Bayern 2 Sonntag, 4. Dezember

Manuskript HÖRBILD UND FEATURE LAND UND LEUTE SENDUNG: Samstag, 3. Dezember 2016 8.05 - 9.00 Uhr / Bayern 2 Sonntag, 4. Dezember 2016 20.05 - 21.00 ...
Author: Kai Frei
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Manuskript HÖRBILD UND FEATURE LAND UND LEUTE

SENDUNG:

Samstag, 3. Dezember 2016 8.05 - 9.00 Uhr / Bayern 2 Sonntag, 4. Dezember 2016 20.05 - 21.00 Uhr / Bayern 2

BAYERISCHES FEUILLETON Bulldogs und Dieselrösser Kurze Geschichte des Traktors auf Bayrisch Von Ulrich Zwack

Erzähler: Peter Weiß Erzählerin: Julia Fischer 1. Zitator: Hans Jürgen Stockerl 2. Zitator: Tobias Lelle Zitatorin: Christiane Roßbach

Originalton: Leo Speer („Lanz-Leo“) und Detlef Kügow Traktoristen aus Passion Studiotechnik: Hans Scheck und Adele Kurdziel Redaktion und Regie: Ulrich Klenner

Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800-5900 222 (kostenlos) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de

Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016

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ATMO: KANON FÜR 3 TRAKTORENANLASSER – ERST RECHTS, DANN LINKS UND SCHLIESSLICH IN DER MITTE – KREUZBLENDE ZU: MUSIK: PHILLIPPE GUEZ/PATRICK MAAREK „PLURAL“ – KURZ FREI, DARÜBER:

Zit’in:

Zwei Jahre nach dem Tod meiner Mutter verliebte sich mein Vater in eine berückende blonde geschiedene Frau aus der U k r a i n e . E r w a r v i e r u n d a c h t zi g , s i e s e c h s u n d d r e i ß i g . S i e h e i ß t V a l e n t i n a , e r zä h l t e r . A b e r s i e e r i n n e r t e h e r a n e i n e V e n u s . „Die den Fluten entsteigende Venus von Botticelli. Du weißt schon: goldenes Haar, wu nderschöne Augen, fantastischer Busen.“

Erz’in:

S o b e g i n n t M a r i n a L e w y c k a s R o m a n K u r ze G e s c h i c h t e d e s Traktors auf Ukrainisch; ein Buch, das seit ein paar Jahren auf den Bestsellerlisten ziemlich weit oben zu finden ist. Da wird es höchste Zeit, der ukrain ischen Traktorhistorie eine bayerische entgegenzusetzen.

MUSIK: UNTER TEXT KREUZBLENDE ZU „GIPFELJODLER“ - DARÜBER:

Erz’in:

Ein Vorhaben, das umso berechtigter erscheint, als nicht nur die ukrainische, sondern auch die bayerische W eiblichkeit mit beacht lichen Reizen auf warten kann. Joseph Hazzi, der b erühmte Ahnherr aller bayerischen Statistiker, hatte bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts über die Miesbacherinnen er uiert:

MUSIK: KREUZBLENDE ZU „OCARINA“ – DARÜBER:

1. Zit.:

Sie haben einen vollen Buse n, kleine Füße und Hände, mei stens blonde Haare und blaue Augen und Grübchen in den W a n g e n u n d i h r A n zu g e r h ö h t i h r e R e i ze n o c h m e h r . W e g e n d e s zu m T h e i l e n t b l ö ß t e n B u s e n s h a b e n d i e M ä d c h e n i n d e r Nachbarschaft immer Umstände; besonders in der Klosterher r-

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schaft Tegernsee, wenn eine Miesbacherin so in der Kirche erscheint.

MUSIK ENDE

Erz.:

Ungeduldige Hörerinnen und Hörer werden sich zu fragen b eginnen, was das alles mit dem Phänomen Traktor zu tun haben mag. Ganz einfach: W ie Frauen, so kann man auch best immte Traktoren mehr oder weniger attraktiv finden. So erklärt der bekennende Traktorfan Detlef Kügow:

ZUSP. 1 : OT -K ÜGOW Ich hab’ gemerkt: Mein Interesse ist vor allem für die Trakt oren der frühen 50-er Jahre erwacht. Es gibt bestimmte Karo sserieformen, die dann Ende der 50-er, Anfang der 60 -er einsetzen, die mich übe rhaupt nicht mehr ansprechen. Die alten MAN-Traktoren, die sahen wunderbar aus. Die haben immer für mich so’n bisschen was von den Autos bei Donald Duck. Genauso wie Schlüter. Schlüter hatte au ch als einer von wen igen Herstellern eine Zweiersitzbank. In aller Regel haben die Traktoren ja nur einen Sitz. Und es gab von Hanomag den R 12 mit ‘ner Sitzbank. Schlüter hatte einige Modelle damit. Und das sieht dann immer so’n bisschen aus wie so ’n 30-er-JahreAuto. Das sind ja auch die Anfänge g ewesen.

MUSIK: PHILLIPPE GUEZ/PATRICK MAAREK „PLURAL“ – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz’in:

Die „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch “ beschäftigt sich trotz des Buchtitels nur sehr am Rande mit Traktoren. Hauptthema ist vielmehr die an einem fiktiven Beispiel fes tgemachte Problematik des Zustroms von Migranten aus dem ehemaligen Ostblock nach W esteuropa. In diesem Fall nach England. Aber insofern könnte der Roman auch genauso gut in Bayern spielen. Die eigentl iche Geschichte des Traktors auf Ukrainisch verfasst der 84-jährige Antiheld des Romans g e-

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wissermaßen als eigenes, literarisches Nebenprodukt. Am b emerkenswertesten daran ist, dass darin kein einziger ukrain ischer Traktor vorkommt. Der Erfinder des Traktor s z. B. war Engländer.

ATMO: KREUZBLENDE ZU DAMPFTRAKTOR – DARÜBER:

2. Zit.:

Der erste Traktor wurde von John Fowler, einem klugen und enthaltsam lebenden Quäker erfunden. Da dieser weder Wo dk a n o c h B i e r , j a n o c h n i c h t e i n m a l T e e zu s i c h n a h m , w a r s e i n Verstand von einer außerordentlichen Klarheit. Fo wler war ein guter Mensch, der den Traktor als Mittel betrachtete, die werktätigen Massen von ihrer geistlosen Plackerei zu befreien u n d i h n e n d a d u r c h d e n Z u g a n g zu e i n e m g e i s t i g e r h e b e n d e r e n L e b e n zu e r m ö g l i c h e n .

ATMO: HOCH MIT DAMPFPFEIFE – DANN W EG

Erz’in:

Anders als der alte Nikolai im Roman, der sein ganzes W issen über Traktoren und andere Landmaschinen anscheinend nur aus dem Online -Lexikon W ikipedia bezog, sind in Bayern w esentlich profundere Kenner der Materie anzutreffen. Z.B. Leo Speer, der im niederbayerischen Mitterrohrbach ein privates Traktor- und Landwirtschaftsm aschinenmuseum eingerichtet hat.

ZUSP. 2: LEO SPEER Des da is a Esterer Heißdampf. Des is a Heißdampf. Der Heißdampf, der hat a dickeres Kesselblech. Der is dicker au sglegt, den kann ma scho auf 10, 12 Atü und kamman bis 20 Atü aufihoazn. Um so kleaner da Kessel, um so mehra Atü ha lter aus. Der hat 20 PS ghabt, der hat 30 PS ghabt, der sell Esterer; und der sell hat dahintn, der is ara Schnelllauf gwen, der hat 40 PS ghabt.

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MUSIK: THE FABULOUS RURAL BAND „TORTILLA RIDER – OLD COYOTE VERSION“ – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz:

Das W ort Traktor kommt aus dem Englischen, geht aber letz tl i c h a u f s l a t e i n i s c h e V e r b u m t r a h e r e z u r ü c k – d a s zi e h e n , schleppen bedeutet. Ein Traktor ist also ein Trumm, das etwas zieht. Mithin stellt die für süddeutsche Ohren furchtbar kli ngelnde norddeutsche Bezeichnung Trecker eigentlich eine absolut korrekte Übersetzung dar, während der hochdeutsche Ausdruck Ackerschlepper nur einen Teilaspekt des Traktors erfasst. Dem Bayern kann das freilich völlig W urst sein. Er hat das fragliche Gefährt jahrzehntelang ausschließlich als Bulldog bezeichnet.

KREUZBLENDE ZU ATMO: TRAKTOR (LANZ 25) – DARÜBER:

Erz’in:

Traktor bedeutet also in etwa Zugmaschine. Folglich darf der Traktor als direkter Nachfolger des Zug - und Lastviehs von früher gelten. Dieses rekrutierte sich in unseren Breiten seit prähistorischer Zeit vor allem aus Ochsen, Eseln, Mulis und Pferden. Doch das war sozusagen schon die vierbeinige Hoch PS-Klasse. Denn daneben gab es bis zum Zweiten W eltkrieg auch noch eine zweibeinige Unterklasse . [ATMO ENDE] Ihre Vertreter hießen, je nach gerade herrschender Geschicht sepoche, Sklaven, Hörige, Leibeigene, Ehehalten, Taglöhner, Mägde und Knechte. Da sie ganze Ewigkeiten lang auch Pfl üge ziehen, von Hand säen, mähen und Heuwagen oder Hol zschlitten ziehen mussten, ist es keineswegs zynisch, sie g ewissermaßen als die Vorläufer der späteren Kleintraktoren zu betrachten.

ATMO: KLEINTRAKTOR (MIT HUNDEGEBELL) –DARÜBER:

2. Zit.:

MAN-Ackerdiesel. 18 PS. Der MAN-Klein-Schlepper mit großer Leistung. Für vie lseitige Leistung im kleinen und mittleren B e-

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trieb! Durch Vierradantrieb erwe iterter Verwendungsbereich.

MUSIK: THE FABULOUS RURAL BAND „BUCOLIC CITY – COOL MAN VERSION“ – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz.:

Heute wird gerne die schöne Vorstellung von der guten alten Zeit herauf beschworen. Einer Zeit, da der ländliche Mensch angeblich gemütlich und naturverbunden in den Tag hineinle bte. [MUSIK: UNTER TEXT KREUZBLENDE ZU „TRUMPET LANDLER] Die Realität sah freilich anders aus. Jahrtausend elang lebte das Gros der L andbevölkerung unter unwürdigsten Bedingungen, wurde drangsaliert, gedemütigt, bei übler Kost und Unterkunft wie Vieh gehalten - und wie dieses einem u nmenschlichen Arbeitspensum unterworfen. Erst als der Geist der Aufklärung Einzug hielt, begannen langsam auch sogenannte bessere Leut ’ Mitleid mit den Unglücklichen zu empfi nden. So wetterte der wor tgewaltige Pfarrer von Martinsbuch in Niederbayern, Johann Prambhofer, von der Kanzel herunter gehörig gegen die gewappelten Peiniger der einfachen Lan dbevölkerung, ...

1. Zit.:

. .. we lche mit ihren Eheha lten und Dienst -B oten unba rmhe r ztiglich handeln, ihnen keine Ruhe noch Rast weder bey Tag noch bei der Nacht lassen (obwohl sie sich) die Haut von den Fingern abarbeiten oder (ihnen) Blattern an den Füßen von vielen Lauffen auffahrten.

MUSIK ENDE

Erz.:

Die Gescholtenen sahen die Dinge allerdings in einem ganz anderen Licht. Da schimpft z.B. eine a nonyme Quelle aus dem Jahr 1817:

1. Zit.:

Mißbräuche aller Art haben sich eingeschlichen. Der Dienstb ot e b e d i n g t s i c h u m L i c h t m e ß e i n e S c h l e n k e l ze i t , d i e o f t 8 b i s 14 Tage andauert. Diese werden im Müßiggange mit Spiel und

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T r a n k d u r c h g e b r a c h t . D e r D i e n s t h e r r m u s s zu g e s t e h e n , d a s s sein Knecht oder seine Magd auf die umliegenden Kirchweihen gehen dürfen. Im Glonntal, aber au ch am Lechrain, geht der Übermut der Dienstboten so weit, daß sie dem Dienstherrn vorschreiben, die Woche dreimal in Schmalz gebackene N ud e l n zu g e b e n . U n t e r s o l c h e n V e r h ä l t n i s s e n m u ß d e r Ö k o n o m unterliegen. Erz’in:

Soviel zur guten alten Zeit. Sicher: Um sich das harte Leben wenigstens ein bisschen zu erleichtern, ließ man viele Arbe iten auch von Tieren erledigen. Und man ersann immer wieder neue Mittel und Wege, damit sie das möglichst effektiv tun konnten. Als schlichtweg revolutionär erwies sich beispi elsweise die im Hochmittelalter gemachte Erfindung des Ku mmets zum Anschirren von Zugtieren. Erhöhte es das Zuglei stungsvermögen des Pferdes doch im Vergleich zum vorher ü blichen Jochgeschirr auf einen Schlag um sage und schreibe 400 bis 500%. Erst jetzt v erdrängte das Pferd den körperlich schwächeren Ochsen als Zugtier fast völlig. Dank der Vorteile des Kummets ließen sich auch leichter als vorher mehrere Pferde zusammenspannen. Das war nicht zuletzt an Bergstr ecken willkommen, wo man nun im Handumdrehen z usätzliche Vorspannpferde einschirren konnte, um den Antrieb von Zug und Lastfahrzeugen buchstäblich um ein paar PS zu erhöhen. Das ließ freilich auch den Kraftstoffverbrauch sprunghaft in die Höhe schnellen. Einmal in Form von Futter für die Pferde, zum anderen in Form von geistigen Getränken für die Vo rspannknechte. [MUSIK: „MASK DANCE“] So ist glaubhaft überl i e f e r t , d a s s m a n c h e o b e r b a y e r i s c h e n u n d T i r o l e r F ü r s e t ze r täglich über 20 Halbe W ein in den an den Bergstrecken gel egenen W irtshäusern tankten.

MUSIK KURZ HOCH Erz.:

Nun kann man in einigen Dorfgasthäusern den W ein noch i mmer im Halbeglas serviert bekommen. Das Bier sowieso. Und so mancher fröhliche Zecher lässt sich dann am Abend von seinem Traktor heimfahren, der oft auch bewundernswert berggängig ist. [MUSIK ENDE / ATMO UNIMOG – BIS O-T 3

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UNTER TEXT] So hat sich z.B. der als Unimog bekannte Sp ezialtraktor von Mercedes seit jeher nicht zuletzt im Bergwald stets glänzend bewährt. Aber auch auf öffentlichen Berg - und Pass-Straßen waren und sind hin u nd wieder Traktoren im Einsatz. Früher hauptsächlich als Zugfahrzeuge für Zirkusle ute und Schausteller. Heute eher zum Gaudium von, nun ja: Traktorsportlern. ZUSP. 3 : OT -K ÜGOW Es gibt. z.B. eine Fahrt auf den Großglockner. Es gibt Pas sfahrten überall. Meis t im W inter. Im Januar sitzen die Leute dann dick angepummelt auf ihren Bulldogs und tuckern da den Berg hoch. Und dann gibt ’s auch so herrliche Regeln. Da sind nun ganz unterschiedliche Teile. So ’n Porsche Einzylinder J unior, der hat 12 PS und 20 Stundenk ilometer Höchstgeschwi ndigkeit, und ‘n anderer, vielleicht aus den frühen 60 -ern, hat 50 PS, ‘n Vierzylinder Deutz. Die treten gegeneinander an. Und man hat gesagt: O.k., es gewinnt derjenige, der oben a nkommt und dessen Fahrzeit am nächsten an der Durc hschnittsfahrzeit liegt. Das find ich ein faszinierendes Regl ement.

MUSIK: „SENSENTANZ“ – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz’in:

Dank Kummet und verbesserter Pflüge sorgte die große Kraft des Pferdes ab dem Spätmittelalter erstmals dafür, dass der Ackerboden so tief umgebrochen werden konnte, wie das he ute immer noch der Fall ist. Auch konnte das Pferd nun viel größere Lasten an Heu, Getreide, Rüben und anderen Fel dfrüchten ziehen als zuvor. Doch Arbeiten, wie das Säen per Hand, das Mähen mit Sichel und Sense oder das Heuwenden und Getreidebündeln, blieben weiterhin kräftezehrendes Me nschenwerk.

KREUZBLENDE ZU ATMO: DRESCHEN MIT DRESCHFLEGELN – DARÜBER:

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Erz.:

Und das Dreschen des Getreides erst recht. Nur vereinzelt ließ man es durch von Tieren über die Garben gezog ene W alzen oder Schlitten besorgen, denn das Ergebnis solchen Tuns war in der Regel unbefriedigend. Darum blieb jahrhundert elang das Dreschen mithilfe von Dreschflegel und Muske lschmalz erste W ahl. Doch das war äußerst anstrengend. Auch die stärksten Männe r konnten pro Tag insgesamt höchstens 5 Stunden lang Getreide dreschen. Deshalb musste auf vielen Höfen fast den halben W inter hindurch gedroschen we rden.

ATMO ENDE

Erz’in:

Natürlich fehlte es nach wie vor nicht an Versuchen, die a nstrengende Landwir tschaftsarbeit auf mechanischem W ege zu erleichtern. Der Engländer Jethro Tull z.B., der Taufpate der gleichnamigen Kult -Rockband aus den 1970 -er Jahren, erfand 1708 die sogenannte Drillmaschine. [UNTER TEXT ATMO: P F E R D E G E S P A N N M I T H E UW E N D E R ] I m G e g e n s a t z z u h e u t e wurde sie damals natürlich noch von Pferden über den Acker gezogen; aber auch so ließ sie das vorher ausschließlich durch halbkreisförmigen Handwurf besorgte, höchst ungleic hmäßige Aussäen schlagartig zur exakt dosierten Präzisionsa rbeit werden. Mr. Tulls Drillmaschine bestand aus einem ka stenförmigen Spezialwagen, der in jeweils drei Ackerfurchen gleichzeitig und in regelmäßigen Abständen Löcher graben, Samenkörner hineingeben und sie sofort wieder mit Erde b edecken konnte.

Erz.:

Hinzu gesellten sich bald andere Maschinen; Mähmaschinen etwa, oder mechanische Heuwender. Bis zum Beginn der i ndustriellen Revolution waren sie allesamt von der Zugkraft des Arbeitsviehs abhängig. [ATMO ENDE] Die entscheidende Wende trat erst ein, als die Dampfmaschinentec hnik um die Mitte des 19. Jahrhunderts so weit fortgeschritten war, dass sie auch in der Landwirtschaft Einzug halten konnte. Zunächst vor allem beim Pflügen. Ein paar Dampfmaschinen -Veteranen

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sind sogar noch erhalten. Und Leo Speer gelingt es immer wieder, den einen oder anderen davon aufzuspüren. ZUSP. 4: OT-SPEER Dann bini auf Germering außigfahrn zum Sollinger. Hab gsagt: „Rupert, griaß di Gott “, habi gsagt, „Du“, habi gsagt, „wo hastn du die Dampfmaschin hibracht? “ – Ja, sagt er, die hat er no. Sagi: „Datst mas verkauffa? I mechat ma da a Seilwindn neibaun füran Dampfpflug. “ Da war er ganz begeistert. Hat er mir die Dampfmaschin, habi eam 1000 Mark gebn dafür, für dera Dampfmaschin. Da hant die Radln scho so schlecht gwen, die hant zammgfahrn gwen wiara Rasierkling, weil frü aras hatma da an Bremsschuah einidoa, wenns bergo ganga is. Jetz hant die zammgschliffa gwen und zammgfahrn. Erz’in:

Die älteste Dampfmaschine in Leo Speers Sammlung wurde 1882 von der im engl ischen Lincoln ansässigen Firma Hornsby hergestellt und noch im gleichen Jahr nach Deutschland geli efert. [UNTER TEXT ATMO: LOKOMOBIL / DAMPFMASCHINE] So etwas kam öfter vor, weil englische Dampfm aschinen auch auf dem Kontinent einen besonders guten Ruf genossen. Zu den ersten Hauptaufgaben der ne uen Technik gehörte das Dampfpflügen. Eine Art Dampflok für die Straße, man nannte das damals Lokomobil, fuhr aufs Feld und zog dort den Pflug wie ein Traktor hinter sich her. Dabei erwies sich allerdings schnell, dass die tonnenschweren Lokomobile mit ihr en Eisenrädern im weichen Ackerboden entweder gleich stecken bli eben - oder den Boden durch ihr Gewicht übermäßig verdicht eten. Schließlich entwickelte der Brite John Fowler 1858 auch noch das sogenannte Zweimaschinensystem. Bei diesem wu rde links und rechts des Feldes je eine Dampfmaschine aufg estellt. Zwischen beiden zog der Pflug an einem Stahlseil seine Furchen. Er war so konstruiert, dass er nicht einmal g ewendet werden musste, sondern in beide Richtungen pflügen konnte. Furche um Furche rückten die be iden Dampfmaschinen sola nge im Schneckentempo vor, bis das ganze Feld beackert war. Natürlich war das Verfahren ziemlich au f wändig. Allein für den Betrieb der Maschinen mussten täglich rund 700 kg Kohle und gewaltige W assermengen vor Ort g ebracht werden.

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Erz.:

Trotzdem setzte sich das Zweimaschinenverfahren durch. Zu den weltweit ersten Landwirtschaftsbetrieben, die es anwan dten, gehörte übrigens das im heutigen Landkreis Stra ubingBogen gelegene Gut Puchhof. Für kleinere Betriebe kam die neue Technik in Anschaffung und Unterhalt freilich viel zu teuer. Deshalb begannen die sich erstmals in der Geschichte genossenschaftlich zusammenzuschließen, um durch gemei nsame Nutzung die Kosten auf möglichst viele Schultern zu ve rteilen.

ATMO ENDE MUSIK: THE FABULOUS RURAL BAND „BUCOLIC CITY – COOL MAN VERSION” – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz’in:

Das zweite große Einsatzfeld der Dampfmaschine im ländl ichen Bereich war das Dreschen. Auch da kam jetzt ein auf Genossenschaftsrechnung angeschafftes oder von einem Pr ivatuntern ehmer vermietetes Lokomobil bzw. eine von Pferden gezogene stationäre Dampfmaschine auf den Hof, trieb über einen Transmissionsriemen einen so genannten Dreschwagen an, und erledigte so in zwei, höchstens drei Tagen, wofür man mit dem Dreschflegel zwei bis drei Monate gebraucht hätte. [MUSIK ENDE] Gesellschaftlich gesehen, brachte das alle rdings nicht nur Vor-, sondern auch erhebliche Nachteile. Denn die Dampfmaschine machte unzählige Häusler, Taglöhner, Mägde, Knechte, Ehehalten und Dienstboten gleichsam über Nacht überflüssig und damit arbeitslos. Die Folge: Ein unübe rschaubares Heer von verzweifelten Menschen zog jetzt vom Land in die Städte – und ließ dort das unbeschreiblichem Massenelend ausgesetzte Proletariat g eradezu explosionsartig anwachsen.

ATMO: URBULLDOG (LANZ 25) – DARÜBER:

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Erz’in:

Ohne Napoleon wäre der erste deutsche Traktor ein durch und durch bayerisches Produkt gewesen. Schließlich war die He rstellerfirma Lanz in Mannheim ansässig, einer Stadt, aus der z.B. auch der Stifter des Englisch en Gartens in München, Ku rfürst Karl Theodor, stammte. [ATMO ENDE] Aber 1801 nahm Napoleon, der Bayern sonst mehr als großzügig zu fördern b eliebte, den W eißblauen Man nheim weg und schanzte die Stadt den Badenern zu. Nur darum war das Unternehmen, das 1921 den ersten reinrassigen Traktor in ganz Deutschland auf den Markt brachte, eine badische und keine bayerische Firma. [ATMO UNTER TEXT: URBULLDOG KOMMT ANGEKNATTERT] Trotzdem war wenigstens der Erfinder des deutschen Acke rschnauferls ein lupenreiner Bayer. In W asserburg am Inn geboren, hörte er auf den gutbayerischen Nachnamen Huber. Nur der Vorname Fritz trübt ein wenig das ansonsten tadellos bayerische Gesamtbild des Erfinders des deutschen Urtra ktors. Der Erfinder des ersten ukrainischen Traktors hingege n wusste vielleicht nicht einmal, dass es überhaupt eine Ukraine gibt. Denn er war Ire und in technischer Hinsicht nicht nach Osten, sondern nach Amerika orie ntiert.

ATMO HOCH / TRAKTOR KNATTERT VORBEI MUSIK: PHILLIPPE GUEZ/PATRICK MAAREK „PLURAL“ – KURZ FREI, DARÜBER:

2. Zit.:

Wie die Ukraine ist auch Irland ein größtenteils von Landwir tschaft abhängiges Land. Es lieferte seinen Beitrag zur G eschichte des Traktors in Gestalt des g enialen Ingenieurs Harry Ferguson, der 1884 in der Nähe von Belfast gebore n wurde. H a r r y F e r g u s o n s e r s t e r zw e i s p u r i g e r P f l u g w a r a u f e i n e m zu m Traktor umgebauten Chassis des Ford T montiert und hieß passenderweise Eros. Er war hinten am Traktor angebracht und konnte vom Fahrer mittels eines Hebels angehoben und abgesenkt werden.

MUSIK ENDE

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Erz.:

Da konnte Fritz Huber an Genialität locker mithalten. Immerhin gelang es ihm, für seinen Arbeitgeber Lanz den schon länger bekannten, aber nie für praxistauglich gehaltenen, sogenan nten Glühkopfmotor bis zur Serienreife weiterz uentwickeln. Bis auf die Tatsache, dass der erste Lanz -Glühkopfmotor aus einem W ahnsinnshubraum von über 7 Litern nur schlappe 12 PS kitzeln konnte, war er geradezu die Quadratur des m otorisierten Kreises: Ein Selbstzünder mit innerer Gemischbi ldung bei gleichzei tig unglaublich niedrigem Einspritzdruck. [ATMO: LANZ KOMMT ANGEKNATTERT – DARÜBER:] Darum war er so robust, wie ein Verbrennungsmotor nur eben sein kann. Er stellte keinerlei Ansprüche an den Kraftstoff. B egnügte sich mit Ölen aller Art und Abart. Mit Alt öl, Rohöl, Schweröl, Diesel, Paraffin, Tran, notfalls auch mit Salatöl. Ja, man konnte ihn sogar mit Teeröl fahren. Das war das stinke nde Zeug, mit dem man früher z.B. die hölzernen Bahnschwe llen tränkte. Es war unglaublich billig. Deshalb versuchten e inige, auch andere Fahrzeuge damit zu beta nken.

ZUSP. 5: OT-SPEER Weil der Liter an Pfenning kost hat. Aber des war aggressiv. Weil i hab’s im Mercedes gfahrn amal. Und so lang wiest es gfahrn hast, is ganga, aber wehe du hast des Auto stehnla ssen, a paar W ochen. Dann hats dir an Tank zamgfressen. W eil des war zu aggressiv.

ATMO HOCH / TRAKTORMOTOR GEHT AUS

Erz’in:

Der Huber’sche Glühkopfmotor schluckte die inzwischen als krebserregend verschriene dunkelbraune Brühe dagegen kla glos. Aber es gab auch Nachteil e. So musste der Glühkopf, wie schon der Name sagt, glühend heiß sein, damit er funktioni eren konnte. Darum musste man ihm vor dem Starten mit einer Lötlampe ordentlich einheizen. W ie sich das Anlassen übe rhaupt etwas umständlich gestaltete:

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ATMO: UMSTÄNDLICHER STARTVORGANG – MOTOR LÄUFT STOCKEND AN – DARÜBER:

2. Zit.:

Der Anlaßvorgang. 1 . n a c h l ä n g e r e r S t a n d ze i t V o r ö l e n m i t t e l s K u r b e l a m Boschöler 2 . V o r h e i ze n d e s G l ü h k o p f e s m i t d e r L ö t l a m p e 3. Entnahme des Lenkrades aus der Lenksäule und Einstecken ins rechte Schwungrad 4. W enn der Zün dkopf d eut lich g lüht , 3 -4 manue lle Ein sp rit zpumpenhübe durchführen 5 . H a n d g a s h e b e l a u f u n t e r e L e e r l a u f d r e h za h l e i n s t e l l e n 6. Kolben langsam vor oberen Totpunkt stellen 7 . M o t o r m i t S c h w u n g e n t g e g e n d e m U r ze i g e r a n w e r f e n ( V o r sicht : niemals in die Speichen des Lenkrades greifen) 8. Lenkrad vor dem Hochtouren des Motors aus dem Schwun gr a d zi e h e n

ATMO HOCH / MOTOR SPRINGT AN, LÄUFT ENDLICH RUND – DARÜBER:

Erz’in:

Vom Aussehen her wirkte Hubers Glühkopfmotor ziemlich g edrungen und erinnerte einige phantasiereiche Arbeiter von Lanz an den Kopf einer Bulldogge. Deshalb verpassten sie ihm den Spitznamen Bulldog. Und als der Motor 1921 in den ersten Traktor der Firma eingebaut wurde, ging der Name des Motors aufs ganze Gefährt üb er. Letzteres sorgte binnen kürzester Zeit weit über Mannheim hinaus für Fur ore: [ATMO ENDE]

ZUSP. 6: OT-SPEER Der Lanz, auf alle Kulturstaaten is der gliefert wordn. Der Lanz hat 76 Länder, hat der gliefert. Der Lanz war ja der grö ßte Landmaschinen-Hersteller Europas, den hat ja sonst keiner erreichen können. Erz’in:

In Süddeutschland, insbesondere in Bayern, wurde das wel tweit geschätzte Gefährt rasch so beliebt, dass das Wort Bul ldog dort zur Bezeichnung für Traktor überhaupt wurde. W as

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vielleicht nicht nur an den erstklassigen Ackerschle ppern der Firma Lanz lag, sondern auch an den volksnahen W erbespr üchen: 2. Zit.:

Behandle den Bulldog wie Pferd , Ochs und Kuh, dann sparst du viel Geld und hast deine Ruh .

MUSIK: „RURAL FUN“ – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz.:

Nach heutigen Begriffen muss ein ordentliches Fahrzeug mi ndestens 100 PS haben. Insofern war der Urbulldog ein ger adezu lächerliches Vehikel. Einzylinder. Zweitakt. 12 PS. 4,2 Stundenkilometer langsam. Kein Getriebe. Die verbesserte Variante war dann schon 12 km/h schnell und besaß zwei Vorwärtsgänge. Geschaltet werden konnte jedoch nur im Stand, und zum Rückwärtsfahren musste man den Motor ganz abschalten und mit dem ins Schwungrad gesteckten Volant andersherum neu anwerfen. Doch hatte der Bulldog jetzt schon Vierradantrieb und einen sogenannten Knicklenker. Fortschrittlicher ging ’s nicht. W er wollte, konnte den Lanz jetzt auch mit Vollgummireifen bestellen, statt wie bisher nur mit Eisenreifen. Mitte der 20 -er Jahre führte man dann als erstes deutsches Unternehmen auch das Fließband ein und konnte so einen knapp 30 PS starken Bulldog mit je vier Vor und Rückwärtsgängen anbieten, der mit 5800 Mark supergün stig war. Für den wesentlich mickrigeren Vorgänger musste man noch an die 1500 Mark me hr hinblättern.

MUSIK ENDE

Erz’in:

Doch es blieb keineswegs nur beim Lanz -Bulldog. Hatten im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert britische und nordamerikanische Firmen beim Landmaschinenbau die Vorre iter-Rolle gespielt, so gelang Deutschland währe nd der W eimarer Republik der Anschluss an die W eltspitze. Viele Firmen aus dem ganzen Reich waren daran beteiligt. Darunter so gr o-

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ße wie Hanomag oder Deutz, aber auch weniger bekannte wie Martin, Ritscher oder Stock. Einige setzten von Anfang an auf die noch heute übliche, vierrädrige Blockbauweise, andere e xperimentierten mit nur drei Rädern oder mit Raupenketten herum. Beim Motor folgten nur wenige dem Lanz ’schen Vorbild. Die meisten bauten also keine Glühkopfmotoren ein, so ndern Benzinmotoren. Und die Ma rktoberdorfer Traktorschmi ede Fendt wartete 1928 sogar schon mit dem allerersten Di esel-Kleinschlepper Europas auf und nannte ihn, weil sie auf das brandneue Antriebsprinzip so stolz war, Dieselroß. Es brachte gerade mal 6 Pferdestärken aufs Feld, wurde auf Wunsch aber auch schon mit luftgefüllten Gummireifen geli efert. Eine geringe PS -Zahl war damals noch allen Traktoren gemein. In der Regel tucke rten sie mit 6, 8, 12 oder höchstens 15 PS vor sich hin, ganz selten auch schon mal mit 20 oder gar 35 PS. Dementsprechend niedrig war auch ihre Höchstg eschwindigkeit: 4 km, 7 km, 13 km. Da war der Lanz Eilbulldog mit seinen immerhin gut 20 Stundenkilometern tatsächlich ein echter Renner. Doch für Bauern war viel wichtiger, dass der Traktor einen Kriechgang besaß u nd damit von alleine so langsam übers Feld fuhr, dass der abgestiegene Fahrer dan eben herlaufen und beispielsweise Heu auf den Anhänger laden konnte. Erz.:

Die meisten Traktoren waren echte Alleskönner. Sie dienten nicht nur als Schlepper, die vom einfach en Mähbalken oder einer komplizierten Mähmaschine über Pflug, Egge, Drillm aschine oder W alze bis hin zu Heu - und Erntewagen alles Mö gliche ziehen konnten, sondern sie wurden auch als vollwert iger Ersatz für die alten Lokomobile betrachtet. [ATMO: LANDMASCHINE MIT TRANMISSIONSRIEMEN, ÜBERGEHEND IN STARTENDEN BULLDOG] Folglich hatten sie auch eine Riemenscheibe, an die man wie früher bei der Dampfmaschine einen Transmissionsriemen anschließen konnte, der dann e inen Stromgenerator antrieb oder eine Dreschmasch ine oder eine Schrotmühle oder einen Steinbrecher oder eine Bands äge.

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2. Zit.:

Das Streben des modernen Landwirts ist auf die Erlangung e iner Antriebsmaschine gerichtet, die seinen Betrieb wirtschaf tlich gestaltet. Die an solche Maschinen gestellten Anfo rderungen sind: Betriebssicherheit, Zuverlässigkeit, einfachste B edienung. Leichte Beweglichkeit, kräftige Bauart, billige A nschaffung. Kleine Betriebskosten bei Verwendung von billig sten Inlands-Brennstoffen. Keine empfindlichen Teile wie Ma gn e t , V e r g a s e r , V e n t i l . A l l e d i e s e V o r zü g e s i n d i n d e m b e k a n n ten Schweröl-Motor BULLDOG vereint. BULLDOG treibt lan dwirtschaftliche oder gewerbliche Maschinen jeder Art an oder zieht sie mit eigener Kraft von und zu der Arbeitsstätte.

ATMO HOCH / BULLDOG TUCKERT DAVON

ZUSP. 7 : OT -K ÜGOW Gerade unter den Leuten, die Traktoren als Hobby ansehen und nutzen, sollte man beachten, dass es kein Spielzeug ist. Es geht ganz schnell, dass so ’n Ding mal ins Rollen kommt. Und man hört immer wieder mal, dass ein erfahrerener Lan dwirt plötzlich mit seinem Bulldog zu Tode kommt, weil er o ffensichtlich etwas fehleingeschätzt hat. Also es ist ein nicht ungefährliches Teil. Man sollte es mit Respekt bedienen.

MUSIK: „GIPFELJODLER“ – KURT FREI, DARÜBER:

Erz’in:

Im Dritten Reich spielte der Traktor dann eine erstaunlich u nbedeutende Rolle. Normalerweise waren Hitler und seine braunen Paladine höchst technikbegei stert. Im Hinblick auf die Landwirtschaft und die als Reichsnährstand definierte Bauernschaft war das jedoch ganz und gar nicht d er Fall. Da berauschte man sich an einer bis ans Irrationale grenzenden, rückwärtsgewandten Schollenromantik. Hauptverantwortlich dafür war der Mitbegründer der berüchtigten Blut - und Bodenideologie, Reichsbauernführer und Reichsminister für E rnährung und Landwirtschaft, Richard W alter Darré. [MUSIK

– 18 –

ENDE] Auf der Leipziger Landwirtschaftsausstellung von 1935 etwa bellte er: 1. Zit.:

Es wird den deutschen Bauern nicht eher wieder wohl gehen, bis nicht wieder Knechte und Mägde die Sensen schwingen und die Petroleumlampen im Stall über den Ochsen baumeln.

Erz’in:

In einem solchen Klima hatte der Traktor natürlich keine gute Presse. Selbst als mit dem Krieg der Hunger kam, versuchte man die Leistungsfähigkeit des Reichsnährstandes zunächst vor allem durch den ma ssenhaften Einsatz von Ostarbeitern und Kriegsgefangenen zu steigern, aber nicht durch die Nu tzung technischer Möglichkeiten.

Erz.:

Aber erst als der Spuk des Dritten Reiches vorbei war, brach für den Traktor in Deutschland die ganz große Zeit an:

ZUSP. 8 : OT -K ÜGOW Es gab in der Nachkriegszeit einen enormen Bedarf an lan dwirtschaftlichen Produkten. D.h. die Landwirtschaft musste produktiver werden, und da war die Motorisierung eigentlich das Mittel. Das hat dazu geführt, dass Unmengen Traktore nhersteller plötzlich da waren.

ATMO: KANON FÜR 3 TRAKTORENANLASSER W IE AM ANFANG – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz.:

Die Liste dieser Hersteller reichte von A wie Allgaier bis Z wie Zettelmeyer. Insgesamt waren es an die 50 Firmen. Darunter große Traditionsunternehmen wie Lanz und Fendt, Hanomag und MAN, Deutz und Mercedes-Benz. [ATMO ENDE] Andere waren dagegen winzig oder sind längst wieder in Vergesse nheit geraten. Sie hießen MIAG oder W ahl oder Röhr. Oder Nordtrak oder Alpenland. Die beiden letztgenannten schuste rten ihre ersten Traktoren übrigens aus den Teilen g ebrauchter US-Militärfahrzeuge, vor allem Jeeps, zusammen.

– 19 –

MUSIK: THE FABULOUS RURAL BAND „TORTILLA RIDER – OLD COYOTE VERSION“ – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz’in:

Viele dieser Traktorbauer in den Nachkriegs - und W irtschaftswunderjahren waren bayerische Unternehmen. Röhr produzierte in Passau. Hatz ebenfalls. Alpenland in W olfratshausen. Fendt in Marktoberdorf. Eicher in Forstern bei München. Güldner in Aschaffenburg. Bautz im oberschwäbischen Saulgau. Kögel in München. Martin in Memmingen. Primus in Miesbach. S c h l ü t e r i n F r e i s i n g . M A N i n N ü r n b e r g . S u l ze r b e i A u g s b u r g . Kurzum: Im deutschen Traktorkosmos leuchteten die bayer ischen Sterne besonders hell.

MUSIK ENDE / ATMO: TRAKTOR STARTET – DARÜBER:

Erz’in:

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Die deutsche und erst recht die bayer ische Traktorgeschichte können natürli ch nicht isoliert vom Rest der W elt betrachtet werden. Auch andere Länder, wie etwa Frankreich, Italien, die USA oder Großbr itannien, bauten und bauen noch immer W eltklasse -Traktoren. Das hinderte sie allerdings nicht daran, die Produkte der deutschen Konkurrenz ebenfalls zu schätzen. [ATMO ENDE]

ZUSP. 9: OT-SPEER Geh, schau her, Chef. Der is vo der Kistn aussa, der is nage lneu, der ist nagelneu, der is nagelneu. A gebrauchter, und des san drei neie wieder. Des san Lanz -Bulldog gwen - muaßi da erklärn warum : Des san Lanz-Bulldog gwen für W iedergutm achung nachm Kriag für Frankreich. Erz’in:

Insgesamt hat Leo Speer sieben dieser Reparationsbulldogs in seinem Museum stehen. Er hat sie rein zufällig in einem alten Bunker bei Konstanz entdeckt, also in der ehema ls französischen Besatzungszone. Dorthin waren sie offenbar geliefert und dann vergessen worden, ohne je zum Einsatz gekommen zu sein.

– 20 –

Erz.:

Die Traktoren der 1950 -er und 60-er Jahre waren immer noch vergleichsweise leistungsschwach. Aber sie ermöglichten den flächendeckenden motorisierten Einsatz von Arbeitsgeräten wie Mähmaschine, Ladewagen, Odelwagen, Düngerstreuer usw. usf. Und sie waren zuverlässig und leicht zu reparieren, was der Neigung vieler Bauern, Reparaturen selbst durchz uführen, sehr entgegen kam. Viele Einzelteile wie Scheinwe rfer, Kotflügel, ja nicht selten auch Getriebe und Motoren, w aren bei verschiedenen Herstellern oft identisch und deshalb auch bei verschiedenen Modellen verwendbar. Bei den Mot oren trat jetzt endgültig der Dieselmotor de n Siegeszug an. Selbst Lanz stellte 1952 vom Glü hkopf- auf einen sogenannten Halbdiesel-Mitteldruckmotor um. Fast noch wichtiger als die Austauschbarkeit von Bauteilen war freilich, dass man auch die Nutzgeräte verschiedener Hersteller mit so gut wie allen Traktoren kombinieren konnt e.

ZUSP. 1 0: OT -K ÜGOW Das hatte für die Landwirte natürlich einen gewissen Reiz, dass die Traktoren mit Teilen hergestellt waren, die au stauschbar waren. Die Kompatibilität vieler Maschinen, die mit den Traktoren betrieben wurde n, war dadurch gegeben. Als die Motorisierung dann so weit fortgeschritten war, dass e igentlich jeder einen Tra ktor hatte, war natürlich dann noch die Frage, „wir brauchen einen Pflug, der rangehängt wird, wir brauchen eine Egge, wir brauchen eine Scheiben egge, wir brauchen eine Sämaschine und und und. Diese Teile funkti onierten in aller Regel bei fast allen Traktoren. Erz’in:

Der Traktor erleichterte die Landarbeit nicht nur bei uns in e inem bis dato nicht für möglich gehaltenen Maße. In Ländern mit überwiegender Kleinfelderwirtschaft hatte bald jeder Hof seinen eigenen Traktor. In Regionen mit riesigen Anbaufl ächen wie z.B. Nordamerika oder den ehemaligen Ostblocksta aten brauchte man dagegen einen gewaltigen, kollektiv - oder privatwirtschaftlich organisie rten Traktorpark. Unter diesen Bedingungen wurde Traktorfahrer sogar zu einem eigenen B eruf. In den Arbeiter - und Bauernparadiesen sogar zu einem besonders angesehenen.

– 21 –

MUSIK: PHILLIPPE GUEZ/PATRICK MAAREK „CONTRADICTION“ – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz.:

Auch in die Kunst fanden der Ackerschlepper und seine kü hnen Lenker Eingang. Vertreterinnen und Vertreter des sozi alistischen Realismus wie Ljudmila Kostina oder W ladimir Krichatski schwangen beispielsweise gern den Pinsel, um die Ankunft des ersten amerikanischen Fordson -Traktors in der jungen Sowje tunion im Jahre 1919 zu feiern. Zwar handelte es sich dabei um eine techn ische Errungenschaft des Klasse nfeindes, aber die Bolschewiken fabrizierten unverzüglich Raubkopien davon, um ihre marode Landwirtschaft auf Vo rdermann zu bringen. [MUSIK ENDE] Im Übrigen wurde und wird der Traktor im Rahmen der bildenden Künste eher als A rbeitsgerät denn als Modell betrachtet. So pflügt der Italiener Dario Gambarin mit dem Traktor in der Po -Ebene riesige Bilder in die Maisfelder se ines Vaters.

Erz’in:

Auch Eventkünstler setzen sich mitunter ans Steuer eines Traktors. Die Holländerin Manon Ossevoort beispielsweise z ockelt seit 2005 auf einem alten deutschen Ackerschlepper in Richtung Südpol, um dort eine Kiste mit den auf Zetteln ve rewigten Träumen und W ünschen von Leuten abzustellen, die sie auf dem langen Trip getroffen hat.

MUSIK: PHILL IPPE GUEZ/PATRICK MAAREK „CONTRADICTION“ W EITER – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz.:

Das geschriebene W ort gibt sich beim Thema Traktor ziemlich einsilbig. W ohl hat die Sowjetlyrik versucht, was sie konnte, um den Traktor ins rechte Licht zu rü cken – aber das war nicht viel:

– 22 –

MUSIK HOCH

1. Zit.:

Traktoren, Traktoren, und ihr, Traktoristen, Stoßarbeitertrupps, ihr habt Verdienste.

MUSIK HOCH BIS ENDE

Erz’in:

W eniger poetisch lässt sich vermutlich gar nicht dichten. Doch auch in der westlichen Literatur, führt de r Traktor ein Scha ttendasein. Meist kommt es nur zu zufälligen, eher unbede utenden Begegnungen zwischen Mensch und Traktor. So notie rte der Publizist und Autor André Müller einmal:

1. Zit.:

Wie eine nach oben offene Säulenhalle umgibt mich der von schräg einfallenden Lichtbalken erleuchtete Wald. Hier bin ich Mensch. Aber kann ich mir sicher sein, daß das andere auch s o s e h e n ? D e r B e g e g n u n g m i t e i n e m H o l zf ä l l e r , d e r a u f e i n e m Traktor gefahren kommt, weiche ich aus, indem ich mich in i h m w i d e r s p i e g l e . E r s t e i g t a b . E r w e i ß , w a s e r zu t u n h a t . E r ist am richtigen Ort. Das G eräusch seiner Motorsäge wird das Hämmern des Spechts übertönen.

Erz.:

Selbstverständlich geht es auch etwas bedeutungsschwang erer. André Müllers sächsischer Namensvetter Heiner Müller z.B. schrieb ein ganzes Theaterstück mit dem Titel Traktor. Darin wird der Ackerschlepper zum schicksalhaften W er kzeug schmerzhafter Kriegstraumabewältigung hochstilisiert: Bei der Feldarbeit bringt er eine vergessene Mine aus dem Zweiten W eltkrieg zur Explosio n. Der Traktorist verliert dadurch ein Bein und wird so gewissermaßen noch im Nachhinein zum Kriegsinvaliden.

Erz’in:

In der Urfassung von Franz Xaver Kroetz ’ Drama Bauern ste rben, wurde der Traktor sogar zur Mordwaffe. In dem Stück geht es um den Versuch zweier bäuerlicher Geschwister, dem

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in jeder Hinsicht beschränkten Landleben durch Flucht in die Stadt zu entgehen. Und bei der Erstaufführung haben die G eschwister den Traktor nicht nur als Fluchtfahrzeug benützt, sondern damit vorher auch noch den tyran nischen Vater totgefahren. Den Vatermord als geradezu klassisches Emanzipat ionsmoment hat Kroetz später allerdings wieder aus dem Stück - und damit auch vom Traktor - genommen.

MUSIK: PHILLIPPE GUEZ/PATRICK MAAREK „CONTRADICTION“ AUF ENDE - DARÜBER:

Erz.:

Außer in Kinderbüchern kommt der Traktor literarisch eigen tl i c h n i e w i r k l i c h g u t w e g . A u c h d i e K u r ze G e s c h i c h t e d e s T r a k tors auf Ukrainisch endet mit düsteren W orten:

2. Zit.:

Möge (der Leser) niemals der Technik erlauben, ihn zu b eherrschen, und niemals versuchen, mit ihrer Hilfe andere M e n s c h e n zu b e h e r r s c h e n .

MUSIK HOCH BIS ENDE

Erz.:

Sehr originell ist das freilich nicht. John Steinbeck hat de nselben Gedanken in Früchte des Zorns bereits etliche Jahrzehnte früher formuliert. Und das obendrein viel eindrucksvo ller:

1. Zit.:

Die Traktoren kamen über die Straßen und drangen in die Fe lder ein. Dieseltraktoren, die spuckten, wenn sie still standen, und donnerten, wenn sie anfuhren. Stumpfnasige Ungetüme, die kreuz und quer durch das Land fuhren, unbeirrt immer geradeaus. Der Mann, der auf dem eisernen Führersitz saß, sah nicht aus wie ein Mensch; behandschuht, bebrillt, mit einer Staubmaske vor Nase und Mund, war er selbst ein Teil des Ungetüms, ein Roboter am Steuer. Der Fahrer konnte das Land nicht sehen und seinen Duft nicht riechen. Er saß auf e inem eisernen Sitz und trat auf eiserne Pedale. Er kannte das

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Land nicht, es gehörte ihm nicht. Wenn ein Same nicht keimte, ließ es ihn kalt. Doch den Traktor bewunderte er – seine Energie und das Getöse der ex plodierenden Zylinder. Hinter d e m T r a k t o r r o l l t e n d i e b l i t ze n d e n P f l u g m e s s e r u n d z e r s c h n i t ten die Erde. Das war schon kein Pflügen mehr, sondern ein chirurgisches Aufschneiden. Der Fahrer saß auf seinem E isensitz und war stolz auf die geraden Furchen, die ohne seinen Willen entstanden, stolz auf den Traktor, der ihm nicht gehörte und den er nicht liebte, stolz auf diese mechanische Kraft, über die er keine Gewalt hatte. Und wenn diese Ernte gereift und eingebracht war, hatte kein Mensch die heiße A c k e r k r u m e m i t d e r H a n d ze r b r ö c k e l t u n d s i c h d u r c h d i e F i n ger rieseln lassen. Keiner hatte den Samen berührt und keiner sein Wachstum herbeigesehnt. Die Menschen aßen, was sie nicht eigenhändig gesät hatten, und nichts verband sie mit i hrem Brot. Erz’in:

Auch jenseits der schönen Künste begannen viele Menschen den Traktor mit der Zeit zu verfluchen. Denn er erleichterte nicht nur die Arbeit, sondern veränderte im Zusammenspiel mit all den anderen Maschinen auch die bäuerliche Gesel lschaft von Grund auf. Mägde, Knech te und andere Handlanger des bäuerlichen Umfelds machte er völlig überflüssig. Und der Bauer, ehedem angesehener, oft auch gefürchteter Patriarch und Mittelpunkt einer vielköpfigen Hofg emeinschaft, fand sich plötzlich als Einsiedler auf dem Traktorsitz wi eder.

ATMO: TRAKTOR STARTET, GANG W IRD KRACHEND EINGELEGT, MOTOR GEHT AUS

Erz.:

Die Blütezeit des deutschen Traktors war jedoch nur von ku rzer Dauer. Einmal weil bereits gegen Ende der W irtschaft swunderjahre langsam das große Bauernsterben begann, und zum anderen, weil es einfach zu viele Produzenten gab. Als jeder Bauer seinen Traktor hatte, ging fast zwangsläufig ein Hersteller nach dem anderen wieder pleite. Dieser Prozess zog sich quälend langsam, aber unaufhaltsam bis zur Jahrta u-

– 25 –

sendwende hin. 1998 musste sogar der international äußerst renommierte Freisinger Traktorhersteller Schlüter aufgeben. Manche Unternehmen wurden auch von internationalen Gro ßkonzernen geschluckt. So wurde Lanz bereits 1956 vom am erikanischen W eltmarktführer John Deere übernom men. Heute sind von den großen deutschen Traktorherstellern nur noch Fendt und Deutz-Fahr übrig. Und das auch nur noch dem N amen nach. Denn de facto gehört Deutz -Fahr seit 1995 zur italienischen Same-Gruppe und Fendt seit 1997 zum amerikan ischen AGCO-Konzern.

MUSIK: PHILLIPPE GUEZ/PATRICK MAAREK „PLURAL“ – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz.:

Doch es gibt eine riesige, weiterhin ständig wachsende Fa ngemeinde, die sich der Pflege historischer Traktoren ve rschrieben hat. Ihre Mitglieder spüren alte Traktoren auf und richten sie liebevoll wieder her. Veranstalten Treffen, Börsen, Sternfahrten und sportliche W ettbewerbe, wie Traktorziehen oder Geschicklichkeitsprüfungen. Sie geben Fachzeitschriften heraus, kommunizieren miteinander im Internet. Schließen sich in Vereinen zusammen, helfen sich gegenseitig bei der oft schwierigen Ersatzteilsuche etc. pp. Die Traktormanie ist wie eine Infektionskrankheit, die einen schleichend befällt und dann nie mehr loslässt. [MUSIK ENDE]

ZUSP. 1 1: OT -K ÜGOW Ich kann nicht 100%-ig sagen, wo das entstanden ist. Ich hab so’n paar Erinnerungen: Ich hab 1972 in Israel im Kibbuz g earbeitet und hatte da die etwas seltsame Aufgabe, mit einem alten Ford-Traktor tote Hühner zum Krematorium zu fahren. Und hab’ mich mit dem Traktor so angestellt, da ss die dachten: „Huch, der kann das.“ Und dann kriegte ich einen John Deere-Dreiachser und habe riesige Hänger gezogen, um Pa mpelmusen aus dem Hain zu ziehen. Und das hat Höllenspaß gemacht. Die Beherrschung dieser großen Maschinen war toll.

– 26 –

Erz.:

Seitdem kreisten Detlef Kügows Gedanken immer wieder mal um Traktoren. Aber es dauerte noch rund zwei Jahrzehnte, ehe die Krankheit voll au sbrach.

ZUSP. 1 2: OT -K ÜGOW Dann kam die Idee, für Dacharbeiten einen Traktor mit Fron tlader zu suchen, dann kam ein Massey -Ferguson zu einem runden Geburtstag als Geschenk meiner Eltern – und parallel habe ich ein Schnäppchen entdeckt: Einen Primus Einzylinder. Und der hat dann endgültig den Traktorvirus siegen lassen und seitdem beutelt er mich und ich bin glücklich mit. Erz.:

Manche kommen offenbar mit diesem Virus schon auf die Welt:

ZUSP. 13: OT-LEO SPEER I bin einfach für des geboren. Als Bua scho. Ghaut bini wordn. Z’ Heiligenberg hamms 1954, da bini in d ’Schul ganga, da bini auf an Baum aufigstiegen. Da hats ghoaßn, da Gra f von Schönau (?) kimmt mitam schwaren Unimog zum Baum au sackern, derweil war des a 25er Unimog ... Erz’in:

Leo Speer ist nicht nur vom Traktor -, sondern vom Landmaschinenvirus überhaupt schon so lange befallen, wie er de nken kann. Als Kind hat er die Schu le geschwänzt, um sich au fregende Aktionen von Dampfmaschinen, Traktoren oder Unimogs anzuschauen. Mit 16 hat er sich den ersten g ebrauchten Lanzbulldog zugelegt. Aber weil er als Vollwaise damals unter Vormundschaft stand, musste er den Bulldog auf W eisung seines Vormunds wieder zurückgeben. Als er dann mit 21 volljährig war, hat er so lange Nachforschungen ang estellt, bis er genau diesen Bulldog wieder gefunden hatte und erneut kaufen konnte.

Erz.

Sind solche Leute besessen? Bis zu einem gewissen Grad s icherlich. Detlef Kügow besitzt inzwischen 5 alte Traktoren und liebäugelt mit der Anschaffung eines sechsten. Leo Speer konnte mit den Objekten seiner Leidenschaft gar ein ganzes Museum ausstatten. W as aber fängt man mit alten Traktoren überhaupt an?

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ZUSP. 1 4: OT -K ÜGOW Sie arbeiten zum Teil noch. Der eine darf mähen, der andere darf Transporte machen, der dritte darf zum Einkaufen fahren. Aber sie werden nicht mehr geschunden. Es passiert mal was, da muss man was reparieren, aber so richtig große Reparat uren, toi, toi, toi, hatte ich bisher noch nicht. Für viele ist das die Herausforderung.

MUSIK: PHILLIPPE GUEZ/PATRICK MAAREK „PLURAL“ – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz’in:

Zu denen gehört Leo Speer. Er tüftelt, bastelt, schleift, schraubt, flext, bohrt fräst, l ackiert. Tagein, tagaus. Er sucht den einschlägigen Markt pausenlos nach Ersatzteilen ab - und wenn er keine findet, baut er sie entweder selber nach oder sucht eine Firma, die es kann. Und wenn ein altes Prachtstück nach all den Mühen dann endlich wieder dasteht wie neu, kann es schon vorkommen, dass er vor lauter Freude eine Dampf und eine Dreschmaschine mit dem Bulldog zu einem befreu ndeten Bauern zieht, und dort dann eine ganze jauchzende Horde wie früher das Korn mit Dampfkraft drischt.

Erz.:

Natürlich haben auch Besessene erklärte Lieblinge. Bei Leo Speer sind es die alten Lanz-Bulldogs. Nicht von ungefähr wird er überall nur der Lanz-Leo genannt. [MUSIK ENDE] Und Detlef Kügow?

ZUSP. 1 5: OT -K ÜGOW Bei mir ist’s so, dass vier Traktoren halt nicht gerade vor der Haustüre stehen, und ich sie nicht so oft zur Verfügung habe. Zu denen habe ich ‘n anderes Verhältnis als zum Fridolin. Fridolin heißt mit Nachnamen Porsche. Fridolin Porsche steht nicht so weit weg und der wird am meisten benutzt. Ich glaub, dass mir der am meisten ans Herz gewachsen ist, der Po rsche. Auch wenn ich mich selbst drauf sitzen sehe, das sieht aus ein bisschen wie ein Affe aufm Schleifstein, weil der hat ‘ne Größe, die eher zu Kindern passt.

– 28 –

Erz’in:

Nein, auch Porsche war sich nicht zu schade, einst seinen Namen für Traktoren herzugeben. Darum liefen zwischen 1956 und 1964 in Friedrichshafen rund 50000 feuerrote Traktoren vom Band, die auf der elegant geschwungenen Motorabd eckung den stolzen Schriftzug Porsche -Diesel trugen. Sie sind heute in Sammlerkreisen besonders beliebt und ihre Fahrer können mit Fug und Recht behaupten, Besitzer eines echten Porsche-Diesel-Cabrios zu sein.

ATMO: MODERNER TRAKTOR BEI DER ARBEIT – DARÜBER:

Erz.:

Verglichen mit heutigen Traktoren sind auch diese Po rsches trotz des großen Namens technische Dinosaurier. Das heutige Spitzenmodell des amerikanisch-bayerischen Anbieters Fendt z.B. hat einen 360 PS starken Dieselmotor und ist mit 60 Stundenkilometern der schnellste Standardtraktor der W elt. Das stufenlose Getriebe sowie alle Motorfunktionen werden automatisch von einer Elektronik gesteuert. Die Fahrerkabine ist pneumatisch gefedert, vollklimatisiert und kann beim Rückwärtsfahren einfach um 180 Grad gedreht werden. Der Fahrer sitzt ergonomisch bequem, kann alle Arbeitsvorgänge per Farbdisplay überwachen und mit einem Joystick steuern. Und damit sein Gefährt z.B. beim Pflügen immer den optim alen Kurs hält, gibt es an Bord auch noch ein GPS -gestütztes Spurführungssystem.

MUSIK: PHILLIPPE GUEZ/PATRICK MAAREK „PLURAL“ – KURZ FREI, DARÜBER:

Erz’in:

Doch von solchen High -Tech-Acker-, W ald- und W iesenboliden halten die Liebhaber historischer Traktoren natürlich gar nichts. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Es fehlt den m odernen an Persönlichkeit. Die alten Trak toren dagegen sind nach heutigen technischen Standards zweifellos unsäglich u nvollkommene und unkomfortable Gefährte. Aber sie besitzen einen unwiderstehlichen, individuellen Charme, der beim pa s-

– 29 –

sionierten Traktoristen nachgerade para -amouröse Gefühle auslösen kann: [MUSIK ENDE]

AT MO: EINE R VON K ÜGOW S TRA KTORE N W IRD GESTA RTET – DARÜBER:

ZUSP. 1 6: OT -K ÜGOW E i n e h ä u f i g a n m i c h g e s t e l l t e F r a g e l a u t e t : „W a s m a c h s t d u eigentlich mit diesen Traktoren? “ Und dann antworte ich in a ller Regel: „streicheln!“ Manchmal ist es wirklich so: „Hallo, Oskar, wie geht ’s?“ Muss man machen, Kotflügel streicheln, Motorhaube streicheln. Hilft dem Traktor wahrscheinlich über kleine W ehwehchen hinweg. Und für einen selbst ist ’s vielleicht auch gut.

ATMO HOCH / MOTOR GEHT AUS

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