Angewandte Psychologie

Angewandte Psychologie Eine Einführung anhand der wissenschaftlichen Biografie William Sterns Univ.-Prof. Dr. Gerhard Benetka William Stern 1871-193...
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Angewandte Psychologie Eine Einführung anhand der wissenschaftlichen Biografie William Sterns Univ.-Prof. Dr. Gerhard Benetka

William Stern 1871-1938

Louis William Stern Lebensdaten • geb. 29. April 1871 in Berlin; als Einzelkind in einer assimilierten jüdischen, bürgerlichen, aber wenig begüterten Familie aufgewachsen; • Besuch des Köllnischen Realgymnasiums (BerlinMitte); Abitur im September 1888; • WS 1888/89 Beginn des Studiums der Philosophie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin • Lehrer: Friedrich Paulsen (1846-1908); ab 1890 in der Psychologie Moritz Lazarus (1824 -1903) und dann v. a. Hermann Ebbinghaus (1850-1909)

Louis William Stern Lebensdaten • Promotion zum Dr. phil. 1893 (Die Analogie im volkstümlichen Denken) • 1893-1896: wahrnehmungspsychologische Studien (experimentelle Untersuchungen zur Wahrnehmung von Helligkeitsveränderungen, zum Bewegungssehen, zur Wahrnehmung von Tonveränderungen und zur psychischen Präsenzzeit) als Privatgelehrter; • Habilitation an der Schlesischen FriedrichWilhelms-Universität in Breslau bei Ebbinghaus (seit 1894 dort Professor) 1897

Louis William Stern Lebensdaten • Habilschrift: Theorie der Veränderungsauffassung • Habilvortrag im Juli 1897: Aufgaben und Methoden einer Psychologie der individuellen Differenzen

Louis William Stern Lebensdaten • 1899: Stern heiratet Clara Joseephys • Kinder: Hilde (geb. 1900) Günther (geb. 1902) Eva (geb. 1904)

Elterntagebücher Clara Stern beginnt mit der Geburt der Tochter Hilde Tagebuchaufzeichnungen über das Heranwachsen ihrer Kinder zu führen; letzter Eintrag: 23.2.1918; 4834 Manuskriptseiten zu 24 Bänden gebunden

Beiträge zur Kinderpsychologie • William und Clara Stern: Die Kindersprache (1906) • William und Clara Stern: Erinnerung, Aussage und Lüge in der frühen Kindheit (1909) • William Stern: Psychologie der frühen Kindheit bis zum sechsten Lebensjahr (1914)

Streben nach Weltanschauung: um 1900 Beginn der Ausarbeitung des Systems des „Kritischen Personalismus“

Publikationen Person und Sache Bd. 1: Ableitung und Grundlehre des kritischen Personalismus (1906) Bd. 2: Die menschliche Persönlichkeit (1918) Bd. 3: Wertphilosophie (1924)

Wegbereiter der Angewandten Psychologie in experimentellen Untersuchungen Entdeckung verschiedener Urteilstypen: Ein Beitrag zur differentiellen Psychologie des Urtheilens (1900a) Über Psychologie der individuellen Differenzen (1900b) Neuauflage 1911 unter dem Titel: Die differentielle Psychologie in ihren methodischen Grundlagen

Wegbereiter der Angewandten Psychologie • erste Ansätze zu einer experimentellen Psychologie der Aussage: Die Psychologie der Aussage (Experimentelle Untersuchungen über Erinnerungstreue). Abgedruckt in der Zeitschrift für die gesamte Strafwissenschaft, Bd. 22 • 1903 bis 1906: zum Abdruck von einschlägigen Forschungsarbeiten lässt Stern eine eigene Zeitschrift Beiträge zur Psychologie der Aussage erscheinen.

Wegbereiter der Angewandten Psychologie • 1906 Gründung des Instituts für angewandte Psychologie und psychologische Sammelforschung im Rahmen der seit 1904 bestehenden Gesellschaft für experimentelle Psychologie in Berlin; faktische Leitung obliegt dem Sekretär des Instituts: Otto Lipmann (1880-1933)

Otto Lipmann (1880-1933) • von 1899 bis 1904 Studium der Philosophie und Psychologie in München, Berlin und Breslau • 1904 Promotion bei Hermann Ebbinghaus in Breslau • Bis 1906 Zusammenarbeit mit Stern in Breslau an Problemen der angewandten Psychologie • Übersiedelung nach Berlin • Lipmann leitet de facto das Berliner Institut; und er finanziert es aus seinen eigenen privaten Mitteln

Institut für angewandte Psychologie und psychologische Sammelforschung Aufgabenbereiche (Programm): • Integration laufender und Initiierung neuer angewandter Forschungsprojekte • Aufbau eines Archivs psychologischer Methoden und psychologischer Untersuchungsmaterialien • Entwicklung eines Angebots wissenschaftlicher Dienstleistungen (Auftragsforschung)

von 1907 an geben William Stern und Otto Lipmann gemeinsam die neue Zeitschrift für angewandte Psychologie und psychologische Sammelforschung heraus

Entwicklung des Instituts • 1916: Rückzug der Gesellschaft für experimentelle Psychologie als Träger • 1920: Eingliederung des Instituts in das Berliner Institut für Psychologie – Konkurrenz zur schon bestehenden Abteilung für Angewandte Psychologie unter Hans Rupp) • 1921: Umbenennung in Sammel- und Forschungsstelle für angewandte Psychologie • 1922: neuer (SPD-naher) Träger: Gesellschaft zur Förderung der angewandten Psychologie e. V.

Entwicklung des Instituts • Dezember 1932: Lipmann erhält einen Lehrauftrag an der Berliner Universität für „Psychologie der Arbeit“ • „Machtergreifung“ der Nazis 1933: Lipmann verliert seinen Lehrauftrag; Redaktion der Zeitschrift für angewandte Psychologie wird ihm entzogen, das Institut im Herbst 1933 von einem SA-Trupp verwüstet; • Lipmann begeht am 7.10.1933 Selbstmord

William Stern biografische Daten - Fortsetzung • 1905: Ebbinghaus wird von Breslau nach Halle berufen; • 1907: Stern erhält die Leitung des psychologischen Laboratoriums übertragen; Ernennung zum Extraordinarius für Philosophie und Psychologie in Breslau

USA-Reise 1909 20 Jahre-Jubiläum der Clark University in Worcester, Mass.; Feierlichkeiten vom 6. bis 12.9.1909 auf Einladung des Rektors Granville Stanley Hall (1844-1924); Stern reist anstelle von Ebbinghaus (+ 26.2.1909) Schiffsreise gemeinsam mit Freud, Jung und Ferenczi

von 1909 an gemeinsam mit Ernst Meumann Mitarbeit am (konservativen) Bund für Schulreform

Ernst Meumann 1862-1915

Gegen Freud • 1901 Rezension von Freuds Traumdeutung in der Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane • Breslauer Erklärung anlässlich der konstituierenden Sitzung der Sektion für Jugendkunde im Bund für Schulreform vom 5. Oktober 1913

Denn das Psychoanalysieren kann zu einer dauernden psychischen Infektion des Betroffenen mit verfrühten Sexualvorstellungen und -gefühlen und somit zu einer ‚Entharmlosung‘ führen, die ein schwere Gefahr für unsere Jugend darstellt. Die etwaigen von den Psychoanalytikern behaupteten Erziehungserfolge der Methode stehen in keinem Verhältnis zu dem verheerenden Schaden, der durch sie in der unentwickelten Seele angerichtet wird.

„Die Freudsche Psychoanalyse – speziell in ihrer Anwendung auf das Kind – ist nicht nur eine wissenschaftliche Verirrung, sondern eine pädagogische Versündigung.“ William Stern, Die Anwendung der Psychoanalyse auf Kindheit und Jugend (1914)

1925 in der Vossischen Zeitung: Die Tragödie Hug-Hellmuth. Die Kinder-Psychoanalyse

Hermine Hug-Hellmuth 1871-1924 wird am 9. September 1924 von ihrem Neffen und Ziehsohn Rudolf Otto Hug ermordet

Berufung nach Hamburg 1916 Ruf an das Hamburger Kolonialinstitut für Vorlesungswesen Ordinariat für Philosophie insbes. Psychologie Nachfolge Ernst Meumann (gest. 1915) Stern übernimmt als Direktor das Philosophische Seminar und das angeschlossene Psychologische Seminar

Erster Weltkrieg Psychotechnik: • Zusammenarbeit mit dem Militär: Eignungsprüfungen an Flugzeugpiloten • März 1917 im Auftrag der Berufsberatungsstelle Altona: Auswahl von drei StraßenbahnFahrerinnen; das von Stern entwickelte TestKonzept wird nach Kriegsende in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Verkehrs weiter verwendet

Stern setzt sich nach Kriegsende für die Umwandlung des Hamburger Kolonialinstituts in eine Universität ein; nach der offiziellen Gründung wird das Psychologische Seminar in ein eigenständiges Psychologisches Institut umgewandelt, die Psychologie wird zu einem eigenständigen Prüfungsfach

Mitarbeiter • • • •

Heinz Werner (1890-1964) Martha Muchow (1892-1933) Erich Stern (1889-1959) von 1919-1921 Curt Bondy (1894-1972) kurzzeitig; wird 1950 Sterns Nachfolger in Hamburg • Fritz Heider (1896-1988) 1927-1930

Arbeitsschwerpunkte Bemühen um die Ausbildung von Schulpsychologen: im WS 1921/22 ein erster Sonderlehrgang für interessierte Lehrer

Arbeitsschwerpunkte Schülerauslese William Stern, Die Intelligenz der Kinder und Jugendlichen und die Methoden ihrer Untersuchung (erstmals 1912) – Erfindung des „Intelligenzquotienten“ Entwicklung eines eigenen Ausleseverfahrens, das quantitative Testdaten mit qualitativen Beobachtungsdaten kombiniert; findet breiten Einsatz im Schulwesen

Arbeitsschwerpunkte Durchführung berufspsychologischer Eignungsprüfungen für privatwirtschaftliche Unternehmen; stößt gegen Ende der zwanziger Jahre zunehmend auf Ablehnung und Kritik seitens der organisierten Arbeiterbewegung

Stern am Höhepunkt seiner akademischen Karriere • September 1929 Teilnahme am IX. Internationalen Kongress für Psychologie an der Yale University in New Haven (Connecticut) • April 1931: Durchführung des 12. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychologie; Stern wird zum Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Psychologie gewählt • September 1931 Teilnahme am VII. Internationalen Kongress für Psychotechnik in Moskau

Entlassung und Emigration • Versetzung in der vorzeitigen Ruhestand aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom April 1933 (mit 31.7.1933) • Otto Lipmann (7.10.1933) und Martha Muchow (29.9.1933) begehen Selbstmord

Entlassung und Emigration • Emigration zunächst nach Holland, Ende Juli 1934 dann weiter in die USA; Stern wird Visiting Professor an der Duke University in Durham/North Carolina • Tochter Hilde schließt sich der illegalen KPD an, wird verhaftet und wegen Beihilfe zum Hochverrat zu einer Gefängnisstrafe verurteilt; nach ihrer Freilassung 1937 Emigration über Holland in die USA

Entlassung und Emigration • 1935 erscheint Stern letztes großes Werk, seine Allgemeine Psychologie auf personalistischer Grundlage in einem holländischen Verlag • 27.3.1938 William Stern erliegt in Durham einem Herzinfarkt.

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