Der Herausgeber

Der Herausgeber Zum Jugend- und Suchthilfeverbund JJ gehören mehr als 30 verschiedene Einrichtungen im Rhein-Main-Gebiet. Ziel des Vereins ist es hilfebedürftigen, behinderten, gefährdeten oder psychisch kranken Menschen fachkundige Beratung, Behandlung und Lebenshilfe anzubieten. Um diese Ziele zu erreichen, sind die Angebote untereinander zu einem differenzierten sozialen Dienstleistungsverbund vernetzt. Koordinierte Kooperation soll eine optimale Planung und Steuerung der personenzentrierten Hilfeleistungen ermöglichen. Das Netzwerk von JJ in Frankfurt umfasst Jugend- und Suchtberatung, ambulante medizinische Rehabilitation, Jugendhilfe, Projekte zur Frühintervention, Betreutes Wohnen inkl. Nachsorge und Wohn- und Pflegeheim, Adaption, schulische Rehabilitation. Fachstellen für Synthetische Drogen, Beratung und Abstinenztherapie für Kokainabhängige, Ausländische Drogenabhängige und Verhaltenssüchte sowie Notschlaf- und Tagesruhebetten und Konsumraum ergänzen das Angebot. Darüber hinaus umfassen die Angebote von JJ Fachstellen für Suchtprävention, Zentren für Jugendberatung und Suchthilfe in Landkreisen im Rhein-Main-Gebiet, Entgiftungsstation, Übergangseinrichtung und stationäre medizinische Rehabilitation inkl. Adaption. Einen umfassenden Überblick zu den Hilfeangeboten des Jugend- und Suchthilfeverbundes und die Adressdaten der Einrichtungen finden Sie im Internet unter www.drogenberatung-jj.de.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis Vorworte .............................................................................................. 7 Aufbau des Buches ............................................................................ 11 Auszüge aus den Grußworten ............................................................ 12 Einleitung........................................................................................... 19 Drogennotdienst Elbestraße und Suchthilfezentrum Bleichstraße ..... 21 Aufsuchende Drogenhilfe „M 41“ – Ein Rückblick .......................... 34 Entwicklung der Drogensituation in Frankfurt am Main seit den 80er Jahren aus polizeilicher Sicht ....................................... 39 Substitution in Frankfurt .................................................................... 45 Abstinenzorientierte Modulare Kombinationsbehandlung bei substanzbezogenen Störungen im regionalen Therapieverbund Weser-Ems ............................................................ 58 Qualitätsmanagement und Zertifizierung .......................................... 62 „Integrierte Versorgung“ – Entwicklungsaufgabe der Suchthilfe – ... 66 Beratung und ambulante Abstinenztherapie von Kokainabhängigen im Suchthilfezentrum Bleichstraße ..................... 78 Stationäre Rehabilitation mit Kokainabhängigen in der Kurzzeittherapie Hunoldstal .................................................... 82 Cannabismissbrauch – Information, Beratung und ambulante Behandlung in der Jugendberatung und Suchthilfe Am Merianplatz ................................................................ 86 Stationäre Rehabilitation bei Cannabisabhängigkeit in der Therapeutischen Einrichtung Auf der Lenzwiese .................... 98 JJ-Verbund für wohnortnahe Ambulante Rehabilitation ................. 110 Suchtberatung Online ...................................................................... 124 Versorgungsstruktur im Suchthilfeverbund JJ Entwicklungsstand und Ausblick..................................................... 133

Vorworte

Vorworte Dr. Manuela Rottmann, Dezernentin für Umwelt und Gesundheit der Stadt Frankfurt

Die hier als Buch vorgelegte Dokumentation einer Fest- und Fachveranstaltung anlässlich der Jubiläen des Drogennotdienstes Elbestraße und des Suchthilfezentrums Bleichstraße hat für die Verantwortlichen in der Drogenpolitik und im öffentlichen Gesundheitswesen der Stadt Frankfurt einen mehrfachen Gebrauchswert. Die historische Skizze zur Entwicklung von zwei Einrichtungen, die mit ihren Angeboten der Krisen- und Überlebenshilfen sowie der Beratung, Suchttherapie und Integrationshilfen exemplarisch für zwei Säulen des städtischen Hilfesystems stehen, lässt sich gut als Übersicht über 25 Jahre Entwicklungs- und Lernprozesse in der Drogenpolitik und Drogenhilfe der Stadt Frankfurt lesen. Darüber hinaus kommen Kooperationspartner aus dem Gesundheitswesen, der Kassenärztlichen Vereinigung und der Polizei zu Wort. Drogenhilfeplanung war in Frankfurt stets eine gemeinsame Aufgabe von verschiedenen Akteuren. Die Verständigung auf eine pragmatische Vorgehensweise gegenüber dem Problem Suchterkrankung steht dabei im Vordergrund. Am Beispiel des Drogennotdienstes Elbestraße und des Suchthilfezentrums Bleichstraße werden Entwicklungslinien und Lernprozesse erkennbar, die eingebettet waren in die städtische Drogen- und Suchtpolitik und auch einige Leitlinien unserer Steuerung und Planung in der Vergangenheit und der Gegenwart widerspiegeln. Dabei wurden und werden zwei Ziele gleichzeitig und gleichgewichtig verfolgt: die Lebenssituation der Abhängigen soll verbessert, Gefährdungen sollen abgewendet, Leid gemindert und der Ausstieg aus der Sucht gefördert werden – und gleichzeitig muss die Öffentlichkeit von den Erscheinungsformen des Drogenmarktes, der Beschaffungskriminalität und der Drogenszene entlastet, die Sicherheit der Bürger gewährleistet werden. Wesentliche Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Maßnahmen und die Erreichbarkeit der Betroffenen sind die Differenzierung, Spe7

Vorworte

zialisierung und Zielgruppenorientierung der Hilfen und gleichzeitig ihre Vernetzung. Durch Schnittstellenmanagement und Abstimmung der Einrichtungen mit ihren Angeboten muss sichergestellt werden, dass den Bedürftigen die für sie adäquaten Hilfen vermittelt werden und dass das Hilfesystem durchlässig bleibt und die persönliche Weiterentwicklung der Betroffenen durch aufeinander aufbauende und miteinander verbundene Hilfen gefördert wird. Drogengebrauch und die spezifischen Probleme, die damit einhergehen, ändern sich sehr schnell. Neue Substanzen und Konsumformen verursachen spezifische Problemlagen. Umso wichtiger ist es, dass Suchthilfen auf die veränderte Situation schnell reagieren können. Dies verlangt den Akteuren ein erhebliches Maß an Flexibilität und Veränderungswillen ab. Die 25-jährige Geschichte der beiden Institutionen ist ein Ausweis für diesen Willen, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Mit der vorgestellten systematischen Qualitätsentwicklung und Zertifizierung ist der Suchthilfeverbund auf neue Entwicklungen im Problemfeld Sucht und Drogenabhängigkeit in der Lage vorausschauend und pro aktiv tätig zu werden. Für die weiteren Jahre wünsche ich Ihnen alles Gute und danke Ihnen herzlich für die geleistete Arbeit der letzten 25 Jahre.

Renate Walter-Hamann, Referatsleiterin Deutscher Caritasverband Freiburg

Das Versorgungssystem für Menschen mit substanzbezogenen Problemen steht vor großen Herausforderungen. Aufgrund der aktuellen fach- und versorgungspolitischen Entwicklungen steigen die Anforderungen an abgestimmte und koordinierte einrichtungs- und sektorenübergreifende Beratungs- und Rehabilitationsleistungen deutlich. Kapazitäts- und Qualitätsgewinne in der Suchthilfe werden zukünftig in hohem Maße davon abhängig sein, ob und wie es gelingt, die vorhandenen Ressourcen bedarfsgerecht zu bündeln und die vielfältigen Schnittstellen besser zu verknüpfen. 8

Vorworte

Die verbindliche Einbindung der ambulanten und stationären Suchthilfeeinrichtungen in regionale Verbundsysteme stellt daher eine zentrale zukunftsorientierte Aufgabe der Träger dar. Dies verlangt einen Perspektivenwechsel in der Weise, dass die Arbeit der Suchthilfe in all ihren Ausprägungen konsequent vom Verbund her gedacht, geplant und umgesetzt werden muss: im Fokus der Betrachtung steht damit nicht mehr die einzelne Einrichtung und ihre Leistungen, sondern ihr Beitrag zu einem umfassend verstandenen Leistungsprozess, zum gesamten „Wertschöpfungsprozess“ des Verbundes. Dies erfordert hohe Flexibilität und Offenheit für neue Entwicklungen und zugleich ein klares Profil und eine bindende Identität des Verbundes. Das vorliegende Buch „Suchthilfe im Verbund“ dokumentiert in sehr anschaulicher Weise den in den letzten 25 Jahren zurückgelegten Weg des Suchthilfeverbundes JJ zu einem Modell der integrierten Versorgung. Die Evaluation des Verbundes mit dem Ziel der Verbesserung und Weiterentwicklung der Angebote stand nun konsequenterweise als nächster Schritt auf der Tagesordnung. Der Deutsche Caritasverband hat Anfang dieses Jahres seine Studie zu „Integrierten Versorgungsstrukturen – Kooperation und Vernetzung in der Suchthilfe der Caritas“ veröffentlicht. Damit liegen erstmals bundesweite empirische Daten zu Ausgestaltung, Qualität und Entwicklungsperspektiven von Verbundsystemen in der Suchthilfe eines Verbandes vor. Die Studie soll dazu beitragen, die notwendige Fachdiskussion um die Ausgestaltung von Verbundsystemen in der Caritas zu qualifizieren und die Basis für weiterführende konzeptionelle Überlegungen auf der Bundes- und regionalen Ebene zu liefern. Wir freuen uns daher sehr, dass Jugendhilfe und Jugendberatung e. V. die Ergebnisse dieser Studie aufgegriffen und trägerbezogen ausdifferenziert und konkretisiert hat. Für die Evaluation des Sucht- und Jugendhilfeverbundes konnte JJ zum einen auf Instrumente und Daten zurückgreifen, die im Rahmen eines konsequenten Qualitätsmanagements in den letzten Jahren entwickelt worden sind. Darüber hinaus wurden vielfältige weitere klienten-, einrichtungs- und verbundbezogene Daten sowie externe Berichterstattungen zu einer umfassenden Sekundäranalyse herangezogen; ergänzend wurden spezifische Erhebungen im kommunalen und regionalen Kontext durchgeführt. 9

Vorworte

Der Sucht- und Jugendhilfeverbund wurde dabei nicht nur „aus sich selbst heraus“ analysiert, sondern außerdem konsequent „von außen“ bewertet – aus der Perspektive der Klienten/-innen, der Angehörigen, angrenzender Arbeitsbereiche, kommunaler/regionaler Kooperationspartner und Leistungsträger. Diese Analyse liefert die Grundlage dafür, Entwicklungsziele für den Sucht- und Jugendhilfeverbund zu identifizieren und Wege der Umsetzung zu skizzieren. Die Evaluation ist aufgrund ihres prozessorientierten methodischen Zugangs jedoch bereits der erste Schritt dieser Entwicklung selbst. Ein solch umfassender Prozess der Organisationsentwicklung benötigt eine klare Leitungsentscheidung, Zeit, Energie und das hohe Engagement und die Kompetenz vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir hoffen, dass die Evaluation auch für andere Suchthilfeträger Anregung und Ermutigung sein wird für eigene Erhebungen und Planungen.

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Aufbau des Buches

Aufbau des Buches Der Verein Jugendberatung und Jugendhilfe e. V. hat sich entschieden, die im Rahmen der Veranstaltungen zum Doppeljubiläum des Suchthilfezentrums Bleichstraße und des Drogennotdienstes in Frankfurt gehaltenen Beiträge als Buch zu veröffentlichen. Mit den Grußworten, den Geschichten der Einrichtungen und den Fachbeiträgen wird ein informativer und detaillierter Überblick über Entwicklung, Stand und Perspektiven der Suchthilfe gegeben. Zunächst werden die anlässlich der Jubiläumsfeier gehaltenen Grußworte wiedergegeben. Anschließend werden die Geschichten und Etappen der Drogenhilfe von 1982 – 2007 nachgezeichnet. Dabei werden die generellen Linien aufgezeigt und in einzelnen Originalbeiträgen spezifische Schwerpunktsetzungen vorgenommen:  Niedrigschwellige Drogenhilfe – Von Streetwork zum Krisenzentrum/Harm-Reduction und Entlastung der Öffentlichkeit (OSSIP1)  Aids in der Drogenszene – Aidsbehandlung von Drogenanhängigen  Substitution – szenenahe Krisenhilfe und integrationsorientierte Substitutionstherapie  Medizinische Versorgung in der Drogenhilfe – Kooperationsmodelle zwischen Drogenhilfe und Gesundheitswesen  Abstinenztherapie – Therapie für Kokainabhängige – Verbund für Ambulante Rehabilitation  Perspektive Kombitherapie stationär-ambulant  Qualitätsmanagement und Zertifizierung  Die Entwicklungsperspektive für eine Integrierte Versorgung im Suchthilfeverbund wird anschließend anhand einiger Grundsatzvorträge erörtert und beispielhaft für die Bereiche Kokainabhängigkeit, Cannabisabhängigkeit, wohnortnahe Ambulante Rehabilitation sowie Internetberatung aufgezeigt. Ein wegweisendes Modell zur Integrierten Versorgung am Beispiel des Suchthilfeverbundes JJ schließt diesen Teil ab und gibt einen Ausblick auf weitere Entwicklungen. 1

Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention, Prävention

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Auszüge aus den Grußworten

Auszüge aus den Grußworten Rosa M. Winheim, Hessisches Sozialministerium

… Beide Einrichtungen, die heute ihr Jubiläum feiern, sind wichtige Bausteine im hessischen Suchthilfeangebot, und zwar im Bereich der Überlebenshilfen und im Bereich der Beratung bzw. Behandlung. Nachdem das Drogenproblem in den 70er Jahren bei jungen Menschen in Deutschland immer mehr Raum in der Öffentlichkeit einnahm, war der Ausbau eines flächendeckenden Netzes von Jugendund Drogenberatungsstellen sowie die Errichtung von Therapieplätzen für diese Klientel eines der Hauptanliegen des „Hessischen Programms zur Bekämpfung des Drogenmissbrauchs von 1980“, wie ich nachlesen konnte. Doch schon in der Fortschreibung des Programms im Jahr 1983 wurde die Erkenntnis aus dem Jahr 1982 von Fachleuten aus Land/Stadt/Trägern festgehalten, dass viele Drogenabhängige nicht zu den eingerichteten Beratungsstellen kamen. Deswegen wurde eine „Sonderberatungsstelle“ eingerichtet, die gemeinsam von der Stadt Frankfurt und dem Land Hessen finanziert wurde. Es sollte „erprobt“ werden, Drogenabhängige unmittelbar an ihren Treffpunkten anzusprechen, um sie für Beratung und Therapie zu motivieren. Der Grundstein für den heutigen Drogenotdienst Elbestraße war mit M 41 (Münchner Straße 41) gelegt und damit ein neuer Arbeitsbereich, nämlich “Streetwork“ (besonders in Brennpunkten) bzw. niedrigschwellige Angebote, ins Leben gerufen. Die Probleme innerhalb des Drogenbereichs, die bewältigt werden mussten, nahmen rasant zu, z. B. die HIV-Infektionen und AIDSErkrankungen bei den Drogenabhängigen. Und so wurde 1987 im Rahmen des Bundesmodellprogramms „Drogen und AIDS“ das Suchthilfezentrum Bleichstraße als Fachberatungsstelle gegründet. Da wir noch weitere Statements zur Entwicklung der Drogenhilfe besonders der beiden Einrichtungen hören werden, also nur kurz zu diesen: Um von den eben skizzierten Anfängen zu dem zu werden, was die beiden Einrichtungen heute darstellen, nämlich professionell und qualifiziert für verschiedene Zielgruppen arbeitend, brauchten sie 12

Auszüge aus den Grußworten

viele verschiedene Partnerinnen und Partner, Kooperationen, aber auch Unterstützung. Vor allem waren und sind engagierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter notwendig, die sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen, die an den Problemen wachsen, denen sie sich täglich stellen, nach realistischen und pragmatischen Lösungen suchen und so zu einem Ausbau von differenzierten und effizienten Hilfeangeboten kommen. Ich bin überzeugt, dass dieses auch das Erfolgsrezept für die Zukunft sein wird, das Suchthilfeangebot weiter effizient und qualitätsorientiert auszubauen. Denn es ist tragisch und bedauerlich, dass die hohe Anzahl derjenigen, die glauben ihren Alltag nicht ohne Alkohol, Medikamente und Drogen durchstehen zu können, sich durch die vielen Bemühungen von den verschiedensten Seiten nicht wirklich reduzieren lässt. Das heißt aber auf keinen Fall, dass die Arbeit weniger wichtig oder gar überflüssig ist, sondern im Gegenteil, es verweist nur darauf, wie verschiedene Aspekte der Arbeit weiter intensiviert werden bzw. immer wieder andere, auch neue Antworten gefunden werden müssen. Ich bin davon überzeugt, dass dieses nur gemeinsam mit allen Beteiligten – Land, Stadt, Leistungs- und Kostenträgern und Wohlfahrtsverbänden – geht. Ich weiß, dass vielen von Ihnen durch die Einführung der Kommunalisierung der Fördermittel auch im Suchthilfebereich einen Rückzug des Landes befürchten. Aber ich will Ihnen versichern, dass dies nicht der Fall sein wird. Sie wissen, die Kommunalisierung der Landesförderung ist von der Idee getragen, dass bei immer knapper werdenden öffentlichen Haushaltsmitteln die Fördergelder so eingesetzt werden, dass wirksamere und konsequentere Angebote geschaffen werden, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen, den Notwendigkeiten und den Problemlagen vor Ort richten. Niemand kann wirklich widersprechen, dass vor Ort bzw. in einer Region die konkreten Probleme schneller sichtbar werden. Und mit einer gebündelten Förderung auf kommunaler Ebene kann darauf gezielter reagiert werden. Es soll so eine zukunftssichernde Infrastruktur geschaffen werden. Es ist ein Umdenken erforderlich. So sollen inhaltliche Zielsetzungen nicht nur jeweils aus Landes- und/oder kommunaler Sicht bzw. Trägerseite, sondern von allen Beteiligten gemeinsam definiert werden, 13

Auszüge aus den Grußworten

damit die Menschen vergleichbare Chancen z. B. für ihre Problembewältigung haben, egal wo sie leben. Um einen qualifizierten Dialog unter den Beteiligten zu ermöglichen, werden andere Strukturen als bisher notwendig sein. An diesen Strukturen wird gearbeitet: Es soll in diesem Jahr erstmals ein landesweiter Bericht zu den verschiedenen Bereichen, die in die Kommunalisierung eingeflossen sind, veröffentlicht werden. Und in Fachkonferenzen zu verschiedenen inhaltlichen Themen (so auch im Suchtbereich) sollen Vertreterinnen und Vertreter des Landes, der Kommunen und der Träger sich austauschen. Ich weiß, es läuft mit dem Umdenken und der neuen Struktur noch nicht richtig rund. Aber ich bin sicher, wenn sich alle beteiligen, wird sich der begonnene Prozess für alle lohnen. Es hat vor 25 Jahren bzw. 20 Jahren auch niemand ahnen können, wie erfolgreich die Arbeit der Suchthilfe verlaufen wird. Von Seiten des Landes ist der Wille bis heute vorhanden, sich weiterhin den neuen Herausforderungen innerhalb der Suchthilfe zu stellen und gemeinsam mit den verschiedenen Beteiligten nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Dem Suchthilfeverband JJ danke ich – auch im Namen von Frau Ministerin Lautenschläger, für die wichtigen Beiträge, die er zum Ausbau der hessischen Suchthilfe geleistet hat …

Regina Ernst, Drogenreferat der Stadt Frankfurt

… Die Einladung zum heutigen Jubiläum bietet einen guten Grund, einen Blick zurück zu werfen, aber auch die Zukunft ins Auge zu fassen. Vor allem aber ist sie ein Anlass, Dank zu sagen … (für) Ihre Initiativen und konstruktive Kritik und Ihr Mitwirken an der Gestaltung des Frankfurter Weges … Die M 41, aus der der Drogennotdienst hervorgegangen ist, hat ihre Tätigkeit mit 4 Vollzeitstellen gestartet. Inzwischen arbeiten im „Drogennotdienst Elbestraße“ 16 hauptamtliche und circa 30 studentische Mitarbeiter in den unterschiedlichen Bereichen. 14

Auszüge aus den Grußworten

Der Drogennotdienst, alias „M 41“, war vor über 20 Jahren die erste und einzige Einrichtung, die niedrigschwellig arbeitete. Sie hatte im Bereich der Drogenhilfe einen dementsprechenden Sonderstatus, wurde beargwöhnt und bestaunt. Mit ihrem für die damalige Zeit „revolutionären“ Konzept erzielte die „M 41“ unter allen ambulanten Drogenhilfeeinrichtungen in Deutschland die höchste Vermittlungsquote in stationäre Therapie. Der Drogennotdienst Elbestraße hat seine Wurzeln nicht vergessen und im Laufe der Jahre gezeigt, dass das, was lange als unvereinbar galt, eben nicht unvereinbar ist: nämlich gleichzeitig sowohl suchtbegleitend als auch ausstiegsorientiert zu arbeiten. Heute vereint er als einzige Einrichtung im Bahnhofsviertel unter anderem einen Konsumraum, den ersten Rauchraum für Crackkonsumenten, eine medizinische Ambulanz mit Substitution, eine Übernachtungseinrichtung etc. unter einem Dach. Darüber hinaus beteiligt sich die Elbestraße mit den anderen Einrichtungen des Bahnhofsviertels an dem in Kooperation mit der Polizei durchgeführten Projekt „OSSIP“ (Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention, Prävention). Auf einen bewegten und vieles bewegenden Weg kann auch das „Suchthilfezentrum Bleichstraße“ zurückblicken, das 1987 als Beratungsstelle Drogen und Aids an den Start ging. Während es in den Anfängen 5 Stellen gab, sind heute in der Bleichstraße 9,5 Stellen angesiedelt. Der Aufgabenbereich der anfänglich auch mit Bundesmitteln geförderten Modellberatungsstelle „Drogen und AIDS“ lag ursprünglich in der Prävention und Beratung von HIV-positiven oder bereits an AIDS erkrankten Drogenabhängigen und deren Angehörigen. Aus der Beratungsstelle Drogen und Aids ist inzwischen das „Suchthilfezentrum Bleichstraße“ erwachsen, das – wie schon sein Name nahe legt – sein Leistungsspektrum erweitert und an Profil hinzugewonnen hat. Von der Vielzahl der Angebote will ich hier nur die Fachambulanz für substitutionsgestützte Drogenhilfe, die ambulante Rehabilitation, die Fachstelle Kokain und die „Therapie auf dem Bauernhof“ erwähnen. Beide Einrichtungen haben sich über die Jahrzehnte hinweg nicht nur behaupten können, sondern sind auch mit neuen Aufgaben betraut

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Auszüge aus den Grußworten

worden, und wie die angedeuteten Beispiele zeigen, eindrucksvoll gewachsen. Dies hat vor allem zwei Gründe: Zum einen leisten beide Einrichtungen eine hervorragende Arbeit. Zum anderen waren beide Einrichtungen bereit, sich Veränderungen, Entwicklungen und neuen Anforderungen kreativ, flexibel, hoch engagiert und kooperativ zu stellen. Beide Einrichtungen haben in den zurückliegenden 25 bzw. 20 Jahren tausende Menschen begleitet und unterstützt, für die ihr Drogenkonsum problematisch oder selbstzerstörerisch wurde. Viele sind verstorben, viele haben gelernt, ihrem Leben einen neuen Inhalt und eine neue Perspektive zu geben. Hinter der Arbeit beider Einrichtungen stehen beeindruckende Leiter und Mitarbeiter. Sie können dem Leben ihrer Klientel nicht mehr Zeit geben, aber sie darin unterstützen, ihrer Zeit mehr Leben und damit Qualität zu geben. Dafür ein herzliches Danke.

Wolfgang Schmidt, Hessische Landesstelle für Suchtfragen

… die heutigen „Jubilare“ sind aus der Drogenhilfelandschaft in Frankfurt nicht mehr wegzudenken. Ich kann mich jedoch noch gut daran erinnern, wie groß die Vorbehalte und Bedenken Anfang und Mitte der achtziger Jahre in der Drogenhilfelandschaft gegenüber niedrigschwelligen Ansätzen, Substitution und der Zusammenarbeit der Drogenhilfe mit der Medizin noch waren. Interessanterweise wurden die beiden Einrichtungen, die solche „neuartigen“ Ansätze auch gegen viele Bedenken aus Fachkreisen in die Praxis umsetzten, von einem Träger ins Leben gerufen, der sich bereits mit umfangreichen Angeboten in der Drogenhilfe etabliert hatte. Der Verein JJ hat mit der Installation der neuen Einrichtungen darauf reagiert, dass die Strukturen der bisherigen ambulanten Hilfen nicht mehr angemessen waren, um den neuen Problemen der Drogenszenen angemessen zu begegnen. Für diese Haltung des Trägers Jugendberatung Jugendhilfe ist das Wort „innovativ“ durchaus angebracht. 16

Auszüge aus den Grußworten

Über den lokalen Bezugsrahmen hinaus lässt sich feststellen, dass die Einrichtungen Elbestraße und Bleichstraße aber auch beispielhaft für die Entwicklung der ambulanten Drogenhilfe seit den achtziger Jahren stehen: Die bisherige Hauptfunktion der Beratungsstellen als Vermittlungsagenturen in stationäre Therapieeinrichtungen veränderte sich dahingehend, dass sie sich zu ambulanten Hilfeagenturen mit an die aktuelle Situation angepasstem, eigenständigem Angebotsprofil entwickelten. In der Elbestraße, ursprünglich als M 41 schon vor der Bleichstraße als niedrigschwellige Einrichtung gegründet, ist es im Laufe der Jahre gelungen, suchtbegleitende Maßnahmen zu einem anerkannten und eigenständigen qualifizierten Arbeitsfeld innerhalb der ambulanten Suchthilfeangebote auszubauen. Praktisch das konzeptionell „andere Ende“ der ambulanten Arbeit markiert das Suchthilfezentrum Bleichstraße, das als Fachberatung „Drogen und Aids“ 1987 gegründet wurde. Hier hat sich im Laufe der Zeit über die qualifizierte Substitution ein eigenständiger therapeutischer Behandlungsansatz in einem ambulanten Setting herausgebildet. Durch die stetige Weiterentwicklung der Einrichtungskonzeption und darauf abgestimmte Fortbildungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurde ein erfolgreiches ausstiegsorientiertes Behandlungsangebot gestaltet, das die soziale Integration der Klientinnen und Klienten in den Mittelpunkt stellt. Seit vielen Jahren wird in der Bleichstraße nun u. a. die ambulante Rehabilitation durchgeführt (die mit Drogenabhängigen übrigens über viele Jahre als nicht realisierbar angesehen wurde) und, einmalig zumindest in Hessen, eine strukturierte Kokaintherapie angeboten. Neben diesen Besonderheiten ist in einem weiteren Punkt in beiden Einrichtungen Innovatives zu vermerken – das sinnvolle und nutzbringende Zusammenwirken von Psychiatrie, Medizin und Suchttherapie in diesen Einrichtungen hat sich von einem zarten Pflänzchen zu Beginn inzwischen zu einer stattlichen Pflanze entwickelt. Als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesstellen weiß ich, dass beide Einrichtungen über Hessen hinaus mit ihren wegweisenden Ansätzen großes Interesse gefunden haben. Als Geschäftsführer der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen (HLS) möchte ich auf Synergieeffekte für das Land Hessen hinweisen, zu 17

Auszüge aus den Grußworten

denen die Bleichstraße und hier vor allem ihr Leiter Werner Heinz maßgeblich beigetragen haben. Lassen Sie mich zwei Beispiele herausgreifen: Das Computergestützte Basisdokumentationssystem COMBASS hätte in Hessen nicht in diesem Umfang installiert und weiterentwickelt werden können … Wichtige Impulse aus der Bleichstraße kamen immer dann, wenn es auf Landesebene um trägerübergreifende, praxisorientierte Vereinbarungen (z. B. Umgang mit der psychosozialen Betreuung der Methadonklientel) oder fachpolitischen Stellungnahmen (z. B. ambulante Rehabilitation) ging. Ich habe mein Grußwort damit eingeleitet, auf die fachpolitischen Kontroversen vor 25 Jahren hinzuweisen, lassen Sie mich nun zum Ende meines Beitrages noch einmal kurz darüber reflektieren, welche Bedingungen notwendig waren, damit aus den damaligen Gründungen der heutigen beiden Jubiläumseinrichtungen trotzdem eine Erfolgsstory werden konnte: Zum einen sicherlich die Bereitschaft des Trägers, neues und damit auch ungewohntes Terrain zu betreten. Hierzu brauchte es sowohl in der Vereinsadministration Personen als auch Mitarbeiter, die bereit waren Neues zu wagen. Realisierbar wurden die Konzepte allerdings nur, weil die Vereinsführung damals sowohl die Politik und die Fachabteilungen beim Land und in der Stadt Frankfurt überzeugen konnte, die finanziellen Mittel für diese Arbeit zur Verfügung zu stellen und schlussendlich diese dies auch getan haben …

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Einleitung

Einleitung DOPPELJUBILÄUM

Der Drogennotdienst Elbestraße ist als Krisenzentrum mit medizinischer Ambulanz, Konsumraum, Übernachtungseinrichtung und Substitutionsangebot aus dem Stützpunkt für Streetwork und aufsuchende Drogenberatung M 41 (Münchener Straße 41) entstanden. Seine 25jährige Geschichte spiegelt die Entwicklung und Ausdifferenzierung von suchtbegleitenden Hilfen und lebensnaher medizinischer und psychosozialer Versorgung für Drogenabhängige, die eine starke Bindung an das Milieu der Drogenszene haben. Das Suchthilfezentrum Bleichstraße in Frankfurt steht für rehabilitations- und integrations-orientierte Suchtberatung, Substitutions- und Abstinenztherapie sowie für spezifische Behandlungsangebote für Kokainkonsumenten. Diese Einrichtung ist aus der Beratungsstelle Drogen und Aids vor 20 Jahren als Modellkonzeption zum Modellprogramm „Betreuung und Beratung HIV-infizierter Drogenabhängiger“ hervorgegangen. Der Verein hat das Doppel-Jubiläum zum Anlass genommen, um am Beispiel der Geschichte einer „niedrigschwelligen“ und einer therapeutisch arbeitenden Einrichtung einige charakteristische Etappen in der Entwicklung der Drogenhilfe in Frankfurt und darüber hinaus in Hessen und in Deutschland zu bilanzieren und zu kommentieren. In diesem Rahmen wird das gesamte Spektrum suchtspezifischer Hilfen, angefangen von aufsuchender szenenaher Arbeit über medizinische Notfallintervention bis hin zu gezielter therapeutischer Behandlung und medizinischer Rehabilitation, thematisiert. Insofern legt der Abriss der Entwicklung der Suchthilfe am Beispiel dieser Einrichtungen nahe, die verschiedenen Aspekte der Suchthilfe und die ineinander greifenden Hilfeangebote, die zu einer Integrierten Versorgung vernetzt sind, zu reflektieren. Somit ist es stringent am Nachmittag nach der Jubiläumsfeier eine Fachkonferenz über Entwicklungsperspektiven einer Integrierten Versorgung im Suchthilfeverbund anzuschließen. 19

Einleitung DANKSAGUNG

Angesichts eines Doppeljubiläums von zwei bedeutenden Einrichtungen ist selbstverständlich vielen zu danken. Den Initiatoren der Einrichtungen, die vor 25 Jahren maßgeblich als Staatsminister der Hessischen Landesregierung und Stadträte bzw. Bürgermeister der Stadt Frankfurt die Einrichtungen möglich gemacht haben. Den zuständigen Vertretern in den Ämtern, die die Rahmenbedingungen für die Realisierung der Projekte durch den Verein Jugendberatung und Jugendhilfe zu gestalten wussten. Als ständige Unterstützer und Finanzierer der Einrichtungen das Land Hessen, das Drogenreferat und das Gesundheitsdezernat der Stadt Frankfurt. Der herausragende Dank im Rahmen eines solchen Jubiläums gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die heute und jemals in der Vergangenheit in diesen Einrichtungen mitgearbeitet haben, mit ihrem Engagement zur guten und differenzierten Entfaltung dieser Projekte beigetragen haben und noch beitragen. Der persönliche Dank gilt all jenen, die an der Gestaltung des Jubiläums und der Fachtagung aktiv mitgewirkt haben.

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Drogennotdienst Elbestraße und Suchthilfezentrum Bleichstraße

Drogennotdienst Elbestraße und Suchthilfezentrum Bleichstraße Wolfgang Barth und Werner Heinz

DIE ENTWICKLUNG DER EINRICHTUNGEN IM KONTEXT DER DIFFERENZIERUNG VON DROGENHILFE IN FRANKFURT

Streetwork und szenenahe Anlaufstelle 1982 – Gründung der Aufsuchenden Drogenhilfe M 41. Im Verlauf der siebziger Jahre professionalisiert sich die aus Selbsthilfeinitiativen, Therapeutischen Gemeinschaften und Laieninitiativen hervorgegangene Drogenhilfe. Anfang der achtziger Jahre ist das Hilfesystem idealtypisch nach dem Modell der Therapiekette organisiert: Ambulante Beratung in einer Jugend- und Drogenberatungsstelle – Entzug in einer psychiatrischen Klinik – Entwöhnung in einer stationären Langzeittherapie – Nachsorge in Nachsorgewohngemeinschaften und wiederum in Jugend- und Drogenberatungsstellen. Jugend- und Drogenberatung wird in Frankfurt stadtteilorientiert in sechs Jugend- und Drogenberatungsstellen angeboten: Das Drop-In mit Zuständigkeit für die Innenstadt, die JDB Marbachweg im Frankfurter Norden, die Jugend- und Suchtberatung Corneliusstraße für Westend/Bockenheim, JDB Sachsenhausen für die südlichen Stadtteile, JDB Bornheim und JDB Höchst. Die stationäre Abstinenztherapie erfolgt in den mit Förderung des Hessischen Sozialministeriums eingerichteten Langzeittherapie-Einrichtungen „Wolfsmünster“, „Eppstein“ und „Waldmühle“. Drogenszene in Frankfurt Nach Auflösung des Szenetreffpunkts „Haschwiese“ am Stadtbad Mitte hat sich Anfang der achtziger Jahre im Bahnhofsgebiet eine von Öffentlichkeit und Medien mit großer Aufmerksamkeit und Beunruhigung beobachtete wachsende Drogenszene entwickelt. 21

Drogennotdienst Elbestraße und Suchthilfezentrum Bleichstraße

Der Verein Jugendberatung und Jugendhilfe errichtet mit Förderung durch das Hessische Sozialministerium und die Stadt Frankfurt die M 41 als szenenahen Stützpunkt für Streetwork und Drogenberatung im Bahnhofsviertel. Acht Sozialarbeiter/-innen und Ex-User/-innen sind von Montag bis Freitag auf der Drogenszene präsent, beraten in der Einrichtung, vermitteln in Entgiftung und stationäre Hilfeeinrichtungen, begleiten zu Gerichtsverhandlungen, Behörden, Ämtern und Unterkünften, sind Ansprechpartner/-innen für Familienangehörige und Partner/-innen, halten die Kontakte während Krankenhausaufenthalten und Inhaftierungszeiten, moderieren bei Konflikten mit Anwohner/-innen, Ordnungskräften und Passantinnen und Passanten. Die Streetworker/-innen gewinnen bei den Heroinabhängigen in der Bahnhofsszene schnell eine Vertrauensposition, und oft sind sie die einzigen Ansprechpartner/-innen für ihre Klientel. Die kleine Einrichtung mit 2 Beratungsräumen, einem 20 qm großen Warteraum und einem Verwaltungsbüro im 3. Stockwerk der Münchner Straße 41 wird Anlaufstelle, Treffpunkt und Aufenthaltsbereich. Einen Eindruck von der Arbeitsweise und Atmosphäre in den Anfangsjahren der Streetwork vermittelt der Bericht von Sabine Kühn, ehemalige Mitarbeiterin der M 41 und heute Geschäftsführerin der Qualitätssicherungskommission Substitution bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (S. 34) Aids-Prophylaxe und Hilfen zum „Leben mit dem Virus“ 1987 – Gründung der Fachberatungsstelle „Drogen und Aids“. Seit 1983 werden die später als AIDS beschriebenen Symptome der HIVInfektion auch bei Drogenabhängigen diagnostiziert. Als einer der wesentlichen Verbreitungswege der Infektion wird die gemeinsame Verwendung von Injektionsbesteck bei i. v. Drogenkonsumierenden identifiziert. Befunde aus HIV-Tests, die anlässlich der stationären Entgiftung und Entwöhnung durchgeführt, aber auch in der Drogenberatung angeboten werden, lassen unter den i. v. -Drogenabhängigen Infektionsraten zwischen 15 % und mehr als 50 % vermuten. Das Hessische Sozialministerium bündelt Fördermittel des Bundesmodellprogramms „Drogen und Aids“ für die Errichtung einer 22

Drogennotdienst Elbestraße und Suchthilfezentrum Bleichstraße

Schwerpunktberatungsstelle. Die in der Nähe der Konstablerwache neu eröffnete Fachberatungsstelle „Positiv Leben – Drogen und Aids“ erhält den Auftrag, in enger Zusammenarbeit mit den bestehenden Hilfeeinrichtungen die Aids-Prophylaxe und die Versorgung von Aidskranken in den gemeinsamen Zielgruppen systematisch weiter zu entwickeln. Das interdisziplinäre Fachteam ist zusammengesetzt mit Fachkräften aus Medizin, Pflege, Psychologie, Pädagogik und Sozialarbeit. Das Arbeitskonzept umfasst  „niedrigschwellige“ und aufsuchende Zugänge zur Zielgruppe  Streetwork und aufsuchende Beratung in Versorgungseinrichtungen  medizinische Beratung und Durchführung von HIV-Antikörpertests  sucht-, sozial- und psychotherapeutische Angebote als Bewältigungshilfen und Unterstützung beim „Leben mit dem Virus“. Dabei werden auch Konzepte und Erfahrungen aus verwandten medizinischen und psychotherapeutischen Arbeitsfeldern (wie PsychoOnkologie, Logotherapie, Hospizbewegung) aufgenommen und adaptiert. Die in der praktischen Arbeit gewonnenen Erfahrungen und praxisrelevante Informationen aus der fortschreitenden Forschung zu HIV/Aids werden in Fortbildungsveranstaltungen für die Sucht- und Drogenhilfe und das Versorgungssystem weitervermittelt. Nach vierjähriger Tätigkeit resümiert der Jahresbericht der Fachberatungsstelle: Abstinent lebende HIV-Infizierte und Aidskranke können im bestehenden Hilfesystem gut integriert werden und erfahren hier wirksame Unterstützung.  Für die akut Suchtmittel konsumierenden HIV-Infizierten und Aidskranken fehlen weiterhin sowohl wirksame medizinische Behandlungsmöglichkeiten als auch lebenspraktische Hilfen z. B. in den Bereichen Wohnen und Pflege  Ein Schlüssel zur Erreichbarkeit dieser Gruppe ist die Substitutionstherapie  Wenn die Substitutionstherapie nicht ins Hilfesystem integriert wird, wird sich ein eigenes substitutionsgestütztes Behandlungssystem neben der Drogenhilfe entwickeln (müssen). 23

Drogennotdienst Elbestraße und Suchthilfezentrum Bleichstraße

Suchtbegleitung und Krisenhilfe 1989 – Die M 41 wird zum Krisenzentrum mit Notschlafstelle erweitert und bezieht als Drogennotdienst das Haus Elbestraße 38. Trotz beachtlicher Erfolge der M 41 bei der Vermittlung in Abstinenztherapie kann auch Streetwork nur wenig an der Lebenswirklichkeit jener Abhängigen ändern, die nicht bereit oder in der Lage sind, sich in stationäre Abstinenztherapie zu begeben, die Therapie abbrechen oder rückfällig werden. Auf die offenkundigen Grenzen auch dieser aufsuchenden Formen der Drogenberatung reagieren die Drogenhilfe und Drogenpolitik schließlich ab Mitte der achtziger Jahre mit der Erprobung sogenannter niedrigschwelliger Hilfen als Ergänzung zur stationären Langzeittherapie. 1989 wird der Drogennotdienst (DND) in der Liegenschaft Elbestraße 38 als suchtbegleitendes Krisenzentrum eröffnet, in dem Drogenberatung verbunden wird mit medizinischer Versorgung, Infektionsprophylaxe durch Spritzentausch, lebenspraktischen Hilfen wie Essenausgabe, Wasch- und Duschgelegenheit, Kleiderkammer sowie einem Kontaktcafé als Ruhe- und Aufenthaltsmöglichkeit. Die Einrichtung soll den Drogenabhängigen einen Rückzugs- und Schutzraum und eine Alternative zu dem von Gewalt, Stress und dauerhaften Drogenkonsum geprägten Leben auf der Straße bieten. In den oberen zwei Stockwerken wird eine Notschlafstelle für obdachlose Drogenabhängige mit 17 Übernachtungsplätzen eingerichtet. Die Ergebnisse des Drogennotdienstes belegen, dass Suchtbegleitung und Ausstiegsorientierung keine Gegensätze darstellen, sondern dass mit suchtbegleitenden Hilfen die Ausstiegsorientierung gefördert werden kann. Bei der Vermittlung in Entgiftung und Abstinenztherapie erreicht der Drogennotdienst Elbestraße Spitzenwerte:  1988: 194 Entgiftungen, 103 stationäre Entwöhnungen  1989: 259 Entgiftungen, 167 stationäre Entwöhnungen  1990: 465 Entgiftungen, 157 stationäre Entwöhnungen / 57 Nachsorgen/Schule. 1990 – Tagesruhebetten für kranke Drogenabhängige. Die medizinische Ambulanz wird ergänzt durch Tagesruhebetten für bettlägerige Drogenabhängige, für die oftmals eine stationäre Aufnahme im Krankenhaus dringend indiziert wäre. 24

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Substitutionstherapie 1992 – Erweiterung der Fachberatungsstelle „Drogen und Aids“ zur Substitutionsfachambulanz – Integration einer Substitutionsambulanz in den Drogennotdienst Elbestraße. Die in den achtziger Jahren sehr kontrovers diskutierte Opiatsubstitution wird in der Fachdiskussion und in der drogenpolitischen Diskussion sukzessive als „Behandlungsoption“ für gesundheitlich schwer belastete Langzeitabhängige akzeptiert, die mit den abstinenzorientierten Hilfen nicht erreicht werden. In Frankfurt wird die Opiatsubstitution seit 1989 im Rahmen eines seuchenprophylaktischen Projektes des Stadtgesundheitsamtes praktiziert, einige Ärztinnen/Ärzte verschreiben codeinhaltige Hustenmittel als Substitutionsmedikation. Die Stadt Frankfurt und das Land Hessen unterstützen die Implementierung der Substitutionstherapie in das Drogenhilfesystem durch rechtliche Absicherung, organisatorische Unterstützung und finanzielle Förderung. Die Fachberatungsstelle „Drogen und Aids“ wird auf Grundlage einer Institutsermächtigung durch die Kassenärztliche Vereinigung Hessen zur Substitutionsfachambulanz erweitert und bezieht im Juli 1992 dafür besser geeignete neue Räume in der Bleichstraße. Der Suchthilfeverbund JJ hat in der Vergangenheit eine dezidiert kritische Haltung gegenüber der Substitutionstherapie eingenommen: Angesichts der verbreiteten „grauen“ Verschreibungspraxis wurde vor allem die Gefahr gesehen, dass sich die Substitution auf die bloße Abgabe eines Ersatzmittels beschränken würde, ohne dass ausstiegs- und abstinenzorientierte Suchttherapie und psychosoziale Hilfen verbindlich und wirksam in die Behandlungen einbezogen würden. Im Zuge der Vorbereitung einer Arbeitskonzeption für die Substitutionsfachambulanz definiert der Suchthilfeverbund JJ auch seine Orientierungen für die substitutionsgestützte Behandlung neu. Die Substitutionstherapie wird nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zur abstinenzorientierten Beratung und Behandlung verstanden. Die Substitutionstherapie soll in das bestehende Hilfesystem integriert und in allen Suchtberatungsstellen des Vereins soll nach Möglichkeit ein substitutionsgestütztes Behandlungsangebot errichtet werden. Die Indikationen für abstinenzorientierte oder substitutionsgestützte Behandlung sollen in jedem Einzelfall geprüft und Angebote zur Substi25

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tutions- oder Abstinenztherapie in jeder Beratungsstelle vorgehalten werden. In allen Beratungsteams sollen suchtmedizinisch erfahrene Ärztinnen/Ärzte mitwirken – als Mitarbeiter/-innen der Einrichtung oder im Rahmen von Kooperationsmodellen mit Kliniken und niedergelassenen Praxen. In den folgenden Monaten werden Möglichkeiten zur Substitutionstherapie auch in den Stadtteilberatungsstellen des Vereins und im Drogennotdienst eingerichtet. Zur Entwicklung und Bewertung der Substitutionstherapie in Frankfurt vgl. das Interview mit Wolf-Dieter Hofmeister, in der Opiatsubstitution engagierter Arzt zunächst an der Aids-Ambulanz der Universitätsklinik, dann leitender Arzt der ersten Substitutionsambulanz im Stadtgesundheitsamt Frankfurt, heute Vorsitzender der Qualitätssicherungskommission der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen S. 45. Krisen- und Überlebenshilfen 1992 – Rückbildung der Offenen Drogenszene, Risikominimierung und Entlastung der städtischen Öffentlichkeit. Seit Ende der achtziger Jahre ist die Drogenszene im Bahnhofgebiet und in der angrenzenden Parkanlage stetig angewachsen. 1991/1992 werden täglich zwischen 300 und 600, zeitweise auch bis zu 1000 Drogenkonsumierende in dem Stadtviertel gezählt. Die Ausprägungen von Drogenhandel und Verelendung sind nicht länger tolerierbar. In der Montagsrunde, dem von Gesundheitsdezernat und Drogenreferat eingerichteten Beratungsgremium zur Steuerung der städtischen Drogenpolitik und Drogenhilfeplanung, wird eine konzertierte Politik zur Rückbildung der Drogenszene und zur offensiven Erweiterung von Hilfe- und Auffangangebote für Abhängige aus der Offenen Drogenszene abgestimmt. Kernstücke dieser Politik sind die Erhöhung des polizeilichen Drucks und die Auflösung von Ansammlungen Drogenabhängiger einerseits und andererseits die Erweiterung von Substitutionsangeboten, Aufenthaltsmöglichkeiten in Hilfeeinrichtungen sowie in einer späteren Phase die Errichtung von Konsumräumen, mit denen dem öffentlichen Drogenkonsum entgegengewirkt und die Risiken von Drogennotfällen und Infektionen durch den i. v. -Konsum eingedämmt werden sollen. Mit der Entwicklung der Zusammenarbeit von Polizei und Drogenhilfe und ihren Ergebnissen befasst sich der Beitrag von Hans-Ewald Ge26

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mmer, Leiter des Rauschgiftdezernates im Polizeipräsidium Frankfurt (S. 39). 1992 – Eröffnung der Substitutionsfachambulanz im Drogennotdienst Elbestraße Das Substitutionsangebot wird der medizinischen Ambulanz angegliedert, die psychosoziale Betreuung durch das interdisziplinäre Team des Drogennotdienstes wahrgenommen. Die Eingangsvoraussetzungen zur medizinischen Versorgung, Substitutionsbehandlung und zur psychosozialen Betreuung sind niedrigschwellig. Die Behandlung wird verknüpft mit den lebenspraktischen Hilfen des Drogennotdienstes. Zielgruppe sind die überwiegend in der offenen Drogenszene lebenden Abhängigen. Vorrangig angestrebt wird die Minderung der mit dem Konsum verbundenen Risiken, die Verbesserung von Erreichbarkeit und Haltekraft für ärztliche Behandlungen sowie die Sicherung der elementaren Bedürfnisse wie Unterkunft, Hygiene und Ernährung. Nach einer Stabilisierung der gesundheitlichen und sozialen Situation sollen die Patientinnen/Patienten in eine von der Szene distanzierte Substitutionstherapie weitervermittelt werden. 1996 – Errichtung eines Konsumraumes für i. v. Drogenabhängige im Drogennotdienst Elbestraße. Ziele des Angebots sind:  Kontaktaufnahme zu nicht erreichten Drogenkonsumierenden und Anbindung an die Einrichtung  Motivierung zur Inanspruchnahme weiterführender Suchtberatung und Suchthilfe  Drogennotfallprophylaxe, Infektionsprophylaxe, Vermittlung von Safer-Use-Regeln  Minderung des Drogenkonsums im öffentlichen Raum 2001 – Tagesruhebetten für Crackabhängige im Drogennotdienst Elbestraße. Im vierten und fünften Obergeschoss werden 9 Tagesruhebetten für Crack-Abhängige mit schweren Erschöpfungszuständen integriert. Die Kapazität wird in den Folgejahren auf 15 erhöht. Mit diesen sehr elementaren Hilfen gelingt es, die Zielgruppe zu erreichen und die Anbindung an die Einrichtung zu verbessern. 2003 – Errichtung eines Rauchraumes für Crackabhängige im Drogennotdienst Elbestraße. Der DND wird Fachstelle des Vereins für Crackkonsumierende. Als Erweiterung des Konsumraums wird ein separater Rauchraum für Crackkonsumierende mit 5 Plätzen einge27

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richtet. Spezifische Zielsetzungen über die Ziele eines Konsumraums hinaus sind „Entschleunigung“, Beruhigung und Reduzierung von Stress, Aggressivität und Gewalt im Zusammenhang mit dem CrackKonsum. Ambulante Abstinenztherapie und Ambulante Rehabilitation 1995 – Die Substitutionsfachambulanz „Drogen und Aids“ wird erweitert zum Drogenhilfezentrum (DHZ) Bleichstraße und zur Fachstelle für Ambulante Rehabilitation. Die in der Fachberatungsstelle Drogen und Aids entwickelten abstinenzorientierten Beratungs- und Behandlungsangebote werden auch nach der Errichtung der Substitutionsfachambulanz weitergeführt. Die suchtherapeutischen Kompetenzen des Fachteams werden durch systematische Weiterbildung gefördert. Aufgrund von Mittelkürzungen wird 1995 die Jugendberatung und Suchtberatung Bockenheim/Westend als eigenständige Beratungsstelle geschlossen und die bisher dort angesiedelte Ambulante Rehabilitation in die Fachberatungsstelle und Substitutionsfachambulanz „Drogen und Aids“ in der Bleichstraße überführt. Unter dem Namen „Drogenhilfezentrum Bleichstraße“ entwickelt sich die Einrichtung zur Fachstelle für Abstinenz- und Substitutionstherapie mit kassenärztlicher Teilermächtigung und Anerkennung durch die Leistungsträger der Ambulanten Rehabilitation. Seit 2004 firmiert die Einrichtung als Suchthilfezentrum (SHZ) Bleichstraße. Mit den Beratungs- und Behandlungsangeboten für Kokainund Amphetaminabhängige wird zunehmend auch eine Klientel erreicht, die sich nicht der Drogenszene zuordnet oder als Drogenabhängige begreift. Die Änderung des Namens spiegelt auch die Weiterentwicklung im Selbstverständnis und in den fachlichen Konzepten des Vereins JJ wider. 1996 – Bundesmodellprogramm „Betreuung und Therapie auf dem Bauernhof“. In Kooperation mit ausgesuchten Bauernhöfen und -familien wird die „Betreuung und Therapie auf dem Bauernhof“ als Modell zur Abstinenztherapie für Drogenabhängige entwickelt. Drogenabhängige werden nach abgeschlossener Entgiftung auf einen kooperierenden Bauernhof vermittelt und leben und arbeiten mit 28

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suchttherapeutischer Begleitung 12 Monate in der Gastgeberfamilie und Hofgemeinschaft. Die Klientinnen und Klienten nehmen am Leben der Familien und Hofgemeinschaften teil, arbeiten im landwirtschaftlichen Betrieb und integrieren sich in die dörfliche Umgebung. Sie werden dabei von einer Fachkraft der Beratungsstelle sucht- und sozialtherapeutisch betreut. 2002 – Anerkennung der Rehabilitation auf dem Bauernhof als Regelbehandlung im Rahmen der Ambulanten Rehabilitation. Aufgrund der Ergebnisse wird das Projekt von der LVA Hessen zunächst als Modellversuch weitergeführt und seit 2002 als regulärer Behandlungsmodus im Rahmen der Ambulanten Rehabilitation anerkannt. 2004 – Übergangsweise Substitutionsgestützte Ambulante Rehabilitation. Nachdem 2001 in der „Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen“ die Indikationen und Kautelen für eine übergangsweise Weiterführung der Opiatsubstitution im Rahmen der Ambulanten Entwöhnung festgelegt wurden, entwickelt das SHZ in Abstimmung mit der Landesversicherungsanstalt Hessen ein substitutionsgestütztes Behandlungskonzept und wird als erste ambulante Behandlungsstätte in Hessen von der Deutschen Rentenversicherung auch als Behandlungsstätte für die Übergangsweise Substitutionsgestützte Ambulante Rehabilitation anerkannt. 2006 – JJ-Verbund für wohnortnahe Ambulante Rehabilitation. Die Ambulante Rehabilitation wurde seit 1995 von einem erweiterten, aus Suchttherapeuten/-innen des Drogenhilfezentrums und anderen JJ-Beratungsstellen zusammengesetzten Fachteam durchgeführt. Auf Initiative der Deutschen Rentenversicherung Hessen haben wir 2006 die Konzeption und Organisation zu einem Verbund für wohnortnahe Ambulante Rehabilitation erweitert. Dieser Verbund umfasst außer den Einrichtungen in Frankfurt auch die Zentren für Jugendberatung und Suchthilfe in den Landkreisen „Hochtaunuskreis“, „Main-TaunusKreis“, „Rheingau-Taunus-Kreis“, Wetteraukreis und in der Stadt Wiesbaden. Als externer Kooperationspartner wirkt die Suchtberatungsstelle für den Rheingau-Taunus-Kreis des Vereins Neue Hoffnung in Östrich-Winkel mit. Koordinierende und verantwortliche Fachstelle für den Verbund ist das Suchthilfezentrum Bleichstraße.

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Integration von Suchtmedizin und psychiatrischer Fachkompetenz in die ambulante Suchthilfe - Kooperationsmodelle 1992 - 1994 – Bundesmodellprogramm „Drogennotfallprophylaxe“ in Kooperation von „Drogen und Aids“ und Bürgerhospital. Im Rahmen des Bundesmodellprogramms Drogennotfallprophylaxe wird im Oktober 1994 das Projekt Drogennotfallprophylaxe mit zwei Mitarbeiter/innen an die Beratungsstelle Drogen und Aids angegliedert. Das Projekt wird finanziert vom Bundesministerium für Gesundheit. Mit Stützpunkt und eigenen Beratungsräumen im Bürgerhospital Frankfurt sowie mit aufsuchender Beratung und Sprechstunden in weiteren Frankfurter Kliniken werden Drogenabhängige betreut, die aufgrund von Drogennotfällen aufgenommen wurden oder wegen Begleit- und Suchtfolgeerkrankungen behandelt werden. Ziele des Projektes sind:  Entwicklung verbesserter Interventionsmöglichkeiten bei Drogennotfällen in Kooperation mit Frankfurter Kliniken  Notfallprophylaxe bei risikoexponierten Abhängigen durch nachgehende Betreuung und Anschlussbetreuung nach Drogennotfällen  Verbesserung der Haltekraft bei stationärer Behandlung sowie Verbesserung der Akzeptanz der Klientel in den Kliniken  Förderung der Vernetzung und Kooperation zwischen Gesundheitswesen und Drogenhilfe durch Betreuung von Abhängigen während der Krankenhausbehandlung. Das Modellprogramm wird wissenschaftlich evaluiert und 1998 abgeschlossen. 1996 - 2004 – Kooperationsmodell des Drogenhilfezentrums Bleichstraße mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der J.W.Goethe-Universität. Auf Grundlage einer Kooperationsvereinbarung mit dem ärztlichen Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II an der Universitätsklinik Frankfurt werden Ärztinnen/Ärzte der Klinik in das DHZ Bleichstraße abgeordnet und übernehmen dort die ärztlichen Aufgaben bei der substitutionsunterstützten Behandlung, der Ambulanten Rehabilitation, der Aidsberatung sowie bei der Beratung und Betreuung von Abhängigen mit psychiatrischer Komorbidität.

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1996 - 2002 – Sprechstunde einer Arztpraxis für Suchtmedizin und Behandlung der HIV-Infektion im Drogenhilfezentrum Bleichstraße. 2005 - 2007 – Kooperation des Suchthilfezentrums Bleichstraße mit der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen und Konsiliarpsychiatrie im Bürgerhospital Frankfurt. Nach einer einjährigen Kooperation mit einer neurologisch-psychiatrischen Arztpraxis übernimmt die Klinik für Abhängigkeitserkrankungen und Konsiliarpsychiatrie im Bürgerhospital Frankfurt, Chefarzt Dr. Köhler, ab Herbst 2005 die ärztlichen Aufgaben im Rahmen der Substitutionstherapie und der Ambulanten Rehabilitation. Das Kooperationsmodell knüpft an die seit 1996 bestehende Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Köhler sowie an gemeinsame Projekte des Vereins und des SHZ mit dem Bürgerhospital Frankfurt an. Kooperation von Hilfeeinrichtungen und Polizei 2004 – Stützpunkt für Streetwork – OSSIP. Der DND wird Stützpunkt des JJ-Mitarbeiters im Projekt OSSIP. Dieses Projekt wird in enger Zusammenarbeit mit Polizei, Ordnungsamt, Gesundheitsbehörden sowie allen Trägern der Drogenhilfe in Frankfurt am Main durchgeführt. Beratung und Therapie für Kokain-, Crackund Amphetaminabhängige 1996 – Das DHZ Bleichstraße wird Fachstelle für Kokainabhängigkeit. Aufgrund der wachsenden Verbreitung des Kokain- und Crackkonsums initiiert das DHZ Bleichstraße einen Kooperationsverbund zur Beratung und Behandlung von Kokainabhängigen mit der Kurzzeittherapie Hunoldstal, der Übergangseinrichtung WolfgangWinckler-Haus, der ärztlichen Praxis Knobloch-Reith sowie den Entgiftungsstationen in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der J.W.Goethe-Universität und im Bürgerhospital Frankfurt. Als Fachstelle für Kokainabhängigkeit entwickelt und erprobt das DHZ zielgruppenspezifische Beratungs- und Behandlungsangebote. Mit Informationsveranstaltungen und Fortbildungen für Fachkräfte der Suchthilfe und des Gesundheitswesens werden die Grundlagen für 31

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eine qualifizierte Beratung, Behandlung und Betreuung von Kokainund Crackabhängigen geschaffen. 2004 – Projekt Abstinenztherapie für Kokainabhängige im SHZ. Die Stadt Frankfurt beauftragt das SHZ mit der Durchführung eines Modellprojektes Abstinenztherapie für Kokainabhängige. Das in den vergangenen Jahren mit begrenzten Kapazitäten entwickelte Beratungs- und Behandlungskonzept kann nun in erweitertem Umfang erprobt und als zielgruppenspezifisches Hilfeangebot im Frankfurter Hilfesystem implementiert werden. Das Projekt umfasst drei Module, die aufeinander aufbauen und entsprechend dem individuellen Bedarf verknüpft werden:  Beratung und Information mit Erstgespräch, Informationsgruppe und Psychoedukation für Konsumierende und Angehörige  Abstinenztraining und Rückfallprophylaxe in einer Abstinenzgruppe für ausstiegswillige Abhängige sowie in begleitender Einzeltherapie  mehrmonatige Ambulante Rehabilitation mit Gruppen- und Einzeltherapie Es besteht eine enge Kooperation mit einer suchtmedizinisch spezialisierten Arztpraxis sowie mit der stationären Kurzzeittherapie Hunoldstal (JJ). 2007 – Stand und Ausblick. Der Drogennotdienst Elbestraße und das Suchthilfezentrum Bleichstraße repräsentieren heute zwei Säulen des Frankfurter Hilfesystems: einerseits eine suchtbegleitende, auf Risikominderung, Überlebenshilfe und elementare Stabilisierung in der Sucht orientierte akzeptierende Drogenhilfe und andererseits eine auf Ausstieg, soziale Integration und Rehabilitation orientierte substitutionsgestützte sowie abstinenzorientierte Behandlungsstätte. Die hier skizzierte Geschichte beider Einrichtungen spiegelt die Entwicklung und Ausdifferenzierung der suchtbegleitenden Hilfen wie auch der Suchttherapie in Frankfurt. Anpassungen an die ständig sich verändernden Ausprägungen des Drogenproblems, der Konsummuster und der Zielgruppen gehören zu den Selbstverständlichkeiten unseres Arbeitsfeldes und Auftrages als psychosozialer Dienstleister. Gleichwohl dürfte die Aufbau- und Ausbauphase der Drogenhilfe in Frankfurt weitgehend abgeschlossen sein. Die Weiterentwicklung der Einrichtungen und ihrer Angebote kon32

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zentriert sich nun auf die weitere Professionalisierung und auf das im Verein JJ praktizierte Qualitätsmanagement. Beide Einrichtungen wurden im Rahmen des Zertifizierungsprozesses extern auditiert und DIN ISO 9001 : 2000 zertifiziert. Im Folgenden skizziert der Beitrag des stellvertretenden Geschäftsführers des Vereins JJ Hans Böhl den Entwicklungsstand und die Perspektiven des Qualitätsprozesses im Suchthilfeverbund. Der Beitrag „Abstinenzorientierte Modulare Kombinationsbehandlung“ von Conrad Tönsing, Geschäftsbereichsleiter Sucht des DiCV Osnabrück, gibt einen Ausblick auf die vom Suchthilfeverbund angestrebte weitere Entwicklung der stationären und ambulanten Rehabilitation Suchtkranker zur ambulant-stationären Kombitherapie.

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Aufsuchende Drogenhilfe „M 41“ – Ein Rückblick

Aufsuchende Drogenhilfe „M 41“ – Ein Rückblick Sabine Kühn, Geschäftsstelle Qualitätssicherungskommission Substitution bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH)

Zunächst möchte ich mich gerne denen vorstellen, die mich noch nicht kennen. Seit 15 Jahren leite ich die Geschäftsstelle der Qualitätssicherungskommission Substitution, früher Hessische Substitutionskommission. Wir, mein Team und ich, bewältigen den administrativen Aufwand der Substitutionsbehandlung in Hessen und betreuen derzeit ca. 5000 Patienten mit den dazugehörigen Ärzten/-innen und Ambulanzen. Darüber hinaus habe ich bis heute Ansätze aus der Sozialarbeit sowie meine Erfahrungen aus der Arbeit mit drogenabhängigen Menschen in meine Arbeit bei der KVH mit einfließen lassen, worin ich persönlich eine große Bereicherung für alle in der Drogenarbeit Beteiligten sehe. Sie, alle sind heute hier, um diesem besonderen Ereignis, das 25-jährige Bestehen der M 41 – heute Drogennotdienst Elbestraße in Frankfurt – Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Mein früherer Kollege Wolfgang Barth, heute Leiter des Drogennotdienstes, ist mit der Bitte an mich herangetreten, Ihnen aus der Sicht einer ehemaligen Mitarbeiterin der „M 41“ Einblick in die damalige Situation zu gewähren. Sie alle sind in den Bereich des Drogenhilfesystems, des Gesundheitswesens, der Sozialarbeit etc. eingebunden und kennen die Spielregeln. Wie waren diese damals? Was haben wir gemacht, was ist passiert Anfang der 80er Jahre in der Frankfurter Drogenszene, zum Zeitpunkt der Etablierung der „M 41“? In der herkömmlichen Beratungsstellenszene zeichneten sich dahingehend Veränderungen ab, dass die Fixer die Beratungsstellen nicht mehr sehr häufig aufsuchten. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung entstand der Gedanke, dass der Arbeitsansatz verändert werden muss. D. h. die Sozialarbeiter/-innen müssen zu den Fixern gehen, wenn sie zu den Sozialarbeiter/-innen in den Beratungsstellen nicht mehr kommen. So entstand das Konzept für die Aufsuchende Drogenhilfe in der Münchener Straße 41, die unter der Trägerschaft des Ver34

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eins Jugendberatung- und Jugendhilfe e. V. 1982 ihre Pforten öffnete. Das Konzept beinhaltete u. a. auch, dass die Junkies über die „M 41“ wieder den Beratungsstellen zugeführt werden sollen. Dafür waren Kollegen als sogenannte Satelliten aus den Beratungsstellen Sachsenhausen und dem Drop-in im Einsatz. An dieser Stelle möchte ich meinem damaligen Chef sowie dem Team der „M 41“ meinen ganz besonderen, vor allem herzlichen Dank aussprechen. Auch all den Klienteninnen und Klienten, die meine Lehrer und Schüler waren. Dank dafür, dass es möglich war ein Team zu sein, das an einem Strang gezogen hat. Das bereit war, vollen Einsatz zu fahren, im Interesse unserer Klientinnen und Klienten. Das sich auf Neuland begeben hat, das in sich stark war und zu der damaligen Zeit Unmögliches möglich gemacht hat. So, wie ging es denn nun tatsächlich los? Wir, das Kernteam, begannen unsere Arbeit in der Münchener Straße 41 in einer kleinen 3-Zimmer Wohnung, mit einer Küche und einem WC vor der Tür. Zu Beginn hatten wir nicht viel. Der Karton, in dem der Staubsauger verpackt war, diente als Couchtisch, es gab ein Sofa, zwei Sessel, eine Kaffeemaschine sowie ein bisschen Geschirr, einen Kühlschrank, ganz wichtig eine Kaffeemaschine und einen mehr oder weniger improvisierten Arbeitsplatz und ein Telefon … Doch wie sollte der neue Arbeitsansatz nun umgesetzt werden? An dieser Stelle möchte ich gerne meine Kollegin Rosi zitieren: … „Bevor ich hier angefangen habe, habe ich mir schon überlegt, wie soll ich das denn machen. Doch es hat sich herausgestellt, dass es kein Problem ist. Du gehst einfach über die Szene, bleibst stehen, schaust dich um und die Leute bemerken dich, manche quatschen dich an und fragen, ob du was suchst bzw. brauchst. Und schon kannst du dich bekannt machen, dass du Sozialarbeiterin bist und in der neuen Einrichtung, gleich um die Ecke, arbeitest.“ … Damals gab es im Kaisersack noch eine etablierte Drogenszene, wobei an dieser Stelle auch gesagt werden muss, dass gerade zu dieser Zeit die Fixer auch mit erheblichen Repressalien leben mussten. Die Szene wurde immer wieder auseinander getrieben, die Junkies kamen über Nacht in die Psychiatrie, wurden kurzfristig verhaftet und mussten sich mitunter unter sehr menschenunwürdigen Bedingungen Untersuchungen direkt auf der Szene gefallen lassen. Es dauerte ca. 2 - 3 35

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Monate und wir waren auf der Szene bekannt wie ein bunter Hund. Unsere Öffnungszeiten hatten wir den Gegebenheiten der Szene angepasst. Von 10:00 Uhr morgens bis abends um 20:00 Uhr waren wir präsent. Und irgendwie ging es dann wie von selbst. Auf einmal waren dermaßen viele Junkies bei uns in der Beratungsstelle und wir hatten mit einem Schlag sehr viel um die Ohren. Es war wie in einem Bienenhaus. Sie besetzten uns und erklärten die „M 41“ zu ihrer Beratungsstelle, ihr Revier. Es wurde gekocht, Kaffee getrunken, Essen zubereitet. Lebensläufe wurden kopiert, nebenbei wurden Berichte ans Sozialamt getippt, Gespräche fanden in der Küche, im Büro und in den Zimmern statt. Kontakte zur Polizei, zum Sozialamt, den Kostenträgern wurden geknüpft. Die Arbeit mit den Institutionen gestaltete sich nicht immer problemlos, doch im Großen und Ganzen kann man sagen, dass uns in den ganzen Jahren der „M 41“ diese Institutionen auch unbürokratisch unterstützten und wir nach einer gewissen Zeit sehr gute Vertrauensverhältnisse aufgebaut hatten. Heute nicht mehr vorstellbar: sich mal schnell in die Tram zu setzen, zur LVA zu fahren und mit der Kostenzusage für eine stationäre Therapie zurückzukommen. Kontakte zur Uniklinik, zu Entgiftungsstationen wurden hergestellt und so vieles mehr. Das Medieninteresse war groß. Viele Journalisten, das Fernsehen und der Rundfunk waren bei uns. Alle waren sie interessiert an unserer Arbeit. Dies insbesondere deshalb, weil zur damaligen Zeit der Arbeitsansatz „Streetwork“ Neuland war. Bereits im Vorfeld hatte die Presse das neue Projekt in vielfacher Weise angekündigt. Dies führte u. a. dazu, dass die Nachbarschaft im Frankfurter Bahnhofsviertel große Erwartungen in uns setzte. Wird es durch diese neue Einrichtung möglich werden, dass die Fixer sozusagen verschwinden und sie nicht mehr so präsent sind? Das konnten wir logischerweise nicht erreichen, doch durch viele Gespräche und Aufklärung über das Leben der Junkies konnte doch eine gewisse Entspannung erreicht werden … Doch zurück zu unserem Alltagsgeschehen. Jeden Tag kamen neue Gesichter hinzu, manche Junkies kamen jeden Tag auf einen Kaffee vorbei und um uns ihre Sorgen zu erzählen. Bei manchen entwickelte sich im Laufe des Kontaktes mit uns das Bedürfnis, etwas verändern zu wollen. Wir machten Entgiftungsplätze klar, vermittelten in statio36

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näre Therapie und begleiteten die Menschen da, wo sie uns brauchten. Oft waren wir die Feuerwehr für Probleme mit der Polizei; oft gingen die Streetworker dann auf die Szene, wenn uns unsere Klienten/-innen erzählten, dass wieder viel Polizei da sei und die Leute „abgreifen“ würden. Wir unterstützten unsere Klienten/-innen da, wo sie uns am nötigsten gebraucht haben. Wir erlebten den Fixer den ganzen Tag, bekamen ihn dadurch natürlich auch sehr intensiv mit, auch in seinen verschiedenen Zuständen, zugedröhnt, mit Wahrnehmungsstörungen, aber auch wenn er richtig gut drauf und klar war … Durch die Arbeit auf der Straße bekamen die Sozialarbeiter/-innen einen sehr guten Einblick in die Struktur der Szene und vor allem in die Probleme der dort lebenden Menschen. Die Sozialarbeiter/-innen waren mittlerweile zum festen Bestandteil geworden und erfuhren auf der Szene eine große Akzeptanz. Viele kleine Veränderungsprozesse wurden letztlich durch Gespräche auf der Szene in Gang gebracht. Die Sozialarbeiter/-innen sprachen auf der Szene die Sprache der Junkies, es wurden Sprüche geklopft, ein bisschen Zynismus war auch dabei und natürlich eine gehörige Portion Ironie und Humor … Nichtsdestotrotz muss an dieser Stelle auch gesagt werden, es war eine schöne Arbeit, wenn auch anstrengend. Jeden Tag so viel menschliches und seelisches Leid mitzutragen, kostet viel Kraft und einen unerschütterlichen Optimismus. Doch unser Team war außerordentlich belastbar, dies sicherlich auch deshalb, weil wir eine gemeinsame Zielvorstellung hatten und tatsächlich an einem Strang gezogen haben. Und wir hatten trotz aller Widrigkeiten einen unglaublichen Idealismus für unsere Sache. Im Laufe unserer Arbeit konnten wir viele Junkies in Therapie vermitteln oder anderen Hilfeangeboten zuführen. Eine der Schattenseiten war sicherlich, dass sich bereits in dieser Zeit Menschen mit HIV infiziert haben. Ich weiß es nicht mehr genau, wann der Spritzenbus der Aids-Hilfe Frankfurt etabliert wurde. Doch er war auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Viele unserer Junkies sind nicht mehr am Leben. Der Tod war in unserer Arbeit ein zur Gewohnheit gewordener Begleiter. Doch mit diesen Gedanken möchte ich meinen heutigen Vortrag nicht beenden. Viele Klienten/-innen begegnen mir 37

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auch noch heute, denn sie sind seit Jahren in der Methadonsubstitutionsbehandlung, die heute einen festen Bestandteil des Drogenhilfesystem darstellt. Ich weiß noch, wie wir uns damals für diese Art der Behandlung einsetzten. Vor allem denke ich ganz besonders gerne an die Klientinnen und Klienten zurück, die es tatsächlich geschafft haben, ein drogenfreies Leben zu leben. Sich auf den Weg zu machen, um diesen Sumpf zu verlassen, ist eine mutige Entscheidung und ein Weg, der mit vielen Stolpersteinen gepflastert ist. Doch ich habe „meinen Junkies“ immer gesagt, „wenn ihr diese Energie, die ihr an 365 Tagen aufbringt für das harte Leben auf der Szene, umpolt, dann habt ihr die Kraft und die Chance es zu packen.“ Schwierig ist nur ihnen klar zu machen, dass sie es wert sind und sie es für sich tun müssen. Das ist harte Arbeit. Aber ich habe so tolle Menschen unter ihnen getroffen, mit so vielen Talenten und vor allem mit einer enormen Kreativität. Dafür hat es sich gelohnt. Auch die, die es noch nicht ganz in ein drogenfreies Leben geschafft haben, sind heute durch die Substitutionsbehandlung besser versorgt und müssen ihr Leben nicht mehr unter solchen extremen Stressbedingungen leben. Nichtsdestotrotz ist es so, dass wir auch erkennen müssen, dass wir sie nicht alle retten können, aber wir können ihnen dabei behilflich sein, ihr Leben in eine positive Richtung zu verändern. Für mich persönlich waren die sechs Jahre „M 41“ auch ein Meilenstein in meiner persönlichen Entwicklung. Ich habe viel durch die Junkies über mich gelernt und würde den Menschen, die oftmals sehr schnell über die Subkultur „Fixer“ urteilen, empfehlen, sich dort für eine Weile hinzubegeben. Es ist sehr heilend und nichts mehr so wie vorher.

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