Boten im alten Luzern von Prof. Dr. med. Aldo Colombi, Kriens

Wenn wir heute einen Brief von Luzern nach Zug schicken, so ärgern wir uns darüber, dass er 85 Rappen, mit A-Post sogar einen Franken kosten soll, und wir erinnern uns, dass in unserer Jugendzeit derselbe Brief 20 Rappen kostete. Wenn wir aber um einige Jahrhunderte zurückblicken, in die Zeit vor der regulären Post, wird der Brief recht teuer. 1397 brachte der Luzerner Standesläufer einen Brief nach Zug, war damit 2 Tage unterwegs, und bekam pro Meile 2 Heller dafür. Das ergab 6 Schilling und 2 Heller. Bei einem Jahreslohn von 8.2 Gulden bedeuten die 6.7 Schilling nach heutigem Wert 860 .- Fr. Ganz schön teuer; freilich durfte auch nicht jeder ohne staatliche Genehmigung einen Brief schicken.

Boten, Briefboten, Gesandte Die Griechen liessen im ganzen griechischen Raum durch Boten die kommenden olympischen Spiele ankündigen. Unter Kaiser Augustus (27 v. – 14 n. Chr) entstand eine staatliche römische Reichspost: cursus publicus, was natürlich ein entsprechendes Strassennetz voraussetzte. Für den Unterhalt der Strassen und der Fuhrwerke, Tiere und Reiter waren zunächst die Anwohner der Strasse verpflichtet. Im 2. Jh. wurden diese Aufgaben vom Staat übernommen. Dem Kommandanten der kaiserlichen Garde unterstand dieser Postdienst. Einige Begriffe aus dem Römischen Postwesen haben wir übernommen: Post kommt von statio posita, Kurs kommt von cursus publicus und Brief geht auf die Bezeichnung epistula brevis zurück.

Luzerner Standesläufer mit Schwert, Speer, Silberbüchse und Wappenschild. Kleidung in den Landesfarben.

Erst im 17. Jahrhundert wurden in der Schweiz ähnlich straffe Postbetriebe gegründet. Im Mittelalter aber unterhielten die Stände Botendienste, welche bei Amtsantritt vereidigt wurden; denn sie waren Amtspersonen, Vertrauensleute, und trugen auf der Uniform die Farben des Standes. Als Standesläufer oder Überreiter (berittene Boten) genossen sie internationalen Schutz. Mit besonderen Missionen wurden Ratsleute betraut.

Berner Überreiter überbringt Karl dem Kühnen die Kriegserklärung der Eidgenossen. Er wird vom Herzog von Burgund schonungsvoll behandelt

Französische Gesandte erhalten auf dem Weinmarkt in Luzern einen

und erhält gar noch ein Geschenk (Berner Diebold Schilling Chronik).

Bericht aus Mailand (Diebold Schilling Chronik).

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Der Herzog von Mailand liest neben einem Kamin den Beschwerdebrief der Eidgenossen, den ihm ein Luzerner Läufer überbracht hat. Darin beschweren sich die Luzerner über Misshandlung eidgenössischer Händler im Herzogtum (Diebold Schilling Chronik).

Wo bleibt ihr Bote, Messieurs ?

Karte der mittelalterlichen Wege von Luzern nach Norden und Süden (A. Colombi f.).

Ausrüstung der Boten Zur Ausrüstung der Boten gehörten Speer, Schwert, Wappenschild und Büchse. Die Wappenschilde waren begehrte Objekte. Gelegentlich wurden fremden Boten Luzerner Wappenschilde überreicht, wie dies Fussballer mit ihren Wimpeln vor internationalen Spielen heute tun. Sein Kleid in den Landesfarben erhielt der Bote jedes dritte Jahr. Der Bote Ratzinger bezog im Jahr 1397 einen Rock für 1 Gulden 7 Schilling, entsprechend 1/7 eines damaligen Durchschnittslohns. Dies entspräche heute der Kaufkraft von 5136.- Fr. Man ersieht daraus, dass Kleider in jener Zeit extrem teuer waren. 100 Jahre später erhält der Bote Roggweiler einen Rock für 3 ½ Gulden (7836 Fr.). Jetzt macht dieser Preis sogar ¼ eines Jahreslohns aus. Auch ein paar Schuhe stellten ein kleines Vermögen dar; denn sie kosteten 1397 8 Schilling, entsprechend 1027 Fr. Im Jahre 1473 besass Luzern 4 silberne Büchsen, in welchen die Briefschaften transportiert wurden.

Springinluft Von 1460 bis 1465 war ein Bote namens Springinluft in Luzern im Amt. Er tat zunächst einen Gang nach Zug und im gleichen Jahr nach Glarus. Im folgenden Jahr ist ein Botengang ins Oberland, später nach Zürich und wiederholt nach Sarnen in den Umgeldbüchern vermerkt. In seinem letzten Amtsjahr wurde er nach Schwyz, Sarnen und Zug beordert.

In ihrem Eid mussten sich die Boten verpflichten, nicht im Übermass zu trinken, keine fremden Boten einzuladen und Stillschweigen über ihre Mission zu wahren. Boten wurden als Staatsbeamte nicht nur für jeden Gang entlöhnt, sondern durften auch verbilligt im Kaufhaus an der Kornschütte Getreide beziehen. Nur auf Gesuche an den Rat durften Boten Briefe von Privaten, in der Regel von Kaufleuten, entgegen nehmen. Sie waren verpflichtet, die Briefe eigenhändig zu übergeben und nicht etwa durch Drittpersonen. Dies fiel dann schwer, wenn die Abgabe sich verzögerte. Welche Bedeutung diesen Boten zukam, zeigt uns die Mission zweier Ratsleute an den Hof des Königs Louis XI in Tours. Die beiden Ritter Kaspar von Hertenstein und Melchior Russ sollten erwirken, dass die Pensionen für die Luzerner Söldnerdienste der Stadt Luzern und nicht einzelnen Ratsherren ausbezahlt würden. Der König lehnte das Gesuch ab mit der Frage, weshalb die Bittsteller nicht vom offiziellen Boten begleitet würden.

Roggweilers lange Märsche Die einzelnen Botengänge wurden vom Umgelter registriert und zu den Fronfasten vierteljährlich ausbezahlt. Im ersten erhaltenen Umgeldbuch von 1397 sind 6 Boten namentlich erwähnt. Im Gegensatz zum Totengräber, welcher über Jahrhunderte die selbe Vergütung für eine Beerdigung erhielt, wurden Botenlöhne der Teuerung angepasst. So erhielt der Bote Ratzinger für den Gang nach Zug 1397 6 Schilling und 7 Heller (heutige Kaufkraft 860.- Fr.). 100 Jahre später bekam Bote Weber für dieselbe Strecke 13 Schilling, welche jetzt 506.- Fr. entsprachen. Wieder 100 Jahre später betrug die Entlöhnung 30 Schilling, die (594 Fr.), und 1660 wurden dem Boten Roggweiler für denselben Dienst 2 Gulden und 26 Schil63

Der Luzerner Standesläufer Jacob Jeger, mit einer Botschaft an König

Vor der Museggmauer liest der Stadtschreiber den Luzernern die Einla-

Matthias Corvinus von Ungarn, wird beim Schloss Oberheim bei Linz

dung zum Armbrustschiessen nach Konstanz vor. Rechts der Bote von

überfallen und der Briefe beraubt (Diebold Schilling Chronik).

Konstanz, im Hintergrund eilen die ersten Teilnehmer schon davon (Diebold Schilling Chronik).

ling bezahlt, entsprechend 922.- Fr. Roggweiler verdiente mit seinen amtlichen Botengängen 1650 total 139 Gulden und 20 Schilling, was ziemlich genau dem durchschnittlichen Jahreslohn entsprach. Die Einnahmen von Privaten sind nicht bekannt. Zu den normalen Vergütungen der Boten kamen später noch Nachttarife und Wartgeld hinzu sowie die Naturalgabe an Kleidern, Schuhen und Getreide. Zusätzliche Prämien gab es noch bei der Überbringung von Siegesmeldungen und ähnlichen frohen Botschaften. Die folgenden Tage wurden für die Wegstrecken benötigt: Zug, Schwyz, Entlebuch 2 Tage, Zürich , Baden, Altdorf 3 Tage, Basel, Rheinfelden, Solothurn 4 Tage, Bern, Freiburg 5 Tage, Konstanz 8 Tage, Sitten, Mailand 10 Tage, Salzburg 24 Tage. Für sehr weite Distanzen oder besonders eilige Post wurden berittene Boten, sogenannte Überreiter, eingesetzt. Ihnen wurde Pferd und Pferdefutter zugeteilt.

Sicher ans Ziel Boten hatten freien Durchgang durch alle Länder. Am Zielort wurden sie unentgeltlich verpflegt. Fähr- und Schiffsgeld wurden von der Stadt übernommen. Sie waren auch dort unantastbar, wo sie schlechte Nachrichten überbringen mussten, etwa eine Kriegserklärung. Auf der Strecke von Lindau nach Mailand bestand die Gefahr einer Entführung. In den Verordnungen über das dortige Botenwesen wurde festgehalten, dass kein Lösegeld bezahlt werde. Königliche oder kaiserliche Boten wurden in der Regel von Pfeiffern und Trommlern begleitet. Sie wurden mit besonderen Ehren empfangen.

Bote Jeger wird überfallen Nicht immer gelangten Boten sicher an ihren Zielort. 1488 wurde der Bote Jakob Jeger auf dem Weg zu Mathias Corvinius, dem König von Ungarn, in Linz überfallen. Die Briefe wurden erbrochen. Dies hatte eine Strafexpedition zur Folge, und die oberösterreichischen Stände wurden mit einer schweren Busse belegt.

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Dagegen verlor 1462 der Bote Mederli aus eigener Schuld seine Silberbüchse. Er verspielte sie nämlich leichtsinnig in einer Herberge in Lachen. Der Probst persönlich setzte sich in der Folge für ihn ein und erreichte dessen Begnadigung.

Unter Einsatz ihres Lebens So sehr der Schutz der Boten überall beachtet wurde, erlitten doch einige von ihnen üble Schicksale. Im September 1510 wurden die beiden Standesläufer von Schwyz und Freiburg auf Befehl des Vogtes in der Lombardei ermordet, und mit ihren wappengeschmückten Büchsen wurde Spott getrieben. Dieser Zwischenfall hatte 1511 einen Winterfeldzug zur Folge. 1496 war der Luzerner Standesläufer in einem Streit von einem Diener des Adrian von Bubenberg in Bern erschlagen worden. Der Täter flüchtete und konnte nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Luzern erhielt aber Büchse und Schriften zurück. 1580 begleitete ein Luzerner Stadtreiter den päpstlichen Nuntius Bonhomini nach Freiburg. Bei der Durchquerung von Bern wurden sie entgegen dem Völkerrecht und im Besitze eines Geleitbriefs der Tagsatzung verhaftet. Bei der Weiterreise wurden Nuntius und Bote beschimpft und mit Schneebällen beworfen. Luzern und die katholischen Orte protestierten.

Boten als Diplomaten Bei der Passage durch feindliche oder politisch gefährdete Zonen waren die Depeschen chiffriert, so dass nur der Empfänger anhand eines Schlüssels sie entziffern konnte. Gelegentlich näherte sich die Aufgabe der Läufer jener von Diplomaten. Nach dem Schwabenkrieg tauschte ein königlicher Bote im Elsass den in Rappoldsweiler gefangenen Peter Russ, den Bruder des Luzerner Schultheissen, aus. Auf dem Bild von Diebold Schilling ist das RussWappen auf dem Pferdegeschirr zu erkennen. Ein Luzer ner Läufer löste auch die beiden Gefangenen, die Herren von Reischach und Griessen, aus.

Vorderseite des Luzerner Plappart um 1500. Das Schützenfest in Konstanz. Rechts im Bild eine Rauferei wegen des Schimpfworts «Kuhplappart» (Diebold Schilling Chronik).

Einladung mit Folgen 1458 traf der Standesläufer von Konstanz auf den Luzerner Stadtschreiber, der ihm über die Museggmauer hinaus entgegenging. Der Konstanzer Bote, mit Spiess und Wappenschild ausgerüstet, steht rechts. Der Stadtschreiber liest den Luzernern die Einladung zum Armbrustschiessen in Konstanz vor. Dort wurden die Eidgenossen, vorab die Berner, aber beleidigt, indem man ihre Plappart-Münzen als Kuhplappart bezeichnete. Der Plappart war eine Silbermünze und etwas höher im Wert als der Schilling. 32 Plappart ergaben einen Gulden. Der Name Plappart kommt vom französischen blafard = blass. Das liessen die Eidgenossen nicht auf sich sitzen. Sie machten zu Hause mobil und zogen nach Konstanz. Ehe es zum Krieg kam, einigte man sich vor den Toren der Stadt, indem Konstanz den aufgebrachten Eidgenossen 5000 Gulden (160 000 Plappart = heutige 11.2 Mio. Fr.) bezahlte.

Tod bei Ankunft Gelegentlich waren Läufer mit wichtigen Depeschen körperlich so überfordert, dass sie bei Ankunft am Zielort tot zusammenbrachen. Dies geschah nach der Schlacht bei Salamis, als der Bote Euchidas das heilige Feuer aus Delphi nach Athen trug, eine Strecke von 187.5 km. Dasselbe widerfuhr einem Läufer aus Strassburg, welcher die Basler vor dem Eindringen der Armagnaken warnen sollte. Heute wissen wir, dass solche Parforce-Anstrengungen die Muskulatur derart schädigen, dass der Patient durch das beim Muskelzerfall freigewordene Kalium vergiftet wird.

Ratsherren als Boten Für besonders heikle Missionen wurden Mitglieder des Rats geschickt. Zu den Tagsatzungen ging jeweils der Schultheiss oder ein Ratsmitglied. Die Beschlüsse wurden

Heini (Heimo) Amgrund, Pfarrer in Stans und Bürger von Luzern holt mit Begleiter Rat bei Bruder Klaus (oben) und bringt dessen Botschaft an die Tagsatzung zu Stans von 1481 (unten).

nicht an diesen Sitzungen getroffen, sondern von den kantonalen Parlamenten. Dazu dienten die Protokolle der Tagsatzung (Abschiede). Die Ausgaben der Räte wurden nach der Rückkehr ebenfalls mit dem Umgelter abgerechnet. So wurde dem Schultheiss 1435 die Fahrt mit Ross und Knecht nach Sempach mit 36 Schilling (2873.Fr) vergütet. 65

Luzerner Bote überbringt dem Bischof von Sitten, Mat-

Bote mit einem Brief an die Tagsatzung zu Baden 1531.

thäus Schiner, während dessen Mahl einen Brief des Rats (Diebold Schilling Chronik).

1478 begab sich zunächst Ratsmitglied Peter Tammann zu Bruder Klaus in den Ranft und wurde mit 5 Gulden, 8 Schilling und 8 Heller entschädigt. Im gleichen Jahr reiste auch Peter v. Meggen zu Bruder Klaus. Beide verhandelten mit dem Einsiedler über die Zwistigkeiten unter den Eidgenossen, die Bruder Klaus 1481 im Stanserverkommnis schlichtete. Eine besondere Mission stellte auch der Ritt des Stadtschreibers Renward Cysat nach Turin zum Grafen von Savoyen dar. In Luzern war nämlich im Spital der Ritter Haller v. Hallerstein verstorben, und hatte dem Spital die Summe von 2000 Kronen versprochen, welche ihm der Herzog von Savoyen noch schuldete. Also wurde Cysat nach Turin geschickt, um das Geld abzuholen. Dort musste der Stadtschreiber aber erfahren, dass umgekehrt der Verstorbene dem Herzog noch 800 Gulden schulde. Der grosszügige Herzog erliess diese Schulden und übergab dem tüchtigen Diplomaten noch 3000 Kronen auf den Heimweg mit. So wurde Haller von Hallerstein doch noch zum Stifter des neuen Heilig-Geist-Spitals.

Am 21. September 1675 erteilte Bern seinem Ratsmitglied Beat von Fischer die Konzession für einen schweizweiten Postbetrieb. Der Entscheid von Bern schlug wie eine Bombe ein. Vorab die Boten der Stände wehrten sich gegen dieses Unternehmen, das von der Tagsatzung nicht genehmigt war. Weiträumige Verträge mit wichtigen europäischen Staaten sicherten Fischers Postimperium, das bis zur Helvetik Bestand haben sollte.

Die erste Gotthardpost Seit 1615 betrieb Zürich einen wöchentlichen Botenkurs über den Gotthard nach Mailand. 25 Jahre später richtete der Oberpostmeister von Mailand in Luzern ein Postbüro unter Kaspar J. Scherrer ein. Damit sicherte er sich das Wohlwollen der Innerschweizer Stände. 1653 verband die private Reiter-Postlinie von Diego Maderni Luzern mit Mailand. Es handelte sich um eine Stafettenpost. Für seine Verdienste um die Postverbindung und die Einführung der Seidenindustrie in Luzern erhielt Maderni das Bürgerrecht dieser Stadt. Nach jahrzehntelangem Hin und Her entschied sich die Tagsatzung für die Zürcher Kaufmannpost und verbot Maderni den Postbetrieb über den Gotthard.

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Der Berner Ratsherr Beat Fischer, Initiant der Fischerpost

Literatur A. Colombi: Wie viel kostete Luzern, BoD, 2005 H.J. Meidinger: Das Buch von der Weltpost, Berlin 1885 A. Wyss: Die Post in der Schweiz, Hallwag, Bern 1987 Umgeldbücher im Staatsarchiv Luzern, X. Weber: Amtliche Boten und Herolde im alten Luzern, in Gfr. Bd 99, 1946 Für alle Bilder aus der Diebold Schilling Chronik besteht eine Genehmigung der Korporation Luzern

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