AGENS METHODEN WORKSHOP 2017

Abstract-Heft

Abstract-Heft

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, VORTRAGSSESSION 13:00-14:30

Sigrid Mohnen “Die Niederlande macht’s möglich: Longitudinal health claims, tax registration, municipal registry, and neighborhood data under one roof. Describing the NeCo project design.“

Background The National Institute for Public Health and the Environment of The Netherlands awarded the three-year research project ‘S/ 2015-036 Neighborhood & Costs (NeCo) A Dutch Nationwide Longitudinal Data Analysis on the Impact of Neighborhood Characteristics on Health Care Costs.’ to dr. Sigrid M. Mohnen. Mohnen has a background in social neighborhood health research and health economic research. In NeCo she combines both fields and collaborates with colleges of her institute who are experts on health effects of the physical environment.

Objective The project is uniquely suited to examine the causal effects of neighborhood characteristics on health care costs by answering this research questions: 1. Is there a causal relationship between neighborhood and health and health care costs? 2. Which neighborhood characteristics (physical, social, and economic) affect health and health care costs? 4. What is the additional value of using neighborhood characteristics in cost prediction models over the prevailing determinants?

Method Mohnen will elaborate on her experiences of combining several different data sources in one project at one place (Statistics Netherlands). Longitudinal health claims data from Vektis (all health insurers of the Netherlands), extramural medication data, tax registration (household income), municipal registry (home address, relocation date, size of household, country of origin, and marital status) and social, economic, and physical neighborhood data will be linked longitudinally using the Citizen Service Number as a linking variable on the individual level and a neighborhood code at the neighborhood level. The innovative aspect of the NeCo project is the quasi-experimental research design, by which we study movers (=people who moved) retrospectively in order to understand the causal effect of the neighborhood context on health care costs with longitudinal data. Health care utilization and spending will be studied from 2008 to 2014. People that moved in 2009 are of interest and will be compared with people that didn’t move.

Discussion Mohnen likes to discuss the study design and in particular three challenges of the first research question. First, length of exposure: Concentrating merely on the movers that lived at only two different addresses from 2008 to 2014 would produce a very specific and selective group of people. Second, shock effect of moving: Everybody with experiences in moving knows how time and resource consuming moving is. This might also affect consumption of health care before, and several months after the move. Third, selection effect: Moving is a decision that depends on personal interests, resources, and in some particular situations also on health. Furthermore, the reasons to move to a similar neighborhood or one that is different might be associated with health care utilization and costs and, thus, might be responsible for differences in costs between the movers and the control group. Because we are dealing with a natural experiment, it is not possible to find out what would have happened to an individual of the mover group if he or she would have been (at the same time) in the control group instead (=causal inference). Movers are not, as in an experiment, selected randomly and are therefore potentially systematically different from the non-movers.

Conclusion Mohnen likes to share inside experiences of working with Dutch big data and hopes to learn from a fruitful discussion at AGENS.

1

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, VORTRAGSSESSION 13:00-14:30

Angelika Fehr, Sabrina Hense, Thomas Ziese “Europäische Kernindikatoren für Gesundheit: Status und Weiterentwicklung“ Auf nationaler Ebene sind Gesundheitsdaten und ‐informationen aus validen und vergleichbaren Quellen Grundlage für eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik. Internationale Vergleiche von Daten stellen bis heute ein Problem dar. Grund hierfür ist die Unterschiedlichkeit in der Erhebung, Aufbereitung und Präsentation von Gesundheitsdaten. Über die nationale Gesundheitsberichterstattung hinaus ermöglichen internationale und europäische Vergleiche es den Akteuren des Gesundheitswesens jedoch, nationale Ergebnisse mit Blick auf andere Länder einzuordnen. Unter Berücksichtigung wissenschaftlicher und gesundheitspolitischer Anforderungen entwickelten nationale Expertinnen und Experten aus Europa und internationalen Organisationen 88 europäische Kernindikatoren für Gesundheit (European Core Health Indicators, ECHI‐ Shortlist) und unterstützten die Mitgliedstaaten bei ihrer Implementierung. Die Indikatoren bilden Themen von besonderer Public Health‐Relevanz aus fünf Themenkomplexen ab: Demografie und sozioökonomische Lage, Gesundheitsstatus, Gesundheitsdeterminanten, Versorgung und Gesundheitsförderung. Die Shortlist ist in drei Sektionen entsprechend des Umsetzungs‐ und Entwicklungsstatus‘ der Indikatoren aufgeteilt. Die Aufnahme eines neuen Indikators bzw. ein Transfer zwischen den Sektionen erfolgt auf der Grundlage eines konsentierten Kriterienkatalogs. Für alle Indikatoren liegen Dokumentationsbögen und für einen Großteil strukturierte Anmerkungen zu ihrer Vergleichbarkeit vor. Für über 50 der 88 Indikatoren liegen Daten aus europaweiten Erhebungen vor. In zahlreichen europäischen Staaten werden ECHI‐Indikatoren für das nationale Gesundheitsmonitoring verwendet. Im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes werden Daten für Deutschland präsentiert, die nach den Definitionen der ECHI‐Shortlist aufbereitet wurden. Standardisierte Datenerhebungen auf der Grundlage europäischer Gesundheitsindikatoren bilden einen eindeutigen Mehrwert für die Gestaltung nationaler und europäischer Forschungs‐ und Gesundheitspolitiken. Im Rahmen des EU‐ geförderten BRIDGE‐Health‐Projektes (2015‐2017) überarbeitet das Robert Koch Institut in enger Zusammenarbeit mit dem niederländischen Public Health Institut die ECHI‐Shortlist. Grundlage hierfür sind wissenschaftliche und methodische Entwicklungen ebenso wie veränderte Informationsbedürfnisse der Public Health ‐Akteure. BRIDGE‐Health bringt 31 Partner aus 16 Ländern und europäische Projekte zu Untersuchungssurveys, Umwelt und Gesundheit, reproduktiver Gesundheit, Registererhebungen und Gesundheitssystemevaluation zusammen. Die Aktivitäten sind eingebettet in die Zielsetzung, ein nachhaltiges europäisches Gesundheitsinformationssystem aufzubauen. Die (Weiter‐)Entwicklung der europäischen Kernindikatoren für Gesundheit ist ein wesentlicher Schritt hin zu einer umfassenden, differenzierten, vergleichbaren und politikvorbereitenden Abbildung von Gesundheit in Europa. BRIDGE‐Health leistet hier einen Beitrag zur Objektivierung und wissenschaftlichen Orientierung gesundheitspolitischer Diskussionen auf nationaler sowie internationaler Ebene. Der Aufbau eines europäischen Gesundheitsinformationssystems kann die Nachhaltigkeit der Datenerhebungen und die Weiterentwicklung von Indikatoren mit einer umfangreichen Beteiligung aller Mitgliedstaaten an diesem Prozess sicherstellen.

2

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, VORTRAGSSESSION 14:50-15:50

Claudia Westermann, Madeleine Dulon, Dana Wendeler, Albert Nienhaus “Hepatitis-C-Infektionen bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst - Trendaussagen zu den Kosten auf Basis des Datenbestands der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege“ Hintergrund Berufsbedingte Hepatitis‐C (HCV) Infektionen können zu schwerwiegenden Erkrankungen führen. Aufgrund des potenziell schweren Krankheitsverlaufs und der hohen Kosten, die damit verbunden sind, ist die erfolgreiche Behandlung der chronischen Infektion wichtig (Gordon et al. 2012, Younossi et al. 2014). Mit den direkt antiviral wirksamen Medikamenten (direct antiviral agents, DAA) der zweiten Generation stehen den HCV‐Infizierten heute vielversprechende orale Therapiekombinationen zur Verfügung (Sarazin et al. 2015).

Ziel In dieser Studie wird die Kostenentwicklung für berufsbedingte Hepatitis‐C‐Infektionen auf Basis der Abrechnungsdaten der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) untersucht

Methode Für die Sekundärdatenanalyse wurden drei verschiedene Datenquellen (Versicherungsfälle, Entschädigungsleistungen, Minderung der Erwerbstätigkeit) über das Aktenzeichen des Versicherten zusammengeführt. Die Auswertung basiert auf einer Stichprobe von Versicherten, deren HCV‐Infektion als Berufskrankheit (BK) zwischen 1996 und 2013 anerkannt wurde. In der Auswertung werden Buchungen berücksichtigt, die zwischen dem 1.1.2000 und dem 31.12.2014 (Stichtag der Stichprobenziehung) angefallen sind. Die angefallenen Kosten wurden über den Beobachtungszeitraum von 15 Jahren aufsummiert.

Ergebnisse In den Jahren 1996 bis 2013 wurden insgesamt 3.230 Anzeigen auf Verdacht einer beruflich bedingten HCV‐Infektion bei der BGW erfasst. Im selben Zeitraum sind 1.121 Verdachtsanzeigen als BK anerkannt worden. Über die Zeit betrachtet, ging die Zahl der gemeldeten und anerkannten Fälle um 73 % bzw. 86 % zurück. Zum Zeitpunkt der BK‐Anzeige war die Mehrheit der Versicherten mit einer als BK anerkannten HCV‐Infektion weiblich, älter als 40 Jahre und übte einen medizinisch‐pflegerischen beruf aus. Im untersuchten Zeitraum betrugen die Entschädigungsleistungen insgesamt 87,9 Millionen Euro. Davon entfielen knapp 60 % auf Rentenzahlungen (51.570.830 €) und ca. 15 % auf Ausgaben auf Ausgaben für Arznei‐ und Heilmittel (12.978.318 €). Während die Leistungen für Renten über den gesamten Zeitraum stetig gestiegen sind, gab es für die Aufwendungen für Medikamente vor allen in den Jahren 2012 und 2014 hohe Steigerungsraten. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Reha) machten in allen Jahren weniger als 1 % aus.

Diskussion Für die HCV‐Infektionen als BK ist in den vergangenen Jahren ein erheblicher Kostenanstieg bei deutlich rückläufiger Anzahl der Meldungen zu beobachten. Dieser Anstieg wird zum einen durch die Kostenentwicklung für die medizinische Reha, vermutlich durch die Kosten für antivirale Medikamente, und zum anderen durch die Entschädigungsleistungen für BK‐Renten erklärt.

Schlussfolgerungen Trotz der noch hohen Kosten für die medikamentöse Therapie der HCV‐Infektionen sind durch die effektive Behandlung der Infektion langfristig Kosteneinsparungen für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sowie für die sozialen Sicherungssysteme zu erwarten.

Literatur Gordon et al. Impact of disease severity on healthcare costs in patients with chronic hepatitis C (CHC) virus infection. Hepatology (Baltimore, Md). 2012;56(5):1651‐60. Younossi et al. Impact of interferon free regimens on clinical and cost outcomes for chronic hepatitis C genotype 1 patients. Journal of hepatology. 2014;60(3):530‐7 Sarrazin et al. Aktuelle Empfehlung zur Therapie der chronischen Hepatitis C S3 guideline hepatitis C addendum. Zeitschrift für Gastroenterologie 2015;53:320‐34.


3

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, VORTRAGSSESSION 14:50-15:50

Maike Schulz, Jörg Bätzing-Feigenbaum, Dominik Graf von Stillfried “Entwicklung des indikationsbezogenen Einsatzes von Antibiotika im ambulanten Sektor (2010-2014)“

Antibiotika sind ein essentieller Bestandteil der modernen Pharmakotherapie und bei schweren Infektionen oft lebensrettend. Gleichzeitig wird der teilweise undifferenzierte Einsatz von Antibiotika im Zuge „banaler“ oder gar viraler Infektionen und den daraus resultierenden möglichen Erregerresistenzen (z.B. MRSA) diskutiert. Auch wenn alle Sektoren durch einen unkritischen Antibiotikaeinsatzes ihren Beitrag leisten, steht in dieser Analyse der ambulante Sektor im Fokus. Zur Entwicklung gezielter Interventionsmaßnahmen ist jedoch die Beobachtung des allgemeinen Verbrauchs nicht differenziert genug. Deshalb wird das indikationsspezifische Verordnungsverhalten analysiert, wobei zur Bewertung der Ergebnisse zusätzlich die ESAC‐Indikatoren einbezogen werden. Die Auswertungen basieren sowohl auf den vertragsärztlichen Abrechnungsdaten gemäß § 295 SGB V als auch den Arzneiverordnungsdaten (AVD) gemäß § 300 Abs. 2 SGB V der Jahre 2010‐2014, welche bundesweit und kassenübergreifend vorliegen, wobei der Fokus primär auf den hausärztlichen Bereich gelegt wurde. Als Einschlussdiagnosen wurden unter anderem Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege, Pneumonien sowie unkomplizierte Harnwegsinfekte berücksichtigt. Als quasi Negativmarker wurde auch die Influenza ohne gleichzeitig kodierte bakterielle Infektionen untersucht. Allerdings sind die Diagnosedaten im Gegensatz zu den Arzneiverordnungsdaten, welche taggenau vorliegen, nur quartalsgenau verfügbar. Daher wurde für jedes Quartal auf Patientenebene eine Zuordnung von Erkrankung und Verordnung vorgenommen, welche darauf basierte, dass neben der zu betrachtenden Diagnose keine weiteren antibiotikarelevanten Erkrankungen vorlagen und die diagnosestellende Praxis auch die verordnende Praxis ist. Auf Grund der besonderen Situation und teilweise abweichenden Empfehlungen wurden auch Patientinnen, die im Diagnosequartal ebenfalls eine Diagnose aus dem Bereich Schwangerschaft und Wochenbett erhielten, ausgeschlossen. Indikationen, bei denen primär eher von einer Antibiose abgesehen werden kann, weisen 2014 durchgängig eine geringere Verordnungsrate als 2010 auf. Besonders deutlich ist der Rückgang bei den Infektionen der oberen Atemwege um 5,5 Prozentpunkte auf rund 27%. Dennoch erfüllt nur ein Drittel der betrachteten Praxen (n=40.943) den ESAC‐Indikator für Infektionen der oberen Atemwege, welcher eine maximale Antibiotikaverordnungsrate von 20% bei dieser Indikation als angemessen definiert. Neben der Verordnungsrate an sich ist auch der gewählte Wirkstoff mit Blick auf Resistenzen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen beim Patienten relevant. Hier stellt zum Beispiel die Verordnung von Fluorchinolonen bei weiblichen Patientinnen mit Harnwegsinfekt noch immer ein Problem dar. Zwar ist der Anteil dieser Wirkstoffe an allen Antibiotikaverordnungen um 4,6 Prozentpunkte auf knapp 41% gesunken, allerdings sollte gemäß den ESAC‐Indikatoren ein Wert von 5% eigentlich nicht überschritten werden. Dies gelingt jedoch nur etwa einem Zehntel der Praxen. Insgesamt ist der Rückgang der Verordnungsrate bei Indikationen ohne primär indizierte Antibiose sehr positiv zu bewerten. Trotzdem zeigt sich, dass sowohl hinsichtlich der Verordnungsentscheidung an sich als auch mit Blick auf die Wahl des geeigneten Wirkstoffes noch Verbesserungspotenzial vorhanden ist, welches durch entsprechende Interventionen sowie Fort‐ und Weiterbildungsmaßnahmen ausgeschöpft werden könnte.

4

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, VORTRAGSSESSION 14:50-15:50

Johannes Hauswaldt, Eva Hummers, Stephanie Heinemann “Re-Identifizierungspotential in Freitext und anderen Feldinhalten von BDT-Routinedaten“

Hintergrund Sekundäre Routinedaten‐Nutzung hat umfangreiche und heterogene Datenschutzbestimmungen zu beachten. Prinzipiell ist es unter bestimmten Umständen rechtlich zulässig, Daten aus der ambulanten Versorgung für Forschungszwecke zu nutzen. Medizinische Daten, die nicht personenbeziehbar sind, können als wirksam anonymisiert angesehen und für Forschungszwecke genutzt werden. Hausärztliche Routinedaten, über die Behandlungsdatentransfer(BDT)‐ Schnittstelle in Arztpraxisinformationssystemen, werden untersucht: Können aus Feldinhalten, einzeln, in ihrer Kombination oder mit Zusatzwissen, Personen re‐identifiziert werden? Wann sind BDT‐Routinedaten als wirksam anonymisiert anzusehen?

Methodik Aus einem hausärztlichen Arztpraxisinformationssystem (AIS), 01.01.2010 bis 31.12.2012, für alle Patienten, werden BDT‐Daten einmalig extrahiert. Noch in der Praxis werden offensichtlich patientenidentifizierende Feldinhalte gelöscht. Die BDT‐Schnittstelle (1994) umfasst insgesamt 392 Entitäten von Feldkennungen. Ihr Feldinhalt ist häufig (n = 290) alphanumerisch (Freitext also möglich), sonst Kalenderdatum, numerisch oder Fließkommazahl. Informationen zu Geschlecht, Geburtsdatum und Wohnort des Patienten werden wegen ihrer grundlegenden Wichtigkeit für die Versorgungsforschung auf ihre potentiell re‐identifizierenden Eigenschaften untersucht. Alle Feldkennungen werden auf personenidentifizierenden Inhalt von Patienten, Professionellen, oder Dritten hin kategorisiert, dann in ihrer Ausprägung einzeln und in Kombination auf k‐Häufigkeit untersucht und in Stichproben auf Fehleinträge geprüft. Für Forschungszwecke bedeutsame Feldinhalte werden als „Medizinische Daten“ (MDAT) identifiziert und ihre Feldkennungen in eine positive Auswahlliste (Rule‐in) aufgenommen.

Ergebnisse Der untersuchte BDT‐Datenauszug aus einer Hausarztpraxis, primär während dreier Jahre Routineversorgung generiert, enthält 1,8 Mio. Datensätze mit 137 genutzten Feldkennungsentitäten. Insgesamt 12.600 Patienten umfassend, hatten im untersuchten Zeitraum 3.811 Patienten mindestens einen Praxiskontakt. Neben Informationen, offensichtlich und direkt eine Person identifizierend und noch in der Praxis gelöscht, finden sich weitere Feldinhalte, die in Verbindung mit Zusatzwissen als quasi‐identifizierend anzusehen sind. „Patientengeschlecht“ ist in seinen zwei Ausprägungen annähernd ausgewogen anzutreffen (weiblich 57,7%) und kann als unproblematisch angesehen werden, fehlerhafte (n=2) oder fehlende Werte (n=19) sind sehr selten. „Geburtsdatum des Patienten“ ist hinsichtlich Häufigkeit einzelner Ausprägungen allzu spezifisch und unterschreitet ein gefordertes k=30 und auch ein k=5. Für Forschungszwecke allerdings ist „Geburtsjahr des Patienten“ genügend und findet sich auch genügend k‐ häufig, ausgenommen Patientenalter kleiner zehn oder größer 90 Jahre. Ausprägungen von „Wohnort des Patienten“, auch trunkiert auf führende drei oder zwei Stellen der PLZ, sind sehr unterschiedlich häufig verteilt. Weitere potentiell kritische Feldkennungen und Feldinhalte werden während des Workshops vorgestellt (work in progress).

Diskussion „Patientengeschlecht“ ist innerhalb einer Praxis kein Quasi‐Identifier, ebenso wenig „Geburtsjahr des Patienten“, ausgenommen für Lebensalter kleiner zehn oder größer 90 Jahre. „Patientenwohnort“, auch trunkiert, ist als Quasi‐Identifier anzusehen und darf zur Wahrung wirksamer Anonymisierung nicht extrahiert werden.

5

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, POSTERSESSION 15:50-16:14

Jan Felix Kersten, Anja Schablon, Albert Nienhaus “Routinedaten der DAK-Gesundheit im 6-Jahres Längsschnitt-
 Medikamentenverschreibungen gegen Tuberkulose - erste Zahlen und Ausblick“

Hintergrund Die Tuberkulose, eine in Ländern wie Deutschland bereits erfolgreich zurückgedrängt geglaubte Krankheit, rückt derzeit wieder in den Vordergrund. Die Fallzahlen der Tuberkulose sind nach einem bis ins Jahr 2012 anhaltenden Abwärtstrend seit 2017 in Deutschland jährlich angestiegen. Die vom Robert Koch‐Institut berichtete Entwicklung der Inzidenz von 5,6 (2014) auf 7,3 Fälle pro 100.000 Einwohner (2015) entspricht einer Zunahme um 29 %. Zur Behandlung einer Tuberkulose liegen Leitlinien des Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) vor.

Ziel Die Überprüfung der medikamentösen Behandlung von Patienten mit einer spezifischen Tuberkulose‐ Diagnose anhand von Routinedaten der DAK‐Gesundheit.

Methoden Der Datensatz umfasst die Versicherten der DAK‐Gesundheit, die in den Jahren 2009 bis 2014 die beiden folgenden Kriterien erfüllten: eine Diagnose mit dem ICD‐Code A15, A16 (Tuberkulose der Atmungsorgane) oder A19 (Miliartuberkulose), kombiniert mit mindestens einer Medikamentenverschreibung von spezifischen Tuberkulosemedikamenten. Diese Medikamentenverschreibung kann durch einen ambulanten Arzt oder Verschreibung im Krankenhaus (zum einen aus der Gruppe der Medikamente, deren ATC‐Codes mit J04A beginnen, zum anderen das Präparat Amikacin) stattgefunden haben. Die Behandlungsdaten der identifizierten Patienten, welche den Einschlusskriterien entsprachen, wurden für diese erste deskriptive Analyse aufbereitet und dargestellt. Die Darstellung von Inhalt und Struktur des vorliegenden Datensatzes erfolgt zunächst ausschließlich anhand deskriptiver Methodik. Zur Präsentation eines Überblicks über die Daten werden Mittelwerte samt zugehöriger Standardabweichungen, Häufigkeitsverteilungen und ‐ wenn angebracht ‐ Balkendiagramme, Histogramme und Streudiagramme verwendet.

Ergebnisse Den Einschlusskriterien entsprachen 1821 Patienten (50,7 % männlich, 49,3 % weiblich) mit dem mittleren Geburtsjahrgang 1959 im Median. Unter den ambulanten Diagnosen fanden sich 25,3 % vom Typ A15, 72,3 % vom Typ A16 und 2,5 % vom Typ A19, bei den im Krankenhaus behandelten Diagnosen waren 61,5 % vom Typ A15, 35,1 % vom Typ A16 und 3,4 % vom Typ A19. In der Summe wurden 16.864 Verschreibungen in den Apotheken eingelöst. Die Latenz der Abforderung der Medikamente von einer Apotheke im Hinblick auf die Verschreibung der Medikamente betrug im Mittel 1,8 Tage (±4,3 Tage).

Diskussion Die ersten Analysen geben einen Überblick über die Daten, welche in ihrer Qualität und in den abzuleitenden Aussagen unseren Erwartungen entsprechen. Sämtliche hier vorgestellten Patienten erhielten Tuberkulose‐spezifische Medikamente. Die Verschreibung von weniger als vier Medikamenten ist für eine erfolgreiche Tuberkulose‐Behandlung jedoch nicht ausreichend ‐ hierfür müssen im klassischen Fall mindestens vier verschiedene Tuberkulose‐Medikamente kombiniert werden. Die Definition und Selektion von aktiven Tuberkulose‐Fällen ist Voraussetzung für eine Überprüfung der Behandlung im Sinne der Leitlinien des DZKs. Die Behandlungsqualität der Tuberkulose wurde bisher noch nicht überprüft.

Schlussfolgerungen Um die Leitlinien gerechte medikamentöse Behandlung der DAK‐Versicherten anhand der Daten zu überprüfen wird im nächsten Schritt eine konkrete Falldefinition zur Selektion der aktiven Tuberkulose‐ Fälle durchgeführt.

6

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, POSTERSESSION 15:50-16:14

Hanna Tillmanns, Hendrik Dräther, Gerhard Schillinger “Früherkennungsuntersuchungen bei Erwachsenen“

Hintergrund GKV‐Versicherte haben Anspruch auf unterschiedliche Früherkennungsuntersuchungen (FEU), die einen Schwerpunkt auf Früherkennung von Krebserkrankungen haben. FEU bei Erwachsenen gehören zu den Kernleistungen der ambulanten Versorgung, auf die 2015 etwa 3,6% der Gesamtvergütung in der vertragsärztlichen Versorgung entfielen.

Ziel FEU bei Erwachsenen richten sich faktisch an alle erwachsenen GKV‐Versicherten. In empirischer Hinsicht sind bisher insbesondere alters‐ und geschlechtsbezogene Querschnitts‐Prävalenzen untersucht worden. Ziel dieser Untersuchung ist es einmal, das Inanspruchnahmeverhalten der GKV‐Versicherten über einen längeren Zeitraum zu analysieren. Es soll u. a. geprüft werden, wie großer der Personenkreis ist, der gar nicht oder nur unregelmäßig zur FEU geht. Möglicherweise bestehen regionale, geschlechts‐ und altersbezogene Unterschiede. Zudem stellt sich die Frage, ob ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahme von FEU und der Inanspruchnahme derjenigen Facharztgruppen besteht, die die jeweilige Früherkennung vornehmen dürfen. Zudem soll untersucht werden, ob und ggf.in welchem Umfang es auf Basis der GKV‐Routinedaten möglich ist zu messen, ob im Rahmen einer FEU ein Tumor gefunden worden ist (Wirksamkeitsanalyse von FEU).

Methoden Die Forschungsfragen werden innerhalb von Panel‐ oder Kohortenanalysen im Rahmen von deskriptiven Statistiken untersucht. Sie bauen auf ambulanten Abrechnungsdaten von AOK‐Versicherten der Jahre 2007 bis 2015 und auf AOK‐ Versicherte auf, die bei der AOK zwischen einem Jahr und bis zu neun Jahre versichert waren. Ein Teil der Leistungen darf bei einem Versicherten erst im zweiten Jahr nach der Erstinanspruchnahme wieder abgerechnet werden. Entsprechend dazu werden diesen Fällen Drei‐Jahres‐Kohorten gebildet, für die untersucht wird, ob eine Untersuchung innerhalb eines Zeitraumes von 36 Monaten erfolgte. Je FEU werden entsprechend andere Kohorten gebildet.

Ergebnisse Die Inanspruchnahmeraten unterscheiden sich stark zwischen den unterschiedlichen FEU. Während 75% der anspruchsberechtigten Frauen bis zum 90. Lebensjahr in einem neun Jahreszeitraum mindestens einmal an der allgemeinen Krebsfrüherkennung der Frau teilgenommen haben, sind es beim Darmkrebsscreening nur 13%. Auf der einen Seite fällt der Teil an Versicherten, die bei der jeweils relevanten Facharztgruppe in Behandlung waren, jedoch keine Früherkennung haben machen lassen, zum Teil relativ groß aus. Bei den hausärztlich versorgten Patienten hatten beispielsweise 19% keinen CheckUp 35 gemacht. Auf der anderen Seite haben „nur“ 2% der den gynäkologisch versorgten Patientinnen keine allgemeine Krebsfrüherkennung in Anspruch genommen. Sieht man von Einführungseffekten ab sind im Zeitverlauf nur verhältnismäßig geringe Änderungen bei der Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen zu beobachten. Eine Ausnahme bilden die wachsenden Inanspruchnahmeraten bei der allgemeinen Krebsfrüherkennung bei Männer im höheren Alter.

Diskussion und Schlussfolgerungen Versicherte nehmen die verschiedenen FEU in unterschiedlichem Ausmaß in Anspruch. Auf‐fällig dabei ist, dass ein großer Anteil der Versicherten, die die jeweils untersuchte Früherkennungsmaßnahme nicht in Anspruch genommen haben, bei den relevanten Arztgruppen in Behandlung war. Auch zeigt sich bei einem Teil der Früherkennungsuntersuchungen (CheckUp 35, Hautkrebssceening), dass eher älteren Versicherten diese nachfragen.

7

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, POSTERSESSION 15:50-16:14

Kristine Kreis, Marika Plöthner, Richard Seufert, Anja Schramm, Katharina Schreeb, Veronika Jahndel, Silke Maas, Alexander Kuhlmann, Jan Zeidler “Krankheitskosten des Mammakarzinoms in Deutschland“

Hintergrund Mit einer jährlichen Inzidenz von rund 70.000 Patienten handelt es sich beim Mammakarzinom mit Abstand um die häufigste onkologische Erkrankung bei Frauen in Deutschland. Ebenfalls platziert sich das Mammakarzinom an der Spitze aller krebsbedingten Todesfälle und auf dem vierten Platz aller Todesursachen bei Frauen. Jedoch haben sich insbesondere in den letzten 10 Jahren die Überlebungschancen durch Fortschritte in der Prävention und Therapie stetig verbessert. Das Mammakarzinom stellt aufgrund der hohen Verbreitung eine erhebliche Kostenbelastung für das Gesundheitssystem dar, wobei die routinedatenbasierte Evidenz zu den Krankheitskosten des Mammakarzinoms in Deutschland, insbesondere was die Kosten in den einzelnen Behandlungsphasen anbelangt, als gering einzuschätzen ist.

Ziel Das Ziel der Studie besteht in der Ermittlung der krankheitsattributablen Kosten des Mammakarzinoms in Deutschland differenziert nach Behandlungsphasen.

Methoden Die Grundlage der Analyse bilden Routinedaten der AOK Bayern für den Zeitraum der Jahre 2011 bis 2014. Die Studienpopulation ergibt sich aus Versicherten mit einer stationären und / oder zwei gesicherten ambulanten Mammakarzinom‐Diagnosen (ICD C50) im Indexjahr 2012 sowie einer durchgängigen Versicherungsdauer in den Jahren 2011 bis 2014 oder bis zum Versterben. Männliche Mammakarzinom‐Patienten sowie nicht volljährige Versicherte werden von der Analyse ausgeschlossen. Das Jahr 2011 dient der Unterscheidung inzidenter und prävalenter Patientinnen. Bei der Analyse der krankheitsattributablen Kosten wird ein Kontrollgruppenansatz mit einem exakten 1:2 Matching („Ziehen ohne Zurücklegen“) auf Basis der Kriterien Alter, Geschlecht, Komorbiditäten (Elixhauser Score) und Mortalität (Versterben im Studienzeitraum) vorgenommen. Die Krankheitskostenanalyse erfolgt aus der Perspektive der GKV und umfasst die stationäre Versorgung, ambulante Versorgung, Arzneimittel, Heil‐ und Hilfsmittel, Rehabilitation und Krankengeld. Die inkrementellen Kosten werden getrennt für drei Behandlungsphasen berechnet: (I) Initialphase: die erste 12 Monate nach Diagnose, (II) End‐of‐life‐Phase: die letzten 12 Monate vor dem Versterben, (III): Zwischenphase: die verbleibenden Monate zwischen der Initial‐ und End‐of‐life‐ Phase.

Ergebnisse Die Studienpopulation umfasst 36.033 weibliche Mammakarzinom‐Patienten. Das durchschnittliche Alter beträgt 67 Jahre (Basisjahr 2011). 9% der Versicherten verstarben innerhalb von zwei Jahren ab dem Indexquartal. Weitere Ergebnisse stehen noch aus.

Diskussion und Schlussfolgerungen Eine Analyse der Kosten des Mammakarzinoms in den einzelnen Behandlungsphasen ist dringend erforderlich, um die gesundheitsökonomische Evidenz zu dieser häufigen Krebserkrankung zu erweitern.

8

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, POSTERSESSION 15:50-16:14

Florian Klohn “Alterung, Nähe zum Tod und Gesundheitsausgaben. Eine Analyse auf Basis von Sekundärdaten“ Eine älter werdende Gesellschaft ist im Kontext eines kontinuierlichen Anstiegs von Ausgaben im deutschen Gesundheitswesen ein potentielles Problem für die langfristige Finanzierbarkeit von Gesundheitsleistungen. Deshalb ist es wichtig, den Einfluss des Faktors Alter auf Krankheitskosten abschätzen zu können. In der empirischen gesundheitsökonomischen Literatur wird unter dem Namen „Red Herring‐Hypothese“ seit Zweifel (1999) der Frage nachgegangen, ob das Alter ein relevanter Prädiktor für Krankheitsausgaben bleibt, wenn die verbleibende Lebenszeit im Rahmen einer multivariaten Analyse berücksichtigt wird. Diese Frage hat wichtige Implikationen hinsichtlich der zu erwartenden Gesundheitsausgaben bei demografischen Veränderungen. Während verschiedene Studien zeigen, dass die Nähe zum Tod von größerer Relevanz als Alterung ist (z.B. Zweifel et al., 2009), legen Ergebnisse aus Deutschland nahe, dass das Alter eine größere Rolle spielt (Breyer, 2015). Neue empirische Erkenntnisse zeigen außerdem, dass der Zusammenhang des Alters, der Nähe zum Tod und Gesundheitsausgaben heterogen sein kann (Yu et al., 2015). Wir untersuchen den Einfluss des Alters auf Krankheitsausgaben von gesetzlichen Krankenversicherungen bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Nähe zum Tod auf Individualebene. Dabei verwenden wir Leistungsausgaben aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens. Während die meisten Studien zu diesem Thema lineare Regressionen schätzen, folgen wir Yu et al. (2015) und verwenden Quantilsregressionen, um eine mögliche Heterogenität des Einflusses von Alterung und der Nähe zum Tod auf Gesundheitsausgaben zu untersuchen. Solch eine differenzierte Analyse ist im Kontext des Deutschen Gesundheitswesens interessant, da bekannt ist, dass ein relativ kleiner Teil der Versicherten für einen Großteil der jährlichen Kosten verantwortlich ist (vgl. Hajen et al., 2017). Wir erweitern die Heterogenitätsanalyse durch eine getrennte Betrachtung einzelner Leistungsbereiche im deutschen Gesundheitswesen. Das Vorgehen bei der Datenaufbereitung und ‐analyse wird vor dem Hintergrund der Herausforderungen bei der Arbeit mit Routinedaten diskutiert. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Einfluss des Alters auf die Leistungsausgaben der Krankenkassen ökonomisch hoch relevant ist. Wie zu erwarten, sinkt der Effekt bei Berücksichtigung der 3‐Jahres‐ Sterblichkeit. Diese Abschwächung kommt insbesondere durch Veränderungen der Ausgaben für Arzneimittel und Krankenhausbesuche zustande. Wir finden außerdem, dass die Gesundheitsausgaben mit der Nähe zum Tod kontinuierlich in den betrachteten Leistungsbereichen zunehmen. Schätzungen der Quantilsregressionen zeigen, dass der Effekt von Alterung und der Nähe zum Tod sowie deren partielle Korrelation von der Verteilung der Gesundheitsausgaben abhängen. Wir ordnen die Ergebnisse im Kontext der Literatur ein. Anknüpfungspunkte liegen sowohl im Bereich der Finanzierung von Krankheitskosten als auch im Bereich Versorgung. Der Fokus auf Subgruppen mit Hilfe von Quantilsregressionen kann hilfreich sein, um die Versorgungsrealität und auch deren Finanzierung adäquater abbilden zu können. 


9

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, POSTERSESSION 15:50-16:14

Christoph Stallmann, Svenja Jacobs, Janett Powietzka, Enno Swart “Nutzung von Abrechnungsdaten der Privaten Krankenversicherung in der NAKO Gesundheitsstudie – aktueller Stand und Perspektiven“

Hintergrund In der prospektiven Kohortenstudie „NAKO Gesundheitsstudie (NAKO)“ (BMBF FKZ: 01ER1301A) sollen Primärdaten der insgesamt 200.000 Studienteilnehmer um Sekundär‐ und Registerdaten verschiedener Dateneigner ergänzt werden. Die Erschließung der ergänzenden Daten ist Aufgabe des „Kompetenznetzes Sekundär‐ und Registerdaten“, als dessen Teil das IMSG unter anderem für die Abrechnungsdaten von Privaten Krankenversicherungen (PKVen) zuständig ist.

Ziel Erstmalig sollen in einer Kohortenstudie Daten der PKVen weitgehend vollständig erschlossen werden. Ziel ist es, das Gesundheitsprofil und die Medikamenten‐Anamnese der privat versicherten Studienteilnehmer zu vervollständigen. In der ersten Förderphase der NAKO (2017 ‐ 2018) sollen primär PKVen ab 100.000 Vollversicherten für eine Kooperation gewonnen werden.

Methoden Neben umfassenden Kooperationsgesprächen mit ausgewählten PKVen werden die rechtlichen und technischen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten in der NAKO geschaffen. Insbesondere sind eine informierte Einwilligung (EWE) der Teilnehmer sowie eine Schweigepflichtentbindung (SPE) nach § 203 Strafgesetzbuch Voraussetzung für eine Datenanforderung. Seit 03/2015 wird die EWE und seit 02/2016 die SPE der privat versicherten Teilnehmer in der Unabhängigen Treuhandstelle der NAKO (THS) erfasst. Dem Kompetenznetz werden Statistiken zu den erteilten Einwilligungen für die Sekundärdaten von der THS zur Verfügung gestellt. Nach Abschluss von Kooperationsverträgen sind jährliche Datenanforderungen bei den Dateneignern geplant. Die Lieferbarkeit einzelner Datenbereiche wird individuell mit den Dateneignern abgestimmt.

Ergebnisse Mit zwei PKVen wurden bisher Kooperationsverträge geschlossen. Diese decken 23,3 % derjenigen privat versicherten Teilnehmer ab, die der Anforderung und Nutzung ihrer Daten durch die NAKO zugestimmt haben. Mit fünf weiteren PKVen sind die Kooperationsverhandlungen weit fortgeschritten. Mehr als 50 % der einwilligenden privat versicherten Teilnehmer sind bei diesen sieben PKVen versichert. Die Einwilligungsquote für die Datenanforderung von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen lag in 2015 bei 92,8 % und für 2016 aktuell bei 91,1 % (Stand: Oktober 2016). Der Anteil privat gegenüber gesetzlich Versicherten liegt unter den Einwilligenden bei derzeit 11,2 %. Erste Datenanforderungen sind für Anfang 2017 geplant. Eine Gegenüberstellung lieferbarer Dateninhalte lässt eine mittlere bis gute Vollständigkeit im Vergleich zu Daten gesetzlicher Krankenversicherungen erwarten.

Diskussion Die frühe Einbeziehung der PKVen und die kooperative Zusammenarbeit bei der Definition benötigter Daten erleichtern den Prozess von der Einwilligung bis hin zur Datenlieferung erheblich. Geplante Änderungen einiger PKVen bei Inhalt und Umfang der zu erfassenden Daten lassen auf eine sich stetig verbessernde Datenqualität hoffen. Hohe datenschutzrechtliche Anforderungen verzögern aktuell den Abschluss weiterer Kooperationsverträge. Bereits jetzt verzeichnet die NAKO eine gute Abdeckung der privaten Versicherungen. PKV‐interne Unterschiede in der Versichertenstruktur und eine ggf. unvollständige Abdeckung der Teilnehmer erfordern die Untersuchung der Daten hinsichtlich möglicher Verzerrungen. Selektivitätsanalysen anhand ausgewählter soziodemografischer Merkmale sind nach Ende der Erstuntersuchung vorgesehen. 


10

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, POSTERSESSION 15:50-16:14

Sigrid Mohnen, Jeanine Los, M.J.M. van Oosten, M. Leegte “Best practice with health claims data. Lessons learned from the Netherlands“

Background On behalf of the Dutch kidney foundation researchers from the National Institute of Public Health and the Environment (RIVM, Bilthoven), the Institute for Medical Technology Assessment (iMTA, Rotterdam), the Academic Medical Center (AMC, Amsterdam), and Nefrovisie (Utrecht) investigated the healthcare costs of patients with End‐stage renal disease (ESRD) receiving renal replacement therapy (RRT). This presentation is not only about the validation of health claims data but also about the cooperation of four unrelated researchers at one location in a short period of time.

Objective Health economic study on health care costs per different kind of health care sectors of ESRD patients sorted by seven different RRT modalities.

Method Health insurance claims were obtained from the healthcare information centre Vektis, which collects and manages health claims data on all healthcare procedures covered by the Dutch mandatory health insurance package. Vektis data covered 99% of all insured people in the Netherlands. Data we used contained all hospital health claims 2012‐2014 and personal information (sex, year of birth and date of death). To ensure the privacy of patients, Vektis pseudonymised the data and allowed access only in a highly secured environment for 7 months (three days a week). The design of the study was inspired by the study of Couillerot‐Peyrondet et al. (2016) and by personal conversation with the authors of this publication.

Results A total of 8,832 adult patients were identified with RRT in the Netherlands in 2014. 951 patients received a donor kidney and 6,876 patients were classified as dialysis patient (and 1,005 non classified patients). The validation of data was achieved by comparing the health claims data to the Dutch Renal Registry database (RENINE), which contains national statistics on the number of ESRD patients with dialysis and transplantation in the Netherlands based on dialysis and transplant centre registrations. Our results were highly comparable to the registration data.

Discussion The project showed a unique cooperation of different researchers with complement experiences. The RIVM researcher was an expert on using health claims data and working at Vektis with the statistical program SAS, however, without any knowledge regarding RRT. AMC brought in tons of medical knowledge. The AMC PhD student had a background as specialist in a hospital working with ESRD patients during her education. The data analyst from Nefrovisie was generously experienced with SAS analyses on RRT registration database. Finally, the researcher from iMTA brought in health economic knowledge and carried a large burden of writing and layout. The data analyses was performed astonishingly fast from June to December 2016 and we expect to submit the article in the near future.

Conclusion Success of this research project was most likely due to the complementary experience of the researchers, the close interaction because of being forced to work at one location at the same days and because of the pressure of time that made a strict planning indispensable.

Ref Couillerot‐Peyrondet AL, Sambuc C, Sai, et al. 2016 A comprehensive approach to assess the costs of renal replacement therapy for end‐stage renal disease in France: the importance of age, diabetes status, and clinical events. The European journal of health economics.2016 May 5. PubMed PMID: 27146313. Epub 2016/05/06. Eng.

11

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, POSTERSESSION 15:50-16:14

Dirk Horenkamp-Sonntag, Udo Schneider, Stefan Wirtz, Susanne Engel, Roland Linder “Interne Validität von GKV‐Routinedaten am Beispiel Krankenhausliegezeiten: Kann ein Patient mehr als 365 Tage im Jahr stationär behandelt werden?“

Hintergrund GKV‐Routinedaten werden primär nicht zum Zweck der wissenschaftlichen Analyse erhoben, so dass bei jeder Sekundärdatenanalyse die Plausibilität und Validität der Datengrundlage kritisch zu prüfen ist. Für ambulante Daten (§295 SGBV) ist bekannt, dass derartige Prüfungen Auffälligkeiten, Inkonsistenzen und Implausibilitäten aufzeigen können. Obwohl entsprechende Nachweise fehlen, wird für stationäre Daten (§301 SGBV) oftmals eine hohe Plausibilität und Validität unterstellt. Einerseits weil im Gegensatz zum ambulanten Sektor eine direkte Abrechnung zwischen Leistungserbringer und Leistungserstatter erfolgt, anderseits weil Krankenkassen bei (Daten‐) Auffälligkeiten eine Prüfung der Krankenhausleistungen bzw. der Korrektheit der Abrechnung über den MDK (§275 SGBV) einleiten können.

Ziel Am Beispiel der akuten Leukämie (AL), bei der besondere Fallkonstellationen bei der Berechnung der Krankenhausliegezeiten aufgefallen sind, soll mit diesem Beitrag für eine Validierung der Krankenhausverweildauer sensibilisiert werden.

Methodik Ausgehend von 9 Millionen TK‐Versicherten wurde ein homogenes Untersuchungskollektiv von 167 Versicherten mit AL selektiert, bei denen eine Stammzelltransplantation (SZT) durchgeführt wurde. Um die Behandlungsqualität zwischen spezialisierten (KH+) und nicht spezialisierten Krankenhäusern (KH‐) vergleichen zu können, wurden die klinischen Behandlungspfade für die beiden KH‐Gruppen in den Abrechnungsdaten nachgezeichnet. Hierzu wurde u.a. die Anzahl an stationär verbrachten Tagen von der Erstdiagnose bis zur SZT‐Durchführung (präoperativ), als auch im Follow‐Up (postoperativ) be‐rechnet. Hierzu wurde die Krankenhausverweildauer (KH‐Tage) wie folgt berechnet: KH‐Tage = Entlassdatum ‐ Aufnahmedatum +1.

Ergebnisse Bei einem Großteil der Versicherten waren parallele bzw. sich teilweise überlappende Krankennhausaufenthalte (einzelne Tage bis mehrere Monate) im Leistungsverlauf dokumentiert. Deshalb erfolgte zunächst eine zusätzliche Datenaufbereitung, indem auf Versichertenebene parallele Aufenthalte unter Berücksichtigung von sog. freien (Urlaubs‐) Tagen zusammengelegt wurden. Erst danach erfolgte die eigentliche Berechnung der KH‐Tage: Versicherte der Gruppe‐KH‐ verbringen von der Erst‐ICD bis ein Jahr nach Erst‐SZT durchschnittlich 9,9 Tage mehr im Krankenhaus. Dieser Unterschied geht vor allem auf die prä‐SZT‐Phase zurück: Im Median verweilen die Versicherten in KH+ 71 Tage stationär, in KH‐ 80 Tage, wobei der Gruppenunterschied von 9 Tagen statistisch signifikant ist (p=0,0342, U‐Test).

Diskussion und Schlussfolgerung Bei AL ist vor der Durchführung einer SZT eine medikamentöse Konditionierung (Chemotherapie) erforderlich. Diese wird teilweise an der Schnittstelle zwischen ambulantem und stationärem Setting durchgeführt und je nach Krankenhaus operativ nicht immer einheitlich abgerechnet. Deshalb ist in GKV‐ Routinedaten eine saubere Trennung der KH‐Tage trotz Berücksichtigung von sog. freien Tagen nicht valide möglich. Im Ergebnis führt dieser Effekt zu massiven Überschätzungen der KH‐Tage, so dass Krankenhausaufenthalte von mehr als 365 Tagen im Jahr pro Patient möglich sind. Eine Operationalisierung, die lediglich auf sog. vollstationäre Krankenhausaufenthalte fokussiert, umgeht diese Problematik, bildet allerdings den klinischen Behandlungspfad nicht vollumfänglich ab. Spezielle Aspekte der Prozessoptimierung und Fragestellungen zur Lebensqualität lassen sich damit nur eingeschränkt analysieren.

12

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, POSTERSESSION 15:50-16:14

Maria Narres, Heiner Claessen, Burkhard Haastert, Werner Arend, Falk Hoffmann, Stephan Morbach, Tatjana Kvitkina, Christian Günster, Ingrid Schubert, Walter Ullrich, Benjamin Westerhoff, Andrea Icks “Methodische Aspekte bei der Analyse neuer Fälle von Amputationen der unteren Extremität in diabetischer und nicht-diabetischer Population auf Basis von GKV-Daten“

Hintergrund Sekundärdaten sind eine wichtige Quelle für die Versorgungsforschung, die eine sektorenübergreifende Analyse großer Populationen ermöglicht. Jedoch ist die Wahl adäquater Methoden für die Selektion und Auswertung von Daten dieser Art von entscheidender Bedeutung.

Ziel Vergleich von zwei methodischen Ansätzen (i) bei der Analyse von neuen Fällen von Amputationen der unteren Extremität sowie den relativen Risiken in der diabetischen im Vergleich zur nicht‐diabetischen Population (ii) bei der Ermittlung korrespondierender Zeittrends.

Methode Aufgrund bundesweit fehlender repräsentativer Daten zu neuen Fällen von Amputationen wurde eine Studie auf Basis von Abrechnungsdaten gesetzlicher Krankenkassen bei über 30 Mio. Versicherten durchgeführt. Die Studienpopulation bestand aus Personen, die mindestens ein Jahr zwischen dem 01.01.2007 und dem 31.12.2012 durchgängig versichert waren. Amputationen der unteren Extremität wurden mit Hilfe des OPS‐Schlüssels identifiziert. Der Zähler des Amputationsrisikos bei Personen mit und ohne Diabetes wurde für jedes Kalenderjahr anhand folgender zwei methodischer Ansätze definiert: (1) Jede erste Amputation pro Person pro Jahr wurde unabhängig von einer im Vorjahr vorliegenden Amputation im Zähler berücksichtigt. (2) Die erste Amputation pro Person während der Studienzeit ging unter der Berücksichtigung, dass mindestens 12 Monate zuvor kein Amputationsereignis vorlag, in den Zähler ein. Das relative Risiko wurde jeweils als Quotient zwischen den Amputationsrisiken in der diabetischen und nicht‐diabetischen Population berechnet.

Ergebnisse Unter Anwendung der Methode (1) ergab sich ein Rückgang der Amputationsraten in der diabetischen Population von 258,6 (95% CI 249,4‐267,7) pro 100.000 Personenjahre in 2008 auf 216,2 (208,4‐224,1) in 2012 Gleichzeitig sanken die Amputationsraten in der nicht‐diabetischen Population nur moderat (2008: 27,9 (27,3–28,5); 2012: 26,6 (26,0–27,2)) womit das relative Risiko von 9,3 (95% CI 8,9–9,7) in 2008 auf 8,1 (7,8–8,5) in 2012 zurückging. Bei Anwendung der Methode (2) ergab sich ein deutlicherer Rückgang der Amputationsrate sowohl in der diabetischen (2008: 218,8 (210,4‐227,2); 2012: 154,2 (147,4‐ 161,0)) als auch in der nicht‐diabetischen Population (2008: 25,6 (25,0‐26,2); 2012: 22,6 (22,1‐23,2)). Das relative Risiko verringerte sich von 8,6 (8,2‐9,0) auf 6,8 (6,5‐7,2).

Diskussion Anhand der vorliegenden Analyse konnten wir zeigen, dass die Ergebnisse unter Anwendung verschiedener Methoden sehr unterschiedlich sind. Die Differenz erklärt sich dadurch, dass Amputationen der unteren Extremität als Outcome mehrere Male beobachtet werden können. Als Konsequenz werden längere ereignisfreie Perioden benötigt um „wahre“ erste Amputationen während der Studienzeit valide erfassen zu können. Bei einer kürzeren ereignisfreien Periode (z.B. ein Jahr) wird dagegen eine Linkszensierung beobachtet. Dies hat zur Folge, dass die „wahre“ Inzidenz in den ersten Studienjahren im Vergleich zum Ende der Studienzeit überschätzt und damit die Reduktion des Zeittrends überbewertet wird.

Schlussfolgerungen Die Selektion und Analyse von Sekundärdaten sollte im Vorfeld je nach Fragestellung sorgfältig geplant werden. Für die Schätzung des Zeittrends in Bezug auf das Ereignis „Neue Fälle von Amputation“ bei einer relativ kurzen Studienzeit berechnen wir eine jährliche Amputationsrate und verweisen auf die Limitationen. 


13

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, VORTRAGSSESSION 16:40-18:20

Miriam Luhnen, Christopher Kunigkeit, Sarah Mostardt “Die Berichtsqualität von GKV-Routinedatenanalysen zur Bestimmung der Zielpopulation 
 in der frühen Nutzenbewertung“

Hintergrund Seit Januar 2011 durchlaufen alle in Deutschland neu zugelassenen Arzneimittel das Verfahren nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), bei dem der mögliche Zusatznutzen bewertet wird. Die Bewertung erfolgt anhand eines Dossiers, das der pharmazeutische Hersteller einreicht und das Angaben zur Anzahl der GKV‐Patienten, in der für das Arzneimittel infrage kommenden Population („GKV‐Zielpopulation“) enthalten muss. Für die wissenschaftliche Bewertung ist zumeist das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zuständig. Um die Anzahl der Patienten in der Zielpopulation zu quantifizieren, greifen Hersteller zunehmend auf GKV‐ Routinedatenanalysen zurück, da in öffentlichen epidemiologischen Quellen meist keine ausreichend detaillierten Daten verfügbar sind.

Ziel Unsere Untersuchung wertete von Herstellern zur Ermittlung der Patientenzahl verwendete GKV‐ Routinedatenanalysen aus. Im Fokus stand dabei die Bewertung der Berichtsqualität.

Methoden Die Grundlage bildeten alle bis September 2016 veröffentlichten Dossiers, deren Berechnung der Patientenzahl auf einer vom Hersteller beauftragten Analyse von Krankenkassendaten beruhte. Zur Bewertung der Berichtsqualität diente die STROSA‐ Checkliste (STandardisierte BerichtsROutine für SekundärdatenAnalysen). Die Beurteilung der Analysen erfolgte jeweils durch einen Untersucher. Unklarheiten wurden anschließend gemeinsam diskutiert.

Ergebnisse 12 Dossiers aus 9 verschiedenen Fachgebieten eigneten sich für den Einschluss in die Auswertung. Die Bewertung mit STROSA zeigte, dass Angaben zum Hintergrund der Analyse in den meisten Fällen fehlten (n = 8). Die Beschreibung der Methoden war besonders im Hinblick auf folgende Punkte unzureichend: die Rechtsgrundlage (n = 10), Datenschutz (n = 9), Datenfluss (n = 9) und die herangezogenen Auswahlkriterien (n = 7). Eine interne Validierung wurde nur in 4 Dossiers präsentiert. Im Ergebnisteil fehlte häufig eine Darstellung der Charakteristika der Studienpopulation (n = 4). Für die Dossierbewertung relevante Angaben zu Alters‐ und Geschlechtsgruppen – sowohl in der untersuchten Stichprobe als auch in der extrapolierten GKV‐Population – waren nur in 5 Fällen enthalten. Eine Diskussion fand in der Regel nicht statt. Nur 4 Dossiers reflektierten zumindest die Hauptergebnisse kritisch. 2 davon beschäftigten sich auch ausführlich mit weiteren Aspekten (interne Validität, Stärken und Schwächen, Interpretation und Übertragbarkeit).

Diskussion Die Bewertung mit STROSA ermöglicht Aussagen zur Berichtsqualität von Sekundärdatenanalysen im Rahmen der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln. Unsere Auswertung offenbarte eine Reihe von Defiziten in den betreffenden Dossiers – insbesondere bezüglich der Beschreibung der Methoden und der Diskussion von Methoden und Ergebnissen. Eine Bewertung der Patientenzahl in der GKV‐Zielpopulation kann nur erfolgen, wenn eine ausreichende Berichtsqualität vorliegt. STROSA eignet sich dafür als Mindeststandard, auch wenn für eine Plausibilitätsprüfung weitere Aspekte relevant sind.

Schlussfolgerungen In den Dossiers des AMNOG‐Verfahrens könnten GKV‐Routinedatenanalysen die Schätzung zur Anzahl der Patienten in der Zielpopulation erleichtern. Um eine ausreichende Transparenz zu gewährleisten, sollten sich die Darlegungen in den Dossiers an STROSA orientieren. Diese Anforderung wurde auch bei der Überarbeitung der Vorlage ergänzt, die den pharmazeutischen Herstellern für die Dossiererstellung zur Verfügung steht.

14

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, VORTRAGSSESSION 16:40-18:20

Dirk Horenkamp-Sonntag, Beate Bestmann, Udo Schneider, Susanne Engel, Roland Linder “Anwendungsbeispiel für STROSA-Kriterien: Varianz der Outcome- Messung bei Krebsfrüherkennung an der Schnittstelle zwischen Primär- und Sekundärdaten“

Hintergrund Gemäß STROSA sollen anhand einer Checkliste von 27 Kriterien strukturierte und möglichst vollständige Informationen über die Nachvollziehbarkeit des methodischen Vorgehens bei Sekundärdatenanalysen dargelegt werden, um die interne und externe Validität einschätzen zu können. Vor diesem Hintergrund wurde ein regionales TK‐Projekt zur informierten Entscheidung bei Darmkrebsfrüherkennung evaluiert. Hierbei haben anspruchsberechtigte Versicherte neben einem persönlichen Anschreiben auch darmkrebsspezifische Informationen erhalten. Zur Evaluation wurden GKV‐Routinedaten mit Befragungsergebnissen (Primärdaten) verbunden (Datenlinkage). Anhand des Antwortverhaltens bei der Primärdatenerhebung wurde gemessen, inwiefern eine informierte Entscheidung getroffen wurde. Anschließend wurde anhand der Sekundärdaten analysiert, inwiefern sich nachgelagerte Leistungsinanspruchnahmen zwischen "informiert" und "uninformiert" unterscheiden.

Ziel Ziel dieses Beitrags ist, die Auswirkung von verschiedenen Selektions‐ und Analysemethoden auf die Ergebnismessung detailliert darzustellen, um daraus abgeleitet einen Goldstandard für künftige Evaluationen entwickeln zu können und ggf. eine Weiterentwicklung der STROSA‐Kriterien anzuregen.

Methodik Datengrundlage war neben einer bundesweiten TK‐Vergleichskohorte ohne aktive Intervention (n = 373.293) ein Kollektiv von 2.251 TK‐Versicherten aus Bayern mit zusätzlichen Primärdatenangaben. Als GKV‐Leistungsinanspruchnahmen wurden neben der ambulanten (u.a. EBM‐GOP 01741) auch die stationäre (u.a. OPS‐Code 1‐650) Koloskopie berücksichtigt, darüber hinaus die Beratung zur Krebsfrüherkennung (u.a. GOP 01740) sowie die Untersuchung auf Blut im Stuhl (GOP 01734). Um die Effekte der regionalen Interventionsmaßnahmen beurteilen zu können, wurden die gemessenen Inanspruchnahmen mit der bundesweiten Kohorte verglichen und regional und geschlechtsspezifisch ausdifferenziert. Aufgrund des hohen Informationsgehalts infolge des Datenlinkages bestehen verschiedene Möglichkeiten, eine adäquate Kontrollgruppe zu selektieren: in Analogie zu RCT‐Studien entweder als intention‐to‐treat (ITT) auf Basis der GKV‐Daten oder alternativ per‐ protocol (PP) auf Basis der Primärdaten.

Ergebnis In Bayern wurde bei Versicherten, die keine informierte Entscheidung getroffen haben (Gruppe non‐ informed), in 23,7% der Fälle eine Koloskopie durchgeführt, während bei den informierten Versicherten (Gruppe informed) die Quote bei 13,7% lag (χ2‐ Test: p < 0,001). In der bundesweiten Vergleichskohorte variierte die Koloskopiequote je nach Selektionsmechanismus und Analysemethodik (ITT vs. PP) zwischen 6,8% und 21,4%. Bei den anderen Leistungen kam es teilweise zu gegenläufigen Ergebnissen.

Diskussion und Schlussfolgerung Die Gruppen informed und non‐informed zeigen deutliche Unterschiede in Art und Umfang der Leistungsinanspruchnahme. Ohne detaillierte Angaben der verwendeten Selektionsmethodik ist eine (Erfolgs‐) Bewertung der Maßnahmen zum Einladungsverfahren im Vergleich zur Bundesebene ohne aktive Intervention unzulässig. Insbesondere wenn im Rahmen der Politikfolgenforschung "einfache" Ergebnisdarstellungen erwartet werden, sollte durch vollständige Nachvollziehbarkeit der Evaluationsmethodik maximale Transparenz gezeigt werden, um mögliche Interessenskonflikte zu minimieren. Hierzu sollten an der Schnittstelle zwischen Primär‐und Sekundärdaten entsprechende Standards erarbeitet werden, die sich dann auch über STROSA‐Kriterien darstellen lassen.

15

AGENS METHODENWORKSHOP OLDENBURG 2017

13. MÄRZ 2017, VORTRAGSSESSION 16:40-18:20

Jona T. Stahmeyer, Sveja Eberhard “Die Auswirkungen unterschiedlicher GKV-Datenquellen auf die Berechnung des 
 Charlson-Comorbidity-Index“

Hintergrund Komorbiditätsindizes werden häufig bei der Evaluation von Versorgungsprogrammen verwendet, um Unterschiede in der Morbidität von Patienten in Interventions‐ und Kontrollgruppe bei der statistische Analyse zu berücksichtigen. Die am weitesten verbreiteten Scores sind der Charlson‐Komorbiditäts‐Index (CCI) und der Elixhauser‐Index. Entwickelt wurde der CCI zur Prognose der 1‐Jahres‐Mortalität. Bisher nur unzureichend untersucht wurde, ob und mit welcher Güte der CCI die Mortalität von Versicherten anhand von Diagnosedaten der GKV prognostizieren kann. Unklar ist auch, inwieweit sich der Score in Abhängigkeit von der Datenbasis unterscheidet. Ziel der Studie war es, den CCI auf Basis unterschiedlicher Datenquellen der GKV zu berechnen und den Einfluss auf die Mortalität zu prüfen.

Methodik Für alle 2010 durchgängig Versicherten der AOKN im Alter von 40‐80 Jahren wurde die neue Version des CCI berechnet. Stichtag für die Berechnung war der 31.12.2010. Es wurden drei Vorgehensweisen verwendet: CCI Berechnung auf Basis (1.) ambulanter gesicherter Diagnosen, (2.) stationärer Haupt‐ und Nebendiagnosen und (3.) Kombination ambulanter gesicherter Diagnosen und stationärer Diagnosen. Alle Diagnosen des Jahres 2010 wurden berücksichtigt. Mittels binär‐logistischer Regression wurde der Einfluss des CCI auf die 1‐Jahres‐Mortalität überprüft.

Ergebnisse Die Stichprobe umfasste insgesamt 1.042.838 Versicherte. Das mittlere Alter lag bei 58,8 Jahren (SD 11,6), 52,9% waren weiblich. Der mittlere CCI auf Basis ambulanter Diagnosen lag bei 0,94 (SD 1,49), auf Grundlage stationärer Diagnosen bei 0,16 (SD 0,75) und auf Basis kombinierter Daten bei 0,99 (SD 1,57). Die Mehrheit der Versicherten hatten einen CCI‐Score von 0 (58,1%; 93,6%; 57,4%). Selbst bei ausschließlicher Betrachtung von Versicherten mit einem Krankenhausaufenthalt lag der mittlere CCI‐ Score aus dem ambulanten Bereich deutlich über dem Score aus dem stationären Bereich (1,73 vs. 0,88). 1,5% der betrachteten Versicherten sind im Folgejahr verstorben. Für die Regressionsmodelle zur Analyse der Einflussfaktoren auf die 1‐ Jahres‐Mortalität wurden die Variablen Geschlecht, Alter und CCI‐Score eingeschlossen. Für das Modell mit kombiniertem CCI‐ Score lag die Odds Ratio (OR) zu versterben für die Variable „männlich“ bei 1,766; die OR lag bei 1,060 pro Lebensjahr und bei 1,497 pro Einheit auf dem CCI. Während die Odds‐Ratios für Geschlecht und Alter in allen Modellen vergleichbar waren, ergaben sich für den CCI je nach Berechnungsgrundlage unterschiedliche Werte: 1,463 für ambulante Diagnosen; 1,778 für stationäre Diagnosen. In allen Modellen hatten die Modellvariablen einen signifikanten Einfluss auf die Mortalität (p