2. Die historisch-politische Didaktik Um eine begründet e Ant wo rt auf d ie Frag e geben zu kö nnen, inw ieweit durch die Allt agsgeschicht e ‚po lit ische’ oder ‚unpo lit ische’ Ler npro zesse angeleit et werden, ist es no t wend ig, d idakt ische Kr it er ien zu ent wickeln. Bevor die po lit ische Allt agsgeschicht e d id akt isch reflekt iert werden kann, so ll nun zu nächst der Reflexio nsrah men, d ie hist o risch-po lit ische Did akt ik, erö rt ert werden. Zwar wird das Zusammenwirken des hist o r ischen und des po lit ischen Ler nens nicht in Frage gest ellt , jedo ch liegt derzeit keine exp lizit e Begründung der hist o rischpo lit ischen Didakt ik vor, die sowo hl au s g eschicht s- als au ch au s po lit ikdidakt ischer Perspekt ive anerkannt werden würd e. 1 I m fo lgenden zweit en Teil der Unt ersuchung werden deshalb d ie Grund lagen d er h ist o risch-po lit ischen Did akt ik zu erar be it en sein. Erst auf d ieser Basis kann im dr it t en Teil d ieser Unt ersuchu ng die Bedeut ung der Allt ag sg eschicht e für das hist o r isch-po lit ische Ler nen s yst emat isch analys iert werden. Dieser Teil der Ar beit g liedert sich in drei Kap it el. Davon ausgehend, dass in d er hist or isch-po lit ischen Didakt ik zwei Perspekt iven zusammenwirken, so ll zunächst der Gegenst and der Geschicht s- und der Po lit ikdidakt ik er ört ert werden. Die beiden Erkennt n isweisen werden als spezifische Tät ig keit en d es Bewusst seins charakt er isiert , durch die h ist o rischer beziehung sweise po lit ischer S inn gebildet wird ( Kap it el 2.1.). Dem zweit en Kap it el liegt die These zu Grund e, dass sich d ie hist o r isch-po lit ische Didakt ik sinnvo ll ent falt en lässt , indem ihr Forschu ngsgegenst and als aspekt haft es Überschneidungsfeld der hist o r ischen und po lit ischen Bewusst seins st rukt uren vo rgest ellt wird. So so ll das hist o r isch-po lit ische Bewusst sein als zent rale Kat ego rie der hist or isch-po lit ischen Didakt ik begrü ndet werden (Kapit el 2.2.). Im dr it t en Kapit el so ll schließ lich eine ler nt heo ret ische Ko nzept ion der hist or isch-polit ischen Did akt ik 1

Für explizite historisch-politische Didaktiken vgl. Jung/Staehr 1999; Staehr 1978; Rüsen 1989a.

151

ent wick elt werden. Dazu wird d ie Frage diskut iert , wie sich die hist o r isch-po lit ische Bewusst seinsb ildu ng als Ler nprozess verst ehen lässt . Es so ll ein kat ego r iales Grundmust er ent wick elt werden, das dazu d ienen kann, die Bedeut ung d er Allt agsgeschicht e für d ie hist o risch- po lit ische Didakt ik zu analys ieren ( Kapit el 2.3.).

2.1.

Die Geschichts- und die Politikdidaktik

Es so ll nun geklärt werden, wie sich d ie E rkennt nisweisen d er Geschicht s- u nd der Po lit ikdidakt ik u nt erscheiden lassen. Beide so llen als spezifische Tät igkeit en des Bewusst seins begr iffen werden. So wohl das Gesch icht s- als auch das Po lit ik bewu sst sein bildet sich durch eig enst ändige Fr agest ellungen gegenü ber der Umwelt . Die dabei ent wickelt en Vo rst ellu ngen basieren au f S innsyst emen, welche d ie Wirk lichkeit ko nst ruieren und Hand lu ng sopt io nen o r ient ieren. Inner halb der Gesch icht sd idakt ik hat die Bewusst seinskat ego r ie inzwischen eine zent rale Posit io n eingenommen. Das Geschicht sbewusst sein ist zu eine m d iszip linär en Schlü sselbegr iff gewo rden, über den es gelu ngen ist , d ie Kr isener scheinu ng en der sechziger u nd siebziger Jahre zu ü ber wind en u nd u nt erschied liche fachliche Perspekt iven zu int egr ier en. Au ch in d er Po lit ik didakt ik wird au f den Bewusst seinsbegr iff zurückg egr iffen. Die Disku ssio n u m das Po lit ik bewusst sein ko nnt e jedo ch noch keine vergleichbare Dyna mik ent wicke ln. Da d ie Kat egorie bis lang nur unzureichend t heoret isch begründet wurde, so ll hier eine d idakt isch relevant e Ko nzept io n des ‚Po lit ik bewu sst se ins’ vorgeschlag en werd en.

2.1.1.

Historische und politische Erkenntnisweisen

Wie lassen sich die spezifischen Erkennt nisweisen d er Po lit ik didakt ik u nd der Geschicht sd idakt ik charakt er isier en? Bei der Unt ersu chu ng d er in den Fachdidakt iken verwendet en Unt erscheidu ngen kr ist allis ieren sich vier T ypen der Gegenü berst ellu ng heraus. Die Su bst anz d er polit ischen u nd der hist o r ischen Erkennt nisweise wird d ifferenziert als a) hist or ischer Vergangenheit sbezug ver su s po lit ischer Gegenwart sbezug,

153

b) hist o r ische Wissenschaft sor ient ieru ng ver sus po lit ische Schü leror ient ieru ng, c) hist o r isches Denken ver sus po lit isches Handeln o der d) hist o r ische Bewusst seinst ät igkeit versus p olit ische Bewu sst seinst ät igkeit .

a) Vergangenheit s- versu s Gegenwart sbezug Bei der erst en Differenzieru ngsfo r m wird davon ausgeg angen, dass sich die beid en Erkennt nisweisen d es hist o r isch-po lit ischen Korrelat io nsber eiches u nt erscheiden, da sich hist o r isches Denken mit der Vergangenheit u nd po lit isches Denken mit der Gegenwart beschäft igt . Geschicht e int eressier e sich dafür, wie d ie so ziale Wirk lichkeit in frü her en Zeit en gewesen ist , während sich d ie Polit ik mit d en je akt uellen Gest alt ung smö glichke it en der selben beschäft igt . Let zt lich sei d ie Geschicht e auf d ie ‘res gest ae’ u nd die Po lit ik auf d ie ‘r es ger endae’ ger icht et . 1 Diese Unt ersche idung ist heut e nicht mehr t ragfähig, da gesch icht st heo ret isch von einer grund leg end en Ver bind ung zwischen der Vergangenheit s-, Gegenwart s- und Zukunft sdimensio n ausgegangen wird. 2 Es best eht Konsens in d er Auffassu ng, dass Gesch icht e „eine Denkbewegu ng [ ist ], die in der Gegenwart anset zt und sich mit vergangen em menschlichen Handeln und Leid en befaß t , um in der Gegenwart und Zukunft ein vernu nft gele it et es Handeln zu er mög lichen“. 3 Au f dieser Grundlage lässt sich Geschicht e nicht mehr in Oppo sit io n zur Gegenwart als vergangenheit sbezo gen beschreiben. Vielmehr wird d ie Gegenwart neben der Vergangenheit und Zuk u nft zu einer ihr er Zent ralkat ego r ien. Die Unt ersche idung in eine vergangenheit s- und eine gegenwart sbezogene Erkennt nisweise ü ber sieht , dass d ie 1

Vgl. Bergstraesser 1963. Vgl. bspw. Vogt 1963; Mommsen 1975; Jeismann 1985a; Schörken 1981a; Rüsen 1983; Bergmann 1997. 3 Ebd., 266; Vgl. a. Besson 1963, 73; Pandel 1994, 163; Rüsen 1994a, 64.

2

154

Geschicht swissenschaft inzwischen selbst so zialwissenschaft liche Frage- und Erkennt nisweisen int egr iert hat , durch d ie Vergangenheit sforschu ng und Gegenwart ser fahrung verschränkt werden. 4 Der Versuch, d ie Vergangenheit so darzust ellen, ‘wie sie eigent lich gewesen’, erscheint so mit als Verwechs lu ng der reko nst ru iert en ‘gegenwärt ig en Vergangenheit ’ mit der nicht reko nst ru ier baren ‘vergangenen Gegenwart ’. 5 Gegenwart lässt sich dann nicht mehr als Scheidepu nkt zwischen Vergangenheit u nd Zukunft best immen, so nder n als Per spekt ive der Vergangenheit ser in nerung und der Zu kunft serwart ung. E ine Geschicht sfo rschu ng, welche die Vergangenheit so ‘wie es eigent lich gewesen’ abbilden will, hat es ent weder versäu mt , ihre Erkennt nisperspekt ive zu reflekt ier en o der sie ver harrt allein beim ant iquar ischen Samme ln h ist o rischer Quellen. E ine reflekt iert e Geschicht sfo rschung erkennt in ihrer Tät igk eit die „Vergegenwärt igu ng von Vergangenem“ 6 zur Gest alt ung der Zuku nft 7. Auf der Suche nach einer t ragfähig en Unt erscheidung der in der hist o r isch-po lit ischen Didakt ik zusammen wirk enden Erkennt nisweisen hilft d ie Trennung in d en Gegenwart s- und Vergangenheit sbezug nicht weit er. Die Gegenwart ist eine Bas iskat ego rie der Geschicht sd idakt ik und d ie Vergangenheit eine Grunddimens io n der Po lit ikdidakt ik. So wo hl der Po lit ik unt err icht als au ch der Geschicht su nt err icht set zen bei gegenwärt igen Pro ble men an. Das jeweilige Problem wird dann aber mit einem eig enst ändigen Fo rschu ngsinst ru ment ar iu m bear beit et , so dass Geschicht e u nd Po lit ik als ein „beso ndere[r]

4

Vgl. Steinbach 2001, 7. Vgl. Luhmann 1972, 92. Schon Augustinus begriff die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Zustandsformen des je gegenwärtigen Bewusstseins. „Denn es sind diese Zeiten als eine Art Dreiheit in der Seele […] und zwar ist da Gegenwart von Vergangenem, nämlich Erinnerung; Gegenwart von Gegenwärtigem, nämlich Augenschein; Gegenwart von Künftigem, nämlich Erwartung“ (Augustinus 1955, 643f.). 6 Steinbach 1997. 7 Zur Bedeutung der Zukunftsdimension für die Geschichte vgl. Bergstraesser 1963, 24 u. 35; Lucas 1972; Roloff 1978. 5

155

fachliche[r] Umg ang mit den Her ausfo rderung en der jeweiligen Gegenwart “ ver st anden werden kann. 8 b) Wissenschaft s- versus Schülero r ient ierung E ine andere Gegenüberst ellu ng sieht die Geschicht sd idakt ik als eine eher wissenschaft sor ient iert e und die Po lit ikd id akt ik als eine eher schü lero r ient iert e Disziplin. Der Geschicht su nt err icht sei eher auf die Fachd iszip lin bezo gen, währ end d er Polit ik unt err icht seinen Ausgangspu nkt in den lebenswelt lichen Er fahr u ngen d er Schüler u nd Schüler innen habe. 9 Diese Zuo rdnu ng mag als Unt erscheidu ngsmerkmal in best immt en hist o r ischen S it u at io nen zut reffend gewesen sein. S ie lässt sich jedo ch nicht ins Pr inzip ielle verallgeme in ern. Zwar sind in d er Po lit ik didakt ik scho n relat iv frü h schü leror ient iert e Konzept e au fg egr iffen wo rden. 10 Jedo ch best and en zeit g le ich au ch immer inst it ut io nenkund liche Or ient ieru ngen, du rch d ie versu cht wurde, po lit isches Ler nen ü ber po lit ikwissenschaft liche Kat ego r ien zu begründen. 11 Die Or ient ieru ng an der Wissenschaft 12 und d ie Suche nach dem disziplinär ausgewiesenen Ker n 13 sind ele ment are Feld er der po lit ikd idakt ischen Diskussio n. Auf der anderen Seit e lässt sich d ie Gesch icht sd id akt ik nicht einseit ig der Wissenschaft so r ient ieru ng zuo rdnen. Seit den siebziger Jahren hat sich die Bet eilig u ng vo n d en Schü ler innen und Schü ler n zu einem u nverzicht baren Pr inz ip auch d er Geschicht sd idakt ik ent wickelt . Die Er fahr ungsdimens io n ist dabei längst nicht mehr au f den met ho dischen Bereich redu ziert , so nder n reg u liert d ie kat egor iale Auswahl von Ler ninha lt en. 14 Der Versuch, d ie Geschicht sd idakt ik wissenschaft lich u nd die Po lit ik didakt ik pädago gisch zu charakt er isieren, fü hrt also nicht

8

Bergmann 1997b, 274; vgl. a. ders. 1999, 625; Bialas 1997c, 115f. Vgl. Pandel 1997, 319. 10 Vgl. Schaeffer 1976; Schmiederer 1977 u. 1980. 11 Grosser u.a. 1976. 12 Vgl. Gagel 1997. 13 Vgl. Massing/Weißeno 1995. 14 Vgl. Kuhn 1997; Schörken 1997. 9

156

weit er. Längst haben sich beide Didakt iken so pro filiert , dass d ie erziehungsw issenschaft liche u nd d ie fachwissenschaft liche Dimens io n als zwei u nverzicht bare Seit en ihres jeweiligen Reflexio nspro zesses bet racht et werden müssen. c) Denken ver su s Handeln Die Gegenüber st ellu ng, d ie Denken mit der Geschicht s- u nd Handeln mit d er Po lit ikd idakt ik ver bind et , geht ursprü ng lich au f d ie Unt erscheidu ng von Denken und Ent scheiden zurück. 15 Dabei ist d ie Ident ifikat io n des Po lit ischen mit d er Ent scheidu ng eine m st aat szent r iert en u nd perso nalen Po lit ik begr iff g eschuldet , der unt erst ellt , dass Po lit ik eine Angelegenheit von St aat smänner n und das E nt scheid en deren spezifische Hand lu ngsfor m sei. Auch in akt uellen Reflexio nen wird Po lit ik als Handeln u nd Geschicht e als Nicht -Handeln begr iffen, 16 wodurch das po lit ische Ler nen dem Hand lung s- und das hist o r ische Ler nen dem Kog nit io nsber eich zugeordnet wird. Es wird davo n ausgegangen, dass Geschicht e „k eine Or ient ierung für u nmit t elbares Handeln “ und Po lit ik „keine Or ient ieru ng in der Ze it zu liefer n“ 17 ver mag. Das Hist o r isch-Po lit ische ließ e sich dann als d ie Korrelat ion von hist o r ischen Vo rst ellungen und po lit ischer Praxis begreifen. Die „Richt u ng au f Handeln“ 18 als zent ralem Ko nst it ut io nsmerkmal des po lit ikor ient iert en Erkennt nisbereichs ist jedo ch u nzureichend. E ine Or ient ieru ng au f po lit isches Handeln o hne eine Unt er füt t erung des Hand elns d urch po lit isches Denken würde einen po lit ischen Ler nprozess nur unzureichend er fassen. Neben dem Hand lu ngsaspekt muss in der Po lit ikd idakt ik auch die Denkt ät igkeit berücks icht igt werden. Au f der anderen Seit e kann das hist o r ische Denken nicht vo n Hand lu ng sbezüg en

15

Vgl. Bergstraesser 1963. Vgl. Rüsen 1989a, 120f.; Pandel 1997, 321f. 17 Ebd., 321. 18 Jeismann 1978, 30. 16

157

befre it werden. Hist o r ische S innbest immu ng en ver fügen in d er Regel über einen „handlungsanweisenden Charakt er “ 19. Die Beziehu ngshalt igkeit zwischen Denken u nd Handeln macht deut lich, dass d ie Unt ersche idu ng in hist o r isches Denken u nd po lit isches Hand eln d ie Erkennt nisber eiche nicht hinreichend d ifferenzieren k ann. So wohl das Po lit ische als auch das Hist o rische würde dabei nur in einem verkürzt en Ver st ändn is wahrgeno mmen werden. Geschicht e ist kein aussch ließ lich ko gnit iver Vo rgang. Vielmehr geschieht d ie „vergangene Ereign isse zu eine m S innzusammenhang o rganisierende Ko nst rukt io n in pr akt ischer Absicht “ 20. Und der po lit ischen Praxis im Handlung sfeld gehen Vorst ellu ngen voraus, d ie sich als spezifisch po lit ische Denk st rukt uren er fassen lassen. Diesen Zusammenhang greift d ie im Fo lgenden darg est ellt e Unt erscheidu ng zwischen den zwei Bewusst seinsbereichen auf. d) Hist orisches versus po lit isches Bewusst sein Die viert e Gegenüberst ellu ng beschr eibt d ie hist o r ische u nd die po lit ische Erkennt nisweise so , dass beide als eig enst änd ig e Tät igk eit en zweier d ifferent er Bewusst seinsbere iche angesehen werden kö nnen. Mo dellhaft lässt sich das Bewu sst sein als d iejenige kognit ive St rukt ur begreifen, du rch die der Mensch Wirklichk eit svorst ellu ngen au fbaut und bewahrt . Das Bewusst sein beher bergt die su bjekt iven Vorst ellu ngen vo n der Wirklichk eit . 21 E in so verst andenes Bewusst se in geht nicht dar in au f, dass sich in ih m Wissenssegment e anhäu fen. Neben den I nhalt en int eressieren vor alle m die St rukt uren des Bewu sst seins. Diese for male Bewusst seinsd imensio n lässt sich begreifen „als d ie a llgeme ine For m […] in d er d ie Menschen gehalt en sind, ihre 19

Schörken 1972, 99. Baumgartner 1972, 250. 21 Zum Bewusstseinsbegriff in der Psychologie vgl. Gadenne 1996; Frey 1980; Schmidt 1992b, 11. Zur Geschichte des Bewusstseinsbegriffs vgl. Graumann 1966. Zur sozialwissenschaftlichen Rezeption vgl. Leithäuser 1983, 241ff.

20

158

Lebenszusammenhänge u nd ihre Ver hä lt nisse dar in zu int erpret ieren“ 22. Die St rukt uren des Bewu sst seins er mö g lichen es dem Menschen, d ie Ko mplex it ät ihrer Lebensver hält nisse zu reduzieren u nd in Handlungsor ient ierungen zu t ransfo r mieren. Um sinnhaft handeln zu kö nnen, wird d ie er lebt e Ko mp lexit ät durch d ie Bewusst seins t ät igkeit st rukt uriert . Es ist ein S innst ift u ngspro zess im do ppelt en S inne. I m Vo rgang des Deut ens werden Er fahrungen in exist ent e Deut ung smust er eingeordnet . Im Prozess des Bedeut ens werden neue S innst ift u ngsmu st er geschaffen. Das Bewu sst se in b ildet demnach Mo delle vo n d er Wir klichk eit , d ie so wo hl eine abb ildende als auch eine p lanend e Funkt io n haben. 23 Als ‘abbildendes Mo dell’ g ibt es ko gnit ive Schemat a vor, durch welche d ie Wir k lichkeit reflekt iert und st rukt uriert wird. Als ‘p lanend es Mo dell’ st ellt es ein e St rukt ur zur Ver fü gung, durch d ie in d ie Wirk lichkeit eingegr iffen werden kann. Der Mensch benöt igt und benut zt die Mo dellb ildu ngen, u m d ie Welt zu erk lär en u nd zu ver änder n. 24 Das Bewu sst se in ist nicht st at isch. Die durch Denkbewegungen au fg ebaut en Vorst ellu ngen von der Wirklichkeit sind pro zessual und werden best ändig verändert oder best ät igt . Diese Bewusst seinsmo bilit ät lässt sich als ein Äqu ilibr at ionsprozess verst ehen, durch den sich die kog nit iven S t rukt uren per manent erweit er n u nd umst rukt ur ieren. So lange die Bewu sst seinskapazit ät en es er lau ben, werden neue Erkennt nisse durch d ie vo rhandenen S chemat a assimilie rt . Sobald d ie Assimilat io nsschemat a der Erfahru ngsver arbeit u ng nicht mehr genügen, werd en sie selbst akko mo diert . 25 Diese Ko nst rukt ivit ät macht das Bewusst sein ler nt heo ret isch relevant . Da der Wandel der ko gnit iven St rukt uren als eine Wirkun g vo n Ler npro zessen

22

Ebd., 239. Vgl. Frey 1980, 98ff. 24 Dem Modell liegt ein deskriptiver Bewusstseinsbegriff zu Grunde. Vgl. im Gegensatz dazu die normative Verknüpfung des Bewusstseinsbegriffs mit dem Emanzipationsgedanken bei Thomas Leithäuser (1983, 240). 25 Vgl. Piaget 1992, 412ff. 23

159

begr iffen werden k ann, st ellt das Bewusst sein eine zent rale Kat ego rie der d idakt ischen Reflex io n dar. 26 Inde m spezifische Fragen an d ie Umwelt gest ellt werden, bildet das allgemeine Bewusst sein kog nit ive Su bst rukt uren. Die Mö glichkeit en zur Unt erg liederung des Bewusst seins sind pr inzipiell u nbegrenzt . Die dabei ausgebildet en St rukt uren haben eine u nt erschied liche Reichweit e u nd s ind zudem n icht immer exakt vo neinand er zu t rennen. S ie können sich ü ber lager n u nd verknüp fen, so dass Über schneidungsfelder ent st ehen. 27

Die hist o rische u nd die po lit ische Erkennt niswe ise resu lt iert aus zwei unt erschied lichen Erk läru ngszusammenhäng en, durch d ie der Mensch seine Wir k lichkeit svo rst ellu ngen sinnhaft au fbaut . Durch hist o rische beziehungsweise po lit is che S innst ift ungen werden ko gnit ive Subst rukt uren ent wickelt , welche d ie su bjekt iven Vorst ellu ngen vo n der Wir k lichkeit präg en. Dabei ver fügt so wo hl d ie po lit ische als auch d ie hist o r ische Denkt ät igkeit ü ber Handlungsrelevanzen. 28 Das Geschicht s- u nd das Po lit ik bewusst sein sind modellhaft e Vorst ellu ngen vo n Teilbereichen der allgemeinen ko gnit iven St rukt ur. Beide sind d urch eigenst änd ige S innb ildu ngen gekennzeichnet . In seiner Ko nst rukt ivit ät und Pro zessu alit ät kann das Bewu sst sein als eine Fo lge von Ler np rozessen begr iffen werden. Dieser Umst and recht fert igt , dass so wohl das Geschicht sals au ch das Polit ikbewusst sein einer eigenst änd igen ler nt heo ret ischen Reflexio n unt erzogen wird. Die Geschicht sd idakt ik beschäft igt sich mit dem Geschicht sbewusst sein und d ie Po lit ikd idakt ik mit dem Po lit ik bewu sst sein, inso fer n die Bewusst seinsbild ung als Ler nwirku ng verst and en wir d. Didakt isch int eressiert am

26

Vgl. dazu ausführlich Kap. 2.3.3. Vgl. Frey 1980, 103ff. 28 Insofern ist es unzureichend, wenn Politikbewusstsein im Gegensatz zum Geschichtsbewusstsein als „primär auf das Handeln bezogen“ (Rüsen 1989a, 120) definiert wird. 27

160

Bewusst sein n icht nur d ie Anhäu fu ng vo n „Wissensbest änden, E inst ellu ngen, Meinu ngen und Wert ha lt u ngen“, so nder n besonders „der innere Zusammenhang dieser Phäno mene, mit dem sie als ein abgrenzbarer Bewuß t seinsbereich au ft ret en und angesprochen werden kö nnen“ 29. Die Unt ersche idu ng des Hist o r ischen u nd des Po lit ischen in zwei Bewusst seinsbereiche hat gegenüber den anderen Differenzieru ngen den Vo rt eil, • dass die Beschäft igung sowo hl mit der Geschicht e als auch mit der Po lit ik als eine Vergegenwärt igu ng ver st anden werden kann, • dass beide Ler nvo rgänge im Spannu ngsfeld von Wissenschaft s- u nd Er fahr u ng sbezügen vero rt et werden kö nnen • dass beide Ver fahren als Denkt ät igkeit en mit Handlu ng sko nsequenzen begr iffen werden können. Aber wie lässt sich der Bewusst seinsbegr iff in d er Geschicht sund der Po lit ik didakt ik ent falt en?

2.1.2.

Das Geschichtsbe wusstsein

Seit den siebzig er Jahren hat sich die Geschicht sd id akt ik au s ihrer „Ver blü ffu ng sst arre“ 30 befreit u nd mit t els einer fu ndament alen Selbst reflex io n als Diszip lin neu ko nzept ualis iert . 31 Mit dem ‘Geschicht sbewusst sein’ fand sie ein st rukt urierendes Pr inzip, au f das sich d ie unt erschiedlichen d idakt ischen Zugang sweisen beziehen ko nnt en. Indem die Ko nzept io n bildu ngst heo ret ische u nd ‘kr it isch-ko mmun ikat ive’

29

Ebd., 119. Jeismann 1980, 181. 31 Vgl. Steinbach 1998, 116f. 30

161

Zugänge in sich au fho b, 32 war eine gemeins ame Basis für das Nachdenken über h ist orisches Ler nen geg eben. Die Geschicht sd idakt ik kann inzwischen als eine eigenst ändige So zialwissenschaft bet racht et werden, deren Gegenst and das ‘Gesch icht sbewusst sein’ beschr eibt . 33 Sie begreift sich a ls wissenschaft liche Diszip lin, „d ie ü ber B ildungs- u nd Selbst bild ung sprozesse, Lehr- und Ler npr ozesse an und durch Geschicht e nachdenkt und damit d ie E nt stehu ng, Beschaffenheit , Funkt io n u nd Beein flussu ng vo n Gesch icht sbewuß t sein im gese llschaft lichen u nd hist o r ischen Zu sammenhang t hemat isiert “ 34. Es st ellt sich die Frage, dur ch welche Best immung das Geschicht sbewusst sein in der Lage ver set zt wurde, eine so prono nciert e St ellu ng einzunehmen. Die Kat egor ie des Geschicht sbewusst seins verweist d ie Geschicht sd idakt ik auf den „Zusammenha ng vo n Vergangenheit sd eut ung, Gegenwart sverst änd n is und Zuku nft serwart ung “ 35. Durch d en Bewusst seinsbezug kann der geschicht sd idakt ische Reflexio nsgegenst and nicht mehr ausschließ lich mit d er Vergangenheit ident ifiziert werden. Denn das Gesch icht sbewusst sein bezeichnet die geist ige Ko mpet enz, durch d ie gegenwärt ig e soziale For mat io nen und Inst it ut io nen als zeit gebu nden bet racht et werden kö nnen. 36 So mit st ellt das Geschicht sbewusst sein ausgehend vo n Gegenwart spro ble men Fragen an die Vergangenheit . Neben der Gegenwart , die als Deut ungshint ergru nd u nt rennbar mit dem Geschicht sbewusst sein verk nüp ft ist , ist die „So rge u m d ie Zuku nft “ als ein „wesent licher Ant r ieb zur Bildu ng eines ‘gesch icht lichen Bewußt seins’“ 37 zu begreifen. Schließ lich k ann

32

Vgl. Jeismann 1985, 56. Zur Diskussion vgl. Rohlfes 1986 u. Jeismann 1988. 34 Bergmann/Schneider 1997, 256. Die Didaktik des Geschichtsunterrichts stellt dann nur noch einen Sonderfall der Didaktik der Geschichte dar. Vgl. Jeismann 1978a, 119. 35 Ders. 1978, 32; Vgl. a. ders. 1985a. 36 Vgl. Schieder 1974, 78f. 37 Bergstraesser 1963, 9. 33

162

„ein als S in neinhe it er faßbarer Zusammen hang der hist orischen Vergangenheit […] zur Recht fert igung des Best andes d er Gegenwart wie des Vordenkens in d ie Zuk unft “ 38 dienen. Erst die Fähigkeit , die Gegenwart als gewo rdene zu erkennen, schafft d ie Vorrauset zung, sie auch als gest alt - und veränder bar zu bet racht en. 39 Durch d iesen zeit lichen Zusammenhang wird ‘Geschicht e’ vo n der Vergangenheit g elö st und als Tät igkeit der Gegenwart vorst ellbar. Denn d ie E igenart des „Geschicht sbewußt seins“ ist nicht mehr in dem Be mü hen um „E rkennen der Vergangenheit , so nder n in d er Verzeitlichung der Vergang enheit “ zu sehen, die einem „I nt eresse an Zukunft fo lgt “ 40. So ist d ie Gru nd fig ur jeder hist o r ischen Reflex io n nicht mehr alle in vergangenheit s-, so nder n zugleich g egenwart s- und zukunft sbezo gen. Hist o risches Ler nen lässt sich demnach nicht als eine Über nahme von hist o r ischem Wissen begreifen, das in dem Behält er ‘Gesch icht sbewusst sein’ angesammelt wir d. Vielmehr werden d ie Bewusst seinsinhalt e erst durch die Produk t ivit ät des Geschicht sbewusst seins geschaffen. Das Geschicht sbewu sst sein bezeichnet eine ko gnit ive St rukt ur, durch deren Tät igkeit die Vergangenheit ser in nerung mit S innbezügen zur gegenwärt igen Problembewält igu ng au fgeladen wird. In dieser allgemeinen Fo r m lässt sich das Geschicht sbewu sst sein a ls ein E nsemb le von „Vo rst ellungen ü ber Vergangenheit “ 41 begr eifen. Damit er fasst d ie Kat ego rie den Umst and, dass Geschicht e nicht in der Reko nst rukt io n vergangener Wirklichkeit au fgeht , sonder n immer „auch das Bild [ ist ], das sich Menschen vo n ihr machen“ 42. Was mot iv iert den Menschen, Bezüge zur Vergang enheit herzust ellen und Vo rst ellu ngen ü ber d ie Vergangenheit

38

Ebd., 14f. In diesem Sinne kann Geschichtsbewusstsein als eine Vorraussetzung für jegliche Form von politischem Handeln begriffen werden. 40 Luhmann 1972, 92. 41 Jeismann 1980, 183. 42 Steinbach 2001, 6; vgl. Jeismann 1997, 42f.; ders. 2000b, 48ff. 39

163

au fzubauen? Wor in liegt die lebensprakt ische Bedeut ung der hist o r ischen Bewusst seinst ät igkeit ? Der Anlass für h ist o risches Denken ist d ie Grunder fahru ng des Menschen, dass sich d ie Lebensverhält nis se mit der Zeit au f nicht - int endiert e Art und Weise wandeln. Zu nächst nimmt der Mensch den Wandel in der Zeit a ls einen kont ingent en Ver lauf war, dem er au sge liefert ist . Er erlebt zeit lich d iffer ent e Ereignisse, Pro zesse und St rukt uren als zu sammenhang lose Vorfo r men d er Gegenwart . Den Anst oß zur Ordnung der hist o r ischen Er inneru ng g ibt ein Gegenwart spro blem, für das der Mensch „nach g eist ig er Or ient ierung “ 43 sucht . Um sein Ver halt en o rient ieren zu kö nnen, g ibt der Mensch den vielfä lt igen hist o r ischen Erscheinung sfor men einen S innzusammenhang. Durch d ie Redukt io n ko mp lexer hist o r ischer Wirklichkeit wird sinnhaft es Handeln er mö g licht . Dafür ent wickelt hist or isches Denken Vorst ellu ngen vo n Zeit ver läufen, welche d ie Vergangenheit mit S inngehalt en aufladen. Die ent wick elt en Vorst ellu ngen vo n Geschicht e er mö glichen es dem Menschen, sein Handeln in den Veränderu ngen der Zeit zu o rient ieren. So wird d ie Vergang enheit er innert , u m d ie Gegenwart verst ehen u nd d ie Zuku nft er wart en zu kö nnen. 44 Ganz allgemein bezeichnet Geschicht sbewusst sein a lso die Ko mpet enz, „d ie d er Or ient ieru ng in den zeit lichen Ver änderungen u nseres Lebens u nd unser er gese llschaft lichen Wirklichkeit dien lich is t “ 45. Erinnerungen an d ie Vergangenheit werden gedeut et , um die Lebenspraxis zu perspekt ivieren. Die am Geschicht sbewusst sein int eressiert e Didakt ik ent su bst anzia lisiert ihr en Umgang mit d er Vergangenheit . Neben den hist o rischen I nhalt en eines Ler nvo rgangs r icht et sie ihre Aufmer ksamkeit au f die fo r malen Bewu sst seinsänderu ngen. Diese Abläu fe lassen sich als „bewuß t seinsst rukt urier ende Denk- u nd E inst ellu ngsprozesse“ begre ifen, „d ie dur chweg ‘hint er’ den

43

Bergstraesser 1963, 11. Vgl. Rüsen 1985, 67; ders. 1989a, 121; ders. 1990, 11; ders. u.a. 1991, 232f. 45 Bergmann 1996, 328. 44

164

Inha lt en liegen und dem aufneh menden Su bjekt in aller Regel verbo rgen bleiben“ 46. Durch das for male Bewusst seinsverst änd nis t ret en diejen igen ment alen Prozesse und Tät igkeit en in den Vordergrund, d ie hist o r isches Denken u nd Ler nen „noch vo r der fachwissenschaft lich ver mit t elt en, d idakt ischen E xplik at ion vo n ‘Gesch icht e’ als Ler ninha lt “ 47 begrü nden. Die Geschicht sdid akt ik int eressiert , wie sich „Geschichtsbewußt sein zu Geschicht sb ewußt sei n “ 48 wandelt . Wenn das Bewusst sein nicht mehr ü ber hist o rische I nhalt e charakt er isiert werden kann, wie lässt sich dann t rot zdem eine spez ifische Fo r m des hist or ischen Denkens ident ifizieren? Lassen sich geist ige Akt e und St rukt uren benennen, d ie der Auseinanderset zu ng mit Gesch icht e zu Gr und e liegen? Davo n ausgehend, dass die allgeme ine Fu nkt io n des Bewusst seins d ie Produkt io n vo n S inn ist , lässt sich ko nkret isier en, dass „h ist o risches Denken […] aus Ze it S inn [ macht ]“ 49. „Geschicht e als S inng ebung des S inn lo sen“ 50 lässt sich als d iejen ige Tät igkeit des Bewu sst seins begreifen, d ie Er inneru ngen an d ie Vergangenheit verzeit licht . I m Pro zess der Verzeit lichu ng werden Zeit zusammenhänge in S innzu sammenhänge t ransfo r miert . Das Geschicht sbewusst sein st rukt uriert die Denkpro zesse, die aus Zeit S inn machen. Jö rn Rü sen begreift d ie Bewusst seinst ät ig keit , d ie Vergangenheit ser fahr u ngen, Gegenwart sdeut ungen und Zuku nft so r ient ieru ng en in einen übergreifenden S innzusammenhang st ellt , als ‘hist o r isches Erzählen’. Hist o risches Erzählen ist demnach die Grundo perat io n des Geschicht sbewusst seins, „d ie es in se iner E igenart und Unt erschiedlichk eit vo n ander en ment alen Pro zessen ko nst it uiert und vo n der her h ist orisches Ler nen als einheit licher Vo rgang

46

Schörken 1972, 96 Rüsen 1997, 261. 48 Schörken 1972, 97. 49 Rüsen 1990, 11. 50 Lessing 1927. 47

165

t hemat isiert werden kann. “ 51. Hist o risches Erzählen drückt sich in der Tät igkeit au s, die Er fahrungen der Ver gangenheit in der Gegenwart so zu deut en, dass Zukunft als Hand lu ng sp ersp ekt ive erschlossen wird. 52 In diesem S inn ist das hist or ische Erzählen d ie das Geschicht sbewusst sein ko nst it u ier ende Gru ndo perat io n. Es ist eine Fo r m des Denkens, die es ü ber haupt erst recht fert igt , hist o r isches Bewusst sein als einen Teilber eich des allgeme inen Bewusst seins zu spezifizier en. 53 Dieser ment ale Erzählbegr iff dar f nicht mit einer anderen fachint er nen Debat t e um das Erzählen als Darst ellu ng sfor m verwechse lt werden. Die darst ellende Erzählu ng st ellt Er innerungen an d ie Vergangenhe it in e in en ep ischen Zusammenhang. 54 Das ment ale Erzählen st ellt Er inneru ng en an d ie Vergangenheit in einen zeit lichen S in nzusammenhang. Um Verwechselungen mit dem darst ellenden Erzählbegr iff auszuschließen, wir d der ment ale Erzählb egr iff im Fo lgenden als ‘Narrat io n’ bezeichnet . Eine Narrat io n kennzeichnet demnach den ment alen Pro zess, durch den Zeit vorst ellu ng en in S innzusammenhäng e t ransfo r miert werden. Angeregt durch eine gegenwärt ige Problemst ellu ng werden dur ch eine Narrat io n Vergangenheit sd eut ungen pro duziert , um Handeln sinnvo ll in d ie Zuku nft zu persp ekt ivier en. Durch Narr ier en werden Er innerungen an d ie Vergangenhe it verzeit licht . Die narrat ive S innbildung u nt erscheidet die Tät igkeit des Geschicht sbewusst seins vo n anderen ment alen Prozessen und st ellt so mit d ie inner e Log ik des hist o r ischen Denk ens d ar.

51

Rüsen 1997, 262. Vgl. ders. 1985, 68 und ders. 1997c, 58. 53 Vgl. Quandt/Süssmuth 1982; Rüsen 1985, 65; ders. 1997, 262. 54 Vgl. Flitner, 1955, 560; ursprünglich: Scheiblhuber 1901; vgl. auch Tocha 1979, der narrative mit entdeckenden Darstellungsformen verbinden will; Zur Narrativitätsdiskussion Baumgartner 1982 u. Quandt/Süssmuth 1982; für einen Überblick vgl. Schneider 1997a, 437ff. 52

166

2.1.3.

Historische Sinnbildungsformen

Es so ll nun diskut iert werden, welche Formen d es hist or ischen S innbildens unt erschieden werden kö nnen. Mit Hilfe der Bewusst seinskat ego r ie lässt sich d ie hist o r ische Bewu sst seinst ät igkeit bis lang vo n ander en Denkfo r men unt erscheiden. Damit st ehen aber no ch keine Kat ego rien zur Ver fügung, u m d ie hist o r ische S innb ildung in sich zu d ifferenzieren. Das ist aber not wendig, wenn das Geschicht sbewusst sein nicht nur als abst rakt es Theor ieko nzept dienen, sonder n zu gleich für analyt ische Zwecke genut zt werden so ll. Wie kann d ie „er inner nde Vergegenwärt ig ung der Vergangenhe it zu Or ient ierungszwecken der gegenwärt ig en Lebenspraxis“ 55 als d ie fu ndament ale S innbild u ngsleist u ng des Geschicht sbewu sst seins d ifferenziert und so mit auch für d ie geschicht sd idakt ische Analyse nut zbar gemacht werden? Das Geschicht sbewusst sein bezeichnet d ie ko gnit ive St rukt ur, durch d ie Zeit in S inn t ransfo r miert wird. Hist o risches Denken ist Narrat ion vo n Zeit vo rst ellungen. Au sgehend vo n d ieser Definit io n hist or ischer S innbildu ng biet en sich für eine Unt erglied erung drei ver schiedene Mög lic hk eit en. Je nach Bet o nu ng von Denken, Narration o der Zeitvorstellungen, werd en alt er nat ive T ypo lo g is ierungen mö g lich. Die Bet onu ng - ‘Hist o risches Den ken ist Narrat io n vo n Zeit vorst ellungen’ fü hrt zu einer Ko gnit io nst ypo log ie, - ‘Hist o risches Denken ist Na rration vo n Zeit vo rst ellu ngen’ fü hrt zu einer Narrat ionst ypo lo g ie, - ‘Hist o risches Denken ist Narrat io n vo n Zeitvorstellungen’ fü hrt zu einer Zeit t ypo log ie. In der Geschicht sd idakt ik st eht bislang d ie kognit io ns- und narrat ionst ypo log ische Differenzierung hist orischer S innbildu ng im Vo rdergru nd.

55

Rüsen 1991, 45.

167

2.1.3.1.

Die Kogn it ions- und d ie Er zähltypolog ie

„Hist orisches Den ken ist Narrat io n vo n Zeit vorst ellung en“. Kar l-Er nst Jeismann t ypo lo gisiert den hist orischen

S innbildung spro zess durch eine Unt erscheidu ng der Denko perat io nen, die an der hist o rischen Bewu sst seinsbildu ng bet eiligt sind. 56 Er sieht d ie Tät igke it des allg emeinen Bewusst sein als eine ment ale Aneig nu ng der Wirklichkeit an. Den Prozess der Aneig nung begreift Jeis mann als eine St u fenfo lge, d ie bei der „Wahr nehmung, Unt erscheidu ng, Einordnu ng vo n Phäno menen“ anset zt und ü ber d ie „Bedeu t ungszu messung u nd Beurt eilu ng“ bis h in zu „Wert ungen und Einst ellungen [reicht ; D.L.] […], die a ls Ko nsequenz best immt e Ver halt ensweisen nach sich ziehen“ 57. Die kognit ive Bewusst seinst ät igkeit ist so mit als Vorgang des Analys ier ens, Urt eilens und Wert ens begreifbar. Da das hist o r ische Bewusst sein einen Teil bereich des allg emeinen Bewusst seins ausmacht , finden sich d ie Denko perat io nen zwangsläufig in ih m wieder. Richt en sich d ie Denko perat io nen des Analys ier ens, Urt eilens und Wert ens auf d ie Vergangenheit , so fo r men sie besondere Erkennt nisweisen der S innbildung ü ber Zeit er fahru ngen 58. Das hist o rische Sachanalys ieren, das hist o rische Sachurt eilen u nd das hist o r ische Wert en macht als Denkfo r m Geschicht e bewusst , indem es einen Zusammenhang zwischen Vergangenheit sdeut ung, Gegenwart sverst änd nis u nd Zuku nft sper sp ekt ive her st ellt . 59

„Hist orisches Denken ist Narration vo n Zeit vorst ellung en“. Jö rn Rü sen hat das Mo dell des auf d ie Vergangenheit bezo genen Analys ierens, Urt eilens u nd Wert ens erzählt heo ret isch erweit ert . Da er davo n ausgeht , dass sich Geschicht sbewu sst sein a ls

56

Vgl. Jeismann 2000b, 63f. Ders. 1988, 10. 58 Ebd., 10f. 59 Vgl. ders. 1997, 43; ders. 1980; ders. 2000b, 63ff. 57

168

hist o r isches Erzählen man ifest iert , muss es sich auch ü ber die For m des Erzählens t ypis ieren lassen. Der S innbildu ng spro zess kann demnach nicht nur nach den Denkoperat io nen unt erschieden werden. For men der hist o r ischen S innbild ung werden vo n Rüsen als spezifische Umset zungen des narrat iven Mo ment s von Geschicht sbewusst sein begr iffen. Er ent wickelt T ypen des hist o r ischen Erzählens, welche d ie S innb ildungst ät igke it ü ber Zeit er fahru ng jeweils ander s realis ieren 60. Denn d ie Fo r men des hist o r ischen Erzählens, durch d ie zeit d iffe rent e P häno mene als S innzusammenhang begr iffen werden, sin d unt erschied lich. Rüsen hat im Anschlu ss an lingu ist isch au sger icht et e Ar beit en 61 mit dem t rad it io nalen, exemplar ischen, kr it ischen und genet ischen Erzählen vier S innb ildu ngsfo r men ent wickelt . 62 • Das t raditionale hist o r ische Erzählen st ellt einen Zusammenhang zwischen Vergangenheit sd eut ung, Gegenwart sverst ändnis u nd Zuku nft serwar t ung her, ind em es Geschicht en erzeugt , die gegenwärt ige Lebensbed ingu ngen als ursprü ng lich u nd zeit lo s darst ellen. • Der exemplari sche T ypus er zählt Geschicht en, d ie an einzelne Sachver halt e in der Vergangenheit er inner n. Dabei wird au s den vergangenen S it uat io nen ein S inngehalt ext rahiert , der als allgeme ine Regel auf g egenwärt ige u nd zukünft ige Pro ble msit uat io nen ü bert ragen wird. • Das kriti sche Erzählen ent wickelt keine e igenen ko nsist ent en Geschicht en, so nder n de leg it imiert best ehende hist o r ische S innb ildu ngen. Sowo hl t rad it ionale als auch exemp lar ische Ko nt inu it ät su nt erst ellungen werden ent wert et , ind em wider sprechende Sachverhalt e aus der Vergangenheit ausgewäh lt werden. Dadur ch werden neue Int erpret at io nen der Vergangenheit er mö glicht , aber no ch nicht erzäh lt .

60

Vgl. Rüsen u.a. 1991, 236. Vgl. White1990a u. 1991; dazu a. Lorenz 1997, 170-187. 62 Vgl. zum Folgenden Rüsen 1989, 126ff.; ders. 1991, 237ff.; ders. 1997c, 59ff. 61

169

• Das geneti sche Erzählen er innert die Vergangenheit als Vo rst ufe eines Pro zesses, der ausgehend vo n der Vergangenheit über d ie Gegenwart au f d ie Zukunft ger icht et ist . Phäno mene der Vergangenheit werd en als Vo rausset zung en der Gegenwart gedeut et . In der genet ischen Geschicht e ver binden sich Dauer und Wandel in der Vo rst ellung einer E nt wicklu ng. Dabei wird Ko nt inuit ät durch d ie Ger icht et heit der Veränderu ng unt erst ellt . Rüsen unt erst ellt dem hist or ischen Erzählen eine ant hropolo g ische Ent wicklu ng slog ik, die vo m t radit io nalen über den exemplar ischen u nd kr it ischen zum genet ischen Erzählt ypu s ver laufe. In d ieser Reihenfo lge beschr eiben die Erzäh lt ypen demnach den hist o r ischen Wandel der Narrat io nsko mpet enz. 63 Die S innb ildung st yp en werden so zu S innbild ung sniveau s, durch deren Abfo lge sich d ie E nt st ehu ng vo n Geschicht sbewusst sein sowo hl a ls E vo lut io ns- als auch als Sozialisat io nspro zess nachzeichnen ließe. 64 Zwar sind Rüsens Über legung en an diesem Punkt hypo t het isch, jedo ch scheint d ie anst eig ende Ko mp lexit ät der S innbildung eine so lche I nt erpret at io n nahe zu legen. Die unt erst ellt e St u fenfo lge ist jedoch proble mat isch, inso fer n durch sie deskr ipt ive u nd nor mat ive Aspekt e der S innb ildung st ypo lo g ie ver mischt werden. Inde m jeder Erzählt ypu s au f der Skala der S innbild ung sniveaus eingeordnet werden kann, be inhalt et seine ana lyt ische Ident ifiz ieru ng immer auch eine Bewert ung. Diese nor mat ive Au fladu ng der S innb ildung st yp en beschränkt die Au ssag ekraft des erzählt ypo log ischen Modells. E ine weit ere Pro blemat ik der Erzählt ypo logie ist in der Ent falt ung des kr it ischen Erzählt ypus zu sehen. Schließ lich kö nnen die drei anderen T ypen nicht dadu rch abgegrenzt werden, dass ihnen ein unkr it ischer Charakt er unt erst ellt wird. Jed er vo n

63 64

Vgl. ders. 1990, 215. Vgl. ders. 1997c, 62.

170

ihnen kann sowohl affir mat iven als auch kr it ischen S in n b ilden. Ist der krit ische T yp us dann n icht sinnvo ller als eine kr it ische Subd imensio n des t radit ionalen, exemp lar ischen u nd genet ischen Erzählens zu begreifen? 65. Wie lässt sich nu n ein I nst ru ment ar iu m der Analyse vo n Geschicht sbewusst sein ent wickeln, dessen Kat ego r ien nicht zwangsläufig wert gebu nden sind ? Es ist zu über legen, o b eine zeit t ypo lo gische Differenzierung, welche d ie analyt ische Kapaz it ät der beid en anderen Ansät ze int egr iert , eine sinnvo lle Grund lage für die spät ere Kat ego risierung des hist orischpo lit ische Bewusst sein darst ellen kann.

2.1.3.2.

Die Ze ittypolog ie

„Hist orisches Denken ist Narrat io n vo n Zeitvo rstellungen “. Ausg ehend vo n der Erkennt nis, dass ‘Erzählen au s Zeit S inn macht ’ 66 t ypo lo g isiert Rüsen das ‘Erzählen’. Es ist aber ebenso mö glich, d ie Zeit zu m Gegenst and der t heo ret ischen Differenzieru ng zu machen. Diese zeit t yp olog ische Unt erscheidu ng hist o rischer S innb ildungsfo r men so ll im Fo lgenden ent wickelt werden. Die Fo cusver lageru ng au f d ie Zeit ble ibt dem erzählt heoret ischen Ausgang sp unkt , dass hist orisches Denken Zeit vorst ellungen narr iert , durchaus ver haft et . Sie begreift als maßgebliches S innbildu ng skr it eriu m jedoch nicht mehr d ie For m des Erzählens, so nder n d ie St rukt ur von Zeit ver lau fsvo rst ellung en, durch d ie Vergangenheit , Gegenwart und Zukunft in einen Zusammenhang gebr acht werden. 67

65

Schließlich hat Rüsen selbst festgestellt, dass es sich beim Ergebnis der kritischen Sinnbildung wieder um „neue Handlungsregeln, andere Traditionen oder auch um neue genetische Orientierungen handeln [wird]“ (ders. 1989a, 130). Vgl. ders. 1985a, 265; zur Problematik vgl. a. Borries 1980; ders. 1988, 61; ders. 1998a, 142. 66 Vgl. Rüsen 1990, 157. 67 Vgl. zur erzähltheoretischen Legitimation einer Differenzierung von Zeitverlaufsvorstellungen bspw. Rüsen u.a. 1991, 228 u. Rüsen 1997d, 29. ‘Erzählen’ ist nach Rüsen „ein produktiver Akt von Sinnbildung über Zeiterfahrung“ (ders. 1985, 67), „der die Erfahrung der Vergangenheit erinnernd vergegenwärtigt

171

Die ‘Zeit ’ st ellt neben dem ‘Rau m’ die zent rale Or ient ieru ng sgrö ße im menschlichen Leben dar. Zug leich sind beide Dimensio nen ver schränkt , wenn Zeit als eine „geist ige Beweglichk eit “ ver st anden wird, d ie das „Räu mliche überwindet “ 68. Piaget geht von der Annahme aus, dass Rau m u nd Zeit in der Realit ät ein Ko nglo merat darst ellen. „Raum“ ist für ihn „eine Mo ment au fnahme der Zeit u nd d ie Zeit ist der Rau m in Bewegung “ 69. Die ko mplexe Kat egor ie Zeit lässt sich d eshalb defin ieren als d ie gedankliche Koo rd inat io n von Veränderu ngen. Erst die t ät ige Au seinander set zu ng mit der Umwelt u nd ander en Menschen macht die Exist enz vo n Zeit sicht bar. Deshalb ist „Zeit nicht s anderes […], als eine I n-Beziehu ng -Set zung der Ereignisse, d ie sie ausfüllen“ 70. Zeit so ll im Fo lgend en also nicht u nt er dem Aspekt der Dauer 71, so nder n unt er dem Aspekt der Reihu ng bet racht et werden. Die zeit liche Reihenfo lge u nd nicht das zeit liche Maß von ‘Ver änderungen im Rau m’ ist der t heoret ische Bezugsp u nkt . Das Er lebnis der zeit lichen Ordnu ng ist su bjek t iv 72 und zug leich unt er lieg en d ie Vo rst ellungen ü ber der Aufeinander fo lge vo n Phäno menen der kult urellen Ko nst rukt ion. 73 Die menschlichen Zeit vo rst ellungen sind demnach selbst als hist o r isches Pro dukt zu begreifen. 74 Die Zeit ist nicht s Reales o der Objekt ives, so nder n eine Anschauung, d ie durch das su bjekt iv e Er leben, Deut en u nd Handeln gest alt et wird. Wie Menschen räu mliche Veränderu ng en in eine zeit liche Reihenfo lge br ingen, hat keine Zwangsläufigkeit .

und die Zukunftsabsichten auf diese Vergegenwärtigung zurückwendet“ (ders. 1990, 229). 68 Piaget 1955, 365. 69 Ebd., 14. 70 Ders. 1975, 309, vgl. auch Elias 1984, 1. 71 Vgl. etwa Braudel 1992c; Zum kollektiven Bewusstsein erlebter Zeitdauer vgl. Halbwachs 1985, 78-126. 72 Vgl. Pöppel 2000; Nowotny 1993. 73 Vgl. Assmann 1999; zum kulturellen Wandel des Zeitbewusstseins vgl. Wendorff 1980; Dohrn van Rossum 1992; zum Spektrum sozialer Zeit vgl. Gruvitch 1964. 74 Koselleck 1990 u. 1994; Elias 1984; Le Goff 1977.

172

Die Zeit ist also keine o bjekt iv vorhanden e Wirk lichk eit sst rukt ur, so nder n dient als S ymbo l zur menschlichen Lebensbewält igu ng. 75 Zeit lässt sich d ann begreifen als su bjekt iv u nd ku lt urell geprägt es S ymbo ls yst em, das menschliche Ko ordinieru ng vo n Veränderungen im Rau m er mö g licht . Zeit bewu sst sein koo rd iniert d ie Wahr nehmu ng vo n P häno menen als eine Abfo lge. Geschicht sbewusst sein geht inso fer n darü ber hinau s, als es die Veränderungen deut et und dadurch sinngefüllt e Or ient ierung er mög licht . Die ein fachst e Fo r m, hist o r ische P häno mene in eine zeit liche Reihenfo lge zu br ingen, st ellt die Chro no lo gie dar. Die chrono lo g ische Ze it ver lau fsvo r st ellung u nt erliegt nicht der su bjekt iven S inngebu ng. Der durch sie geschaffene Zusammenhang zwischen Vergangenheit , Gegenwart und Zu ku nft ist schemat isch. Die Veränderu ngen im Raum fo lgen aber „nicht nur im chro no lo gischen S inne auf einander , sonder n im genet ischkausalen S inne auch au seinander “ 76. Für d ie Geschicht e als gedeut et en S innzusammenhang ist d ie Chr ono lo g ie blind. 77 Deshalb muss eine zeit t heo ret ische T ypo lo gie des Geschicht sbewusst sein die ‘st au bige St raße der Chro no lo gie’ (Reinhart Ko selleck) ver lassen.

75

Vgl. Elias 1984, 2. Steinbach 2001, 6. 77 Vgl. Rüsen 1982; Becher 1997, 127.

76

173

Die Tät igkeit des Gesch icht sbewusst seins best eht aus dem Narr ieren zeit differ ent er Phäno mene. Um eine Vo rst ellu ng vo n Geschicht e zu beko mmen, müssen zeit lich auseinander liegende Gegebenheit en zu einander in Beziehung geset zt werden. Veränderungen im Rau m müssen dabei s in nvo ll bedeut et werden. Bet racht et man nun die Bewegung, d ie die se S innbildung st ät igkeit im Rau m beschreibt , ergibt sich ein Ansat zpu nkt für die Differenzierung des Geschicht sbewu sst seins. Hist o rischer S inn k ann gebildet werden über a) zirk uläre Zeit ver laufsvo rst ellu ngen, b) lineare Zeit ver laufsvo rst ellu ngen und c) punkt uelle Zeit ver lau fsvo r st ellungen.

a) Der zirku läre S innbild u ngsmo dus Wenn Zeit dadur ch zu Geschicht e wird, dass sie als eine sinnvo lle Fo lge von Gegebenheit en int erp ret iert wird, erscheint sie als kont inu ier licher Zusamm enhang, „selbst wenn d ieser Zusammenhang Unt er brechu ngen, Brüche, Disko nt inuit ät en ent halt en so llt e“ 78. Inso fer n er schafft die hist o r ische S innb ildu ng Ko nt inu it ät , „in d er die ganze Reihe durchlebt er Gest alt ungen als ein Mo ment der werdend en Su mme erscheint “ 79. Das Geschicht sbewusst sein wandelt zeit liche Kont ing enzer lebnisse in zeit lich e Ko nt inuit ät svo rst ellungen. Die ursprü ngliche Ko nt ingenz des Ze it er lebens lässt sich durch ein Per lenmeer symbo lisieren, in dem jed e Per le für eine Er innerung an d ie Vergangenheit st eht . Die Tät ig keit des Geschicht sbewusst seins best eht nun dar in, d ie Zusammenhangslo sigke it der er innert en Phäno mene zu überwinden, u m dadurch Or ient ieru ngen für die Zuku nft zu gewinnen. Dafür br ingt das hist o r ische Bewusst sein d ie Per len

78 79

Baumgartner 1980, 120. Droysen, zit. n. Baumgartner 1980, 121; vgl. Baumgartner 1972.

174

(als zeit liche P häno mene) in eine Zeit reihenfo lge. Die St rukt ur der Zeit reihenfo lge wird dur ch einen S innzusammenhang geb ildet , der sich als ein rot er Faden vorst ellen lässt , an dem d ie Per len au fgezo gen werden. Die so ko nst ruiert e Ket t e st ellt einen hist o r ischen S innzusammenhang dar, in dem der ro t e Faden hist or ische Phäno mene verzeit licht . Der T ypus der zir ku lären hist o r ischen S innb ildung bild et sich nu n dadurch, dass die Per lenket t e kreisfö r mig zu einer Sp ir ale gefor mt wird. Die zirkuläre Zeit ver lau fsvo rst ellung hat damit eine Grundst rukt ur, die in ihrer Au sdehnu ng zwar dem Fo rt schreit en der chro no lo g ischen Zeit fo lgt , ihr eigent liches Charakt er ist iku m jedoch ist die Kreis läu figkeit . Die st ändige Wiederk ehr vo n Ze it p häno menen an einer best immt en Po sit io n des Kreises bed eut et , dass die Veränd eru ng im Raum als Wiederk ehr vo n I mmer- Gleichem ver st anden werden kann. Die Transfo r mat io n vo n zeit lichen Ko nt ingenzer lebn issen in zeit liche Kont inu it ät svo rst ellu ng en wird d urch d as Pr inzip d er Wieder ho lu ng gele it et . Chrono lo gisches Fo rt schreit en wird dadurch nicht geleug net . Denn für den Kr eis als Met ap her der hist o r ischen S innb ildung spr icht nicht das Geschlo ssensein, sonder n d ie Zykliz it ät . Das Fo rt schreit en der Zeit wird als eine per io dische Wachst u msbewegung bet racht et . Die zirkuläre S innb ildu ng int erpret iert d ie Ver änderu ngen im Rau m als ein Fort best ehen ü berzeit licher Ko nst ant en. b) Der lineare S innbildu ngsmo du s Auch der lineare S innb ildungst ypus ordnet die er in nert en Vergang enheit sp häno mene wie Per len au f einen ro t en Faden, der zwischen ihnen einen S innzusammenh ang herst ellt . I m Unt erschied zu m zir ku lären T ypus wird d ie dabei ent st ehend e Ket t e aber nicht kreis-, so nder n linienförmig gest alt et . Dem linearen S innbild u ng smo dus erscheinen Veränderu ngen im Rau m als eine fort schreit ende E nt wicklu ng. Geschicht e wird als ein Ur sache- Wirku ngs- Zusammenhang gedeut et , in dem zeit d ifferent e P häno mene au fe inander u nd auseinander fo lgen.

175

Die Er inneru ngen der Vergangenheit werd en so gefo r mt , dass sie als eine ger ad linig e Ent wicklung zur Gegenwart erscheinen. Zug leich weist d iese Lin ie ü ber die Gegenwart hinau s in d ie Zukunft u nd macht diese als lineares Ko nt inu um erwart bar. Die räu mliche Fo r m des linearen S innbild u ngst ypus lässt sich am best en durch einen P feil ver sinnb ildlichen. Geschicht e wird als ein kau saler u nd g er icht et er Zeit ver lauf wahrgeno mmen. Das Pr inzip der Ent wick lung le it et die Transfor mat io n vo n er lebt er Zeit kont ingenz in vorgest ellt e Zeit ko nt inuit ät . c) Der pu nkt uelle S innb ildu ngsmodu s Wie bei den anderen beiden T ypen auch best eht die Leist u ng des Geschicht sbewusst seins dar in, das Perlen meer durch e ine rot en Faden sinnvo ll zu st rukt urier en. Beim pu nkt uellen S innb ildung st ypu s bild et der rot e Faden jedo ch nicht mehr d ie Grundlage einer Ket t e. Der sinnko nst ruierende Faden d ient vie lmehr als eine Angelschnur, mit der im Meer der Vergang enheit ser inneru ng en einzelne Per len ‘gefischt ’ werden. Die S innb ildu ng g leicht dabei einer Pu nkt io n, durch d ie d er Vergang enheit einzelne Er fahrungseinhe it en ent no mmen werden. Diese werden so verzeit licht , dass sie als Ana lo g ien von Gegenwart sphäno menen erscheinen. Der zeit ver bindende Zusammenhang kann dabei so wo hl durch das Au fzeigen vo n Gleichem als auch durch das Erkennen vo n Different em hergest ellt werden. Die Kont inu it ät svo rst ellu ng resu lt iert aus dem Vergleich u nd nicht nur aus der Gleic hset zu ng zeit d ifferent er Phäno mene. Die pu nkt uelle S innbildu ng drückt sich deshalb n icht nur in der Au fst ellu ng von fallübergreifenden Regeln aus. S inn ent wickelt sich auch aus dem „Ko nt inuu m des Het erogenen“ 80, das sich durch Bezüge auf Auß ergewö hnliches u nd Wider sprechendes her st ellen lässt .

80

Jeismann 1978, 31.

176

I m Unt erschied zur zirku lär en u nd linearen S innb ildu ng, die beide danach st reben, sämt liche Per len zu einem hist o r ischen S innganzen au f dem ro t en Faden zu ver ein en, bleiben d ie punkt uellen S innbezüge zu nächst frag men t arisch. Um d ie S inneinheit en zu eine m S innganzen zu füg en, bed ient sich der punkt uelle T ypus der Met hode des Po int illis mu s 81. Die S innbezüge werd en punkt för mig so nebeneinander geset zt , dass sie e inen allgemeinen Zeit zusammen hang zwischen Vergang enheit , Gegenwart und Zuku nft co llag ieren. Die Er inneru ngen an d ie Vergangenheit werden so ver zeit licht , dass ein S innzusammenhang ent st eht , der durch plurale Bezugnahmen auf d ie Vergangenheit zu sammengehalt en wird. Die pu nkt uelle S innco llage ist fr agil u nd unt er liegt dem Zu fälligen u nd Beliebigen. Für d ie punkt uelle Transfo r mat io n von er lebt er zeit licher Ko nt ingenz zu vo rgest ellt er zeit licher Ko nt inuit ät st ellt d ie Analo g ie das Leit pr inzip dar. Dieses zeit t ypo lo gische Mo dell sieht sich nicht in gru ndsät zlicher Opposit io n zum erzählt ypo log ischen. Schließ lich st ellen auch d ie Erzählt ypen eine „best immt e S innb ildung über Zeit er fahru ng“ 82 dar. Dadurch biet et sich die Mög lichke it , das heur ist ische Pot enzia l der Erzählt ypo log ie zu int egr ier en und gleichzeit ig seine Apo r ien – d en kr it ischen Erzählt yp us u nd die Ent wicklung slo g ik - zu ver me iden. In den Erzählt ypen find en sich d ie Zeit t yp en wieder. Das t radit io nale Erzählen wird durch zir ku läre, das genet ische durch lineare u nd das exemp lar ische durch pu nkt uelle Zeit ver lau fsvo rst ellu ngen geprägt . So lassen sich die Erzählt ypen als Subd imensio nen der Zeit t ypo lo gie bet racht en, sie sind jedoch nicht mit ihnen ident isch. Die pu nkt uelle S innbild ung beisp ie lsweise geht über d ie exemp lar ische hinau s, da sie mehr umfasst als d ie regelg ener ierende Bezug nahme auf die

81 82

Diese Stilrichtung des Impressionismus stellt die Gegenstände durch Punkte dar. Rüsen 1997, 262.

177

Vergangenheit . Die „Generalis ieru ng von Regeln“ 83 ist eine Mö glichkeit der pu nkt uellen S innb ildung. Jedo ch sind mit de m Vergleich o der dem Widerspruch weit er e For men sinnst ift ender Analog iebildu ng über Zeit d ifferenzen denkbar. Nur der kr it ische S innbildung smodu s, dessen Berecht igu ng ohnehin frag lich war, lässt sich nicht eind eut ig zuord nen. Kr it ische hist o rische S innbildung ist sowohl durch zirkuläre als auch linear e u nd punkt uelle Zeit ver lau fsvo r st ellungen mö g lich. Die hist o rischen S innbildu ngsfo r men der Zeit t ypo lo gie st ellen rein analyt ische Kat ego r ien dar. 84 S ie sind dadurch in der Lage d ie Bildu ng vo n Geschicht sbewusst sein zu d ifferenzieren, o hne d iesen Vorgang a ls einen Ver lau f vo n naiver (t radit io naler) zu reflekt iert er (genet ischer) S innbildung int erpret ieren zu mü ssen. Die Zeit t ypen exist ieren also nicht diachr on als au feinander fo lgende E nt wicklu ng sp hasen, so nder n s ynchro n als analyt ische Redukt ionen eines ko mp lexen Zeit bewu sst seins. 85

2.1.4.

Das Politikbewusstsein

Während sich d ie Geschicht sdidakt ik mit Hilfe d er Bewusst seinskat ego r ie zu einer Wissenschaft vo m hist or ischen Ler nen erweit ert hat , verst eht sich die Po lit ikd idakt ik in der Mehr he it immer noch als eine Didakt ik int end iert er polit ischer Bildung spro zesse. Auch in neueren Über legungen wird fest gest ellt , dass „po lit ische Bildung […] nicht Wissenschaft , so nder n pädago g ische bzw. andragog ische Praxis“ 86 sei. Demnach bediene sich die Po lit ikdidakt ik zwar wissenschaft licher Erkennt nisse, ver füge als „Zwischenhandel“ 87 aber selbst über

83

Ebd., 263. Was nicht ausschließt, dass sie im Zusammenhang mit entsprechenden Sinndeutungen auch eine wertende Differenzierung anleiten können. 85 In dieser Parallelität korreliert die Zeittypologie mit dem Modell der ‘Zeitschichten’. Vgl. Koselleck 1990, 552 u. ders. 1994. 86 Weihnacht 1999, 73. 87 Giesecke 1993, 35.

84

178

keinen eig enst änd igen Fo rschu ngsgegenst and. So wird Po lit ik didakt ik zu eine m Teilbereich der Pädagog ik, in dem anwend u ng sbezogen gear beit et wird, der aber keinen Wissenschaft sanspru ch st ellen dar f. 88 Die These ist nun, dass s ich d ie Po lit ikd id akt ik ähnlich grundlegend konzip ier en lässt wie die Geschich t sd idakt ik. Wenn d ie Po lit ik didakt ik den I mpu ls au fn immt , der in den vergangenen fü nfund zwanzig Jahren zur Ko nso lid ieru ng und Pro filieru ng der Geschicht sd idakt ik beig et ragen hat , kann es ihr geling en, ihr e Not wend ig keit wieder o ffensiv zu beweisen. E ine ent falt et e Kat ego rie des Po lit ik bewusst seins b iet et der Polit ikd idakt ik eine Chance, d ie ihr diag nost iziert en Kr isener scheinu ngen 89 durch den „Bezug au f das Su bst ant ielle“ 90 zu überwinden. Mit Hilfe des Po lit ik bewu sst seins k ann sich d ie Po lit ik did akt ik von einer Hilfswissenschaft zur Auswahl vo n Bildu ng sinha lt en weit erent wickeln zu einer Ku lt urwissenschaft des po lit ischen Ler nens. Po lit ikd idakt ik ist dann nicht mehr au f die „t heo ret ische Klär u ng der Zie le u nd I nha lt e vo n Unt err icht einschließ lich ihrer Begrü ndu ng“ 91 beschr änkt . Als Diszip lin hätt e sie das Ent st ehen, d ie Gest alt , d ie Funkt ion und d ie Beein flu ssbarkeit vo n Po lit ik bewu sst sein in der Gesellschaft zu reflekt ieren. Wie weit t rägt nun d ie T hese, dass d ie Bewusst seinskat ego r ie dazu geeignet ist , die d iszip linär e Gru nd lage der Po lit ikd idakt ik darzust ellen? Zunächst ist zu d iskut ieren, wie die Bewusst seinskat ego r ie in der Po lit ikd idak t ik bis lang verwend et wurde. Der Begr iff des Po lit ik bewusst sein s beziehu ng swe ise d es po lit ischen Bewu sst seins ist in der wissenschaft lichen Reflexio n nicht neu. So wohl in po lit ikwissenschaft lichen 92 als auch in po lit ikdidakt ischen Zu sammenhängen 93 wir d er jedoch meist nur schlagwo rt art ig e ingeset zt o der weist eine begr iffliche Unschär fe

88

Vgl. Stein 1993, 187; Im Gegensatz dazu vgl. aber Sander 2001, 23ff. Giesecke 1997a; Mickel 1999a; Münchner Manifest 1997. 90 Himmelmann 1998, 118. 91 Gagel 1994, 132. 92 Vgl. Habermas u.a. 1961; Hey/Steinbach 1986. 93 Vgl. Beumer 1974 u. Gagel 2000, 15ff. 89

179

au f. So wird zwar vert ret en, dass d ie Kat ego rie ‘ Po lit ik bewusst sein’

über d ie Mö glichkeit ver fügt , d ie unt erschiedlichen po lit ikd idakt ischen Zug änge zu bündeln 94 und dadurch zu einem Zent ralbegr iff der Polit ikd idakt ik zu avancieren 95, d ie ko nzept io nelle Au sar beit u ng u nd Operat ionalis ierung des Begr iffs ist jedoch er st rud iment är ent falt et . Die Rezept io n der Bewusst seinskat ego r ie in der Po lit ik didakt ik ist vor allem durch d ie Begr iffsbest immu ng der Kr it ischen Theor ie beein flu sst . 96 Au sg ehend vo n der Grundunt erscheidu ng zwischen „fa lschem“ und „r icht igem Bewußt sein“ 97 wird Po lit ik bewu sst sein nor mat iv a ls ‘r icht ig es’ u nd damit anzu st rebendes begr iffen. Po lit isches Bewusst sein me int dann „jene po lit ische Wachheit und Au fgeschlo ssenheit “ zu deren Bed ingu ngsfakt o ren „Verant wo rt ung, Aug enmaß , Sachlichkeit […], krit ische Halt ung, Ver nü nft igke it , Transparenz“ 98 und kr it isches Urt eilsver mögen zählen. Inde m d as Po lit ikbewusst sein nicht nur als „Fähigkeit zur ko gnit iven Or ient ieru ng in Po lit ik und Gesellschaft “, so nd er n zugleich als „pr inzip ie lle Part izipat ionsbereit schaft “ 99 begr iffen wird, ist es nor mat iv au f das ‘r icht ige Bewusst sein’ bezogen. Po lit isches Bewusst sein wird damit als ein Ideal beschr ieben, das als demo krat isches Bewu sst sein in der Lage ist , die Zieldimens io n po lit ischer Bildu ng zu best immen. Kat ego riales Ler nen ist das d idakt ische Hilfsmit t el, das let zt lich dem Au fbau von po lit ischem Bewu sst se in im S inne demo kr at ieko mpet ent er Urt eilsbild ung dienen so ll. 100 Andere Bewusst seinsfo r men, die vo m d emo krat ischen Ideal abweichen, kö nnen dann aber nicht als Po lit ik bewu sst sein bet racht et , so nder n mü ssen zwangsläu fig als

94

Vgl. Massing 1998, 149; Gagel 2000, 15. Vgl. Mickel 1999b, 325; Grammes 1998, 269ff. 96 Vgl. Horn 1985. 97 Giesecke 1973, 149f. 98 Mickel 1999b, 325. 99 Massing 1996, 449. 100 Vgl. Giesecke 1973, 172ff. 95

180

‘falsches Bewu sst sein’ eingest uft werden. Dement sprechend werden po lit ische Vorst ellungen, d ie au f Aut o r it ät , Part eilichkeit o der Do gmat ismu s aufbauen, aus dem Po lit ik bewu sst se in ausgegrenzt und als ideo log isiert e Abweic hu ngen vo m Ideal begr iffen. 101 Als t r iviale u nd ‘falsche’ Fo r men des Allt agsbewusst seins 102 st ehen sie dem reflekt iert en u nd ‘wahren’ Po lit ik bewu sst sein gegenü ber. In d ieser Tradit io n ist d ie Kat ego r ie des P o lit ik bewu sst seins nor mat iv verengt bet racht et worden. Für eine Po lit ikd idakt ik, die sich auf d ie Auswahl u nd Begrü ndung po lit ischer Bildu ng sinha lt e ko nzent r iert e, ließ sich d iese Redukt ion leg it imieren. S ie ko mmt jedo ch an ihre Gr enzen, wenn sich d ie d id akt ische Reflexio n nicht mehr nur mit d en erwünscht en u nd g ep lant en Ler nprozessen beschäft igt , sonder n sich als e mp ir ische Wissenschaft auch mit der Tat sächlichk eit vo n po lit ischen Ler np ro zessen befasst . Der Aufbau vo n u ner wünscht en Po lit ik vo rst ellungen lässt sich durch d ie nor mat ive Best immu ng des Po lit ik bewusst seins weder beschr eiben no ch erk lär en. St att dessen wird es als eine Fo r m ‘falschen Bewusst seins’ aus dem Po lit ischen ausg egrenzt . Inso fer n ist d ie durch d ie Kr it ische T heor ie beeinflusst e Ko nzept io n des Po lit ik bewusst seins zwar ein mö g liches Inst ru ment ar iu m zur Beschr eibu ng der Zieldimens io n po lit ischer Bildung, jedoch ist es für die emp ir ische Analyse vo n t at sächlichen u nd für d ie reflexive Unt ersuchu ng vo n mö g lichen po lit ischen Ler npro zessen nicht ausreichend. E in erweit ert es Verst ändnis lässt sich ent wickeln, wenn P o lit ik bewusst sein als der Bereich begr iffen wird, in dem Menschen „po lit ischgese llschaft liche Gesamt vo rst ellu ngen“ 103 aufbau en. Schon in der Ko nzept io n von Her mann Giesecke, dem es „beim po lit ischen Unt err icht im Ker n auf die Bear beit u ng des po lit ischen Bewußt sein s“ 104 anko mmt , ist damit angedeu t et , dass auch d ie

101

Vgl. Mickel 1999b, 325. Vgl. Leithäuser 1976. 103 Giesecke 1973, 148. 104 Ebd., 159. 102

181

unbear beit et en Ro hfor men des Bewusst se ins als Po lit ik bewu sst sein begr iffen werden kö nnen. E ine der art analyt ische Best immung liegt auch T ilmann Grammes’ Verst ändnis vo n Po lit ik bewu sst sein zu Grunde. In Analog ie zu Kar l-Ernst Jeismanns Defin it io n des Geschicht sbewusst seins hat er probehalbe r fo r mu liert , dass Po lit ik bewu sst sein „als I nsgesamt der u nt erschied lichst en Vorst ellu ngen vo n und E inst ellungen zu po lit ischen Pro zessen“ 105 zu verst ehen sei. Da po lit ische Bildung daru m bemü ht sei, diese Vorst ellu ngen u nd E inst ellungen in Richt ung d er „Ver nu nft des Selbst verst änd nisses einer par lament ar ischen Demo kr at ie“ 106 zu beeinflu ssen, ver fügt d ie Kat ego r ie des Po lit ik bewu sst seins zwar auch hier über eine no r mat ive Ko mponent e, ist jedo ch nicht mehr darauf beschränkt . S ie dient zur Kennzeichnu ng des so zialisat orisch erwo rbenen Allt agsbewusst seins vo n Ler nenden. 107 Diese Best immu ng lässt erkennen, welches Pot enzia l d ie Kat ego rie des Po lit ik bewusst seins für d ie Polit ikd idakt ik ent wick eln kann, wenn vo n der geschicht sd id akt ischen Reflex io n des Gesch icht sbewusst seins pro fit iert wir d. Im Fo lg enden so ll unt ersucht werden, o b sich das Po lit ik bewusst sein t heo ret isch so ko mp lex ent falt en lässt , dass es – in Analo gie zum Geschicht sbewusst sein – als zent rale Kat egorie der po lit ikdidakt ischen Diszip lin d ienen kann. Dann so llt e es au ch mö glich sein, aus d em Po lit ik bewusst sein Kr it er ien zur Überprü fu ng der Frage zu gewinnen, o b d ie Allt agsgeschicht e ‚po lit isches’ o der ‚unpo lit isches’ Ler nen anleit et .

105

Grammes 1998, 341. Ebd., 341. 107 Ders. 1996, 326ff. 106

182

2.1.4.1.

Politikbewusstsein

Als Po lit ik bewusst sein kann der jen ige Ber eich des menschlichen Bewusst seins angesehen werden, in dem Vo rst ellungen ü ber Po lit ik au fgebaut werden. I m Po lit ik bewu sst sein red uziert der Mensch d ie ko mp lexe po lit ische Wirklich keit in ko härent e S innzusammenhäng e. Als Po lit ik vorst ellu ng en ent st ehen su bjekt ive Must er, durch die po lit ische Denk- und Hand lu ng sfo r men st rukt uriert werden. 108 Po lit ik bewu sst sein wirkt so mit denk- u nd handlungsle it end. Da im Po lit ik bewu sst sein Vorst ellu ngen ü ber Politi k au fgebaut werden, so ll nu n geklärt werden, welcher Begr iff des Po lit ischen der Polit ikd idakt ik zu Grunde gelegt werden kann. Über was wer den d ie Vo rst ellu ngen au fg ebaut ? Die Po lit ikdid akt ik ver fügt über keinen einver nehmlichen Po lit ik begr iff. 109 Die vorherrschend e Po sit io nenvielfa lt ist nicht zwangsläufig negat iv zu bewert en. Die Ko nt roversit ät vo n begründet en St andp u nkt en ist schließ lich Au sdru ck und Qualit ät smerk ma l eines p luralist ischen Wissenschaft sverst änd nisses. Der Vielfa lt an Po sit io nen so llt e jedo ch eine Ver st ändigu ng ü ber den gemeinsamen Reflexio nsg egenst and vo raus gehen. Ist schon dieser ko nt ro vers, fehlt der Diskur srahmen einer wissenschaft lichen ‘Co mmun it y’. Auf d ieser allg emeinen E bene wirkt Ko nt roversit ät nicht erkennt nis fö rder nd, so nder n – hinder nd. S ie blo ck iert die Verst ändigu ng über den geme insamen Fo rschungsgegenst and und damit d ie Ko nst it u ieru ng der Po lit ikd idakt ik als eig enst änd ig er Diszip lin. Als zent raler po lit ikd idakt ischer Kat ego r ie mu ss dem ‚Polit ikbewusst sein’ ein Po lit ik begr iff zu Grunde gelegt werden, der „h int er den d ivergierenden Po lit ik-T heo rien liegt und d en Gegenst andsbereich für po lit ische Bildung abgrenzt “ 110.

108

Vgl. Adorno 1973, 1. Vgl. Weißeno 1995, 32; Sander 1989, 111. Für die Vielfalt didaktischer Politikbegriffe vgl. Massing 1995, 71. 110 Sander 1989, 142.

109

183

Für d ie Po lit ikd idakt ik hat sich das Feh len eines g emeinsamen Po lit ik verst änd nisses bislang nicht disku ssio nshemmend ausgewirkt , da sie ihr en Gegenst and nicht t heo ret isch, sonder n prakt isch aus den Er fordernissen des po lit ischen Unt err icht s abgeleit et hat . Damit hat t e sich d ie Po lit ikd idakt ik aber zug leich eine Selbst beschr änkung au fer legt . S ie war auf d ie Ro lle als Hilfswissenschaft zur Anle it u ng po lit ischer Bild ung sprozesse fest gelegt . Will sie darü ber hinaus gehen, und sich als Wissenschaft sdis zip lin vo m po lit ischen Lernen ko nst it u ier en, so llt e sie ihren Gegenst and jedo ch auch t heo ret isch fu nd ieren. Dazu gehört die Verst ändigu ng ü ber das P o lit ische. Inner halb der Po lit ik didakt ik bewegt sich die Vielfalt der Posit io nen zwischen einem engen und eine m weit en Po lit ik ver st änd nis. Das en ge Po lit ik verst änd nis versucht d ie Ko nt uren des Po lit ischen zu schär fen, indem diese au f d en St aat bezogen werden. Durch d ie Anb indung an d ie Wissenschaft ssyst emat ik der Po lit o lo gie so ll einer Tendenz der E nt polit isieru ng begegnet werden. Deshalb wird der d idakt ische Geg enst and des Po lit ischen mit fachwissenschaft lichen Kat egor ien wie dem ‘Po lit ik zyklu s’ o der der Begr iffst r ias ‘po lit y, po lit ics u nd polic y’ st rukt uriert . 111 Das weite Po lit ikverst ändnis lö st das Po lit ische vo n den Vorgaben der Fachwissenschaft . Durch e ine Ausweit u ng d es Po lit ischen au f das So ziale so ll po lit isches Ler nen an schü lerund lebensnahen T hemen er mö g licht werd en. So werden Fr agen der allg emeinen Lebensbewält ig u ng dem Polit ischen zugeo rdnet , u m d ie Selbst best immu ng u nd Mü nd igkeit der Ler nend en zu fö rder n. 112

111

Zwar bestimmt Massing die drei Dimensionen als formale Differenzierungen, die „als solche inhaltlich leer sind“ (Massing 1995, 78). Seine substanzielle Füllung derselben ist jedoch staatszentriert. Indem politische Probleme durch ihre „administrative Handlungsrelevanz“ (ebd., 82) vom Sozialen unterschieden werden, ist Massings Politikverständnis auf das politische System im engeren Sinne bezogen. Für eine nicht auf den Staat zentrierte Bestimmung der drei Dimensionen s. Kap. 1.2.4. 112 Vgl. Sander 1989, 160; ders. 1997b, 34; Hufer 2001. Zur Unterscheidung in ein engeres und weiteres Verständnis von Politik vgl. a. Sutor 1971, 39ff.

184

Seit den siebzig er Jahren hat t e sich das weit e Po lit ik verst ändnis in der Po lit ikd idakt ik sukzessive durchg eset zt. Dabei verschwammen die Unt erscheidu ngsmerkma le zwisch en so zialem u nd po lit ischem Handeln so sehr, dass das Po lit ische u nd Soziale eine quasi syno nyme Bedeut ung bekamen. Diese Ko nt ur losigkeit des Po lit ischen wurde seit den neu nziger Jahr en zu nehmend als eine Ent po lit is ieru ng po lit ischen Ler nens int er pret iert . Mit Hilfe des engen Po lit ikverst änd nisses so llt e Fachlichkeit wiedergewo nnen werden. 113 So wurde Polit ik allt agsfer n ko nzipiert . Dem Po lit ik unt err icht kam d ie Au fgabe zu, d ie komplexe S yst em- u nd Inst it ut io nenwirk lichkeit in Fo r m vo n Ken nt nissen und Kat ego rien zu reduzieren und zu ver mit t eln. 114 Je mehr sich die Po lit ik didakt ik dabei an das fachwissenschaft liche Kat ego riens yst em band, u mso größ er wurde der Ver lust an At t rakt ivit ät des Unt err icht sfaches. 115 Die neuen inst it ut io nenkund lichen Ansät ze waren nicht mehr in der Lage, das Po lit ische in fachübergreifenden, lebensrelevant en Problemst ellung en zu spiegeln. 116 Aber auch der eigent liche Zweck, die Po lit isierung der Po lit ik didakt ik, kann durch das enge Po lit ik verst ändnis nur unzulänglich erreicht werden. Denn d ie Dreit eilu ng des Po lit ik begr iffs in Po lic y, Po lit ics u nd Po lit y ist für d ie Po lit o lo gie zu nächst nur eine t echnische Hilfsko nst rukt io n, u m das wissenschaft liche Forschungsfeld fo r mal zu st rukt urieren. 117 Inha lt e, Pro zesse und Inst it ut io nen sind no ch keine su bst anziellen Merk male des Polit ischen, so nder n zunächst nur St rukt urelement e jeg lichen so zialen Hande lns. Um d iese als ‚po lit ische’ o der 113

Vgl. Patzelt 1994; Massing 1995; Weißeno 1995, 34f. Zu den Gefahren des weiten Politikbegriffs vgl. a. schon Jeismann 1978, 24. 114 Vgl. Massing 2001, 124; ders. 1995, 61 u. 67. 115 Was insofern nicht wundert, als selbst Fachwissenschaftler konstatieren, dass die Kategorien und Herangehensweisen der Politikwissenschaft ‘eingerostet’ seien und eines dringenden Innovationsschubes bedürfen (vgl. Reese-Schäfer 2000, 3). 116 Vgl. kritisch dazu Steinbach 1998, 117ff. Vgl. auch Breit (2001), der die Notwendigkeit von sozialem und gesellschaftlichem Lernen betont, weil Politik mit Themen verknüpft sei, „wie wir sie von den ersten Seiten der regionalen und überregionalen Tages- und Wochenzeitungen kennen“ (ebd., 116). 117 Vgl. Rohe 1992; Alemann/Loss/Vowe 1994, 13.

185

‚unpo lit ische’ unt erscheiden zu kö nnen, müssen sie mit e inem su bst anz iellen Begr iff des Po lit ischen in Beziehu ng geset zt werden. Die gleiche Schwier igkeit best eht , wenn der ‘Po lit ikzyk lu s’ o der der Ko nflikt begr iff als Ker nele ment des Po lit ischen au sgemacht wird. Re levant werden d iese Kat ego r ien erst dadurch, dass bezeichnet wird, wo durch sich po lit ische Probleme u nd Ko nflikt e vo n sozialen u nt erscheiden. Inso fer n ist es für d ie Po lit ikd id akt ik u numgäng lich, d as Po lit ische nicht nur fo r mal, so nder n au ch subst anziell zu begr eifen. Während d as we it e Po lit ikverst änd nis das Polit ische im So zialen au flöst , o rient iert das enge Po lit ik verst ändnis Po lit ik au f die Inst it ut io nen des St aat es. Beide eig nen sich desha lb n icht als Fundament für d ie Po lit ikd idakt ik. E in d idakt isch gebrauchsfäh iger Begr iff des Po lit ischen muss e inerseit s der st aat szent r iert en Verengu ng begeg nen, u m das Po lit ische auch im Allt ag von Ler nend en sicht bar machen zu kö nnen. Er dar f anderer seit s nicht ko nt urlo s werden. Die Grenze zu m So zialen dar f nicht beseit igt , so nder n muss neu g ezogen werden. I m Anschluss an das funkt io nale Verst änd nis des Po lit ischen, welches im erst en Teil der Ar beit ausgear beit et wurde, 118 lässt sich po lit isches Hande ln als das soziale Handeln spezifiz ieren, welches an der Her vorbr ingung a llgeme in bind ender Regelu ngen bet eiligt ist . Po lit ik t ransfo r miert Int eressensd iversit ät in allg emeine Ver bind lichkeit . Durch d iese Best immu ng ist gewähr le ist et , dass sich das Po lit ische vo m So zialen abhebt . Das Vorhandensein ‘menschlicher Ko operat io n’ ist demnach noch kein h inreichend es Merk mal für Po lit ik. 119 So ziales Handeln ist nur dann po lit isches, wenn es au f den Pro zess der Her st ellu ng von allgeme in b indenden Regelungen bezogen ist . Nun ist ein Handeln denk bar, das fast ausschließ lich po lit ischen Charakt er besit zt . In Kabinet t s- oder Bürger init iat ivsit zungen et wa ist das 118

Vgl. Kap. 1.2.4. So aber der ‘partnerschaftlich’ begründete Politikbegriff. Theodor Wilhelms Politikbegriff, „bei dem nicht die staatliche Macht, sondern die menschliche Kooperation im Vordergrund steht“ (Oetinger 1951, 95) differenziert nicht zwischen dem Sozialen und dem Politischen.

119

186

Handeln ganz ü berwiegend auf d ie Gener ierung vo n allge mein bind end en Regelu ngen bezo gen. Es sind aber auch S it uat io nen denkbar, in denen d as Po lit ische nur einen Aspekt des so zialen Handelns ausmacht . 120 Polit ik ist nicht nur im Rah men des St aat es denk bar. Ko llekt ive Ver bind lichkeit en werden vo n u nd für Gruppen jeglicher Größ eno rdnu ng hergest ellt . Die Nat io n, als Gro ß gruppe der Bürger eines Terr it or iu ms, ist gewisser maßen ein Sonder fall, für den der St aat die Fu nkt io n der Regelungs- und Ent scheid ung sko mp et enz ü ber no mmen hat . Nimmt man aber andere Grupp en zu m Maßst ab, wie d ie Mit glieder einer Familie, 121 d ie Schüler einer Schu lklasse 122 o der die Ar beit er eines Bet r iebes, 123 dann ver liert der St aat seine zent rale Bedeut ung für das Po lit ische. Trot zdem wir d auch inner halb d ieser Gruppen inso fer n po lit isch g ehandelt , als ko llekt ive Ver bind lichkeit en hergest ellt werden. 124

120

Der Unternehmer, der eine Standortentscheidung für eine neue Fabrik fällt, wird vornehmlich unter ökonomischen Gesichtspunkten abwägen. Gleichwohl wird er bei seiner Entscheidung berücksichtigen, welche ihn bindenden Regelungen er in der Region vorfindet, und wie er dieses Regelungswerk durch seine Entscheidung beeinflussen kann. Sein Handeln ist nicht explizit, sondern nur aspekthaft politisch, da die Beeinflussung der allgemein bindenden Regelungen nur ein Nebeneffekt des Strebens nach Gewinnmaximierung ist. Wer jüdische Inhaftierte im NS-Staat mit Lebensmitteln versorgte handelte möglicherweise aus rein moralischen Motiven der Nächstenliebe. Die Handlung hatte jedoch politische Aspekte, da sie gegen bindende Regelungen verstieß und (zumindest in der Vielzahl ihres Auftretens) gegen die Sondergesetzgebung für jüdische Menschen gerichtet war. 121 Vgl. Roth 2001. Eine Konzeption, die Umgangsformen in der Familie als politisch begreift, steht in einer gewissen Erklärungspflicht. Auch in der ontologisch inspirierten Politikreflexion steht die Familie als Keimzelle und Urform des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen in einem politischen Kontext. Die Familie wird dabei nicht als soziale Gruppe, sondern als ein natürlicher Lebenskreis begriffen, der eine sinnvolle staatliche Ordnung fundiere (vgl. Spranger 1957). In dem hier zu Grunde gelegten Verständnis ist die Familie aber nicht als biologischer, sondern als sozialer Zusammenhang konzipiert. Die Regelungen des Zusammenlebens, an welche die Familienmitglieder gebunden sind, sind also nicht von Natur vorgegeben, sondern politisch ausgehandelt. 122 Vgl. Kiper 1997; Beutel/Fauser 1995; dies. 2001a; Lewin/Lewin 1982. 123 Vgl. Harbort/Grieger 1995. 124 Ein Handeln, dass W. Beutel und P. Fauser als „politikfern und dennoch politisch“ (Beutel/Fauser 2001b) bezeichnet haben.

187

Inner halb der Gruppen prägen sich eigene Polit ikfe lder u nd po lit ische I nst it ut ionen aus. Wenn in der Familie d ie Vert eilu ng der Repro dukt ionsar beit en im Familienr at geregelt wird, wenn sich das Klassenp lenu m ent scheidet , Int eressensko nflikt e durch ein Med iat io nsver fahr en dauer haft zu bewält igen, wenn die Bet r iebsver sammlu ng d ie Bed ingungen am Ar beit splat z neu verhand elt , wird deut lich, dass für Gruppen jed er Grö ße auch Po lit ik fe lder und po lit ische I nst it ut io nen er mit t elt werden kö nnen. Der Maßst ab für d ie Po lit ikrelevanz vo n Problemen, Ko nflikt en u nd I nst it ut ionen ist demnach nicht ihr Bezogensein au f den St aat , so nder n ihre I nvo lut io n in den Prozess der Herst ellu ng ko llekt iver Ver bind lichkeit fü r eine so ziale Grupp e beliebiger Grö ß e. 125 Das Po lit ische ist nicht vo m St aat abhäng ig und nicht ausschließ lich au f den St aat bezo gen. 126 Die Fu nkt io n der Gener ieru ng allgeme iner Ver bind lichkeit „ent spr icht einem Problem, das die Gesellschaft mit o der ohne ausd iffer enziert e Po lit ik lö sen muß “ 127. Um po lit isches u nd u npo lit isches Handeln t rot zdem differenzieren zu kö nnen, ist es no t wend ig, s ich der so zialen Bezugsgruppe zu vergegenwärt ig en, auf d ie d er Pro zess der Herst ellung ko llekt iver Ver bind lichkeit bezo gen ist . Polit ik ist in den I nt erakt io nen von Gruppen wirk sam, inso fer n das Handeln der Gruppenmit g lieder darau f ger icht et ist , Individualint eressen in Regelu ngen zu t ransfor mieren, d ie für die Gesamt grupp e bindend sind. Die Ko mpet enz zur Herst ellu ng ko llekt iver Verbind lichkeit kann auch als Herrschaft begr iffen werden. Hier für mu ss der Herrschaft sbegr iff jedo ch ent per so nalis ier t werden. In der Trad it io n vo n Max Weber ist das Ver hält nis zwischen Herrscher n

125

Vgl. a. Hufer (2001), der sich für einen Politikbegriff ausspricht, der zwar ‚weit’ ist, aber gleichzeitig durch substanzielle Kriterien „wie Konflikt, Interesse, Macht, Herrschaft, Konsens, Öffentlichkeit, Legitimität und die ‚allgemeinen Dinge’“ (ebd., 34) gekennzeichnet wird. 126 Vgl. Himmelmann (2001a), der die Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform unterscheidet. 127 Luhmann 2000, 87.

188

und Beherrscht en ant ago nist isch best immt . 128 So ll aber auch d ie demo krat ische Ko ngruenz vo n Herr scher n und Beherrscht en er fasst werden, mu ss der Herr schaft sbegr iff vo n der Befehl-undGeho rsam-Re lat io n befre it werden. Nur so kann beisp ielsweise d ie Demokrat ie im S inne ihrer ar ist o t elischen Bedeut ung a ls Herrschaft (krat ein=herrschen) des Vo lkes (demo s=d as Vo lk) Best andt eil des Herrschaft sbegr iffs ble iben. 129 Herrschaft wir d hier deshalb nicht nur als eine Wechselbeziehu ng zwischen Befehlsgebung u nd Geho rsamsle ist u ng begr iffen. S ie kann sowo hl vert ik al, als Ver hält nis zwischen Oben u nd Unt en, als au ch ho r izo nt al, als Ident it ät zwischen Herrscher n u nd Beherr scht en, verst anden werden. 130 Ein so lcher Begr iff po lit ischer Herrschaft ent spr ingt also „nic ht mehr per sö nlichen Qualit ät en und Beziehu ngen“ 131, so nder n bezeichnet d ie jeweiligen St rukt uren, in denen inner halb einer sozialen Gruppe ko llekt ive Ver bind lichkeit hergest ellt wir d. Mit dem Ver st änd n is, das Po lit ik inner halb einer so zialen Grup pe Int eressensvie lfa lt in allgeme ine Ver bind lichkeit t ransfo r miert , ver fügt d ie Po lit ikd id akt ik ü ber einen t ragfähigen Po lit ik begr iff. Er geht über d ie Po lar isierung zwischen d em engen u nd weit en Po lit ik begr iff h inau s, da er t rot z seiner Dezent r ierung vo m St aat fachlich leg it imiert ist . Durch d ie k lare Grenze zum So zialen ble ibt das Po lit ische der Ker n der Polit ikd id akt ik.

2.1.4.2.

Polit ikbe wusstsein

Dieses Po lit ikverst ändnis so ll nu n zur Gru nd lage der d id akt ischen Kat ego rie des Po lit ik bewusst seins gemacht werden. Ent wickelt

128

Weber begreift Herrschaft als „die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“ (Weber 1976, 28). 129 Vgl. im Gegensatz dazu Wolfgang Sander (1999, 14ff.), der seinen Überlegungen einen negativen Herrschaftsbegriff zu Grunde legt. Dadurch kommt auch die Herrschaftslegitimation in den Dunstkreis des Autoritären und kann nicht mehr als Funktion jeglicher politischer Bildung erkannt werden. 130 Vgl. Leggewie 1995, 252. 131 Ebd., 256.

189

der Mensch in der Au seinander set zu ng mit seiner Umwelt eine spez ifische Lo g ik, die es recht fert igt , auch die au f das Po lit ische bezo gene ment ale Tät igkeit als Teilbewusst ein einzugrenzen? Davo n ausgehend, dass Po lit ik I ndiv idualint eressen in allg emeine Ver bind lichkeit t ransfo r miert , kann po lit ische Herrschaft als die Inst it ut io nalis ierung d ieses Vo rgangs in einer po lit ischen St rukt ur begr iffen werden. Das Po lit ik bewusst sein lässt sich nunmehr als der jenige Teilbereich des allgemeinen Bewusst seins verst ehen, in d em der Mensch subjekt ive Vo rst ellungen über d iesen Transfor mat io nsprozess au fbaut . Das Po lit ik bewu sst sein ist so mit Produzent von Vorst ellungen ü ber po lit ische Herrschaft . Po lit isches Denken bild et also nicht vorgefu nd ene po lit ische Herrschaft sst rukt uren ab, so nder n ko nst ruiert ein ko g nit ives Schema 132, welches den Prozess der Herst ellung vo n ko llekt iver Ver bind lichkeit su bjekt iv erk lär bar u nd kr it is ier bar macht . Wie lässt sich ps ycho log isch erk lären, dass sich a ls Teilber eich des allgemeinen Bewu sst seins eine kog nit ive St rukt ur ent wickelt , d ie Herrschaft svo rst ellu ngen au fbaut ? In seinem St reben nach Selbst ent falt ung ist der Mensch daru m bemüht , seine I nt eressen zu verwirklichen. Als Mit g lied vo n so zialen Gruppen ist er jedo ch mit dem Proble m ko nfro nt iert , dass er seine Individualint eressen nicht ungehindert durchset zen kann. Sein Selbst ent falt ungsbedür fn is ko llid iert mit den Int eressen vo n anderen Grup penmit g lieder n oder wir d du rch soziale I nst it ut ionen und Reg elungen beziehu ngsweise dur ch Herrschaft sst rukt uren begrenzt . Diese Herrschaft sst rukt uren wer den zu nächst als Hand lu ng srest r ikt io nen er fahren. S ie beh ind er n eine u ng ehemmt e Selbst ent falt ung. So erlebt das I nd iv iduu m eine Diskr epanz zwischen So llen ( „I ch will me ine I nt eressen durchset zen“) und Sein ( „I ch muss mich der Herrschaft füg en“). Diese Depr ivat ionser fahru ng wird psych isch bewält igt , indem im Bewusst sein Vo rst ellungen vo n der Leg it imit ät vo n Herr schaft au fgebaut werden. Dabei werd en

132

Vgl. Schissler/Tuschhoff 1988, 5.

190

S innzusammenhäng e darü ber geschaffen, welche For men der Gener ieru ng allgeme in ver bind licher Regelungen anerkennung swürd ig sind u nd welche nich t . Die Tät igk eit des Po lit ik bewu sst seins wir d durch po lit ische Depr ivat io n angeregt . Die su bjekt iv er lebt e Divergenz zwischen dem So ll- Zu st and erwünscht er Verallgeme inerung ind iv idueller I nt eressen und dem aus der I nt eressensp luralit ät resu lt ierenden Ist -Zu st and t at sächlicher Beschr änkung ind iv idueller Int eressensdur chset zung er fordert eine Denkt ät igkeit , d ie als ‘po lit isch’ begr iffen werden kann. Auf seiner po lit ischen Teilst rukt ur baut das Bewu sst sein Vorst ellu ngen ü ber Polit ik au f. Das Po lit ikbewu sst sein schafft Or ient ierungs- u nd Hand lu ng ssicher heit , indem es Vo rst ellu ngen ü ber d ie Leg it imit ät des Her st ellu ngspro zesse vo n allgemeinen Verbind lichk eit en ent wick elt . Das Legit imieren ist d ie spezifische S innst ift u ngsfo r m des po lit ischen Denk ens. Als so lche kann es so wohl e ine herrschaft saffir mat ive als auch –kr it ische Funkt io n haben. Po lit ische S innb ildu ng leg it imiert beziehung sweise delegit imiert Herrschaft . So wie Po lit ik Ind ivid ual- u nd Part iku lar int er essen in allgemeine Ver bind lichkeit t ransfo r miert , so ent wickelt po lit isches Denken Recht fer t igungen beziehung sweise I nfr agest ellu ngen für d ie Fo r men des Transfo r mat io nspro zesses. 133 Das Leg it imieren ist d ie innere Lo gik, welche das po lit ische Denken a ls einen Spezia lfall des allgemeinen Denkens charakt er isiert . Po lit isches Denken erzeugt eine „Vorstellung vo m Best ehen einer legiti men Ordnung “ 134. „Legit imat io n sagt dem E inzelnen nicht nur, waru m er eine Hand lung ausfü hr en so ll u nd d ie andere nicht au sführen dar f. S ie sagt ihm auch, waru m d ie 133

Legitimation wird hier also als analytischer Begriff verstanden, der die faktische Anerkennung einer Herrschaftsordnung bezeichnet. Die Anerkennungswürdigkeit einer politischen Ordnung ist somit ein bestreitbarer Geltungsanspruch (vgl. Habermas, n. Greiffenhagen 1998, 45.) und wird nicht aus übergeordneten ethischen Idealen oder naturrechtlichen Anschauungen abgeleitet (vgl. bspw. Scheuner 1981, 9). Vergleiche auch Valdés (1988), der Legitimität normativ und Legitimation deskriptiv konnotiert. 134 Weber 1984, 54.

191

Dinge sind, wie sie sind “ 135. Das Legit imier en ist also ein Recht fert igung s- u nd Erkläru ngsvo rgang zug leich. I m Po lit ik bewu sst sein ent wickelt der Mensch so wohl seine Vorst ellu ngen ü ber das Zust andeko mmen von allgeme in verbindlichen Regelungen als auch über die Anerkennungswürdigk eit vo n po lit ischer Herrschaft . Der Glau be „an t at sächlich gelt ende o der gelt en so llend e No r men und Herrschaft sver hält n isse von Menschen ü ber Menschen“ 136 ist der Ker n des Po lit ik bewusst seins. Der „Leg it imit ät sg laube“ 137 wird im po lit ischen Bewu sst sein er zeugt . Die su bjekt iven Vorst ellu ngen ü ber Polit ik sind für d ie Zu st immu ng sfähig keit beziehung sweise Kr it ikwürd igkeit einer p olit ischen Ord nu ng zent ral. I m Pro zess des Leg it imierens wir d Herrschaft im Po lit ik bewu sst sein ment al verankert . Die su bjekt iven Po lit ik vo rst ellung en eines Menschen müssen der o bjekt iven po lit ischen Wirk lichkeit nicht zwang släu fig ent sprechen. S ie repräsent ieren d en Glauben an die E xist enz einer po lit ischen Wirklichk eit . „Dieser Glaube ist t eils gedank lich ent wickelt er Bes it z, t eils dunkel empfunden, t eils passiv hingeno mmen und au f das mann ig falt ig st e abschat t iert in den Kö pfen d er E inzelnen vorhanden“ 138, aber nicht no t wend ig erweise in der Realit ät . So wenig die Po lit ik vorst ellungen mit d er t at sächlichen po lit ischen Herr schaft übereinst immen müssen, so sehr ist dauer haft e Herrschaft darau f angewiesen, einen adäquat en Leg it imit ät sglauben auf Seit en der Beherrscht en zu erzeugen. Will Herrschaft nicht ‘auf blanker Gewalt gegründet ’ sein, was mit t elfr ist ig ihre St ab ilit ät gefähr den wür de, mu ss sie sich der Anerkennu ng swürd igkeit bei allen an ihr Bet eiligt en ver sicher n. So basier en po lit ische S yst eme und ihr e Herrschaft sst rukt uren in der Regel nicht au f Zwang, sonder n auf Zust immung. 139 Legit ime

135

Berger/Luckmann 1969, 100. Zu den Begriffen der Legitimation und des Legitimierens vgl. Weber 1976, 22 ff., und 157 ff. 136 Ders. 1985, 200. 137 Ders. 1976, 122. 138 Ders. 1985, 200. 139 Vgl. Breuer 1991.

192

Herrschaft st eht u nt er einem per manent en Recht sfert igu ngszwang. S ie ist mit best ändigen Zweifeln u nd mit Herrschaft salt er nat iven konfront iert , gegenüber denen sie ihre Anerkennu ng swürd igkeit beweisen muss. Die fort lau fende Erzeugung u nd Er halt ung vo n Leg it imit ät sglau ben ist eine unverzicht bare Au fg abe jeden Herr schaft ssyst ems. 140 Po lit isches Denken st ift et S inn, indem es Herrschaft svorst ellungen recht fert igt oder kr it isiert . Durch den Aufbau vo n Vo rst ellu ngen ü ber d ie St rukturen, in denen allg emeine Ver bind lichkeit hergest ellt wir d, wird im Po lit ik bewu sst sein Leg it imit ät sglau be er zeugt . Um d ieses Mo dell nun für d ie d id akt ische Forschung nut zbar zu machen, ist es not wendig, For men d er po lit ischen S innbildung zu d ifferenzieren.

2.1.5.

Politische Sinnbildungsformen

Die Tät igkeit des Po lit ikbewusst seins ist das po lit ische S innbilden. Durch po lit ische S innbildu ng werden Vo rst ellu ngen über den Pro zess au fgebaut , durch den ko llekt ive Ver b ind lichkeit hergest ellt wird. Po lit ische S innbildu ng in t erpret iert best immt e E lement e aus der ko mplexen Wirklichkeit als po lit isch relevant und fügt diese zu einer sinnhaft en Leg it imat io n vo n Herrschaft . Durch d iese Tät igke it ent wickelt sich eine ko gnit ive Teilst rukt ur, d ie als po lit isches Deut ungs- u nd Denk mu st er d ient . Im Po lit ik bewu sst sein ver mischen sich verschiedene Fo r men der po lit ischen S innbild u ng. Um d iese Mischformen spät er d idakt isch analys ieren zu kö nnen, so ll im Fo lgend en eine T ypo lo gie po lit ischer S innbildung ent wickelt werden.

140

Vgl. Berger/Luckmann 1969, 113f. Politische Bildung hat für politische Herrschaftssysteme die Funktion, den Legitimitätsglauben der in ihnen Lebenden zu beeinflussen. Denn die Generierung von legitimierenden Politikvorstellungen ist ein entscheidenden Faktor für die Stabilität von politischen Systemen. Zu den legitimatorischen Säulen politischer Herrschaft vgl. Richter 1994, 247.

193

Po lit isches Denken ist d ie Legit imat io n von Herrschaft svo rst ellu ngen. Von dieser Definit io n ausgehend sind bei der Kat ego risieru ng des po lit ischen Denkens drei Vorgehensweisen denk bar. Die erst e d ifferenziert Typen der Bewusst seinst ät igk eit , die zweit e T ypen d er Leg it imat io n u nd d ie dr it t e Typ en der Herrschaft . Erst ens könnt e eine T ypo lo g ie der Bewusst seinst ät igkeit an Ant oniu s Ho lt manns Unt erscheidung po lit ischer Wissensfor men anset zen. I n Anlehnu ng an Jürgen Haber mas’ Tr ias Erkennt nis leit end er Int eressen benennt er po lit ische Deut ung smu st er, denen spez ifische Denk must er zu Gru nde liegen. Die jeweilig en Theor iebezüge seien als St rukt uren im Allt agsbewusst sein vo n po lit isch Denkenden wieder zu finden. 141 Die dabei vorgeno mmene T yp isieru ng in eine nor mat iv-o nt o lo g ische, emp ir isch- analyt ische, u nd d ialekt isch- his torische Bewusst seinsfo r m 142 hat sich jedo ch inso fer n ü ber lebt , als d ie aus der Po lit o logie ü ber no mmenen Kat ego r ien inzwischen o bso let gewo rden sind. Auch T ilmann Grammes schlägt eine T ypo log isier u ng des Bewusst seins vor, indem er die Aufmer ksamkeit au f die differ ent en Mechanismen des Urt eilens r icht et . Das po lit ische Bewusst sein wir d dadurch aber nicht d ifferenziert , sonder n von anderen Bewusst seinsbereichen wie dem hist or ischen, moralischen oder öko nomischen abgegrenzt . 143 E ine Unt erscheidu ng vo n po lit ischen S inn bild ung st ypen kö nnt e zweit ens an den For men der Leg it imat io n anset zen. I m Anschluss an Max Weber s Herrschaft ssozio lo gie ließ en sich Gelt u ng sgrü nd e unt erscheiden, die eine po lit ische Ord nung als legit im er scheinen lassen. 144 Gelt ungsgründe für d ie Anerkennung swürdig keit von Herrschaft kö nnen demnach rat io naler, char ismat ischer o der t radit io naler Nat ur sein. 145 Diese Leg it imat io nst yp en sind jedoch

141

Vgl. Holtmann 1980. Ein Vorschlag, den auch Claußen zur Differenzierung der Politikdidaktik aufgreift (vgl. Claußen 1981, 14f.). 143 Vgl. Grammes 1998, 277. 144 Vgl. Breuer 1991, 19. 145 Vgl. Weber 1976, 159.

142

194

im Rahmen vo n Weber s Ko nzept ion st ark auf ein p erso nales Herrschaft sverst änd nis zugeschn it t en. E in st rukt ureller Herrschaft sbegr iff müsst e st ärker berücksicht igen, dass neben hist o r ischen, ku lt urellen und jur ist ischen Aspekt en auch d ie so zialen u nd ö ko no mischen Leist u ngen herrschaft srecht fert igend wirken. Au f Grund dieser Defizit e so ll bei der T ypo log ie der po lit ischen S innbild u ng der dr it t e Weg eing eschlag en u nd nach Herrschaft st ypen u nt ersch ieden werden, d ie leg it imiert werden kö nnen.

2.1.5.1.

Die Herrschaftstypolog ie

Das Po lit ikbewu sst sein als ko härent es Deut ungsmu st er und S innst ift u ngsschema st ellt sich d ie Her st ellu ng ko llekt iver Ver bind lichkeit ent weder als einen Pro zess vor, an de m alle Gruppenmit g lieder mit wirken, o der als einen Akt , der vo n ein igen wenigen für die Gesa mt gruppe get ät igt wird. So leg it imiert po lit isches Denk en ent weder d ie Demo krat ie oder d ie Aut okrat ie. 146 Die beiden Gru ndt yp en u nt erscheid en s ich in den Herrschaft svorst ellungen, für d ie sie Leg it imit ät erzeugen. Das demo krat ische u nd das aut okrat ische Herr schaft sko nzept lässt sich d ifferenzieren nach a) der Bas isko mpet enz, d ie den einzelnen Gr uppenmit g lieder n unt erst ellt wird, b) dem St at us, der den Gruppenmit g liedern zugewiesen wird, c) nach der vo rgest ellt en Relat ion zwischen Gruppenmit glieder n und po lit ischem S yst em sowie d) nach der Herr schaft srelat io n, d ie zu Grunde gelegt wird.

146

Zur Unterscheidung eines Autokratie- und Demokratietypus Tausch/Tausch 1973, 25f.

195

a) Der demokrat ische S innb ildungst ypus g eht vo n einem grundsät zlich po sit iven Menschenb ild au s. Den Gruppenmit glieder n wird unt erst ellt , dass sie selbst st änd ig in der Lag e sind, gruppenver bind liche Regelung en zu t reffen. Nach dem d emokrat ischen T ypus ver fügt jeder Mensch über die Basisko mpet enz der ‘po lit ischen Münd ig keit ’ 147. „Demo kr at ie ar beit et an der Selbst best immung der Menschheit , und erst wenn d iese wirk lich ist , ist jene wahr. Polit ische Herrschaft wird dann mit Selbst best immung ident isch sein. “ 148 Der aut okrat ische S innb ildungst ypus hing egen bezweifelt d ie po lit ische Selbst best immungsfähigke it des Menschen. Den Gruppenmit glieder n wird die Ko mpet enz zur Herst ellung allg emeiner Ver bindlichk eit abgesprochen, indem ihnen als Grundeigenschaft d ie ‘po lit ische Hö r igkeit ’ unt erst ellt wird. Diese macht d ie Gruppenmit glieder abhängig vo n der po lit ischen Führu ng anderer. Das Pr inzip der Fremd best immung leit et den Aufbau vo n Vorst ellu ng über die Polit ik. b) Je nachdem, welche Basisko mpet enz den Gruppenmit glieder n zugespro chen wird, var iiert auch der St at us, der den Gruppenmit glieder n im Rahmen eines po lit ischen S yst ems gegeben wird. S ie sin d ent wed er Bürger oder Unt ert anen. Der demo krat ische S innb ildungsmodu s begreift das einzelne Gruppenmit g lied als einen mü ndigen Bürger, der den po lit ischen Pro zess beeinflu ssen kann. Die ‘bürger schaft liche Ko mpet enz’ 149 qualifiz ier t den ’demo krat ieko mpet ent en Bürger ’ 150 zur Bet eiligung am Transfor mat io nspro zess vo n I nd iv idualint eressen in allg emeine Ver bind lichkeit . 151 Das Pr inz ip der Hö rigk eit im aut o krat ischen S innb ildungst ypu s st ellt sich das einzelne 147

Vgl. Adorno 1971a, 133ff.; Stein 1999, 43ff. Habermas 1961, 15. 149 Vgl. Buchstein 1996 u. Münkler 1997. 150 Vgl. Detjen 1999a u. Himmelmann 2001a, 268. 151 Vgl. Niedermayer 2001. 148

196

Gruppenmit glied als einen „Unt ert an“ vo r, dem es an Ko mpet enz zur ver nünft igen E influssnah me mangelt . c) Dement sprechend lässt sich die Relat io n zw ischen dem Gruppenmit glied und dem po lit ischen S ys t em dur ch das Pr inzip der Exk lu sio n charakt er isier en. I m auto krat ischen S innb ildung smo du s ist der ‘hö r ig e Unt ert an’ vo m Pro zess der Herst ellung allgemeiner Ver bind lichkeit ausgeschlo ssen. Er ist von Po lit ik bet ro ffen, aber nicht an ihr bet eiligt . Im Geg ensat z dazu u nt erst ellt d ie demo krat ische S innb ildung, dass der „mü nd iger Bürger “ durch Part izipat io nsst ränge am po lit ischen S yst em bet eiligt ist . d) Dadurch unt erst ellt d er demo krat ische T ypus d ie pr inzip ielle Ident it ät zwischen Herrscher n und Beherrscht en. Sein po lit isches Denken st ellt sich Herrschaft als eine hor izont ale St rukt ur vo r, in der die Ko mpet enz zur Herst ellu ng allg emein bindender Regelu ngen au s den Selbst best immung spo t enzialen mü nd iger Bürger her vo r geht . Der aut o krat ische S innb ildungst ypus hing egen bet ont den Ant ago nis mu s zwischen Herrscher n und Beherrscht en. Seine vert ikale Vorst ellu ng vo n Herr schaft reser viert die po lit ische Ver fügu ng sko mp et enz für d ie Herr scher, während d ie beherrscht en Unt ert anen als Befehle mp fänger und Gehorsamleist ende gedacht werden. In der Po lit ikdid akt ik wird das Pr inzip d er Herrschaft slegit imat io n zuweilen einse it ig mit aut okrat ischen Fo r men d er Herrschaft verk nüp ft . 152 Dabei wird der Zweck der Legit imat io n in „d er Lo yalit ät ssicherung und id eo lo gischen Bekämp fu ng der innerg esellschaft lichen Oppo sit io n“ 153 gesehen und vo n demo krat ischen Fo r men po lit isch er Bild ung abg egrenzt . Die Leit idee der Mündigkeit habe „d ie Abkehr vo n der jahr hundert ealt en Vorst ellu ng [ imp liziert ], polit ische Erziehu ng

152 153

Vgl. Sander 2001, 18f.; ders. 2002, 12ff. Ders. 1999, 14.

197

habe in erst er Lin ie d ie Au fgabe der Leg it imat io n vo n vorgegebenen […] po lit ischen Ver hält n issen“ 154 zu dienen. Dieses Legit imat io nsver st ändn is verdeckt den Umst and, dass sich auch demo krat ische Herrschaft per manent recht fert igen mu ss. Demokrat ie ist nicht d ie Abschaffung vo n Herrschaft , so nder n eine besondere Fo r m vo n Herrschaft , d ie einer spezifischen Leg it imat io nsfo r m bedar f. 155 Ihre Anerkennu ngswürdigkeit beruht gerade au f der po lit ischen S innbildu ng, dass „Herrschaft […] durch d ie ver nünft ig e Selbst best immung münd iger Menschen ver mit t elt [se i] “ 156. Erst die Vo rst ellu ng vom „selbst änd igen Verst andesgebr auch der Bet roffenen“ 157 verschafft der Demokrat ie den exist enznot wendigen Leg it imit ät sglau ben. Po lit ische Bildung hat die Fu nkt io n, Demo krat ie zu leg it imieren, da vo n ihr „erwart et [wird], daß ihre Bemühungen zu einer d ie Demokrat ie u nd den St aat bejahenden Halt ung und zu eine m ver fassungsko nfor men E ngagement der Adressat en fü hren“ 158 so llen. Will eine Demo krat ie auf Dauer als leg it im anerkannt sein, muss sie ihr e po lit ische Bildu ngsar beit an den Zie len d er Mü nd igk eit und der E manzip at ion ausr ich t en. 159 So wohl der demokr at ische als auch der au tokrat ische S innbildung spro zess muss dement sprechend auch als Leg it imat io nsmo dus begr iffen werden. Die Aut o krat ie leg it imiert sich durch die Vorst ellu ng vo m hör igen Unt ert an, der zu m selbst t ät igen Gebr auch seines Ver st andes unfäh ig ist und deshalb po lit isch fremd best immt werden muss. Die Leg it imit ät von Demokrat ie h ingegen basiert au f dem Gla uben an den mü ndigen Bürger, der zur po lit ischen Selbst best immung befähigt ist . Jede int ent ionale Beeinflussu ng des Po lit ikbewu sst sein (et wa in For m von po lit ischer Bildung) beansprucht heut e, demo krat ische

154

Ebd., 17. Vgl. Meier 2000 u. Demirovic 1997; zum Verhältnis von Demokratie und Legitimität vgl. Lenk 1993, 936ff. 156 Habermas 1961, 17. 157 Rüsen 1990, 44; vgl. a. Sander 1993b, 172. 158 Maier 1999, 349. 159 Vgl. Darmstädter Appell 1995, 6; Münchner Manifest 1997.

155

198

Herrschaft zu leg it imier en. Das heiß t aber nicht , dass der demo krat ische S innb ildungst ypus d as po lit ische Denken auch in emp ir ischer Hins icht do miniert . Aut o krat ische Leg it imat io nsfo r men lassen sich für alle Ebenen der Her st ellung ko llekt iver Ver bindlichkeit ident ifizier en. 160 In der no r mat iv ausger icht et en Po lit ikdid akt ik unt er liegt der aut o krat ische S innbildung st ypus jedoch eine m ger inger en Reflexio nsgrad, da er unabhäng ig von seiner Ausprägung pejo rat iv beset zt wird.

2.1.5.2.

Die Demokrat ietypolog ie

Dieser Grad der Reflex io nsint ensit ät und nicht das Maß des t at sächlichen Vo rhandenseins macht es not wendig, den demo krat ischen S innb ild u ng st ypus weit er zu differenzieren. Die beabsicht igt en po lit ischen Ler nprozesse einer demokrat ischen Gesellschaft zie len au f die Herau sbildung von demo krat ischen Po lit ik vo rst ellung en. Dabei werden p lurale Demo krat ieko nzept e 161 zu Grund gelegt , die mit einander ko nkurr ieren. 162 Um nun Su bt ypen d er demo krat ischen S in nbild ung zu best immen, ist eine Or ient ieru ng an der no r mat iven Demo krat iet heo r ie sinnvo ll. Denn d iese ver bindet mit der demo kr at ischen S innbildung der Anspruch, de mokrat ische Herrschaft ssyst eme begründen zu wo llen. 163 Indem die no r mat ive Demo krat iet heor ie d ie“Qualit ät bzw. Qualifikat io n“ der Bürger und „ihr e Part izipat io nsfähi gkeit und Part izipat io nsbereitschaf t“ 164 reflekt iert , unt ersucht sie demo kr at ische Leg it imat io nen. Die nor mat ive Demo krat iet heo r ie lässt sich in vier Haupt r icht u ngen unt ert eilen: Die liber ale E lit ent heo r ie, d ie p lur alist ische Demo krat iet heor ie, d ie deliber at ive

160

Vgl. Adorno 1973; Heitmeyer u.a. 1992. Vgl. Guggenberger 1995, 83ff.; Schmidt 1997. 162 Vgl. Sander 2001, 39. 163 Vgl. Pohl/Buchstein 1999, 71. 164 Münkler 1997, 155. 161

199

Demokrat iet heor ie u nd d ie feminist ische Demo krat iet heor ie. 165 Die Kat egor ie der feminist ischen Demo kr at iet heor ie nimmt dabei eine So nderro lle ein. Zwar haben die feminist ischen Ko nzept io nen eine nor mat ive Geme insamkeit in d em Zie l d er E manzipat io n der Frau. Das recht fert igt ihre Zusammenfassu ng zu einer eigenen Kat egor ie der nor mat iven De mo krat iet heor ie. Jedoch lässt sie sich ebenso gut auf d ie anderen drei no r mat iven Demokrat ieansät ze au ft eilen, da ihr er Arg ument at io n unt erschiedliche demo krat ische S innb ildu ngsmo di zu Gru nde liegen. 166 Deshalb werd en im Fo lgenden als Subt ypen demo krat ischen Denk ens u nt erschieden a) der p lebiszit äre S inn b ildungsmo dus, b) der repräsent at ive S innbildungsmo dus und c) der elekt orale S innbildungsmo dus.

a) Der p lebiszit är e S innb ildungsmo dus Der p lebiszit är e S innb ildungsmo dus st ellt sich Po lit ik als einen Pro zess vo r, an de m die Mit glieder der bet ro ffenen Gruppe d irekt bet eiligt sind. Das Mo ment der Bet eiligu ng do min iert d ie ‘st arke Demo krat ievo rst ellu ng ’, in der Herrschaft „die Selbst reg ieru ng der Bürger, keine st ellvert ret end e Reg ierung“ 167 sein so ll. Die Herst ellu ng allg emeiner Ver bind lichkeit wir d demnach als ein per manent er Pro zess des Berat ens, Ent scheidens u nd Handelns von Bürger n begr iffen. Die Ident it ät zwischen Herrscher n u nd Beherrscht en unt erst ellt der p lebiszit äre S innb ildungst ypus als unmit t elbar e. Dadurch werden I nst it ut io nalis ierung sfo r men von Herrschaft legit imiert , die zu mindest dann p lebiszit äre Part izipat io nsmö g lichkeit en erö ffnen, wenn wesent liche

165

Vgl. Pohl/Buchstein 1999; Schmidt 1995. Vgl. Pohl/Buchstein 1999, 76. 167 Barber 1994, 290.

166

200

Probleme ver handelt und gru nd legende E nt scheidu ngen inner halb einer sozialen Gru ppe get ro ffen werden müssen. 168 Die plebiszit äre S innbildu ng int erpret iert die ö ffent liche Ko mmunikat io n vo n po lit ischen Pro blems t ellu ngen als eine Bet eilig ung sfo r m vo n Bürger n an d er po lit ischen Auseinand erset zung. Das dabei wir ksame Pr inzip der Deliberat io n 169 er mög licht , dass der Bürger auch bei kompliziert en Sacht hemen a ls ko mp et ent bet racht et werden kann. In den d eliberat iven Ko mmun ikat io nspro zessen t rägt er zur po lit ischen Pro blemanalyse und - bewält igung bei. Auch ko mplexe po lit ische Prozesse kö nnen so als Pro dukt e der d irekt en Bet eilig u ng vo n Bürg er n int erpret iert werden. 170 Inner halb der p lebisz it ären S innbildu ng wird die jeweilig e soziale Gruppe als eine „Gese llschaft mü ndiger Menschen“ 171 vorgest ellt , deren akt ive Bürg er sich jed erzeit sachko mpet ent machen können, um in den Pro zess der Herst ellung ko llekt iver Ver bindlichkeit zu int ervenieren. Das p lebiszit är po lit ische Denken geht also nicht davo n aus, dass an jedem E nt scheidu ngspro zess zwangsläufig alle Gruppenmit g lieder akt iv bet eiligt sind. Es ist aber in d er Lage, auch in mit t elbaren Bet eiligungsfo r men Unmit t elbarkeit zu erk ennen, da es d ie I nst it ut io nen der Ziv ilgesellschaft nicht nur als int er med iär e Inst anzen, sonder n zugleich als Foren verst änd igungso rient iert er Öffent lichkeit en deut et , in d enen part izipat orische Bürger bet eiligung st att find et .

168

Vgl. ebd., 290f. Vgl. Habermas 1992b. 170 In den öffentlichen Diskurs deliberativer Demokratien bringen die Beteiligten nicht nur ihre Individualinteressen ein, sondern zugleich subjektive Vorstellungen vom Gemeinwohl, welches im Kommunikationsprozess a posteriori verallgemeinert wird (vgl. Habermas 1992b). 171 Ders. 1961, 16.

169

201

Soziale Bewegungen, Bürger init iat iven, u nd andere zivilgesellschaft liche Inst it ut io nalis ierungen werden zu Ort en der dir ekt en Bet eilig u ng, da sie als kr it ische Öffent lichkeit po lit ische Proble me deliber ier en. I m Pro zess der Verst änd igung in ko mmu n ikat iven Öffent lichkeit en werden Aspekt e u nmit t elbarer Bet eiligung und „st arker Demo krat ie“ 172 ersicht lich. Die Vo rst ellung vo n d er Mü nd igkeit des Bürgers erst reckt sich pot enzie ll auf jedes Po lit ikfeld jeg lichen Ko mp lexit ät sgrades. Der Part izipat io nsgedanke wird t endenziell vera llgeme inert . Polit isches Denken legit imiert dadurch eine gemeinsame Selbst regier u ng, in der d ie Gruppenmit g lieder direkt am Prozess der Herst ellung allg emeiner Ver bind lichkeit bet eiligt sind, zumindest jedoch jed erzeit in diesen eingreifen können. b) Der repräsent at ive S innbildungsmo dus Der repräsent at ive S innb ildungst ypus st ellt sich allgemeine Ver bind lichkeit als das Tät igkeit sprodukt eines po lit ischen S yst ems vor, welches sich inner halb der so zialen Gru ppe auf diese Fu nkt io n spezia lisiert hat . Dar in ver fügen Repräsent ant en d er Bürger ü ber d ie po lit ische Ko mp et enz. Wie wird in d iesem Denk mo dus u nt erst ellt , dass sich im polit ischen S yst em t at sächlich d ie P art ialint eressen der sozialen Grupp e wider sp iegeln? Die repräsent at ive S innb ildu ng geht davon aus, dass sich Bür ger in I nit iat iven, Vereinen, Ver bänden und Part eien organis ier en, u m ihre Int eressen durchset zen zu kö nnen. I n d iesen Verein ig ungen drückt sich d ie part ielle I nt eressensident it ät von Bürger n einer p luralen Gesellschaft au s. Durch diese Bü ndelu ng erhalt en die E inzelnen d ie Mög lichkeit , ihre Ind iv id ualint eressen in das po lit ische S yst em einzu speisen.

172

Barber 1994.

202

Soziale Grup penbild u ngen werden als Ver längerung en des polit ischen S yst ems in d ie Gesellschaft int erpret iert , welche als Sensoren und Med iäre für d ie Ind iv id ualint eressen der Bürger bet racht et werden kö nnen. Das po lit ische S yst em ist also nicht vo m Bürger get rennt , sonder n basiert au f dessen E ngagement in Verein igungen, deren Repräsent ant en d ie Part iz ipat io n am po lit ischen Prozess er mö g lichen. 173 Die Ident it ät zwischen Herrscher n u nd Beherrscht en wird als eine mit t elbar e vo rgest ellt . Dabei wir d Demokrat ie nicht nur durch d ie inst it ut ionalis iert e Part iz ipat io n in Fo r m vo n Wahlen, Pet it io nen o.ä. leg it imiert , so nder n durch das E ngagement vo n Bürger n in Par t eien, Vereinen o der Bewegu ng en. 174 Die Inst it ut io nen der Ziv ilgesellschaft werden durch d ie r epräsent at ive S innbildu ng nicht als p lebiszit äre Foren, so nder n als int er med iäre Inst anzen int erpret iert , 175 durch die ind ividuelle I nt eressen in kollekt ive Ver bindlichkeit t ransfo r miert werden. 176 Das repräsent at ive po lit ische Denken ver fügt über einen ‘nücht er nen’ Blick au f den Bürger. Dieser sei zwar grundsät zlich zur Selbst best immu ng in allen Belangen fähig, jedoch au f Grund beschränkt er Zeit -, Energ ie- und Sachver st andsresso urcen nicht in der Lage, d iese unmit t elbar auszu fü hren. 177 Deshalb engag ie rt er sich als Gruppenmit g lied und deleg iert die Ver bin dlichmachung vo n Regelu ngen an Repräsent ant en. c) Der elekt o rale S innbildu ngsmo du s Der elekt o rale S innbildu ngst ypu s st ellt sich ko llekt ive Ver bind lichkeit als ein Tät igk eit sprodukt vo n E lit en vor. Dem liegt ein Verst änd nis des Bürgers zu Grunde, das

173

Vgl. Fraenkel 1991. Vgl. ebd., 314ff. 175 Vgl. Rucht 1997. 176 Zu den neueren Verwendungen des Begriffs ‘Zivilgesellschaft’ vgl. Klein 2001. 177 Vgl. Himmelmann 1996; ders. 1999. 174

203

dessen pr inz ipielle Unzulänglichkeit zum po lit ischen Handeln bet o nt . 178 Da d ie Regelungsanfo rderu ng en zu ko mplexen Sachfr agen nicht von allen Bürger n durchdacht werden können, wir d es als no t wend ig eracht et , diese Problembewält igungsko mpet enz an E xpert en(gremien) abzut ret en. Diese No t wendigkeit zur po lit ischen E lit enbildu ng, d ie mit der Ko mp lex it ät so zialer Grupp en anst eige, leg it imiert eine ‘realist ische Demo krat ievo rst ellung ’, welche d ie so ziale Ungleichvert eilung von Macht akzept iert . 179 Die u nt erst ellt e Irrat io nalit ät des Bürgers legit imiert d ie Herrschaft vo n polit ischen E lit en. Po lit isches Handeln wird zur Sache von Spezialist en, welche die Ko mpet enzen zu m Her vo rbr ing en allg emein bindend er Reg elu ngen als Beruf er ler nt haben. Demo krat ie wir d als Kamp f ko nkurr ierend er E lit en um d ie elekt o rale Übert ragu ng von E nt scheidungs- und Regelu ng sbefugnis begr iffen. 180 Die Selbst best immung der Bürger drückt sich dabei nur no ch in der regelmäß igen Möglichkeit zur Wahl der E lit e aus, d ie seine I nt eressen am Best en vert r it t . Diese der Wah lent scheidung zu Grunde liegend e Rat io nalit ät zwingt d ie ko nkurr ierenden Part eien, Polit ik im I nt eresse der Bürger zu bet reiben. Die polit ischen Bet eilig u ng schancen d er Bürger sind jedo ch au f d ie Wahlen r eduziert . 181 E lekt orales po lit isches Denken legit imiert also demokrat ische Herrschaft , in der d ie Bürger po lit isch infor miert sein so llt en, um als au fgeklärt e Wäh ler per io disch E lit en mit der Ko mpet enz zur Herst ellung allg emeiner Ver bind lichkeit zu beau ft ragen.

178

Vgl. Schumpeter 1972, 416. Vgl. Sartori 1994. 180 Vgl. Schumpeter 1972, 437f. 181 Vgl. Downs 1968, 6ff. 179

204

E in zent rales Kr it er iu m, welches auch den T ypenbezeichnu ngen zu Grunde liegt , ist die For m, wie die Bet eilig u ng vo n Bürger n am Pro zess der Her st ellung allgeme iner Verbind lichkeit vorgest ellt wird. Der plebiszit är e T ypus u nt erst ellt die d irekt e Part izipat io n am po lit ischen Prozess, während der repräsent at ive T ypus indirekt e For men der Bet eiligung hervo rhebt . Das part izipat ive Mo ment des elekt o ralen T yp us hingegen ist au f d en per iod isch st at t findenden Wah lakt beschr änkt . Die d emokrat ische Ident it ät vo n Herrscher n u nd Beherrscht en wird ent weder als unmit t elbar angesehen oder mit t elbar durch int er med iäre Inst anzen beziehu ngsweise ver mit t elt durch Wahlen vo rgest ellt . Ent sprechend var iier en auch die S elbst best immu ngsko mpet enzen, d ie den Part izip ierenden u nt erst ellt werden. I m elekt oralen Part izipat io nsmo dell genügt d ie Ko mpet enz der po lit ischen Info r miert heit , um be i Wahlen eine rat ionale Ent scheidung ü ber d ie Qualit ät der Elit en fä llen zu können. Mündigk eit im repräsent at iven Part izipat ionsmo de ll bedar f des po lit ischen Engagement s, durch welches ind ividuelle Int eressen in p luralen Teilgrup pen der Gesamt gesellschaft eingebracht werden. Das p lebiszit äre Part izipat io nsmodell basiert au f der po lit ischen Int ervent ionsfähig keit der Bet eiligt en, damit d iese ihre I nt eressen akt iv u nd u nmit t elbar in den po lit ischen P ro zess einbr ing en kö nnen. Je nach T ypu s wir d der po lit ische Bürger ent weder als in fo r miert er Wähler, als engag iert es Grup penmit g lied oder als int er vent io nsfäh iger Akt ivist vo rgest ellt . In der Realit ät t auchen d ie T ypen nicht in d ieser Reinfo r m au f. Vielmehr ist demo krat ische S innb ildung als eine Mischfor m anzu sehen, 182 d ie sich in je eig enst änd iger Weise au s E lement en der drei T ypen zusammenset zt . Demo krat ische Ko mpet enz ist eine au s E lement en des I nfo r mier ens, des Engag ierens u nd des Int ervenierens zu sammengeset zt e Fäh igkeit . 183 Die T ypo log ie po lit ischer S innbildung er laubt es nu n aber, die

182 183

Vgl. Luthardt/Waschkuhn 1997. Vgl. Detjen 1999a, 26ff.; Buchstein 2000, 8.

205

Zusammenset zu ng d emo krat ischen Denkens u nd damit au ch Leg it imierens zum Zwecke der Analyse zu d ifferenzieren.

2.1.6.

Zusa mmenfa ssung

In den Erö rt erungen des Kap it els hat sich gezeigt , dass die Bewusst seinskat ego r ie analo g zur Geschic ht sd id akt ik au ch in d er Po lit ik didakt ik ent falt et werden kann. Die Bewu sst seinsk at egorie ist in der Lag e, den Unt ersuchu ng sgegenst and sowo hl der Geschicht s- als auch der Po lit ikd idakt ik zu st rukt urieren. Das Geschicht sbewusst sein ent wickelt Vo rst ellu ngen ü ber sinnhaft e Zeit zusammenhänge. Das Po lit ikbewusst sein ent wickelt Vorst ellu ngen ü ber leg it ime Herrschaft . Beide Bewusst seinst ät igkeit en können in sich differ enziert werden. For men hist o r ischer S innb ildung lassen s ich mit Hilfe einer Ze it t ypo log ie danach u nt erscheiden, welche Zeit vo rst ellungen d en S innzusammenhang zwischen Vergangenheit , Gegenwart und Zuku nft prägen. Die T ypen der zirku lären, linearen und punkt uellen S inn bild ung st ellen einen kat ego ria len Au sgangspu nkt für die Analyse, Reflex io n u nd Organisat io n vo n hist or ischen S innb ildu ngs- u nd Ler nvo rgängen dar.

zirkuläre Sinnbildung

lineare Sinnbildung

punktuelle Sinnbildung

Kontinuität als

Wiederkehr

Entwicklung

Analogie

räumliche Figur

Spirale

Linie

Angelschnur

Leitprinzip

Routine

Fortschritt

Möglichkeit

Tabelle 1: Die Zeittypologie hi sto rischer S innbildung

206

For men po lit ischer S innbildu ng lassen sich mit Hilfe einer Herrschaft st ypo lo g ie danach u nt ersche iden, welches Ko nzept zur Transfo r mat io n von I ndivid ualint eressen in allg emeine Ver bind lichkeit leg it imiert wird. Gru ndsät zlich lässt sich ein demo krat ischer und ein aut o krat ischer T ypus po lit ischen S innbildung u nt erscheiden. S ie differ ier en in ihrem Ver st änd nis von Herrschaft und in der Fr age, wie d ie Relat io n zwischen dem Gruppeneinzelnen u nd dem Prozess der Herst ellung allgeme iner Ver bind lichkeit vo rgest ellt wird. Die Vo rst ellu ng vo m E inzelnen unt erscheidet sich hinsicht lich seiner Basisko mp et enz u nd seines Gruppenst at us’.

demokratische Sinnbildung

autokratische Sinnbildung

Basiskompetenz

Mündigkeit und Selbstbestimmung

Hörigkeit und Fremdbestimmung

Status

Bürger

Untertan

Relation zum politischen System

partizipatorisch

exklusiv

Herrschaftsverständnis

horizontal

vertikal

Tabelle 2: Di e Herrschaftstypologie politisch er Sinnbildung

Da die demo kr at ische S innbild u ng sko mpet enz die Zield imensio n akt ueller po lit ischer Bildungsbemühungen beschre ibt , ist es sinnvo ll d en demokr at ischen T ypu s zu u nt erglieder n. Demokrat ische S innbildung lässt sich hins icht lich des zu Gru nd e gelegt en Part izip at io nsver st ändnisses, des Bürger verst änd nisses, der Vorst ellung von po lit ischer Selbst best immu ng, der Ausprägu ng der Ident it ät vo n Herrscher n und Beherrscht en unt erscheiden. Mit den drei Su bt ypen kö nnen For men demo krat ischer S innb ildung differenziert werden.

207

plebiszitäre Sinnbildung

repräsentative Sinnbildung

elektorale Sinnbildung

Partizipationsform

direkt

indirekt

periodisch

Bürgerverständnis

Aktivbürger

Gruppenmitglied

Wähler

Selbstbestimmungsmodus Intervention

Engagement

Information

Identität von Herrschern unmittelbare Relation und Beherrschten als

mittelbare Relation

vermittelte Relation

Tabelle 3: Di e Demo kratiet ypologie politisch er Sinnbildung

Die S innbildungst ypo lo gien st ellen sowo hl der Geschicht s- als auch der Po lit ikdid akt ik ein kat ego riales S yst em zur Ver fügu ng, welches d ie Analyse des hist o rischen u nd des po lit ischen Ler nens anleit en k ann. Es st ellt sich nun die Fr age, o b aus dem Zusammenwirken der hist o r ischen und po lit ischen Bewusst seinsst rukt uren hist o risch-po lit ische S innbildu ng sfor men mo delliert werden können, d ie spät er als Grund lage der d idakt ischen Analyse der Allt ag sgeschicht e dienen kö nnen.

2.2.

Das historisch-politische Bewusstsein

I m Fo lgenden wird erört ert , o b sich d ie hist o risch-po lit ische Did akt ik sinnvo ll ent falt en lässt , wenn ihr als zent raler Reflexio nsg egenst and das hist or isch-po lit ische Bewusst sein zu Grunde gelegt wird. Es wird davo n ausgegangen, dass sich im hist o r isch-po lit ischen Bewu sst sein die ko gnit iven St rukt uren des Geschicht s- und des Po lit ik bewu sst seins ü berschneid en und dabei eine eig ene Subst rukt ur ausprägen. 1 Um d iese Hypot hese zu begründen, wird die Beschaffenheit des hist o risch-po lit ischen Bewusst seinsbereiches u nt ersucht . Es st eht in Frage, wie hist o r isch-po lit ische Wirk lichkeit svo rst ellungen au fg ebaut werden und welche For men subjekt iver S innb ildu ng st ät igkeit s ich als sp ezifisch hist o r isch-po lit ische eingrenzen lassen. Analog zu d er vorangegangenen Best immung des Geschicht s- u nd Po lit ik bewu sst sein so ll nu n nach d er fo r malen St rukt ur und Lo gik des hist o r isch-po lit ischen Bewusst seins g efragt werden. Au sgehend vo n der E igenst änd igkeit beid er Erkennt nisweisen wird zunächst unt ersu cht , wie d ie Fo r m der Zusammenar beit sinnvo ll vo rgest ellt werden kann. I m Anschlu ss daran wird die Tät igkeit des hist o risch-po lit ischen S innb ild ens zu erört ern sein.

2.2.1.

Grund modelle der Zusammenarbeit

Bei der Unt ersuchung der Zusammenar beit von Po lit ik- u nd Geschicht sd id akt ik kann davon ausgegang en werden, dass sich „Po lit ik nicht ohne Geschicht e, Geschicht e nicht o hne Po lit ik verst ehen“ 2 lässt . Zwar best ehen Befürcht ungen, dass „d ie Verst ärkung des Geschicht su nt err icht s u nd gesch icht licher

1

In diesem Sinne vgl. a. Pandel 1997, 321. Eine alternative Möglichkeit wäre es, erst Kategorien des historisch-politischen Bewusstseins zu entwickeln, und aus diesen den historischen und politischen Bewusstseinsbereich deduktiv abzuleiten. Vgl. dazu K. Oehler (1997, 770f.), die ‘Zeit’ als Oberkategorie begreift. 2 Schörken 1999, 629.

209

Aspekt e und T hemen im Bereich der So zialkunde“ eine „E nt leeru ng des Faches“ 3 bewirken kö nnt e. Grundsät zlich kann jedo ch davo n au sgegangen werden, dass die hist or ische Perspekt ive ein „Rückgrat polit ischer Bild ung“ 4 darst ellt . Es st eht außer Frage, dass hist o r isch fu nd iert es po lit isches Handeln Gegenwart spro bleme besser bewält igen lässt , als gegenwart szent r iert e u nd kurzsicht ige Reakt io nen. 5 Geschicht sbezüg e kö nnen • zur Klär u ng akt ueller po lit ischer Pro bleme beit ragen, • Kat egorien zur Erschließ ung gesellschaft spo lit ischer P häno mene liefer n, • gegenwärt ige po lit ische Ver hält nisse leg it imier en u nd delegit imieren, • das Gewo rdensein u nd d ie Gest alt u ngsfäh igkeit gegenwärt iger St rukt uren o ffenbaren, • po lit ische Alt er nat iven au fzeig en, • po lit ische Ut o pien bewahren, • durch Analo g iebildu ngen po lit ische Pro bleme bewusst machen, • als Reser vo ir für po lit ische Argu ment at ionen d ienen, • po lit ische Gefahr en au fzeigen u nd Ängst e relat iv ieren, • po lit isches Hand eln anleit en. Die gru ndlegende Relat io n zwischen der Po lit ik- und Geschicht sd idakt ik st eht also nicht in Frage. Es kann fest gehalt en werden, dass der po lit isch Gebildet e immer auch hist or ischgenet ische Fakt o ren berücksicht igen wird und d er hist o r isch Gebildet e niema ls d ie Po lit ik in der Geschicht e ver nachlässigen

3

Massing 1995, 61. Steinbach 1998. 5 Vgl. zum Folgenden Wehler 1988b, 11f.; Kocka 1974, 24 ff.; Schulz-Hageleit 1976 u. 1981, 131 ff.; Huhn 1978, 322f.; Jeismann 1992; Süssmuth 1978. 4

210

wird. 6 „Po lit ik ko nst it uiert Geschicht e – u nd Geschicht e ko nst it u iert Polit ik“ 7. In der Geschicht e d ieses Ver hält nisses wurde aber immer wieder d iskut iert , welche der beiden Fachd id akt iken, den w icht igeren Beit rag zum Verst änd nis d es hist o r isch-po lit ischen Ler nens zu leist en ver mag. Ko nt ro vers wurde dabe i beurt eilt , wie das Mischu ng sverhält nis zwischen Hist o rischem und Po lit ischem zu best immen sei. I n Frage st and Fo lgendes: Wird po lit ische Bildung au sreichend durch d en Geschicht su nt err icht gewähr leist et oder lässt sich das hist or ische Ler nen in den Po lit ikunt err icht int egr ieren? St eht eines der Fächer zur Dispo sit io n o der bear beit en sie zwei u nt erschied liche Erkennt nisbereiche? Prägen d ie Erkennt nisweisen spezifische Ler nbereiche u nd Unt err icht sfächer aus oder so llt en sie zur Erfü llung überg eo rdnet er Ler nziele als so zialwissenschaft liche Perspekt iven ko oper ieren? Die E igenst änd igk eit der Erkennt nisweisen vo rausgeset zt wird d isk ut iert , wie sich d eren Zusammenar beit im Über schneidungsfeld des Hist o r ischPo lit ischen beschre iben lässt . Die hist or isch-po lit ische Did akt ik ist auf u nt erschiedliche Weise ko nzept ualisiert wo rden. Die d abei zu Grunde gelegt en Mo delle lassen sich au f d ie drei T ypen d er int egrat iven (a), der koo perat iven (b) u nd der korrelat iven Zusammenar beit (c) reduzieren. a) Die int egrat ive Zu sammenar beit Das I nt egrat ionsmo dell ist durch d ie hegemo nia le Tendenz so wohl d er Geschicht s- als auch der Po lit ikd idakt ik gekennzeichnet , d ie jeweils andere Per spekt ive in sich au fzuneh men u nd so mit als eigenst änd igen Erkennt nis- u nd Ler nbereich obso let zu machen. So lässt sich ein geschicht s- u nd ein po lit ikd idakt isches I nt egrat io nsmodell unt erscheiden. I m hist ori schen I nt egrat io nsmodell er hebt d ie Geschicht sd id akt ik den Anspruch, d ie Zent raldiszip lin der po lit ischen Bildu ng zu sein. Dabei wird davo n ausgegangen, dass sich hist o risches 6

Vgl. Steinbach 2001, 5; Schörken 1981, 232f.; Bergmann 1996, 319; Sutor 1997, 332. 7 Weidenfeld 1987b, 13.

211

Denken vo rrangig bis ausschließ lich mit po lit ischer Geschicht e beschäft ige. Ausgehend von der ent wicklu ng sp sycho log ischen These, dass Schü ler innen u nd Schüler n keine po lit ischen Pr imärer fahr u ngen machen kö nnen, werden d ie hist o r ischen Ler ng egenst ände als ‘sekundäres Er fahrun gsfeld ’ der po lit ischen Erziehu ng her vorgeho ben. Das hist or ische I nt egrat io nsmo de ll do min iert e die hist orischpo lit ische Did akt ik bis in die siebziger Jahre d es let zt en Jahr hundert s. 8 Die Annahme vo m Fehlen eines pr imären po lit ischen Er fahrungsfeldes u nt erst r ich d ie Bedeut ung der Geschicht e für das hist o r isch-po lit ische Lernen. 9 Im Sekundär bereich d es Verg angenen konnt en an einer Vielzahl vo n Beisp ielen po lit ische Er fahru ngen gesammelt werden. Das po lit ische Ersat zhand eln an T hemen der Geschicht e hat t e so lang e eine enor me did akt ische Bedeut ung, wie die Schu le u nd das Jugendalt er als u npo lit ische Sp hären angesehen wurden. Erst als in der Po lit ikd idakt ik Ko nzept io nen ent wickelt wurden, d ie po lit isches Ler nen im Er fahrungsraum der Schü ler innen und Schüler er mö g licht en beziehu ngsweise po lit ische Fälle u nd Ko nflikt e simu liert en, 10 ver lo r das hist or ische Int egrat ionsmo dell an Bedeut ung. 11 Das politi sche I nt egrat io nsmodell st ellt gewisser maßen eine Umk ehru ng des hist o r ischen dar. Es geht davo n au s, dass hist o r isch-po lit isches Ler nen au sreichend an Beisp ielen der hist o r ischen Dimensio n des akt uell Po lit ischen er ler nt werden kann. Durch die Unt ersuchu ng der hist o r ischen Genese vo n u nd d ie Reflex io n hist o rischer Analo g ien zu g egenwärt igen po lit ischen Problemlagen, impliz iere der Polit iku nt err icht das

8

Vgl. Huhn 1975; Jeismann 1978, 25; Mütter 1985; Leidinger 1988; Bergmann/Schneider 1997, 255ff. Zur politischen Erziehung durch Geschichte im Nationalsozialismus vgl. in: Kuhn/Massing/Skuhr 1990, 93f. 9 Vgl. Weniger 1965; Zur politisch orientierten Geschichtsdidaktik Erich Wenigers vgl. Kuss 1988. 10 Vgl. Giesecke 1965; Fischer 1973; Schmiederer 1977. 11 Vgl. Sywottek 1974; Böhning 1997, 530; Rohlfes 1965. Zu einem ‘Entwurf einer historischen Gegenwartskunde’ vgl. Erdmann 1963; Rohlfes/Kröner 1970.

212

hist o r ische Denken, so dass ein eigenes Lernfach Geschicht e let zt lich unnö t ig sei. Das Mo dell der hist or isch-po lit ischen Zusammenar beit gewann im Lau fe der sechziger Jahre an Bedeut ung. 12 Es pro fit iert e vo n einem allgemeinen Au fschwung der So zialwissenschaft en, der sich in der Po lit ikdid akt ik als „didakt ische Wende“ 13 ausdrückt e. Die Mö glichkeit , „d en Geschicht su nt err icht in den So zialkundeu nt err icht zu int egr ieren“ 14 beziehung sweise d ie „Gemeinschaft skund e u nd den Gesch icht sunt err icht […] zusa mmenzu bind en“ 15 schien für die hist or isch-po lit ische Bildu ng vie lver sprechender zu sein. I n d iesem Zusammenhang wurde d ie Geschicht e au f eine Per spekt ive inner halb der allgemeinen So zialwissenschaft reduziert . 16 Inde m d ie po lit ische Bildung berück sicht igt e, dass „alles Po lit ische […] Gewo rdenes und Werdendes zug leich [ ist ]“ 17, int egr iert e sie hist o r ische Ler naspekt e. 18 Durch d ie Kat ego r ie der ‘Gewordenheit ’ wurden Gegenwart sp hänomene hist o r isiert , die nicht zwangsläu fig durch die Geschicht swissenschaft bear beit et wurden. Vo n hist o rischer Seit e schien ein e Neuko nzept ualis ieru ng des Hist o r isch-Po lit ischen zu nächst und enk bar, so dass dem E mpo rkommen der Po lit ikd id akt ik bis in d ie siebziger Jahre nur wenig im Wege st and. 19 Die Po lit ik didakt ik avanciert e zur Leit diszip lin hist o r isch-po lit ischen Ler nens. 20 Öffent liches Aufsehen erregt e diese E nt wick lung mit den „Hessischen Rahmenr icht linien für Gesellschaft slehre“ im

12

Vgl. Hartwich 1963. Gagel 1994, 132ff. 14 Mommsen 1973, 96. 15 Koselleck 1972, 25. 16 Vgl. Fischer 1970a, 39. 17 Fischer/Herrmann/Mahrenholz 1960, 19f. 18 Vgl. Bundeszentrale 1973. 19 Eine hieraus resultierende Arroganz gegenüber der Geschichte scheint sich in Teilen der Politikdidaktik erhalten zu haben (zur Kritik daran vgl. Steinbach 1998). Die Bezüge zwischen Geschichts- und Politikdidaktik werden heute maßgeblich von historischer Seite reflektiert (vgl. Bergmann 1996; ders. 1999; Rüsen 1989a; Pandel 1997), seltener aus der politischen Perspektive (vgl. Sutor 1997). 20 Vgl. Holtmann 1973; Thienel-Saage 1978. 13

213

Jahr 1972. 21 Geschicht e mu sst e sich nunmehr durch den „Nachweis ihr er Beziehung zu den jeweils relevant en po lit ischgese llschaft lichen Problemen“ 22 leg it imieren. 23 Hier bei kam der So zialgesch icht e eine besondere St ellung zu. 24 Das I nt egrat io nsmo dell basiert darauf, dass d ie Bedeut ung des jeweils ander en Faches au f die Ro lle eines Aspekt s der eigenen Diszip lin r eduziert wird. Das Hist o r isch-P olit ische unt er liegt dabei der Hegemo nie ent weder der Geschicht s- oder der Po lit ik didakt ik. b) Die ko o perat ive Zusammenar beit Das Modell der ko o perat iven Zusammenar beit vo n Geschicht sund Po lit ikd idakt ik versucht nicht mehr eine der beiden Perspekt iven dadurch aufzu heben, dass sie in die andere int egr iert wird. Es basiert auf der E igenst änd igkeit vo n zwei Frageweisen, die ihren je eigenen Be it rag zur Erkennt nis der so zialen Wirklichkeit le ist en kö nnen. 25 Der Ort hist o rischpo lit ischen Ler nens ist demnach ein Ko operat io nsbereich, in dem so wohl hist o r isches als auch po lit isches Denken st at t findet . Der Erkennt nisgewinn result iert aus der Add it io n d er hist o r ischen u nd po lit ischen Auseinand erset zu ng. Dieses Mo dell wird in Fällen genut zt , in d enen d ie hist o r ische und die po lit ische Didakt ik einem hö heren allg emeind idakt ischen Pr inzip unt ergeo rd net werden so ll. I n den siebziger Jahren gab es Best rebu ngen, die beiden Perspekt iven in einer curr iculu mt heoret ischen P erspekt ive au fzuheben. 26 Das kooperat ive Modell der hist o risch- po lit ischen Zu sammenar be it beeinflu sst e d ie nordrhein- west fälische Umst rukt ur ierung des

21

Vgl. Robinsohn 1971; Ackermann 1973; Schörken 1975; Kuhn 1978 u. 1997a; George 1985. 22 Jeismann/Kosthorst 1973. 23 Vgl. Fröhlich 1997, 518. Zur Rolle der Geschichte in der Gesellschaftslehre vgl. Maek-Gérard u.a. 1974. Zur Kontroverse um die Hessischen Rahmenrichtlinien vgl. a. Köhler/Reuter 1973; Minssen 1973; Bergmann/Kuhn 1982; Bergmann 1988.) 24 Conze 1973. 25 Vgl. Messerschmid 1963. 26 Vgl. Ackermann 1973; Fitterling 1973; Hug 1977a.

214

so zialwissenschaft lichen Unt err icht sbereiches. Die E inführung des Po lit ikunt err icht s im Jahr 1973 u nd d ie „Richt linien Po lit ik “ st ellt en nicht nur den po lit ischen Bildu ng sgehalt des t radit io nellen Geschicht su nt err icht s in Frage. Gleichzeit ig wurd e der Inha lt skano n der hist o r ischen und po lit ischen Persp ekt ive zu Gunst en einer „syst emat ischen Koo perat ion der Fächer u nt er einem fächerübergreifenden ‘Ler nzie lgefüge’“ 27 zurück gedrängt . 28 c) Die ko rrelat ive Zu sammenar beit Auch das Mo dell der ko rrelat iven Zusa mmenar beit vo n Po lit ikund Geschicht sd idakt ik bet ont die Bedeut ung der Unt erschiedlichk eit beider Erkennt nis fo r men. Jedo ch sind beide Perspekt iven aufe inander verwiesen. Das Hist orische wird als ein Best andt eil des Polit ischen u nd das Po lit ische als ein Aspekt des Hist o rischen bet racht et . 29 So wo hl „u nhist orische Polit ische Bildung “ als auch „u npo lit ische Hist or ische Bildu ng“ 30 sind d iesem Ansat z nach ein Widerspruch in sich. Zur Er fü llu ng ihrer Funkt io n sind beide Fächer darauf angewiesen, auch d ie S icht und Frag eweisen d es anderen zu gebrauchen und zu ver mit t eln. Für d ie hist or isch-po lit ische Zusammenar beit t rit t so mit d ie Korrelat io n u nd Ko o rdinat io n der beiden Ler nbereiche in den Vordergrund. I m Schn it t bereich kö nnen sich nicht nur d ie I nhalt e des po lit ischen u nd des hist o r ischen Ler nens ü ber schneiden, so nder n auch deren Erkennt nis int eressen. 31 Dabei kö nnen sich eine sozialw issenschaft lich or ient iert e Geschicht sd idakt ik u nd eine hist o r isch o r ient iert e Po lit ikd idakt ik gegenseit ig bereicher n. So wohl die Unt ero rdnu ng u nt er eine po lit olog ischso zialwissenschaft liche Perspekt ive als au ch die Au fhebung in ein fachü bergreifend es Curr icu lum hat t e die Geschicht sd id akt ik in d ie Defensive gebr acht . Die Funkt io nen, Begründu ngen, Ziele, 27

Fröhlich 1997, 518. Vgl. Behrmann 1974; Hug/Quandt 1975; Behrmann/Jeismann/Süssmuth 1978. 29 Vgl. Lucas 1972, 149; Rohlfes 1972, 5, Pandel 1978. 30 Fischer 1972, 4. 31 Vgl. Messerschmid 1972, 141; Lepsius 1972; Jeismann 1978, 29 ff.; ders. 1975; Sutor 1971, 99ff.; ders. 1997, 328.

28

215

Inha lt e, Met ho den, der St undenu mfang und schließ lich das Fach selbst st anden zu Beg inn der siebziger Jahre zur Dispo sit io n. Erst in den 70er Jahr en gelang es der Geschicht sdidakt ik sukzessive ihre Fachper spekt ive neu zu ko nt ur ieren. 32 Erheblichen Ant eil daran hat t e ein gru nd legender Diskuss io nspro zess um d ie Zusammenar beit vo n Po lit ik- und Geschicht sdidakt ik. 33 Inde m die Geschicht sd idakt ik d ie sozial- und allt ag sgeschicht lichen Erkennt nisst rat eg ien aufgr iff, g elang es ihr, die Ro lle der hist o rischen Perspekt ive für die hist orischpo lit ische Did akt ik neu zu for mulier en. Das sich dabei neu ent wick elnd e Selbst bewusst sein der Geschicht sdid akt ik bevorzugt e für d ie Zu sammenar beit mit der Polit ikdidakt ik das ko rrelat ive Modell.

Die Zu sammenar be it zwischen Po lit ik- u nd Geschicht sd id akt ik ist vorst ellbar ent weder als I nt egrat ion der einen Perspekt ive in die andere, als Ko operat io n zweier eigenst änd iger Zugangsweisen, d ie add iert werden o der als Ko rrelat io n, in der sich zwei Erkennt nisweisen aspekt haft ü ber schneiden. Welches Modell so llt e eine hist o risch- po lit ische Didakt ik begrü nden? Das gesch icht sd id akt ische I nt egrat io nsmo dell hat seit den sechziger Jahren k eine er nst haft en Vert reter mehr gefunden. I m Rahmen der po lit ischen Bildu ng sind vielfält ige Kat ego r ien ent wick elt wo rden, d ie deut lich machen, d ass Polit ik auch außerhalb der hist or ischen Bet racht ung geler nt werden kann. Das ‘sekund äre Er fahrungsfe ld ’ Geschicht e hat dadurch an Bedeut u ng ver loren. Inner halb des po lit ikdid akt ischen I nt egratio nsmo dells wird Geschicht e als e in Reser vo ir angesehen, aus dem sich d ie

32 33

Vgl. Süssmuth 1972. Vgl. ebd.; ders. 1973; Behrmann/Jeismann/Süssmuth 1978; Schörken 1978 Giesecke 1978. Aus heutiger Sicht ist beneidenswert, mit welcher Intensität ein wirklich interdisziplinärer Diskurs über das historisch-politische Lernen geführt wurde. Die gegenseitige Kenntnis- und Bezugnahme zwischen Geschichts- und Politikdidaktikern besitzt heute Seltenheitswert.

216

Po lit ik didakt ik bedienen kann. I n d ieser redu ndant en Var iant e kann d ie Gesch icht e aber nicht mehr ausreichend als Ko nt rast fo lie für akt uelle po lit ische Pro blemlagen genut zt werden. Denn hist o r isch-po lit ische Analo g iebildu ng en kö nnen nicht nur vo n der Geg enwart zur Vergangenheit vorgeno mmen werden, sonder n auch umg ekehrt . Erkennt nisse der Geschicht e kö nnen als ‘Anderes’ auf d ie Gegenwart ausst rahlen, u nd so mit pot enzie lle Handlu ngsmö glichkeit en aufzeig en, die allein aus po lit ischer Perspekt ive nicht zu finden gewesen wären. So mit vergibt das po lit ikdid akt ische I nt egrat io nsmo d ell hist orischpo lit ische Ler nimpu lse, d ie aus eine m Geschicht sver st änd n is resu lt ier en können, das Kar l-Er nst Jeis mann als „Ko nt inuu m des Het ero genen“ 34 beze ichnet hat . Das Koo perat io nsmo dell er hält zwar d ie E ig enst änd igk eit beid er Erkennt nisweisen, geht dabei jedoch vo n einer zu gerad linigen Trennung zwischen Hist o rischem u nd Po lit ischem aus. Es kann deshalb nicht er fassen, dass das Po lit ische immer schon hist o r ische und das Hist or ische immer scho n po lit ische Aspekt e in sich t rägt . Erst das Ko rrelat io nsmo dell erkennt diese grundlegende gegenseit ig e Ver schränkt heit der Per spekt iven an. Es ist t ragfähig, da es d ie E ig enst ändigkeit en und Abhängigk eit en zwischen d er hist o r ischen und der po lit ischen Erkennt nisweise bet ont . Das Ko rrelat ionsmo dell erkennt an, dass d ie beiden Fachper spekt iven nie mals in diesem h ist o risch-po lit ischem Überschneid u ng sfeld aufgehen können, so nder n einen Rest bereich behalt en. 35 Auch d ie Po lit ik lässt sich nicht hinreichend aus ihrer hist o r ischen Dimensio n erklär en. Hinzuko mmen mü ssen d ie Deut ungsweisen au s so eigenst änd igen Diszip linen wie d er Öko no mie, der Recht slehr e o der der So zio lo gie.

34 35

Jeismann 1978, 31. Vgl. ders. 1980, 203. Politik ist schließlich nicht der einzige Gesellschaftsbereich, der über historische Bezüge verfügt. Am Beispiel der Technik-, Philosophie-, Religions- oder der Musikgeschichte ließe sich zeigen, dass „es […] nicht schwer [ist], sich mit Geschichte zu befassen, ohne dabei mit der politischen Sphäre überhaupt in Berührung zu kommen“ (Schörken 1981, 231).

217

Für d ie we it ere Ko nzept ualis ieru ng der hist orisch-po lit ischen Did akt ik wird daher das ko rrelat ive Mo dell zu Gru nde gelegt . Der Gegenst and der h ist orisch-po lit ischen Did akt ik lässt sich so mit als ein Überschneid u ng sfeld char akt er isieren, in dem der hist o r ische und der po lit ische Bewusst seinsbere ich ko rrelier en. In der Schn it t menge der beiden fachdidakt ischen Perspekt iven ko nst it u iert sich mit dem h ist o risch-po lit ischen Bewusst sein das Reflexio nsfeld d er h ist o risch-po lit ischen Didakt ik. Diese int eressiert sich für d ie sub jekt iven Vo rstellu ngen vo n der hist o r isch-po lit ischen Wirklichkeit als Pr o dukt e und Ausg angspunkt e vo n Ler npro zessen. Aber welcher S inn wird durch das hist o r isch-po lit ische Bewu sst sein geb ildet ?

2.2.2.

Historisch-politische Sinnbildung

Geschicht e und Po lit ik lassen sich jewe ils als Prozesse der S innbildung begreifen. Hist o r ische S innb ildung ent wickelt Zeit ver lau fsvo rst ellung en, u m Fragen an d ie Gegenwart durch Vergangenheit ser in nerungen zukunft sfähig zu perspekt ivieren. Po lit ische S innbildung ent wickelt Herrschaft svorst ellungen, u m den Transfo r mat io nsprozess von ind iv iduellen I nt eressen in allg emeine Ver bind lichkeit zu erklär en. Das Geschicht sbeziehung sweise das Po lit ikbewusst sein bezeichnet ko gnit ive Teilst rukt uren, d ie sich durch diese Denkpro zesse au fbauen. Als Bereiche des allgeme inen Bewusst seins st rukt urieren d iese d ie su bjekt ive Konst rukt io n h ist o rischer und po lit ischer Wirk lichkeit . Geschicht sbewusst sein gibt ko nt ingent er Zeit er fahrung S inn. Das Po lit ik bewu sst sein macht Herrschaft sansp rüche leg it im. I m Fo lgenden wird erört ert , welche bewusst seinsst rukt urierenden Denkpro zesse das hist o r isch-po lit ische Bewusst sein prägen. Der Gebrauch d er Geschicht e zu po lit ischen Zwecken lässt sich als ‘Po lit ikg eschicht e’ begreifen. Po lit ikgeschicht e bezeichnet demnach d ie hist o rische Dimensio n des P olit ischen, welche d ie Reflexio n auf jedem Po lit ikfe ld (also d ie Geschicht e der Wirt schaft spo lit ik, die Geschicht e der Gesundheit spo lit ik, d ie

218

Geschicht e der Umwelt po lit ik u sw.) beg leit en kann. ‘Gesch icht spo lit ik ’ hingegen wir d als d ie jenige Po lit ik begr iffen, durch d ie ind iv id uelle int eressengebundene Geschicht sdeut ungen in ko llekt iv ver bind liche Geschicht sdeut ungen t ransfor miert werden. Geschicht spo lit isch relevant sind „d ie Auseinanderset zu ng en u m d ie I nt erpret at ion der Vergang enheit unt er dem Asp ekt vo n […] Auseinanderset zu ngen u m Geschicht sbilder u nd u m Versuche, ein g leichsam ‘ko llekt ives’ Geschicht sbewusst sein zu prägen“ 36. Während sich die Po lit ik geschicht e der gedeut et en Vergang enheit als eines Inst ru ment s in der po lit ischen Auseinanderset zung bed ient , ist im Rahmen vo n Geschicht spo lit ik d ie Deut ung von Vergangenheit selbst der Gegenst and der po lit ischen Au seinand erset zu ng. Po lit ik geschicht e legit imiert Po lit ik durch Geschicht e. I nso fer n int eressiert sich d ie po lit ikgeschicht liche Reflexio n für hist or isch leg it imiert e Polit ikvo rst ellu ngen. Geschicht spo lit ik narr iert Geschicht e durch Po lit ik. I nso fer n int eressiert sich die geschicht spo lit ische Reflex io n für po lit isch indu ziert e Geschicht sd eut ung en. Ausgehend vo m Geschicht s- u nd Po lit ik bewusst sein lässt sich das hist o r isch-po lit ische Bewusst sein dur ch zwei differ ent e Bezug nahmen ent wickeln. Aus der S icht des Geschicht sbewu sst sein ko nst it u iert sich hi storisch-po lit isches Bewusst sein als ein Über schneidu ngsfeld, in dem hist o r isches Denken au f e inen po lit ischen Gegenst and bezo gen wird. Als Teilst rukt ur des Geschicht sbewusst seins ent st eht ein politikgeschichtli ches Bewusst sein. I n der Perspekt ive des Po lit ik bewu sst seins bildet sich das hist orisch-politi sche Bewusst sein, indem po lit isches Denken au f einen hist o r ischen 36

Steinbach 2001, 6. Damit liegt den folgenden Überlegungen ein enger Begriff von Geschichtspolitik zu Grunde. In einem weitem Verständnis bezeichnet Geschichtspolitik auch diejenigen Prozesse, in denen sich „der Vergangenheit im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen bedient“ wird (ders. 1993, 7; vgl. a. ders. 1995a; Wolfrum 1998a, 383; ders. 1998b, 5). Diese weite Dimension soll im weiteren jedoch dem Begriff „Politikgeschichte“ zugeordnet werden. Für geschichtspolitische Forschungsergebnisse vgl. ders. 1999; Bock/Wolfrum 1999; Klundt 2000.

219

Gegenst and ger icht et wird. So ent st eht als Teilst rukt ur des Po lit ik bewu sst seins g eschichtspolitisches Bewusst sein. Das hist o r isch-po lit ische Bewusst sein set zt sich aus den po lit ikgeschicht lichen u nd den geschicht spo lit ischen Denk st rukt uren zusa mmen.

2.2.2.1.

Das polit ikge sch ichtliche Be wusstse in

I m Geschicht sbewu sst sein per spekt iv ieren sinnhaft e Zeit zusammenhänge die menschliche Lebenspraxis. Hist o risches Denken kann sich dabei au f unt erschied liche Gesellschaft sfeld er beziehen. 37 So ver fügt das mo ralische, öko no mische, po lit ische und soziale Bewu sst sein jeweils ü ber eine eig ene hist o r ische Dimens io n. 38 Als po lit ik geschicht liches Bewusst sein prägt das hist o r ische Bewusst sein jenen Teilbereich aus, in d em sich d as hist o r ische Denken mit Fragen der Herrschaft slegit imat io n befasst . Das Wesen der po lit ikgeschicht lichen S innbild u ng ist d ie Leg it imat io n vo n Herrschaft svo rst ellu ngen durch die Deut u ng eines S innzu sammenhangs zwischen Vergangenheit , Gegenwart und Zukunft . 39 Das po lit ikg eschicht liche Bewusst sein verzeit licht d ie Vo rst ellungen vo n der Transfo r mat io n ind iv id uellen Int eresses in ko llekt ive Ver bind lichkeit . Der Rekur s au f d ie Geschicht e st ellt eine grund legende For m der Recht fert igung vo n Herrschaft dar. Jede Form vo n Herr schaft nut zt d ie Mö g lichk eit , sich auch durch his torische Bezüge zu leg it imieren. 40 Denn die Geschicht e st ellt ein u nerschöp fliches Reser vo ir an Vergangenheit ser inner u ngen bereit , d ie genut zt werden kö nnen, u m dur ch zyklisches, lineares oder punkt uelles 37

Vgl. Luhmann 1972, 97ff. Er benennt bspw. die moralische Geschichte, die Geschichte der Knappheit, die Geschichte der Wissenschaft und die Geschichte der Liebe. 38 Vgl. Pandel 1991, 58 u. 1991a, 13ff. Vgl. auch Bergmann (1996, 329), der Pandels Kategorien der Gesellschaftlichkeit um das Geschlechtsbewusstsein ergänzt. 39 Vgl. Borries 1984, 44-58; Schönemann 1984, 9-20. 40 Vgl. Rüsen 1989, 114f.; ders. 1989a, 124; ders. 1997b, 39f.

220

S innbilden, Vo rst ellungen ü ber Po lit ik an erkennu ng swürd ig zu machen. Die Geschicht e kann Po lit ik leg it imier en, indem sie als Argument 41, als Waffe 42, als Arsenal 43 o der als Inst rument 44 eingeset zt wird. 45 „Das po lit ische Bewuß t sein [ ist ] ent scheid end vo m hist o r ischen Bewuß t sein gepr ägt “, da „d ie po lit ischen Grundeinst ellu ngen u nd das Kat egoriensyst em […], das für d ie Beurt eilu ng des Po lit ischen zur Ver fügu ng st eht “ 46, durch Geschicht e sinn haft gemacht werden kö nnen. Polit isches Geschicht sbewusst sein or ient iert polit isches Handeln an der Vorst ellu ng eines sinnhaft en Zeit ver laufs. Po lit ische Herrschaft muss den Nachweis erbr ing en, dass sie in der Lage ist , für eine u ngew isse Zuku nft k ollekt ive Ver bind lichkeit her zust ellen. Die Argu ment at io n mit Geschicht e verschafft der Polit ik eine scheinbare S icherheit . Der Verwe is auf d ie hist or ische Wirk lichkeit so ll po lit ische Herrschaft auch für d ie Gest alt u ng zukü nft iger Wirk lichkeit legit imieren. Po lit ik geschicht liche S innb ildung leg it imiert Herrschaft , ind em sie diese als ein Ko nt inuu m vo rst ellt . Dur ch Trad it io ns-, Analog ie- oder Geneseb ildu ng wird d ie polit ische Herrschaft in einen Ko nt inuit ät szu sammenhang gest ellt . Die Er inneru ng an die Vergangenheit wird so verzeit licht , dass sie als Gar ant für d ie sinnhaft e Erwart ung der Zuku nft d ient . Die lebenswelt liche Fu nkt ion des Gesch icht sbewusst seins kann dar in gesehen werden, dass durch Vergangenheit sdeut ungen Or ient ieru ng en produziert werden. Das po lit ikgeschicht liche Bewusst sein lässt sich dann als der Teilbe reich des Geschicht sbewusst seins spezifiz ieren, dessen Or ient ieru ng sfu nkt io n in der Leg it imat io n vo n Po lit ik vo rst ellung en best eht . Po lit ikg eschicht liches S innb ild en bezeichnet „die Akt ivieru ng der Or ient ier ungsfu nkt io n der

41

Vgl. Faber 1973; Bach 1977; Jeismann 1981, 10. Vgl. Wolfrum 2001. 43 Vgl. Sutor 1997, 330. 44 Vgl. Faber 1977. 45 Vgl. Lübbe 1985 46 Schörken 1972, 99. 42

221

Geschicht e für das po lit ische Denken“ 47. Die Log ik des po lit ikgeschicht lichen Denkens ist das Narr ieren. Das Pro dukt d ieser S innb ildung ist d ie Leg it imat io n vo n Herr schaft .

2.2.2.2.

Das gesch ichtspo lit ische Bewuss tse in

Das Po lit ikbewu sst sein baut Vo rst ellungen ü ber die Genese vo n ko llekt iver Ver bindlichkeit auf. I nhalt lich lässt es sich nach Feld er n u nt ert eilen, in denen jeweils ko llekt ive Ver bindlichkeit en hergest ellt werden müssen. Neben Bereichen wie der Wirt schaft spo lit ik, Gesu nd heit spo lit ik, Umwelt po lit ik ist auch d ie Geschicht spo lit ik ein Po lit ikfe ld 48, in dem Individualint eressen in ver bindliche Regelungen t ransfor miert werden. Als geschicht spo lit isches Bewusst sein kann damit der Teilber eich des Po lit ikbewusst seins begr iffen werden, der Vorst ellu ngen d arü ber aufbaut , wie inner halb einer sozialen Gruppe ko llekt iv ver bindliche Geschicht sdeut ung en hergest ellt werden. I m geschicht spo lit ischen Bewusst sein wir d d ie Leg it imat io nsfunkt io n der po lit ischen S in nbildu ng auf das hist o r ische Denken bezogen. Die geschich t spolit ische Leg it imat io n macht Vorst ellungen davo n anerkennu ng swürd ig, wie part ielle Geschicht sint erpret at io nen in allgemein verbindliche Geschicht sdeut u ngen t ransfo r miert werden. 49 Dieser geschicht spo lit ische Pro zess kann sowo hl als aut orit äre Durchset zung eines Geschicht sbildes als auch als d emokrat isches Produkt pluraler Geschicht sdeut u ngen vorgest ellt werden.

47

Jeismann 1981, 12; vgl. a. Rüsen 1989a, 121; Oehler 1997, 770. Zum Politikfeld Geschichtspolitik vgl. Steinbach 1998, 124; ders. 1994; Wolfrum 1999; Reichel 1995, Sandner 2001; zur Policy-Analyse vgl. Héretier 1993. 49 Die Formen der Auseinandersetzung mit und der politischen Deutung von Geschichte unterliegen einem Wandlungsprozess, der Geschichte als Gegenstand politischer Kontroversität erkennbar macht (vgl. Steinbach 2001a). Zur ‘Politik der historischen Interpretation’ vgl. White 1990b.

48

222

In einer differenziert en u nd p luralen Gesellschaft lässt sich auch aus der Gesch icht e keine ho mogene Ident it ät mehr gewinnen. 50 Versch ied ene int eressengeleit et e Frakt ionen ko nkurr ieren daru m, ihre Geschicht sdeut ung allg emein ver bind lich durchzuset zen. 51 Es find et eine „Po lit ik der Er inneru ng “ 52 st att . In ihr beschäft igt sich das geschicht spo lit ische Bewusst sein mit der Frag e, wie inner halb einer so zialen Gruppe ko llekt ive hist o r ische Ident it ät en hergest ellt werden. 53 E in ko llekt ives Geschicht sbewusst sein 54 ent wickelt sich au s der Auseinanderset zu ng u m po lit ische I nt eressens- und hist orische Deut ungsd iver genzen. Die Frage, wie Vergangenheit in der Gegenwart ‘bewält igt ’ werden so ll, ist Gegenst and po lit ischer Auseinanderset zu ng en. 55 Die geschicht spo lit ische S innb ildung baut Vo rst ellu ngen ü ber d ie po lit isch indu ziert e Deut ung vo n Zeit zusammenhängen au f. So mit ent wickelt das geschicht spo lit ische Denken sinnhaft e Vo rst ellu ng en darü ber, wie Geschicht svorst ellu ngen inner halb einer sozialen Gruppe allg emeine Ver bind lichkeit er langen. Die Lo g ik des geschicht spo lit ischen Denkens ist das Leg it imier en. Das Pro dukt d ieser S innb ildung ist d ie Narrat io n vo n Zeit zu sammenhängen.

2.2.3.

Das historisch-politische Unterbewusst sein

Das hist or isch-po lit ische Bewusst sein be inhalt et d ie subjekt iven Vorst ellu ngen, die der Mensch ü ber die Beziehungen zwischen dem Hist o rischen und dem Po lit ischen au fbaut . Die Bewusst seinskat ego r ie kö nnt e dazu ver le it en, d ie hist o r ischpo lit ische S innb ildu ng als einen ausschlie ßlich ko gnit iven 50

Vgl. Steinbach 1999a, 42 Jeismann 1981, 6 52 Reichel 1995. 53 Im „Wissen um eine gemeinsame Geschichte“ (Hättich 1986, 30) sieht Hättich die Vorraussetzung für die „demokratische Legitimierung von politischer Herrschaft“ (ebd., 34). 54 Vgl. Assmann, J. 1992; Burke 1993; Assmann, A./Harth 1993; Halbwachs 1985b. 55 Vgl. Steinbach 2000; ders. 1999b. 51

223

Vorgang zu begreifen. Um einer so lchen Engführung vorzu beug en, so ll im Fo lgenden d ie enge Relat io n zwischen hist o r isch-po lit ischem Bewu sst sein u nd Unt er bewu sst sein erört ert werden. I m eng eren kognit iven S inn bezeichnet das h ist o risch-po lit ische Bewusst sein nur die t at säch lich abrufbar en Vo rst ellu ngen u nd Wissensbest ände, d ie der Mensch ü ber das Hist o risch-Po lit ische hat . Die Vo rst ellung des Menschen kann jedoch nicht als ein st abiles Per sönlichkeit smo ment verst anden werd en. Die psychische St rukt ur des hist o risch-po lit ischen Unt er bewusst seins beeinflu sst d ie manifest en Bewusst seinst rukt uren. Das hist o r ischpo lit ische Unt er bewusst sein lässt sich in d ie Bereiche des Vorbewu sst en und des Unbewu sst en d iffer enzieren. 56 I m menschlichen Vo rbewusst sein ist hist o r isch-po lit isch Er ler nt es lat ent vo rhanden. Es kann jedo ch nicht rat io nal ko nt ro lliert werden. Psychische Fakt o ren bee in flussen den Bewu sst seinsgrad, den eine Vo rst ellung er langt . Unt er best immt en Bedingu ngen wird das Vo rbewusst e akt iviert und in manifest es Bewusst sein u mgefo r mt . Das hist or isch-po lit ische Unbewusst sein hing egen ist ein Pro dukt vo n Verdrängu ngen. Hist o r isch-po lit ische Vorst ellu ngen, welche die psych ische St abilit ät eines Menschen bedrohen u nd nicht anders verar beit et werden kö nnen, werd en im Unbewusst sein abg elagert . Dadurch sind sie aber nur o ber flächlich beseit igt . S ie äußer n sich zu m Beisp ie l in Äng st en, Hoffnungen, Fehlle ist ungen, Träu men u nd beein flussen als hist o r isch-po lit ische E mot io nen die affekt ive S eit e des hist o r isch-po lit ischen Ler nens. Die vor- und unbewusst en Mo ment e des hist orisch-po lit ischen Unt er bewusst sein sind an der S innb ildu ng bet eiligt . Sie regu lieren d ie emo t ionale I nbesit znahme des hist o r ischpo lit ischen Gegenst andes und sind dadurch eng mit d er ko gnit iven Se it e des hist o risch-po lit ischen Bewusst seins

56

Vgl. Freud 1940; Pöppel 1985, 163f.

224

verbunden. 57 Neben diesen p sychischen Asp ekt en muss bei d er Reflexio n h ist orisch-po lit ischer S innb ildu ng auch berü cksicht igt werden, dass zw ischen hist o r isch-po lit ischem Denken u nd Handeln eine ho he Ko härenz best eht . 58 Auch das hist o r ischpo lit ische „Handeln als reakt ives u nd akt ives Ver halt en hat ein Bewuß t sein zur Vorausset zung, das sich in Ler npro zessen ko nst it u iert .“ 59 In der hist o r isch-po lit ischen S innbild u ngst ät igk eit verbinden sich so mit Aspekt e des kog nit iv en hist o r ischpo lit ischen Bewu sst seins, affekt iven hist o r isch-po lit ischen Unt er bewusst seins u nd der prag mat ischen hist o r isch-po lit ischen Hand lu ng sko mpet enz. 60

2.2.4.

Zusa mmenfa ssung

Das hist o r isch-po lit ische Bewusst sein bezeichnet eine ment ale Teilst rukt ur, zu der sich St rukt urelement e des Geschicht s- und des Po lit ik bewu sst seins verk nüp fen. I n der hist orisch- po lit ischen S innbildung ko rrelieren d ie Denko perat io nen des hist o r ischen Leg it imierens vo n Po lit ik u nd des po lit ischen Narr ierens vo n Geschicht e. I m hist o r isch-po lit ischen Bewusst sein wir ken d ie beiden ment alen Operat io nen zusammen. Hist orisch-po lit ische Bezüge liefer n nicht nur Po lit ik element e für den Au fbau vo n Geschicht svorst ellu ngen oder Geschicht selement e für den Aufbau von Po lit ikvorst ellu ngen, so nder n narr ieren Zeit vorst ellungen u nd leg it imieren g le ichzeit ig Herrschaft svo rst ellu ngen.

57

Vgl. Ackermann 1998, 13f. Das historisch-politische Unterbewusstsein ist didaktisch nur unzureichend reflektiert. Für wichtige Impulse vgl. Schulz-Hageleit 1993; ders. 1994, 19; Klose/Uffelmann 1993; Uffelmann 1999b. 58 Vgl. Gagel 1998; s. a. Kap. 3.2.1. 59 Claußen 1981, 25. 60 Vgl. zum Kompetenzbegriff Lange/Adloff 2001. Zu seinem Nutzen für die curriculumstheoretische Geschichtsdidaktik vgl. Hug 1978. Für seine Reflexion in der Politikdidaktik vgl. Massing 2002, 134ff.

225

Hist o risch-po lit ischer S inn wird dabei au f zwei Weg en gebild et : • Durch po lit ikgeschicht liches Denken werden Zeit zusammenhäng e narr iert , um Herr schaft zu leg it imieren. Vo rst ellungen von der Geschicht e werden g enut zt , um Po lit ikvorst ellungen anerkennung swürd ig zu machen. • Durch geschicht spo lit isches Denken wird Herrschaft leg it imiert , u m Zeit zusammenhänge zu narr ieren. Po lit ik vorst ellungen werden eingeset zt , um d ie Vergangenheit in S innz usammenhänge zu st ellen. Die Log iken des po lit ikgeschicht lichen u nd geschicht spo lit ischen Denkens ver schränken sich dabei zur legit imier enden Narrat ion und zur narrat iven Legit imat io n. So wird po lit isches Bewusst seins als hist o r isches Bewusst sein und „hist o r isches Bewuß t sein als po lit isches Bewuß t sein manifest iert “ 61. Po lit ik bewu sst sein wird verzeit licht und Geschicht sbewu sst sein wird allgemein ver bindlich. Durch die Zeit t ypo lo g ie hist o r ischer S inn bildu ng u nd d ie Herrschaft st ypo lo g ie der po lit ischen S innbild u ng ist es mö g lich, das hist or isch-po lit ische Bewusst sein kat egorial zu ent falt en. Jeder po lit ische S innb ildu ng st ypu s lässt sich nu n durch jeden hist o r ischen S innb ildungst ypus leg it imier en. So wohl demo krat ische als auch aut o krat ische Herrschaft sfo r men können durch t rad it io nale, genet ische u nd analo ge S innbezüge leg it imiert werden. In geschicht spo lit ischer Perspekt ive kö nnen d ie For men hist o r ischer S innbild u ng sowo hl durch demo kr at ische als auch durch aut okrat ische Denko perat io nen ver bind lich gemacht werden.

61

Schörken 1972, 98.

2.3.

Historisch-politisches Lernen

I m let zt en Kapit el wurden Kat ego rien des hist or isch-po lit ischen Bewusst seins ent wickelt . Um diese als I nst rument ar ien zur Analyse der hist or isch-po lit ischen Didakt ik der Allt agsgeschicht e nut zen zu kö nnen, muss jedoch ü ber legt werden, wie sie sich ler nt heoret isch einordnen lassen. Es st ellt sich d ie Frage, o b au s dem Bewusst seinskonzept hinreichende Kr it er ien zur Analyse u nd Bewert ung hist o risch- po lit ischer Ler npro zesse abgeleit et werden kö nnen. Der Pro zess der hist or isch-po lit ischen Bewusst seinsb ildu ng ist für die hist o r isch-po lit ische Didakt ik relevant , da er als ein Ler nvo rgang bet racht werden kann. Um d iese T hese zu begründen, wird zu nächst das Au fgabenfeld einer ku lt urwissenschaft lich or ient iert en hist or isch-po lit ischen Did akt ik u mr issen. Danach wird d ie Kat eg orie d es hist o r ischpo lit ischen Ler nens diskut iert . Mit Hilfe des Er fahrungsbegr iffs so ll ein hist or isch-po lit isches Ler nverst ändnis ent wickelt werden, das su bjekt - und fachbezo gene Aspekt e zu int egr ieren ver mag. Au f d ieser Gru nd lage werden schließ lich vier Dimens io nen ent falt et , aus denen sich e in Kat ego r iensyst em zur Analyse der hist o r isch-po lit ischen Didakt ik der Allt ag sgeschicht e able it en lässt .

2.3.1.

Lernen als Kulturtätigkeit

I m Anschlu ss an Max Weber wird ‘Ku lt ur ’ als „ein vo m St andpu nkt des Menschen aus mit S inn u nd Bedeut u ng bed acht er endlicher Ausschn it t aus der sinn lo sen Un endlichk eit des Welt geschehens“ 1 begr iffen. Die Ku lt urt ät igkeit des Menschen drückt sich demnach in seiner Fähigkeit aus, „bewußt zur Welt

1

Weber 1985, 180.

227

St ellung zu neh men und ihr einen S inn zu ver leihen“ 2. Von d iesem Verst änd nis ausgehend kann das hist orisch-po lit ische Bewusst sein als ein element arer kult ur eller Fakt or begr iffen werden. In der menschlichen Er fahrung vo n zeit licher Ko nt ingenz und po lit ischer Depr ivat io n drückt sich die ‘s inn lo se Unend lichkeit d es Welt geschehens’ au s, die das hist o r ischpo lit ische Denken akt iv iert . Durch hist o r isch-po lit ische Leg it imat io n u nd Narrat io n wird das Welt geschehen ‘mit S inn und Bed eut ung bedacht ’, so dass der Mensch fäh ig wird, hist o r isch-po lit isch ‘bewußt zur Welt St ellu ng zu nehmen’. Das hist o r isch-po lit ische Bewusst sein pro duziert den S inn, der es er mög licht , „daß wir im Leben best immt e Erscheinu ngen des menschlichen Zu sammenseins au s ih m her aus beurt eilen, zu ihnen als bedeut sam (posit iv oder negat iv) St ellung nehmen“ 3 kö nnen. E ine „Didakt ik der Geschicht e o der der Polit ik“, die den Au f- und Umbau des hist o risch- po lit ischen Bewusst seins unt ersucht , „hat es […] mit ele ment aren Pro zessen der Lebenswelt zu t un“ 4. Vo n Int eresse ist d ie lebensprakt ische Fu nkt io n der hist o r ischpo lit ischen Bewu sst seinsbild u ng. Als su bjekt ives S inn- und Deut ungssyst em ist Kult ur „geradezu iden t isch mit eine m ment alen S inngebungs- o der S innb ildu ng sprozeß “ 5, der den Menschen Or ient ieru ng u nd Hand lu ngsmö glichkeit en erö ffnet . Als histori sch-politische Kult urt ät igkeit k ö nnen diejenigen S innbildung svo rgänge begr iffen werden, d ie Herrschaft szusammenhänge durch Geschic ht svo rst ellu ngen leg it imieren beziehungsweise die Zeit zu sammenhänge durch Po lit ik vo rst ellung en narr ieren. Diese ku lt urelle S in nb ildungst ät igkeit ist ler nt heoret isch relevant , inso fer n sie als ein E nt wick lu ngspro zess begr iffen wird. Zwar ist nicht jed e hist or isch-po lit ische Bewusst seinst ät igkeit ein Ler npro zess, aber jed er hist or isch-po lit ische Ler npro zess bewirkt 2

Ebd. Ebd., 180f. 4 Jeismann 1978, 22. 5 Rüsen 1997d, 25; zum Verständnis von ‘Kultur’ bzw. ‘Geschichtskultur’ vgl. ders. 1993c, 159; ders. 1992; ders. 1997b, 38. 3

228

eine Ent wicklu ng der Bewusst seinsko mpet enz. Hist orischpo lit isches Ler nen lässt sich demnach als „eine ele ment are Lebensfo r m, einen fundament alen Mo dus vo n Kult ur “ 6 au ffassen, durch den die Ko mpet enzen zur hist o r isch-polit ischen S innbildung ent wick elt u nd erweit ert werden. Das hist o r ischpo lit ische Bewusst sein ist End- und Ausgangspu nkt vo n Ler npro zessen. Davo n ausgehend, dass das hist o r isch-po lit ische Ler nen eine Kult urt ät igkeit ist , dar f d ie Wissenschaft vo m hist o r ischpo lit ischen Ler nen nicht auf d ie Reflexio n von int end iert en LehrLer npro zessen reduziert werden. Didakt isch relevant sind dann nämlich nicht nur Fragen des Transfer s vo n wissenschaft licher in lebenswelt liche Erkennt nis. Die hist o r isch-polit ische Didakt ik int eressiert sich ganz allgemein für das hist orisch-po lit ische Bewusst sein als Ler nprozess. Das hist o risch-po lit ische Denken selbst kann u nd muss didakt isch reflekt ier t werden. 7 Die Kult urt ät igkeit des h ist o risch-po lit ischen S innb ildens in der Öffent lichkeit wird so zu einem zent ralen Gegenst and der d idakt ischen Reflexio n. Das Result at ö ffent licher Beschäft igu ng mit Verg angenheit , die hist o r isch-po lit ische Ku lt ur, lässt sich d idakt isch als Fu nkt io n und Wir ku ng vo n Ler npro zessen int erpret ieren. Mit der Ausdehnu ng ihr es I nt eressensbereiches au f d ie Tät igk eit en d es hist o r isch-po lit ischen Bewusst seins ( in der Öffent lichkeit ) ist d ie hist o r isch-po lit ische Didakt ik nicht mehr au f den Po lit ik- beziehu ngsweise Geschicht sunt err icht zent r iert . Als „ö ffent liches P häno men“ 8 sind hist or isch-po lit ische Vorst ellu ngen auch o hne beabsicht igt e E influ ssnahme immer schon vo rhanden. Die Analyse der Fu nkt io n des hist o r ischpo lit ischen Ler nens „in spezifischen Verwendungssit uat ionen des pr ivat en u nd ö ffent lichen Lebens“ 9 st ellt desha lb eine did akt ische

6

Ders. 1989, 78. Vgl. ders. 1977, 51. 8 Schörken 1972, 99. 9 Robinsohn 1991, 47. 7

229

Aufgabe dar. 10 Inner halb d er hist orisch-po lit ischen Ku lt ur ist die schulische Organisat io n vo n hist o r isch-po lit ischen Ler nprozessen nur no ch eine vo n mehr eren mö glichen Fo r men ö ffent licher Po lit ik geschicht e beziehungsweise Gesch icht spo lit ik. Hist o rischpo lit isches Bewusst sein bildet und ent wickelt sich scho n „im allt äg lichen Umgang mit verschiedenst en Zeugn issen u nd Relikt en der Vergangenheit sowie mit S icht weisen u nd Int erpret at ionen vergangener Wirk lichkeit , wie sie in Allt agsgesprächen, ö ffent lich art iku liert en Denk figuren oder in den Pro dukt io nen der Massenmed ien zut age t ret en“ 11. Das hist or isch-po lit ische Bewusst sein manifest iert sich in allen For men gesellschaft lichen Er inner ns, durch we lche po lit isches Handeln angele it et werden so ll. Zu den ku lt urellen S innb ildner n des hist or isch-po lit ischen Ler nens zählen neben der Schu le auch Er innerungsort e 12, Museen, Archive, Denkmäler, Gedenk st ät t en 13, Ausst ellungen, Ged enk- 14 und Feiert age 15 so wie Fest e 16. In Debat t en von Hist or iker n 17 und Po lit ik er n 18, in kü nst ler ischer Verar beit u ng 19, in symbo lischer Ver mit t lu ng 20 oder in media ler Aufbereit ung 21 (Lit erat ur, Film, Fer nsehen, Wer bu ng u sw.) wird hist o r isch-po lit ischer S inn gebildet , der über Ler nwirkungen u nd Ler nfu nkt io nen ver fügt . 22 Es ist also keineswegs so , dass „Ler nen aus der Gesch icht e [vo rausset zt ], dass Geschicht e gelehrt wird “ 23.

10

Vgl. a. Steinbach (1998, 117), der in der Öffnung für „die öffentliche Funktion der Beschäftigung mit der Vergangenheit“ die Stärke der neueren Geschichtsdidaktik sieht. 11 Bergmann/Thurn 1985, 318. 12 Francois/Schulze 2001. 13 Reichel 1995. 14 Pellens 1992; ders. 1989; Lehnert/Megerle 1989. 15 Häberle 1987. 16 Düding/Friedmann/Münch 1988; Haug/Warning 1989. 17 Oesterle/Schiele 1989. 18 Vgl. Oehler 1989 u. 1992; Huhn 1990. 19 Hug 1990. 20 Hattenlauer 1989. 21 Vgl. Becker/Quandt 1991; Bösch 1999. 22 Vgl. Sattler 1959; Jeismann 1980, 1983ff.; Schneider 1997, 507. 23 Möller 2001, 8.

230

Die St ärke des Kult ur begr iffs liegt hier in der Fähigkeit , dass er d ie u nt erschied lichen Agent uren u nd Praxisfe lder der hist o r ischen Er innerung auf d ie den ver schiedenen Ber eichen gemeinsame St rat eg ie des hist o r isch-po lit ischen S innb ild ens zurück fü hren kann. 24 So wird die Kult urt ät ig keit des hist o risch-po lit ischen Ler nens in den Au se inanderset zungsprozessen vo n Ler nend en mit einer Umwelt sicht bar, d ie „randvo ll mit Geschicht e [u nd mit Po lit ik ; D.L.] angefü llt “ 25 ist . Die Kat egor ie des hist o risch-po lit ischen Bewusst seins k ann inner halb der hist o r isch-po lit ischen Did ak t ik ger ade desha lb eine zent rale Po sit ion einnehmen, weil sie h ist orisch-po lit isches Ler nen in den allgeme inen Zusammenhang der ku lt urellen Erzeugung hist or isch-po lit ischer Vo rst ellung en rückt . 26 Ein u nd derselbe Modus st rukt uriert so wohl das beabsicht igt e als au ch das unbeabsicht igt e hist or isch-po lit ische Ler nen. Damit bleibt die schulisch organis iert e Bewusst seinsbildu ng ein wicht ig es d idakt isches Reflexio nsfeld, ist aber nicht mehr das einzig e.

2.3.2.

Didaktische Aufgabenfelder

Die hist o risch-po lit ische Didakt ik fr agt in wissenschaft licher Weise nach Genese, Zu st and, Funkt io n u nd Beein flu ssbarkeit vo n hist o r isch-po lit ischem Bewu sst sein in der Gesellschaft . Hist o risch-po lit isches Ler nen ent wickelt und wandelt die denkund hand lungsle it end en Vo rst ellu ngen ü ber die Po lit ikgeschicht e und Geschicht spo lit ik.

24

Vgl. Grütter 1997, 601ff.; Fröhlich/Grütter/Rüsen 1992. Bergmann 1976, 10. 26 Vgl. Jeismann 1997, 42. 25

231

Die Wissenschaft vo m hist o r isch- po lit ischen Ler nen besit zt vier zent rale Au fgaben 27, die jeweils die „Klärung d es gesch icht lichpo lit ischen Bewußt seins“ 28 zu m Geg enst and haben. a) Die emp ir ische Au fg abe liegt in der Analyse von t at sächlichem hist o r isch-po lit ischen Bewu sst sein. b) Die reflex ive Au fgabe liegt in d er Explo rat ion vo n mög lichem hist o r isch-po lit ischen Bewusst sein. c) Die nor mat ive Aufgabe liegt in der Leg it imat io n vo n erwünscht em hist o r isch-po lit ischen Bewu sst sein. d) Die prakt ische Aufgabe liegt in d er St ruktur ieru ng der int end iert en hist orisch-po lit ischen Bewusst seinsb ildu ng. I m Fo lgenden so llen d iese Aufgabenfe lder genauer erö rt ert werden. a) Die empir ische Aufgabe Die emp ir ische Aufgabe der hist o r isch-po lit ischen Didakt ik liegt in der Analyse von hist o r isch-po lit ischem Bewusst sein, das als Fo lge von Ler npro zessen begr iffen w ird. An d er t at sächlich vorhandenen Bewu sst seins fo r mat io n vo n Menschen, Gruppen und Gesellschaft en int eressiert einer seit s, welche er ler nt en hist orischpo lit ischen S innbild u ngsfo r men in das Bewusst sein eingehen u nd anderer seit s, welche hist or isch-po lit ischen Ler nfo r men das Bewusst sein weit erent wickeln. So wird er forscht , was u nd wie aus der Po lit ikgeschicht e u nd der Gesch icht spo lit ik g eler nt wird. Das schließt d ie Frage danach ein, was nicht geler nt beziehung sweise verg essen wird. Inso fer n sich die Did akt ik empir isch mit d en t at sächlich er ler nt en hist o r isch-po lit ischen Vorst ellungen auseinander set zt , ver fügt sie über ein weit es Überschneidungsfe ld mit dem so zialwissenschaft lichen I nt eresse an den su bjekt iven

27

Vgl. ders. (1978a, 73), der für die Geschichtsdidaktik eine empirische, theoretische und pragmatische Aufgabe unterscheidet, und Bergmann (1997a, 245f.; 1998, 132f.) der eine empirische, reflexive und normative Aufgabe erkennt. 28 Sutor 1997, 328.

232

Vorst ellu ngen, die sich St aat sbürger vo n Geschicht e und Po lit ik machen. 29 Die e mp ir ische hist or isch-po lit is che Didakt ik int eressiert sich für d ie sub jekt ive Dimensio n d er hist o r ischpo lit ischen Wirklichkeit , die sich im Bewusst sein als Ler nresu lt at niedergesch lagen hat . Der emp ir ische Zweig der Didakt ik ist bei seiner Ar beit au f d ie Fo rschu ngskonzept e und - inst ru ment ar ien der hist o r isch-po lit ischen So zialisat io nsfo rschu ng angewiesen. 30 Mit den empir ischen Met ho den der So zialwissenschaft en unt ersucht d ie hist or isch-po lit ische Didakt ik das Vorhandensein und das E nt st ehen vo n Vo rst ellu ngen ü ber das Hist o rischPo lit ische in der Gesellschaft . 31 Bio graphie -orient iert e Forschu ngsko nzept ionen kö nnen Per spekt iven auf die ler nt heo ret ischen Aspekt e einer Lebensgeschicht e erö ffnen. Trot z aller Bemü hu ngen sind d ie Koo peratio nsmö glichk eit en vo n hist o r isch-po lit ischer Ku lt ur- u nd Ler nforschung no ch nicht ausgeschöp ft . Mit der Ausprägung einer empir ischen Unt err icht sforschu ng 32 hat sich d ie Po lit ik didakt ik im let zt en Jahrzehnt für so zialwissenschaft liche Konzept ionen geö ffnet . Inde m sie sich aber nach wie vor als Unterri chtsf achd id akt ik begreift , ble iben ihr d ie po lit ischen Ler nvorgänge außer halb o rganisiert er Bildu ngsprozesse verschlo ssen. 33 Die Ko nzent rat io n au f die I nhalt e, Zie le, Met ho den und Legit imat io nen des Po lit ik unt err icht s ü ber sieht jedo ch, dass auch nicht - int endiert es po lit isches Ler nen an konkr et en T hemen er fo lgt , spezifische For men annimmt und best immt e Po lit ik vo rst ellu ngen au sbild et .

29

Vgl. Berg-Schlosser/Stammen 1992, 301f. Grammes 1986; Claußen/Wasmund 1982; Claußen/Geißler 1996; Süssmuth 1973a; für den sozialisationstheoretischen Ansatz im Kontext der Kritischen Theorie vgl. Claussen 1987 u. 1992. 31 Vgl. Jeismann 1978a, 73; vgl. a. Grammes, der die Notwendigkeit beschreibt, „eine politische Soziologie des Alltagsbewußtseins als Wirklichkeitswissenschaft und Didaktik als Handlungswissenschaft“ (1998, 278) zu verknüpfen. 32 Vgl. Henkenborg/Kuhn 1998, Weißeno 1989; ders. 1993. 33 Ansätze zur politischen Sozialisationsforschung (vgl. bspw. Claußen 1996) wurden innerhalb der Disziplin eher marginalisiert.

30

233

Po lit ik ler nen find et nicht nur im Po lit iku nt erricht st att , so ndern auch und insbeso nd ere in ander en sozialen Zusammenhängen. 34 Die Geschicht sd idakt ik hingegen hat sich gerade au ch dadur ch pro filiert , dass sie sowo hl d ie beabsicht ig t e Erzeugung als auch d ie beiläu fig e Ent wicklung vo n Geschicht sbewusst sein au f d ie g leichen For men hist o rischen Ler nens zur ück fü hrt . In ihrer emp ir ischen Ausr icht u ng 35 hat sie dabei weit in die so zialwissenschaft liche Jugend- u nd Kult ur forschung gewirkt . 36 b) Die reflex ive Au fg abe In ihrem reflexiven Aufgabenfeld beschäft igt sich d ie hist o r ischpo lit ische Did akt ik mit der Exp lo rat io n von hist o r ischpo lit ischem Bewu sst sein, das eine mö g liche Fo lge vo n Ler npro zessen sein kö nnt e. Aspekt e gesellschaft licher Wirklichk eit werden unt er dem Gesicht spunkt bet racht et , o b aus ihnen hist o risch- po lit ische Vorst ellu ngen er ler nt werden kö nnen. Die reflex ive Didakt ik unt ersucht , welche hist o r isch-po lit ischen Bewusst seinsb ildung spro zesse dur ch welche Ler ngegenst ände eingele it et werden können. Welche hist or isch-po lit ischen S innbildung en können durch d ie Auseinan derset zu ng mit ko nkret en T hemen, Pro blemen, Pro zessen, Inst it ut io nen, Gegenst änden o der Perso nen ersch lo ssen werden? „Denn die Welt der Ku lt ur – vor alle m d iejen ige des Allt ags – ist durchset zt mit S inngebilden“ 37, die po lit ische Legit imat io nen u nd hist o rische Deut ungen au sdrücken u nd zur Gewo hnheit werd en lassen. Die d idakt ische Au fgabe best eht dar in, d iese „narrat ive[ n] Abbr eviat uren“ 38 zu ent schlü sseln und als T räger hist o r ischpo lit ischen S inns zu kennzeichnen. Dabei geht es darum, „zu ‘St off’ ver fest igt e, unbeweg lich gewordene geschicht liche Aussag enko mp lexe zurück[zu] verwandeln in das, was sie

34

Vgl. Behrmann 1999, 238. Hasberg 2001. 36 Vgl. Angvik/Borries 1997. 37 Rüsen u.a. 1991, 230. 38 Ebd., 231. 35

234

eigent lich waren: Or ient ierungsversuche in der Zeit “ 39. Als Forschu ngsfeld dienen aber nicht nur lebenswelt liche Repräsent at io nen. Auch fachwissenschaft liche Forschu ngsinst ru ment ar ien und -ergebnisse kö nnen auf ihr Ler npot enzia l h in r eflekt iert werden. Die reflexive Did akt ik ist ein hypot het isch ar beit ender Forschu ngszweig, da die Tat sächlichkeit d es Ler nens nicht alle in durch den Ler ngeg enst and, so nder n auch durch d ie sub jekt iven Verar beit u ngsfo r men der Ler nenden beeinflusst wird. Die reflexive Didakt ik kann aber den Hor izo nt für Zu sammenhänge ö ffnen, d ie jeweils ler nmö glich sind. S ie unt ersu cht , welche hist o r isch-po lit ischen Ler nvorgänge durch welche wissenschaft lichen o der lebenswelt lichen Ler ng egenst ände angest oß en werden können. In ihr er unt erricht sbezogen Fu nkt io n ist d ie reflexive Didakt ik am Auswahlprozess vo n relevant en Ler ninha lt en aus der Menge fachwissenschaft licher Forschu ngsergebnisse u nd lebenswelt licher Themenfelder bet eiligt . Um Ler nenswert es von Nicht -Lernenswert em zu unt erscheiden, ist d ie hist o r isch-po lit ische Didakt ik jedo ch zugleich auf d en no r mat iven Fo rschu ngszweig angewiesen. c) Die nor mat ive Au fgabe Die nor mat ive Aufgabe der hist or isch-po lit ischen Didakt ik best eht nu n dar in, hist o risch-po lit isches Lernen wert end zu begründen. I m Rahmen der So llensfo rschu ng wird gefragt , welche For men hist o r isch-po lit ischen Bewu sst se ins ler nenswert sind und welche ver mieden werden so llt en. Die normat ive Didakt ik ent wick elt Wert maßst äbe und benennt wü nschenswert e Fo r men hist o r isch-po lit ischer S innb ildung. Heut e best eht Einig keit darüber, dass die no r mat ive Aufgabe der hist o r isch-po lit ischen Did akt ik dar in zu sehen ist , „mit pädagog ischen Mit t eln an der Erhalt ung u nd Weit erent wick lung der Demo kr at ie mit [zu]wirk en, denn nur demokrat isch ver faß t e Gesellschaft en kö nnen die

39

Jeismann 1980, 190.

235

pädagog isch int endiert e Mü nd igke it der Schü ler innen u nd Schü ler akzept ieren“ 40. Dabei besit zt d ie hist o risch-po lit ische Didakt ik ein breit es Überschneid u ng sfeld mit der no r mat iven Po lit ik- insbesondere der Demo krat iet heo r ie. Denn indem die no rmat ive Demokrat iet heor ie nach den Qualit ät en u nd E inst ellu ngen fr agt , über d ie Bürger u nd Bürger innen in einer Demokrat ie ver fügen so llt en, 41 beschäft igt sie sich zugleich mit eine m zent ralen Problem der po lit ischen Didakt ik. Die normat iven „Bürgerqualifikat io nen“ 42 beschreiben die Zield imens io n einer po lit ischen Bild ung, d ie sich d ie Mü nd igk eit des Bürgers zur Aufgabe ge macht hat . In der „Rückkehr d es Bürg ers in die po lit ische Bildu ng“ 43 spieg elt sich d ie Not wendigkeit , d ie Int ent ionen der hist o r isch-po lit ischen Didakt ik no r mat iv zu leg it imieren. Die Kat egor ie des hist o risch-po lit ischen Bewusst seins wird unt ersucht , um e inen Konsens darüber her zust ellen, wie „eine vernünft ige Vorst ellu ng vo n der ko mp lexen Wirklichkeit u nd den prägenden E le ment en des Po lit ischen“ 44 und Hist o rischen auszusehen habe. Erst diese no r mat ive Dimensio n eröffnet der hist o r isch-po lit ischen Didakt ik d ie Per spekt ive zur hist o rischpo lit ischen Bild ung. Begr eift man ‘Bildu ng’ als „ein E nsemb le von Ko mpet enzen d er Welt - u nd Selbst deut ung, das ein Höchst maß an Hand lu ngsor ient ierung mit einem Hö chst maß an Selbst erkennt n is ver bind et und damit ein Hö chst maß an Selbst verwirklichu ng o der Ident it ät sst ärke er mö glicht “ 45, so wird deut lich, dass d er Bildungsbegr iff Ler nen nor mat iv ko nno t iert . Das no r mat iv erwü nscht e u nd emp ir isch fest gest ellt e hist or ischpo lit ische Bewusst sein st immt in der Regel nicht überein. Die Po lit ische Bildung ist ein zent rales gesellschaft liches I nst ru ment , 40

Sander 1996, 32; vgl. ders. 1988. Vgl. Buchstein 1996, 195. 42 Ebd., 296. 43 Breit/Massing 2002. 44 Massing 1995, 75 (i. Orig. kursiv). 45 Rüsen 1989, 85. 41

236

u m durch die Anregung u nd P lanung vo n Ler nprozessen au f d ie hist o r isch-po lit ische S innb ildu ng einzuwirken. I n dem Bemü hen, den So ll- u nd Ist -Zust and des hist or isch-p olit ischen Bewu sst seins einander anzunäher n, st ellt d ie no r mat ive Po lit ik d idakt ik eine wesent liche Var iabel für d ie St abilit ät und Labilit ät polit ischer S yst eme dar. 46 Die Not wendigkeit der Organisat io n erwünscht er Ler npro zesse verweist auf ein weit eres Au fgabenfeld d er hist o r isch-po lit ischen Didakt ik. d) Die prakt ische Au fgabe Die prakt ische Au fgabe der hist or isch-po lit ischen Didakt ik liegt in der t at sächlichen Her st ellung vo n no r mat iv leg it imiert en hist o r isch-po lit ischen Vorst ellungen, kurz: In der Organisat io n von hist o r isch-po lit ischer Bildung. 47 Die prakt ische hist or ischpo lit ische Did akt ik nut zt die Erkennt nisse der emp ir isch-, der reflexiv- u nd der no r mat iv-didakt ischen Fo rschung für d ie P lanu ng, Durchfü hru ng u nd Analyse vo n hist o r isch-po lit ischem Unt err icht . Sie beurt eilt Ler nbed ingungen, ent wickelt Ler nzie le, wählt Ler ninhalt e au s, arrang iert Ler nmet hoden u nd - med ien; immer in der Absicht , t heo ret ische So llen svo rst ellu ng en durch prakt ische Ler nvo rgänge in t at sächliches Bewusst sein zu über fü hr en. Als Didakt ik der hist o risch- po lit ischen Bildu ng ist d ie hist o r ischpo lit ische Did akt ik au f das absicht svo lle Ler nen in der Öffent lichkeit bezo gen. S ie hat die Fu nkt io n, po lit ische So zialisat ionsergebnisse durch gezielt e Lernbeeinflussu ng zu

46

Zur empirischen und normativen Seite von politischer Bildung im Rahmen der politischen Kultur vgl. auch Berg-Schlosser/Stammen 1992, 301f. Sie begreifen politische Bildung „als Bestand (Summe) von vorhandenen Einstellungen und Wissensbeständen kognitiver, affektiver und werthafter Art und […] als Bemühung (Tätigkeit), derartige Einstellungen zu erzeugen oder weiterzuentwickeln“ (302). 47 Sie ist damit Teilbereich einer Politischen Bildung, die als Sammelbegriff fungiert „für ein schulisches oder außerschulisches, institutionalisiertes oder freies, intentionales oder funktionales, aktives oder passives, verbales oder nonverbales, interaktionales Einwirken auf den (Mit-)Menschen, um politisches Verhalten, Handlungsbereitschaft und –kompetenz, demokratische Spielregeln und Grundwerte, Problembewußtsein und Urteilsfähigkeit usw. zu vermitteln“ (Mickel 1995, 561f.).

237

‘korr ig ier en’ 48. An der int ent io nalen hist or isch-po lit ischen Bildung sind neben der Schu le auch ander e öffent liche Ag ent uren wie Univer sit ät en, Mu seen, Gedenkst ätt en, Ver lag e, Fu nk o der Fer nsehen bet eiligt . Die Schule bes it zt aber eine beso nder e Bedeut ung, da die u nt err icht lichen Ler nvo rgänge alle Gesellschaft smit glieder ( jeweils der ent sp rechenden Alt ersgrup pe) erreichen u nd dabei einer int ensiven d idakt ischen Reflexio n u nt er lieg en. Nur deshalb ist es nachvo llz iehbar, wenn sich d ie Did akt ik d es hist o r isch-po lit ischen Ler nens au f d ie Fragen einer Did akt ik des hist o r isch-po lit ischen Unt err icht s 49 ko nzent r iert . Die prakt ische hist o r isch-po lit ische Didakt ik fasst in ihrem Tät igk eit sfeld empir ische, reflexive u nd no r mat ive Aufgaben zusammen. Bei der Organisat ion von Bildung spro zessen verschr änken sich die vier Au fg abenfe lder der hist o r isch-po lit ischen Didakt ik. Der polit ische Bild ner (als Didakt iker der Praxis) ar beit et in einem idealt yp isch vo rgest ellt en Lehr-Ler npro zess zu nächst emp ir isch, indem er analys iert , über welc hen hist orischpo lit ischen Bewu sst seinsst and d ie Ler ngr uppe ver fügt . Erst das Wissen über den t at sächlichen hist or isch- polit ischen Kennt nisund E nt wicklu ng sst and er mö g licht es ih m, adäquat e Ziele und Inha lt e zu ent wickeln sowie angemessene Met ho den u nd Med ien auszuwählen. Die Ana lyse des Bewusst seinszu st andes der Ler ngruppe ist der emp ir ische Aspekt unt err icht spr akt ischer Über legungen. In e inem weit eren Schr it t über legt der polit ische Bildner, welche wü nschenswert en Ler ner fo lge durch seinen Unt err icht erzielt werden so llen. Gerade mit t el- und länger fr ist ig e Zie lset zungen werden dabei aus no r mat iven Wert orient ieru ngen abgele it et . Auch wenn diese Reflexio n nur imp liz it vo llzo gen wird, so ist sie doch ein no t wend ig er Best andt eil der P lanu ng. S ie beschr eibt den no r mat iven Aspekt der unt err icht sprakt ischen Über legu ngen. Um d ie ent sprechenden

48 49

Giesecke 1973, 207f. Vgl. Hilligens (1985, 24) Kennzeichnung der „Didaktik des politischen Unterrichts“ durch die Was-, Wie-, Wozu- und Warum-Fragen.

238

Bildung sinha lt e au szuwählen, muss der po lit ische Bild ner erkennen kö nnen, welche Ler npot enzia le vo n welchen Ler ng egenst änden erö ffnet werden. In der begrü ndet en Au swahl von I nhalt en u nd T hemen ko mmt der reflexive Aspekt der unt err icht sprakt ischen Über legu ngen zu m Au sdru ck. Für die ko nkret e Umset zung mu ss er schließ lich ü ber Hilfst echniken ver füg en, u m d ie Ler nenden mo t ivieren, anle it en und berat en zu kö nnen. Die met ho d ischen und med ialen Ver mit t lung sbemühu ngen des po lit ischen Bild ner s kennzeichnen den prakt ischen Aspekt der unt err icht sprakt ischen Über legungen. Scho n während des Unt err icht s wird der p olit ische Bild ner wied er beginnen mü ssen, empir isch zu denken, in dem er beo bacht et , o b sich d ie angest rebt en Ler nziele in t at sächlichen Ler nergebn issen nieder schlagen. In den Über legungen des prakt isch ar beit enden Didakt iker s verbinden sich also d ie Aufgabenfe lder der hist o risch- po lit ischen Did akt ik. Die vier d idakt ischen Au fgaben sind nur eine analyt ische Trennung. In der Frage nach der „E nt st ehung, Beschaffenheit , Au swirku ng und Beeinflu ssu ng“ 50 vo n hist o r ischpo lit ischem Bewu sst sein haben sie ein g emeinsames Feld, auf dem sie zu sammen wirken. Auch der t heoret isch ar beit ende Did akt iker ver fährt let zt lich n icht anders als der po lit ische Bildner. Nur dass er für sich beansprucht , dass seine emp ir ische Analyse des Tat sächlichen, seine no r mat ive Begründu ng des Wünschenswert en und seine reflex ive Bet racht ung des Mö glichen met ho disch ko nt rolliert er und t heoret isch fu nd iert er ver läu ft .

Inde m die h ist o risch-po lit ische Didakt ik nicht mehr nur au f Unt err icht sprozesse ausger icht et ist , wand elt sie ihr Selbst verst änd nis. S ie begreift sich nu n nicht mehr nur als Hilfswissenschaft für Unt err icht szwecke, so nder n a ls Kult urwissenschaft vo m hist o r isch-po lit is chen Ler nen. Als so lche fragt sie syst emat isch nach den hist o r isch-polit ischen

50

Bergmann 1997a, 246.

239

Ler npro zessen in der Gesellschaft . I hr Gegenst and ist das hist o r isch-po lit ische Bewusst sein. S ie u nt ersucht den Zust and und Wandel vo n hist or isch-po lit ischen Vorst ellungen in seiner Tat sächlichk eit , seiner Mög lichkeit , seiner Wünschbarkeit und seiner Beein flussbark eit .

2.3.3.

Historisch-politische Bewusstseins mod ifikation

E in Modell des Bewusst sein dar f nicht st at isch o der su bst anziell vorgest ellt werden. Die als Denk bewegun g aufg ebaut en Vorst ellu ngen vo n der Wir k lichkeit sind prozessua l und werden best ändig verändert o der best ät igt . 51 I m Med ium vo n Er fahru ngen wird zwischen den su bjekt iven Denkfo r men und der Umwelt ver mit t elt . Die Kat ego r ie der Bewu sst seinsbildu ng ist für d ie Didakt ik vo n zent raler Bedeut ung, weil sie „die Bezieh ung zwischen d en Denk fo r men u nd - st rukt uren des Su bjekt s und d em, was es nicht selber ist [, her st ellt ; D.L.]. Dieser t iefe S inn vo n Bewuß t sein o der Denk fähigkeit ist nicht einfach der fo rmallog ische Ablau f, so nder n er st immt wört lich mit der Fähigk eit , Erfahr ungen zu machen, ü ber ein. Denken und geist ige Er fahru ng machen […] ist ein und dasselbe. “ 52 Das Denken ist also eine „beso nd ere Fo r m der Erfahrung “ 53. Jedo ch gibt es „keiner le i sinnvo lle Er fahru ng, d ie nicht ein E lement des Denkens ent hielt e“ 54. Gleichzeit ig hat d ie Er fahru ng Bezüge zum Er leben der Umwelt . S ie unt erscheidet sich vo m ein fachen Er leben durch die „beso nder e Aufmer ksamkeit “ 55, die das Bewu sst sein dem Er lebnis ent gegenbr ingt . In der Erfahrungsbildu ng reflekt iert das Bewusst sein ein Er lebnis. 56 Als „‘denkend e’ Er fahrung “ 57 ist sie

51

Vgl. Frey 1980; Leithäuser 1983, 246. Adorno 1971, 116. 53 Dewey 1993, 195. 54 Ebd., 193. 55 Schütz/Luckmann 1975, 13. 56 Vgl. Holzkamp 1983, 284ff.; Dewey 1951, 6. 52

240

im Bewu sst sein verank ert . Als ‘er lebende’ Erfahrung ist sie au f d ie Umwelt bezo gen. So ver mit t elt d ie Er fahru ng zwischen dem Er leben u nd dem Denken. E ine ‘Er fahr ung’ set zt sich aus zwei Ko mpo nent en zusammen. Wer eine Erf ahrung macht, er lebt eine Divergenz zwischen seinen su bjekt iven Bewu sst seinsst rukt uren u nd d en umwelt lichen Erkennt niso bjekt en. Wer eine Erf ahrung vera rbeit et, verändert d ie St rukt uren seines Bewusst seins so, dass das Divergenzer lebn is beseit igt wird. Die Er fahrungsverar beit ung lässt sich als ein Ler nprozess ver st ehen, durch d en das Individuum seine Ko mpet enz zur Auseinanderset zung mit der Umwelt zu ver besser n sucht . ‘Ler nen’ kann als „Au fbau und st änd ige Erweit erung der ko gnit iven St rukt ur von Indiv iduen dur ch deren Auseinanderset zu ng mit der nat uralen und so zialen Umwelt “ 58 verst anden werd en. 59 Nach d er kognit iven Lernt heo r ie result iert d ie Bewusst seinsent wicklung aus der int er akt iven Auseinanderset zu ng von Ler nenden mit ih rer Umwelt . I m Ansch luss an P iaget s Erkennt nist heo r ie lässt sich Ler nen dabei als ein Äqu ilibrat io nsprozess begreifen. 60 Piaget ver st eht unt er ‘Äquilibrat io n’ eine ko nst rukt ive Selbst regu lat ion, durch d ie das Ler nsubjekt seine Bewusst seinsst rukt uren mit einer diskrepant er lebt en Umwelt in Über einst immu ng zu br ingen su cht . Das su bjekt ive Bewu sst sein st rebt demnach nach einem Homö ost hasezu st and zwischen se inen kognit iven Schemat a und seine m Umwelt er leben. Er fahru ngen st ören dieses Gleichgewicht und mot iv ieren so zum Ler nen. An d er Gleichgewicht sherst ellu ng sind zwei ko mp lement äre For men der Er fahrungsver ar beit ung bet eiligt . In For m der

57

Ders. 1993, 195. Heursen 1993, 879. 59 Für ein subjektwissenschaftliche Grundlegung des Lernens vgl. Holzkamp 1995. Lernen wird von K. Holzkamp als ein „möglicher Zugang des Lernsubjekts zur sachlich-sozialen Welt gesellschaftlicher Bedeutungszusammenhänge“ (ebd. 181) begriffen. 60 Vgl. Piaget 1992, 412ff.; Wetzel 1980, 123ff. 58

241

Assimilat io n wird d er Stö rfakt o r beseit igt , indem das abweichend e Umwelt er lebnis an die vorhand ene Bewusst seinsst rukt ur angebunden wird. Äußere Strukt uren und Ereignisse werd en int egr iert . Kann die Er fahrung nicht assimilat iv verar beit et werden, ko mmt es zur Ak ko mo dat ion. Bei der Ak ko mo dat ion wird das Gleichgewich t durch kognit ive St rukt uranpassu ng hergest ellt . Aus der Unfähigkeit zur ko gnit iven Aufnahme result iert der Wandel der Denk st rukt ur. 61 Mit der Assimilat io n u nd der Akko modat ion sind zwei For men der Erfahrung sverar beit ung beschr ieben, die einen Ler npro zess wechselseit ig beein flussen u nd bed ingen. Assimilat iv werden Erfahrungen so verar beit et , dass sie als neue Inhalt e an d ie Bewusst seinsst rukt ur geknüp ft werd en. Akko mo dat iv werden Erfahrungen verar beit et , indem sich das Bewusst sein u mst rukt uriert . Als Fakt oren des Ler npro zesses bewirken sie Bewusst seinsd iffer enzieru ng u nd - veränderung. Ler nen bezeichnet als Denkent wicklung d ie fort laufende Ko nst rukt io n von Bewu sst sein. Das Ler nen e iner Bewusst seinsst rukt ur beruht demnach nicht pr imär au f äuß eren Ko nd it io nier u ngen und Verst ärku ngen, so nder n „basiert au f der Verallg emeineru ng und Differenzierung frü her lo gischer […] Strukt uren“ 62 des Ler nsubjekt s. Eine lo gische St rukt ur als Ler nprodukt kumu lie rt nicht nur au s Wissensele ment en, sonder n var iiert vo r allem Denko perat io nen. Deshalb dür fen Lehrprozesse nicht nur Wissen ver mit t eln, so nder n müssen zugle ich Denk fähigkeit er schließ en. Der Vo rgang des Ler nens beru ht au f der denko perat iven Auseinander set zu ng mit der Umwelt . Das Ler nen selbst ist daher eine Tät igkeit d es S innbildens. Ler nen ist aber nicht nur eine Ko mpensat ion irr it ierender Umwelt einflüsse. Das Bewusst sein selbst ver fügt ü ber ein heur ist isches Mo ment , das auch im Ho mö o st hasezust and t ät ig ist

61 62

Vgl. Piaget 1992, 412ff. Piaget, zit. n. Wetzel 1980, 155.

242

und Denkopt ionen erpro bt . So kann die ko gnit ive Disso nanz 63 durch das Subjekt selbst her vo rgerufen werden, wenn veränd ert e Denko perat io nen eine st abil er lebt e Umwelt neu int erpret ier en. Inso fer n dar f das Äqu ilibrat io nspr inzip nicht als bio log ischer Mechanis mus der Umwelt adapt io n eines an s ich t rägen Individuums verst anden werden. Auch das St reben nach Selbst verwirklichu ng ist ler nmot ivierend, 64 ind em es Er fahrung durch Denkvar iat ion er zeugt . Das sub jekt ive Gleichg ewicht ser leben zwischen Bewusst sein u nd Umwelt ist eine Mo ment au fnahme. Der Ho mö ost hasezust and ist flu id u nd wird fo rt während durch das Bewusst se in oder d ie Umwelt in Frage gest ellt . Ler nen ist der akt ive u nd reakt iv e Ko nst rukt ionsprozess, in dem dur ch Er fahru ngsverar beit ungen per manent Bewusst seinsst rukt uren erweit ert und verändert werden. Das hist or isch-po lit ische Bewusst sein be inhalt et durch Ler nen gewo nnene Vorst ellu ngen von der hist o r isch-po lit ischen Wirklichk eit . Es ist Pro dukt und Pro duzent vo n hist o r ischpo lit ischen Ler nvo rgängen. Das I nt eresse an dem Zust and, den Inha lt en, den For men, dem E nt st ehen, dem Wandel, der Beein flu ssbark eit u nd der Fu nkt ion vo n hist orisch-po lit ischem Bewusst sein beschreibt den Gegenst andsbereich der hist o r ischpo lit ischen Didakt ik. 65 Hist or isch- po lit isches Ler nen lässt sich als d ie Er fahru ng sverar beit ung im hist o r isch- polit ischen Teilbewu sst sein begreifen. Das Er ler nen hist o r isch-po lit ischen Bewusst seins best eht aus der „Konst rukti o n neuer Koordinatio nen durch prog ressive Dif f erenzi erung und Weiterent wi cklung d er alten. Es unt er liegt so mit […] den für d ie denkst rukt urelle Ent wicklu ng ge lt end en Ko nst rukt io nsmechanismen und St rukt urgeset zen. “ 66 Hist orisch-po lit isches Ler nen ist deshalb nicht nur eine Ku mu lat ion von hist o r isch- polit ischem Wissen, so nder n vo r alle m eine akt ive Ver ar beit ung von hist or isch-

63

Vgl. Festinger 1978; auch Dewey 1951, 10. Vgl. Maslow 1978. 65 Vgl. Jeismann 1977, 12; Rüsen 1985, 65. 66 Wetzel 1980, 152. 64

243

po lit ischen Er fahrungen zu hist o risch-po lit ischem Bewusst sein. 67 I m Prozess des Ler nens werden sowo hl neue hist or isch-po lit ische Erkennt nisse gesamme lt als auch neue his to risch-po lit ische S innbildung sfo r men au fgebaut . Hist o risch-po lit isches Ler nen nimmt seinen Ausgang in po lit ischen Depr ivat ions- u nd zeit lichen Ko nt ingenzer fahrungen der Gegenwart . Durch Ler nen ver sucht der Mensch lebenswelt liche Legit imat io ns- u nd Or ient ierungsdefizit e abzu bauen. Hist or isch-po lit isches Ler nen bezeichnet den Denkpro zess, durch den Er fahru ngen so in Bewu sst sein g ewandelt werden, dass s innhaft es Handeln mö g lich wird. Geschicht spo lit isches Ler nen ent wickelt die Fäh igkeit zur po lit isch ver mit t elt en Zeit o r ient ieru ng. Polit ik geschicht liches Ler nen baut die Ko mp et enz auf, Herrschaft hist o risch zu leg it imieren. Die lebensprakt ische Bedeut ung hist or ischpo lit ischen Ler nens zeigt sich im Abbau von polit ischen Depr ivat io ns- und zeit lichen Ko nt ingenzer fahru ng en. Dabei u nt er liegt das hist o risch- po lit ische Ler nen den Mod i hist o r isch-po lit ischer Narrat ion und Leg it imat io n. Hist o rischpo lit isches Ler nen ist eine ‘Subst rukt ur’ hist o r isch-po lit ischer S innbildung. Diese lässt sich dann als h ist orisch-po lit isches Ler nen begreifen, wenn durch S innbildu ng d ie Ko mpet enzen zur geschicht spo lit ischen Leg it imat io n beziehungsweise po lit ikgeschicht lichen Narrat io n ent wickelt werden. Nicht jedes hist o r isch-po lit ische S innb ilden ist Ler nen, aber jedes hist o r ischpo lit ische Ler nen ist S innb ilden. 68 Hist o risch-po lit ische Ler npro zesse sind S innbildu ng st ät igkeit en , die das hist o rischpo lit ische Bewusst sein und damit au ch das hist orisch-po lit ische Unt er bewusst sein und die hist or isch-po lit ische Ko mpet enz ent wick eln.

67

Vgl. Rüsen (1994a, 81), für den ‘Lernen’ den „Kompetenzerwerb durch selbsttätige Aneignung (Deutung) von Erfahrung“ bezeichnet. 68 Vgl. ebd., 45 ff.; ders. 1994b, 84; ders. 1997, 262.

244

2.3.4.

Dimensionen historisch-politischen Lernens

E ine Fachdid akt ik fasst Perspekt iven der fachlichen Bezu gswissenschaft en u nd der Erziehu ngswissenschaft zusa mmen. Die Ver nachlässigu ng einer d er beid en Per spekt iven fü hrt d ie Fachd idakt ik in d ie Pro blemzo nen einer wissenschaft szent r iert en Abbilddidakt ik o der einer fachvergessenen Pädago g ik. I m er st en Fall würde sich die hist o r isch-po lit ische Didakt ik au f d ie Au swahl- und Ver mit t lu ng sfr agen fachdisziplinär abgele it et er Ler ninhalt e ko nzent r ieren. Das erwo rbene Wissen blie be dabei t räge und o hne Or ient ieru ngsfunkt io n. I m zweit en Fall könnt e eine radikale Pädago g isierung ‘u npo lit ische’ beziehu ng sweise ‘u nhist o r ische’ Ler nvo rgänge anleit en. E ine Ler norganisat ion, d ie „zug leich fachgerecht e u nd subjekt gerecht e […] hist o risch-po lit ische Bildu ng leist et “ 69, set zt vo raus, dass Frag en nach dem Gegenst and und nach den Subjekt en nicht geg eneinander ausgespie lt werden. Für den Au fbau vo n hist or isch-po lit ischem Bewusst sein müssen beide Perspekt iven in g leicher I nt ensit ät reflekt iert und produkt iv au feinander bezo gen werd en. 70 Die hist or isch-po lit ische Did akt ik ko nst it u iert sich damit im Über schneidu ngsbereich vo n hist o r isch-po lit ischer Wissenschaft u nd Erziehungswissenschaft . Als Wissenschaft vo m hist o r isch-po lit ischen Ler nen muss sie pädago gisch und ler npsycho lo g isch veran kert sein u nd zugleich d ie fachspezifischen Aspekt e des Ler nens int egr ieren. I n den siebziger Jahren ist die hist o risch-po lit ische Didakt ik dur ch ler nt heoret ische Aspekt e bereichert worden. 71 In der fo lg enden Au seinand erset zung hat sich dabei eine schü lero r ient iert e Perspekt ive von der wissenschaft so r ient iert en Didakt ik separ iert . 72 So fehlt es bislang an einer über zeugenden T heor ie

69

Bergmann 1997a, 250f. Vgl. Jeismann 1980, 183. 71 Vgl. Schörken 1970, Streiffeler 1972, Kuhn 1977. 72 Vgl. Laubig/Peters/Weinbrenner 1986, 261ff. 70

245

des hist or isch-po lit ischen Ler nens, die fachd iszip linäre u nd ler nt heo ret ische Zu gangsweisen ver bindet . 73 Die fo lgend e Dimensio nier u ng des h ist orisch-po lit ischen Ler nens g ibt eine Ant wo rt auf die Fr age, wie d iese int egrat ive Fu nkt io n er füllt werden kann. Dur ch d ie Unt ert eilu ng in vier d id akt ische Ler nd imensio nen 74 so ll „Geschicht e als o bjekt ive Vo rgabe in den Lebensver hält n issen der Gegenwart und Gesch icht e als su bjekt ives Ko nst rukt int eressege leit et er prakt ischer Or ient ieru ng in Balance“ 75 gehalt en werden. Historisch-politi sch es Lernen lässt sich d efin ieren als die Verarbeitun g von Erf ahrungen zu hi sto risch-politischem Bewusst sein. Welche ver schiedenen Dimensio nen lassen sich in d ieser spezifischen Ler nfo r m id ent ifizieren? Zu nächst fällt au f, dass sich in der Definit io n die beiden fachdid akt ischen Grundper spekt iven wider spiegeln. Die Er fahru ngsverar be it u ng verweist auf erziehu ngswissenschaft liche Aspekt e hist or ischpo lit ischen Lernen s. Das angespro chene Teilbewusst sein verweist au f fachwissenschaft liche Aspekt e histori sch-politi schen Ler nens. Ausg ehend vo n einem Er fahru ng sbegr iff, der die er lebt e Diskrep anz zwischen Bewusst sein u nd Umwelt bezeichnet , so ll zu nächst das hist o r isch-po lit ische Lernen bet racht et werden. •

Um eine Er fahru ng zu machen, muss sich der Ler nende in irgendeiner For m mit seiner Umwelt ko nfr o nt ieren. Die Ver bindu ng slinien zwischen dem Ler ner u nd d em u mwelt lichen Gegenst and, der die kog nit ive Disso nanz erzeugt , kennzeichnen die Bet eiligun gsdi mensi on hist o rischpo lit ischen Ler nens.



Die Er fahrung wird aber erst dadurch zum Ler nen, dass die er lebt e Unst immigkeit inner lich verar be it et wird. Der Ver inner lichung sprozess, durch den der Lerng egenst and seinen

73

Vgl. Rüsen 1997, 261. Für eine bildungstheoretische Begründung der vier Dimensionen vgl. Huwendiek 1994, 107 ff. 75 Rüsen 1989, 109.

74

246

Weg in das su bjekt ive Bewusst sein findet , bezeichnet die Aneignungsdimensi on hist o risch-po lit ischen Ler nens. Durch d ie Bet eiligu ngs- und Aneig nungsdimensio n ist d ie erziehu ngsw issenschaft liche Perspekt ive der Fachd idakt ik umr issen. Die ler nt heoret ischen Fakt oren der Bet eiligu ng und Aneig nu ng wir ken an jedem Pro zess der Er fahru ng sverar beit ung und damit des Ler nens mit . Durch sie alle in lässt sich Ler nen jedoch noch nicht als sp ezifisch hist o r ischer, polit ischer, moralischer, mat hemat ischer o der ähnlich er Ler nprozess spez ifiz ieren. Die Bet eiligu ng des Ler nenden am Ler ngegenst and (o hne diese würde d ie D ivergenz zwischen Bewu sst sein u nd Umwelt nicht als so lche er lebt werden) u nd d ie Aneig nung des Ler ngegenst andes durch den Ler nenden (ohne d iese würde vo m Divergenzer leben keine Bewusst seinsveränd eru ng ausgehen) kennzeichnen jeden Ler npro zess. Für die Analyse des histo ri sch-polit ischen Ler nens geht der Blick über den Pro zess d er Erfahrungsver arbeit ung hinaus und bet racht et mit dem hist o risch-po lit ischen Bewusst sein das Produkt des Ler nens. Die Erweit erung des Bewu sst seins lässt sich sowo hl unt er Asp ekt en der Inhalt sver mit t lung als auch unt er Aspekt en der St rukt urerschließu ng reflekt ier en. •

Das Pro dukt einer Er fahrungsverar beit u ng kann hist or ischpolit isches Wissen sein. Die hist or isch-polit ischen Erkennt nisse, die an die Bewusst seinsst rukt ur angebu nden werden, kennzeichnen die Vermittlungsdi mensi on hist orischpolit ischen Ler nens.



Das Pro dukt einer Er fahrungsverar beit ung kann hist o r ischpolit ische Denkfähigk eit se in. Hist or isch- po lit ische Ler nfo r men, welche die S in nbildu ngsst rukt ur des Bewusst seins veränder n, charakt er isieren d ie E rschließu ngsdimen sion hist or isch-po lit ischen Ler nens.

In fachlich-d id akt ischer Per spekt ive lässt sich also eine Dimens io n der Ver mit t lung u nd Erschließ ung u nt erscheiden. Au f diesen werden S in nbildungsinha lt e u nd S innb ildung sfo r men des

247

Bewusst seins k ennt lich, d ie eine fachliche Spezifiz ierung und Differenzieru ng er mö glichen. Die fachliche Relevanz hist o r ischpo lit ischen Ler nens wird sicht bar. Für eine int egrat ive Fachd idakt ik kennzeichnen d ie vier Ler nd imensio nen eigenst änd ige Reflex io nsfelder. Diese haben eine rein analyt ische Funkt io n. In eine m hist o r isch-po lit ischen Ler npro zess sind alle Ler ndimensio nen wirksam. Die sub jekt ive Aneig nung vo n Er fahru ngen ver mit t elt histo risch-po lit ische Inha lt e und er schließ t hist o risch-po lit ische S innb ildu ng sko mp et enz. Die hist o risch-po lit ische Didakt ik unt ersucht d ie Ver ar beit ung vo n Er fahrungen zu hist o rischpo lit ischem Bewu sst sein im Hinb lick •

au f Lebenswelt bezüg e, durch d ie Ler nende am Ler ng egenst and beteiligt sind,



auf Ver inner lichu ngsfo r men, durch d ie Lerngegenst ände angeeig net werden,



au f d ie I nhalt e, d ie vermit telt werden u nd



au f d ie S innb ildu ngsko mpet enzen, d ie erschlossen werden.

2.3.4.1.

Die Bete iligungsd imens ion

Hist o risch-po lit isches Ler nen nimmt seinen Ausgang in den zeit lichen Or ient ierungs- o der polit ischen Leg it imat io nsbedür fn issen von Menschen. Or ient ierung s- u nd Leg it imat io nsdefiz it e ent st ehen, wenn das exist ierende hist o r ischpo lit ische Bewusst sein nicht mehr in der Lag e ist , die Umwe lt sinnhaft zu erklären. E in Ler nprozess schließ t d iese ‚Erklärungslücke’, indem er eine Ver bind ung zwischen d em su bjekt iven Bewu sst sein des Ler nenden und der Umwelt her st ellt . Wenn der Ler ngeg enst and ohne Bezüge zu den vo rhandenen indiv iduellen Bewusst seinst rukt uren ist , kö nnen au ch keine

248

Erfahrungen ent st ehen. 76 In eine m so lchen Fall ist das Result at der Divergenz zwischen Bewusst sein u nd Umwelt er leben nicht Ler nen, so nder n Uner fahrenheit u nd Nicht -Wissen. Die Bild ung von hist o r isch-po lit ischem Bewu sst sein unt er liegt so mit den For men und der Dynamik der best ehenden Assimilat io nsschemat a von Ler nenden. Ler nen „vo llzieht sich nic ht durch äuß ere Verst ärkung […], so nder n basiert au f der Verallgeme inerung und Differenzieru ng frü herer lo g ischer o der prälog ischer St rukt uren. “ 77 Da hist o risch-po lit ische „Aneignu ng nur ü ber das Mediu m eigener Er fahru ng gelingt “ 78, ist d ie Bet eiligung eine Vorausset zu ng des hist o r isch-po lit ischen Ler nprozesses. Die Bet eilig ung sdimensio n der hist or isch-po lit ischen Didakt ik macht d ie Bez iehungshalt igke it zwischen Ler nst off u nd Ler nend en zu m Reflexio nsg egenst and. Die ‘Lebenssit uat ionen’ (Ro binso hn), die ‘Bedeut ung für das Leben’ ( von Hent ig), der ‘ gesellschaft liche Lebenszusammenhang’ (Scha ller) o der d ie ‘Lebenswe lt ’ (Schö rken) sind d id akt ische Kat ego rien der Bet eiligu ng sd imensio n, da sie anzeig en, dass hist or ischpo lit ische Ler nprozesse in der su bjekt iven Lebenswirklichke it der Ler nenden grü nd en. Zur Aufgabe der hist o risch-po lit ischen Did akt ik gehö rt es so mit , d ie „außerwissenschaft liche und außerschulische Lebenswelt in ihrer Bedeut ung für die Ent st ehung, Beschaffenheit u nd Wirkung von Geschicht sbewuß t sein“ 79 zu unt ersuchen. Did akt ische I mpu lse zur Ver besseru ng der Bet eiligung vo n Ler nenden kamen au s der kr it isch-ko mmu nikat iven D idakt ik. 80 Das ‘Schüler int eresse’ wurde als Au sgangspunkt für d ie Organisat io n vo n Ler nprozessen berücksicht igt . Nachde m die

76

Ohne Erfahrungsbezug angehäufte historisch-politische Kenntnisse sind beim Rezipienten möglicherweise als Jahreszahlen und Wissensbestände abfragbar, jedoch ohne jede sinnstiftende Funktion in der Lebenspraxis. 77 Piaget, zit. n. Wetzel 1980, 155. 78 Knoch/Stöckle 1984, 260; vgl. Vätz-Szusdziara 1978, 38. 79 Bergmann 1980, 36; vgl. auch ders. 1975. 80 Vgl. Schäfer/Schaller 1991; Winkel 1997.

249

Kat ego rie in den siebziger Jahren so wo hl gesch icht s- 81 als auch po lit ikdidakt ische 82 Ansät ze prägt e, kann die Schü leror ient ieru ng inzwischen als Pr inzip bet racht et werden, das jegliches hist o r isch-po lit isches Ler nen mit anleit et . 83 Jeder hist or ischpo lit ische Unt err icht muss den Schü ler inn en u nd Schü ler n d ie Frage „… u nd was hat das mit mir zu t un?“ 84 beant wo rt en können. Das Bemühen u m eine bessere Bet eiligu ng der Ler nend en sp iegelt d ie d idakt ische Erkennt nis wider, dass Lernen seinen Anfang in Erfahrungen n immt .

2.3.4.2.

Die Ane ignungsd imens ion

Mit der Dimensio n der Aneig nung werden die For men und Mö glichkeit en bezeichnet , durch d ie Ler nende in eine eigenst änd ige Au seinander set zu ng mit der Vergangenheit gelangen. 85 Es wird d avo n au sgegang en, dass hist o rischpo lit isches Ler nen ein fr agender u nd pro blembewält igender Vorgang ist und sich nicht auf rezept ive Formen d es ‘St o ffLer nens’ reduz ieren lässt . Der Weg zum hist o r ischen Wissen wird als eine selbst st änd ige Tät igkeit bet racht et . 86 Die im Pro zess d er Aneig nung verwendet en Ver inner lichu ngsfo r men er mö g lichen es dem Ler nenden, Gesch icht e „als Vo rst ellu ng zu erar beit en, zu prü fen, zu bezwe ife ln u nd zu korr igier en, unt erschiedliche Urt eile und Wert u ngen zu for mulier en u nd zu vert eid igen“ 87. Did akt ische Ko nzept e zur „Ko nst rukt io n von Lebenswelt en“ 88 und zur „Mo dellieru ng vo n Ler nwelt en“ 89 set zt en bei d er Spezifik vo n Ler nwegen an. I m Rahmen der ko nst rukt ivist ischen beziehung sweise subjekt iven Didakt ik kann Wissensver mit t lung 81

Vgl. Kuhn 1977. Vgl. Schmiederer 1977. 83 Vgl. Hufer 1997; Kuhn 1997. 84 Thurn 1993. 85 Vgl. Lucas 1965. 86 Vgl. Dörr 1997, 289. 87 Jeismann 1980, 216. 88 Siebert 1994. 89 Vgl. Kösel 1995. 82

250

nicht mehr pau schal gelehrt werden. St attdessen mü ssen Ler narrangement s geschaffen werden, welche d ie Ler nmög lichkeit en differenzieren und ind ivid ualis ieren. Es bedar f einer Ler numgebu ng, d ie „var iable Ler nwege“ 90 begehbar macht . Denn im S inne des Konst rukt iv ismus 91 bedeut et Lernen nicht Repro dukt io n vo n Fremdem, so nder n Produkt io n von E igenem. 92 Auch hist o r isch-po lit isches Ler nen ist ein konst ru ierender Vorgang. Bei d er Verar beit ung vo n hist o risch-po lit ischen Erfahrungen werden Umwelt ein flüsse nich t kopiert , so ndern mo delliert . Als ‘denkende Er fahrung’ (Dewey) find et der hist o r isch-po lit ische Ler ngegenst and eine n je ind iv iduellen Weg in das Bewusst sein d es Ler nenden. Die hist o risch-po lit ische Aneig nungsd imens io n belicht et die Selbst t ät igkeit , durch die Ler nende die Unst immigkeit zwischen ihr em hist o r ischpo lit ischen Bewu sst sein und dem Umwelt er leben au sg le ichen. Die ler nst imulierend en ko gnit iven Disso nanzen werd en dabei durch eine selbst st ändige Ause inanderset zung mit hist o r isch-po lit ischen Quellen und Fällen ü berwu nden. Hist o risch-po lit ische Ane ig nu ng ist immer ein akt iver und selbst t ät iger Prozess der Er fahru ngsverar beit u ng u nd keine ko gnit ive Ad apt io n vorgefert igt er „Wissenspaket e“. Erst in d iesem ind ividu ell geprägt en Vo rgang ent wickeln sich ko gnit ive Schemat a, d ie hist o r isch-po lit ische Denko perat io nen er mög lichen. 93 In der Aneignu ng sd imensio n werden d ie psychischen Prozesse reflekt iert , durch d ie Erfahru ng en in d as Bewusst sein gelangen. Nur „im Ho r izo nt hist or isch gewendet er Problemlagen d er Gegenwart wird d ie Er fahru ng […] wirklich

90

Bönsch 1995. Vgl. Glasersfeld 1997, Schmid 1992b. 92 „Während der Konstruktivismus davon ausgeht, dass nur das, was wir selbst erarbeitet haben, wirklich gelernt ist, legt der Objektivismus Wert auf die Vermittlung von gesicherten und stabilen Wissensbeständen.“ (Schiele 1998, 5) 93 Vgl. Galperin 1972. 91

251

angeeig net , zu m geist igen Best andt eil des ment alen Haushalt es eines Su bjekt s“ 94. Der Au fbau vo n Bewu sst seinsst rukt uren wird vo n der ko gn it iven Ler np sycho lo g ie a ls I nfo r mat ionsverar beit ung au fgefasst , an der d ie ler nende Person akt iv bet eiligt ist . 95 Der Hand lu ngsbegr iff ist eine d idakt ische Kat egor ie zur Erfassung der Aneig nungsvo rgäng e. I m Anschluss an Hans Aeblis Über legu ng en zu m Au fbau einer Operat io n ist Denken let zt lich als eine Abst rakt io nsfo r m vo n Handlung anzusehen. 96 Eine neue Operat io n o der auch ein neuer Begr iff wird „im effekt iven Ver such leicht er er ler nt und besser verst anden als im r einen Gedankenexper iment “ 97. Die Sachau seinanderset zung ist eine For m der aneignenden Pro blembewä lt igu ng. In der Aneig nungsd imens io n wird hist o r isch-po lit isches Ler nen d eshalb auch als ein Handlu ng sver lau f bet racht et . 98 Die d idakt ische Aneignu ngsd imensio n befragt einen Ler ng egenst and im Hinb lick auf seinen Au fforderu ngscharakt er und seinen Pro blemg ehalt . S ie int eressiert sich für d ie frag ende und kreat ive Pro ble mbewält igung, durch welche d ie hist o rischpo lit ischen Ler ngegenst ände ver inner licht werden. E ine d idakt ische Reflexio n in der Aneignu ng sd imensio n erkennt in der Tät igk eit von Ler nenden Heur is men, d ie den Ler nvo rgang als Ent decku ngsreise, Forschu ngspro jekt o der Exper iment charakt er isier en. Ler nt heoret isch ist in d ieser Dimensio n zudem von I nt eresse, dass hist or isch-po lit ische Lerng egenst ände ‘mit allen S innen’ (Pest alo zzi) angeeignet werden. In der Ler nbio lo gie wird d iese Pro blemat ik in der Fest st ellu ng akt ualis iert , dass ein id ealer Ler nver lau f den Gebr auch unt erschiedlicher Ler neingang skanäle er fordert . 99 Verschiedene sinn liche Reize u nd

94

Rüsen 1997 263. Vgl. Edelmann 1996, 8. 96 Vgl. Aebli 1983, 203 ff. 97 Ebd., 195. 98 Zur enaktiven, ikonischen und symbolischen Ebene des Erkennens vgl. Bruner 1974, 16f. u. 49. 99 Vgl. Vester 1978. 95

252

Wahr nehmu ngsfelder er höhen d ie Assoziat ionsmö glichkeit en u nd kö nnen so ein t ieferes Ver st ändn is anbahnen.

2.3.4.3.

Die Verm ittlungsd imen sion

Die hist o risch-po lit ische Ver mit t lu ng sd imensio n bet racht et den Gegenst and, der durch Ler nen an das hist o risch-po lit ische Bewusst sein ver mit t elt wird. I m Zent ru m st eht das Ler npro dukt , welches an das hist or isch-po lit ische Bewu sst sein angebunden wird. Der hist or isch-po lit ische Ler ngegen st and int eressiert dabei so wohl in seiner wissenschaft lichen Objekt ivier barkeit a ls auch in seinen su bjekt iven Redukt io nsfor men. In der Ver mit t lung sd imensio n wir d reflekt iert , ob d ie hist o r ischpo lit ischen Ler ninha lt e sachlich r icht ig s ind. I n welcher Relat io n st ehen d ie I nhalt e zum akt uellen wissenschaft lichen Erkennt nisst and ? Sowo hl schüler- als auch wissenschaft so r ient iert e Did akt ik en sind au f dieses Korrekt iv angewiesen. Denn auch bei der Or ient ieru ng an d en I nt eressen der Ler nenden ist die „Bedeut ung eines Gegenst andes im Gefüge der Wissenschaft “ 100 eines der zent ralen Auswahlkr it er ien. Zumindest müssen lebenswelt liche Themen au f ihr e hist o risch- po lit ische Relevanz überprü ft werden kö nnen. In der wissenschaft sor ient iert en Versio n wird die fachwissenschaft liche S yst emat ik zur St rukt urieru ng der Ler ninha lt e genut zt . 101 Die hist or isch-po lit is che Wissenschaft d ient der Didakt ik als Reser vo ir, aus dem fachwissenschaft liche Kat ego rien, Begr iffe u nd T heor ien in hist orisch-po lit ische Ler ng egenst ände t ransfer iert werden kö nnen. Diese d idakt ische Hilfsfunkt io n der hist o risch-po lit ischen Wissenschaft dar f aber nicht zu der abb ild didakt ischen Vorst ellu ng ver leit en, dass d ie St rukt uren des hist o r ischpo lit ischen Ler nens mit der Fachsyst emat ik übereinst immen.

100 101

Robinsohn 1971, 47. Vgl. Massing 1999, 203.

253

Inner halb des t rad it io nellen wissenschaft sorient iert en Par ad ig mas so llt e d ie Fachd id akt ik die Erkennt nisse d er Fachwissenschaft ler nergerecht abbild en. Diese Kop ie-Didakt ik bedur ft e der Vorgabe von Ler ninhalt en, der Bevo rzugu ng p assiv-rezept iver Ver mit t lung sfo r men, der Bet o nu ng kog nit iver Ler nzie le u nd einer fachsyst emat ischen Darst ellungsfo r m. Die t radit io nellen Inst it ut io nenku nd ler inner ha lb der Po lit ik did akt ik u nd d ie Anhänger des chro no lo gischen Durchlau fs in der Geschicht sd idakt ik sahen die wissenschaft liche St o ffpräsent at io n als Mit t elpu nkt der hist o risch-po lit ischen Didakt ik an. Das Zie l der Über legu ngen war es, den hist o r isch- p olit ischen St o ff in einen Bild u ng sprozess zu ü ber set zen. 102 Unt err icht spr akt isch resu lt iert e daraus jedoch eine Ko nzept io n, d ie sich hist or ischpo lit isches Ler nen als eine „met ho disch verpacke Weit ergabe der geschicht swissenschaft lichen Forschungsergebnisse vo rst ellt e“ 103. Mit der Expansio n wissenschaft licher Erkennt nis st ieß die Abb ildd id akt ik an immanent e Grenzen. Zwar mü ssen hist o risch-po lit ische Ler ninhalt e auf ihre wissenschaft liche P lausibilit ät hin ü berpr ü fbar sein. Dies allein kann jedoch nicht ihre Ler nnot wendigkeit begrü nden. Au fg abe der Ver mit t lu ng sd imensio n ist es demnach auch, nach den gese llschaft lichen Funkt io nen 104 und E ins icht en 105 zu fragen, die durch den Ler ngeg enst and er schlo ssen werden kö nnen. So ll d ie hist o r isch-po lit ische Didakt ik nicht nur fachwissenschaft lich bereit gest ellt es Wissen met ho disieren, mü ssen in der Ver mit t lung sd imensio n didakt ische Refle xio nsk at ego rien eingeset zt werden, die in der Lage sind, das Wissenswert e aus dem Wissensmög lichen zu filt er n. Durch d ie bild u ngst heo ret ische Beein flu ssung der hist o r isch-po lit ischen Did akt ik wurd en Kr it er ien der Au swahl vo n h ist o risch-po lit ischen Bildung sinha lt en gewo nnen. Das Sachele ment are beziehung sweise –exemplar ische so llt e nu nmehr über den I nhalt 102

Vgl. Ebeling 1966; Schicksalsfragen 1957. Jeismann 1985, 43. 104 Vgl. Robinsohn 1971, 47. 105 Vgl. Klafki 1963. 103

254

hinausweisend e E insicht en erö ffnen. 106 I m Konzept kat egorialer Bildung ver mit t elt der I nhalt zw ischen Lernenden u nd d er Umwelt . 107 „Bild u ng ist kat ego riale Bildu ng in dem Do ppels inn, daß sich dem Menschen eine Wirk lichkeit kat egoria l erschlossen hat und daß eben damit er selbst – dank d er selbst vo llzo genen ‘kat ego r ialen’ E ins icht en, Er fahrungen, Er lebn isse – für diese Wirklichk eit erschlo ssen wo rden ist . “ 108 Die hist o risch-po lit ische Didakt ik dar f nicht au f d ie Reflexio n der Inha lt sebene verzicht en. Inner halb e in es hist o r ischpo lit ischen Ler npro zesses werden u mwelt liche Geg enst ände so reduziert , dass s ie mit den vorhandenen Bewusst seinsst rukt uren ver mit t elbar sind. Zu den Au fgaben der prakt ischen Didakt ik gehört es, komp lexe Zusammenhänge ler n gerecht zu element ar isier en. 109 Unt er nor mat iven Gesicht spu nkt en st ellt ein gewisser Fundus an hist o r isch-po lit ischem Wissen sicher lich eine Vorrausset zung für münd iges po lit isches Handeln d ar. Best immt e inha lt liche Fo rschung sinhalt e, - fragen u nd -zugänge erö ffnen spez ifische hist o r isch- po lit ische Ler nmö g lichkeit en. Das hist o r isch-po lit ische Bewusst sein g eht jed och nicht in d ieser inha lt lichen Kat egor isieru ng auf. Schließ lich ist zu bed enk en, dass d ie Prozesse der Bewusst seinsb ildu ng „d urchweg ‘hint er ’ den Inhalt en liegen“ 110.

2.3.4.4.

Die Erschließungsd imens ion

Die Anbindung hist o risch- po lit ischer I nhalt e an d ie ko gnit iven St rukt uren ist nur d ie eine S eit e des Ler np ro dukt es. Da „Bildu ng […] kein add it iver Pro zeß [ist ]“ 111, int eressieren zugleich die Assimilat io nsschemat a. Die hist o r isch-po lit ischen Denkst rukt uren

106

Vgl. Fischer/Herrmann/Mahrenholz 1960, 26; Fischer 1993; ders. 1999; Klafki 1963a, 135. 107 Vgl. ders 1964. 108 Ders. 1963, 44. 109 Vgl. Rothe 1978, 243. 110 Schörken 1972, 96. 111 Wagenschein 1968, 29.

255

ble iben im Ler npro zess nicht ko nst ant , sond er n werden selbst akko mo d iert . In der hist o risch-po lit ischen Erschließu ngsdimensio n wird d id akt isch reflekt iert , welche S innbildung sko mpet enzen er ler nt werden. Nicht mehr die Ver mit t lung vo n hist or isch-po lit ischen Lerngegenst änden in das Bewusst sein st eht im Mit t elpu nkt , sonder n d ie d adurch bewirkt e Umst rukt urieru ng der hist o risch- po lit ischen S innb ildu ngsfo r men. Die d idakt ische Reflex io n in der Erschlie ßungsd imens io n int eressiert sich nicht mehr für den Gegenst and selbst , sonder n für die St rukt ur, in d er hist or isch-po lit ische Pro bleme gedeut et werden. 112 Didakt isch muss deshalb danach gefragt werden, welche po lit ikgesch icht lichen (a) u nd geschicht spo lit ischen S innbildung sko mpet enzen ( b) durch den Lernpro zess er schlo ssen werden. a) Polit ikgeschicht liches Ler nen Die Basis po lit ikgesch icht lichen Ler nens bild et eine Narrat io n mit legit imat iver Fu nkt io n. Es wir d geler nt , Zeit zu sammenhänge so sinnhaft zu machen, dass po lit ische Herrschaft anerkennung swürd ig beziehu ngsweise kr it is ier bar wird. Po lit ik geschicht liches Ler nen lässt sich sowo hl h insicht lich der hist o r ischen als auch im Hinb lick au f d ie polit ischen S innbildung sfo r men unt erscheiden, die er lernt werden. Die Haupt t ät igkeit des po lit ikgeschicht lichen Ler nens ist jedo ch d as hist o r ische S innb ilden. Desha lb lassen sich po lit ikgeschicht liche Ler nt yp en durch d ie Zeit t ypo log ie h ist o rischer S innb ildu ng unt erscheiden. Die po lit ikgeschicht lichen Ler nt ypen bezeichnen d ie S innb ildu ngsfähigkeit , d ie durch erschlo ssen wird: •

Durch zi rkulä res po lit ikgeschicht liches Lernen wird die Ko mpet enz erworben, po lit ische Herr schaft durch ihr Überdauer n im Wandel d er Zeit zu leg it imier en.



Durch linea res po lit ikgeschicht liches Ler nen wir d die Ko mpet enz erworben, po lit ische Herr schaft durch ihre Ent wick lu ng im Wandel der Zeit zu legit imier en.

112

Vgl. Jeismann 1980, 190.

256



Durch punktuelles po lit ikgeschicht liches Ler nen w ir d die Ko mpet enz erwo rben, po lit ische Herr schaft durch Mo ment e aus dem Wandel d er Zeit zu leg it imier en.



Der zirkuläre Ler nt ypus: Durch z ir ku läres Ler nen wird er ler nt , wie Trad it io nen zur Legit imat io n von po lit ischer Herrschaft herangezogen werden kö nnen. In d ieser Denk figur wird eine po lit ische Ord nu ng durch „das Po chen auf Trad it io n und Fo rt set zung des Bewährt en“ 113 anerk ennung swürd ig gemacht . Es wird die Denkfähig keit erwo rben, po lit ische Vorst ellu ngen zust immu ng swürd ig zu machen, ind em sie als ‘Scho n-I mmer-So’ dargest ellt werden. Hierzu wird d ie Gegenwart , Vergangenheit u nd Zuku nft so in Übereinst immung gebracht , dass po lit ische Herrschaft als zeit übergr eifend vorgest ellt werden kann. In dieser For m po lit ikgeschicht lichen Ler nens wird der Wandel po lit ischer S yst eme als eine Ober flächenerscheinu ng int erpret iert , unt er der das Wesen alt herg ebracht er Herrschaft überdauert . „Zeit wird als S inn verewigt “ 114. Zirku läres po lit ikgeschicht liches Ler nen verändert d ie ko gnit ive St rukt ur. Dadurch werden Denk pro zesse er ler nt , die po lit ische Herr schaft als ein ü berzeit liches Phäno men begreifen, das als so lches scho n immer anerkennung swürd ig war. Der Zeit zusammenhang zwischen Gegenwart , Vergang enheit und Zuku nft wird d abei so versinn licht , dass Herrschaft let zt lich als wesenhaft u nd u nh ist or isch erscheint . I m zirkulär en Mo dus wird po lit ik geschich t lich geler nt , wie Herrschaft svo rst ellu ngen d urch Tradit io nenbildu ng ko nt inuiert werden können. Die Denkst rukt uren im po lit ik geschicht lichen Bewusst seinsbereich werden so eing er icht et , dass Herrschaft durch zirku läre hist o r ische S innbildu ng en leg it imiert werden

113 114

Ders. 1981, 11. Rüsen 1989a, 127.

257

kann. Der hist or isch-po lit ische Ler nende ent wick elt d ie Ko mpet enz, Po lit ik vo rst ellu ngen zeit lich zu ü ber liefer n. •

Der linea re Ler nt ypus: Der lineare T ypus polit ikgeschicht lichen Ler nens zeigt an, dass geler nt wird, Herrschaft dadurch zu legit imier en, dass sie als ent wicklu ng slo g isch er sche int . Es wird er ler nt , Zeit zusammenhänge so zu st rukt urieren, d ass gegenwärt ig e und zukü nft ig e Herrschaft als leg it ime Fo lge vergangener Herrschaft erscheint . Die durch lineares Lernen erworbene Denkfähig keit kann akt uelle Po lit ik vorst ellu ngen als (vo r läufig es) Ergebnis eines zeit lichen Pro zesses bet racht en, dessen Ver lau f vo n der Vergangenheit ü ber die Gegenwart auf d ie Zukunft ger icht et ist . Lineare po lit ikg eschicht liche Ko mpet enz er mö g licht es, den Zeit ver lau f als po lit isches Fort schreit en zu int erpr et ieren. Po lit ikvo rst ellu ngen werd en legit imiert , indem s ie als Fort schr it t gegenüber früheren Herrschaft sfo r men g edeut et werden. Po lit ische Herrschaft kann anerkennungswürd ig gemacht werden, indem sie als innere Log ik eines evo lut io när en (aber auch revo lut ionären) Zeit ver laufs vo rgest ellt wird. Durch den linearen Ler nt ypu s wird die Denk fäh igkeit erschlo ssen, d ie hist o r ische E nt wicklung als po lit ische Legit imat io nsqu elle zu nut zen. Po lit ikgeschicht lich wird geler nt , wie po lit ische Herrschaft in einen ursächlichen Zusammenhang zur Geschicht e gest ellt werden k ann. 115



Der punktu elle Ler nt ypus: Pu nkt uelles polit ikgeschicht liches Ler nen erschließt Lernenden die Ko mpet enz, po lit ische Herrschaft durch hist o rische Analog ieb ildu ng en zu legit imieren. Dabei wird d ie Geschicht e als Reser vo ir singulärer Er fahrungen genu t zt , die sinnhaft mit Po lit ikbezügen verknüpft werden kö nnen. So ent wick elt der punkt uelle Ler nt ypus d ie Fähigkeit , durch den Gebrauch vo n

115

Vgl. Bergmann 1997b, 275.

258

hist or ischen Beisp ielen Herrschaft zust immungsfähig zu machen. So wird geler nt , hist o rische Er fahru ng en so zu verallgeme iner n, dass sie als Lehr en und Regeln aus der Geschicht e gegenwärt ig e Po lit ik vorst ellu ngen begründ en. 116 Durch po lit ikgeschicht liches Ler nen ent wickelt sich die Fäh igkeit , po lit ische Problemgehalt e d er Gegenwart mit Ko nst ellat io nen frü herer Epochen zu verg leichen. 117 Die hist o r ischen Analog ien zur po lit ischen Gegenwart sind dabei nicht g leich, sonder n vergleichbar. Punkt uelle polit ikgeschicht liche Denkfähigkeit bezie ht sich sowo hl au f Ähnliches als auch au f Differ ent es. Durch polit ikgeschicht liches Ler nen ent st eht also auch d ie Fähig keit , hist o r ische Er fahrung en als Alt er nat iven zu gegenwärt igen Polit ikvo rst ellu ng en zu int erpret ieren. 118 Die ‘Geschicht e hist o r ischer Ver lierer ’ (Benja min) so wie verebbt e hist o r ische Prozesse u nd I nst it ut io nalis ierung en können durch pu nkt uelle gesch icht spo lit ische Denk fähigk eit für gegenwärt ige po lit ische Legit imat io nen genut zt werden. So wird hist o r ische Fant asie er ler nt , durch d ie po lit ische Gegenwart shorizo nt e erweit ert werden können. 119 Punkt uelles po lit ikgeschicht liches Ler nen erschließ t die denkst rukt urelle Fähigkeit , durch zeit liches Vergle ichen polit ische Herr schaft zu leg it imier en beziehu ng sweise zu delegit imieren. Es wird geler nt , wie gegenwärt ige Polit ikvo rst ellu ng en durch hist o r ische Analog ien unt erst üt zt beziehu ng sweise in Frage g est ellt werden kö nnen. Der zirk uläre, lineare u nd pu nkt uelle T yp us po lit ikgeschicht lichen Ler nens bezeichnet zunächst nur d ie

116

Vgl. Rüsen 1989a, 128f. Vgl. Steinbach 1998, 120; Bergmann 1999, 626; Bialas 1997c, 112f. 118 Vgl. Sutor 1997, 326. 119 Vgl. Lucas 1972, 227f.

117

259

hist o r ische Denk st rukt ur, 120 die er ler nt wird. Jeder d ieser drei Grundt ypen lässt sich aber ausd ifferenzier en, indem nach d en po lit ischen Leg it imat io nsfo r men gefragt wird, d ie durch sie erschlossen werden. Denn die For men po lit ischer S innbildu ng lassen s ich nicht einzelnen Ler nt ypen zuo rdnen. Die zirku läre, d ie lineare und d ie punkt uelle Fo r m po lit ikgeschicht lichen Ler nens kann jeweils das Er lernen sowo hl auto krat ischer als auch demo krat ischer Herrschaft slegit imat io n anzeigen. Mit den Ler nt yp en st eht eine kat ego r iale St rukt ur zur Verfügu ng durch welche die Akko mo dat io n hist o risch-po lit ischer Bewusst seinsst rukt uren d idakt isch reflekt iert werden kann. Die Ler nt yp en st ellen der hist o r isch-po lit ischen Bewu sst seinsanalyse Kr it er ien zur Ver fügung, durch d ie im Ler nprozess Denkt ät igkeit en ident ifiz iert werden kö nnen. Bei der Unt ersuchu ng hist o r isch-po lit ischen Ler nens lässt sich so best immen, welche hist o risch-po lit ischen S innb ildu ng smo d i sich durchset zt en beziehu ngswe ise welche Mis chu ng sver hä lt nisse sich ausprägen. Keinesfa lls so llt e d ie analyt ische Begr ifflichkeit mit der realen Lebendigkeit hist or isch-po lit ischen Ler nens verwechse lt werden. b) Geschicht spo lit isches Ler nen Durch geschicht spo lit isches Ler nen wird geler nt , wie der Prozess der Transfor mat io n von int eressegebundenen Geschicht sbilder n in ko llekt ives Gesch icht sbewusst sein anerkennungswürd ig gemacht werden kann. Geschicht spo lit isches Ler nen er schließt d ie Ko mpet enz, po lit ische Herrschaft sfo r men zu leg it imier en, durch d ie ko llekt iv bindend e Geschicht sdeut ung en erzeugt werden so llen. Die gru nd legende S innbildu ng sform des geschicht spo lit ischen Ler nens ist das Leg it imier en. Es werden Denk st rukt uren erschlo ssen, durch d ie po lit ische Herrschaft zust immu ngsfähig gemacht werden kann. Die Beso nd er heit der geschicht spo lit ischen Leg it imat io n liegt dar in, dass sie inner halb

120

Vgl. in diesem Zusammenhang auch den traditionellen, exemplarischen, kritischen und genetischen Lerntypus in: Rüsen 1989a, 126-131.

260

des Po lit ik fe ldes ‘Geschicht e’ t ät ig ist . Es wird er ler nt , Geschicht sd eut ung en allgeme in ver bind lich zu machen. Für das geschicht spo lit ische Ler nen lässt sich zu nächst ein aut okrat ischer und ein demo kr at ischer Ler nt yp unt erscheid en. 121 Durch autokrati sches gesch icht spo lit isches Ler nen er ler nt der Mensch, dass er u nfäh ig ist , Geschicht sdeut ungen zu pro duzieren, d ie allgeme in bindend sein kö nnt en. Es werden Leg it imat io nsmu st er er ler nt , die es sinnvo ll er scheinen lassen, dass ko llekt iv b indende Geschicht svo rst ellu ngen vo n einer Minder heit ent wickelt und vo n der Mehr heit über no mmen werden. Aut okrat isches Ler nen er schließ t die Vorst ellu ng, dass Geschicht sd eut ung en hist o rische Wahr heit en wiederg eben. Ko llekt ive hist orische Ident it ät erhält den Anschein der Nat ür lichk eit . Durch demokratisches geschicht spo lit isches Ler nen er ler nt der Mensch, dass er seine int eressengebundenen Deut ungen in den ko llekt iven Ident it ät sbildu ng spro zess einer so zialen Gruppe einbr ingen kann. Er ent wickelt Denk st rukturen, durch welche die Bet eilig ung an der Ver bind lich machu ng von Geschicht sd eut ung en leg it imiert werden kann. Beim demo krat ischen Ler nt ypus werd en d ie Bewusst seinsst rukt uren so verändert , dass su bjekt ive hist o r ische S innb ildungen in den po lit ischen St reit u m die Deut ung d er Vergangenheit eingebracht werden kö nnen. Der demo krat ische Ler nt ypu s erkennt die Vie lfalt gesellschaft licher Geschicht sd eut ung en an u nd ent wickelt d ie Ko mpet enz, an der Ver bind lich machung von I nt erpret at io nen mit zuwirken. Geschicht spo lit isch Ler nende werden so befähigt , die Int eresseng ebu ndenheit vo n Geschicht sdeut ungen zu erkennen und ihr e eigenen Int eressen hist o risch zu recht fert igen. Durch demokrat isches geschicht spo lit isches Ler nen ent wick elt sich d ie Fäh igkeit , Vergangenheit sdeut u ngen prüfend zu begeg nen. Geschicht svo rst ellu ngen, d ie als ‘hist or ische Wahr heit ’

121

Zu Differenzen der historisch-politischen Bildung in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen vgl. bspw. Pellens 1990.

261

präsent iert werden, können so als int eressensgebu nd ene Int erpret at ionen ver st anden werden. 122 Demo krat isches geschicht spo lit isches Ler nen befähigt Ler nende, d ie gese llschaft liche P luralit ät vo n Geschicht sdeut ungen zu akzept ieren, deren po lit ische Leg it imat io nsfu nkt io n zu erkennen und ihr e eigenen Int eressen in den po lit ischen Wider st reit um d ie Deut ung d er Geschicht e einzubr ingen. Die Ko mpet enz demo krat isch-geschicht spo lit ischer S innb ildung bezeichnet eine hist o r ische Diskur sfähigkeit , d ie eine Vorausset zu ng für den demo krat ischen Umgang mit Geschicht e d arst ellt . Die Anerkennu ng der gesellschaft lichen P luralit ät vo n Geschicht sd eut ung en set zt die Abkehr vo n hist o r ischen Int erpret at ionsweisen vo raus, d ie eine Homo genit ät der so zialen Gruppenident it ät unt erst ellen. 123 Demokrat isch-geschicht spo lit isches Denken bet racht et ho mogene hist o r ische Ident ifikat io nen als aut okrat ische S innst rukt urieru ngen. Die demo krat ische S innb ildu ng hingegen erkennt die gru nd sät zliche Ko nt roversit ät mö glicher Geschicht sd eut ung en als Ausdruck p luraler gesellschaft licher Int eressen an. Demokrat isches gesch icht spolit isches Ler nen immunisiert gegen Ho mo genit ät sansprüche hist o r ischer Leg it imat io n u nd Ident ifik at ion. Geschicht spo lit isches Denken kann d ie po lit ischen Funkt io nen von Vergang enhe it sd eut ungen ana lysieren. Dass heißt auch, dass d ie Ent st ehu ng von akt uell ver bindlichen Geschicht svorst ellungen reflekt iert werden kann. Dabei ist von I nt eresse, welche alt er nat iven Deut u ngen im gesch icht spo lit ischen Pro zess ko nkurr iert en u nd waru m sie ver loren gegangen s ind. Hist o rischpo lit ische Bildu ng, die versucht , Deut ung en aus d er Geschicht e zu zement ieren, st eht im Verdacht , Lernende zu überwä lt igen. 124 E ine de mokrat ische geschicht spo lit ische Bildu ng lehrt , dass d ie po lit ische Gesch icht sdeut u ng keine endgült igen Fakt en

122

Vgl. Jeismann 2000b, 52. Vgl. Steinbach 1997, 5; Sutor 1997, 331f.; Jeismann 1981, 13ff.; ders. 1990, 69. 124 Beutelsbacher Konsens.

123

262

ver mit t elt , so nd er n einen o ffenen u nd nur vo r läufig abgeschlo ssenen Prozess dar st ellt , der dur ch neue Erkennt nisint eressen jeder zeit wieder neu au fgeno mmen werden kann. Ler nende mü ssen dabei zur selbst st ändigen Reflex io n vo n und zur akt iven Bet eiligu ng an geschicht spolit ischen Deut ungskont ro versen befäh igt werden.

2.3.5.

Zusa mmenfa ssung

Die d idakt ische Relevanz eines hist o r isch-polit ischen Bewusst seinsbegr iffs ist dar in zu sehen, d ass er so wohl d en Fachbezug der Reflexio n garant ieren als auch eine ler neror ient iert e Perspekt ive au f den Ler nprozess er mö g lichen kann. Das hist o r isch-po lit ische Bewu sst sein dar f dafür jedoch nicht als ein Behält er vorgest ellt werden, der hist o r ischpo lit isches Wissen bewahrt , so nder n mu ss als eine kog nit ive St rukt ur mo delliert werden, d ie h ist o risch-po lit ische S innzusammenhäng e herst ellt . Durch hist o risch-po lit isches Ler nen werden hist o r isch-po lit ische Erfahrungen in hist o r isch-po lit isches Bewusst sein verar beit et . Diese Transfo r mat io n lässt sich vierd imen sio nal u nt erglied er n als ein Pro zess, •

an dem Ler nende lebenswe lt lich bet eiligt sind, indem sie Erfahrung en machen,



in dem sich Ler nende Ler ngegenst ände an eignen, indem sie Erfahrung en verar beit en,



der Ler nenden hist o r isch-po lit ische Bewu sst seins inha lt e vermittelt und



- der Ler nend en hist o risch-po lit ischen Bewusst seinsst rukt uren erschließt.

2.4.

Reflexion

Die hist o risch-po lit ische Didakt ik bewegt sich im Überschneid u ng sfeld vo n Gesch icht s- u nd Po lit ikd id akt ik. I hr d isziplinärer Geg enst and ist d ie hist o r isch-po lit ische Bewusst seinsb ildung, welche als ein Ler nprozess ang esehen werden kann. I m h ist o risch- po lit ischen Bewusst sein ver binden sich hist or ische und po lit ische S inndeut ungen zu geschicht spo lit ischen u nd po lit ikgeschicht lichen Denkst rukt uren. Von ler nt heo ret ischem I nt eresse ist das hist orisch-po lit ische Bewusst sein so wo hl in seiner emp ir ischen Tat sächlichkeit , in seiner reflex iven Möglichkeit , in seiner no rmat iven Wünschbarkeit als auch in seiner prakt ischen Beein flussbarkeit . Die hist o risch-po lit ische Didakt ik kann das hist orisch-po lit ische Ler nen in der Dimens io n der Bet eiligung, der Aneig nung, der Ver mit t lung u nd d er Erschließu ng reflekt ieren. Während die Bet eilig ung s- und Aneignu ng sd imensio n d ie pädagog ische Seit e der hist o r isch-po lit ischen Didakt ik repräsent ieren, st ehen in der Ver mit t lung s- u nd Erschließ u ngsd imensio n die fachlichen Aspekt e im Vordergrund. I n ihr er Gesamt heit ver vo llst ändigen d iese Dimensio nen eine hist o r isch-po lit ische Didakt ik, d ie ler nt heo ret ische und fachspezifische Aspekt e int egr iert . Diese h ist o risch-po lit ische Ler nd imensio nieru ng kann der hist o r isch-po lit ischen Didakt ik als kat ego r iale Grundst rukt ur d ienen, u m t at sächliche, mö gliche, wü nschenswert e und int endiert e hist or isch-po lit ische Ler npro zesse zu unt ersuchen. S ie so ll im fo lgend en Kap it el für d ie Analyse der hist o r ischpo lit ischen Didakt ik der Allt agsgeschicht e genut zt werden. Indem d ie d idakt ische Fu nkt ion der Allt ag sgeschicht e in den verschiedenen Dimensio nen u nt ersucht wird, so ll ein d ifferenziert es Gesamt bild der hist o r isch-po lit ischen Didakt ik der Allt agsgeschicht e gezeichnet und eine Ant wo rt auf die Frage er mög licht werden, o b d ie Allt agsgeschicht e ‚po lit isches’ o der ‚unpo lit isches’ Ler nen anleit et .