaten, die, als sie die Roboter sahen, sofort ihre Gewehre hoben. Aus welchem Grund auch immer unsere Gegner bis eben so ruhig gewesen waren, jetzt war es damit vorbei. Irgendwie erwartete ich, dass sie Laser aus ihren Augen schießen oder Plasmakugeln mit ihren Händen formen würden, aber nichts dergleichen geschah. Sie kamen mit überraschend flüssigen Bewegungen auf uns zu. Die Soldaten fingen sofort an zu schießen. Doch wie erwartet, hatten die Kugeln keine Wirkung. Ungefähr fünf Zentimeter vor der Panzerung der Metallmenschen stoppten die Projektile in der Luft und fielen einfach zu Boden. Der erste der Roboter erreichte einen der Soldaten und streckte seine Hand nach ihm aus. Als er ihn berührte, gab es ein kurzes knackendes Geräusch und der Mann fiel tot zu Boden. Die beiden anderen erkannten, dass es sinnlos war, weiter auf unsere Gegner zu schießen und wichen langsam zurück. Währenddessen kauerten ich und meine Familie zusammen mit den fünf anderen überlebenden Zivilisten bei den Trümmern, die den Eingang zu C13 blockierten. Doch da uns klar wurde, dass die Roboter nicht aufzuhalten waren, versuchten wir zu fliehen. Wir teilten uns auf. Meine Familie und ich rannten links herum und die anderen versuchten rechts durchzubrechen. Und so rannten wir los, direkt auf eine Lücke zwischen zwei unserer Angreifer zu. Ich war ganz vorne, hinter mir mein Vater und ihm folgten meine Mutter und mein Bruder. Als wir die Reihe aus Robotern erreichten, hob einer von ihnen seine Hand. Mit einer mehr oder weniger gekonnten Rolle rettete ich mich um Haaresbreite vor dem sicheren Tod. Ohne stehenzubleiben sah ich mich kurz um. Auch mein Vater schaffte es, sich vor der Hand des Metallmenschen zu retten, wenn auch nur mit Not. Etwas erleichtert stürzte ich weiter, doch lange hielt die eben gewonnene Erleichterung nicht an, denn nur Sekunden, nachdem ich die Barriere durchbrochen hatte, hörte ich einen Schrei. Ich riskierte einen Blick zurück. Vor Entsetzen wäre ich fast gestolpert und konnte mich erst im letzten Moment fangen. Mein Bruder und meine Mutter hatten es nicht geschafft. Zwei der Roboter hatten sie erwischt. Ich sah gerade noch, wie ihre leblosen Körper zu Boden glitten. Ich wollte zu ihnen, ihnen helfen, doch mein Vater zog mich weiter. „Sie sind tot, du kannst nichts mehr für sie tun“. Da ich tief in mir drin wusste, dass er recht hatte, lies ich es zu, dass er mich hinter sich herzog und folgte ihm. Ohne uns abzusprechen, liefen wir auf eine der großen metallenen Kugeln zu, die überall auf dem Platz standen. Wir konnten nur hoffen, dass es Fortbewegungsmittel waren, da wir andernfalls keine Fluchtmöglichkeit gehabt hätten, denn der gesamte Bereich vor dem Bunker war von einem weiteren Kreis aus Robotern geschützt. Ein Teil der Kugeln war aufgeklappt und bildete eine Art Rampe. Wir liefen hinein, unwissend, ob drinnen weitere Gegner auf uns warteten. Dem war zum Glück nicht so. Als wir es beide geschafft hatten, drückte ich auf einen großen gelben Knopf direkt nahe der Tür, in der Hoffnung, dass dieser die Rampe hochfahren würde. Das funktionierte zu meiner freudigen Überraschung auch, aber leider nur sehr langsam. Zwar schnell genug, dass unsere Gegner uns nicht mehr erreichen würden, bevor sie sich schloss. Aber die Zeit reichte noch, dass einer unserer Verfolger den linken Arm, der in einer Art Lauf endete, heben und ein Projektil abfeuern konnte. Dieses flog mit leichten Schlangenlinien auf uns zu. Ich warf mich zu Boden, um nicht getroffen zu werden. Das merkwürdige Geschoss surrte knapp über meinen Kopf hinweg. Ich wollte schon erleichtert aufstöhnen, doch dann sah ich, wie die Kugel ihre Richtung änderte, und nun auf meinen Vater zu steuerte. Diese hatte sich ebenfalls zu Boden geworfen und so keine Chance mehr auszuweichen. Die Kugel erwischte ihn an der Schulter. Diesmal gab es kein Knacken. Es war mehr ein Zischen und mit einer großen Stichflamme war mein Vater verschwunden und es war nur noch ein Haufen Asche übrig. Verzweiflung duschströmte mich und raubte mir jede Hoffnung. Ich hatte nicht wenig Lust, für immer auf diesem 4

kalten Boden liegenzubleiben. Denn all der Verlust und die Trauer schnürten mir die Kehle zu. Ich drohte an ihnen zu ersticken. Doch mein Überlebenswille war stärker. Dieser älteste der menschlichen Triebe rettete mir das Leben. Vorerst. Mit der letzten mir verbleibenden Kraft raffte ich mich auf und stolperte auf eine Art Steuerkonsole zu, welche sich gegenüber des Eingangs befand. Auf gut Glück drückte ich einige Knöpfe, in der Hoffnung, dass der Motor oder wie auch immer sich dieses Ding fortbewegte, startete. Und tatsächlich: Bei einem runden weißen Drehschalter passierte es schließlich. Ein lautes Zischen ertönte und ich schoss vorwärts. Etwas in Panik griff ich nach einem Steuerknüppel in der Mitte der Konsole. Zu meiner großen Erleichterung bewirkte er das, was ich gehofft hatte: Mit ihm ließ sich die Kapsel steuern. Vor mir war ein riesiges Sichtfenster, durch das ich New York unter mir dahingleiten sah. Erst später fiel mir auf, dass die Kugeln von außen gar keine Fenster hatten und es sich um einen riesigen Bildschirm handeln musste. Mit jeder Meile, die ich zwischen mich und die Außerirdischen brachte, kam Erleichterung in mir auf. Aber mit ihr kam auch die Trauer über all die Verluste wieder. Doch vorerst hielt ich sie zurück, denn ich wusste, was mein Vater jetzt sagen würde: „Konzentrier dich auf die Dinge, die du ändern kannst und kümmere dich später um alles andere“. Doch das war nicht so einfach, vor allem, weil jeder Gedanke an meinen Vater schmerze, denn er würde mir nie wieder Ratschläge geben können. Mit einer mittelmäßigen Landung parkte ich mein seltsames Verkehrsmittel in einem kleinen Waldstück ein paar dutzend Meilen außerhalb der Stadt, in der Hoffnung, dass sie mich innerhalb der Kugel nicht orten konnten. Erschöpft und deprimiert ließ ich mich in meinem leicht überdimensionierten Stuhl zurückfallen. Innerhalb eines Tages hatte mir das Leben meine gesamte Familie genommen. Und nicht nur das, alles war fort: Mein Zuhause, meine Freunde, alle, die ich je gekannt oder geliebt hatte. Nie hatte ich all das zu schätzen gewusst, jemanden zu haben, der für einen da ist, ein Zuhause, wo man sich geborgen fühlte, eine Heimat, die einem vertraut war. Früher hatte ich oft geträumt, von Zuhause wegzulaufen, in ein fernes Land, weit weg von einer Familie, die einen rumkommandiert, irgendwohin, ein Abenteuer erleben. Doch mein eigenes Abenteuer sah dann ganz anders aus. In den Geschichten, die man als Kind vorgelesen bekommt, bewundert man die Helden, weil sie aussichtslose Situationen überleben. Aber niemand erwähnt diesen einen Teil, tief in dir, der sich insgeheim wünscht, dass man mit ihnen allen gestorben wäre, nur um jetzt nicht all die Trauer und den Schmerz über die Verluste erdulden zu müssen. Irgendwann wurde mir klar, dass ich, wenn ich mir nicht irgendeinen Plan einfallen lassen würde, ihr Schicksal allzu bald teilen würde. Ich versuchte alle Gedanken an meine Familie beiseite zu schieben und mich auf mein eigenes Überleben zu konzentrieren. Als erstes musste ich mir Verpflegung besorgen. Aber das war leichter gesagt als getan, denn schließlich waren die Roboter überall. Da fiel mir etwas ein, sie konnten uns orten und ich hatte eines ihrer Schiffe. Vielleicht hatte ich so die Möglichkeit, herauszufinden, wo sie sich aufhielten. Auf diesem Weg konnte ich möglicher Weise einen Ort finden, von dem ich mir unbemerkt Essen holen konnte. Von dieser Idee beflügelt, suchte ich die Steuerkonsole ab. Ich wusste nicht wirklich nach was ich suchte, aber nach einiger Zeit entdeckte ich in der linken unteren Ecke des großen Monitors vor mir etwas, das wie eine Art Karte meiner Umgebung aussah. Ich probierte einen der sich darunter befindlichen Knöpfe aus und über der Karte blinkte ein Schriftzug auf „Lokalisiere humanoides Leben“. Ich wunderte mich etwas, dass dort etwas auf einer irdischen Sprache stand, aber ich dachte nicht weiter darüber nach. Beim Lesen des Schriftzuges machte ich mir schon die Hoffnung, noch andere Überlebende zu finden, aber kein Punkt tauchte auf der Karte auf. Mit einem erneuten Anflug von Trauer, drückte ich den nächsten Knopf. Diesmal tat sich etwas: Mehrere Punkte waren nun auf der Karte zu sehen. Es waren an die 50 Miniaturabbildungen der metallenen Menschen. Ich guckte hoch zu dem Schriftzug, um endlich den Namen dieser Kreaturen herauszufinden. Dort stand 5

nun „Lokalisiere Rathrak“. Rathrak, das war also ihr Name oder zumindest der Name der Roboter, denn ich wusste ja nicht, ob sich hinter der Panzerung ein Lebewesen verbarg oder ob es tatsächlich nur Roboter waren. Da der Scan zeigte, dass sich zu viele der Rathrak in meiner Umgebung befanden, als das ich es gewagt hätte, heute noch weiter zu fliegen, aber wenig genug, um es zu riskieren, die Nacht hier zu verbringen, tat ich genau das. Ich machte es mir in meinem Stuhl bequem. Doch kaum hatte ich meine Augen geschlossen, drängten sich die Bilder des vergangenen Tages vor mein geistiges Auge. Ich sah meine Familie sterben, den flehenden Blick meiner Mutter, als der Rathrak sie erwischte, das schreckliche Knacken, als der erste von ihnen seine tödlichen Kräfte offenbarte und was am schlimmsten war, den Moment, als ich mich schon in Sicherheit wähnte, das zischende Geräusch, die Stichflamme und den Augenblick, in dem ich realisierte, dass nun auch mein Vater von uns gegangen war. Fragen schossen mir durch den Kopf: Warum hatte ich überlebt? Welch grausames Spiel spielten die Götter mit mir? Bei dieser Frage musste ich unwillkürlich grinsen, trotz all der schlimmen Gedanken. Es grenzte schon fast an Wahnsinn, aber es war doch erstaunlich, wie schnell Menschen abergläubisch wurden, wenn Verlust und Trauer an ihnen nagten. In diese Nacht lag ich lange wach und starrte in die Dunkelheit. Zorn, Angst und Sehnsucht nach meinen Eltern, meinem Bruder und meinem Zuhause, welches ich wahrscheinlich nie mehr wiedersehen würde, hielten mich wach. Als ich mich schon damit abgefunden hatte, heute Nacht keine Ruhe mehr zu kriegen, schlief ich schließlich doch ein. Doch die ganze Nacht lang quälten mich Albträume. Am nächsten Morgen wachte ich, wenn auch nicht mit besonders guter Laune, zumindest etwas ausgeruht auf. Ich hatte Glück: Einige der Rathrak waren anscheinend weitergezogen. Von der Aussicht auf Essen ermutigt, suchte ich mir eine Route raus, welche mich mit dem größten möglichen Abstand an meinen Feinden vorbei zu einer etwas abseits gelegenen Tankstelle führen würde, von der ich mir eine relativ große Chance auf Essen erhoffte. Mit diesem Plan im Kopf startete ich mein Gefährt wieder und steuerte es mit etwas unsicheren Bewegungen in Richtung Ziel. Doch noch bevor ich auch nur eine Meile geflogen war, fuhr plötzlich ein Ruck durch die Kugel. Ich schrak zusammen und guckte auf den Monitor, um herauszufinden, warum ich so abrupt angehalten hatte. Die Antwort auf diese Frage ließ sich auf dem Radar finden. Offenbar schwebten zwei Rathrakschiffe über mir und ich schien in einer Art Traktorstrahl gefangen zu sein. Mit einem leichten Anflug von Panik, drückte ich auf einen roten Knopf auf der Rückseite des Steuerknüppels. Bisher hatte ich mich nicht getraut ihn zu drücken, da ich auf Grund von Videospielerfahrungen davon ausgegangen war, dass er zu einer Waffe gehörte. Und das war schließlich genau das, was ich jetzt haben wollte. Also drückte ich ihn ohne lange nachzudenken. Es passierte nichts. Also es passierte schon etwas, nur nicht das, was ich mir erhofft hatte. Es blinkte lediglich ein großer Schriftzug auf „Waffensysteme deaktiviert“. Resigniert ließ ich mich in meinen Stuhl zurücksinken. Ich würde wohl oder übel abwarten müssen, was sie mit mir vorhatten. Plötzlich tat sich etwas. Es ging vorwärts. Ich musste nicht lange rätseln, wo sie mich hinbrachten, denn wir steuerten offensichtlich auf das große Mutterschiff zu. Nach ca. zwei Minuten waren wir auch schon da. Wir flogen ohne Umwege auf einen Hangar in einer der Aufbauten zu. In seinem Inneren standen an die 200 der silbernen Kugeln. Meine beiden Entführer setzten mich ab und landeten wenige Meter neben mir. In der Hoffnung doch noch fliehen zu können, versuchte ich die Triebwerke meines Gefährtes wieder in Gang zu bringen, jedoch vergeblich. In diesem Moment öffnete sich die Rampe und zwei der Rathrak standen davor. Ich zuckte zusammen in dem Glauben, dass es nun vorbei war. Doch nichts passierte, kein Surren eines Projektils, keine schweren Schritte eines nahenden Rathraks. Stattdessen sagte jemand etwas. Ich konnte 6

es nicht verstehen, denn es war in einer fremden Sprache, einer wie ich sie noch nie gehört hatte. Ich wusste nicht warum, vielleicht weil ich mir eine Möglichkeit erhoffte, mein Leben zu retten oder einfach aus Reflex, aber ich erwiderte mit aller Höflichkeit und Gelassenheit, die ich aufbringen konnte: „Wie bitte?“. Ein kurzes leises Summen war zu hören und der Rathrak sagte erneut etwas, doch diesmal verstand ich ihn: „Folge uns!“. Da ich nicht glaubte, dass ich eine Wahl hatte, tat ich wie mir geheißen und folgte ihnen. Fast fünf Minuten irrten wir durch die schier endlosen Gänge des Schiffes. Dann standen wir vor einer Tür. Mein Begleiter legte seine flache Hand an die Tür, welche sich daraufhin öffnete. Vor uns lag ein großer Raum. In seiner Mitte befand sich ein Geschöpf, welches einem Rathrak zwar ähnelte, aber jeden von ihnen um mehrere Fuß überragte. Ich hatte irgendwie eine böse Vorahnung um was oder besser gesagt wen es sich hierbei handelte. Diese Vermutung sollte sich schneller bestätigen, als es mir lieb sein sollte, denn noch bevor ich zu Ende gedacht hatte, fing er an zu sprechen. Seine Stimme war tief und strahlte Autorität aus. „Ich bin Ragnarök, König der Rathrak, wer bist du, der einen Angriff meiner Truppen überlebt hat?“. Da ich nichts mehr zu verlieren hatte, beschloss ich die Wahrheit zu sagen: „Ich bin Sam, ein einfacher Junge, ein Sohn der Welt, welche gerade erstickt im eisernen Würgegriff eurer Invasion. Wer gab euch das Recht dazu, so viele zu töten und was veranlasst euch, so etwas zu tun?“. Ich wusste nicht, woher ich den Mut genommen hatte, das zu sagen, aber es war mir auch egal. Anders als erwartet, blieb Ragnarök ruhig: „Weißt du, was die Rathrak sind? Ich werde es dir zeigen.“ Ein Zischen ertönte und Brust und Kopf des Königs glitten auseinander und offenbarten die wahre Gestalt meines Gegenübers. Zum Vorschein kam etwas, das sich am ehesten als eine Art Tintenfisch beschreiben lies, dessen Gehirn frei lag. Die Kreatur war in eine schleimige Substanz eingebettet und an mehrere Schläuche angeschlossen. Bei diesem Anblick konnten einem die Rathrak schon fasst leidtun. Aber nur fast, denn in diesem Moment fiel mir wieder ein, was diese Geschöpfe alles getan hatten. Ekel und Abscheu vor dieser Kreatur stiegen in mir auf. „Gefällt dir, was du siehst? Die Rathrak waren schon immer Ausgestoßene, aber als die Lebenszeit unseres Planeten vorbei war, war das Maß voll. Wir suchten uns einen Planeten ohne intelligente Spezies und beschlossen ihn zu besiedeln“. Jetzt begann er mich zu verärgern. „Das mit der intelligenten Spezies nehme ich jetzt mal nicht persönlich, aber ich frage noch einmal, was gibt euch das Recht, eine ganze Spezies auszulöschen? Menschen sind vielleicht dümmer als ihr, aber sie sind bei weitem nicht so grausam.“ Der Rathrak schloss seinen Panzer wieder und sagte: „Oh doch, denk doch mal nach, was macht ihr anders als wir. Ihr nehmt jeden Tag anderen Lebensformen die Heimat weg, um selbst mehr Platz zu haben. Ihr seid dabei langsamer als wir, aber genau so gründlich.“. Einen Moment lang sagte niemand etwas. Er hatte Recht, mit allem was er gesagt hatte. Niemals hätte ich das zugegeben, aber er hatte Recht. „Aber weißt du, was ihr Menschen macht? Ihr lasst immer einzelne Exemplare einer Spezies am Leben, damit ihr euch einreden könnt, dass ihr sie gerettet habt. Und genau das werde ich tun, ich werde dich am Leben lassen. Nimm das Schiff, das du gestohlen hast und flieg irgendwo hin. Nur eine Bedingung: Betritt nie wieder dieses Sonnensystem“. Auch wenn ich ihm diesen Triumph nicht gönnen wollte, nahm ich sein Angebot der Gnade an. Schließlich war ich der letzte Mensch. Zumindest glaubte ich das und bis heute, 30 Jahre später habe ich noch keinen anderen Menschen getroffen auf meiner endlosen Reise durch das All auf der Suche nach einer Heimat.

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