Manuskript HÖRBILD UND FEATURE LAND UND LEUTE

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Samstag, 27. August 2016 8.05 - 9.00 Uhr / Bayern 2 Sonntag, 28. August 2016 20.05 - 21.00 Uhr / Bayern 2

BAYERISCHES FEUILLETON SOMMEREDITION "Bayerische Berufungen und Instanzen" 5) Die Kellnerin Von Ulrike Zöller

Erzählerin: Laura Maire Zitatorin: Judith Toth 1. Zitator: Werner Härtl 2. Zitator: Christoph Jablonka Originaltöne: Gerd Holzheimer, Monika Gruber, diverse Kellnerinnen und Gäste Ton u. Technik: Gerhard Wicho und Daniela Röder Regie: Ulrike Zöller Redaktion: Ulrich Klenner

Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de

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–2– ATMO WIRTSHAUS – ZITATORIN: Ja, griaß Eahna Gott! A Weißbier, gell, wie immer?! – Ernstl, machst mir a Weißbier?! Ja wunderbar, danke, Ernstl. – So, bittschön, ein eiskaltes Weißbier, der Herr. Zum Wohle, wünsche ich!

OT 1 GERD HOLZHEIMER : Des is die Mutter, die archaische, Große Mutter, wie's der Neumann sagt, da kann man immer hinfliehen. An eine gute Kellnerin kommt gar nichts dran in einer Wirtschaft, des is klar. MUSIKAKZENT Zapf'nstreich "Miquolele"

OT 2 ROSI I find am wichtigsten, is dass lustig is, und man muss ihr okenna, dass sie ihre Arbeit gern macht. Weil's für uns ja aa schee is, wenn die Leit lusti sind und net grantig san. OT 3 ROBERT Es is natürlich spannender, wenn ma oane hat, die a weng hantiger is, die muss man für sich gewinnen, dass man sie am Schluss auf einer Seite ist. 2. ZITATOR (LUDWIG THOMA) Das Leben einer Kellnerin Fließt nicht in lauter Unschuld hin. Die Gäste werden leicht frivol, Beeinflusst durch den Alkohol.

1. ZITATOR Sehr häufig zeigt ein alter Mann Gefühle, die er nicht mehr kann; Die Zote ist der letzte Trieb, Der ihm von allem übrigblieb. MUSIK Zapf'nstreich "Miquolele"

2. ZITATOR / ANSAGE "Bayerische Berufungen und Instanzen: Die Kellnerin" Eine Spurensicherung von Ulrike Zöller.

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MUSIKAKZENT / ATMO

ZITATORIN (AUSSCHNITT AUS: HERBERT ROSENDORFER "DIE KELLNERIN ANNI") (Zieht an einer Zigarette) An und für sich darfst natürlich nicht rauchen als Bedienung. Klar. Wir seh'n 's ja ein. Eine Bardame, ja, natürlich, so eine schon. Da gehört das ja förmlich dazu, zu einer Bardame. (Zug an der Zigarette) Eigentlich aus einer Zigarettenspitz, stellt' ich mir vor. Ich komm ja kaum dazu, in eine Bar zu gehen, also in ein anderes Etablissement. Als Bedienung. (Sie legt die Zigarette in den Aschenbecher und steht auf., schreit hinaus) Jaja, ich komm schon! (Kommt mit dem Bier zurück ) Das siebzehnte Weißbier! Als Kellnerin quasi hab ich nichts dagegen, weil am Umsatz beteiligt, und außerdem geben s' mehr Trinkgeld, wenn s' b'soffen sind - aber als Frau und Mensch: ich muss Ihnen sagen - das übersteigt sozusagen meinen Horizont. Trinkt er das siebzehnte Weißbier. Grad hab ich's ihm serviert. Die Stricherl haben schon fast nicht mehr Platz am Bierfilz. Siebzehn Weißbier! Und das war noch längst nicht das letzte, so wie ich den kenn. Und ich kenn ihn gut. Er kommt ja jeden Tag her. Helmut heißt er. Rechtsanwalt soll er sein - stellen Sie sich das vor: ein Rechtsanwalt, was doch quasi ein besserer Mensch ist, und sauft, bis dass er nicht mehr sitzen kann, vom Stehen gar nicht zu reden. Jaja - einen Vorteil hat die Sache: wenn sie einmal so besoffen sind, langen s' ei'm nicht mehr so an'n Busen und a'n Hintern.

MUSIKAKZENT Zapf'nstreich "Miquolele"

ERZÄHLERIN Herbert Rosendorfer, der Meister der Beobachtung gab in seinem Monolog „Die Kellnerin Anni“ dem bayerischen Prototyp der weiblichen „Servicekraft im Gastronomiebetrieb“ oder der „Restaurantfachfrau“ eine Stimme. Der Verwundbaren und doch Allmächtigen, der ewig Weiblichen, der Herrscherin und der Beherrschten.

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OT 4 PEGGY Es gibt Gäste, die machen's einem nicht leicht, und die muss man nehmen wie sie sind. Manche haben schlechte Laune oder einen schlechten Tag. Der Gast ist König, und wenn der Gast schlecht gelaunt ist, warum soll ich mit ihm diskutieren … Man schimpft heimlich beim Gehen, aber wenn ich so ein langes Gesicht mach, des geht nicht, man muss schon lachen. ERZÄHLERIN Es ist vielleicht das älteste weibliche Gewerbe Bayerns, das Kellnerinnen-Ge-werbe. Im Wortsinn: Denn zur Werbung, zum besseren Verkauf des Bieres, des Lüngerl, der Sülz oder der Schweinshaxn wurde es erfunden, das Gewerbe der Kellnerin. Schließlich galt bereits im Mittelalter die Regel:

1. ZITATOR "Und ewig lockt das Weib!"

ERZÄHLERIN Oder, übersetzt auf die heutige Sprache:

2. ZITATOR „Sex sells!“

ERZÄHLERIN Die Kellnerin auf eine reizliche Schaubudenfigur zu reduzieren, das wäre allerdings viel zu wenig: Sie ist selten aufreizend, oft aber reizend – und mitunter auch gereizt.

ZUSPIELUNG MONIKA GRUBER Monika Gruber: Monique – Servicewüste Deutschland

ERZÄHLERIN Die Kabarettistin Monika Gruber erfand 2004 die Kunstfigur der Kellnerin Monique, die sich, während im Nebenzimmer eine Hochzeitsgesellschaft feiert, Luft macht über die Gäste – oder die Menschheit an sich:

ZUSPIELUNG MONIKA GRUBER Monika Gruber: Monique – Servicewüste Deutschland

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ERZÄHLERIN Warum eignet sich ausgerechnet die bayerische Kellnerin dazu, die Presselandschaft, die bayerische Gesellschaft, die Kultur – oder auch Kulturlosigkeit zu kommentieren?

OT 5 MONIKA GRUBER A Kellnerin eignet sich deshalb gut, um die Welt zu erklären weil sie mit allem konfrontiert wird, weil eine sehr breite Gästeschicht vorbei kommt. was alles so gibt arm und reich, beruflich erfolgreich Hausfrau, jeder kommt mir seinen Problemen vorbei und in diesem Beruf lernt man sehr viel übers Leben und die Menschen.

MUSIK Zapf'nstreich "Miquolele"

ERZÄHLERIN Auch bei den Schriftstellern der Vergangenheit, bei Ludwig Thoma, Ödön von Horvath oder Heinrich Heine, standen die bayerischen Kellnerinnen für bestimmte Menschenoder gar Göttinnentypen. Bei Ludwig Thoma ist die Kellnerin eine Art Katalysator, strenges oder charmantes Bindeglied zwischen den sozialen Schichten, den hohen Herren und den einfachen Bauern. Bei Horvath oder Lena Christ werden die Kellnerinnen oft als arme Hascherl gezeichnet, denen von Gästen oder Wirten ledige Kinder angedreht werden. Lena Christ war ja selbst die Tochter einer unverheirateten Kellnerin. Für die reisenden Schriftsteller der Vergangenheit aber waren die Zenzi, Resi oder Kathi erste Ansprechpartnerinnen in bayerischen Dörfern oder der Augsburger, der Nürnberger und der Münchner Stadt: das erste Empfangskomitee an der Pforte zur bayerischen Kultur – oder gar dem bayerischen Paradies:

1. ZITATOR Oh, es ist unbeschreiblich, was ein schönes Weib vermag. Dieses macht uns die ungeheure Zeche, den Regen, Sturm, alles vergessen!

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ERZÄHLERIN Schwärmt der norddeutsche Dichter Ernst Moritz Arndt, der auf seiner Reise nach Oberitalien 1798 durch München kam. 1783 bereits hatte der brandenburgische Gutsherr und Historiker Philip Wilhelm Gercken einen Reisebericht publiziert, mit dem Titel:

2. ZITATOR Reisen durch Schwaben, Baiern, angränzende Schweiz, Franken, und die rheinische Provinzen etc. in den Jahren 1779-1782 : nebst Nachrichten von Bibliotheken, Handschriften etc. röm. Alterthümer, polit. Verfassung, Landwirthschaft und Landesproducten, Sitten, Kleidertrachten etc.

ERZÄHLERIN Und auch für ihn sind die Kellnerinnen die ersten Ansprechpartnerinnen und Repräsentantinnen Bayerns:

2. ZITATOR Alle Gasthöfe in Bayern werden durch Kellnerinnen bedienet, wozu man die schönsten Mädchen aussucht aus Ursachen, die jeder gleich erraten wird. Die Geschöpfe verstehen vorzüglich reizend sich zu putzen. Das stark ausgerundete und hervorstehende Schnürleibchen ist mit silbernen Ketten, so mit vielen Rosen gezieret, ganz bezogen. In diesem aufgeputzten Behältnisse ist dem lüsternen Blick nichts entzogen, was die gütige Natur, die das bayerische Frauenzimmer überhaupt nicht stiefmütterlich gehandelt, reichlich gegeben hat.

MUSIK Richard Wagner "Frau Sonne sendet lichte Strahlen" Vorspiel und Szene Woglinde - Wellgunde - Flosshilde - Siegfried, 3. Aufzug (aus "Götterdämmerung")

ERZÄHLERIN Dass die ersten Repräsentantinnen Bayerns für die Welt, ob in einem abgelegenen Gasthaus in Unterfranken oder auf dem Münchner Oktoberfest, auch ohne Touristikund Sprachstudium fast jeden Wunsch erfüllen können, demonstrieren die beiden Freundinnen Angelika und Rosi, die seit vielen Jahren zwischen Mai und Oktober auf verschiedenen Volksfesten arbeiten. Natürlich auch auf der Münchner Wiesn, wo sie

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ihre eigene Art haben, internationalen Gästen das Speiseangebot zu präsentieren. Da sind pantomimische Fähigkeiten gefragt:

OT 6 ANGELIKA Mit Händ und Fiass geht des scho. Dann machst so Zeichen, für d#Schweinshaxn glangst da an d Fiass hi, wennst Schweinshaxn moanst, die verstenga des scho, und du woasst wos sie wolln, a Hendl, a hoibs und a ganz. ERZÄHLERIN Dabei schwingt Angelika als Symbol für das halbe Hendl, einen Flügel bzw. Ellbogen – und das beidseitige Ellbogenschwingen, das ist dann das ganze Hendl.

OT 7 GRIT Und dann denke ich mir: was für eine Aufgabe, eine Verantwortung, wo ich meine Gäste habe, denen ich Deutschland nahe bringe. Ob ich jetzt aus dem Erzgebirge komme, darum gehts nicht. Ob ich das auf englisch oder russisch mach, is mir egal, aber ich möchte, dass der Gast dann sagt: mein Gott ist das ein tolles Land. MUSIK Richard Wagner "Frau Sonne sendet lichte Strahlen" Vorspiel und Szene Woglinde - Wellgunde - Flosshilde - Siegfried, 3. Aufzug

ERZÄHLERIN Grit, die vor vielen Jahren aus dem Erzgebirge nach Augsburg kam, und hier in der Traditionsgaststätte „König von Flandern“ arbeitet, ist sich ihrer Rolle als Repräsentantin Bayerns wohl bewusst. Zu bestimmten Anlässen, beispielsweise am 8. August, dem Augsburger Friedensfest, oder zum Treffen der Sudetendeutschen Landsmannschaften, bedient auch sie, die stattliche kurzhaarige Sportliche, im bayerischen Dirndl. Ansonsten aber demonstriert sie in jeder Hinsicht, dass das alte Rollenbild der bayerischen Kellnerin und der heutige globale Lebensstil nicht im Widerspruch stehen.

ATMO MUSIK live

ERZÄHLERIN Grit aus dem Erzgebirge war es auch, die in Augsburg die Tradition des Wirtshausmusizierens mit befördert hat, die den „ Schwäbischen Streicherstammtisch“ einlud, gegen ein paar Karaffen im Wirtshaus frisch gebrauten Bieres und eine üppige

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Brotzeit hier in der Kellerwirtschaft aufzuspielen. Im Laufe des Abends kann es dann durchaus sein, dass die aus einer Musikerfamilie stammende Grit sich eine Geige ausleiht und selbst ein Stück zum Besten gibt - bevor die Musikanten sich zum Essen begeben:

MUSIK König von Flandern

OT 8 GRIT Atmo Es gibt essen, Grit. Jetzt pass auf, jetzt brauch i mein Leberkas.... Kannsch du mir no alles Helles bringen?!... OT 9 CHRISTOPH Seitdem's den König von Flandern gibt, gibt's die Grit. Die Grit war immer scho da. Mei Eindruck is, des is a Bedieunung mit Leib und Seele,die steht da voll dahinter. ERZÄHLERIN Das ist ein Merkmal des Kellnerinnen-Idealtypus: Sie war immer schon da, zumindest gefühlt. Und sie identifiziert sich sowohl mit den Wirtsleuten als auch mit den Gästen:

OT 10 MIRIAM Mein Name ist Miriam Beier. Ich wohne in Moosburg, bin Wiesnbedieung seit sieben Jahren, früher habe ich gekellnert. Meine Eltern, die hatten so a Cafe Bistro in Moosburg in der Innenstadt, a kleine Stammkneipe, für viele das Wohnzimmer. . Damals im Lokal von meine Eltern wars so, dass jeder scho seinen Namen ghabt hat, der Weissbier Günther oder so. Da hat ma wirklich jeden kennt. Des war früher, da waren Schinkenkäsebaguettes total in, und da hat ma scho gewusst, der eine mag keine Tomaten oder der andere mag keine Remoulade, da wusst ma alls, die mussten es garnimmer sagen, des war halt einfach so. OT 11 STEFAN RIEDER Wenn i jetzt da beim Luckinger schau, die Renate, die uns vorher s Wasser bracht hat, des is no eine Bedienung, die kenn i immer. I bin jetzt 28, und die Renate war immer scho da, des is fast scho a Teil der dörflichen Identität: Jeder, der da her geht, kennt die Renate, ganz klar. Des gibt scho so Stammbedienungen, wo ma a persönliche Beziehung hat. ERZÄHLERIN Der Idealtypus der Kellnerin, den Stefan Rieder aus dem niederbayerischen Ort Mirskofen beschreibt, die Renate, ist ihrerseits zu schüchtern, um über sich oder ihren Beruf Auskunft zu geben.

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ZITATORIN „Mei, über mi gibt’s nix Bsunders zum Erzähln, i mach halt mei Oarbat.“

ERZÄHLERIN Dieser Satz fällt immer wieder, wenn Kellnerinnen vors Mikrofon gebeten werden. Ihre Offenheit ist bei vielen Bedienungen auf den Gastraum beschränkt: Was für vielschichtige und geheimnisvolle Wesen! Und wenn bayerische Wirtshausbesucher und Wirte ihr Idealbild der Kellnerin beschreiben, stellt sich bald heraus, dass sie durchaus gewillt sind, sich auf die abenteuerliche Reise in die Seele der Kellnerin zu begeben:

OT 12 CHRISTOPH Die derf gern a bissl resolut sei, grundsätzlich scho freindlich. I kenn aa genügen alteingesessene unfreindliche Bedienungen. Wenn ma si dro gwehnt hot, die warn ja net besartig, sondern die warn a einfach a bissl grantig. Johannes: a Bedienung muss a gütige Respektsperson sein, eine wohlwollende Person, die am Gast nur das Beste will, die trotzdem a gewisse Autorität auch ausstrahlt und auch an gewissen Respekt vermittelt. Dass die Gäste ihr net auf der Nas rumtanzen. Robert: Früher wär i heimgangen, heut bleib i weil i wissn will, ob der Mensch sich irgendwas aufsetzt und meistens setzt er sich nur was auf, des is Professionalität Distanz, die man wahren will, aber irgendwannn wirds dannn spannend, dann werden die krätzigsten streichfähig. OT 13 PETER REICHERT In allererster Linie freundlich, mit der Freundlichkeit kommt ma scho gern als Gast und geht gern als Gast. Des zwoate is wief, mit de Leit reden und rausfinden, was will er. O 14 GERD HOLZHEIMER I finds scho schee, wenn die sagt, griass di. Gruess dich Gott, da wird man höheren Orts begrüßt, des Transzendentale; und sitzt ma si hi, und dann is scho schee, wenn oan net zu lang warten lasst, des hasse ich, der Vorbeiblick, des ham aa manche. Wo man sich immer in die Blickrichtung wirft. Die guate Kellnerin; die kimmt und sagt: „Weil i weiß, dass du so an Durscht host“. Aa wenns oan garnet kennt. Des sieht die einfach und dann kann man beseelt strahlen und dann is sie am Zapfhahn ..und wieder da:wunderbar. MUSIKAKZENT Richard Wagner "Frau Sonne sendet lichte Strahlen" Vorspiel und Szene Woglinde - Wellgunde - Flosshilde - Siegfried, 3. Aufzug

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ERZÄHLERIN Und schon sind wir mittendrin, im bayerischen Paradies, in dem es Bier regnet und Schweinshaxen schneit – oder doch eher im Märchenwald der männlichen Vorstellungswelt von dem, was und wie eine Kellnerin zu sein hat? Alt oder jung? Schon immer dabei und routiniert oder frisch und abenteuerlustig? Wer es sich leisten kann, als Wirt oder Wirtin, sollte mindestens zwei Typen anstellen, darüber sind sich viele Wirtshausbesucher einig: Die Erfahrene und die Unschuldige, ein Paar, das der Schriftsteller Erich Felder 1911 in seiner Charakterskizze der Münchner Kellnerin so beschreibt:

1. ZITATOR Neben der Gereiften, Wissenden, die für das Gastes Wohl und Wehe so viel vermag, steht wie die Knospe neben der prangenden Rose, die neckische Kleine, die gar nichts weiß und kann, als mit schalkhafter Gebärde Biergläser nachfüllen und „um d’Erd hauen“. Wie die Feen des Märchens fragen sie den Gast nach seinen Wünschen, bei Darreichung der Getränke sprechen sie apodiktisch ihr „Wohl bekomms“ - ein Wunsch, der bei Münchner Weintrinkern gleichfalls etwas Märchenhaftes hat, weil er nur selten in Erfüllung geht.Der Fremdling setzt sein Glück nicht auf die Jüngste, allmählich nähert er sich der voll erblühten Jungfrau, die täglich den Geldwert seiner leiblichen Genüsse kopfrechnend bemisst, mit zart empfundenen Aufmerksamkeiten, die sie freundlich dankend quittiert, endlich glaubt er, "Aussichten" zu haben, und in der Tat gewann er so völlig ihr Vertrauen, dass die Holde ihm in einer vertraulichen Stunde treuherzig von ihren Kinderchen vorplaudert.

MUSIK Zapf'nstreich "Miquolele"

ERZÄHLERIN Die Rose und die Knospe - was für ein passendes Bild! Die Rose nämlich besteht nicht nur aus ihrer Blüte, sondern bekanntlich auch aus vielen Dornen. Und bis man sich als Gast zur Blüte vorgearbeitet hat - also rein stimmungstechnisch betrachtet - können Stunden, Monate, oder Jahre vergehen. OT 15 ROBERT Es is natürlich spannender wenn ma oane hat, die a weng hantiger is die muss man für sich gewinnen, dass sie am Schluss auf deiner Seite ist. Hamma au scho oft gschafft.

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ERZÄHLERIN … meint Robert aus Schwaben. Und gibt damit einen Begriff vor, der zum Verständnis des bayerischen Kellnerinnen-Charakters wichtig ist. Hantig: Der Schriftsteller, Publizist und Dozent für bayerische Literatur Gerd Holzheimer hat sich mit diesem Begriff für den Typ der reschen, sehr bestimmten, manchmal sogar leicht groben bayerischen Kellnerinnen, auseinandergesetzt.

OT 16 GERD HOLZHEIMER In der hantigen da steckt die Dialektik drin, des, was wir so mögen, die muasst auffischiassn, die hantige Bedienung fordert von dir als Gast, dass d‘ entsprechend rausgibst, sie erwartet es sogar. Wehe, du kannst es net, dann hast verlorn. Aber da muass ma natürlich native speaker sein, sonst versteht ma’s net,dann muss man wissen wie des mit dem auffischiassn funktioniert, ma derf aa net zu weit geh, es muss schon den anderen herausfordern. OT 17 MONIKA GRUBER Des is scho so a Folklorismus, dass a bayerische Kellnerin, die typische grantig oder gscnappig sein muss. Den gibt’s schon, den Typ, darunter ist aber auch immer a große Schicht Herzlichkeit vorhanden. Ich finde, dass sie die Gäste bedient, aber sie ist nicht die Dienende. Ich finde, da kann sie ruhig den Mund aufmacha. Der F. X Bogner hat mir amal a Gschicht erzählt , der wollt an Leberkäs bestelln, und hat dann a relativ große Portion bestellt. I woass garnet, 300 Gramm oder was. Und dann hat die Kellnerin im Franziskaner gsagt: Na, des bring i Eahna net. Des essen Sie nie. I woass genau, wie vui dass des is. Na wird d‘ Hälfte steh lassn und i muass 's wegschmeissen. I bring Eahna zerst d‘ Hälfte, und wenns des gessn ham, kenna’s no oan haben. Bring i eahna no oan. Und hinterher hot er sie bedankt und hat gsogt, i hätt des wirkli net essn kenna. Des ko ma ja charmant machen. Die war ja net bös oder gschnappig oder kratzbürstig, sondern resolut. Des is scho toll. OT 18 GERD HOLZHEIMER: Des is scho toll,ich liebe hantige Bedienungen. Namen derf ma net nennen, aber im Atzinger wars, mei war die hantig. Aber des war so toll, die hat genau gewusst, wann Seminarschluss ist, und dann war's Bier scho dogstanden. Das ist auch die Liebe im Hantigen. Die Hantige sagt dann, wenn ma seine Pflicht- Sechs-Halbe trunka hat und sagt, i mecht zahln: Ja, spinnst du ?!

MUSIKAKZENT Peter Holzapfel & Erwin Rehling "Wüster Marsch"

OT 19 GERD HOLZHEIMER Der nicht-hantige Typ, des wäre für mich die Alma mater, die ewig nährende Mutter, des is die hantige schon auch, aber die gibt ihre Muttemilch net so ohne weiteres aus, da muass da scho was eifalln. Die Alma mater ist die Nährende, da is immer was da,

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was Flüssiges. Und die hat eine sehr unproblematisches Verhältnis mit dem Gast, nicht über die Dialektik des Hantigen, sondern da geht ma nei, dann is "Griass di" und dann sagt sie auch "Griass di", und dann passt's scho. Eine größere Tiefe gibts da nicht, bei der Hantigen kanns Tiefen geben, aber des is halt aa ganz entspannend. Des is die Mutter, die archaische, große Mutter, wie's der Neumann sagt, da kann man immer hinfliehen, da funktioniert vielleicht sogar das Verhältnis zwischen Mann und Frau in einer Art von transzendentalen Ehe. MUSIK Richard Wagner "Frau Sonne sendet lichte Strahlen" Vorspiel und Szene Woglinde - Wellgunde - Flosshilde - Siegfried, 3. Aufzug

ERZÄHLERIN Alma Mater, die große Nährmutter – oder einfach "Große Mutter", wie der Psychoanalytiker Erich Neumann sie nannte – hat in ihrem Berufsalltag einen treuen Kollegen: Gott Eros. Er schleicht um die Wirtshaustische, verzaubert die Stimmung zwischen Gast und Göttin. Unmerklich……….

MUSIK hoch

2. ZITATOR Aber nun ermuntere Dich, meine Feder, denn es gilt den Preis der Holden und Vielbewährten, der Vielbesungenen und Vielgeliebten: der Münchner Kellnerin! Welch zauberhaften, gleichsam magnetischen und hypnotischen Einflusses auf die Männerwelt wurde sie von den Frauen geziehen!

ERZÄHLERIN … schreibt der Journalist und Kunsthistoriker Georg Jacob Wolf, in seinem 1924 erschienen Buch „Die Münchnerin“.

2. ZITATOR Natürlich gibt es unter ihrer großen Schar leichte Fliegen, aber es ist nicht eine Auswirkung des Berufes, wenn eine Kellnerin leichter Sitten ist.

ERZÄHLERIN Und Carry Brachvogel, Münchner Schriftstellerin und Mitglied im „Verein für Fraueninteressen“ stellt in ihrem 1923 erschienen Buch „Münchner Frauen“ fest:

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ZITATORIN Eine besondere Spezies von Münchner süßen Mädeln sind die Kellnerinnen, denen viele Männer und auch manche Frauen einen geradezu dämonischen Reiz zumuten oder andichten. Die übliche Zudringlichkeit und die freche Schmiegsamkeit, zu der das beklagenswerte Geschöpf der Animierkneipe verurteilt ist, bleiben der Münchner Kellnerin vollkommen fremd. Sie hat gerade genug damit zu tun, um sich die Zudringlichkeiten vom Halse zu halten. Gilt es doch in den weitesten Restaurantkreisen Münchens nicht als schlechter, sondern als guter Ton, die Kellnerin zu poussieren, ihr Huldigungen mit oder ohne Absicht auf Erfolg zu Füßen zu legen.

ERZÄHLERIN Das Abwägen zwischen knisternder Erotik und handfester Anmache, zwischen Spaß und Schweinerei, das gehört zu den Voraussetzungen für den Beruf der Kellnerin. Frotzeln ja, aber der Griff in den Ausschnitt oder der Klaps auf den Hintern sind tabu auch für Miriam, die junge Wiesn-Bedienung:

OT 20 Des macht ein Gast einmal und dann wird er das Zelt nicht mehr von innen sehen. Als Reflex würd ich wahrscheinlich zruckschlagen, aber auch eine Security holen. OT 21 MONIKA GRUBER Im Zuge der ganzen Brüderle-Diskussion hab i mir dacht: Mei Kinder, was regt Ihr Euch auf, des war unser täglich Brot. Und da muasst dich deiner Haut zu wehren wissen. Und des g'hert auch dazua. Blede Sprüch oder irgendwelche Grapschereien. Aber die hab ich alle relativ schnell "verarztet", sag ma amaoi so, so, dass‘ passt hat. MUSIK Peter Holzapfel & Erwin Rehling "Wüster Marsch" OT 22 ROSI Des is scho Klischee, dass uns jeder in den Ausschnitt starrt oder wui uns an Arsch naufhauen, aber so is net, die Erfahrung. Angelika: A biss is ja so, dass des a bissl prvozierst. Es sollt hoit was zum Seng sei, aber net ois, zum Appetitholn, und gessn wird dann wieda dahoam . ERZÄHLERIN Fesch sind sie, die beiden Freundinnen Angelika und Rosi, die hauptsächlich auf Volksfesten, zum Beispiel auf dem Gillamoos im niederbayerischen Abensberg oder auf

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dem Gallimarkt in Mainburg bedienen. Im Dirndl, mit tiefen Decolletés, die die körperlichen Vorzüge, sprich das Holz vor der Hüttn, bestens, aber nicht unzüchtig zur Geltung bringen. Die Kelnnerinnentracht ist in vielen Wirtshäusern zwischen der Salurner Klause und Berlin Mitte das Dirndlkleid: Je nach Etablissement festlich lang, dezent oder auch kurz und bunt. Beim Anblick der Kellnerin gerät sogar der Berliner Schriftsteller Friedrich Nicolai, der in seinen Schriften ansonsten kaum ein gutes Haar an Bayern und seiner Kultur lässt, ins Schwärmen:

1. ZITATOR Die Kellnerinnen in den Wirtshäusern, tragen eine besondere bayerische Nationaltracht, die ihnen nicht übel steht. Dazu gehört ein kleiner runder Hut, der mit kräftigen Goldborten besetzt ist. Die Brust ist in ein breites und steifes Mieder geschnürt, das vorne offen und reich mit Stoff ausgelegt ist. Vorn ist das Mieder von oben bis unten mit silbernen Kettchen geschnürt, oft in drei Reihen.

ERZÄHLERIN Und man sieht sie direkt vor sich – ein Bild von einem Madl. kein Wunder: Viele Maler haben die bayerische Kellnerin portraitiert, sie in den schönsten Farben des Herzens gezeichnet. Unter ihnen waren Lorenz Quaglio, Franz Xaver Nachtmann oder Franz Drexler, Toni Aron oder Friedrich August Kaulbach, der die Kellnerin Coletta Möritz in seinem Bild von der Schützenliesl verewigte.

MUSIK Zapf'nstreich "Miquolele"

ERZÄHLERIN Ein Bild von einer Frau ist auch die aus Ghana stammende Kellnerin Peggy aus dem Herrschinger Seehof, längst Institution geworden durch ihre Souveränität, ihr offenes Lachen, ihre zurückgebundenen Rastazöpfe – und die schönsten Kellnerinnen-Dirndl Bayerns: Wie angegossen sitzen die geschmackvollen Kleider auf ihrer schwarzen Haut und ihrem perfekten Kellnerinnen-Körper.

OT 23 PEGGY Jeden Sonntag meist ein Dirndl an und unter der Woche hab ich schwarzen Rock und weiße Bluse. Die Dirndl mach ich selber, ich mache nämlich seit vier Jahren in Grafrath

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bei der VHS einen Nähkurs. Ich habe eine sehr strenge Nähkurslehrerin und von ihr kann ma scho sehr viel lernen. ERZÄHLERIN Peggy deutet es an: Es gibt in Bayern zwei traditionelle Kellnerinnen-Trachten: Das bunte Dirndlkleid mit weitem Rock und Schürze – oder die Tracht, die Erich Felder in seiner Abhandlung über die Münchner Kellnerin beschreibt:

1. ZITATOR Die Amtstracht der zivilisierten Kellnerin ist bekanntlich schwarz, ob dieses klösterliche Zunftkleid in den Monaten ohne „r“ der blütenweißen Bluse weicht, hängt vom Temperament des Wirtes ab. Trotz des Uniformzwanges bieten Material und Schnitt der Montur Gelegenheit, den persönlichen Geschmack und die Mittel zu dessen Befriedigung ahnen zu lassen.

OT 24 MIRIAM Wir arbeiten immer no in der ältesten Bedienungstracht mit schwarzem Rock, schwarze Strumpfhose, schwarzes Oberteil und Bedienungsschürze oder Häubchen, was ich aber ganz praktisch finde, weil ich da nicht erkenntlich bin. ERZÄHLERIN … gesteht die Wirtstochter Miriam, die eigentlich am Flughafen München bei einer arabischen Fluglinie arbeitet, ihr Gehalt aber seit einigen Jahren beim Schottenhamel auf dem Oktoberfest aufstockt. Über die Frage: schwarz-weiß, Dirndlkeid oder Jeans und T-Shirt gehen die Geschmäcker auseinander - über ein Kleidungsstück aber sind sich alle einig: Schuhe mit Absätzen sind absolutes Tabu:

OT 25 ROSI UND ANGELIKA: Rosi: I woass des no ganz genau: Mi hat a Kollege neibracht und I hab Lederhosn und Haferlschuah oghabt, und dann hob i Blosn ghabt, Blosn, Blosn, Blson, und unter dene Blosn hob i a nomoi Blosn ghabt. Wegs dene Dreckshaferlschuah . Und seitdem is mir klar, dass d Schuah mitunter des wichtigste Werkzeug zum Bediena san. OT 26 PEGGY: Ich habe Gesundheitsschuhe, des is sehr sehr wichtig. Man kann alles sparen, aber Kellner- Gesundheitsschuhe da braucht ma nicht sparen. Weil oft is a so: Küche kann n sehr rutschig sein, aber wenn man Gesundheitsschuhe hat, ma is 100% sicher. Wenn man no nie auf Kies gearbeitet hat, kriegt man Muskelkater - aber das mach ich schon lange.

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PETER: Frauen früher ham schwer gearbeitet, san den ganzen Tag umanand glaffa. Bedienung bei uns laaft die Bedienung herein vom Biergarten und wieder naus reine Gehzeit, des san 30 Kilometer am Tag, und friahars amoi an oam Tag hot a Gast sich ganz hint in den Biergarten gsetzt und da hat die Bedienung gsagt: Na, so weit geh i nimmer, der soll si sei Sach selber holn. Des war die erste Form der Selbstbedienung. ERZÄHLERIN Harte Steinböden in Bierkellern, 14-Stunden-Dienste auf der Wiesn – oder der Kies im Biergarten am Ammersee: Angelika, Rosi und Peggy wissen, was sie getan haben, wenn sie abends nach der Abrechnung heimfahren. Die 30 Kilometer, die sie am Tag oft laufen, legen sie noch dazu mit schwerem, einseitig getragenem Gepäck zurück. Auf dem Oktoberfest und in größeren Gaststätten beispielsweise mit dem sogenannten "Schlitten":

OT 27 MIRIAM Ein Schlitten ist ein großes Kellnertablett, der muss bestimmte Maße haben, da kriegt ma scho, wenn ma mag, bei uns war a Bedienung, die hat 32 Hendl draufbracht. Bei mir wars schon oft so, dass ich durch den Bedienungsgang ganga bin und gedacht hab ich lass jetzt einfach den Schlitten fallen. OT 28 PEGGY PEGGY Ich mach nebenbei Sport. Wir machen einseitige Bewegungen,. weil wir Schlitten tragen. OT 29 GRIT Also ich hab ja den Beruf gelernt und wir hatten jeden Tag anderthalb Stunden Sport. Ich fands super, den Sportunterricht, weil jeder unterschätzt das, was wir im Körperlichen zu leisten haben, und wir hatten dort einen, der war Biathlon-Weltmeister, des war unser Sportlehrer. Der hat uns immer Übungen gezeigt, Dehnungsübungen und was für den Rücken. Und der hat uns versucht zu zeigen, wie wir der schiefen Haltung entgegenarbeiten können. Dafür interessiert sich niemand mehr, aber ich mache meine Übungen. Schwimmen ist unglaublich wichtig, und wir brauchen Ausgleichssport. MUSIK Richard Strauss "Eine Alpensinfonie, op. 64"

ERZÄHLERIN Grit, die aus dem Erzgebirge stammende Kellnerin im Augsburger Lokal „König von Flandern“, gehört zu den immer seltener werdenden Servicekräften mit professioneller Ausbildung. Sie hat in vornehmen Restaurants gearbeitet, Servieren, Kalkulieren, Flambieren und Tranchieren von der Pike auf gelernt. Und sie gehört zu den

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Bedienungen, die scheinbar schon bei Erscheinen des Gastes wissen, was er essen und trinken möchte. Telepathie? Nein, schmunzelt sie, auch dieses Wissen ist keine Hexerei, sondern professionelles Wissen:

OT 30 GRIT: Wir hatten jeden Tag 45 Minuten einen freien Psychologen. Des gehörte zu unserer Ausbildung, und wir haben so Rollenspiele gemacht: Sanguiniker, Choleriker, etc., und welche Art von Charakter sitzt wo im Gastraum, in der Mitte vom Gastraum oder am Rand, wer wütet durch die Karte und findet natürlich nichts; er braucht 25 Minuten und findet dann raus, dass er eventuell doch eine Apfelschorle trinken möchte, du brauchst einfach Handwerkszeug. Der eine ist so, der andere ist so, und ich bin in der Lage zu wissen, was der Mensch möchte, weil, das habe ich ja gelernt.Unser Gast ist unser Gast, und wir wollen, dass es ihm gut geht. Weil: Morgen kommt er nämlich wieder. MUSIKAKZENT

ERZÄHLERIN Die Alma Mater mit Fachwissen – das ist schon ein Glücksfall, meint auch Gerd Holzheimer, der, selig vor seinem schön eingeschenkten Weißbier sitzend, die Kellnerin im Münchner "Braunauer Hof" bewundert, die jedem Gast das Gefühl gibt, besonders willkommen zu sein.

OT 31 GERD HOLZHEIMER Schön ist, wenn sie eine Art Segensspruch dazugibt. "Lass dir's schmecka!" Oder: "An Guatn!" Wo nicht nur der Teller hingeknallt wird. Und die ganz Guatn sagen:“Magst noch a Sosserl dazua?" Oder des wahnsinnig Fürsorgliche … oder: "Vorsicht, lang net hi, der Teller is hoass, des packst du net!" Sie, mit ihre Kellnerinnenhänd, ihr machts nix aus, da ist etwas Sorgendes dabei, etwas Mütterliches. Oder sie gibt dir an Tipp: "Heit hamma des…!" Oder wenns Innereien gibt: "Nierndln, probier des amal!" Des is toll.

OT 32 GRIT Der Oberbürgermeister von Augsburg kommt gerne hierher.Warum? Weil unsere Sulz so gut ist. Und weil er hier in Frieden gelassen wird, hier redet ihn keiner blöd an, er sitzt auf der Seitn und er ist gesafed und ich sag zu den Leuten: "Lassen sie ihn doch!" Er muss doch in Ruhe seine Sulz essen können. Wenn er sich in die Mitte setzt, dann macht er Parteikampf, dann lass ich die Leut zu ihm.Weil ich das von meinem Psychologen gelernt habe, wer sich in die Mitte vom Lokal setzt, will gesehen werden. CHRISTINA: In meiner Lehrzeit war der erste Spruch: Tue nichts, was du nicht als Gast haben möchtest. Es gibt mit Sicherheit Gäste, wo ich sag: "Geh lieber du hin!", weil ich sehe, die liegen mir nicht. GRIT: Warum nicht, das geht mir auch so, und dann geh ich hin oder ich sag: "Christina, ich glaub des sind deine Gäste.“ Ganz simpel. Und dann geh ich hin. Es gibt

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immer Gruppen, wo ich denk, das ist Ihr's, oder ich sag: "Auf den habe ich gewartet!" Ich glaube, dass es für jeden Gast eine gibt, die passt, die die Göttin für den einen Gast ist. ERZÄHLERIN Grit und Christina, die beiden Kolleginnen im „König von Flandern“ sitzen glücklich, aber erschöpft um ein Uhr nachts neben dem Brauereikessel. Vor sich einen Feierabendwein, denn: Auch die ewig „Be-Dienende“ verspürt am Ende des Abends Durst oder den Wunsch, sich bei einem Glaserl zu entspannen. Oder auch den eingetroffenen Wein für den nächsten Tag zu testen, denn auch das, was sie kredenzen, möchten gründliche Kellnerinnen wie Peggy aus Herrsching vorher testen:

OT 34 PEGGY Wenn ma in ein neues Haus kommt, jedes hat seine eigene Speisekarte und die muss ma unbedingt auswendig lernen, jedes Essen mit Beilage, und die Getränke muss ma auch lernen. Wenn wir neuen Wein bekommen, dann bestehe ich drauf, dass ich probiere. Wenn der Gast fragt: "Was haben sie für an Wein, wie schmeckt das?", und ich sag: "Ich weiß es nicht.", das ist schon traurig. Also muss man bisschen schon Ahnung haben. OT 35 ANGELIKA: I net, i mog koa Bier, koan Sekt oder Wein … meistens muasst halt foahn. ROSI: Da gibt’s ja so an scheena Brauch, wenn oana fragt: "Mogst otrinka?" Natürlich lehn ich das Angebot net ab und bin aa manchmal echt dankbar drum. OT 36 MIRIAM: Auf der Wiesn is komisch.Es is so, dass i nie a Bier trink, aber auf der Wiesn, am letzten Abend, i gfrei mi dann die ganze Zeit scho auf a koids Bier, des is des einzige Mal im Jahr, wo i a Bier trink. Oder sogar a Hendl ess. Obwohl ma an ganzen Tag Hendln rumschleppt, Lust auf a Hendl! ERZÄHLERIN Grit und Christina entspannen bei ihrem Glas Wein, teilen ihn aber mit einem Augsburger Pensionisten, der beim Eintreten nach Mitternacht schüchtern vermutet hatte, dass die beiden sicher jetzt zusperren wollen – das Lokal war bereits leer. „Kommen Sie doch, natürlich haben wir noch etwas für Sie – und wenn S' noch eine Brotzeit wollen, die kriegen wir auch noch zusammen“. Mütterlich fürsorglich ermuntern die Kellnerinnen den Herrn, sich einen Platz zu suchen und bitten ihn nach kurzer Zeit an ihren Feierabendtisch.

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ERZÄHLERIN Die beiden sind ein gutes Team: Grit, die Stattlich-Sportliche mit dem Kurzhaarschnitt, Christina, oder vielmehr Chrischtina, die etwas zierlicher Wirkende. „Unterschiedlicher könnten wir nicht sein“, meinen sie, und deswegen klappt die Zusammenarbeit so gut. Die zwei Kolleginnen teilen sich ihre Tische und ihre Gäste auf: Je nachdem, wer zu wem besser passt. Besonders ans Herz gewachsen sind ihnen aber ältere Menschen:

OT 37 GRIT UND CHRISTINA Ich glaub ein fach, dass es wichtig ist, den Leuten die Scham zu nehmen, alleine zu kommen. Oder auch dass auf einmal jemand gestorben ist. Da kommt ein Pärchen jeden Sonntag, und dann kommen die sechs, sieben Sonntage nicht mehr. Und wir fragen uns, was is denn los. Und dann kommt einer alleine in schwarz – und dann weinen wir mit. OT 38 MIRIAM Man ist schon Ansprechpartner, manchmal erzählen sie dann: "Meine Frau hat mich rausgeschmissen!" oder so. Natürlich hört man sich das an. Auf der Wiesn hab ich einen Gast, der kommt jedes Jahr, ich weiß nicht wie alt er ist, ich weiß nur, dass seine Mutter fast 100 Jahre alt ist, der kommt jedes Jahr und besucht mich wieder und setzt sich hin und redt mit mir und erzählt mir, wie's der Mama geht, und dann sucht er mich jedes Jahr und wir ratschen ganz nett. 1. ZITATOR (Erich Felder) Auch der mustergültigste Gatte sehnt sich in allen Züchten nach dem „gewissen Etwas“ der weiblichen Jugend. Blüht sie ihm nicht im eigenen Hause, so sucht er sich instinktiv ein Wesen, das schick und frisch ist und trotzdem seine kleinen Gebreste teilnahmsvoll mit dem bewährten Hausmittel der billigen Binsenwahrheit beschwichtigt, dass es „schon besser wird“, seine unausrottbaren Gewohnheiten kennt – und doch nicht seine Frau ist. Diese Rolle, die keine jugendliche Liebhaberin erfordert, aber diskret gespielt sein will, ist der Münchner Kellnerin auf den Leib geschrieben. Die Zenzi ist über Titelbürden und Verdauungsbeschwerden ihrer sämtlichen Schutzbefohlenen unterrichtet. Sie kennt die bekümmerten Gedärme des Herrn Rats und weiß, welche Käsearten dem Herrn Doktor den Schlaf rauben. Die Limonade des Zerebralmenschen, der Stammkrug Wamperls sind ständige Attribute dieser periodisch wiederkehrenden Erscheinung gleich dem Füllhorn der Ceres oder dem Köcher der Diana.

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MUSIK Richard Wagner "Frau Sonne sendet lichte Strahlen" Vorspiel und Szene Woglinde - Wellgunde - Flosshilde - Siegfried, 3. Aufzug

ERZÄHLERIN Da erscheint es wieder, das Göttinnenhafte der Kellnerinnen. Als Diana, der beschützenden Göttin des Mondes - und der wehrhaften Göttin der Jagd. Eine wehrhafte und bestrafende Frau muss sie bisweilen sein, die bayerische Servierkraft. Denn oft ist sie die Schlichterin und Ersthelferin bei Raufereien – zum Beispiel auf dem Oktoberfest. Wo Angelika, Rosi und Miriam seit vielen Jahren arbeiten.

OT 39 ANGELIKA Bei uns is net so schlimm mit der Schlägerei, na gehst hi und sagst „Du, hör auf, na muasst naus und dann is der Tag vorbei.“ Die meisten lassen si beruhigen. Ich glaab, als Bedienung hast da a andere Möglichkeit, weil du tragst es Bier, und dann sagn die: "Dann hör ma halt auf mit dem Schmarrn!" ROSI: Meistens is ma ja Stunden mit de Leit zsamm und hot an Spaß und a Gaudi, und meistens is a Dummheit, wenn die des Stänkern ofanga, und da kann ma scho drauf eiwirkn, dass wieda a Maß mitanand trinka. Meisten is a so, zerst wird ghakelt und dann hockt ma si zsamm und trinkt wieder a Maß. Und des is ja des Schöne in Bayern. ERZÄHLERIN Angelika und Rosi haben vor vielen Jahren als junge Mütter ihre Wiesn- und Volksfestkellnerinnen-Karriere begonnen: Nicht obwohl, sondern weil sie daheim kleine Kinder hatten. Die meisten Feste gehen ja übers Wochenende, „da is da Mo dahoam“. Und für die zweieinhalb Wochen Oktoberfest ließ sich meistens auch eine Lösung finden. Bezahlter Urlaub vom Alltag als Hausfrau.

ATMO WIESN-BIERZELT

OT 40 ANGELIKA Wiesn, die is net anstrengend, da hast drei Tisch, da is nix anstrengend. Wenn die in der Friah kemman, dann bleibns hocka bis zum Schluss. Ma kann je net von da Friah nur saufa, des geht ja net, irgendwann geht nix mehr. Und wenns doch z’vui ham, I lassn halt dann schlafa, na kommt eh der Ordner, wenn er schlaft. ROSI: Was auf der Wiesn anstrengend is, des san die Stunden, und die Leit, Gänge san so voll, und des ewige Diskutiern, weil d Leit net verstenga, wenns reserviert ham, weil wenn's grad lustig is, solln's hoamgeh, weil die nächste Reservierung kummt. Und die Diskutiererei und des Gred, des is für mi des Schwerste an der Wiesn.

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OT 41 MIRIAM Ich arbeit immer im reservierten Bereich, da kennt ma die Leut scho, ... Aber i bin ja aa Bedienung, ich derf mich net beschweren, wenn meine Gäste betrunken sind, davo lebt ma ja schließlich. Natürlich gibts immer was, dass sich einer des Hendl durch den Kopf hat geh lassen, aber des passiert, es is kei Kindergeburtsag.

MUSIK Peter Holzapfel & Erwin Rehling "Wüster Marsch"

OT 42 GRIT Aber wenn einer hier reinkommt und meint, dass er seine schlechte Laune bei uns ausleben kann. Und wenn einer glaubt, er müsse das übertreiben, dann darf er auch gerne gehen. Und wenn er den teuersten Anzug der Welt anhat, wenn er sich den Bedienungen gegenüber nicht korrekt verhält, dann hat er hier nichts zu suchen. Die Mädels sind süß und hübsch und machen sich zurecht und wollen freundlich sein, aber da gibt’s immer wieder Grantbackler, denen kannsch es eh net recht machen, die sollen woanders hingehen. Am besten zu McDonald. ERZÄHLERIN Die Kellnerin – mütterlich nährende, aber auch strafende Göttin mit bisweilen dunklen Seiten:

OT 43 CHRISTOPH Die hat die Macht drüber, ob du am Schluss no a Bier kriegst oder obsd hoamgeh muasst. In Bamberg is a Brauereigaststätte, die verkaffa dir um viertel vor 11 a Bier und zwoa Minuten später reissns Fenster auf.Da konnst in da eiskalten Wirtschaft dei Bier austrinka. OT 44 GERD HOLZHEIMER Eine richtige Kellnerin weiß genau, wo der Mann schwach ist, intuitiv in fünf Sekundenn draht die den auf null. Und woass aa wie. Psychologin, Therapeutin, Beichtfrau, und schon die ewig Nährende. ERZÄHLERIN Mit jedem Schluck Weißbier fällt dem Schriftsteller Gerd Holzheimer noch eine weitere Göttin ein, die er der bayerischen Kellnerin gleichstellt. Die strafende Göttin Kali? Die Mutter- und Erdgöttin Holle? In Holzheimers Kellnerinnen-Pantheon haben sie alle Platz:

OT 45 GERD HOLZHEIMER Aa mit de Substanzen, des is Gerste, des is Hopfen, es sind Ursubstanzen der Erde. Und sie ist diejenige, die es verteilt. Aber bei Fruchtbarkeitsgöttinnen is scho a Ambivalenz. Des wär die Hantige, also wenns dumm geht, kann die dich auch ganz

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schön runterziagn, mit der ist nicht nur zu spaßen, die kann dich auch vernichten, dann verdurstest du. Wüste…. MUSIK Richard Strauss "Eine Alpensinfonie, op. 64"

OT 46 GERD HOLZHEIMER Des is mei Lieblingsbild gewesen, auf der Wiesn, beim Aufbau, da hat ma si hinsetzen derfa in der Wirtsstrass, hot a Bier trunka, und mein Lieblingsplatz war gegenüber von der Bräurosl und da geht d Sonn unter, es is a ganz bestimmts Licht, und dann is die Bräurosl auf ihrem schwarzen Rappen, München is ganz kloa, und sie bringt endlos Bier und des Bier geht nie aus und es ist alles gut, es ist alles Glück. So stell i mir a Göttin vor. MUSIK Richard Strauss "Eine Alpensinfonie, op. 64"

ZITATORIN (lackiert sich die Nägel) Entschuldigens, wenn ich mir die Nägel mach. An und für sich sieht das der Chef, der Wirt, nicht gern, wenn sich die Bedienungen quasi in der Öffentlichkeit die Nägel machen. Aber es ist jetzt niemand da. Es sind alle Stammgäste bei der Beerdingung vom Randlsböck Günther – der Wirt natürlich nicht. Der nicht. (betrachtet sich die Nägel) Picobello sollen wir natürlich schon sein. Nach Meinung vom Herrn Wirt. Aber dass man da auch ab und zu die Nägel nachlackieren muss, das sieht er nicht ein. Ja,ja. (…) Aber wo findst heut eine andere Arbeit? Kannst Du Dirs aussuchen in diese schlechten Zeiten? Und hat auch Vorteile. Wenn ich in der Fabrik arbeiten würde – und sogar nur in einem Büro, müsst ich um sieben anfangen, spätestens um halbe achte…. Hat alles seine Vor- und Nachteile….. Ja, ich komm schon! - Jetzt will er sein neunzehntes Weißbier. Wissen’s, was mich wundert? Dass er da, der feinere Herr mit seine neunzehn Weißbier, und bis er geht, werdens dreißig, das seh ich schon, dass er nicht so besoffen wird, dass er am nächsten Tag die Wirtschaft nicht mehr findt. Das wundert mich.. – Ja, i bin ja scho da! Zum Wohl, der Herr!

MUSIK Zapf'nstreich "Miquolele"

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2. ZITATOR / ABSAGE "Bayerische Berufungen und Instanzen: Die Kellnerin." Sie hörten ein "Bayerisches Feuilleton" von Ulrike Zöller, die auch Regie führte. Es sprachen: Laura Maire, Judith Toth, Werner Härtl und Christoph Jablonka. Ton und Technik: Gerhard Wicho und Daniela Röder. Redaktion: Ulrich Klenner

ATMO WIRTSHAUS / ZITATORIN Moment. Müss ma no Stricherl macha. Augenblick. Jetzt hammas , gell?!

MUSIK hoch bis Ende

2. ZITATOR / ABSAGE WEITER Eine Produktion der Redaktion "Hörbild und Feature / Land und Leute" des Bayerischen Rundfunks 2015.

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