2015 Bericht Teil 1. Wir sind dann mal weg!

ARTNIS 2014/2015 Bericht Teil 1 In 20 Jahren wirst du dich mehr ärgern über die Dinge, die du nicht getan hast, als über die, die du getan hast. Also...
Author: Fanny Winkler
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ARTNIS 2014/2015 Bericht Teil 1

In 20 Jahren wirst du dich mehr ärgern über die Dinge, die du nicht getan hast, als über die, die du getan hast. Also wirf die Leinen los und segle fort aus deinem sicheren Hafen. Fange den Wind in deinen Segeln. Forsche. Träume. Entdecke. Mark Twain

Wir sind dann mal weg! Viele von uns Seglern träumen davon, sich eine Auszeit zu nehmen, über die Ozeane zu segeln oder zumindest eine Zeit in der Karibik zu verbringen. Viele haben noch weitere Ziele und wollen noch mehr Zeit jenseits des hiesigen Alltags verbringen. Die meisten von uns brauchen allerdings einen ordentlichen Schubs, um eigene Bedenken und Sorgen der Mitmenschen beiseite schieben zu können und ganz im Sinne Mark Twains zu handeln. Für eine Auszeit, ob unter Segeln oder anders, wird es selten zeitlich passen, monetär ausreichend abgesichert sein oder gerade familiär zuträglich. Mal hat man nicht das passende Boot, muss noch auf schulpflichtige Kinder oder irgendwann, wenn man lange genug wartet, auf die Eltern aufpassen. Häufig reicht nicht nur das Lesen weiser Sprüche wie der von Mark Twain, um die Leinen loszuschmeißen, sondern es müssen andere Dinge passiert sein, die einen aufrütteln, sei es eine eigene schwere Erkrankung, der Tod einer nahestehenden Person oder andere gravierende Änderungen im eigenen Umfeld. Meine letzte längere Segeltour war nun schon über 10 Jahre her, wenn man mal von etlichen Segeltörns von den Lofoten über Irland bis nach Griechenland, Reisen auf dem Atlantik in der Karibik und in Mittelamerika absieht. Bei mir war der Anlass dazu, wieder einmal eine kleine Auszeit zu nehmen, der plötzliche Krebstod eines Freundes meines Alters, der eben noch lebensfroh an unser aller Seite sehr schnell eine junge Familie auf Erden zurückließ. Mein Lebensmotto – nutze das Leben solange Du es noch kannst – bekam wieder höchste Priorität. Alle Bedenken wurden einem neuen Ziel untergeordnet. Finanziell betrachtet natürlich der reine Selbstmord, eigene kleine Werft mit Mitarbeitern wie Klotz am Bein, ein hochseetaugliches Schiff in weiter Ferne. Also die allerbesten Vorraussetzungen für eine kleine Auszeit….;-) Innerhalb weniger Monate konnten meine Lebenspartnerin Tina und ich, mit Willenskraft und vielen vielen Überstunden, zumindest manche Probleme ein wenig lindern. Der Neubaukunde war bald mit einer 1

ARTNIS 2014/2015 Bericht Teil 1 verzögerten Auslieferung seines Catamarans einverstanden, die Mitarbeiter sollten die Firma bei reduzierter Flamme aufrecht halten, aus unserem großen flotten Daysailor wurde ein kleines einfaches neues Zuhause für die Weltmeere gemacht. Das Schiff Unser Motto: wir probieren mal was Neues und gehen zuerst einnmal Atlantik rund auf Testfahrt. Unser Schiff dazu: Ein Einzelbau gezeichnet vom renommierten neuseeländischen Designer Malcom Tenant. 14,84mx8,4m mit Schwertern und drehbarem Flügelmast. Hört sich zuerst einmal groß und schnell an. War es auch, vor dem kleinen Umbau, bei dem allerdings akribisch auf Gewicht geachtet wurde. Das Schiff wurde durch die notwendigen Umbauten nur 150 kg schwerer. Allerdings drückten zusätzliche Batterien, Solarzellen, Herd, Windgenerator u.a. den Wasserpass doch gute 5 cm tiefer. Das Konzept: Die Rümpfe dienen nur als Stau- und Maschinenraum. Auf dem hinteren festen Brückendeck befinden sich 2 getrennte kleine Kabinen mit je einer Doppelkoje à ca.2x2 Meter Größe. Dazwischen sind, wenn gewünscht nach außen völlig offen, Pantry, Sitzplätze und Steuerstand. Der Steuermann hat zur Toilette, zum Kochen, zum Sitzen und zu den Schoten kaum einen Meter Entfernung. Absolut einhandtauglich! Der Weg zum Mast und damit zum Reffen geht mittschiffs ohne das „Wohncockpit“ verlassen zu müssen. Selbst die Ankerwisch ist in diesem Wohnbereich, der komplett mit einem begehbaren Solardach überdacht ist und dessen Seiten mit durchsichtigen Planen geschützt werden können. Ein von mir vorher woanders noch nicht gesehenes Konzept, welches aber genau meine über 30-jährigen Langstreckenerfahrungen und Vorstellungen von einem genialem „Südseeschiff“ trifft.

Heute, nach fast 13 000 Seemeilen „Testfahrt“ wissen wir, was für einen klasse Entwurf wir haben, aber natürlich wissen wir auch genau, was am 2

ARTNIS 2014/2015 Bericht Teil 1 Schiff noch fehlt oder aber auch überflüssig ist. Das meiste ist übrigens überflüssig! Tiefkühler, Bordfahrräder und gar der Wassermacher sind bereits wieder ausgebaut, denn weniger ist häufig viel mehr! Man belastet nicht nur das Schiff, das Portemonnaie und das Freiheitsgefühl mit einem Zuviel an Technik, sondern man belastet auch definitiv sich selbst und damit auch auf die Möglichkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wir fühlen, riechen, schmecken und erleben lieber, als unsere Reise im Vorfeld auszugoogeln, mit dem Mietwagen über fremde und dann auch fremdbleibende Inseln zu brettern und jedes Ereignis sofort zu digitalisieren. Eine Insel zu Fuß, per Anhalter oder mit dem Public-Bus zu erkunden ist einfach intensiver als eine volle SD Karte nach einer guided Tour. Einen zu groß gefangenen Fisch mit den Einheimischen im Hafen zu teilen bringt persönlich definitiv mehr als den Fisch in die eigene Tiefkühltruhe auf Vorrat zu legen. Eine wunderschöne Ankerbucht zu „erleben“ ist einfach cooler als mal wieder irgendeine „unverzichtbare“ Technik reparieren zu müssen. Technik, die man nicht an Bord hat, geht einfach nicht kaputt! Gut, ein Zugeständnis meinerseits: Das, was für mich bei kleiner Crew elementar wichtig ist, wie z.B. der Autopilot, ist sogar doppelt an Bord. Ich hatte früher auch schon Atlantiküberquerungen gemacht ohne Autopilot, aber da waren wir dann auch mindestens zu Dritt und durchweg eine reine Männercrew. Meiner lieben Lebenspartnerin Tina zuliebe, und weil ich ja schließlich nicht alleine segeln wollte, kamen leider noch so „unverzichtbare“ Dinge mit wie z.B. ein Satellitenhandy und ein Brotbackautomat. Selbst eine Rettungsinsel kaufte sie noch ein! Obwohl meiner Meinung nach auf einem Katamaran schon ein Feuer während eines Sturms ausbrechen muss, um einen triftigen Grund zu finden in solch eine Insel fliehen zu müssen - nur das Dinghy bei 8 Windstärken auf dem Atlantik ist da dann wirklich noch unangenehmer. Da nutzt auch meine wissenschaftlich vorgetragene Wahrscheinlichkeitsrechnung nichts – wie schon gesagt: man will ja nicht gerne alleine segeln… Zu den natürlich verzichtbaren aber „very nice to have“ Gegenständen gehörten bei uns an Bord u. a. Tauchflaschen und Tauchkompressor – wir tauchen halt beide leidenschaftlich gerne. Dann der Gennaker und Spinnaker – Segeln ist die noch größere Leidenschaft, und ein Festbodendinghy mit ordentlichem Außenborder- damit man mit den Tauchflaschen auch zum entfernten Riff kommt! Einige Wagenladungen Proviant- als gäbe es kein Morgen mehr, Massen an Medikamenten und Verbandszeug als würden wir ausschließlich Krisengebiete besuchen, und Tausende von Büchern auf den eigens angeschafften e-books als würden wir eine Lesereise antreten, fanden schließlich in den letzten Tagen der Vorbereitung auch noch den Weg an Bord. Was konnte uns jetzt noch von der Atlantik-Testfahrt abbringen…. 3

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Es geht los! Als Abfahrtstermin von unserer Werft auf der Schlei an der Ostsee setzten wir den 20. September 2014 fest. Bis Spanien gedacht als reine Überführungsfahrt mit Freunden. Tina wollte ein paar Tage später in Porto dazustoßen. Sicherlich nicht mehr gerade Hochsommerzeit, eine Zeit, in der auch schon mal mit dem ersten Herbststurm zu rechnen ist. Aber eine Abfahrt früher im Jahr ging bei aller Liebe nicht – und dann doch lieber ein Sturm nahe statt fern der Heimat. Die ersten Tage waren denn auch ordentlich nass und alles andere als gemütlich. Kaum aus der Elbe in der ersten Nacht kam die erste dicke Front über uns. Wind bedeutet Speed, aber leider auch recht schnell Welle. Und bei Strömung gegen Wind kann das in der Nordsee und im engl. Kanal schon mal recht ungemütlich werden! Die Wellen schlugen teilweise ernorm hoch ein, ein trockenes Plätzchen war schnell nicht mehr zu lokalisieren. Zu allem Unglück war meine Tasche mit meinen und den Bootspapieren, mit meinen Segelstiefeln und Trockenanzug beim nächtlichen Schiffbeladen durch Menschenkette an Land geblieben. Ich hatte also leider zu meiner anfangsstressbedingten Migräne auch schon nach wenigen Stunden keine trockenen Klamotten mehr und fror erbärmlich. Nach 3 Tagen kreuzen hatten wir nicht einmal die Kanalinseln querab – in einer Nachtwache fanden wir uns nach 4 Stunden segelnd gegen Strom und einem netten 40 Grad Winddreher (nur Meno Schrader hatte den vorher prognostiziert!) ca. 2 Meilen hinter der vorher ersegelten Position wieder! Also Freude mit Freunden sieht anders aus. Aber es gab auch schöne Momente mit Gennaker bei 15 Knoten Fahrt in einer klaren Mondnacht mit vor dem Bug spielenden Delfinen. Unvergeßlich auch der Moment, am 3. Tag mal endlich was Warmes zu verkosten. Erst ging nämlich der neue gaaanz tolle elektronische GasCeranherd nicht, dann waren die Gaskartuschen für den Reserve-NotGasbrenner unverständlicherweise leer…, der Grill streikte wegen zuviel Salzwassers im System (die Idee bekam ich nachts im Traum - einmal Kaffee vom Gasgrill!) und bei der mitgenommenen Induktionsplatte versagte der nicht-Sinusinverter. Aber nach Tagen der Entbehrung die Idee: wir haben ja noch den Brotbackautomaten! 4 Augenpaare starrten bald durch die kleine Glasscheibe in den beleuchteten Innenraum auf das tollste je in einem Backautomaten zubereitete Superdupereieromelett. Leider gibt es bei normalen Brotbackautomaten nicht das Menü „backen Eieromelett“ – nach der voreingestellten 20-Minutenbackzeit waren die Eier zwar erkennbar erwärmt aber deutlich entfernt vom gewünschten genießbaren Zustand. Gerade jetzt begann aber die „Abkühlphase“ wie das Hitec-Display vom Scheißautomat uns mitteilte. Es wurde dafür umso hitziger diskutiert. Reichlich eine Stunde später wurde nach einer langen Abkühlphase dann aber doch noch heiß gegessen – und Mitsegler Rolf spendierte dazu allerfeinsten Rum.

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Ab Guernsey lief es auch seglerisch besser, wegen Halbwind Stärke 5. Meilen fressen mit Gennaker… bis zur Biscaya wo wir 200 Meilen komplett durch ein Hoch motoren mussten. Aber besser so, als noch einen Herbststurm mit allem Schnickschnack. 8 Tage nach der Abfahrt in Arnis stieg Tina in Porto dazu, nachdem Christian aus beruflichen Gründen in la Coruna abgemustert hatte. Dort gab es nachts um 4 Uhr leider keinen Diesel und den gab’s auch nicht in der tollen Marina von Porto, also gab’s auch hier gleich einen Durchstart an der Pier. Noch im Vorhafen ging uns der Backbord-Diesel aus, hatte die Biscaya uns doch viel motoren lassen (damit Christians Flug erreicht wurde). Na und, wir sind ja eigentlich auch ein Segelboot und hatten nun quasi keine Termine mehr. Also kurze Beratung und weiter ging’s – halt Cabo São Vicente ohne Diesel. Der portugiesische Norder war dann auch ein sehr sehr schöner Süder – für die Yachten die uns entgegen kamen wunderbar. Da hatte sich doch ein Tief 100 Meilen westlich vor der portugiesischen Insel eingenistet. So brauchten wir noch ewig lang bis Vilamoura an der Algarve mit der ersehnten Dieseltankstelle (für die letzten 50 Meilen benötigten wir fast 20 Stunden), denn, so ein Cruisingracer ist echt schnell – bei Wind. Wir haben wirklich jede Minute ausgekostet bei kaum fühlbaren Winden und 0,5 Knoten Gegenstrom. Einfach nur herrlich bei Null Wind in den Tag zu racen. Rolfgang*(*der richtige Name ist dem Autor bekannt) schrieb mehrfach seinen Vor- und Zunamen aufs Wasser, „die Hydraulik“ ließ einfach kein besseres Ergebnis zu. Christopherus* übergab einmal nachts die Wache an mich im vollen Bewusstsein, gerade eine Halse eingeleitet zu haben. Diese beendete ich nach einer kurzen halben Stunde verzweifelter Manöver, um das Boot wieder einigermaßen auf Kurs zu bringen. Die Krönung schaffte Miina*: Sie weckte mich nachts, verunsichert durch „Stimmen“. Diese kamen aus dem Radio des 20m achterlich entfernten Fischerbootes… Langeweile kam also auch bei Flaute nie wirklich auf – segeln ist doch so schön! In Portugal vertäuten wir unser Boot längsseits an einem anderen Cat von einem Freund, stilgerecht in der „Catamaranbucht“ von Culatra. Für uns ging’s dann erst einmal wieder nach Deutschland – da gab es doch noch einen Job… Portugal achteraus Die Überführung von Portugal zu den Kanaren Mitte November sollte der Ernstfall zur Probe für Tina und mich auf der „ARTNIS“ werden. Leider hatten sich 3 Tiefs vor der W-Küste und vor Gibraltar eingedreht und 5

ARTNIS 2014/2015 Bericht Teil 1 Raum für reichlich Glaskugelinterpretation in Sachen Windvorhersagen gelassen. Ich entschied mehrfach nicht auszulaufen. Angesagte 10 Windstärken und mehr lockten nicht zur Segeltour. Schließlich wollte ich Tina ja das versprochene schicke Segeln bieten – mit jedem Tag wärmer werdender Luft… „Mitsegler“ Lukas flog nach wenigen Tagen ungesegelter Seemeilen wieder nach Hause kurz bevor es richtig losging. Wenige Stunden, bevor wir lossegelten, besuchte ich noch Manfred auf der BaltiCat „EOS“ in Portimão und traf dabei zufällig auch noch eine Truppe um meinen Segelmacher aus unserer Heimatstadt Arnis, und schließlich baute ich noch schnell den Autopilot bei Erwins BaltiCat aus (unser 1. Autopilot war gerade ein paar Stunden zuvor kaputt gegangen) und los ging es in die Nacht. Tina durfte schon vor dem Ankeraufmanöver schlafen gehen (es soll ja eine schöne Tour werden;-)). Es ging anfangs recht ordentlich voran. Teils mit 10 -12 Knoten am Wind mit Reff – also leider nicht nur gemütlich. Die Wellen wurden schon am 2. Tag gut 4-5m hoch. Aber alles noch im grünen Bereich. Am 3. Tag dann der Wetterbericht: Deutlich mindestens 9 Bft aus SW für die Region der Kanaren. Der Kurs wurde auf Lanzerote gesteckt, die Höhe hätte eh nicht mehr für Gran Canaria gereicht (also nicht die Durchfahrtshöhe von einer Brücke, sondern der noch zu fahrende Kurs;)). Im Norden von Lanzerote ging’s schon mächtig zur Sache. Und kurz vor dem rettenden Hafen (keine 2sm entfernt kurz vor Sonnenuntergang) kamen die ersten heftigen Sturmböen. Ich traute mich einfach nicht mehr mit achterlichem Wind in den Hafen einzulaufen. Vor Top und Takel liefen wir über 10 Knoten vor dem Wind - wie sollte ich da im Hafen abstoppen oder wenden? Oder gar einen anständigen Anleger fahren, ohne eine der im Hafen liegenden Megasuperyachten „aufzureiben“? Ankern irgendwo im Lee der Inseln? Bei den Fallböen, bei den Lava-Ankergründen, die ich noch gut von früher her kannte? Die Entscheidung, Tina zu sagen, dass wir noch eine Nacht auf See bleiben würden, fiel mir verdammt schwer (sozusagen Luxustörn mit Verlängerung…). Beidrehen bei schwerem Sturm in Landnähe mit einem Cat – also das ist doch mal Erholung pur. Ehrlich gesagt: Das hatte ich vorher auch noch nicht gemacht! Also für alle, die das auch nicht kennen, bei uns war das wie folgt beschrieben und wirklich ganz einfach: Segel komplett runter, Ruder nach Luv, Luvschwert runter, Leeschwert hoch und den Windgenerator ausschalten. Sonst drehen nicht nur die Nerven durch. Fahrt durchs Wasser ca. 1,7 – 2,5kn mit ca. 70 Grad zur Mittschiffsachse. Eigentlich war dann fast alles ruhig… na ja, die Wellen kamen schon manchmal breitseits lecker über. Tina konnte in ihrer Freiwache einigermaßen schlafen – ich weniger bzw. gar nicht. Manchmal dachte ich, der Wind haut uns einfach um. Bei 50 Knoten hörte der Wind immer noch nicht auf – unser Windgeber schon. Welch eine Urkraft. Völlig übermüdet fuhren wir am nächsten Mittag unter Motor in den rettenden Hafen von Arrecife auf der Leeseite von Lanzerote ein. Wir hatten im Hafen wirklich Glück, eine „Windpause“ nutzen zu können, gab es doch auch noch im Hafen 45kn-Böen. Die Marinaangestellten sprachen von 70 Knoten Wind draußen, der örtliche Rettungskreuzer hatte viel zu

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ARTNIS 2014/2015 Bericht Teil 1 tun. Endlich Flaute…3 Wochen lang Wir buchten unsere Atlantikmitsegler um nach Lanzerote, hatten wir nun doch keine große Lust mehr nach Las Palmas weiterzusegeln... Wassergestrahlt durch Regen satt ersparte uns allerdings die Salz-vomDeckwasch- Zeremonie. Tina war, nachdem ich aus einem komatösen Schlaf erwachte, wider Erwarten immer noch an Bord. Sie fragte aber schon nach, warum weder die Temperaturen noch das Wetter meinen Lockvorhersagen entsprachen. Als sie aber fragte, ob die Atlantiktour genauso sein werde, flunkerte ich wieder in den schönsten Tönen… Nach einem leckeren Abendessen war die Stimmung aber wieder im Lot und fast alles vergessen – der Wind allerdings tobte weiterhin über den Masten – der Flughafen hatte immer noch geschlossen. Apropos Wind: reichlich wenig Wind hatten wir später auf der eigentlichen Atlantiktour. Der Wind wurde also extra für uns, so scheint es mir im nachhinein, auf ein paar Stunden „komprimiert“, aber davon später. Ich als „verantwortungsvoller“ Skipper ließ in Arrecife großzügig für 14 Tage einkaufen (Uwe und Johannes hatten sich zu uns gesellt). Gerechnet hatte ich mit bis zu 12 Tagen Fahrtzeit(!) – wer mag schon „Ballast“ beim Catamaransegeln mitnehmen – da hätte ich sonst gleich einen „Bleitransporter“ nehmen können… Es wurde aber, wie Freund Manfred süffisant bemerkte, wohl ein neuer Rekord für die langsamste Atlantiküberquerung mit einem Cruisingracer. Aber liebe Leser, es lag nicht an der Crew oder gar dem Schiff, dass wir den Atlantik möglichst lange genossen: Wir hatten einfach nicht genug Diesel für eine motorisierte Überfahrt dabei! Man gebe einem durchaus schnellen Schiff 5 Knoten Wind genau von Achtern – keine Chance auf die erhofften 10 Knoten Fahrt direkt zum Ziel. Aus der direkten Strecke von ca. 2850 sm wurden leider mehr als 3550 sm durch das viele Kreuzen vor dem Wind oder gar durch die 3 Tage Gekreuze gegen SW(!) Wind Stärke 1! Auch die Rückseite eines Sturmtiefs in der 5. Nacht (ja, einmal gab’s richtig was auf die Mütze!) zwang uns, einen deutlicheren Südkurs zu nehmen (weil Wind aus 230 Grad) als wir eigentlich wollten. Im Nachhinein wäre hier eine andere Taktik wohl sinnvoller gewesen. Wir hätten den Wind einfach mitnehmen sollen und mit dem Tief segeln. Stattdessen sind wir 10 Stunden vor Top und Takel „nur“ mit 8-10 Knoten im Schnitt bei durchschnittlich 35-40 Knoten „Backstagsbrise“ einfach nur so locker rausgefahren. Hier hätten wir einfach ordentlich mit kleiner Segelfläche Meilen Richtung West fressen und vielleicht sogar lange auf der vorderseitigen Windkante mitsurfen sollen. Uns steckte wohl leider noch die erste Böenwalze in den Knochen. 22 Knoten Bootsspeed mitten 7

ARTNIS 2014/2015 Bericht Teil 1 auf dem Atlantik – nach solch einem nächtlichem Surf ohne Welle, reißt man halt als verantwortungsvoller Fahrtensegler reflexartig einfach alles runter was Windwiderstand leistet…Und starrt wie ein Kaninchen vor der Schlange in die dunklen sich langsam auftürmenden Seen. 5 Stunden nach der ersten Bö waren die Wellen dann auch schon so richtig fett. Bei einigen „Schlaglöchern“ im freien Fall dachte ich wirklich mit 2 Kanus weiterfahren zu müssen. Das laute Krachen, die unglaublichen Erschütterungen spüre ich selbst jetzt am gemütlichem Schreibtisch noch. Bei solch einem freien Fall brach wohl auch das eine Schwert ab. Und etwas später brach dann noch das Vorstag glatt am oberen Terminal ab - auch nicht gerade witzig „in the middle of nowhere“. (Merke: ein gut durchgesetztes Spifall erspart einen Anruf bei der Versicherung) Für die Reparatur hatten wir später bei sehr wenig Wind noch reichlich Zeit. Auch später schon unten auf dem 16. Breitengrad wenig Wind: Selten habe ich 3 Tage und Nächte hintereinander so entspannt auch in der Nacht den Spi stehen gehabt. Und wenn der „runtermusste“, dann nur, weil er wegen Windmangels ständig einfiel und dann mit dem leichteren Gennacker gekreuzt werden durfte! Ich glaube, ich habe noch nie so viele Bücher während des Segelns gelesen und so viel Doppelkopf im offenen Cockpit gekloppt. Dabei haben wir wirklich alle naslang getrimmt, als gäbe es einen Preis auf der „anderen Seite“ zu gewinnen. Mein eifriger „Fluglehrer“ (paragliden) Johannes versteht schon beruflich eine Menge von Profilen, die immer überprüft werden müssen – nach 15 Tagen kehrte bei ihm dann auch eine gewisse Portion Gelassenheit ein… eigentlich wollten wir ja vielleicht gemeinsam neue Fluggebiete auf den Karibik-Inseln erkunden, nun gab’s zum Thema Fliegen eigentlich nur noch, ob er seinen Rückflug nach Deutschland noch rechtzeitig bekommen würde oder ob ein Paraglider (hatten wir ja schließlich 2 Stück dabei) zusätzlich für Vortrieb sorgen könnte…. Deutlich gelassener agierte Mitsegler Uwe. Seine Koje (ist Netzyoga ja fast draußen bei uns) – sein Reich. Viel lesen und den Schlaf der letzten Jahrzehnte nachholen. Ach ja, ganz wichtig: Uwe kann jetzt Doppelkopf und hat als Skatspieler auch eine eigene Spielweise bewiesen. Für Tina war diese ruhige Art des Segelns sicherlich die beste Art den Atlantik zu meistern. Wie Freund Konrad richtig meinte, wäre die „sportliche“ Variante

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ARTNIS 2014/2015 Bericht Teil 1 mit Gebolze und 300er Etmalen wohl eher ein Grund zum Abmustern gewesen… Als wir letztendlich in Guadeloupe eintrafen, gab es gottlob niemand, der nach der gesegelten Zeit fragte und meine Kinder, die dort schon 5 Tage warteten, freuten sich trotzdem auf die schwankenden Kojen und dass der Vater was Ordentliches kochte… Fazit nach der Atlantiküberquerung: • Ein schneller Segel-Cat ist nicht zwangsläufig immer schnell – z.B. dann, wenn er keinen Sprit mitführt. • Die Oberflächenströmung am 13. Breitengrad hilft auch nur, wenn sie vorhanden ist – das gilt wahrscheinlich auch für den nächsten Breitengrad. • Der Proviant für 14 Tage kann auch für 20 Tage reichen - wenn die Crew sich der Kaufanweisung des Skippers heimlich widersetzt ;-). • Landurlaub statt Segeltour kann für die eigenen Kinder auch schön sein – außer man macht diesen vielleicht in einer französischen Jugendherberge und in einer der regenreichsten Ecken der Welt. • Auf Guadeloupe gibt es selten reine Sonnentage und es hat statistisch gesehen 3 Mal mehr Regen als Hamburg.

Blaues Wasser, warmer Wind Die nächsten knapp 3 Wochen verbrachten wir mit meinen Kindern zwischen den Grenadinen und Guadeloupe. Den Weg nach Süden machten wir in einem Rutsch – 240 Seemeilen in 23 Stunden mit Badepausen hinter den Inseln und einer herrlichen warmen Nachtfahrt. Raumschots im stetigen Passat – endlich segeln pur! Die Grenadinen mit ihren flachen türkisen Wassern und den vielen kleinen Kokospalmen umsäumten Inseln kannten Tina und ich schon von früheren Törns. Für die Kinder das erste Mal, schwärmten sie schnell nicht nur von den Schnorchelgängen mit Wasserschildkröten, Rochen und Haien. Urlaub pur. Silvesternacht hinter den Pitons von St. Lucia ankernd mit kurzer Hose im Netz vorne ein Feuerwerk aus der 1. Reihe betrachtend. Welch herrliche Alternative zum tristen grauen Regenwetter daheim. Leider ging die Zeit wie immer viel zu schnell vorbei. Zurück in Guadeloupe musterten die Kinder auch schon wieder ab – Schule und Uni riefen nach Beachtung.

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