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Beiträge zur Geschichte der Gemeinde Sulzdorf a.d.L. (Folge 105)

Der Verkauf des Großen Sellbachs bei Zimmerau 1975 durch die Waldgemeinschaft Rieth/DDR 1939 kauften neun Familien aus dem benachbarten Rieth in Thüringen von den ehemaligen Besitzern des Schlosses Sternberg im Grabfeld, der Familie von Deuster, Wald in der Flurabteilung Sellbach in der Gemarkung Zimmerau. Auf eine Anfrage beim Enkel des damaligen Verkäufers Reichsrat Friedrich von Deuster, Karl Otto von Deuster (Burgpreppach), ob im dortigen Archiv evtl. Archivalien über diesen Verkauf vorhanden sind, antwortete dieser am 12. Oktober 2010: „Vom Wald in der Abteilung Sellbach im Zusammenhang mit unserer Familie ist mir nichts bekannt. Bekannt ist, dass mein Großvater Friedrich nach Übernahme des Fideikommisses 1905 versuchte, neue geschlossene Güter durch Ankäufe zunächst kleinerer verstreuter Flächen zu bilden. Dies hauptsächlich im Raum Gresselgrund - Marbach und im Raum Sternberg – Zimmerau - Schwanhausen. Nach dem finanziellen Rückschlag nach dem 1. Weltkrieg und Schwarzen Freitag 1929 versuchte mein Vater 1930 durch Verkäufe zunächst dieser Streuflächen und auch anderer geschlossener Güter (Wöllrieder Hof, Rottendorfer Hof, Wasmuthhausen) die enormen Schulden zurückzuführen. Ich weiß dadurch von unserem früheren Förster Fritz Sondermann z.B. vom Verkauf des Schwarzen Stock im Schwanhäuser Wald an die Grafen von Ortenburg und von Wasmuthhausen an Rennert. Andere Flächen im Schwanhäuser Wald sind geblieben (Truchsenholz, Bauholzacker, Geisleite). Unterlagen darüber bei uns sind mir nicht bekannt. Mit freundlichen Grüßen Ihr Karl Otto von Deuster.“ Der Verkauf an die Riether Bürger wurde von Dr. Walter Fromm vom Amtsgericht Königshofen am 4. August 1939 bestätigt. Die Zimmerauer waren damals wirtschaftlich nicht in der Lage, den Kauf zu tätigen, berichtete der 1902 in Albingshausen geborene und in Zimmerau verheiratete Hermann Scheider vor Jahren seiner Schwiegertochter Leni. Nachdem eine der neun neuen Waldbesitzerfamilien von ihren Verpflichtungen zurück trat, wurden aus den 27 schließlich 30 Anteile. Die Waldgemeinschaft gab sich den Namen „Schumann Armin und Genossen in Gemeinschaft“. Die erworbene Fläche umfasste 21,5219 ha im Großen Sellbach und 3,1140 ha im Kleinen Sellbach. Die Teilhaber aus Rieth waren: Armin Schumann (heute Zitzmann), Albin Erdenbrecher (Podalek), Edwin Tittel (Emmi Rottenbacher und Anni Ritzmann), Adolf Schumann (Röder), Georg Beyersdorfer (Hans Beyersdorfer), Wilhelm Schumann (Vey), Heinrich Roth (Stärker) und Richard Schneider (Mausolf). Im Großen Sellbach befand sich auch ein Steinbruch, der nun von den Riethern eifrig genutzt wurde. 1947, also zwei Jahre nach Beendigung des 2. Weltkriegs, so erinnert sich Herbert Roth, erstellte die Gemeinschaft dort noch eine Hütte, in der Echo der Lederhecke 114. Ausgabe Juli – September 2011

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sie sich in Arbeitspausen oder bei Unwetter unterstellen und ihre Gerätschaften verwahren konnten. Das bedeutet also, dass die Riether trotz der Demarkationslinie zwischen der sowjetischenund der amerikanischen Besatzungszone in den ersten Jahren weiterhin ihren Wald und den Steinbruch in Bayern nutzten. Sieglinde Mausolf besitzt noch ein Bild dieser Hütte, das August Vey 1959 anlässlich seiner Silberhochzeit von der Familie Richard Schneider geschenkt bekam. Es war zu Beginn der fünfziger Jahre aufgenommen worden.

Ehemalige Hütte der Riether Waldgemeinschaft im Sellbach 1947 wurde den Sternbergern erlaubt, im Steinbruch der Riether im Sellbach Steine für die Mauer an der Kirchentreppe zu brechen, erinnert sich Hans Albert. Bezahlt wurden diese mit Hafer, der illegal über die Demarkationslinie gebracht wurde. Max Bühler und Johann Bühler mauerten damals den Kirchenaufgang.

Der Steinbruch in unseren Tagen. Echo der Lederhecke 114. Ausgabe Juli – September 2011

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Leni Scheider schilderte 2010 bei einer Gedenkfeier zur Wiedervereinigung Interessantes zur Geschichte der Flurgemarkung Sellbach bei Zimmerau Als 1951/52 der durchgehende Stacheldrahtzaun und 1955 der 10-m-Streifen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) angelegt wurde, konnten die Riether ihren Wald und ihren Steinbruch nicht mehr bewirtschaften. Sie schenkten deshalb Hermann Scheider und seinem Sohn Walter das Vertrauen, künftig den Wald in ihrem Sinne zu verwalten. Als Leni Scheider 1955 nach Zimmerau heiratete, wurde sie mit in diese Aufgabe einbezogen. Von 1955 bis in die Mitte der sechziger Jahre kamen nur selten Besucher aus der 1949 gegründeten DDR nach Zimmerau zu Besuch. Walter Scheider war von Weihnachten 1956 bis 5. Januar 1957 mit seiner Schwester Irmgard und Elli Götz noch einmal in Rieth. 1957/58 besuchten Heinrich Roth und Richard Schneider aus Rieth die bayerische Nachbargemeinde Zimmerau. Wenig später folgten noch August Vey, Horst Roth, Sieglinde Mausolf, Fritz Rottenbacher und Willi Zitzmann. Bei diesen Besuchen wurde u.a. die Waldbewirtschaftung im Sellbach mit der Familie Scheider und den Zimmerauern besprochen. Als nach 1965 die Besitzer des Waldstücks nach und nach das Rentenalter erreicht hatten und so relativ problemlos in den Westen reisen konnten, kamen jedes Jahr einige der Besitzer zu den Scheiders nach Zimmerau, konnten sich von der tadellosen Bewirtschaftung ihres Waldstücks und der Abrechnung überzeugen und das ihnen zustehende Geld mitnehmen, bzw. sich damit den einen oder anderen Wunsch erfüllen. In den Jahren zuvor hatte Walter Scheider immer jemand aus dem Dorf hinzugezogen, der genau nachrechnete, dass auch ja alles mit rechten Dingen zuging.

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Historische Karte des Sellbachs von 1824.

Die Grenze zwischen Bayern und Thüringen im Sellbach in unseren Tagen. Quelle: googlemap Echo der Lederhecke 114. Ausgabe Juli – September 2011

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Die Zimmerauer Landwirte kümmerten sich also vorbildlich um den Wald ihrer Nachbarn. Als Stundenlohn erhielten sie zunächst 1,50 DM, später 4 DM die Frauen und 5 DM die Männer. Selbst die Gebühren für die Berufsgenossenschaft in Höhe von 82 DM wurden von den Zimmerauern abgeführt, entnommen dem Erlös aus dem Holzeinschlag in diesem Wald. Geschäftspartner der Zimmerauer beim Holzverkauf war stets das Sägewerk Max Kalnbach in Sulzdorf, das stets einen fairen Preis zahlte. Der jährliche Erlös wurde durch die entsprechenden Anteile geteilt und in Form von Weihnachtspäckchen und –paketen von Leni Scheider nach Rieth über die Grenze geschickt. Von den Riethern wurden u.a. gewünscht Kaffee, Kakao, Schokolade, Rosinen, Zigarren, Schnupftabak, Mandeln, Nüsse, Klößweiß, Palmin, Kokosflocken, Oblaten, Kleidung oder Bettwäsche. Selbst Stragula, in 1 m breite Streifen geschnitten, den es damals in der DDR nicht gab, wurde von Leni Scheider nach Rieth mit der Post geschickt. Die Päckchen wurden stets mit dem „Millichwächela“ zur Poststelle von Maria Klenner transportiert, erinnert sich Leni Scheider. Doch es wurden nicht nur Päckchen zum privaten Konsum nach drüben geschickt die Riether Waldgemeinschaft bezahlte mit dem Erlös aus ihrem Wald in Unterfranken z.B. 1971 das Blattgold für die Kirchturmkugel in Rieth.

Die Wiesen im bayerischen Sellbachsgrund in unseren Tagen. Der Wald links und rechts gehört zu Thüringen.

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Der Verkauf 1975 an die Gemeinde Zimmerau Ab 1970 reifte in den Riether Besitzern der Gedanke, ihren Wald in der Zimmerauer Gemarkung Sellbach zu verkaufen, denn niemand glaubte mehr, dass unser Vaterland in nächster Zeit wieder vereinigt wird und man war allerorten fest davon überzeugt, dass diese unsinnige Teilung noch Generationen Bestand hat. Der Riether Gastwirt und Bäckermeister Max Beyersdorfer war ein ausgezeichneter Geschäftsmann. Er besuchte im Zuge des 1972 eingeführten sogen. Kleinen Grenzverkehrs mehrfach Zimmerau, besorgte die erforderlichen Unterlagen und ließ den Wald schätzen. Er stand insbesondere in Verhandlung mit der Gemeinde Zimmerau unter ihrem Bürgermeister Otto Bauer.

Max Beyersdorfer aus Rieth war der Verhandlungsführer der Waldgemeinschaft. Beim dritten Besuch in Zimmerau klappte es. Der Wald wurde zum Verkauf ausgeschrieben. Es gab einige Mitbewerber und so musste die Gemeinde das Höchstgebot abgeben, weil sie den Wald für sich erwerben wollte. Manchen Gemeinderäten war es nicht recht. Es war für Walter Scheider, der damals ebenfalls dem Gemeinderat angehörte, sehr schwer, die Riether zu vertreten und im Gemeinderat für seine Gemeinde Zimmerau einzustehen, erinnert sich seine Witwe Leni rückblickend. Am 6. Oktober 1973 beschloss der Zimmerauer Gemeinderat, dem Bürgermeister Otto Bauer sowie die Ratsmitglieder Oswald Schleier, Walter Scheider, Rudi Klenner, Max Jakob, Erich Götz, Eugen Mantel, Robert Gill und Oswald Ilchmann angehörten, einstimmig eine Wertfeststellung der Waldflächen (Kleiner Sellbach mit 3,11 ha und Großer Sellbach mit 21,52 ha) durch das Forstamt Bundorf, Dienststelle Königshofen, zu beantragen. In dem forstlichen Gutachten von Forstrat Neuhauser wurde der Gemeinde Zimmerau empfohlen, das Waldstück zu kaufen. Im Gemeindearchiv, das in der Verwaltungsgemeinschaft Bad Königshofen ordnungsgemäß verwahrt wird, befindet sich ein vom damaligen Bürgermeister der Gemeinde Zimmerau unterzeichnetes Schreiben der Gemeinde an Amtsrat Langetal vom Landratsamt Rhön-Grabfeld mit dem Betreff: „Rechtsaufsichtliche Genehmigung zum Kaufangebot für das Waldstück Großer Sellbach mit 21,52 ha Angebotspreis 175.600,00 DM.“ Hierin heißt es u.a.: Echo der Lederhecke 114. Ausgabe Juli – September 2011

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„Das Waldstück Großer Sellbach war bisher im Besitz einer Waldgemeinschaft aus Rieth/DDR und wurde schon vor längerer Zeit zum Verkauf angeboten. Die Gemeinde Zimmerau hat sich am 6.11.1975 um eine Kaufangebotsabgabe für 175.600 DM beworben. Laut Abstimmungsergebnis vom 5.11.75 mit 6 : 2 Stimmen für das Angebot von 175.600 DM. Der Kauf des Waldes ist für die Gemeinde Zimmerau eine strukturverbessernde Maßnahme im Hinblick des Fremdenverkehrs. Das Waldstück Großer Sellbach liegt in unmittelbarer Nähe des Ferienhausgebietes am Bayernturm und ist somit eine Stärkung für die Erholungssuchenden im Rahmen des Fremdenverkehrs. Im Übrigen hat die Gemeinde Zimmerau nur 46 ha eigene Waldung, das noch am äußersten Rande der Gemarkung in Richtung Schweickershausen liegt. Dem Angebotspreis lag die Schätzung des Forstamtes Bad Königshofen und der Waldgemeinschaft Rieth durch einen Beauftragten zugrunde. Die Schätzungen liegen weit höher als der Angebotspreis. Da der Verkaufsbeauftragte, Herr Baiersdorfer aus Rieth, eine Kaufbeurkundung noch bis Mittwoch den 12.11.1975 bewirken möchte, da er am 13.11.1975 die Rückreise antreten wird, bittet die Gemeinde Zimmerau um rechtsaufsichtliche Genehmigung zum Kauf.“

Bürgermeister Otto Bauer (vorne Mitte) war der Verhandlungsführer auf Zimmerauer Seite. Walter Scheider (hinten links) kümmerte sich um den Wald der Riether in Bayern. Das Foto der FFW Zimmerau entstand 1983. Am 11. November 1975 kam es zur entscheidenden Sitzung im Zimmerauer Gemeinderat. Dieser entschied mit 7: 1 Stimmen das Waldstück Großer Sellbach mit 21,52 ha zum Angebotspreis von 170.000 DM zu kaufen. Mit den Beauftragten der Waldgemeinschaft Rieth/DDR wurde laut Protokollbuch u.a. vereinbart, dass Bürgermeister Otto Bauer die Vollmacht zur Beurkundung am 12.11.1975 mit dem Kaufpreis von 170.000 DM zuzüglich Kosten erteilt wird. Der Kaufpreis wurde zur Zahlung nach Eintrag des Grundbesitzes im Grundbuchamt für die Gemeinde Echo der Lederhecke 114. Ausgabe Juli – September 2011

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Zimmerau fällig. Die Finanzierung sollte auf 15 Jahre mit einem Zinssatz von 7 % über die Raiffeisenbank Obereßfeld getätigt werden. Jedoch bestand die Absicht, durch den Holzeinschlag eine größere Summe zurückzuzahlen.

Merkblatt des Gesamtdeutschen Instituts von 1972 an das sich Leni Scheider bei ihren Sendungen in die DDR-Nachbargemeinden halten musste.

Beim Verkauf waren Max Beyersdorfer und Helmar Schumann aus Rieth in Zimmerau. Beyersdorfer teilte den Verkaufserlös unter die acht Besitzer auf und zahlte diesen in Coburg bei der Staatsbank ein. Die Anteilseigner konnten dort nun das Geld abholen oder über Gemix/Dänemark Waren bestellen. So kamen Waschmaschinen, Autos, Motorsägen usw. nach Rieth. Die Familie Scheider kaufte damals gleichzeitig das Waldstückchen im Kleinen Sellbach. Ihr war durch den Verkauf des Waldes an die Gemeinde Zimmerau eine große Last von den Schultern genommen und man blieb trotz Minen und Stacheldraht weiterhin freundschaftlich verbunden. Der Erlös des Holzeinschlags im Großen Sellbach wurde für den Bau des Leichenhauses auf dem Zimmerauer Friedhof verwendet – die letzte bauliche Maßnahme der Gemeinde vor der Aufgabe ihrer Selbständigkeit. Am 1. Januar 1978 wurde Zimmerau nach Sulzdorf eingemeindet und seitdem ist der Große Sellbach Bestandteil des Gemeindewaldes. Dass die Riether noch heute dankbar für das Engagement der Zimmerauer Nachbarn, insbesondere der Familie Scheider, zu DDR-Zeiten sind, unterstrichen sie durch ihren kräftigen und langanhaltenden Applaus nach dem Vortrag von Leni Scheider zu diesem Thema bei der Wiedervereinigungsfeier in der Gaststätte Bayernturm im Oktober 2010. Reinhold Albert Echo der Lederhecke 114. Ausgabe Juli – September 2011