Beitrag: Implantierte Verhütung Geschäfte auf Kosten der Gesundheit

Manuskript Beitrag: Implantierte Verhütung – Geschäfte auf Kosten der Gesundheit Sendung vom 11. April 2017 von Jörg Brase, Beate Frenkel und Astrid ...
Author: Julia Linden
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Manuskript

Beitrag: Implantierte Verhütung – Geschäfte auf Kosten der Gesundheit Sendung vom 11. April 2017 von Jörg Brase, Beate Frenkel und Astrid Randerath

Anmoderation: „Darf ich mich vorstellen? Ich bin ein Verhütungsschirmchen!" So niedlich wirbt der Pharmakonzern Bayer mit der Hormonspirale Mirena. Einmal eingesetzt soll sie für fünf Jahre sichere Verhütung garantieren. Ganz und gar nicht niedlich sind die möglichen Nebenwirkungen. Millionen Frauen nutzen die Langzeitverhütung und ahnen wenig von den Risiken. Und: Bayer hat einen neuen Markt entdeckt, Hormonimplantate für Afrika. Bezahlt von einer Stiftung sollen sie Frauen vor ungewollten Schwangerschaften schützen. Beate Frenkel und Astrid Randerath über gute Geschäfte mit dem vermeintlich guten Zweck.

Text: Julia Schneider war immer gesund. Vor drei Jahren entscheidet sie sich dann für eine neue Verhütungsmethode - die Hormonspirale Mirena. Monate später bekommt sie Sehstörungen, ist sogar plötzlich blind, für sechs Stunden. Sie kommt in die Notaufnahme: Die Ärzte tippen auf einen Gehirntumor. Julia Schneider möchte anonym bleiben, befürchtet aufgrund ihrer Krankheitsgeschichte Nachteile im Beruf. O-Ton Julia Schneider (Name geändert), Patientin: Die erste Diagnose im Juni, vom ersten MRT, als man mir sagte, wir wissen nicht genau, was das ist, und wir wissen auch nicht, wie lange sie noch haben. Ob es Tage oder Stunden oder Wochen sind. Und was macht man? Man verabschiedet sich. Es folgen Monate in Todesangst. Weitere Untersuchungen, immer neue Ärzte, immer neue Diagnosen. Und immer wieder wird ihr Hinweis auf die Spirale ignoriert. O-Ton Julia Schneider (Name geändert), Patientin:

Ich habe eine Sinusvenenthrombose bekommen, ich habe einen Tumor bekommen, eine Krebsart hatte ich noch, die Sarkoidose hatte ich noch bekommen. Insgesamt waren es fünf oder sechs Befunde, die ich hatte. O-Ton Frontal 21: Haben Sie darauf hingewiesen, dass Sie die Mirena nehmen? O-Ton Julia Schneider (Name geändert), Patientin: Von Anfang an. Da habe ich immer, egal bei wem, gesagt, keine Medikamente, aber ich habe die Mirena-Spirale. Frontal 21: Und wie wurde darauf reagiert? O-Ton Julia Schneider (Name geändert), Patientin: Gar nicht. Julia Schneider hat sich inzwischen die Spirale ziehen lassen. Seitdem geht es ihr besser. O-Ton Werbevideo Bayer AG: Darf ich mich vorstellen – ich bin ein Verhütungsschirmchen. So wirbt der Pharmahersteller Bayer für die Hormonspirale Mirena - darin enthalten: der Wirkstoff Levonorgestrel. Der könne in seltenen Fällen zu schweren Sehstörungen führen, warnen Experten: O-Ton Prof. Peter Schönhöfer, Pharmakologe: Diese Sehstörungen entstehen dadurch, dass das Hormon den Hirndruck steigert und der Hirndruck pflanzt sich auf den Sehnerven weiter und presst den auf die Knochen des Schädels und dadurch wird der Sehnerv geschädigt und dann versagt seine Funktion. Nebenwirkungen der Mirena? Laut Geschäftsbericht des Herstellers Bayer wurden dem Pharmakonzern bis Anfang des Jahres „in den USA Klagen von etwa 2600 Anwenderinnen zugestellt“. Der Vorwurf: „Gesundheitsschäden“ durch die Mirena. Darunter auch: durch Hirndruck ausgelöste Sehstörungen. Auf Nachfrage erklärt Bayer, es gebe keinen Beleg, Zitat: „… dass Sehstörungen und/oder vorübergehende Blindheit eine Nebenwirkung (…) sein könnten.“ Und: „Das Nutzen-Risiko Profil ist positiv.“

Sicher ist: Dem Konzern nutzt die Mirena. Im vergangenen Jahr stieg der Umsatz auf über eine Milliarde Euro. Und Bayer hat noch einen neuen, riesigen Markt für die Langzeitverhütung entdeckt: Hormonimplantate, vor allem für Afrika - mit Levonorgestrel, dem umstrittenen Wirkstoff der Mirena. Wir sind in Uganda. In einem abgelegenen Dorf in der Provinz Kamuli. Die Geburtenrate ist extrem hoch, viele Mütter und Kinder sterben. Die Frauen kommen hierher, weil sie sich über Verhütung informieren wollen. Überall sehen wir das BayerProdukt, das Implantat Jadelle. Es soll fünf Jahre vor Schwangerschaft schützen. Doch häufig gibt es Schwierigkeiten wie bei Susan Namunana. Vergangenen Juli bekam sie die Jadelle eingesetzt, seit Monaten quälen sie starke Blutungen. O-Ton Susan Namunana, Patientin: Bevor ich das Implantat bekam, habe ich mit Dreimonatsspritzen verhütet. Da hatte ich solche Nebenwirkungen nicht. Ich werde die Krankenschwestern fragen, was sie mir jetzt empfehlen. Die Hormonstäbchen werden in den Arm eingeführt. Der Wirkstoff ist zwar derselbe wie in der Mirena, nur die Dosierung ist anders. Und: Bei der Jadelle warnt die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA sogar ausdrücklich vor einem erhöhten Gehirndruck und Sehstörungen. Mögliche Nebenwirkungen für die Frauen außerdem: Blutungen, starke Migräne, Bluthochdruck. Viele lassen sich das Implantat deswegen vorzeitig ziehen. Brian Wafiire von der nicht-staatlichen Gesundheitsorganisation HEPS sieht mit Sorge, dass der Markt trotzdem zunehmend von Implantaten beherrscht wird. O-Ton Brian Wafiire, Gesundheitsorganisation HEPSUganda: Das größte Problem sind die Nebenwirkungen und wie man damit umgeht. Viele Leute in den Gemeinden sind nicht ausreichend über Nebenwirkungen aufgeklärt worden. Sie wissen nicht, an wen sie sich wenden können, um Hilfe zu bekommen. Dabei sind die Risiken lange bekannt. Schon beim Vorgänger der Jadelle, dem Implantat Norplant gab es Klagen über Nebenwirkungen - dazu noch Schwierigkeiten beim Einsetzen und Entfernen. Norplant wurde vor rund 15 Jahren vom Markt genommen. Dass das Nachfolgeprodukt jetzt vielen Frauen in Afrika angepriesen wird, kann der amerikanische Pharmakritiker Sidney Wolfe nicht nachvollziehen. O-Ton Sidney Wolfe, Pharmakritiker, „Public Citizien“, Washington DC:

Es gab schon in Amerika reichlich Probleme beim Einsetzen und Entfernen, obwohl es hier viel mehr Ärzte gibt als in Entwicklungsländern. Für den Konzern macht es schon Sinn, weil der mehr verkauft, aber es macht keinen Sinn aus medizinischer Perspektive für die Frauen, die die Stäbchen eingesetzt bekommen. Wir fragen nach: Warum hält Bayer die Jadelle dennoch für ein geeignetes Verhütungsmittel in Entwicklungsländern? Dazu erklärt der Konzern, Zitat: „Insbesondere für Frauen in ländlichen Gebieten sind Implantate ein effektives Mittel zur Empfängnisverhütung, wenn das nächste Gesundheitszentrum oft Meilen entfernt und nur zu Fuß zu erreichen ist.“ Und so setzt auch ein internationales Hilfsprogramm vor allem auf die Hormonstäbchen als Verhütungsmethode - und garantiert Bayer die Abnahme von 27 Millionen Implantaten bis 2018. Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung übernimmt die Kosten. Im Gegenzug hat Bayer den Preis pro Stück halbiert. Es lohnt sich dennoch für den Konzern, erklärt Politikwissenschaftlerin Susanne Schultz. O-Ton Susanne Schultz, Politikwissenschaftlerin, GoetheUniversität Frankfurt am Main: Bayer hat mit diesem Deal zusammen mit der Gates Foundation eben 27 Millionen Implantate auf einmal verkauft, das nennt sich „Economy of Sale“. Außerdem hat Bayer Healthcare auch die Möglichkeit, jetzt den Markt zu erobern und über die Entwicklungsprogramme sozusagen sein Implantat auf den Markt zu bringen. Gute Geschäfte mit dem vermeintlich guten Zweck. Dabei suchen immer mehr Frauen Hilfe, beobachtet Proscovia Kalembe im städtischen Krankenhaus Kamuli. Um sie zu versorgen, fehle aber das Fachpersonal. O-Ton Proscovia Kalembe, Gesundheitsverwaltung Kamuli, Uganda: Nicht alle sind Experten darin, Implantate einzusetzen und wieder zu entfernen. Das ist eine echte Herausforderung. Wir haben Leute darin trainiert, aber vielen fehlt die Erfahrung. Das weiß wohl auch die Gates-Stiftung. Wir entdecken den Bericht einer Mitarbeiterin. Darin schlägt sie Alarm. Im Jahr 2018 müssten bis zu 5,8 Millionen Implantate entfernt werden. Mehr als doppelt so viele wie noch 2015. In dem Bericht heißt es: „… eine beunruhigende Zahl, angesichts der schon jetzt vorhandenen Probleme beim Entfernen.“

Mitten in New York befindet sich das Hauptquartier von EngenderHealth. Sieben Millionen Dollar erhält die Organisation von der Gates-Stiftung, um die Verteilung der Implantate in Afrika zu organisieren. Ja, der Mangel an Fachkräften sei ein Problem, gesteht die Direktorin ein: O-Ton Ulla E. Müller, Direktorin EngenderHealth, New York: Das Personal im Gesundheitsbereich fehlt ganz einfach in Ländern wie Uganda. Es gibt einfach nicht genug. Im Schnitt gibt es für 20.000 Einwohner einen Arzt und die Ärzte müssen Generalisten sein. Der Bayer-Konzern hat angekündigt, die Jadelle bis 2023 weiter in die ärmsten Länder zum halben Preis zu verkaufen - trotz aller Bedenken, kritisieren Experten. O-Ton Prof. Peter Schönhöfer, Pharmakologe: Die Firma Bayer ist nicht an Risikoabwägung interessiert, sondern an dem Verkauf der Produkte und dies betreibt sie ohne jede Rücksichtnahme auf ethische Normen. Und so werden den Frauen in Afrika weiter millionenfach Implantate wie die Jadelle eingesetzt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.