Den Papst kenn ich schon

Anouchka Wolleh Den Papst kenn ich schon … Erinnerungen einer Tochter Joseph Beuys Meine zwei Entenküken und die Joseph-BeuysBadewanne Wir, also m...
Author: Alma Hofmann
5 downloads 0 Views 4MB Size
Anouchka Wolleh

Den Papst kenn ich schon … Erinnerungen einer Tochter

Joseph Beuys Meine zwei Entenküken und die Joseph-BeuysBadewanne

Wir, also meine Eltern und ich, lebten zusammen in Düsseldorf in der Mathildenstraße 8/Ecke Faunastraße 61, in den obersten Etagen. Mein Bruder lebte anfangs auch mit uns dort, ging aber später ins Aloisiuskolleg, einem Internat in Bad Godesberg. Alle 14 Tage kam er übers Wochenende nach Hause.

34

Unsere Wohnungen hatten Boden-Decken-Fenster und waren mit Licht durchflutet. Um von der Fauna- zur Mathildenstraße zu gelangen und umgekehrt, benutzten wir einfach die Terrasse, die mit Rasen ausgelegt war. Eines Tages stand mein Vater mit Joseph Beuys und dessen Badewanne im Schlepptau auf der Terrasse und stellten diese dort ab. Damals war es noch nicht die später so berühmte Wanne, aber doch eben die Badewanne von Joseph Beuys. In dessen Beisein sagte mein Vater zu mir, dass wir ihm etwas Platz abgeben und diese Badewanne auf unserer Terrasse parken – solange er will. Ich glaube, mich zu erinnern, dass sich diese Badewanne zwischen sechs und acht Monaten auf unserer Terrasse befand. Zwischenzeitlich hatten meine Mutter, mein Bruder und ich Entenküken aus dem Zoopark gerettet. Erst waren es noch vier, am nächsten Tag leider nur noch zwei, aber um diese haben wir uns dann gekümmert. Mein Vater kaufte eine Rotlichtlampe und gab ihnen Antibiotika. Ein Entenküken ging und schwamm danach nur rückwärts. Da war für mich klar, dass ich mich um dieses etwas mehr kümmern musste. Meine Mutter gab mir eine Plastikschüssel aus der Küche, damit meine Entenkinder schwimmen konnten. Diese kleine Schüssel war mir für meine Entenkinder zu wenig. Also hatte ich die glorreiche Idee, den Kleinen das Beste zu bieten, was eine Entenmutter hatte. Ich füllte die Beuys-Wanne komplett mit Wasser und ließ fortan meine Entenkinder darin schwimmen und planschen. Sie bekamen noch einen kleinen Sprungturm, damit sie auch das „Ins-Wasser-Gehen“ üben konnten.

35

Einige Monate später war die Badewanne an vielen Stellen verrostet und mein Vater sagte zu mir, dass Beuys davon sicher nicht begeistert sei und ich das dann mit ihm selber klären müsse. Joseph Beuys kam, sah auf die Badewanne, sah auch, dass diese zum Teil verrostet war und schwieg. Ich stand ganz allein mit ihm auf der Terrasse und sagte in mütterlichem Ton, dass ich meinen Entenkinder nur das Beste bieten wollte, und dass dieses Beste eben seine Badewanne gewesen sei. Jetzt sei sie leider an verschiedenen Stellen verrostet. Innerlich stellte ich mich auf Schimpfe oder auf einen Tobsuchtsanfall ein … aber nichts dergleichen passierte. Lächelnd sagte er zu mir: „Anouchka, das macht gar nichts, ich kann alles verkaufen.“ „Gott sei Dank“, dachte ich bei mir, „mein Taschengeld ist gesichert.“ Joseph Beuys konnte ich mächtig gut leiden … und dann nahm er seine Badewanne wieder mit. Später ist seine Badewanne sehr berühmt geworden. Die Enten nahm die beste Freundin meiner Mutter mit in ihren hauseigenen Park nach Bremen, in die Lesmonastraße. Die Entenkinder waren weg, die Badewanne war weg und ich war noch da! Das war ein einsames Gefühl. Viele Jahre später habe ich meine Osterferien in dieser Villa in Bremen verbracht und träumte mich weg. Auf dem See schwammen Enten und ich besuchte sie mehrmals am Tag.

36

Vatikan

151

Ein Brief von Papi an meinem Bruder und mich 152

Am 8. Dezember 1974 bekam ich Post aus dem Vatikan:

Liebe Anouchka! Heute war ich mit deinem Vater in dieser schönen Kirche. Da Dein Bruder eine Karte erhielt, wollte ich nicht, dass Du leer ausgehst. Freue Dich schon jetzt auf einen Besuch hier im Heiligen Jahr! P. Augustinus

Mein Bruder und ich wurden vor Beginn der Osterferien 1975 in der Grundschule beurlaubt, weil die Privat-Audienz bei Papst Paul VI. anstand. Meine Grundschullehrerin Frau U. (hiermit grüße ich Gertrude), die sehr 153

gläubig war und auch vor jedem Essen gebetet hat, bat mich und meinem Bruder im Vorfeld, dass wir uns alles genau merken sollten, damit wir ihr und unseren Mitschülern von diesem großen Tag berichten konnten. Auch mein Vater sagte zu mir: „Noucha, merke dir das alles, das wirst du so in deinem Leben nie wieder erleben.“ Gesagt, getan! Die Leute um uns herum benahmen sich anders als sonst. Sie waren zum Teil positiv berührt oder waren schlichtweg beeindruckt, das merkte ich sehr wohl. Mein Bruder und ich bekamen maßgeschneiderte Garderobe in dunkelblauen Flanell. Wir trugen beiden den gleichen, aber nicht denselben beigen Pullover, der, wie ich fand, kratzig war, aber dafür aus edlem Material.

Rom – einen Tag vor der Privat-Audienz bei Papst Paul VI. Meine Mutter wollte auf alle Fälle, dass ich schwarze italienische Lackschuhe bekam und so machten wir uns auf, diese für mich zu kaufen. Es gab nur ein kleines Problem: Es gab keine schwarzen Lackschuhe in den Schuhgeschäften, und bevor wir diese kaufen konnten, mussten wir erst einmal welche finden. Wer suchet, der findet! So heißt es und so sollte es auch geschehen. Wir haben dann doch solche Schuhe gefunden, aber leider nicht in meiner Größe. Kein Paar passte, wobei uns allerdings die Schuhverkäuferin immer vom Gegenteil überzeugen wollte. Ich wusste aber ganz genau, dass das nicht stimmte. Noch nie hatte ich vorher in meinem Leben solch schmerzende Füße in einem Schuh gehabt. Gut, jetzt muss ich auch erwähnen, dass ich häufig nach Maß gefertigte Schuhe trug, aber trotzdem: Was zu klein ist, ist zu klein! 154

Meine Mutter musste sich entscheiden: Lackschuhe oder nicht? Sie kennen die Antwort wohl schon! Ja, Sie haben recht: Lackschuhe! So kam ich also in den Besitz von viel zu kleinen italienischen Lackschuhen. Dafür kaufte mir meine Mutter die berühmteste Maus Roms, vielleicht sogar Italiens, als Schmusetier: Tobo Gigo! Kleine Kinder, die an den Händen ihrer Mütter durch die Stadt spazierten, riefen laut: „Tobo Gigo“, und zeigten mit ihren Fingern auf diese berühmte Maus, die ich im Arm hielt.

Tag der Privat-Audienz Wir liefen über den Petersplatz, bei Sonnenschein und klarem, hellblauem Himmel. Meine mit jedem Schritt mehr schmerzenden Füße, werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen. Ich kann mich nicht mehr im Detail an alles erinnern, aber ich war wahnsinnig beeindruckt und mit jedem Saal, den wir durchschritten haben, wurde die Stimmung immer eindrucksvoller. Es gab eine sehr lange Wartezeit – als gerade mal achtjähriges Mädchen empfand ich es wenigsten so – aber wir kamen unserem Ziel näher. Es gab große Türen, deren Türklinken ich nie erreichen konnte. Aber andererseits brauchte ich das auch nicht, da alle Türen für uns geöffnet wurden. Als wir in dem Saal standen, in dem später auch Fotos von uns gemacht wurden, bemerkte ich als Erste, durch einen geöffneten Türspalt, dass sich Papst Paul VI. mit seinem Gefolge näherte. Nachdem ich ihn durch den Türspalt von Kopf bis Fuß gemustert hatte, blieb mein Blick an seinen Schuhen haften. Er hatte weiße Satin-Pantoffel an. Vor Erstaunen öffnete ich den Mund. Nach ein paar Sekunden wollte 155

ich mich bei meiner Mutter über diese – für mich – Ungerechtigkeit beschweren. Diese schaute mich nur an und ich schwieg sofort. Aber das Leben war dann doch gerecht, jedenfalls im Vatikan, so dachte ich in diesem Augenblick. Denn dem Papst wurden die weißen SatinPantoffel ausgezogen und mit etwas Mühe die purpurroten Papst-Schuhe angezogen. Es dauerte eine kleine Ewigkeit. Erst als er sie anhatte, kam er mit seinem Gefolge in den Saal, in dem wir bereits warteten. Papst Paul VI. sprach mich zuerst an, und stellte mir meine Lieblingsfragen: „Gehst du gerne in die Schule? Bist du gut in der Schule?“ … Ich antwortete ihm nicht, sondern belächelte seine Frage. Er erwiderte das Lächeln und zum Glück bestand er nicht auf die Beantwortung seiner Fragen. Wir haben uns sofort verstanden, obwohl ich schwieg. Gewünscht hätte ich mir von ihm Fragen wie: „Nenn mir zehn Sehenswürdigkeiten Roms …“, oder „Was gefällt dir am Besten in Rom?“ Dass Erwachsene mich immer über die Schule ausfragen müssen … Es gibt doch viel spannendere Fragen! Ich verzieh „meinem“ Papst aber diese Fragen, denn in meinen Augen waren wir ja „Papst-Schuh-Verbündete“. Die zweite Person in unserer Familie, die der Papst ansprach, war mein Bruder gefolgt von meiner Mutter und schließlich war mein Vater an der Reihe. Eigentlich kümmerte sich der Papst dann hauptsächlich um meinen Vater. Sie redeten miteinander und mein Vater überreichte ihm dann die Originalausgabe in Gold von Apostolorum Limina. Die Privat-Audienz dauerte viel länger, als diese im Protokoll vorgesehen war, denn der Papst persönlich verlängerte diese nach seinem Gutdünken.

156

157

Meine Mutter bekam einen vergoldeten Rosenkranz, mein Bruder und ich je einen vergoldeten christlichen Anhänger geschenkt. Der Heilige Vater stand direkt vor mir und gab mir den apostolischen Segen … und auch meiner Familie.

Einen Tag später: Meine Eltern baten uns, unseren Mittagsschlaf zu halten. Sie wollten shoppen gehen und wussten, dass sowohl ich als auch mein Bruder es langweilig finden würden. Unsere Großmutter mütterlicherseits bot an, auf uns aufzupassen. Weil wir brave Kinder waren, hatte sie nicht damit gerechnet, dass etwas Unan158

gemessenes passieren würde, und legte sich selbst in ihr eigenes Zimmer zum Mittagsschlaf hin. Als unsere Eltern weggingen, warteten wir noch ein paar Minuten ab und krochen aus unserem Bett heraus. Mein Bruder, kaum älter als ich, kam auf die glorreiche Idee und fragte mich, ob wir noch mal eben zum Papst gehen sollten, dann hätten wir ihn ganz für uns. Er sagte zu mir: „Noucha, damit man uns erkennt, ziehen wir uns so an, wie bei der PrivatAudienz und nehmen auch die Fotos mit, die gestern von uns gemacht wurden.“ Ich zog freiwillig und ohne zu murren meine „Papst-Schuhe“ an – für diesen Papst mache ich alles, dachte ich … Egal, ob ich schmerzende Füße hatte. Hauptsache ich treffe ihn noch mal! Mein Bruder und ich schlichen uns aus dem Hotel. Er übernahm die Führung, da er sich auskannte, im Gegensatz zu mir. Es kam, wie es kommen musste: Ich bin verloren gegangen … Aus den Erzählungen weiß ich, dass mein Bruder zum Hotel zurückgegangen ist und dort meinen Eltern erzählt hat, dass ich weg sei. Ein Anruf und der gesamte Vatikan war abgesperrt. Die Schweizergarde hatte von höchster Stelle Befehl, niemanden mehr herein- oder herauszulassen. Nun stand ich auf dem Petersplatz mit langen blonden Haaren, angezogen mit meinem „Papst-Kostüm“ und meinen „Papst-Lackschuhen“. So richtig Angst hatte ich aber nicht, ich war nur aufgeregt. Das war ja auch alles so spannend gewesen. Ich fühlte mich alleine, aber nicht einsam. Ich stand ganz alleine im Alter von acht Jahren auf dem Petersplatz. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, wieso ich alleine auf dem Petersplatz stand. Ein Geistlicher, eine Persönlichkeit mit Ausstrahlung, ging auf mich zu und da ich clever sein wollte, fragte ich ihn zuerst einmal: „Sind Sie ein gu159

ter Mensch?“ Denn wenn er es nicht gewesen wäre, hätte ich schnell davonrennen können – so hatte ich mir das in Sekundenschnelle ausgedacht. Er sah mich an, war erstaunt über meine Frage und stutzte. Es dauerte mir fast einen Tick zu lange, und ich war schon sprungbereit, da sagte er mit ganz ruhigen Worten und einer nicht zu lauten Stimme: „Du verlorenes Schaf, jetzt bist du wieder in unserer Mitte. Du bist hier in Sicherheit und der Herr hat gut auf dich aufgepasst. Er wird auch weiterhin jeden einzelnen Tag gut auf dich aufpassen.“ Irgendwie verriet mir sein Gesichtsausdruck, dass er sehr erleichtert war, mich gefunden zu haben. Er ging einen Schritt und ich ging zur selben Zeit zwei bis drei Schritte, dachte mir aber, dass ich mich besser an ihn halten sollte, auch in derselben Geschwindigkeit. Ich wusste ganz genau, dass es richtig ist, mit ihm mitzugehen. Bei ihm fühlte ich mich in Sicherheit und ich habe ihm mein Leben anvertraut. Wir sind geheime Wege durch Tunnel gegangen – es waren wohl die Katakomben, die sich unter der Peterskirche befinden. Später nahm er mich mit in seinen Privatraum, in dem er lebte. Als wir in seinem Zimmer standen, brachte mir eine Nonne, die schwieg, gelbe Limonade und ein Stück Kuchen auf einem Tablett. Ich bedankte mich freundlich, doch die Nonne schwieg immer noch und ging wieder aus dem Zimmer hinaus. Ich aß und trank aber nichts. Ich hatte keinen Hunger, und zudem nimmt man von Fremden ja auch nichts an, es könnte ja auch vergiftet sein … Der Blick aus den hohen Fenstern beeindruckte mich und ich weiß noch, wie ich dachte, Limo und Kuchen kann ich auch im Hotel essen, aber eine solche Chance, aus diesen Räumlichkeiten einen Blick auf die Vatikanstadt zu erhaschen, werde ich nie wieder bekommen.

160

Der Geistliche bemerkte es und zeigte mit einer würdevollen Geste auf ein Fenster links gegenüber. Er sagte sehr respektvoll: „Das Fenster dort gehört zum Schlafgemach des Papstes.“ Ich sagte daraufhin: „Den Papst kenn ich schon, da war ich gestern. Ich finde den Papst nett und Sie finde ich auch nett!“ Er schmunzelte und ging dann zu seiner Nachtkonsole, auf der ein Telefon stand und rief jemanden an. Dann unterhielten wir uns. Auf einmal klingelte das Telefon und ich habe mich zu Tode erschrocken. Er sprach mit dem Anrufer kein Deutsch, mit mir hingegen schon. Während er den Telefonhörer auflegte, sagte er zu mir: „In wenigen Minuten sind deine Eltern wieder bei dir, sie werden gerade hierher begleitet.“ Als meine Eltern den Raum betraten, begrüßten sie erst den Geistlichen. Mein Vater verbeugte sich und deutete einen Handkuss an, er war sehr bewegt und meine Mutter machte einen tiefen Knicks und hatte Tränen in den Augen. Als ich meine Eltern beobachtete, war es das gleiche Ritual wie bei Papst Paul VI. Das habe ich danach nie wieder bei Ihnen gesehen. Als wir auf dem Weg zum Hotel waren und über dem Petersplatz gingen, hielt ich die Hand meines Vaters so fest, wie ich nur konnte, damit ich nicht nochmals verloren ginge. Zu meinen Eltern sagte ich: „Ich bin total groggy und muss mich hinlegen. Ich werde sofort einschlafen.“ Mein Vater schaute meine Mutter an und meine Mutter meinen Vater. Mein Vater sagte zu mir: „Noucha, weißt du eigentlich, wer dich aufgegabelt hat?“ Ich verneinte und fragte meinen Vater, wer das denn gewesen sei. Mein Vater sagte: „Das war Monsignore Pasquale Macchi, der Privatsekretär von Papst Paul VI., die rechte Hand des Papstes. Wenn dem Papst 161

etwas passieren sollte und dieser sterben würde, dann hat Macchi die Zügel der Macht in seiner Hand, bis ein neuer Papst gewählt wird.“ Pasquale Macchi hat damals das Attentat auf Papst Paul VI. vereitelt, er hat sich als Kunstkäufer und Kunstsammler für den Vatikan betätigt und er hat mich wieder zu meinen Eltern gebracht, das werde ich nie in meinem Leben vergessen und ihm immer sehr dankbar sein. Auf dem Rückweg von Rom nach Düsseldorf kam ich in den Genuss meines ersten italienischen Zugführerstreiks und wir warteten viele, sehr viele Stunden auf dem Gleis und nichts geschah. LANGWEILIG!

162

163