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GesKR 1 98 2015 Andreas Müller / David Oser* Kurzbeiträge VegüV – Quo vadis? Umsetzung der Bestimmungen der Verordnung gegen übermässige Vergütun...
Author: Liese Falk
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Andreas Müller / David Oser*

Kurzbeiträge

VegüV – Quo vadis? Umsetzung der Bestimmungen der Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften im Vorentwurf zur «grossen» ­Aktienrechtsrevision

Inhaltsübersicht I. Übersicht II. Geltungsbereich III. Organisation der Gesellschaft 1. Wahlbefugnisse der Generalversammlung 2. Übertragung der Geschäftsführung 3. Vergütungsausschuss IV. Stimmrechtsvertretung 1. Exklusivität des unabhängigen Stimmrechtsvertreters als institutionelle Stimmrechtsvertretung 2. Nominee-Modell V. Anforderungen an die Statuten 1. Externe Mandate 2. Festschreibung des Verhältnisses z­ wischen fixer und ­gesamter Vergütung VI. Genehmigung der Vergütung 1. Verbot der prospektiven Genehmigung variabler Vergütung 2. Eingeschränkter Anwendungsbereich des Zusatzbetrages VII. Sorgfaltspflicht bei der Festsetzung der Vergütung VIII. Offenlegung IX. Unzulässige Vergütungen 1. Abgangsentschädigungen: Regulierung der Konkurrenz­ verbote 2. Vergütung im Voraus: Verbot von Sign-on Boni 3. Kontrollwechselprämien: Erweiterung des Geltungsbereiches 4. Statutarisch nicht vorgesehene V ­ ergütungen X. Strafbestimmungen

I. Übersicht Am 3.  März 2013 hat der schweizerische Souverän die eidgenössische Volksinitiative «gegen die Abzockerei» und damit Art. 95 Abs. 3 der Schweizerischen Bundesverfassung (BV) angenommen. Gemäss der einschlägigen Übergangsbestimmung von Art. 197 Ziff. 10 BV hat der Bundesrat per 1. Januar 2014 die Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV) in Kraft gesetzt. Die VegüV gilt bis zum Inkrafttreten der Umsetzungsgesetzgebung auf Stufe eines formellen Gesetzes.

* Dr. iur. Andreas Müller, LL.M. und Dr. iur. David Oser, LL.M., Rechtsanwälte in Zürich.

Art.  197 Ziff.  10 BV verpflichtet den Bundesrat implizit, dem Parlament eine Botschaft zur Umsetzung von Art.  95 Abs.  3 BV vorzulegen; eine Frist besteht nicht. Der Bundesrat hat sich dafür entschieden, die Umsetzung von Art. 95 Abs. 3 BV im Rahmen der «grossen» Aktienrechtsrevision vorzunehmen. Am 28.  November 2014 hat er den Vorentwurf zur Revision des Obligationenrechts (Aktienrecht) (VE-OR 2014 oder Vorentwurf) mitsamt einem erläuternden Bericht (Erläuternder Bericht Aktienrecht) veröffentlicht. Der Bundesrat hat sich mit wenigen Ausnahmen darauf beschränkt, die Bestimmungen der VegüV in das Aktienrecht bzw. die einschlägigen Spezialgesetze überzuführen. Dies verdient Zustimmung. In einigen zentralen Fragen wich der Bundesrat jedoch von der Regelung in der VegüV ab und schlug – über die Vorgaben der Bundesverfassung hinausgehende – Verschärfungen vor. Hauptbeispiele sind: • Die Pflicht zur statutarischen Festschreibung eines maximalen Verhältnisses zwischen fester und gesamter Vergütung des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung1; • erhöhte Offenlegungspflichten: individuelle Offenlegung der Vergütungen der Geschäftsleitungsmitglieder sowie sämtlicher externen Mandate von Verwaltungsräten und Geschäftsleitungsmitgliedern; • das Verbot der prospektiven Abstimmung über variable Vergütung; • die Ausdehnung des Verbots der unzulässigen Vergütungen, insbesondere eine Regelung, die Ersatzzahlungen des neuen Arbeitgebers für bei Stellenwechsel verfallende Ansprüche impraktikabel macht und im Ergebnis aufgrund des Strafbarkeitsrisikos ausschliesst; • die Verschärfung der Straftatbestände, indem das Tatbestandsmerkmal des Handelns «wider besseres Wissen» ersatzlos gestrichen wurde.

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Mangels Praxisrelevanz wird der Beirat in diesem Artikel jeweils nicht zusätzlich erwähnt, ist aber mitgemeint.

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• Nach einer Phase erheblicher Rechtsunsicherheit bis zum Erlass der VegüV im November 2013 haben sich die Unternehmen auf die Vorgaben der VegüV eingestellt und diese grossmehrheitlich bereits umgesetzt. Die Veröffentlichung eines Vorentwurfes, der in wichtigen Bereichen ohne begründeten Anlass von der VegüV abweicht, schafft Rechtsunsicherheit, was dem Unternehmensstandort Schweiz abträglich ist. • Die Umsetzung der Initiative durch die VegüV wurde von keiner Seite substanziell kritisiert. Während einzelne Bestimmungen anerkanntermassen auf Gesetzesebene verbessert oder präzisiert werden sollen, besteht kein Anlass, in nicht umstrittenen Bereichen wie zum Beispiel der prospektiven Genehmigung der Vergütung von den Vorgaben der VegüV abzuweichen. In Bezug auf die gemäss VegüV zulässige prospektive Genehmigung gilt dies umso mehr, als ca. drei Viertel der grössten Schweizer börsenkotierten Aktiengesellschaften ihren Aktionären dieses Modell zur Genehmigung bereits unterbreitet haben und die Aktionäre dieses Modell praktisch2 ausnahmslos auch genehmigt haben. • Der Vorentwurf schränkt die Gestaltungsfreiheit der Unternehmen weiter ein. Der Bundesrat verhindert damit zum einen, dass sich eine Best Practice etablieren kann. Zum anderen verunmöglicht er, dass die Unternehmen eine auf ihre Besonderheiten abgestimmte Lösung finden können. • Nachdem bereits Art. 95 Abs. 3 BV im internationalen Vergleich singuläre Regelungen aufgestellt hat, wie insbesondere die bindende Genehmigung von Vergütungs-Gesamtbeträgen oder die Strafbarkeit von Organmitgliedern bei der Verletzung gewisser Vorgaben der Umsetzungsgesetzgebung, fügt der Vorentwurf dem Aktienrecht erneut eine Reihe international nicht gebräuchlicher Bestimmungen hinzu. So sollen z.B. sämtliche Unternehmen in ihren Statuten das maximal zulässige Verhältnis zwischen fixer Vergütung und der gesamten Vergütung je für den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung festlegen, während in der EU gemäss CRD  IV3 nur bei Kreditinstituten und Wertpapierfirmen das Verhältnis zwischen fixer und variabler Vergütung für die Geschäftsleitung und bestimmte Risikoträger reguliert ist.

Nachfolgend besprechen wir die wesentlichen Bestimmungen und Neuerungen des Vorentwurfes im Vergleich zum geltenden Recht gemäss VegüV.4

II. Geltungsbereich Wie die VegüV5 sollen die einschlägigen Bestimmungen des Vorentwurfes auf Aktiengesellschaften mit statutarischem Sitz in der Schweiz, deren Aktien an einer in- oder ausländischen Börse kotiert sind, Anwendung finden.6 Kantonale spezialgesetzliche Aktiengesellschaften nach Art.  763 OR, nicht privatrechtliche spezialgesetzliche Aktiengesellschaften des Bundes sowie Gesellschaften, die nur Partizipations- oder Genussscheine oder Anleihensobligationen kotiert haben, sind weiterhin nicht erfasst.7 Art. 732 Abs. 2 VE-OR 2014 hält neu fest, dass nicht kotierte Aktiengesellschaften im Sinne eines Opting-in in ihren Statuten festhalten können, dass sie die Bestimmungen über die Vergütungen ganz oder teilweise anwenden. Soweit die Anwendung der Vergütungsbestimmungen die unübertragbaren Aufgaben des Verwaltungsrates tangiert8, handelt es sich um eine begrüssenswerte Klarstellung. Die Folgen bei einer Verletzung beispielsweise der Bestimmungen über unzulässige Vergütungen wären im Wesentlichen zivilrechtlicher Art: Solche Vergütungen sind gestützt auf Art. 678 VE-OR 2014 oder Art. 62 ff. OR zurückzuerstatten. Die einschlägigen Strafbestimmungen von Art. 154 VE-StGB sind aufgrund ihres Anwendungsbereiches, der ausdrücklich auf börsenkotierte Aktiengesellschaften beschränkt ist, bei einem Opting-in nicht anwendbar.

III. Organisation der Gesellschaft 1.

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Weder die eine Ablehnung noch der eine Rückzug durch den Verwaltungsrat der Gesellschaft erfolgten wegen Kritik am Modell der Genehmigung der Vergütung, sondern aus anderen Gründen. Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG vom 27. Juni 2013.

Wahlbefugnisse der Generalversammlung

Art.  2 VegüV überträgt der Generalversammlung die unübertragbare Befugnis zur Abstimmung über die Vergütung des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung sowie zur Wahl des Präsidenten des Verwaltungsrates, der Mitglieder des Vergütungsausschusses und des un-

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Für eine Besprechung der übrigen Bestimmungen des Vorentwurfes verweisen wir auf die Beiträge von Böckli und Gericke in dieser Ausgabe. Vgl. Praxiskommentar VegüV-Schärer, Art. 1 N 14 ff., m.w.H. Vgl.  Art.  626 Abs.  2, Art.  689c Abs.  1, Art.  698 Abs.  3, Art.  710 Abs. 1, Art. 712 Abs. 1, Art. 716a Abs. 1 Ziff. 8, Art. 728a Abs. 1 Ziff. 4 sowie den 4. Abschnitt (Vergütungen bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind) und insbesondere Art. 732. Erläuternder Bericht Aktienrecht, 145; vgl. auch Praxiskommentar VegüV-Schärer, Art. 1 N 11 f., m.w.H. Wie z.B. die Ausgestaltung des Vergütungssystems (vgl. Praxiskommentar VegüV-Lambert/Müller, Art. 2 N 79 und Müller/ Oser, Art. 18 N 256, je m.w.H.).

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Dieses Vorgehen ist in mehrerer Hinsicht problematisch:

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abhängigen Stimmrechtsvertreters. Deren Amtsdauer endet jeweils spätestens mit dem Abschluss der nächsten ordentlichen Generalversammlung; eine Wiederwahl ist möglich.9 Der Vorentwurf setzt diese Regelung identisch um.10 2.

Übertragung der Geschäftsführung

Gemäss Art. 716b Abs.  1 OR können die Statuten den Verwaltungsrat ermächtigen, die Geschäftsführung nach Massgabe eines Organisationsreglementes ganz oder zum Teil an einzelne Mitglieder oder an Dritte zu übertragen. Art. 6 Abs. 1 VegüV hält einschränkend fest, dass eine Übertragung nur an natürliche Personen erfolgen darf. In der Praxis kam eine Delegation an juristische Personen faktisch nur im Konzernverhältnis und bei Investmentgesellschaften vor. Bei einer Delegation an eine Management-Gesellschaft im Konzernverhältnis besteht aufgrund der Regelung von Art. 21 VegüV keine Umgehungsgefahr, da jegliche Vergütung im Konzern für Geschäftsleitungsfunktionen den Regeln der VegüV untersteht.11 Trotz Kritik an Art.  6 Abs.  1 VegüV übernahm der Bundesrat weiterhin wörtlich das Verbot von Art. 95 Abs. 3 lit. b BV (bzw. Art. 6 Abs. 1 VegüV), statt die Verfassungsvorgabe gemäss deren Sinn und Zweck, nämlich der Verhinderung der Umgehung der Bestimmungen der VegüV,12 umzusetzen. Neu soll diese fragwürdige Einschränkung zudem für alle statt nur für börsenkotierte Gesellschaften gelten.13 Die Vermögensverwaltung kann gemäss ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage an eine externe ManagementGesellschaft delegiert werden; dies soll auch unter dem revidierten OR so bleiben.14 Der Begriff der Vermögensverwaltung erfasst insbesondere die Portfolioverwaltung einschliesslich der Anlageentscheide, das Risikomanagement und die damit verbundenen administrativen

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Art. 3 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2, Art. 7 Abs. 3 und Art. 8 Abs. 4 VegüV. Art. 698 Abs. 3, Art. 710 Abs. 1, Art. 712 Abs. 1 und Art. 733 Abs. 3 VE-OR 2014. Praxiskommentar VegüV-Gerhard, Art. 6 N 8 und 13 und Oser/ Müller, Art. 21 N 5, je m.w.H. Praxiskommentar VegüV-Gerhard, Art. 6 N 3, m.w.H. So ausdrücklich der Erläuternde Bericht Aktienrecht, 133  f., mit Verweis auf den schon vor Inkrafttreten der VegüV geltenden Art.  120 HRegV, gemäss welchem nur natürliche Personen als Mitglieder des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans sowie als Zeichnungsberechtigte ins Handelsregister eingetragen werden können. Die in der Praxis weitverbreitete Delegation der Geschäftsführung an natürliche Personen, die von einer Management-Gesellschaft angestellt sind, bleibt zulässig (Praxiskommentar VegüVGerhard, Art.  6 N  7 und 12). Ferner können Aufgaben, welche nicht in den engen Bereich der «Geschäftsführung», d.h. denjenigen Tätigkeiten und Entscheiden von grundlegender Bedeutung, die auf der Hierarchiestufe direkt dem Verwaltungsrat unterstehen und geschäftspolitisch bedeutsam sind, an eine Management-Gesellschaft delegiert werden (Praxiskommentar VegüV-Gerhard, Art.  6 N 9 f.). Art. 6 Abs. 2 VegüV; Art. 716b Abs. 1 VE-OR 2014.

Tätigkeiten.15 Die Überwachung der externen Management-Gesellschaft und die Festlegung der Anlagepolitik obliegen weiterhin dem Verwaltungsrat der übertragenden Gesellschaft.16 Die bisher übliche Organisationsstruktur von Investment-Gesellschaften soll daher auch unter dem revidierten OR nicht eingeschränkt werden.17 Soweit es sich bei der konzernintern übertragenen Vermögensverwaltung um eine Geschäftsführungsaufgabe handelt – was oft nicht der Fall sein wird –, gelten die Regeln der VegüV betreffend Vergütung dennoch.18 3. Vergütungsausschuss Gemäss Art. 7 VegüV wählt die Generalversammlung in Einzelwahl aus den Mitgliedern des Verwaltungsrates einen Vergütungsausschuss. Mangels einer abweichenden statutarischen Regelung können Vakanzen vom Verwaltungsrat besetzt werden. Die Statuten müssen die Grundsätze über die Aufgaben und die Zuständigkeiten des Vergütungsausschusses bestimmen.19 Abgesehen von sprachlichen Anpassungen entspricht der Vorentwurf der Regelung der VegüV.20

IV. Stimmrechtsvertretung 1.

Exklusivität des unabhängigen ­Stimmrechtsvertreters als institutionelle Stimmrechtsvertretung

Art.  95 Abs.  3 lit.  a BV untersagt die Organ- und Depotstimmrechtsvertretung und verlangt die Möglichkeit der elektronischen Vollmachts- und Weisungserteilung. Entsprechend verbietet die VegüV die Organ- und Depotstimmrechtsvertretung nach Art. 689c und Art. 689d OR. Die einzig zulässige Form der institutionellen Stimmrechtsvertretung liegt in der Vollmachts- und Weisungserteilung an den unabhängigen Stimmrechtsvertreter. Aufgrund seiner zentralen Rolle bei der Vertretung der Stimmrechte in der Generalversammlung wird der unabhängige Stimmrechtsvertreter von der Generalversammlung gewählt und muss sinngemäss den Unabhängigkeitsanforderungen an die Revisionsstelle genügen. Ferner muss er die Stimmrechte weisungsgemäss ausüben und sich bei Fehlen spezifischer oder allgemeiner Weisungen der Stimme enthalten. Zuletzt stellt die

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Praxiskommentar VegüV-Gerhard, Art. 6 N 17, m.w.H. Vgl. Art. 716a Abs. 1 Ziff. 1 und 3 OR; Praxiskommentar VegüVGerhard, Art. 6 N 17; Erläuternder Bericht Aktienrecht, 134. Erläuternder Bericht Aktienrecht, 134; Praxiskommentar VegüVGerhard, Art. 6 N 4. Vgl. Art. 21 VegüV; Art. 735d VE-OR 2014. Unklar der Erläuternde Bericht Aktienrecht, 134, wonach Art. 735d VE-OR 2014 stets, unabhängig von der Qualifikation der übertragenen Aufgaben, zur Anwendung kommen soll. Vgl. auch Art. 12 Abs. 1 Ziff. 3 VegüV. Art. 626 Abs. 2 Ziff. 4 und Art. 733 VE-OR 2014.

VegüV klar, dass aufgrund der einjährigen Amtsdauer Vollmachten und Weisungen nur für die kommende Generalversammlung erteilt werden können.21 Auch diese Regelung übernimmt der Vorentwurf in der Sache.22 2. Nominee-Modell Der Erläuternde Bericht Aktienrecht setzt sich ferner mit dem Nominee-Modell auseinander.23 Das NomineeModell, wie es von Peter Böckli und Jan Bangert erarbeitet und vom Ständerat unterstützt wurde,24 sah vor, dass sich die jeweilige Verwahrungsstelle der Aktien – direkt gestützt auf das OR und ohne Zutun des Aktionärs – 30 Tage nach dem Aktienerwerb an Stelle des Erwerbers in das Aktienbuch eintragen lässt, sofern (i) der Erwerber kein Gesuch um Anerkennung stellt, (ii) die Statuten der Gesellschaft dies nicht ausschliessen und (iii) der Erwerb nicht als Handelsgeschäft der Verwahrungsstelle auf deren eigene Rechnung erfolgte. Die Verwahrungsstelle hätte bei diesem Modell als indirekter Stellvertreter fungiert; solange die Verwahrungsstelle im Aktienbuch eingetragen ist, übt diese und niemand sonst das Stimmrecht aus der Aktie aus und kann die aus der Aktie entstandenen Vermögensrechte geltend machen, während alle weiteren Mitwirkungsrechte aus der Aktie ruhen. Dieses Nominee-Modell sah ferner vor, dass die Aktionäre der Verwahrungsstelle Dauervollmachten erteilen können, solange dies nicht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Verwahrungsstelle erfolgt. Liegen keine Weisungen vor, übt die Verwahrungsstelle bei angekündigten Anträgen das Stimmrecht nicht aus und stimmt bei nicht angekündigten Anträgen im Sinne des Verwaltungsrates. Gemäss den Erläuterungen des Bundesrates wäre mit dem vorangehend dargestellten Nominee-Modell eine neue Form der institutionellen Stimmrechtsvertretung eingeführt worden, die aufgrund der Eintragung der Verwahrungsstelle als Aktionärin im Ergebnis gewisse Ähnlichkeiten mit der Depotvertretung aufgewiesen hätte. Da eine institutionelle Stimmrechtsvertretung einzig durch den unabhängigen Stimmrechtsvertreter erfolgen dürfe, zieht der Erläuternde Bericht Aktienrecht den Schluss, dass ein solches Nominee-Modell mit den Vorgaben von Art.  95 Abs.  3 BV nicht vereinbar sei.25 Ob dies aufgrund der erheblichen Unterschiede zwischen der Depotvertretung und der Stimmrechtsausübung 21

Art. 8–­11 VegüV. Art. 689b Abs. 2 und 3 und Art. 689c VE-OR 2014; vgl. auch Erläuternder Bericht Aktienrecht, 108. 23 Id., 31 ff., m.w.H. 24 Vgl. Erläuternder Bericht Aktienrecht, 31. Vgl. zum Nominee-Modell ausführlich von der Crone/Ender, Dispoaktien und Nominee-Modell, in: Rolf Watter (Hrsg.), Die «grosse» Schweizer Aktienrechtsrevision – Eine Standortbestimmung per Ende 2010, SSHW 300, Zürich 2010, 135–167; von der Crone/Isler, Dispoaktien, GesKR Sondernummer/2008, 76–84. 25 Id., 33. 22

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durch eine Verwahrungsstelle gemäss dem NomineeModell tatsächlich der Fall ist, ist mehr als fraglich. Unabhängig davon ist jedoch festzuhalten, dass die heute praktizierten Nominee-Lösungen, die von der Gesellschaft oder den Aktionären selbst eingesetzt werden, weiterhin zulässig bleiben. Solche Nominees üben die Stimmrechte – im Gegensatz zum Nominee-Modell – nicht ohne Zutun der Aktionäre direkt gestützt auf eine Gesetzesbestimmung des OR aus. Es handelt sich weder um eine institutionalisierte Stimmrechtsvertretung noch um eine Depotvertretung. Aktionäre können somit ihre Aktien weiterhin von einem Nominee treuhänderisch halten lassen. Die Gesellschaft selbst darf und muss – im Rahmen ihrer Statuten – Weisungen von Nominees entgegennehmen; insbesondere trifft sie keine Pflicht, deren internen Willensbildungsprozess zu hinterfragen.26

V. Anforderungen an die Statuten Art. 12 Abs. 1 VegüV verlangt, dass die Statuten von börsenkotierten Schweizer Aktiengesellschaften zwingend Bestimmungen über die Anzahl der maximal zulässigen Mandate der Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung in obersten Leitungs- oder Verwaltungsorganen anderer Rechtseinheiten und über die maximale Dauer bzw. Kündigungsfrist deren Verträge über die Vergütung, über die Grundsätze über die Aufgaben und Zuständigkeiten des Vergütungsausschusses sowie über die Einzelheiten zur Abstimmung über die Vergütungen enthalten müssen. Abgesehen von sprachlichen und systematischen Anpassungen übernimmt der Vorentwurf diese Regelung27 mit den nachfolgenden beiden Ausnahmen: 1.

Externe Mandate

Art. 12 Abs. 1 Ziff. 1 VegüV betreffend die maximal zulässige Anzahl externer Mandate stellt darauf ab, ob sich die Gesellschaft, in welcher ein Mandat ausgeübt wird, ins Handelsregister oder ein entsprechendes ausländisches Register eintragen muss. Gerade bei ausländischen Gesellschaften kann dies zu zufälligen Ergebnissen führen, da ausländische Jurisdiktionen ganz unterschiedliche Eintragungspflichten vorsehen.28 Der Vorentwurf möchte nun stattdessen darauf abstellen, ob die Mandate in «Unternehmen mit wirtschaftlichem Zweck» wahrgenommen werden. Ein wirtschaftlicher Zweck liege dann vor, «wenn eine Gesellschaft einen ökonomischen Vorteil (geldwerten Nutzen) zugunsten ihrer Gesellschafter erstrebt»; unerheblich ist, ob dieser Zweck mit wirt-

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Vgl. Praxiskommentar VegüV-Schärer, Art. 11 N 14 ff., m.w.H. Vgl. Art. 626 Abs. 2 Ziff. 1, 2, 4 und 5. 28 Vgl. zur Rechtslage unter der VegüV Praxiskommentar VegüVLambert/Müller, Art. 12 N 47 ff., m.w.H. 27

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schaftlichen oder nichtwirtschaftlichen Mitteln erreicht wird.29 Diese Abgrenzung scheint im Grundsatz zweckmässig, auch wenn sie immer noch ein breites Spektrum von Gesellschaftsformen abdeckt und aufgrund einer in der Praxis wohl oft fehlenden klaren Zweckumschreibung eine gewisse Unschärfe aufweist. Immerhin sind zahlreiche Rechtsformen wie gemeinnützige Organisationen, Stiftungen, Trusts etc. mangels eines wirtschaftlichen Zwecks ausgeschlossen. Die vorgeschlagene Bestimmung erweitert jedoch darüber hinaus den Geltungsbereich. Die VegüV beschränkte sich auf Mandate in «den obersten Leitungs- oder Verwaltungsorganen»; bei Aktiengesellschaften ist damit nur der Verwaltungsrat, nicht aber die Geschäftsleitung erfasst.30 Der Vorentwurf stellt hingegen darauf ab, ob Mandate «in vergleichbarer Funktion wie Verwaltungsrat, Geschäftsleitung oder Beirat» ausgeübt werden. Damit sind nicht nur Mandate im Verwaltungsrat einer Drittgesellschaft, sondern auch in deren Geschäftsleitung erfasst. 2.

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Festschreibung des Verhältnisses ­z wischen fixer und gesamter Vergütung

Gemäss Art. 626 Abs. 2 Ziff. 4 des Vorentwurfes sollen die Statuten neu zwingend das maximal zulässige Verhältnis zwischen fixer Vergütung und gesamter Vergütung je für den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung festlegen. Diese Regelung findet keine Grundlage in Art. 95 Abs. 3 BV. Auch im internationalen Vergleich steht diese Bestimmung singulär da. Die Regulierung der EU im Rahmen der CRD  IV beschränkt sich auf das maximale Verhältnis der fixen und variablen Vergütung bei Kreditinstituten und Wertpapierfirmen. Den Materialien lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, warum die Statuten das Verhältnis zwischen fixer und gesamter Vergütung regeln sollen.31 Dieser Vorschlag ist abzulehnen. Während die Aktionäre einer Gesellschaft durchaus ein solches Höchstverhältnis festlegen können sollen, gibt es keinen Grund, dies als zwingenden Statuteninhalt auszugestalten. Wie der Bundesrat zu Recht auf der vorherigen Seite des Erläuternden Berichts Aktienrecht ausführt, ist «[d]er gesetzlich vorgeschriebene Mindestinhalt der Statuten […] auf das notwendige Minimum zu beschränken.»32

VI. Genehmigung der Vergütung 1.

Art.  18 VegüV verlangt, dass die Generalversammlung jährlich, bindend und separat über die Vergütungen abstimmt, die der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung direkt oder indirekt von der Gesellschaft erhalten. Die Statuten regeln die Einzelheiten zur Abstimmung; sie können auch das weitere Vorgehen bei einer Ablehnung der Vergütungen durch die Generalversammlung bestimmen.33 Art. 735 VE-OR 2014 übernimmt diese Regelung beinahe wörtlich – mit der nachfolgenden Ausnahme: Im Gegensatz zur VegüV soll eine prospektive Abstimmung über variable Vergütungen unzulässig sein; diese sollen zwingend retrospektiv genehmigt werden.34 Warum den Gesellschaften diese Flexibilität genommen werden soll, erläutert der Bundesrat nicht. Im Ergebnis wird damit – entgegen der vom Bundesrat geäusserten Absicht – den Gesellschaften gerade nicht ermöglicht, «ein System zu wählen, das ihren konkreten Bedürfnissen gerecht wird.»35 Rund 65 % der Gesellschaften haben ihre Statuten bereits im Jahr 2014 an die VegüV angepasst. Ungefähr 80 % dieser Gesellschaften sehen eine prospektive Genehmigung variabler Vergütungselemente vor. Die gewählten Systeme beruhen auf intensiven Diskussionen innerhalb der Gesellschaft, mit Vergütungsberatern, Stimmrechtsberatern und Aktionären. Die Zustimmungsraten an den Generalversammlungen waren durchwegs hoch, in der Regel über 90 %. Die wichtigsten Stimmrechtsberater, ISS und GlassLewis, haben diese Modelle jeweils als im Interesse der Aktionäre liegend unterstützt. Ethos bevorzugt eine retrospektive Abstimmung über die kurzfristige variable Vergütung (d.h. den Short-Term Incentive oder Annual Incentive Bonus); ist das Vergütungssystem genügend transparent und begrenzen die Statuten die maximale Höhe der variablen Vergütung im Verhältnis zum Grundsalär, unterstützt ethos auch eine prospektive Abstimmung. Bei der langfristigen erfolgsabhängigen Vergütung (d.h. den Long-Term Incentives) ist ethos indifferent.36 Auch in den Medien oder der Politik standen diese prospektiven Genehmigungsmodelle nicht in der Kritik.

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Erläuternder Bericht Aktienrecht, 71, mit Verweis auf MeierHayoz/­Forstmoser, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 11. A., Bern 2012, § 4 N 5 ff. 30 Vgl. Praxiskommentar VegüV-Lambert/Müller, Art. 12 N 29 ff. 31 Vgl. Erläuternder Bericht Aktienrecht, 72. 32 Erläuternder Bericht Aktienrecht, 71.

Verbot der prospektiven Genehmigung variabler Vergütung

Vgl. dazu ausführlich Praxiskommentar VegüV-Müller/Oser, Art. 18 sowie Lambert/Müller, Art. 12 N 109 ff. und 181 ff. 34 Art. 735 Abs. 3 Ziff. 4 VE-OR 2014. 35 Erläuternder Bericht Aktienrecht, 152. 36 Ethos Stiftung, Richtlinien zur Ausübung der Stimmrechte 2015, Grundsätze zur Corporate Governance, Genf 2015 (abrufbar unter http://www.ethosfund.ch/upload/publication/p435d_141204_ Ethos_Richtlinien_zur_Ausbung_der_Stimmrechte_und_Grundst ze_zur_Corprate_Governance.pdf, zuletzt besucht am 30. Januar 2015), 19 f.

Die vorgeschlagene Einschränkung wäre der Attraktivität des Unternehmensstandortes Schweiz abträglich.37 Planungssicherheit ist für Unternehmen ein zentrales Gut, gerade im Bereich der Vergütung der Geschäftsleitung. Anders als vom Bundesrat suggeriert,38 kann aufgrund der Vergütungsmodelle zahlreicher Gesellschaften keine genügende Planungssicherheit einzig durch prospektive Genehmigung der fixen Vergütung erreicht werden. Aufgrund der Forderung von Aktionären und Stimmrechtsberatern, einen möglichst hohen Anteil der Vergütung mehrjährigen Leistungskriterien und Aufschüben zu unterstellen, macht die fixe Vergütung bei Geschäftsleitungsmitgliedern oft nur noch einen begrenzten Prozentsatz der Gesamtvergütung aus. Es dürfte vom Bundesrat kaum gewollt (aber sehr wohl die Konsequenz) sein, dass Unternehmen angesichts des Verbots der prospektiven Abstimmung über variable Vergütungskomponenten wieder dazu übergehen, der Geschäftsleitung entgegen international anerkannter Best Practice vorab einen hohen Anteil an Fixlohn zuzuerkennen. Weiter ist zu betonen, dass es sich bei der prospektiven Genehmigung der variablen (bzw. der gesamten) Vergütung nicht um einen «Blankocheck» der Aktionäre an den Verwaltungsrat handelt. Der Verwaltungsrat bzw. der Vergütungsausschuss bleiben bei der Festsetzung der individuellen effektiven Vergütung an ihre Sorgfaltspflicht gebunden. Mit Art. 717 Abs. 1bis enthält der Vorentwurf sogar eine (wenn auch überflüssige) Bestimmung, die dies ausdrücklich festhält. Des Weiteren ist der Verwaltungsrat bzw. Vergütungsausschuss an die in den Statuten enthaltenen Vergütungsgrundsätze sowie die anwendbaren Vergütungspläne gebunden. Zuletzt werden die Aktionäre der überwiegenden Mehrheit der Gesellschaften die Möglichkeit haben, über die im Rahmen des bindend bereits genehmigten Gesamtbetrages effektiv ausgerichtete Vergütung konsultativ abzustimmen. Den Aktionären ist somit wie in anderen Fragen auch im Bereich der Abstimmung über die Vergütung ohne Weiteres zuzutrauen, einen Beschluss gestützt auf «Eventualitäten»39 zu fassen.40 Eine zwingende retro­ spektive Genehmigung der variablen Vergütung ist nicht erforderlich. Schliesslich sollten auch hier die international üblichen Abstimmungsmodalitäten nicht völlig ausser Acht gelassen werden. Neben der international – wie auch in der Schweiz – weit verbreiteten konsultativen Abstimmung

Vgl. Praxiskommentar VegüV-Müller/Oser, Art.  18 N  165 und 175, je m.w.H. 38 Erläuternder Bericht Aktienrecht, 153. 39 Erläuternder Bericht Aktienrecht, 153. 40 Dies wird ohnehin der Fall bleiben: Sobald die variable Vergütung mehrjährigen Leistungszielen unterliegt, stellt auch ein retrospektiver Genehmigungsbeschluss der Generalversammlung noch immer auf «Eventualitäten» ab, da die Zielerreichung im Zeitpunkt der Abstimmung noch gar nicht feststeht.

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über den Vergütungsbericht und damit über das Vergütungsmodell und die effektive Vergütung sehen die international bestehenden verbindlichen Abstimmungen eine prospektive Genehmigung des Vergütungsmodells vor.41 Eine prospektive bindende Genehmigung des Gesamtbetrages kombiniert die «schweizerische» Genehmigung des maximalen Gesamtbetrages mit der implizit damit verbundenen – und international verbreiteten – prospektiven Genehmigung des Vergütungsmodells, da die Gesellschaften beim Antrag über den maximalen Gesamtbetrag in der Praxis den Aktionären anhand des Vergütungssystems erklären müssen, wie dieser Betrag zustande kommt. Mit einem Verbot der prospektiven Genehmigung der Gesamtvergütung würde sich die Schweiz einmal mehr, ohne jeglichen Anlass, von der derzeitigen internationalen Stossrichtung entfernen. Aus vorgenannten Gründen ist schwer nachvollziehbar, warum der Bundesrat ohne ersichtlichen Grund diese Kehrtwende vollzogen hat und die Aktionäre unnötig bevormunden möchte. Es ist daher zu hoffen, dass der Bundesrat diese Einschränkung im Entwurf ersatzlos streichen wird. 2.

Eingeschränkter Anwendungsbereich des Zusatzbetrages

Die Geschäftsleitung einer Gesellschaft unterliegt Veränderungen: Sie kann erweitert werden, Mitglieder scheiden aus und müssen ersetzt werden, oder bestehende Mitglieder werden innerhalb der Geschäftsleitung befördert. Diese Veränderungen fallen im Regelfall nicht mit einer Generalversammlung zusammen. Soweit über die Vergütungen prospektiv abgestimmt wird, kann es aufgrund solcher Veränderungen dazu kommen, dass der genehmigte Maximalgesamtbetrag zur Vergütung der neuen oder beförderten Mitglieder nicht ausreicht. Art. 19 VegüV ermöglicht daher, dass die Statuten einen Zusatzbetrag vorsehen für die Vergütungen derjenigen Geschäftsleitungsmitglieder, die nach der Abstimmung ernannt werden, sofern der bereits genehmigte Maximalgesamtbetrag für deren Vergütung nicht ausreicht. Über den verwendeten Zusatzbetrag stimmt die Generalversammlung nicht ab.42 Mit wenigen Ausnahmen übernimmt der Vorentwurf diese Regelung.43 Der Wortlaut von Art.  19 VegüV enthält zwei auslegungsbedürftige Formulierungen, zum einen «bis zur nächsten Abstimmung» und zum anderen «Ernennung».

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Vgl. z.B. Deutschland (§ 120 Abs. 4 Aktiengesetz), die Niederlande (Art. 2:135 des Niederländischen Zivilgesetzbuches) und das Vereinigte Königreich (Section 439 Companies Act 2006). 42 Ausführlich dazu Praxiskommentar VegüV-Müller/Oser, Art. 19, m.w.H.; vgl. auch Erläuternder Bericht Aktienrecht, 154. 43 Art. 735a VE-OR 2014.

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Nach einhelliger Auslegung ist die Formulierung «bis zur nächsten Abstimmung» bei wörtlicher Auslegung zu eng. Genehmigt, wie häufig der Fall, die Generalversammlung die Vergütung für das nächste Geschäftsjahr, endet die bereits genehmigte Vergütungsperiode nach der nächsten Generalversammlung. Der Zusatzbetrag muss daher bis zum Ablauf dieser bereits genehmigten Vergütungsperiode zur Verfügung stehen, wenn man systemfremde individuelle Abstimmungen für neue Geschäftsleitungsmitglieder für eine Übergangsperiode vermeiden will.44 Der Bundesrat unterliess es, im Gesetzeswortlaut oder den Materialien zum Vorentwurf zu präzisieren, dass nicht der Zeitpunkt der nächsten ordentlichen Generalversammlung, sondern der Ablauf der bereits genehmigten Vergütungsperiode massgebend ist. Eine solche Präzisierung wäre zu begrüssen. Der Begriff «Ernennung» umfasst gemäss Schrifttum sowohl neue Geschäftsleitungsmitglieder als auch – Umgehungen vorbehalten – bestehende Mitglieder, die innerhalb der Geschäftsleitung befördert werden und deren Vergütung sich dadurch erhöht. Diese Auslegung stellt sicher, dass Unternehmen – im Sinne der von Art.  95 Abs. 3 BV geforderten «nachhaltigen Unternehmensführung» – nicht verunmöglicht oder erheblich erschwert wird, interne Kandidaten zu befördern. Tritt ein externer CEO der Geschäftsleitung bei, kann dessen Vergütung – unter den allgemeinen Voraussetzungen – aus dem Zusatzbetrag beglichen werden. Wird ein interner Kandidat, der bereits Mitglied der Geschäftsleitung war, zum CEO befördert, erhöht sich in der Regel dessen Vergütung aufgrund der neuen Funktion und Verantwortung. Um eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von externen und internen Kandidaten zu verhindern, muss auch im letzteren Fall der Zusatzbetrag offenstehen. Für blosse Lohnerhöhungen steht der Zusatzbetrag hingegen nicht zur Verfügung.45 Aufgrund des Gesetzeswortlautes und der Materialien zum Vorentwurf scheint sich der Bundesrat gegen diese Auslegung zu stellen. Die Verwendung des Zusatzbetrages für interne Ernennungen soll wohl mit dem Zusatz «neu als Mitglieder der Geschäftsleitung ernannt»46 ausgeschlossen werden. Ohne Begründung verunmöglicht bzw. erschwert der Bundesrat damit interne Beförderungen von Geschäftsleitungsmitgliedern erheblich, was für die Kontinuität der Unternehmensführung nicht förderlich ist.

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Vgl. Praxiskommentar VegüV-Müller/Oser, Art.  19 N  49 ff., m.w.H. 45 Vgl. Praxiskommentar VegüV-Müller/Oser, Art.  19 N  34  ff., m.w.H. 46 Art. 735a Abs. 1 VE-OR 2014 (Hervorhebung hinzugefügt).

VII. Sorgfaltspflicht bei der Festsetzung der Vergütung Die Sorgfaltspflicht des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung bei der Festlegung der Vergütung soll gesetzlich konkretisiert werden: Sie müssen dafür sorgen, dass die Vergütungen sowohl mit der wirtschaftlichen Lage als auch mit dem dauernden Gedeihen des Unternehmens im Einklang stehen und in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben, Leistungen und der Verantwortung der Empfänger stehen.47 Wie bereits im Zusatzentwurf 2008 handelt es sich dabei wohl in erster Linie um eine den politischen Realitäten geschuldete Bestimmung. Der ausdrücklich festgehaltene Sorgfaltsmassstab ergibt sich bereits aus dem allgemeinen Sorgfaltsmassstab.48

VIII. Offenlegung Die VegüV hat die Offenlegung der Vergütung und ausstehender Darlehen und Kredite an gegenwärtige und frühere Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung sowie diesen nahestehende Personen vom Anhang zur Jahresrechnung in einen separaten, von der Revisionsstelle zu prüfenden Vergütungsbericht ausgegliedert. In der Sache hat der Bundesrat mit vereinzelten Ausnahmen wie der Offenlegung zum Zusatzbetrag die frühere Regelung von Art. 663bbis OR übernommen. Der Vorentwurf übernimmt in den Art.  734  ff. im Wesentlichen die Regelung der Art.  13  ff. VegüV. In drei Bereichen schlägt der Bundesrat jedoch eine erhebliche Erweiterung der Offenlegung vor49: • Individuelle Offenlegung der Vergütung, Darlehen und Kredite an Geschäftsleitungsmitglieder: Statt der Offenlegung des Gesamtbetrages der Vergütung, Darlehen und Kredite an die Geschäftsleitung insgesamt und der individuellen Offenlegung des höchstbezahlten Geschäftsleitungsmitglieds soll die Offenlegung für die Geschäftsleitung nun wie auf Ebene des Verwaltungsrates individuell erfolgen.50

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Art. 717 Abs. 1bis VE-OR 2014. Diese Regelung war bereits im Zusatzentwurf zur Änderung des Obligationenrechts vom 5. Dezember 2008 (BBl 2008 343 ff.) enthalten. 48 Ebenso Bühler, Vergütungen an Verwaltungsrat und Geschäftsleitung: Volksinitiative «gegen die Abzockerei» oder Gegenentwürfe, in: Rolf Watter (Hrsg.), Die «grosse» Schweizer Aktienrechtsrevision, Zürich 2010, 273 f. 49 Ferner sind Karenzentschädigungen für Konkurrenzverbote (Ziff.  10) ausdrücklich als Vergütung aufgeführt, und das Kriterium der Marktüblichkeit für die Offenlegung von Vergütungen an frühere Mitglieder ist entfallen; massgebend ist einzig deren Zusammenhang mit der früheren Tätigkeit als Organ der Gesellschaft. 50 Art. 734a Abs. 3 Ziff. 2 VE-OR 2014. Diese Pflicht war im Entwurf zur Änderung des Obligationenrechts vom 21. Dezember 2007 (BBl 2007 1751 ff.) und im Zusatzentwurf zur Änderung des Obligationenrechts vom 5. Dezember 2008 (BBl 2008 343 ff.) noch nicht vorgesehen.

• Offenlegung der externen Mandate: Der Vergütungsbericht soll die Funktionen der Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung in anderen Unternehmen gemäss Art. 626 Abs. 2 Ziff. 1 VEOR 2014 («externe Mandate») aufführen, unter Angabe des Namens des Mitglieds, der Bezeichnung des Unternehmens und der ausgeübten Funktion.51 • Begründungspflicht bei Untervertretung eines Geschlechts im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung («Frauenquote» – «comply or explain»): Der Vorentwurf schlägt vor, dass der Vergütungsbericht von Gesellschaften, welche die Schwellenwerte gemäss Art.  727 Abs.  1 Ziff.  2 OR überschreiten und bei denen nicht jedes Geschlecht mindestens zu 30 % im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung vertreten ist, die Gründe der Untervertretung und die Massnahmen zur Förderung des weniger stark vertretenen Geschlechts angeben soll.52

IX. Unzulässige Vergütungen Art.  20  VegüV erklärt bestimmte Vergütungen an Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung für unzulässig. Es handelt sich dabei um gesetzlich nicht geschuldete Abgangsentschädigungen, Vergütungen im Voraus, «Kontrollwechselprämien», in den Statuten nicht vorgesehene erfolgsabhängige oder anteilsbasierte Vergütungen und Vorsorgeleistungen ausserhalb der beruflichen Vorsorge sowie die Vergütungskomponente von statutarisch nicht vorgesehenen Darlehen und Krediten.53 In den Grundzügen übernimmt der Vorentwurf die Regelung der VegüV. Er enthält jedoch Verschärfungen, die sich in der jetzigen Form nicht rechtfertigen lassen. 1.

Abgangsentschädigungen: Regulierung der Konkurrenzverbote

Der Vorentwurf verbietet – wörtlich mit der VegüV übereinstimmend – «Abgangsentschädigungen, die vertraglich vereinbart oder statutarisch vorgesehen sind.»54 Ausdrücklich für zulässig erklärt sind Vergütungen, die bis zur Beendigung der Vertragsverhältnisse geschuldet sind.55 Zu beachten ist dabei die maximale Vertragsdauer bzw. Kündigungsfrist: Sie darf wie unter der VegüV für

51 52 53 54 55

Art. 734d VE-OR 2014. Vgl. auch das Beispiel im Erläuternden Bericht Aktienrecht, 151. Art. 734e VE-OR 2014. Für die Diskussion dieses Vorschlags verweisen wir auf den Beitrag von Böckli, S. 1, in dieser Ausgabe. Vgl. dazu ausführlich Praxiskommentar VegüV-Oser/Müller, Art. 20, m.w.H. Art. 735c Abs. 1 Ziff. 1 VE-OR 2014. Art. 735c Abs. 2 VE-OR 2014.

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Verwaltungsräte eine Amtsdauer56 bzw. für Geschäftsleitungsmitglieder ein Jahr nicht übersteigen.57 Ebenfalls zulässig bleiben Abgangsentschädigungen, die sich aus zwingendem in- oder ausländischem Recht ergeben.58 Darüber hinausgehend schlägt der Bundesrat vor, im Bereich der Konkurrenzverbote und Vergütungen an frühere Organmitglieder einschränkend zu legiferieren. Diese für schweizerische Gesetze und insbesondere das OR unübliche Regulierung von Einzelfällen ist nicht zielführend: • Die vorgeschlagenen Regelungen sind zu starr und damit im Einzelfall zu weitgehend oder zu eng. Entschädigungen, die das Verbot der Abgangsentschädigung zu umgehen versuchen, sind von dessen Verbot bereits erfasst;59 eine dem Einzelfall gerecht werdende Lösung bleibt im Gegensatz zum Vorentwurf unter der VegüV aber möglich. • Die gewählten zusätzlichen Verbotstatbestände und gesetzlichen Vermutungen tragen anders als beabsichtigt60 gerade nicht zu erhöhter Rechtssicherheit im Sinne von Safe Harbor-Bestimmungen bei, da sie nicht zulässige Handlungen vom Verbot ausnehmen, sondern ausschliesslich weitere Verbotstatbestände definieren. • Der praktische Effekt der Verbote ist fraglich: Während die Statuten den Gesellschaften oft die Möglichkeit einräumen, Konkurrenzverbote einzugehen, schliessen die Gesellschaften in der Praxis nur sehr vereinzelt solche vertraglichen Konkurrenzverbotsabreden gegen Entschädigung ab. • Wie bei der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit muss dem Verwaltungsrat beim Entscheid darüber, ob solche Abreden im Gesellschaftsinteresse liegen, ein Ermessen belassen werden. Dies ist einer der Kernbereiche der Business Judgment Rule. Interessant sind zuletzt die strafrechtlichen Konsequenzen der vorgeschlagenen Regelung: Während es sich gemäss Bundesrat bei diesen Entschädigungen um in der Praxis besonders kritische Vergütungen handelt, sind

56

57 58 59

60

Der Bundesrat hat damit die Kritik in der Lehre (vgl. Praxiskommentar VegüV-Lambert/Müller, Art.  12 N  86) berücksichtigt, wonach der Wortlaut der VegüV («höchstens ein Jahr») nicht präzise ist. Nicht befriedigend ist hingegen der Vorschlag in Art. 735b Abs.  1 VE-OR  2014, wonach die Dauer der Verträge generell auf eine Amtsdauer beschränkt werden soll. Gerade bei exekutiven Verwaltungsräten ist es üblich, einen unbefristeten Vertrag einzugehen, der jeweils auf das Ende einer Amtsdauer gekündigt werden kann. Der Entwurf sollte diese Möglichkeit offenlassen. Art. 735b VE-OR 2014. Vgl. Praxiskommentar VegüV-Oser/Müller, Art. 20 N 40 f.; Erläuternder Bericht Aktienrecht, 155. Vgl. Erläuternder Bericht Aktienrecht, 40; Erläuternder Bericht vom 14. Juni 2013 zum Vorentwurf zur Verordnung gegen die Abzockerei, 24; Praxiskommentar VegüV-Oser/Müller, Art. 20 N 48 und N 102 ff. (spezifisch zu Konkurrenzverboten); GesKR-Kommentar VegüV-Tschäni, Art. 20 N 9. So der Erläuternde Bericht Aktienrecht, 35.

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diese Formen gemäss dem vorgeschlagenen Art.  154 Abs. 1 VE-StGB nicht strafbar.

den.66 Wieso gerade in diesem Fall eine ausdrückliche gesetzliche «Konkretisierung des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots gemäss Artikel 2 Absatz 2 ZGB»67 erforderlich sein soll, bleibt unbeantwortet.

Kurzbeiträge

Im Einzelnen sollen folgende Vergütungen als unzulässig gelten61: • Entschädigungen für ein geschäftsmässig nicht begründetes Konkurrenzverbot: Gemäss Materialien muss das Konkurrenzverbot schützenswerte Interessen der Gesellschaft wahren; es gelte, potenziellen Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.62 Dabei handelt es sich um eine Selbstverständlichkeit, für welche es nicht einer weiteren Gesetzesvorschrift bedarf: Bereits gemäss Art.  340 Abs.  2 OR sind Konkurrenzverbote nur verbindlich, wenn das Arbeitsverhältnis dem Arbeitnehmer Einblick in den Kundenkreis oder in Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisse gewährt und die Verwendung dieser Kenntnisse den Arbeitgeber erheblich schädigen könnte. Ferner müsse auch die Dauer des Konkurrenzverbotes geschäftsmässig begründet sein. Gemäss Vorentwurf soll als geschäftsmässig nicht begründet insbesondere ein Konkurrenzverbot von mehr als 12 Monaten gelten.63 Diese Frist ist u.U. zu kurz, gerade im vom Bundesrat angeführten Bereich der Forschungs- und Entwicklungsgeheimnisse. Sollte eine zeitliche Beschränkung aufgenommen werden, müsste vielmehr im Sinne einer Safe Harbor-Bestimmung klargestellt werden, dass Konkurrenzverbote von bis zu 12 Monaten hinsichtlich Dauer als geschäftsmässig begründet gelten. • Nicht marktübliche Entschädigungen für ein Konkurrenzverbot: Ist das Konkurrenzverbot geschäftsmäs­ sig begründet, muss die Entschädigung marktüblich sein. Gemäss Materialien bilden Dauer und Umfang des Konkurrenzverbotes, die Auswirkungen des Verbotes auf die berufliche Entwicklung der betroffenen Person sowie die Branchenüblichkeit besonders wichtige Faktoren.64 • Nicht marktübliche Vergütungen im Zusammenhang mit einer früheren Tätigkeit als Organ der Gesellschaft: Gemäss den Erläuterungen des Bundesrates soll damit vermieden werden, dass die Verbote der Abgangsentschädigungen bzw. der nicht marktüblichen Karenzentschädigungen u.U. Jahre nach dem Austritt aus der Gesellschaft ausgehebelt werden.65 Solche Umgehungs-Vergütungen gelten jedoch ohnehin als Abgangsentschädigungen, da sie funktional für oder im Zusammenhang mit der Auflösung des Arbeits- oder Mandatsverhältnisses erbracht wer-

2.

«Vergütungen, die im Voraus ausgerichtet werden», sind auch unter dem Vorentwurf unverändert unzulässig. Der Vorentwurf verwendet die gleiche Formulierung wie die VegüV. Erfasst ist die Vorauszahlung von Lohn (bzw. nicht geschuldeter Vergütungsbestandteile, wie einer Gratifikation) und Honorar vor Stellen- oder Amtsantritt.68 Unter der VegüV sind sowohl Ersatzzahlungen bei Stellenantritt für werthaltige Ansprüche gegenüber dem bisherigen Arbeit- oder Auftraggeber (z.B. Teilnahme an einem noch laufenden Optionsplan, gesperrte Aktien), die einem Mitglied des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung zugestanden hätten, wenn es nicht das Unternehmen gewechselt hätte, als auch Sign-on Boni zulässig.69 Sign-on Boni entschädigen nicht für bei Stellenantritt verfallende Ansprüche, sondern für die Verpflichtung des zukünftigen Arbeitnehmers, sich an den Arbeitgeber zu binden und andere potenzielle Stellenangebote auszuschlagen. Bei beiden Ansprüchen handelt es sich nicht um eine Vorauszahlung, da entweder Nachteile ausgeglichen werden oder eine vorgängig zu erbringende Leistung (nämlich die Vertragsunterzeichnung) entschädigt wird. Mit der vorgeschlagenen Ziff. 5 erweitert der Vorentwurf das Verbot der Vergütung im Voraus erheblich: Neu sollen «Antrittsprämien, die keinen klar nachweisbaren finanziellen Nachteil kompensieren,» ebenfalls unzulässig sein. Sign-on Boni sind damit – von Sonderfällen abgesehen – nicht mehr zulässig. Aber auch wirtschaftlich unbestrittene Ersatzzahlungen sind unter der vorgeschlagenen Regelung in der Praxis stark eingeschränkt. Während im Zusatzbericht VegüV (wie auch den Materialien zum Vorentwurf)70 von «werthaltigen Ansprüchen» die Rede ist, stellt der Vorentwurf das überhöhte Erfordernis eines «klar nachweisbaren finanziellen Nachteils» auf. In der Praxis sind verfallene Ansprüche oft gerade nicht «klar nachweisbar», sondern beruhen vielmehr auf Schätzungen. Werden beispielsweise einem zuvor bei einer deut-

66 67 68 61

Art. 735c Abs. 1 Ziff. 2–4 VE-OR 2014. Erläuternder Bericht Aktienrecht, 155. 63 Art. 735c Abs. 2 VE-OR 2014. 64 Erläuternder Bericht Aktienrecht, 155. 65 Erläuternder Bericht Aktienrecht, 155. 62

Vergütung im Voraus: Verbot von Sign-on Boni

69 70

Vgl. Praxiskommentar VegüV-Oser/Müller, Art. 20 N 26 f., zur «Vor- oder Nachwirkung» der Verbote gemäss Art. 20 VegüV. Erläuternder Bericht Aktienrecht, 155. Vgl. Praxiskommentar VegüV-Oser/Müller, Art.  20 N  111 ff., insb. N 114 ff. Vgl. Praxiskommentar VegüV-Oser/Müller, Art.  20 N  119 ff., m.w.H. Zusatzbericht vom 8. Oktober 2013 zum Entwurf der Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften, 12; Erläuternder Bericht Aktienrecht, 39 und 156.

schen Gesellschaft angestellten Manager die verfallenen Pensionskassenleistungen ausgeglichen, gibt es anders als in der Schweiz keinen klar definierten Freizügigkeitsanspruch; vielmehr muss der Wert der Rentenverpflichtungen der deutschen Gesellschaft geschätzt werden. Gleiches gilt auch für laufende Beteiligungsprogramme, die von mehrjährigen Leistungsbedingungen abhängig sind (z.B. Performance Share Units). Im Zeitpunkt eines Stellenwechsels kann der dannzumalige Wert solcher Units nur annäherungsweise geschätzt werden; der effektive Wert würde erst nach Ablauf der Vesting-Periode feststehen, d.h. u.U. lange nach Stellenantritt. Die Bestimmung eines «klar nachweisbaren finanziellen Nachteils» wird ferner dadurch erschwert, dass die für eine exakte Schätzung zugrundeliegenden Leistungsdaten nur dem vorherigen Arbeitgeber vorliegen; im Normalfall, und insbesondere bei einer Abwerbung eines Mitarbeiters durch einen Konkurrenten, wird der vorherige Arbeitgeber oft nicht bereit sein, diese Daten zu teilen. Würde die vorgeschlagene Regelung umgesetzt, wären aufgrund des strafrechtlichen Risikos (vgl. Art. 154 Abs. 1 VE-StGB) Ersatzzahlungen (sog. Replacement Awards) nur noch in Einzelfällen möglich. Dies wäre für schweizerische Unternehmen ein erheblicher Nachteil im weltweiten Wettbewerb um Talente und Geschäftsleitungsmitglieder. Ziff. 5 sollte daher ersatzlos gestrichen werden. 3.

Kontrollwechselprämien: Erweiterung des Geltungsbereiches

Die VegüV erklärte bloss «Provisionen für die Übernahme oder Übertragung von Unternehmen oder Teilen davon durch die Gesellschaft oder durch Unternehmen, die durch die Gesellschaft direkt oder indirekt kontrolliert werden,» für unzulässig.71 Aufgrund des zu engen Wortlautes sind unter der VegüV insbesondere öffentliche Übernahmeangebote und Reverse Triangular Mergers vom Verbot nicht erfasst; die Anwendbarkeit auf Fusionen, Quasifusionen und Spaltungen ist nicht unumstritten.72 Die Materialien zur VegüV gehen noch weiter und wollen das Verbot nur auf konzerninterne Transaktionen anwenden.73 Diese Umsetzung der entsprechenden Verfassungsbestimmung wurde als zu eng kritisiert.74 Entsprechend schlägt der Vorentwurf vor, den Zusatz «durch die Gesellschaft oder durch Unternehmen, die durch die Gesellschaft direkt oder indirekt kontrolliert werden,» zu streichen. Als unzulässig sollen sämtliche Provisionen für die Übernahme oder Übertragung von Unternehmen oder Teilen davon gelten. Erfasst sind daArt. 20 Ziff. 3 VegüV. Vgl. Praxiskommentar VegüV-Oser/Müller, Art.  20 N  137  ff., m.w.H. 73 Zusatzbericht VegüV (Fn  70), 12; Medienmitteilung EJPD vom 20. November 2013. 74 Praxiskommentar VegüV-Oser/Müller, Art.  20 N  139  ff.; ­GesKR-Kommentar VegüV-Tschäni, Art. 20 N 17 f.

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mit Fusionen, Spaltungen und Vermögensübertragungen und ihnen wertungsmässig gleichzustellende Vorgänge wie z.B. Quasifusionen und unechte Fusionen.75 Provisionen im Zusammenhang mit öffentlichen Übernahmeangeboten und Reverse Triangular Mergers dürften vom Verbot ebenfalls erfasst sein, auch wenn der Wortlaut nicht restlos klar ist. Leistungen von Mitgliedern des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung im Zusammenhang mit Umstrukturierungen sollen – wie unter der VegüV – bei der Festlegung ihrer sonstigen Vergütungen weiterhin einfliessen können, solange die Entschädigung nicht «spezifisch» «für einzelne vollzogene Umstrukturierungen» erfolgt.76 4.

Statutarisch nicht vorgesehene ­Vergütungen

Abgesehen von einer sprachlichen Präzisierung77 entspricht der Vorentwurf der VegüV: Unzulässig sind Darlehen, Kredite, Vorsorgeleistungen ausserhalb der beruflichen Vorsorge, erfolgsabhängige Vergütungen und die Zuteilung von Beteiligungspapieren, Wandel- und Optionsrechten, deren Grundsätze in den Statuten nicht vorgesehen sind.78

X. Strafbestimmungen Art. 24 Abs. 1 VegüV stellt die Ausrichtung oder den Bezug einer unzulässigen Abgangsentschädigung, Vergütung im Voraus oder Kontrollwechselprämie durch ein Mitglied des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung unter Strafe. Abs. 2 stellt ferner die Übertragung der Geschäftsführung an eine juristische Person entgegen den Vorschriften der VegüV, das Einsetzen einer Depot- oder Organstimmrechtsvertretung und die Verhinderung der von der VegüV geforderten jährlichen Wahlen und Abstimmungen über die Vergütung, der elektronischen Instruktion des unabhängigen Stimmrechtsvertreters und der Aufnahme von Statutenbestimmungen über externe Mandate und maximale Kündigungsfristen bzw. Vertragsdauer durch den Verwaltungsrat unter Strafe. Abgesehen vom Wegfall der Strafbarkeit für die Mitglieder des Beirates übernimmt Art.  154 VE-StGB diese Regelung, mit einem zentralen Unterschied: Gemäss Art. 24 VegüV ist nur strafbar, wer «wider besseres Wissen» gehandelt hat. Es ist «sicheres Wissen (Gewissheit) in Bezug auf die Unzulässigkeit der ausgerichteten oder bezogenen Vergütungen» bzw. anderen Handlungen

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Erläuternder Bericht Aktienrecht, 156. Erläuternder Bericht Aktienrecht, 156. 77 Verweis auf Vergütungen, «deren Grundsätze» in den Statuten nicht vorgesehen sind. 78 Art. 735c Abs. 1 Ziff. 8–9 VE-OR 2014. 76

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erforderlich. «Das Bewusstsein, dass die Vergütungen bloss möglicherweise unzulässig sein könnten, genügt nicht.»79 Mit anderen Worten verlangt die VegüV Vorsatz in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der verbotenen Handlung.80 Damit wird insbesondere sichergestellt, dass nicht Vergütungen, die nach bestem Wissen und Gewissen des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung (bzw. deren internen oder externen Rechtsberater) zulässig sind, unvermittelt Straffolgen nach sich ziehen. Art.  154 VE-StGB gibt dieses Erfordernis – ohne Begründung in den Materialien – auf. Wohl im Sinne eines Ersatzes gedacht, hält Abs.  3 der Bestimmung fest, dass direkter Vorsatz (1. oder 2. Grades) erforderlich sei; eventualvorsätzlich können die Tatbestände von Abs.  1 und 2 nicht verwirklicht werden.81 Diese Einschränkung erfüllt die ursprüngliche Intention des Bundesrates nicht. Organmitglieder werden fast immer mit direktem Vorsatz handeln; es ist nämlich schwierig vorstellbar, wie man eventualvorsätzlich Vergütung ausrichten oder beziehen bzw. die relevanten Handlungen verhindern können soll. Insbesondere kann sich ein Organmitglied unter der vorgeschlagenen Bestimmung auch dann strafbar machen, wenn es nach pflichtgemässer Abklärung mit Rechtsexperten davon ausgeht, dass die Vergütung zulässig ist und gestützt auf diesen Befund bewusst (und damit mit direktem Vorsatz) die Vergütung ausrichtet bzw. bezieht. Die Unsicherheit über eine allfällige Strafbarkeit nach Annahme der Volksinitiative «gegen die Abzockerei» führte zu erheblicher Unruhe unter Verwaltungsräten und Geschäftsleitungsmitgliedern. Diese Unsicherheit bildete auch einen der zentralen Gründe für den Wegzug von Unternehmen aus der Schweiz – jüngste Beispiele sind Pentair, Noble Corporation, Tyco International oder Weatherford – bzw. das Ausbleiben von Neuansiedlungen kotierter Unternehmen seit Annahme der Initiative. Mit der Umsetzung in der VegüV fand der Bundesrat – im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben – eine ausgewogene und praktikable Lösung. Es ist bedauerlich, dass der Bundesrat knapp ein Jahr später diese bereits wieder verwerfen möchte.

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Zusatzbericht VegüV (Fn 70), 15. Vgl. dazu Praxiskommentar VegüV-Richers, Art. 24 N 55. 81 Vgl. auch Erläuternder Bericht Aktienrecht, 191 f. 80

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